Ein Hinweis an alle Eulen und Uhus in Reihe 1 bis 10: Lautes Flüstern nervt! Egal in welcher Sprache. Es nervt in der Sauna, im Kino noch mehr. Und: Auch wenn ihr eure Handys noch so nah vors Gesicht haltet, das Licht stört die anderen trotzdem. Daher: Handy aus, Schnabel zu.

THE ASSISTANT

(Panorama)

Nach „My Salinger Year“ ein weiterer Film über die stillen Leiden der Assistenten. Diesmal geht es jedoch weniger kuschelig zu, „The Assistant“ ist harter Realismus. Harvey Weinstein wird zwar namentlich nie erwähnt, doch es ist relativ schnell klar, auf wen Regisseurin Kitty Green hier anspielt.

Jane ist morgens die Erste und abends die Letzte im Büro eines mächtigen Medienmoguls. Reisen organisieren, Termine buchen, das Büro aufräumen, die wütende Gattin am Telefon beruhigen – Janes Tag ist vollgepackt. Als immer wieder junge Frauen bei ihrem Chef ein- und ausgehen, will sie nicht länger wegschauen, sie vermutet Missbrauch. Sie vertraut sich einem Kollegen an, doch der bügelt ihre Bedenken ab. Das System funktioniert. Die (männlichen) Mitarbeiter diktieren ihr sogar den Wortlaut einer Entschuldigungsmail in den Computer. 

Dieser Film gehört Hauptdarstellerin Julia Garner. Wie sie mit reduzierter Mimik Angst, Zweifel und stille Wut ausdrückt, ist beeindruckend. „The Assistant“ erzählt in streng komponierten Bildern eine  Geschichte vom Wegschauen und von Repression am Arbeitsplatz. Die Handlung spielt vor #MeToo – ob sich inzwischen viel geändert hat, ist fraglich.

USA 2019
90 min
Regie Kitty Green

UNDINE

(Wettbewerb)

So, jetzt wird mal mit angelesenen Hintergrundinformation geprotzt: Undine ist eine mythologische Figur, eine Nymphe, die mit ihrem Gesang die Menschen verzaubert. Eine Seele erlangt sie nur, wenn sie sich mit einem Menschen vermählt. Der Haken an der Sache: Untreue Gatten bringt sie um.

Dieses Wissen hilft, Christian Petzolds neuen Film „Undine“ besser zu verstehen. Der Regisseur dichtet den Mythos von der geheimnisvollen Wasserfrau zum modernen Märchen im heutigen Berlin um. Das funktioniert erstaunlich gut. Der Film hat zugleich etwas Märchenhaftes und Realistisches. Paula Beer verleiht der Figur Undine mit wassergewellten Locken eine somnambule Aura. Und keiner kann so überzeugend den leicht tumben und gleichzeitig sensiblen Arbeiter spielen wie Franz Rogowski.

„Undine“ ist eher eine Fingerübung, ein interessantes Experiment, der etwas andere Berlinfilm. Regisseur Petzold übertreibt’s zwischendurch ein wenig mit der platten Symbolik – insgesamt ist ihm zwar ein zarter Liebesfilm aus dem Hier und Jetzt gelungen, es bleibt aber seltsam spröde.

Deutschland 2020
90 min
Regie Christian Petzold 

TODOS OS MORTOS

(Wettbewerb)

Frauen stehen im Mittelpunkt des brasilianischen Films „Todos os mortos“. Brasilien 1899, kurz nach Abschaffung der Sklaverei. Die drei Frauen der Soares-Familie stehen am Rand des Ruins und versuchen, sich mühsam an die neuen Verhältnisse anzupassen. Die Mutter ist vom alten Schlag, lässt sich immer noch gerne bedienen. Ihre beiden Töchter, die eine Nonne, die andere eine verwirrte Pianistin, sind auch keine große Stütze. Parallel wird die Geschichte der Nascimento-Familie erzählt, ehemals Sklaven der Soares.

Das hätte was werden können, denn das Thema ist eigentlich interessant. Schade nur, dass der Film wie eine langatmige Telenovela für Intellektuelle wirkt. Fehlt nur noch die dramatische Musik kurz vor der Werbepause. „Todos os Mordes“ läuft rätselhafterweise im Wettbewerb und gewinnt bestimmt den goldenen Bären.

