BE NATURAL – SEI DU SELBST

BE NATURAL – SEI DU SELBST

„Sei Du selbst!“, ist die wichtigste Regieanweisung, die Alice Guy-Blaché ihren Schauspielern gibt.
Alice Guy-Blaché?
Mit dem Nichtkennen der französischen Filmpionierin befindet man sich in bester Gesellschaft. Selbst ausgebuffte Cineasten kommen bei ihrem Namen ins Grübeln. Im Gegensatz zu den Gebrüdern Lumière oder Thomas Alva Edison ist Alice Guy-Blaché heute aus dem kollektiven Kino-Gedächtnis verschwunden. Erstaunlich, denn seit 1896 hat sie als Regisseurin, Produzentin, Studio-Besitzerin und Drehbuchautorin über 1.000 Filme gedreht.

Für „Be Natural – Sei Du selbst“ hat die Filmemacherin Pamela B. Green mehr als acht Jahre recherchiert. Sie befragt in ihrer akribischen Dokumentation viele bekannte Persönlichkeiten des Filmbusiness, darunter Ben Kingsley, Geena Davis und Julie Delpy. Neben den Interviews gibt es jede Menge Ausschnitte aus den verschollen geglaubten Werken Guy-Blachés zu sehen. Wie eine Kriminalistin spürt Green dabei die wahre Geschichte einer vergessenen Frau auf, ohne die sich das Kino vielleicht nie von der bestaunten Jahrmarktsattraktion zu seiner heutigen Kunstform weiterentwickelt hätte.

Ihren Background als Musikvideo- und Werberegisseurin merkt man Green an. Teilweise ist „Be Natural“ ein bisschen zu hektisch geschnitten – manche O-Töne sind nur 3 Worte lang – und auch die restaurierten Originalszenen würde man gerne ein bisschen länger bestaunen. Dafür entschädigen die liebevoll animierten Trick-Sequenzen, die das Paris und Hollywood des frühen 20. Jahrhunderts wieder aufleben lassen. Jodie Foster spricht im Original die Offstimme, in Deutschland startet der Film OmU und synchronisiert in den Kinos.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Be Natural: The Untold Story of Alice Guy-Blaché“
USA 2018
103 min
Regie Pamela B. Green
Kinostart 05. August 2021

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JUNGLE CRUISE

JUNGLE CRUISE

Die Forscherin Lily (Emily Blunt) begibt sich auf die Suche nach dem sagenumwobenen Baum des Lebens im Amazonas. Unterstützt wird sie dabei von dem furchtlosen Kapitän eines klapprigen Schiffs, Frank (Dwayne Johnson) und ihrem schwulen Bruder (so 2021, Disney). Auf der halsbrecherischen Flussfahrt müssen sich die drei unzähligen Gefahren, verfluchten Geistern  und bösen Deutschen stellen.
Indiana Jones, Romancing the Stone, Pirates of the Carribean, The Mummy – Regisseur Jaume Collet-Serra zitiert hemmungslos das Best of Abenteuerfilm. Innovativ ist das nicht – aber wer will schon Neues erwarten, “Jungle Cruise” basiert schließlich auf einer 1955 erfundenen Disney-Park-Attraktion.

Der Film sieht unglaublich künstlich aus, ein Großteil der Dreharbeiten fand offensichtlich in einem Greenscreen-Studio statt. Flora und Fauna stammen komplett aus dem Computer. Die Künstlichkeit ist wahrscheinlich gewollt, der Original-Ride führt ja auch durch eine bunte Plastikwelt.

