RESPECT

RESPECT

Als Aretha Franklin 1967 komplett besoffen von der Bühne fällt, hat sie endgültig ihren persönlichen Whitney-Houston-Tiefpunkt erreicht. Der übermächtige Vater, der brutale Ehemann, die Sucht, das ewige Unglücklichsein trotz des überragenden Talents: es gibt viele Ähnlichkeiten zum Lebenslauf anderer Pop- und Souldiven. Tina Turner kann davon ein Lied singen. Wie der Rockröhre aus Nutbush/Tennessee haben die 1980er-Jahre auch Aretha Franklin ein Comeback beschert. „Respect“ lässt diesen Teil des Karriere-Herbstes aus, konzentriert sich ganz auf die Jugend- und frühen Erfolgsjahre der Queen of Soul.

Was für ein Leben: Schon als Kleinkind wird Aretha nachts vom Vater aus dem Bett gezerrt, um Onkel Duke (Ellington) und Tante Della (Reese) ein Lied vorzusingen. Bei dem prominenten Umgang kein Wunder, dass die kleine Ree professionelle Sängerin wird. Die geliebte Mutter stirbt früh, mit 12 wird Aretha das erste Mal schwanger. Mit Anfang 20 heiratet sie Ted White, die Ehe ist von Misshandlung und Brutalität geprägt. Ihr oft divenhaftes Verhalten, Suff und verpasste Termine führen schließlich zum Absturz. Rettung bringt erst der Weg (zurück) zum Herren, gekrönt von ihrem legendären Gospel-Livekonzert 1972 in Los Angeles. Halleluja!

Kein R-E-S-P-E-C-T vom Feuilleton: Das wirft dem Biopic vor, es sei zu „soapig“ geraten. Wenn das eine Umschreibung für „zu unterhaltsam“ sein soll, dann stimmt die Kritik ausnahmsweise. Die 145 Minuten sind erstaunlich kurzweilig. Natürlich gab es diese Art Künstlerbiografie schon hundert Mal, auch hier werden alle Stationen der Karriere artig abgearbeitet, da betritt der Film kein Neuland.

„Respect“ ist vor allem Jennifer Hudsons Film, mit dem sie sich nach ihrem Oscarerfolg „Dreamgirls“ und vielen mittelmäßigen Filmen wieder in schauspielerischer Bestform zeigt. Abgesehen von ihrer großartigen Singstimme spielt sie Franklins Qualen und Selbstzweifel so gekonnt, dass ein paar Drehbuch- und Inszenierungsschwächen nicht weiter ins Gewicht fallen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Respect“
USA 2021
145 min
Regie Liesl Tommy
Kinostart 25. November 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

HANNES

HANNES

Lieber Hannes,

ich schreibe Dir heute, weil sie einen Film über uns gemacht haben. Seit deinem Motorradunfall liegst Du ja im Koma und kannst dich nicht mehr wehren. Was soll ich sagen: Der Film ist richtig schlecht geworden. So schlecht, dass er für die Dozenten aller Filmhochschulen eine Offenbarung wäre. Erstsemester aufgepasst: So macht man es nicht. Die hölzernen Dialoge klingen, als hätte sie die Drehbuchautorin von „Unser Charly“ geschrieben. Musikalischer Berater war wohl Til Schweiger – an einem miesen Tag mit Kater. Kein Gefühl ist echt, alles großer Kitsch. Irgendwie haben es die Produzenten geschafft, namhafte Schauspieler zu verpflichten. Lisa Vicari aus „Dark“ zum Beispiel. Die hat aber nichts zu tun, außer grimmig zu schauen. Wahrscheinlich wurde ihr erst beim Dreh klar, worauf sie sich da eingelassen hat. Heiner Lauterbach hatte wohl auch keine Lust, der spielt, als würde er das Telefonbuch vorlesen. Und wusstest Du, dass Hannelore Elsner kurz vor ihrem Tod noch 300 Filme gedreht hat? Oder weshalb taucht sie hier schon wieder in ihrer allerallerletzten Rolle auf? Für Hannelore muss der Dreh ein Vorgeschmack auf die Hölle gewesen sein, schon wieder muss sie die immer noch attraktive, kapriziöse Irre geben. Der Film ist ihr sogar gewidmet, die Arme.
Alles sehr schade, die Geschichte unserer Freundschaft hätte einen besseren Film verdient. Die gute Nachricht: Bei den Goldenen Himbeeren werden deutsche Filme nicht berücksichtigt.