Englischer Titel „All the Dead Ones“
Brasilien / Frankreich 2020
120 min
Regie Caetano Gotardo

FUTUR DREI

(Panorama)

4 Sterne für die Story plus 2 Sterne für die künstlerische Ambition = 3 Sterne für „Futur Drei“
Parvis ist der Sohn iranischer Einwanderer in Niedersachsen. Er verbummelt sein Leben zwischen Tanzen gehen, jobben und anonymen Grindr-Dates (dem Gay-Equivalent zu Tinder). Als er in einem Flüchtlingsheim Sozialstunden ableisten muss, verliebt er sich in Amon, der mit seiner Schwester aus dem Iran geflüchtet ist. Die drei verbindet bald eine intensive Freundschaft und Beziehung.

Wie viele Panorama-Beiträge in diesem Jahr erzählt auch „Futur Drei“ von Heimat und Ausgrenzung, diesmal im queeren Milieu. Obwohl Parvis‘ Familie seit vielen Jahren in Deutschland lebt, hat sie sich nie wirklich integriert. Parvis dagegen fühlt sich deutsch und nicht als Iraner – ein interessanter Zwiespalt. 

Die ersten zwei Drittel des Films sind spannend und geben einen angenehm unklischeeigen Einblick. Gegen Ende hat dann wohl irgendwer beschlossen, dass es „künstlerisch“ werden muss. Diese eher wahllos eingestreuten Vignetten hätten für sich genommen vielleicht einen ambitionierten Kurzfilm ergeben. Doch das gewollt Experimentelle fügt sich nicht in die bis dahin präzise und geradlinige Erzählung. Schade, es wäre sonst ein richtig guter Film geworden. 

Englischer Titel „No Hard Feelings“
Deutschland 2020
92 min
Regie Faraz Shariat

LAS NIÑAS

(Generation Kplus)

Celia muss schweigen. Im Chor darf sie nur die Lippen bewegen, ihre Mutter hat keinen Nerv für die Fragen und Nöte der Tochter und in der konservativen Nonnenschule soll sie auch schön artig sein. Erst Brisa, die neue Mitschülerin aus Barcelona, weckt die Rebellin in Celia. Das bisher so artige Mädchen beginnt, unbequeme Fragen zu stellen.

Nicht umsonst läuft Pilar Palomeros Debut im Rahmen der Generation Kplus. „Las Niñas“ verlangt seinen Zuschauern ab, sich ganz und gar auf die Welt der Heranwachsenden einzulassen. Langes, stilles Brüten, Schminkversuche mit den Freundinnen, unbeholfene Flirts mit einem Jungen oder die erste Zigarette. Für Menschen jenseits der 18 gibt es ein paar gelungene Momente und quälende Erinnerungen an die eigene Jugend, aber wie bei der Pubertät wünscht man sich bald, dass das Ganze ein Ende hat.

Englischer Titel „Schoolgirls“
Spanien 2020
97 min
Regie Pilar Palomero

LUA VERMELLA

(Forum)

Auch für anstrengende Experimentalfilme ist auf der Berlinale Platz: Ein Stausee, eine schroffe Küstenlandschaft, tosendes Wasser. Menschen wie zu Säulen erstarrt, den Blick nach unten gerichtet. Ihre Gedanken als innerer Monolog gesprochen. Nach und nach werden sie mit weißen Tüchern abgedeckt, verstummen. Wie Gespenster stehen die Bewohner eines galicischen Küstenortes in der Gegend herum. Der Pressetext erklärt: „Die fragmentarische Erzählung lotet das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt aus.“ Aha. Das ganze Spektakel dauert geschlagene 84 Minuten und ist wohl Kunst. Ermüdend.

Englischer Titel „Red Moon Tide“
Spanien 2019
84 min
Regie Lois Patiño

SHIRLEY

(Encounters)

Noch schnell ein Nachschlag, jetzt mal wirklich kurz und knapp:
1964, Horrorautorin Shirley Jackson und ihr Ehemann, der Literaturkritiker und Collegeprofessor Stanley Hyman beherbergen ein junges Ehepaar, Fred und Rose Nemser. Was sich zwischen den vier Personen entwickelt und entlädt, kann man am ehesten als „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ mit Verzögerung beschreiben. Die Schauspieler sind alle grandios, mit einer herausragenden Elisabeth Moss – eindringlich und mit erschreckendem Mut zur Hässlichkeit.

USA 2020
106 min
Regie Josephine Decker

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