Ist das nun hohler Eskapismus oder großer Abenteuerspaß?
Vielleicht beides. Tempo, Humor und Chemie stimmen jedenfalls. Mit 128 Minuten ist „Jungle Cruise“ zwar etwas lang geraten, macht aber bei ausgeschaltetem Hirn einigermaßen Spaß.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Jungle Cruise“
USA 2021
128 min
Regie Jaume Collet-Serra
Kinostart 29. Juli 2021 mit VIP-Zugang ab 30. Juli auf Disney+

alle Bilder © Walt Disney Studios

GENERATION BEZIEHUNGSUNFÄHIG

GENERATION BEZIEHUNGSUNFÄHIG

Beziehungen und Romantik sind Tim (Frederick Lau) ein Gräuel. Nach One-Night-Stands meldet er sich grundsätzlich nicht zurück, auf Tinder wartet schon die nächste Frau. Als er sein weibliches Pendant Ghost (Luise Heyer) kennenlernt und sich unversehens in sie verliebt, muss er von seiner eigenen bitteren Medizin kosten: Nach ein paar intensiven Dates wird er von seiner Angebeteten geghostet.

„Generation Bziehungsunfähig“ ist eine weitgehend unlustige Komödie mit einem nervigen Frederick Lau und einer charmanten Luise Heyer. Michael Nasts Sachbuch-Bestseller, 2016 erschienen, liefert die Vorlage. In der Verfilmung dient die verstolperte Liebesgeschichte als lockere Rahmenhandlung für eine Reihe eher zusammenhangloser Begebenheiten aus dem Leben eines Beziehungskrüppels.

„Die Känguru-Chroniken“ waren letztes Jahr so erfolgreich, dass gerade eine Fortsetzung gedreht wird. Folglich gibt es eine Menge Zuschauer, die auch Helena Hufnagels Film zum Brüllen komisch finden werden. Humor ist eben Geschmacksache, wusste schon Til Schweiger.
Apropos: Besonders störend an „Generation Beziehungsunfähig“ ist wieder mal die Unart, jede Szene mit einem Popsong zu unterlegen. Hier scheint die Auswahl von einem pensionierten rbb-Redakteur getroffen worden zu sein. Als Tim und sein Opa einen Joint rauchen ist die musikalische Begleitung dazu – richtig: Don’t Bogart That Joint – so originell kann nur deutsche Comedy sein.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
80 min
Regie Helena Hufnagel
Kinostart 29. Juli 2021

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

OLD

OLD

Spoiler-Tourette:
„The Sixth Sense“ – Bruce Willis war die ganze Zeit tot!
„Unbreakable“ – Mr. Glass ist der Bösewicht!
„The Village“ – Die Handlung spielt in der Gegenwart!

In der Tradition, den großen Twist am Ende eines M. Night Shyamalan-Films nicht zu verraten, besteht der Verleih auf einem Spoiler-Verbot. Also gut: Stillschweigen. Wenigstens das sei verraten: Shyamalan hat im Laufe seiner Karriere ein paar gute, viele schlechte und einige miserable Filme gemacht. „Old“ gehört zweifelsohne zur letzteren Kategorie.

Ein Ehepaar (Gael García Bernal, Vicky Krieps) will sich mit seinen beiden Kindern, 6 und 11 Jahre alt, an einem paradiesischen Strand erholen. Doch der feuchte Südsee-Bacardi-Werbetraum birgt ein dunkles Geheimnis: Einmal dort angelangt, kann man den Strand nicht mehr verlassen und – noch schlimmer – wird dort trotz SPF 50 rasend schnell alt. Der Albtraum aller Eltern: Gerade hat die Sechsjährige noch Sandburgen gebaut, schon eine Stunde später ist sie ein schwangerer Teenager. Die Uhr tickt, denn am Ende eines Tages ist ein Menschenleben rum und es wartet Gevatter Tod.

Und jetzt alle erschrocken schauen! „Old“ offenbart die beiden großen Schwächen Shyamalans: Selbst aus halbwegs guten Darstellern kann er unbegabtes Laienspiel herauskitzeln (zur Erinnerung: Mark Wahlberg in „The Happening“) und seine Dialoge sind oft derart unbeholfen und angestrengt wichtigtuend, dass sie höchstens für ein paar unfreiwillige Lacher taugen.

