LICORICE PIZZA

LICORICE PIZZA

Kinostart 27. Januar 2022

Wäre Autokorrektur nicht so dumm, würde sie neben den Namen des US-Regisseurs Paul Thomas Anderson automatisch ein Herzemoji setzen. Aber weil Computer fast so wenig können wie Roboterfrau Gisela, muss man das eben immer noch händisch machen. Paul Thomas Anderson ❤️ hat im Laufe seiner noch gar nicht so langen Karriere schon einige Meisterwerke gedreht: „Boogie Nights“, „Magnolia“ oder „There will be Blood“. Sein neuer Film „Licorice Pizza“ wird von der US-Kritik bereits als bester Film des Jahres gefeiert. Zurecht.

Gary Valentine ist ein „Hustler“, also ein Typ, der mit ausgeprägtem Geschäftssinn und viel Arbeit schnell reich werden möchte, es dabei aber mit Gesetzen und Regeln nicht allzu genau nimmt. Das Besondere an Gary: Er ist erst 15 Jahre alt. Eines sonnigen Tages im San Fernando Valley verliebt er sich in die zehn Jahre ältere Alana und kann sie mit charmanten Worten – noch eine Begabung: Gary kann das Eckige rund quatschen – zu einem Date überreden. Aus den beiden wird zwar kein Paar, aber eine platonische Freundschaft entsteht – auch wenn Gary das gerne anders gehabt hätte.

Die Parallelen zu „Once Upon a Time…in Hollywood“ sind unübersehbar: Gleiche Ära – Anfang der 1970er-Jahre, gleicher Ort – Großraum Los Angeles, gleiches Milieu – Gary ist Jung-Schauspieler und Alana drängt es auch ins Filmgeschäft. „Licorice Pizza“ wirkt allerdings wie eine entspannte Coming-of-age-Version von Tarantinos Hollywood-Universum, ohne dessen Hang zu unerwarteten Gewaltausbrüchen.

Gelegenheitsjobs, Wasserbetten, Barbra Streisand und Trucks im Leerlauf – die 133 Minuten sind voller Überraschungen. Mit seinen genauen Beobachtungen erinnert Andersons ❤️ Film an einen der vielschichtigen Romane von Jonathan Franzen. Großartig auch die Besetzung: Sängerin Alana Haim spielt die bezaubernde Alana Kane und hat gleich ihre komplette (echte) Familie mitgebracht, um – genau – ihre Filmfamilie zu spielen. Cooper Hoffman, Sohn des verstorbenen Philip Seymour, hat nicht nur das Aussehen, sondern auch das Talent seines Vaters geerbt – zum Verlieben, wie er den jugendlichen G’schäftlemacher mit riesengroßem Charme spielt. Es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn die Lakritzpizza in diesem Jahr nicht ein paar Oscars abräumen würde.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Licorice Pizza“
USA 2021
133 min
Regie Paul Thomas Anderson ❤️

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

SCREAM

SCREAM

Kinostart 13. Januar 2022

Großes Spoilerverbot, denn das ist wirklich mal eine Spitzenidee für einen Horrorfilm: Ein Typ mit schwarzem Umhang und weißer Faschingsmaske verkleidet, ermordet scheinbar wahllos Teenager. Am Ende stellt sich heraus, es waren sogar zwei Killer, die noch dazu aus dem engsten Freundeskreis der Opfer stammen. Was? Die Idee gab es schon? In vier Teilen und einer Fernsehserie sagen Sie? Das kann nicht sein.

Der fünfte „Scream“ ist ein Requel, also ein Film, der irgendwo zwischen einer Fortsetzung, einem Neustart und einem Remake angesiedelt ist. Andere Beispiele für Requels sind „Ghostbusters: Legacy“, „Jurassic World“ oder „Mad Max: Fury Road“.

Noch genauer wird das von den Darstellern im Film erklärt, denn – wie kann es heutzutage anders sein – alles ist extrem meta und ironisch. Überraschend nur, dass die Schauspieler nicht unentwegt in die Kamera zwinkern: Wir sind Teil eines kultigen Franchises und uns dessen voll bewusst.

Wie zuletzt im gründlich misslungenen Matrix-Requel „Resurrections“ ist „Scream“ in erster Linie Fanservice. Und dazu gehört das Wiedersehen mit bekannten Gesichtern. Manchen steht das Alter besser, andere haben ein bisschen zu intensiv versucht, die Spuren der Zeit zu beseitigen. Um die Veteranen versammelt sich eine Schar austauschbarer TV-Serien-Gesichter. Das Lösen des Whodunit macht einigermaßen Spaß, große Spannung will dabei aber nicht aufkommen. Am Ende dieser x-ten Neuauflage einer komplett ausgekauten Idee fragt man sich: Wozu das Ganze?