Alles Liebe, dein Moritz

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Deutschland 2019
91 min
Regie Hans Steinbichler
Kinostart 25. November 2021

alle Bilder © STUDIOCANAL

HOPE

HOPE

„Håp“, so der Originaltitel, startet mit knapp zwei Jahren Verspätung in den deutschen Kinos. Die norwegisch-schwedische Produktion gewann mehrere Preise, war unter anderem für den Oscar nominiert.

Anja und Tomas leben in einer Patchwork-Familie: drei gemeinsame Kinder, drei Kinder aus Tomas erster Ehe. Die Beziehung zwischen der jüngeren Choreografin und dem Theaterregisseur wird auf eine harte Probe gestellt, als bei Anja kurz vor Weihnachten ein lebensgefährlicher Hirntumor festgestellt wird.

Genau so fühlt es sich an, wenn plötzlich die katastrophalen Nachrichten niederprasseln und alles aus den Fugen gerät. In den ohnehin unwirklich erscheinenden Tagen „zwischen den Jahren“ begleitet der Film die Familie nach einem Todesurteil aus dem Nichts. Anja geht durch ein Wechselbad der Gefühle, lang gemiedene Aussprachen werden geführt, unterdrückte Gefühle gelangen an die Oberfläche.

Mit „Hope“ kommt ein berührender Film für Erwachsene in die Kinos. Harte Kost, und das ausgerechnet im zweitschlimmsten Monat des Jahres (the winner is January). Maria Sødahl erzählt die Geschichte ihrer eigenen Krankheit ohne jeden Schnickschnack, mit leisem Humor und großer Ehrlichkeit. Neben der souveränen Regie beeindrucken vor allem die beiden Hauptdarsteller Andrea Bræin Hovig und Stellan Skarsgård. „Hope“ lässt das Ende offen und bleibt – der Titel deutet es an – hoffnungsvoll. Grandios.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Håp“
Norwegen / Schweden 2019
125 min
Regie Maria Sødahl
Kinostart 25. November 2021

alle Bilder © Arsenal Filmverleih

RESIDENT EVIL: WELCOME TO RACCOON CITY

RESIDENT EVIL: WELCOME TO RACCOON CITY

Willkommen zu einer kleinen Zeitreise in die Waschbären-Stadt! Das Prequel zur erstaunlich erfolgreichen Resident Evil-Serie spielt 1998. Raccoon City ist zur Geisterstadt verkommen. Schuld daran ist der Wegzug des Pharmariesen Umbrella Coporation. Keine Arbeitsplätze, keine lebendige Kleinstadt. Auch Claire hat sich vor fünf Jahren aus dem Staub gemacht. Als sie zurückkehrt, um ihren Bruder Chris vor einer bevorstehenden Katastrophe zu warnen, ahnt sie nicht, dass das Unheil schon an der Tür kratzt.

1,2 Milliarden Dollar hat das Franchise bis heute eingespielt. Aus Produzentensicht naheliegend, dass es irgendwie weitergehen muss. Jetzt also ein Prequel, das der zuletzt etwas aus der Puste gekommenen Resident Evil-Serie neue Energie verleihen soll. „Welcome to Racoon City“ erfindet das Genre nicht neu – die Versatzstücke sind aus vielen Horrorfilmproduktionen bekannt – trotzdem funktioniert der Neustart. Die Geschichte vom Ursprung allen Zombieübels ist durchweg spannend erzählt und funktioniert auch ohne Postergirl Milla Jovovich hervorragend. Teil 8 kann kommen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Resident Evil: Welcome to Racoon City“
Deutschland / Kanada 2021
107 min
Regie Johannes Roberts
Kinostart 25. November 2021