Die eigentlich interessante Idee vom zeitfressenden Strand (die Vorlage liefert die Graphic Novel „Sandcastle“) wird in der Verfilmung zu einer missglückten Mischung aus Twilight Zone und Fantasy Island. Fehlt nur Hervé Villechaize, der als Tattoo um die Ecke biegt.
Kleiner Spoiler: Die Auflösung am Ende ist viel weniger aufregend, als sich Shyamalan das vorgestellt hat.
Einen halben Punkt extra gibt es für den trashigen Unterhaltungswert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Old“
USA 2020
108 min
Regie M. Night Shyamalan
Kinostart 29. Juli 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

THE GREEN KNIGHT

THE GREEN KNIGHT

Eine neue Erfahrung: Ins Kino gehen und nichts über den Film wissen, der da gleich läuft. Keinen Trailer gesehen, keine Inhaltsangabe gelesen. Völlige Unkenntnis über Darsteller, Regie und Genre. Ist „Der Grüne Ritter“ ein Ökothriller? Ein Superhelden-Epos? Ein Vogel? Unbelastet durch Ignoranz.

Hier die Auflösung: „The Green Knight“ ist ein Mittelalter-Abenteuer-Märchen-Fantasyfilm. David Lowery führt Regie, und wenn man dieses Jahr einen Mittelalter-Abenteuer-Märchen-Fantasyfilm sehen sollte, dann diesen. Als hätten die Macher von Game of Thrones, Terry Gilliam und Peter Greenaway (lebt übrigens noch – hat nur seit sechs Jahren keinen Film mehr gemacht) beschlossen, ihre Talente zu vereinen. In düsteren und geheimnisvollen Bildern erzählt der Film die Geschichte von Sir Gawain (Dev Patel), König Arthurs Neffen, der sich auf die Reise zum Grünen Ritter begibt, einem bedrohlichen Wurzelwesen. Unterwegs trifft Gawain auf Geister, Riesen und geköpfte Maiden.

In den Händen eines minder begabten Regisseurs wäre dieser Stoff leicht zu einem bunten CGI-Spektakel mit „witzigen“ onelinern geworden. Doch Drehbuchautor und Regisseur David Lowery hat mit „The Green Knight“ etwas seltsam Schräges und Schönes erschaffen. Sehr atmosphärisch, ohne Anbiederung an den modernen Publikumsgeschmack – ein verwunschenes Märchen für Erwachsene.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Green Knight“
USA / Irland 2020 
125 min
Regie David Lowery
Kinostart 29. Juli 2021

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CASH TRUCK

CASH TRUCK

Der Gangsterboss H (Jason Statham) muss mit ansehen, wie sein Sohn bei einem Raubüberfall erschossen wird. Um die Mörder zu finden, heuert er undercover als Sicherheitsmann bei einer Geldtransporter-Firma an.

Hart, härter, Jason Statham. Terminatorgleich metzelt sich der rachsüchtige H durch die ultrabrutale Story. Leider werden die interessanteren Nebenfiguren dabei achtlos entsorgt, die Sterberate ist sehr hoch.
Basiert auf dem französischen Film „Le convoyeur“ aus dem Jahr 2004.

Guy Ritchie ist immer dann am besten, wenn er seinen over the top-Adrenalinstil mit sarkastischem Humor paart. Das hat zuletzt in „The Gentlemen“ wunderbar funktioniert. „Cash Truck“ fehlt diese zweite Ebene – von ein paar Macho-Wortgefechten zwischen den fast ausschließlich männlichen Figuren abgesehen.
Der Film tut cleverer als er in Wahrheit ist. So komplex wie die Inszenierung und der Schnitt behaupten, ist die Geschichte bei weitem nicht. „Wrath of Man“, so der Originaltitel, ist ein solider Thriller mit ein paar Längen, der es vor allem gegen Ende mit der Logik nicht allzu genau nimmt.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Wrath of Man“
GB / USA 2021
119 min
Regie Guy Ritchie
Kinostart 29. Juli 2021

alle Bilder © STUDIOCANAL

MATTHIAS & MAXIME

MATTHIAS & MAXIME

Nach fünf kleinen und großen Meisterwerken wurde der frankokanadische Wunderkind-Regisseur Xavier Dolan für seine letzten beiden Filme von der Kritik geschlachtet. Dabei gehört es zur selbstverständlichen Entwicklung eines jungen Filmemachers, auch mal was verhauen zu dürfen. 2019 hat sich Dolan mit „Matthias & Maxime“ wieder seiner ursprünglichen Stärken besonnen und liefert eine Art „Best of“ ab: Viele der Versatzstücke dürften treuen Fans bekannt vorkommen.