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Scream“
USA 2021
115 min
Regie Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett

alle Bilder © Paramount Pictures Germany

SPENCER

SPENCER

Kinostart 13. Januar 2022

Blass, blass, blass sind alle meine Farben. Trüb, trüb, trüb ist alles, was ich hab. Das Leben von Diana, Princess of Wales, geborene Spencer, muss furchtbar gewesen sein, indeed. Im Dezember 1991 besteht ihre Ehe mit Charles nur noch auf dem Papier. Trotzdem verbringt sie die Weihnachtstage mit der gesamten royalen Familie auf Landgut Sandringham. Und wenn man dem bedrückenden Film von Pablo Larrain glauben darf, so befand sich Diana zu dieser Zeit am Rande des Wahnsinns.

Schnell entwickelt sich die „Fabel, die auf wahren Begebenheiten beruht“ – wie es im Vorspann heißt – zu echten Diebus Horribilis für die sensible Prinzessin. Das geht schon bei der Ankunft los: Zur Weihnachtstradition Ihrer Majestät gehört es, die Gäste nach Art der Mastgans vor und nach den Feiertagen zu wiegen. So soll sichergestellt werden, dass alle ausreichend gefuttert haben. Die Tage auf dem schlecht beheizten Landgut werden für Diana, umgeben von hinterhältigen Hofschranzen, einem untreuen Gemahl und der Ice-Queen Elisabeth (not amused), zu einer surrealen Neuauflage von „Shining“. Durch endlos lange Flure wird sie auf Schritt und Tritt von Zofen und Geistern verfolgt. Einmal landet sie sogar in einem Kühlraum – Jack Torrance gefällt das. Zwischendurch muss Diana alle fünf Minuten die Kleidung wechseln, auch das ist anstrengende Arbeit. Es sind im Laufe des Films (Achtung Spoiler!) sehr, sehr viele Kleider.

Kristen Stewart scheint für ihre Ausnahmeleistung der nächste Oscar so gut wie sicher. Weniger wohlwollend könnte man ihr Schauspiel auch als Fast-Karikatur bezeichnen. Mehr weidwunder Augenaufschlag und scheues Geflüster gehen nicht. Zum 25. Todestag der Prinzessin kommt mit „Spencer“ spröde, anspruchsvolle Kunst in die Kinos.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Spencer“
Deutschland / GB 2021
111 min
Regie Pablo Larrain

alle Bilder © DCM

THE 355

THE 355

Hollywood benimmt sich wie ein Hundewelpe, der schon wieder sein Geschäft auf dem Wohnzimmerteppich verrichtet hat. Da hilft nur, ihn kurz mit der Schnauze reinzustupsen, sonst lernt Lobi nie. Wie viele „All Female Reboots“ von erfolgreichen Filmen soll es noch geben, bevor Hollywood begreift: Das will niemand sehen. Fairerweise muss erwähnt werden, „The 355“ ist kein Reboot, sondern eine Zitatensammlung besserer Actionfilme. Die Autoren Theresa Rebeck und Simon Kinberg haben ihr Drehbuch nach dem copy/paste-Prinzip verfasst, ohne jemals die Qualität der zitierten Vorbilder zu erreichen. Vielmehr erinnert das Ganze an eine ungute Nacherzählung von Mission Impossible meets Jason Bourne meets Charlie’s Angels (minus Campfaktor).

Auf der Jagd nach einem klassischen MacGuffin (hier eine Festplatte, mit der man die Welt beherrschen kann) müssen sich eine CIA-Agentin (Jessica Chastain), eine britische Technikspezialistin (Lupita Nyong‘o) und eine deutsche BND-Agentin (Diane Kruger) zusammentun, um besagte Festplatte wiederzufinden und die Menschheit vor dem Untergang zu retten. An ihrer Seite kämpft die seltsam fehl am Platz wirkende Penélope Cruz als chilenische Psychologin mit perfekter Frisur und zu dicker Oberlippe.

Öde nicht nur die Geschichte, „The 355“ sieht trotz exotischer Locations auch noch erstaunlich schäbig aus. Das hätten die Macher vom Traumschiff auch nicht schlechter hinbekommen. Die Kampfszenen sind lahm, die Logikbrüche absurd und die Musik klingt wie ein vom Praktikanten komponierter Restposten. So rechte Lust scheint keiner gehabt zu haben.

Achtung Aluhut-Verschwörungstheorie: Werden Hollywoodstars gezwungen, in miserablen Filmen mitspielen, um Studiogelder zu waschen? Oder warum geben sich Oscarpreisträgerinnen für so einen Schmarren her? Der Name des Regisseurs hätte ihnen Warnung sein sollen: Simon Kinberg hat mit „Dark Phoenix“ schon den schlechtesten Teil der X-Men-Saga zu verantworten. 

