ANATOMIE EINES FALLS

ANATOMIE EINES FALLS

Ab 02. November 2023 im Kino

Sandra Hüller Superstar. Deutschlands beste Schauspielerin überzeugt in Justine Triets Gerichtsdrama. Ist der Gewinner der Goldenen Palme von Cannes wirklich so gut?

Ja.

Spoiler gibts natürlich keine, ist schließlich ein Gerichtsdrama. Im Gegensatz zu US-Filmen und Serien mit ähnlichen Sujets geht es in ANATOMIE EINES FALLS nicht in erster Linie darum, ob die Angeklagte schuldig ist oder nicht. Regisseurin Justine Triet interessiert sich mehr für das Zwischenmenschliche, die Dynamiken in einer Familie.

Ein Highlight des Kinojahres

Schuld ist ein bestimmender Faktor in der Beziehung von Sandra (Sandra Hüller) und Samuel (Samuel Theis). Die Deutsche und der Franzose leben in einem Chalet in den Bergen. Sie ist erfolgreiche Schriftstellerin, er wäre es gerne, ist aber nach einem Unfall, bei dem sein Sohn das Augenlicht verliert, von Selbstvorwürfen zerfressen. Eines unschönen Tages liegt Samuel mit klaffender Kopfwunde tot im Schnee. Ist er gestürzt? War es Selbstmord? Hat Sandra ihn erschlagen und über das Geländer gestoßen? ANATOMIE EINES FALLS ist exakt das, was der Titel verspricht. Der Fall wird minutiös auseinandergenommen, all die Umstände, die Streits, die seelischen Verletzungen, die zuvor in der Familie geschehen sind, werden mit scharfem Skalpell seziert.

Ein bisschen Geduld sollte man mitbringen. Mit 150 Minuten Lauflänge und wenig bis keiner Action, dafür non-stop Dialogen in Französisch und Englisch ist das Drama keine leichte Kost. Davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. ANATOMIE EINES FALLS ist ein Highlight des Kinojahres und würde – so es noch Sterne bei Framerate gäbe – locker die Höchstbewertung bekommen. Sandra Hüller ist nie schlecht, egal ob sie in einer Komödie (TONI ERDMANN, SISI UND ICH) oder einem Drama (EXIL, IN DEN GÄNGEN) mitspielt. Aber sie war vielleicht noch nie so gut wie hier. Ihre Figur Sandra spielt sie mit einer nuancierten Mischung aus sympathisch, zornig und verletzt. Das ist jeden Filmpreis wert, der in diesem Jahr vergeben wird. Das gesamte Ensemble glänzt – herausragend auch Milo Machado Graner als sehbehinderter Sohn Daniel. Immer wieder erstaunlich, wie verrückt talentiert Kinderschauspieler sein können.

Am Ende – das sei verraten – bleiben wie bei allen guten Gerichtsdramen Fragen unbeantwortet. Für jeden vermeintlichen Beweis gibt es mindestens zwei einleuchtende Erklärungen. War sie es, oder war sie es nicht? Schuld ist auch subjektiv. Der Zuschauer muss selbst entscheiden. ANATOMIE EINES FALLS – unbedingt ansehen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Anatomie d’une chute“
Frankreich 2023
151 min
Regie Justine Triet

alle Bilder © PLAION PICTURES

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HALLOWEEN PARK

HALLOWEEN PARK

Ab 26. Oktober 2023 im Kino

Originelle Idee: Ein maskierter Killer jagt eine Gruppe Teenager.

Ein kleines bisschen unterscheidet sich HALLOWEEN PARK von den zehnmillionen anderen Slasherfilmen schon. Schließlich ist dies eine schwedische Produktion. Die Menschen sprechen also eine putzigere Sprache als Englisch. Außerdem haben sich ganz en vogue die Geschlechterkorsetts ein wenig gelockert: Einer der (heterosexuellen) Jungs trägt Perlenkette. Viel gruseliger als das wird’s allerdings nicht.

Der Freizeitpark wird zur tödlichen Falle

Alles anschnallen, dabei sein, die nächste Fahrt geht rückwärts.
Das opferreiche und blutige Gemetzel findet in einem geschlossenen Vergnügungspark (natürlich bei Nacht) statt. Zufälligerweise gewinnen fünf Teenager ein VIP-Ticket und zufälligerweise ist eine Ex-Mitschülerin ihr ausgewählter Tour-Guide. Noch viel zufälliger verbindet die sechs ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit. Zufälle gibt’s. Doch der Spaß findet ein jähes Ende, als den Jugendlichen klar wird, dass sie auf dem Gelände scheinbar doch nicht ganz alleine sind. Der Freizeitpark wird zur tödlichen Falle.