Matthias und Maxime, beide Ende 20, sind seit ihrer Kindheit Freunde. Der selbstbewußte Matthias (Gabriel D’Almeida Freitas) stammt aus reichem Elternhaus, macht im Leben auf den ersten Blick hin alles richtig: hübsche Freundin, Karriere, Maßanzüge.
Außenseiter Maxime (Dolan, mit symbolisch dick aufgetragenem Feuermal im Gesicht) ist eher der schüchterne Typ. Bald plant er, seine Heimatstadt Montreal in Richtung Australien zu verlassen, hofft dort auf einen Neuanfang, um sich vor allem aus den Fängen seiner toxischen Mutterbeziehung zu lösen. 
Als Matthias und Maxime auf einer Party von einem Mädchen genötigt werden, in einem Kurzfilm für die Uni mitzuspielen und sich dafür vor der Kamera küssen sollen, hat das für beide unerwartete Folgen.

Wer hätte geahnt, dass ein kleiner Kuss unter Freunden solch große Auswirkungen haben kann? Dolan schafft es, aus einer nichtigen Geschichte einen abendfüllenden Spielfilm zu zaubern. „Matthias & Maxime“ berührt dabei viele Themen: das Ende der Jugend, unterdrückte Liebe und den unheilvollen Einfluss, den Mütter auf das Leben ihrer Kinder ausüben können (ein Dolan-Klassiker). Entscheidend ist wie immer die Form: Die ästhetische Bildsprache, der gekonnte Einsatz von Musik und das authentische Schauspiel überwiegen ein paar zu lange, pubertär-unlustige Partyszenen.

FAZIT

„Matthias & Maxime“ ist zwar etwas konventioneller geraten und reicht nicht ganz an die Klasse von Dolans letztem großen Erfolg „Mommy“ heran – ist aber ein vielversprechender Schritt zurück zur alten Form.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Matthias et Maxime“
Kanada / Frankreich 2019
119 min
Regie Xavier Dolan
Kinostart 29. Juli 2021

alle Bilder © CINEMIEN

DA SCHEIDEN SICH DIE GEISTER

DA SCHEIDEN SICH DIE GEISTER

Der Krimi-Bestsellerautor Charles (Dan Stevens) leidet unter einer Schreibblockade. Auf der Suche nach Inspiration lädt er die exzentrische Mystikerin Madame Acarti (Judi Dench) ein, eine Séance in seinem Haus abzuhalten. Zu seiner großen Überraschung beschwört Madame Acarti versehentlich den Geist seiner verstorbenen Frau Elvira (Leslie Mann) herauf. Charles findet sich unversehens in einer komplizierten Dreiecksbeziehung mit seiner neuen Ehefrau Ruth (Isla Fisher) und der verstorbenen Ex.

Turbulent, durchgedreht, absurd: Für eine Screwball-Komödie braucht es Mut zum Irrsinn. Davon ist bei „Da scheiden sich die Geister“ bedauerlicherweise nichts zu spüren. Maues Drehbuch, maue Bilder, mauer Film. Wie es richtig geht, hat Robert Zemeckis schon vor 30 Jahren mit „Der Tod steht ihr gut“ gezeigt, einer Geschichte mit ähnlicher Konstellation.

Die Schauspieler bemühen sich, der holprigen Regie und der uninspirierten Inszenierung etwas entgegenzuhalten. Das führt besonders bei Dan Stevens zu heftigem overacting, ein besserer Regisseur hätte da die Zügel straffer gehalten.