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The 355″
China / USA 2022
124 min
Regie Simon Kinberg
Kinostart 06. Januar 2022

alle Bilder © Leonine

WANDA, MEIN WUNDER

WANDA, MEIN WUNDER

Kinostart 06. Januar 2022

Das ist ja auch eher selten, dass man eine Serie oder einen Film schaut und denkt: Wieso wurde da meine Familiengeschichte verfilmt und ich weiß nichts davon? Zuletzt vielleicht beim „Denver Clan“, aber das ist lange her…
In „Wanda, mein Wunder“ geht es um den wohlhabenden Schweizer Unternehmer Josef, der nach einem Schlaganfall ans Bett gefesselt ist. Mit seiner Frau Elena verbindet ihn nur eine Zweckgemeinschaft, von Liebe ist kaum noch was zu spüren. Sohn Gregi lebt mit unterm elterlichen Dach, die karrierebewusste Tochter Sophie schaut nur selten zu Hause vorbei.
Weil die Familie mit der Pflege und Versorgung des Vaters überfordert ist, wird eine polnische Hilfskraft engagiert – 3.000 Franken im Monat machen’s möglich. Die selbstbewusste Wanda erledigt ihren Job stoisch, aber durchaus liebevoll. Da auch bettlägrige 70-jährige Männer noch Bedürfnisse haben und Wanda das Geld gut gebrauchen kann, geht sie ein folgenschweres Arrangement mit Josef ein…

Die ganze schreckliche Familie mischt irgendwann mit und „Wanda, mein Wunder“ entwickelt sich zu einem handfesten Drama, kippt ins Groteske mit leichter Tendenz ins übertrieben Alberne und findet dann wieder gekonnt die Kurve zurück zu einer berührenden Familiengeschichte. So viel Gefühle fürs Geld!

Regisseurin Bettina Oberli inszeniert etwas unentschieden, besonders ihr Hang zum Volkstheater im Mittelteil schwächen den Film. Ansonsten ist ihr intimer Blick hinter die Fassade einer scheinbar intakten Familie mit viel Charme und Witz erzählt.
Neben der grandiosen Marthe Keller – immer noch eine schöne Frau, wenn auch ein bisschen zu straff um die Augen – spielt die herausragende Birgit Minichmayr die Tochter Sophie wunderbar zickig, gemein und trotzdem verletzlich.

FAZIT

Warmherziges Familiendramedy aus der Schweiz.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel “My Wonderful Wanda“
Schweiz 2020
111 min
Regie Bettina Oberli

alle Bilder © X-Verleih

THE KING’S MAN – THE BEGINNING

THE KING’S MAN – THE BEGINNING

Kinostart 06. Januar 2022

Reden wir nicht lange um den heißen Brei: „The King’s Man – The Beginning“ ist totaler Schrott. Allerdings extrem unterhaltsamer Schrott. Die Grundidee, ein „Worst of Bösewichter“  – u. a. Rasputin, Mata Hari und Lenin (sic!) – gegen eine Gruppe von britischen Geheimagenten antreten zu lassen, weckt ungute Erinnerungen an den 2003er Flop „The League of Extraordinary Gentlemen“ – ein Film so schlecht, dass Sean Connery danach seinen endgültigen Abschied von der Schauspielerei bekannt gab.

„Kingsman: The Secret Service“ konnte 2014 vor allem mit anarchischer Energie und trockenem Humor überzeugen. „The Golden Circle“, drei Jahre später, war dann die höchst alberne, mit miserablen Computereffekten überladene Fortsetzung. Goodbye Colin Firth & Taron Egerton, Hello Ralph Fiennes. Das Prequel „The Beginning“ springt ein paar Jahrzehnte zurück und erzählt von der Gründung der Kingsman-Agency, Anfang des 20. Jahrhunderts. Dabei werden ganz nebenbei die politischen Verstrickungen aufgedröselt, die Auslöser für den 1. Weltkrieg waren. Die Geschichtsstunde bewegt sich allerdings auf dem Niveau einer Teletubby-Folge – Vereinfachung ist Trumpf.

Matthew Vaughn, der ewige Zweite unter den britischen Action-Regisseuren, bleibt seinem artifiziellen Stil auch im dritten Teil der Agentensaga treu. Wie sein großes Vorbild Guy Ritchie, bemüht er sich zwar in ein paar Szenen um etwas mehr Erdung (die Grabenkämpfe im 1. Weltkrieg erinnern fast an „1917“), doch besonders die Actionsequenzen sind derart übertrieben inszeniert, dass sie oft wie aus einem leicht veralteten Computerspiel aussehen. Die Schauspieler (bzw. ihre digitalen Doppelgänger) schlagen, treten, schießen und fliegen durch die Luft, ohne sich dabei um irgendwelche Gesetze der Physik zu scheren.

Aber was soll’s. „The King’s Man“ ist schließlich eine Comicverfilmung und kann sogar mit ein paar starken emotionalen Momenten aufwarten. Etwas, was in dieserart filmischer Kirmesattraktion angenehm überrascht. Die ehrenwerten Versuche, den Charakteren Leben einzuhauchen und ihnen ein wenig Dreidimensionalität zu verleihen, werden zwar verlässlich von komplett durchgeknallten Drehbuchideen wieder zunichtegemacht, doch wenigstens kommt durch diesen Wundertütenmix keine Langeweile auf. Und gegen zwei Stunden Eskapismus hat im trüben Januar niemand etwas einzuwenden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The King’s Man – The Beginning“
USA / GB 2021
131 min
Regie Matthew Vaughn

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany