Berlinale 2025 - Tag 4

BERLINALE 2025 – TAG 4

Das ist jetzt nicht despektierlich gemeint, aber bei wem sollen diese Inhaltsangaben Vorfreude auf einen Film wecken? „In Žilniks hinterlistig charmanter Doku-Fiktion gibt die postsozialistische Restitution dem serbischen Jazzmusiker Stevan sein Elternhaus zurück.“ oder „Daye, ein 14-jähriger nubischer Albino mit goldener Stimme, ist es gewohnt, sich behaupten zu müssen.“ oder aber auch „Aufbruch einer jungen Indigenen vom Dorf in die Stadt. Cinema Novo, Hybrid-Fiktion, Roadtrip, Öko-Avantgardeblick.“

Wettbewerb

IF I HAD LEGS I'D KICK YOU

IF I HAD LEGS I’D KICK YOU

Linda ist verzweifelt: In ihrer Wohnung stürzt die Decke ein, ihre Tochter ist krank, und eine ihrer Patientinnen wird vermisst. Doch ist all das real – oder entspinnt es sich nur im Kopf einer psychisch Kranken? Eine Frau, weit über den Rand des Nervenzusammenbruchs hinaus.

Warum nicht mal was Fröhliches im Wettbewerb? Nein? Na gut, dann eben IF I HAD LEGS I’D KICK YOU. Klar, hilft es, dass die immer fabelhafte Rose Byrne die Hauptrolle spielt. Die Kamera klebt förmlich an ihrem Gesicht, schauspielerisch ist das erwartungsgemäß top. Überhaupt die Besetzung: Christian Slater – und sehr schön als dauergenervter Psychotherapeut US-Talkshow-Host Conan O’Brien. IF… hat sogar komische Momente, bleibt aber ein Höllentrip, der seinem Publikum viel zumutet. Linda verliert die Kontrolle – über ihr Leben, über alles. Und ihr Gemütszustand überträgt sich unweigerlich auf die Zuschauer. Nach gut zwei Stunden fühlt man sich, als hätte man eine Wurzelbehandlung hinter sich.

INFOS ZUM FILM

USA 2024
113 min
Regie Mary Bronstein
Bild © Logan White / A24

Wettbewerb

La Tour de Glace

LA TOUR DE GLACE

The Ice Tower

Das Revival der 70er-Jahre Märchenfilme im neuen Gewand geht weiter. Nach „The Ugly Stepsister“ nun LA TOUR DE GLACE im Wettbewerb. Die 16-jährige Jeanne flieht aus einem Heim in den Bergen. Im Tal landet sie ausgerechnet in einem Filmstudio, das sie nachts ungestört durchstreift. Am Tag entsteht dort ein Film über die Schneekönigin mit der rätselhaften Cristina in der Hauptrolle, einer Schauspielerin von außergewöhnlicher Anziehungskraft und tragischer Aura. Zwischen Jeanne und Cristina entwickelt sich eine unerwartete Verbindung.

Frauen, die sich anstarren und dazu gestelzte Dialoge flüstern – das kann nicht einmal Marion Cotillard retten. Trotz schöner Bilder und großartiger Schauspielerinnen: Wenn die Emotionen zu Eis erstarren und zwei Stunden lang nichts passiert, ist das schlichtweg sterbenslangweilig.

INFOS ZUM FILM

Frankreich / Deutschland 2025
118 min
Regie Lucile Hadžihalilović
Bild © 3B-Davis-Sutor Kolonko-Arte

Wettbewerb

REFLET DANS UN DIAMANT MORT

REFLET DANS UN DIAMANT MORT

Reflection in a Dead Diamond

Anzug, Hut, Sonne, Meer: Der 70-jährige John führt ein ruhiges Leben in einem Grandhotel an der Côte d’Azur – bis ihn die geheimnisvolle Frau im Nebenzimmer aus seinem gemütlichen Rentnerdasein reißt. Sie erinnert ihn an die wilden 60er, als er als Spion zwischen Femme fatales und finsteren Schurken die Welt unsicher machte. Zunehmend verschwimmen bei John die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

In den 60er- und 70er-Jahren entstanden zahllose billig produzierte Filme, die von der erfolgreichen James Bond-Reihe profitieren wollten. Diese trashigen Agentenstreifen stammten meist aus Italien oder Frankreich. REFLET DANS UN DIAMANT MORT ist eine Hommage an dieses Genre – schade nur, dass es kaum eine nachvollziehbare Handlung gibt. Die knalligen Technicolor-Farben, die amüsanten Gadgets – Q hätte seine Freude daran – und die Anspielungen auf Maurice Binders legendäre Bond-Titelsequenzen sorgen eine halbe Stunde lang für unterhaltsame Nostalgie. Doch die künstlerisch gemeinte Collage aus Filmzitaten wird auf Dauer anstrengend und hätte wohl besser als Kurzfilm funktioniert. Nicht unbedingt Wettbewerbs-Material. Oder wie es eine junge Frau in der Reihe hinter mir heute morgen ausdrückte: „Ich hab den Film so gar nicht gefühlt.“

INFOS ZUM FILM

Belgien / Luxemburg / Italien / Frankreich 2025
87 min
Regie Hélène Cattet, Bruno Forzani
Bild © Cattet-Forzani

Berlinale Special Gala

Islands

ISLANDS

Jan-Ole Gerster, den man vor allem als Regisseur von „Oh Boy“ kennt, hat mit ISLANDS seinen ersten englischsprachigen Film gedreht – und zwar einen ziemlich guten.