Viel zu harmlos und ohne jemals richtig in Fahrt zu kommen, albert sich der Film mit unpassend modernisierten Gags seinem Ende entgegen. Jede versemmelte Pointe oder nicht zündende Dialogszene weckt dabei schmerzhafte Erinnerungen an das bissige Original-Theaterstück von Noël Coward aus den 1940er-Jahren.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Blithe Spirit“
GB 2020
96 min
Regie Edward Hall
Kinostart 22. Juli 2021

alle Bilder © Koch Films

DER RAUSCH

DER RAUSCH

Alkohol ist eine Lösung. Jedenfalls wenn man dem norwegischen Philosophen Finn Skårderud  glauben darf: Nach seiner These kommen wir Menschen mit einem halben Promille zu wenig im Blut auf die Welt. Kontrolliert jeden Tag ein, zwei Gläschen verhelfen demnach zu mehr Lebensqualität und Leistungsfähigkeit. Soweit die Theorie.

Die Freunde Martin, Tommy, Nikolaj und Peter laufen wie ausgeknipst durchs Leben. Abgestumpft und unglücklich – der Job als Lehrer nervt, zu Hause warten Monotonie oder Streit. Die vier beschließen, die Sache mit dem Dauerschwips mal unverbindlich auszuprobieren. Durch den Alkohol enthemmt, fühlen sich die Männer lebendiger und mutiger, trauen sich Dinge zu tun, die sie in nüchternem Zustand niemals gewagt hätten. Doch Schnaps ist nicht nur die reine Freude. Vom Erfolg angestachelt, beschließen sie, das Experiment auszuweiten und die Dosis zu erhöhen – mit fatalen Folgen.

„Druk“, so der dänische Originaltitel, ist ein nachdenklich machender und oft komischer Film, der sich mit den großen Themen jeder Midlife-Crisis beschäftigt: Die Jugend endgültig vorbei, was ist der Sinn des Lebens, wer liebt und braucht einen überhaupt noch? „Findest Du mich langweilig?“, fragt Martin seine Frau. Ihr Schweigen ist Antwort genug.

Die berührende Tragikomödie des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg gewann zu Recht den Oscar für den besten internationalen Film. Ausgezeichneter Film, tolle Besetzung: Mads Mikkelsen liefert eine fantastische Leistung ab und beweist wieder mal, dass er einer der besten Schauspieler unserer Zeit ist. Hervorragend auch Thomas Bo Larsen, Magnus Millang und Lars Ranthe – ein perfektes Ensemble.

FAZIT

Top Film – Prost!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Druk“
Dänemark 2020 
117 min
Regie Thomas Vinterberg
Kinostart 22. Juli 2021

alle Bilder © Weltkino Filmverleih GmbH

NEBENAN

NEBENAN

Daniel Brühl ist ein arroganter, unsympathischer Angeber, der glaubt, weil er fließend spanisch, englisch und deutsch spricht, etwas Besonderes zu sein. Seine Hollywoodkarriere und sein Mitwirken in Marvel-Filmen sind seinem Ego schon gar nicht bekommen.

Dass Brühl in seinem Regiedebüt mit genau dieser gängigen Kritiker- und Zuschauermeinung über sich selbst gekonnt spielt und eine Art Über-Version seines schmallippigen Arschloch-Alter-Egos erschaffen hat, spricht für seinen ausgeprägten Sinn für Humor. Das Drehbuch zur Selbstreflexion stammt von Bestsellerautor Daniel Kehlmann, die Idee von Brühl.

Der Schauspieler Daniel hat alles, was es braucht: Erfolg, Geld und ein schickes Penthouse im Prenzlauer Berg. Auf dem Weg zum Flughafen – ein wichtiges Vorsprechen in London für eine Rolle in einem Superheldenfilm steht an – macht er kurz Halt in seiner Stammkneipe. Nur schnell einen Kaffee und superimportant phone calls mit England und den USA erledigen. Am Tresen sitzt Bruno und starrt. Daniel denkt, es handele sich um einen Fan und bietet ein Autogramm an. Die beiden kommen ins Gespräch und Daniel muss schnell feststellen, dass Bruno ein bisschen zu gut über ihn Bescheid weiß. Er analysiert und bewertet nicht nur alle Filme des Schauspielers, sondern kennt sich auch erschreckend gut in Daniels Privatleben aus.