alle Bilder © Constantin Film

DAS SCHWARZE QUADRAT

DAS SCHWARZE QUADRAT

Die Kunsträuber Vincent (Bernhard Schütz) und Nils (Jacob Matschenz) drehen ein ganz großes Ding: Für ihren Auftraggeber klauen sie das 60 Millionen Dollar teure Gemälde „Das schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch. Nun sind sie mit ihrer Beute an Bord eines Kreuzfahrtschiffes gelandet und müssen als Elvis- und David Bowie-Imitatoren auf die Bühne (Ja, solcherart Verwechslungen passieren gerne in deutschen Komödien). Neben der auch vor Brutalitäten nicht zurückschreckenden Martha (Sandra Hüller) interessieren sich noch weitere Passagiere für das wertvolle Kunstwerk.

Natürlich werden schon beim Titel Erinnerungen an den Cannes-Gewinner „The Square“ geweckt. Doch abgesehen davon, dass es in „Das schwarze Quadrat“ auch um Kunst geht, haben die beißende Satire von Ruben Östland und der Film von Peter Meister wenig gemeinsam. Für sein Debüt hat sich der 34-Jährige vorgenommen, „einen Film zu machen, der einfach extrem unterhaltsam ist.“ Das ist ihm größtenteils gelungen, langweilig ist „Das schwarze Quadrat“ zu keiner Sekunde. Es gibt ein paar wirklich witzige Szenen und die Schauspieler – alle sonst eher vom ernsten Fach – machen den Film über weite Strecken sehenswert. Trotzdem mischt sich in den Mix aus zarter Ironie und schrägen Charakteren immer wieder unlustiger Klamauk. Ist das ein deutsches Problem? Werden die Regisseure von Produzenten ausgebremst, die das Publikum unterschätzen und ihm das Verständnis für intelligenten Humor absprechen? Die Väter der Klamotte geben nie auf. Mit einem ausgefeilteren Drehbuch und weniger Albernheiten hätte „Das schwarze Quadrat“ sonst richtig gut werden können.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
105 min
Regie Peter Meister
Kinostart 25. November 2021

alle Bilder © Port au Prince Pictures

MEIN SOHN

MEIN SOHN

Skateboard fahren, Kiffen, Saufen, Party machen. Jason nimmt das Leben auf die leichte Schulter. Bis er eines Tages bei einem Skate-Unfall schwer verletzt wird. Seine Mutter Marlene wacht an seinem Krankenbett, kümmert sich um einen Platz in einer Schweizer Reha. Sie beschließt, ihren Sohn selbst dorthin zu fahren. Auf dem Roadtrip brechen alte Konflikte zwischen Mutter und Sohn auf.

Es muss ja nicht immer alles Soap sein, aber ein bisschen mehr Dramatik hätte Regisseurin und Drehbuchautorin Lena Stahl ihrer Geschichte ruhig verpassen können. Wenn sich über 90 Minuten die Figurenkonstellation kaum weiterentwickelt und die Geschichte der Charaktere bestenfalls angedeutet wird, dann plätschert es halt nur so dahin, bleibt oberflächlich.

Sehenswert machen „Mein Sohn“ (der ebenso gut „Meine Mutter“ heißen könnte) vor allem die Schauspieler. Als unglückliche Mutter blitzt ihr trockener Humor zwar nur selten durch, aber die wunderbare Anke Engelke kann außer Late-Night-Talkshow alles. Mittlerweile überzeugt sie in dramatischen Rollen genauso wie im komischen Fach. Sexy trotz Augenringe: Dem Mensch gewordenen Waschbären Jonas Dassler nimmt man die Rolle des „I don’t give a fuck“-Teenagers auch mit seinen 25 Jahren noch ab. Dassler gehört spätestens seit seinem Durchbruch in „Der Goldene Handschuh“ zu den aufregendsten Theater- und Filmschauspielern seiner Generation.

FAZIT

Ein entwicklungsarmes Roadmovie mit starken Schauspielern.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
94 min
Regie Lena Stahl
Kinostart 18. November 2021

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

GHOSTBUSTERS: LEGACY

GHOSTBUSTERS: LEGACY

Wozu gibt es Fortsetzungen? Kann man es bei Serien nicht einfach bei einer Staffel belassen? Wer soll den ganzen Content überhaupt schauen? Das Gleiche gilt für Filme. Sequel, Prequel, Schniequel. Beim Ghostbusters-Franchise ging der zweite Teil noch in Ordnung, völlig überflüssig hingegen war das All-Female-Remake von 2016. Jetzt also noch eine Fortsetzung, diesmal mit Teenagern. Klingt schlimm, ist aber großartig!

Vor dem Presse-Screening läuft eine kurze Videobotschaft des Regisseurs Jason Reitman, dessen Vater Ivan die ersten beiden Teile inszeniert hat, in der er inständig bittet, keinerlei Spoiler oder Storyelemente zu verraten. Sehr gerne! Das Nacherzählen des Inhalts gehört sowieso zu den langweiligsten Bestandteilen einer Framerate-Kritik.

Let’s lieber talk about Sterne: Nein, 0 Sterne gab es noch nie und wird es nie geben. Es sei denn, „Monster Hunter“ wird fortgesetzt. 5 Sterne gibt es nur in absoluten, lebensverändernden Ausnahmen. Also auch so gut wie nie. „Ghostbusters Legacy“ würde in einer gerechteren Welt 5 Sterne bekommen. Denn es gibt nichts auszusetzen an dieser liebevollen und liebenswerten Fortsetzung des 80er-Jahre-Hits. Alles richtig gemacht: Die Kinderdarsteller perfekt gecastet (und nerven nicht, dafür einen Extrastern), die Dialoge witzig, die Geschichte spannend und der Soundtrack von Rob Simonsen weckt nostalgische John-Williams-Gefühle.

„Ghostbusters: Legacy“ ist die perfekte Reinkarnation eines Steven Spielberg-Films aus der ET-Poltergeist-Ära. Und warum dann nur 4 Sterne? Weil es halt alles schon mal da war. Das tut dem Vergnügen zwar keinen Abbruch, aber wenn überhaupt, dann hätte das Original von 1984 fünf Sterne verdient.

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Originaltitel „Ghostbusters: Afterlife“
USA 2021
124 min
Regie Jason Reitman
Kinostart 18. November 2021

alle Bilder © Sony Pictures Germany

EIFFEL IN LOVE

EIFFEL IN LOVE

Kleine Quizrunde für Senioren: Mit welchem Gebäude erlangte Gustave Eiffel im 19. Jahrhundert Weltruhm?

A) Kölner Dom
B) Berliner Fernsehturm
C) New Yorker Freiheitsstatue
D) Londoner Tower Bridge

Richtige Antwort: C. Neben der Erkenntnis, daß niemand Klugscheißer mag, ist das schon wieder eine geschlossene Wissenslücke. Eiffel hat Lady Liberty zwar nicht entworfen, sie aber dank ausgeklügelter Stahlkonstruktion auf Jahrhunderte standsicher gemacht.

Sein nächstes großes Ding ist der Tour Eiffel. 1889, pünktlich zur Pariser Weltausstellung, soll der 324 Meter hohe Turm fertig sein, um eigentlich zwei Jahre später wieder zurückgebaut zu werden. Streikende Bauarbeiter, Probleme mit der Finanzierung, wütende Anwohner – was wie der Bau des BER klingt, ist in Wahrheit die fast gescheiterte Geschichte eines der schönsten Architekturkunstwerke der Welt. Gustave Eiffel will die Weltbevölkerung ursprünglich mit seiner neugebauten Metro beeindrucken, erst die wiedererwachte Liebe zu einer Frau inspiriert ihn zu dem eleganten Phallus mitten in Paris. Weniger sexuell aufgeladen lässt sich in die Form des Eiffelturms auch ein großes A interpretieren, den Anfangsbuchstaben der Angebeteten Adrienne.

Regisseur Martin Bourboulon, sonst eher Spezialist für Komödien, erfindet mit „Eiffel in Love“ das Rad nicht neu: Ein bisschen erinnert das Liebesdrama an „Titanic“ – nur eben nicht zu Wasser, sondern an Land. Wirklichkeit und Fiktion decken sich auch hier nur teilweise: Als der 28-jährige Jungarchitekt in Bordeaux eine Brücke baut, haben Gustave und Adrienne tatsächlich eine leidenschaftliche Beziehung. Ob die Liebe zwischen den beiden allerdings Jahre später noch einmal erblüht und Monsieur Eiffel tatsächlich zum Turmbau inspiriert, ist eine unbewiesene Drehbuchidee.