Neben der soliden, nicht besonders auffälligen Performance der Schauspieler und den üblichen Versatzstücken aus Jumpscares, Stromausfall und durchtrennten Telefonleitungen bietet HALLOWEEN PARK wenig Neues. Ein Slasherfilm nach bekanntem Muster für die Generation Z – Michael Myers und Co. hätten ihre Freude daran.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Karusell“
Schweden 2023
86 min
Regie Simon Sandquist

alle Bilder © Splendid Film

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DIE UNWAHRSCHEINLICHE PILGERREISE DES HAROLD FRY

DIE UNWAHRSCHEINLICHE PILGERREISE DES HAROLD FRY

Ab 26. Oktober 2023 im Kino

Ein alter Brite macht sich auf die Reise quer durchs Land, trifft dabei auf viele freundliche Menschen und findet sich am Ende selbst.

Wem das bekannt vorkommt, der hat vielleicht im vergangenen Jahr DER ENGLÄNDER, DER IN DEN BUS STIEG UND BIS ANS ENDE DER WELT FUHR gesehen. Gleiche Geschichte, gleiches Setting, fast gleicher Film. Nur eben per pedes und nicht im Bus.

Kluge Ratschläge, Gästezimmer und Blasenpflaster

Harold Fry (Jim Broadbent) erfährt eines Tages, dass seine alte Freundin Queenie im Sterben liegt. Er schreibt ihr einen Brief, verlässt sein Haus, geht zum Postamt und hört nicht auf zu gehen. Er läuft einfach weiter, bis zu dem 450 Meilen entfernten Hospiz. Den Pensionär auf Sinnessuche spielt der ausgezeichnete Jim Broadbent, seine Gattin Maureen ist mit der aus Downton Abbey bekannten Penelope Wilton besetzt. Die Besetzung ist fabelhaft (Nick Caves Sohn Earl spielt den gepeinigten Sohn des Ehepaars) und im Gegensatz zum busfahrenden Engländer sieht DIE UNWAHRSCHEINLICHE PILGERREISE DES HAROLD FRY auch noch richtig gut aus. Kamerafrau Kate McCullough arbeitet viel mit Unschärfen und hübschem Morgenlicht.

Allerdings nervt das Gutmenschentum – auf seiner Reise durch England begegnet Harold ausschließlich warmherzigen Mitmenschen, die ihm mit klugen Ratschlägen, Gästezimmern und Blasenpflastern zur Seite stehen. Sei’s drum, Sinn und Zweck solcher Filme ist es ja, dass man mit einem positiven Gefühl aus dem Kino geht. Nur am Ende wird’s richtig peinlich: Da fällt ein göttliches Licht auf all diejenigen, die Harold zuvor auf seiner Reise getroffen, beziehungsweise „erleuchtet“ hat. Die plumpe Spiritualität ist unnötig und hinterlässt einen schalen Geschmack.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Unlikely Pilgrimage of Harold Fry“
GB 2023
108 min
Regie Hettie Macdonald

alle Bilder © Constantin Film

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EIN FEST FÜRS LEBEN

EIN FEST FÜRS LEBEN

Ab 19. Oktober 2023 im Kino

Was alles am schönsten Tag des Lebens schiefgehen kann, muss Christoph Maria Herbst als Hochzeitsplaner in der überraschend frischen Komödie von Richard Huber erfahren.

Mit feinem bis ätzendem Humor erzählt EIN FEST FÜRS LEBEN von einer Hochzeitsfeier, bei der alles gründlich schief geht und trotzdem happy endet. Unter der Leitung von Christoph Maria Herbst als Dieter, der für die Rolle des gestressten und desillusionierten „Wedding Planners“ perfekt besetzt ist, rückt der Film nicht das Brautpaar oder die Hochzeitsgäste in den Mittelpunkt, sondern das Personal, das im Hintergrund die ganze Chose am Laufen hält. Oder auch nicht. Denn Dieter plant seine Firma zu verkaufen, ein Interessent will sich unerkannt unter die Gäste mischen. Versteht sich von selbst, dass an diesem besonderen Tag, an dem alles wie am Schnürchen laufen muss, die Lebensmittel verdorben sind, der gebuchte Sänger ausfällt und auch sonst jede menschenmögliche Katastrophe passiert.