Tom (sehr überzeugend: Sam Riley) arbeitet als Tennistrainer in einem leicht heruntergekommenen Hotel auf Fuerteventura. Sein Alltag besteht aus Unterricht, Alkohol und kurzen Affären. Die Ankunft einer wohlhabenden Familie bringt unerwartete Abwechslung. Besonders die Frau, Anne, fasziniert ihn, und Tom ist sich sicher, ihr schon einmal begegnet zu sein. Als deren Ehemann nach einem Streit verschwindet, verhält sich Anne ausgesprochen seltsam.

Der Berlinale Special-Beitrag ist ein Slowburner, der mehr auf bedrohliche Stimmung als auf Action setzt. Musik, Tempo, Inszenierung erinnern an ein Werk von François Ozon. Ein Kompliment! Am Ende verbirgt sich in Gersters Psychothriller eine unerwartet positive Botschaft: Hoffnung besteht immer.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2025
123 min
Regie Jan-Ole Gerster
Bild © Juan Sarmiento G. / 2025 augenschein Filmproduktion, LEONINE Studios

Berlinale Special Gala

KÖLN 75

KÖLN 75

Es ist das meistverkaufte Soloalbum eines Jazzmusikers: The Köln Concert von Keith Jarrett. Nun ein Film zum legendären Konzert? Großes NEIN! Stattdessen dreht sich alles um die turbulente Vorgeschichte und die schier endlosen Herausforderungen, die die 18-jährige Veranstalterin Vera Brandes (Mala Emde) bewältigen muss. KÖLN 75 schwankt zwischen zwei unterschiedlichen Tonlagen: Konventionell gemachte Unterhaltungsware und cleveres Lehrstück über einen Ausnahmemusiker. Trotz der stilistischen Unentschlossenheit: sehenswert. Die ausführliche Kritik gibt’s rechtzeitig zum Kinostart am 13. März.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Belgien / Polen 2024
116 min
Regie Ido Fluk
Bild © Wolfgang Ennenbach / One Two Films

Panorama Dokumente

ICH WILL ALLES. HILDEGARD KNEF

ICH WILL ALLES. HILDEGARD KNEF

Hildegard Knef – ein Weltstar aus Deutschland. Als Schauspielerin ist sie ebenso erfolgreich wie als Sängerin und Buchautorin. Bis zu ihrem Tod 2002 bleibt sie künstlerisch aktiv. Doch durchlitt sie im Laufe ihrer Karriere auch lange Durststrecken. Luzia Schmid verwendet überwiegend alte Interviewaufnahmen mit der Knef. Besonders hübsch, wie die allzu herablassenden (ausschließlich männlichen) Fragestellern Kontra gibt und mit Scharfsinn antwortet. Die konventionelle Machart und das Fehlen jeglicher visueller oder künstlerischer Ideen machen ICH WILL ALLES zu einem typischen Spätabend-Fernseh-Kulturstück. Ach Hildchen, Du hättest einen spannenderen Film über dein Leben verdient.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2025
98 min
Regie Luzia Schmid
Bild © Privatarchiv Hildegard Knef

Generation 14plus

SANDBAG DAMS

ZEČJI NASIP

Sandbag Dam

Im Interview mit Landwirt Michael Stücke zum Thema „Schwule Schafe“ fragt der Tagesspiegel: „Laut Studien sind in etwa acht Prozent der männlichen Schafe schwul. Was geschieht üblicherweise mit den Tieren?“ Die furchtbare Antwort: „Im Normalfall ist es so, dass man sie aussortiert… man kann sie ja nicht gebrauchen. Sie werden geschlachtet.“

Ganz so schlimm kommt es für die beiden verliebten Jungmänner Markos und Slaven im Generation 14plus-Beitrag „Zečji nasip“ (Sandbag Dam) nicht, aber die Dorfgemeinschaft in the middle of nowhere verurteilt die schwule Beziehungen natürlich aufs Schärfste. Purer Hass schlägt den beiden ungefiltert entgegen, Prügel und Bruch mit der Familie inklusive. Gay-Love auf dem Land? Das erinnert schwer an „God’s own Country“ auf Kroatisch. Der gefühlt hundertste Beitrag zum Thema ist ein typischer ZDF-Film: Zäh-Deprimierend-Fad und voller Klischees.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Zečji nasip“
Kroatien / Litauen / Slowenien 2025
88 min
Regie Čejen Černić Čanak
Bild © Kinorama

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