Die Romanze ist mit Romain Duris und der aus „Sex Education“ bekannten Emma Mackey ausgezeichnet besetzt. Trotz der etwas konventionellen Erzählweise: „Eiffel in Love“ ist unterhaltsam, bildgewaltig und dazu noch romantisch, ohne in Kitsch abzudriften. Vive la France!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Eiffel“
Frankreich 2021
109 min
Regie Martin Bourboulon
Kinostart 18. November 2021

alle Bilder © Constantin Film

LAST NIGHT IN SOHO

LAST NIGHT IN SOHO

Huch, you didn‘t see that coming: „Last Night in Soho“ ist Mode trifft Zeitreise trifft Horror. Dorfkind Eloise kommt nach London, um Fashion Design zu studieren (was auch sonst 2021?). Ihr erstes eigenes Zimmer bezieht sie zur Untermiete bei Miss Collins. Die Einrichtung im 60er-Jahre-Stil ist ganz nach ihrem Geschmack, denn Ellie lebt eindeutig im falschen Jahrhundert. Nachts träumt sie von Sandy, einer Sängerin im London der Swinging Sixties: die Kleider sind von Mary Quant, im Kino läuft James Bond mit Sean Connery und der berühmte Nachtklub „Café de Paris“ ist gleich um die Ecke. Doch als sich Traum und Wirklichkeit immer mehr vermischen, gerät Ellie in große Gefahr.

Wäre Alfred Hitchcock 75 Jahre später zur Welt gekommen, würde er heute vielleicht ähnliche Filme wie Edgar Wright drehen. Der britische Regisseur schuf 2004 mit „Shaun of the Dead“ einen modernen Klassiker und begeisterte 2017 mit „Baby Driver“ sowohl Kritiker als auch Publikum. Sein neues Werk ist eine wilde Mischung aus Zeitreise-Fantasy, Love Story und düsterem Psychothriller. Man fragt sich – vor allem gegen Ende – ob das nun alles vollkommen absurd oder absolut genial ist. Von ein paar Längen abgesehen, bietet „Last Night in Soho“ vor allem tolles 60er-Jahre-Feeling. Und wie die Geschichte von harmlos-nett zu waschechtem Horror mutiert, das ist ungewöhnlich und höchst unterhaltsam.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Last Night in Soho“
USA 2021
117 min
Regie Edgar Wright
Kinostart 11. November 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

LIEBER THOMAS

LIEBER THOMAS

Die Komödien „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin“ erwecken den Eindruck, das Leben jenseits des antifaschistischen Schutzwalls sei bunt und fröhlich gewesen. Gut 30 Jahre nach Mauerfall zeichnen Filme wie „Gundermann“ oder der im August gestartete „Nahschuss“ ein realistischeres Bild der Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Schluss mit lustig.

Zwei, die von Anfang an nicht zueinander passen: Die DDR und Thomas Brasch. Mit seinem Vater Horst, SED-Parteifunktionär und stellvertretender Minister für Kultur, ist er in Hassliebe verbunden. Aus Thomas soll ein braver Staatsbürger werden, doch schon früh fühlt er sich zum Schriftsteller berufen. Als 1968 sowjetische Panzer den Prager Frühling niederwalzen, protestieren Thomas und seine Freunde mit einer Flugblattaktion in Berlin. Der junge Autor wird von seinem Vater verraten, kommt ins Gefängnis. Auf Bewährung entlassen, arbeitet Brasch zunächst als Fräser in einer Transformatorenfabrik. 1978 darf er mit seiner Frau in den Westen ausreisen. Dort dreht er mehrere Kinofilme, wird sogar nach Cannes eingeladen.

