Kinostart 07. Juli 2022
Geh schleich di, der Rosenmüller Marcus hot an leiwanden Streifen g’macht, aber ned fürs Patschnkino sondern fürs Lichtspielhaus. Bitteschön, so österreichisch wie an Powidltascherl oder an Schlutzkrapfen (obwohl der Regisseur ein waschechter Bayer ist): Die Liebeserklärung an den 2016 verstorbenen Karikaturisten Manfred Deix spielt in einem kleinen Kaff in Niederösterreich, Ende der 60er-Jahre. Der Krieg ist noch nicht lange vorbei, der braune Sumpf der ewig Gestrigen trifft sich abends im Beisl und lässt sich in Erinnerung an die guten alten Zeiten volllaufen.
Im Dorf wird er nur „Rotzlöffel“ gerufen, der tschoperte Sohn vom Wirtshausbesitzer. Sein großes Talent als Zeichner (vorzugsweise erotische Bilder von großbusigen Madln) macht er mithilfe zweier Mitschüler zu Geld, denn Bedarf an Schmuddelbildchen gab’s schon immer. Als eines Tages das Sinti-Mädchen (damals: Zigeuner-Mädchen) Mariolina mit ihrer Mutter im Dorf auftaucht, machen die Gfrasten an riesen Bahöl und um den Bub ist’s g’schehn, er is verbrunzt.
Natürlich kann ein computergenerierter Zeichentrickfilm aus Österreich nicht mit Produktionen aus dem Hause Pixar bzw. Disney mithalten. „Willkommen in Siegheilkirchen“ (ob man für die Erwähnung des Titels vom Verfassungsschutz auf die Beobachtungsliste gesetzt wird?) sieht trotzdem ordentlich aus und hat nur den Bruchteil einer großen Hollywoodproduktion gekostet. Die typischen Deix-Charaktere scheinen direkt aus dessen Karikaturen auf die Leinwand gesprungen zu sein. Sakrisch gut gelungen ist vor allem die Darstellung des erzkatholischen Dorfs mit seiner spießigen Enge. Abblätternde, marode Fassaden, hier und da noch ein Hakenkreuz an der Hauswand – man kann den Muff der späten 60er schier riechen.
„Willkommen in Siegheilkirchen“ ist ein anarchistischer Zeichentrickfilm mit ein paar Pimmel-Kacka-Ekelwitzen, aber besser ois a Stan am Schädl ist’s ollemol. Die gut eingefangene Geschichte einer Jugend in Niederösterreich hat Charme und Witz. Tolle Charaktere und teils psychedelische Sequenzen machen den manchmal etwas derben Humor locker wieder wett. Des taugt ma.
Dictionary 🇦🇹 🇩🇪
leiwand – super, toll
Patschnkino – Fernsehen
Powidltascherl – mit Plaumenmus gefüllte Teigtaschen
Schlutzkrapfen – Nudelspezialität aus Tirol
Beisl – Wirtshaus
tschopert – unbeholfen, geistesabwesend
Gfrasten – gemeine Menschen, Nichtsnutze
Bahöl – Aufruhr
verbrunzt – rettungslos verliebt
Sakrisch – sehr
INFOS ZUM FILM
Originaltitel „Rotzbub“
Österreich / Deutschland 2021
85 min
Regie Marcus H. Rosenmüller und Santiago López Jover
alle Bilder © Pandora Film Verleih
Eine Meinung zu “WILLKOMMEN IN SIEGHEILKIRCHEN”
Gestern wurde dieser Film in den Tagesthemen vorgestellt – und da hat mir deine Nachlese besonders getaugt. Vor allem eine super Idee mit dem Dictionary. Da habe selbst ich noch was dazugelernt: Gfrasten, mein neues Lieblingswort.