Überraschend, wie intelligent und komisch das für eine deutsche Komödie ist

Dass es dabei hier und da auch mal klamaukig wird – sei’s drum. Das Drehbuch ist eine sympathische Mischung aus realistisch und übertrieben, vermeidet zum Glück die allzu platten Pointen. EIN FEST FÜRS LEBEN besticht mit viel Sinn für Situationskomik und einer hochkarätigen Besetzung. Neben Christoph Maria Herbst sind Jörg Schüttauf als fauler Hochzeitsfotograf und Marc Hosemann als egozentrischer Sänger und Bandleader die bekanntesten Darsteller.

Ein Sarkast würde sagen: Überraschend, wie intelligent und komisch das für eine deutsche Komödie ist. Kein Wunder, sie haben es schon wieder getan: Auch EIN FEST FÜRS LEBEN ist ein Eins-zu-eins-Remake. Die Ensemblekomödie der „Ziemlich beste Freunde“-Macher um die kleinen und großen Dramen, die sich hinter den Kulissen einer Hochzeitsfeier abspielen, kam 2017 unter dem Titel „Le sens de la fête“ in die französischen Kinos.

Regisseur Richard Huber ist natürlich ein alter Hase und weiß genau, wie man so eine locker-leichte Komödie auf den deutschen Markt zuschneidet. Am besten, man ändert wenig und übernimmt möglichst viel vom Original. Mit dem gleichen Rezept, bereits Erprobtes für den hiesigen Markt zu adaptieren, wurden schon 2021 die ebenfalls mit Christoph Maria Hebst besetzte Dramödie CONTRA und drei Jahre zuvor DAS PERFEKTE GEHEIMNIS große Erfolge. Und bei EIN FEST FÜRS LEBEN gibt es sogar eine echte Verbindung zur französischen Vorlage: Regisseur Huber ist trotz des bayrisch klingenden Namens gebürtiger Pariser.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
105 min
Regie Richard Huber

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

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KILLERS OF THE FLOWER MOON

KILLERS OF THE FLOWER MOON

Ab 19. Oktober 2023 im Kino

Es ist offensichtlich, was den 80-jährigen Regisseur Martin Scorsese an dem Stoff gereizt hat: Ein Western in Cinemascope, eine Crimestory, eine intime Liebesgeschichte und ein großer Geschichtsfilm - KILLERS OF THE FLOWER MOON ist ein episches Drama voller Verrat und Abgründe.

Oklahoma, Anfang des 20. Jahrhunderts: Über Nacht werden die amerikanischen Ureinwohner des Osage-Stamms steinreich. Dank sprudelnder Ölquellen verfügen sie eine Zeit lang über das höchste Pro-Kopf-Vermögen der Welt. Wie so oft in der amerikanischen Geschichte zieht der Wohlstand weiße Eindringlinge an. Diebstahl, Erpressung und Mord sind unter der Führung des ebenso charmanten wie gerissenen William „King“ Hale (Robert De Niro) bald an der Tagesordnung. Verpackt in die ungewöhnliche Romanze zwischen Hales Neffen Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) und der Indigenen Mollie Kyle (Lily Gladstone) erzählt der Film die wahre und schreiend ungerechte Geschichte der „Osage-Morde“.

Ein spätes Meisterwerk

Das Dreamteam funktioniert auch bei seiner zehnten Zusammenarbeit immer noch hervorragend. Scorsese und sein Lieblingsschauspieler Robert De Niro kitzeln gegenseitig das Beste aus sich heraus. Als manipulativer Strippenzieher und Auftraggeber einer ganzen Serie von Morden ist De Niro das dunkle Zentrum des Films. Ganz hervorragend auch Lily Gladstone, die mit ihrer zurückgenommenen Art einen sanften Ruhepol in der blutigen Männerwelt bildet. Leonardo DiCaprio (Scorseses zweitliebster Schauspieler – dies ist ihre sechste Kollaboration) macht selbstredend auch als leicht unterbelichteter Handlanger eine gute Figur. Weshalb er diese Rolle allerdings mit einer Mischung aus Robert-de-Niro-Persiflage (permanent nach unten gezogener Mund plus in Falten gelegte Stirn) und Marlon Brandos DER PATE inklusive ausgestopfter Backentaschen spielt, bleibt sein Geheimnis.

Wie Scorsese seine Darsteller führt (in Nebenrollen sind unter anderem Jesse Plemons und der frisch oscargekrönte Brendan Fraser zu sehen), elegant Rückblenden in die verschachtelte Handlung einbaut, Dinge weglässt und manches erst im Nachgang aufschlüsselt, das ist bravourös. Ein 80-jähriger Künstler, immer noch auf der Höhe seines Schaffens. KILLERS OF THE FLOWER MOON ist trotz seiner unfassbaren 206 Minuten Laufzeit keinen Moment zu lang. Ein spätes Meisterwerk, das zudem ein grandioses und überraschend amüsantes Ende bereit hält. Allein wegen der letzten 10 Minuten lohnt es sich.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Killers of the Flower Moon“
USA 2023
206 min
Regie Martin Scorsese

alle Bilder © Paramount Pictures Germany

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HEAVEN CAN WAIT

HEAVEN CAN WAIT

Ab 12. Oktober 2023 im Kino

Was ist besser als Sterben? Singen zum Beispiel. Eine Gruppe Hamburger Senioren findet ihr spätes Glück in einem Chor.

Ein lauer Sommerabend in Heidelberg. Beim Spaziergang durch den Plöck ist ganz leise, dann immer lauter ein überirdisch klingender Gesang zu hören. „Shallow“, der Hit aus A STAR IS BORN, nicht von Lady Gaga und Bradley Cooper, sondern von einem gemischten Chor gesungen. Ein Moment des Glücks. Sofort will man googeln, ob sich eventuell auch ein Verein in Berlin findet, bei dem man Mitglied werden könnte. Wie so oft – der Moment verfliegt aber vielleicht irgendwann einmal …

Still alive - 2.000 Jahre live on stage

Dass Singen glücklich macht, ist keine neue Erkenntnis. Sogar im hohen Alter sorgt es noch für einen Endorphin-Ausstoß. Bei Europas ältestem Castingchor ist das Mindestalter 70. Nach oben gibt es keine Grenze. Manche der Sängerinnen und Sänger haben schon die 90 hinter sich gelassen. Ein ganz besonderer Chor der Alten, der unter der gut gelaunten Führung von Jan-Christof Scheibe sogar Auftritte im traditionsreichen St. Pauli-Theater absolviert. 

Auf perfekten Gesang kommt es ihm dabei nicht an, vielmehr auf echtes Gefühl. Schöne Töne kann mit Übung jeder treffen, doch es geht dem Chorleiter um mehr – trotz dritter Zähne sollen die jugendlichen Texte glaubhaft transportiert werden. Das Repertoire ist das eines Schülerchors: Songs von Juli, Sido, Jan Delay, Fettes Brot, Deichkind und Udo Lindenberg stehen auf dem Programm.

Sven Halfar stellt in seinem lebensbejahenden und überaus reizenden Film einige der Chorsängerinnen und Sänger vor – privat und auf der Bühne. Seit 10 Jahren gibt es den Gesangsverein. Zur Zeit sind die Hamburger Senioren mit der treffend bezeichneten Show „Still alive – 2.000 Jahre live on stage“ auf Tour. Sollte jemand planen, aus der Geschichte einen Spielfilm zu machen: Gute Idee – nicht nur als ABM für greise Darsteller. Dank geriatrischer Niedlichkeit und Herzenswärme wäre der Erfolg garantiert. Und wegen verblüffender Ähnlichkeit steht eine Rollenbesetzung auch schon fest: Christian Berkel als Chorleiter.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
103 min
Regie Sven Halfar

alle Bilder © mindjazz pictures

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ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT

ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT

Ab 12. Oktober 2023 im Kino

Anselm Kiefer-Freunde aufgepasst: Wim Wenders Dokumentarfilm über den Jahrhundertkünstler ist ein Muss für Fans.

Im südfranzösischen Städtchen Barjac, eine gute Autostunde von Avignon entfernt, hat der Bildhauer und Maler Anselm Kiefer auf einer 40 Hektar großen Fläche eine Kunstwelt erschaffen, die es so nirgend woanders gibt. Seine riesigen, raumsprengenden Skulpturen und Bilder finden sich dort in eigens errichteten Hallen oder einfach mitten in die Natur gestellt. Kiefers begehbare Installationen haben oft etwas Kulissenhaftes und könnten ebenso Bühnenbilder einer düsteren Theater- oder Filminszenierung sein. Wim Wenders hat dieses atemberaubende Gesamtkunstwerk mit seinem in 3D gedrehten Film ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT zum Greifen nah eingefangen. 

Geniale Übersetzung der Werke Kiefers auf die Leinwand

Beide sind 1945 geboren, beide verbindet seit über 30 Jahren eine enge Freundschaft. Wenders schafft mit großen Bildern (Kamera Frank Lustig) und einem Soundtrack aus klassischer Musik, Gedichten und Flüsterstimmen eine geniale Übersetzung Kiefers ins Filmische. Die Collage aus nachgestellten Kindheitsszenen, alten Fernsehbeiträgen und einer schwebend losgelösten Kamera ist weit mehr als eine oberflächliche Wiedergabe, sie dringt tief in die Gedankenwelt des Künstlers ein.

Neben den fantastischen Aufnahmen der gleichermaßen bedrückenden wie schönen Kunstwerke zeigt ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT auch den Schaffensprozess – oder einfacher gesagt: Kiefer bei der Arbeit. Der nutzt ganz pragmatisch entweder ein Fahrrad oder einen Gabelstapler, um in seinen riesigen Atelierhallen von einem Werk zum anderen zu gelangen. Mit Flammenwerfer (plus löschbereitem Assistenten mit Wasserschlauch daneben) und übergroßen Pinseln bearbeitet der Meister seine teils haushohen Bilder. Ein Berserker, der genau weiß, was er da tut. Am Ende des Films hätte man große Lust, in den nächsten Flieger zu steigen und sich leibhaftig in die faszinierende, morbide Welt des Anselm Kiefers zu begeben. Grandios.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
93 min
Regie Wim Wenders

alle Bilder © DCM

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DOGMAN

DOGMAN

Ab 12. Oktober 2023 im Kino

Miau! Das groß angekündigte Comeback von Starregisseur Luc Besson ist nur eine JOKER-Kopie auf vier Pfoten.

Douglas Munrow (Caleb Landry Jones) wird in Marilyn-Monroe-Kostümierung von der Polizei aufgegriffen. Im Kofferraum seines Lieferwagens finden die Cops ein Rudel Hunde. So weit, so merkwürdig. Im Gespräch mit der Psychologin Evelyn breitet der seltsame Hundeliebhaber anschließend seine Lebensgeschichte aus. Und die hat es in sich. Vom sadistischen Vater (Clemens Schick) und grenzdebilen Bruder wird er als kleiner Junge für Monate in einen Hundezwinger gesperrt. Zusammen mit einem Rudel felliger Vierbeiner wird so aus Doug erst Dogboy, dann Dogman.

Dafür gibts ein Leckerli

Dogman Doug und seine Hundetruppe könnten glatt im Zirkus auftreten. Die Pumen und Dobermänner beherrschen die tollsten Kunststücke, gehorchen jedem Befehl aufs Wort und können sogar ganz alleine in Häuser einbrechen und die Reichen bestehlen. Bravo! Dafür gibts ein Leckerli. Die Diebesbande auf vier Pfoten klaut in Herrchens Auftrag Perlen und Geschmeide, denn der verdient sich seinen Lebensunterhalt mittlerweile als Dragqueen. Im Marlene-Dietrich und Édith-Piaf-Look steht er schmuckbehangen auf der Bühne und trällert zum Playback.

Klingt absurd? Ist es auch. Luc Besson war schon immer ein Regisseur ohne kreative Grenzen. Das kann gut gehen – wie zu seiner künstlerischen Hochzeit mit LÉON – DER PROFI oder DAS FÜNFTE ELEMENT – kann aber auch gründlich schiefgehen wie bei LUCY oder VALERIAN. DOGMAN orientiert sich schamlos an Todd Philips Oscargewinner JOKER, die Figuren und die Handlung sind allerdings um einiges gröber geschnitzt, der Stil so sehr in your face, man könnte meinen, der Film basiert auf einem Groschenroman. Zwischentöne gibt es kaum – die Bösen sind grundböse am Rande der Karikatur, Hunde hingegen sind die besseren Menschen – gütig und schlau wie Einstein. Was natürlich auch der Wahrheit entspricht. Ist gut, Alfi. Ja Suse, jaha.

Ist Luc Besson ein guter Regisseur? Mal so, mal so. Technisch ist das alles gekonnt, aber DOGMAN ist kein wirklich gelungener Film und schon gar nicht das voreilig versprochene Comeback. Wenigstens kann man Besson nicht vorwerfen, zu langweilen. Unterhaltsam ist der JOKER auf vier Pfoten trotz allem.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Dogman“
Frankreich / USA 2023
113 min
Regie Luc Besson

alle Bilder © capelight pictures

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