War „Das Leben der Anderen“ noch eine hollywoodgerechte Aufarbeitung des Stasi-Staates, so wählt Andreas Kleinert für „Lieber Thomas“ eine poetischere, künstlerisch freiere Herangehensweise. Das in strengem Schwarzweiß gedrehte Drama legt sich nicht auf Wahrheit oder Fiktion fest, wechselt fließend zwischen Traum und Wirklichkeit. Fast könnte man meinen, der Film sei zu DDR-Zeiten gedreht worden, so stimmig wirkt die Atmosphäre.

Intensivtäter Albrecht Schuch (wer sonst?) verkörpert die deutsch-deutsche Zerrissenheit des 2001 verstorbenen Autors und Regisseurs kongenial. Neben der großartigen Besetzung (Jella Haase, Jörg Schüttauf, Anja Schneider) sind vor allem die Szenen mit Brasch als Malocher in der Fabrik am stärksten. Die Bilder von Kameramann Johann Feindt erinnern hier an die gerade wiederentdeckten Aufnahmen des Fotografen Günter Krawutschke, der die Gesichter des Arbeiter- und Bauernstaats in seinen einzigartigen Bildern verewigte.

„Lieber Thomas“ ist nach „Familie Brasch“ bereits der zweite Film, der sich mit dem Leben der schillernden Persönlichkeit Braschs auseinandersetzt. Ein Mann mit vielen Facetten: Jude, Dichter, Sozialist, Frauenheld, Träumer, eine unangepasste Künstlerseele.

FAZIT

Sehr sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
150 min
Regie Andreas Kleinert
Kinostart 11. November 2021

alle Bilder © Wild Bunch Germany

THE MANY SAINTS OF NEWARK

THE MANY SAINTS OF NEWARK

Regisseur Alan Taylor findet offensichtlich Gefallen daran, es sich mit Hardcore-Fans zu verderben. Nach einhelliger Zuschauer- und Kritiker-Meinung hat er den schlechtesten Marvel-Film zu verantworten: „Thor: The Dark Kingdom“ (wenigstens bis „Eternals“ in die Kinos kam). Direkt danach drehte er „Terminator: Genesis“. Diese Fortsetzung fand so wenig Gefallen, dass anschließend das gesamte Franchise einem Reboot unterzogen wurde (ohne Erfolg). Nun legt sich Taylor mit einer besonders strengen Fangruppe an: „A Sopranos Story“ heißt sein neuer Film im Untertitel und ist ein Prequel zur legendären Mafiasaga.

Der unerwartete Tod von James Gandolfini vor acht Jahren machte alle Pläne, die preisgekrönte HBO-Serie jemals fortzusetzen, zunichte. Deren Abschluss (ein schlichter Schnitt auf Schwarz) wird von Fans bis heute als entweder genial oder enttäuschend empfunden. Statt das überraschend abrupte Ende aufzuklären, gibt es nun eine Reise zu den Anfängen. Die Rolle des jungen Tony Soprano spielt der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnittene Michael Gandolfini. Ein genialer Besetzungscoup, Ähnlichkeit ganz ohne Computer-Tricks.

Im Mittelpunkt des Films steht Tonys Onkel Dickie Moltisanti. Ein schlimmer Finger, dem trotzdem die Sympathien des Publikums gehören. Als Mitglied der DiMeo-Verbrecherfamilie betreibt er den örtlichen Glücksspielring in Newark. Tony Soprano, noch ein Teenager, steht am Scheideweg: bürgerliches Leben oder dem Vorbild seines Onkels folgen und Berufsverbrecher werden? Wie die Geschichte ausgeht, ist bekannt.

Alan Taylor hat sich rehabilitiert. Auch ohne jemals eine Folge der Serie gesehen zu haben, funktioniert der Film. In zwei spannenden Stunden lernt der Zuschauer den Soprano-Clan in seinen mörderischen Anfängen kennen. Mit großem Aufwand und exzellenter Besetzung erzählt „The Many Saints of Newark“ eine epische Familiensaga, in der Erpressung und Gewalt Alltag sind. Sicher bleiben für Nicht-Kenner einige Verweise auf die Serie unverständlich, das macht aber nichts. „The Many Saints of Newark“ ist auch ohne Insiderwissen sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Many Saints of Newark“
USA 2021
120 min
Regie Alan Taylor
Kinostart 04. November 2021

alle Bilder © Warner Bros. Entertainment Inc.

ETERNALS

ETERNALS

Marvel wird erwachsen. Und was ist die Definition von erwachsen werden? In erster Linie weniger Spaß, mehr Schwere, mehr Ernsthaftigkeit. Die guten alten Zeiten, in denen ein arroganter Milliardär einen Metallanzug zusammenschweißt, um dann gegen einen anderen Mann in einem Metallanzug zu kämpfen, sind vorbei. Inzwischen ist das Marvel Cinematic Universe ungleich komplexer und verschachtelter geworden.

Indie Darling und Oscarpreisträgerin Chloé Zhao wurde als Regisseurin verpflichtet, doch alle Fans von „Nomadland“ dürften spätestens nach 10 Minuten schreiend das Kino verlassen. Schluss mit Arthouse im Dokustyle, hier kommt Blockbusterkino.
Kann ein Superheldenfilm gigantomanisch, episch und trotzdem langweilig sein? „Eternals“ gibt die Antwort. Die scientologyartige Story erzählt von gottgleichen Wesen, die sich seit 7.000 Jahren unerkannt auf der Erde herumtreiben. Ursprünglich sollten sie die Menschheit vor Deviants (CGI-Drachen ohne Haut) schützen. Nun droht neuer Ungemach, die Eternals müssen sich noch einmal zusammenfinden und gemeinsam kämpfen.

„Eternals“ sieht gut aus (viel Gold, viele echte Locations), ist sehr lang und leidet unter Übervölkerung. Das Drehbuch konfrontiert die Zuschauer mit zehn neuen Charakteren. Das sind ungefähr acht zu viel. Die Geschichte springt willkürlich durch die Jahrhunderte und manche der Figuren sind so uninteressant, dass sie den Film komplett ausbremsen. Auch der Humor will nicht recht zünden, ein Novum im MCU. Am Ende (nach einer naja-Mid- und einer hm-Endcreditszene) heißt es drohend: „Eternals will return“. Dann hoffentlich mit einer strafferen Story.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Eternals“
USA 2021
157 min
Regie Chloé Zhao
Kinostart 03. November 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

DIE GESCHICHTE MEINER FRAU

DIE GESCHICHTE MEINER FRAU

Schiffskapitän Jakob Störr (der Name ist Programm) trifft in einem vornehmen Lokal seinen Freund Kodor. Aus einer Laune heraus wetten die beiden Männer, Jakob solle die nächste Frau, die den Raum betritt, heiraten. Gesagt, getan. Lizzy, jung und hübsch, lässt sich überraschend auf den spontan vorgetragenen Antrag ein. Dass Jakob überhaupt heiraten will, hat nichts mit Liebe zu tun. Er folgt nur dem Rat seines Schiffskochs, eine Ehe würde gegen seine Magenschmerzen helfen. Keine gute Ausgangslage für eine erfolgreiche Beziehung.

Ildikó Enyedis 1920er-Jahre-Epos ist ein hervorragend fotografierter, erlesen ausgestatteter Augenschmaus. Doch es passiert so wenig in den knapp drei Stunden, dass die Szenen einer lieblosen Ehe in ihrer ständigen Wiederholung bald eine einschläfernde Wirkung entfalten.

Neben den ästhetischen Bildern ist Léa Seydoux der einzige Lichtblick in diesem langatmigen Cannes-Wettbewerbs-Beitrag. Die französische Schauspielerin macht das Beste aus ihrer Rolle. Doch gegen das Hauptproblem des Films kann auch sie nichts ausrichten: „Die Geschichte meiner Frau“ fixiert sich auf die falsche Figur. Kapitän Störr ist in seiner bleiernen Antriebslosigkeit der weitaus uninteressantere Charakter in diesem Drama. Die temperamentvolle Lizzy scheint das spannendere Leben zu führen, doch darüber erfährt der Zuschauer so gut wie nichts.

FAZIT

Kunstvoll gepflegte Arthouse-Langeweile.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „A feleségem története“
Ungarn / Deutschland / Frankreich / Italien 2021
169 min
Regie Ildikó Enyedi
Kinostart 04. November 2021

alle Bilder © Alamode Film