Brühl inszeniert sein cleveres Kiezkneipen-Kammerspiel souverän, ohne unnötigen Schnickschnack und durchweg spannend. Um seine Hauptfigur hat er ein ausgezeichnetes Ensemble geschart: Besonders Peter Kurth glänzt, spielt seine Wandlung vom morgendlichen Stützbiertrinker zum bedrohlichen Schicksalsgott glaubhaft und facettenreich.

FAZIT

Überraschend gut, viel besser als von der Berlinale-Kritik behauptet.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
91 min
Regie Daniel Brühl
Kinostart 15. Juli 2021

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany 

FAST & FURIOUS 9

FAST & FURIOUS 9

Schlechte Schauspieler in Muskelshirts heben die Gesetze der Physik auf.
Höhepunkt: Ein Auto crasht im Weltraum gegen einen Satelliten.

FAZIT

Groteskes Actionspektakel mit schrägem Unterhaltungswert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Fast & Furious 9“
USA 2020
143 min
Regie Justin Lin
Kinostart 15. Juli 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

SOMMER 85

SOMMER 85

1985: Der 16-jährige Alexis (Félix Lefebvre, eine Mischung aus River Phoenix und Milchschnitte) lebt mit seinen Eltern in einem kleinen Küstenort in der Normandie. Als er bei einem Segelausflug mit seiner Jolle kentert, wird er vom gut aussehenden David (Benjamin Voisin) gerettet. Le coup de foudre, wie der Franzose sagen würde – Liebe auf den ersten Blick. Nach ein paar Wochen auf Wolke sieben findet das jugendliche Glück unvermittelt ein dramatisches Ende.

Schon die Anfangsszene macht klar: Es ist etwas Schlimmes passiert. Während Alexis von der Polizei verhört wird, springt die Handlung immer wieder zurück in die Zeit vor dem Unglück. Das ist clever konstruiert, rätselhaft wie ein guter Krimi und fesselt vom ersten Moment an.

80er-Jahre, Sommer, Boy meets boy: Klingt wie „Call me by your name“, nur ohne den creepy Altersunterschied. Wie der italienische Erfolgsfilm von 2017 ist „Sommer 85“ vor allem eine universelle Liebesgeschichte, erst in zweiter Linie geht es um die sexuelle Orientierung der Figuren.

François Ozon war schon immer ein hervorragender Geschichtenerzähler und ein Meister des Zitats. Die Szene, in der David Alexis in einer Disco Kopfhörer aufsetzt, erinnert ganz bewußt an „La Boum“. Kameramann Hichame Alaoui hat stilecht auf 16 mm gedreht, die bittersüße Lovestory von den verliebten Jungs lässt den 80er-Jahre Zeitgeist aufleben, ohne penetrantes Föhnfrisuren-Feeling zu erzeugen. Guter Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Été 85“
Frankreich 2020
100 min
Regie François Ozon
Kinostart 08. Juli 2021

alle Bilder © Wild Bunch Germany

BLACK WIDOW

BLACK WIDOW

Nach Corona-Zwangspause und mehreren Startverschiebungen sind die Erwartungen an den neuesten Superhelden-Blockbuster hoch. Erste Reaktionen auf Twitter waren überschwänglich, es sieht so aus, als starte Marvel seine 4. Phase mit einem weiteren Gewinner.

Es gab Zeiten (noch gar nicht so lange her), da war es unvorstellbar, dass sich kleine Mädchen weibliche Actionhelden zum Vorbild nehmen konnten. Superman, Ironman, Batman, Spiderman: Auf der Leinwand hatten lange die Männer das Sagen. Das änderte sich erst mit dem Auftauchen von Natasha Romanoff, alias Black Widow in „Iron Man 2“. Scarlett Johansson machte die no-nonsense Agentin mit Intelligenz und Charisma zu einer der beliebtesten Figuren im Marvel Cinematic Universe. Ganz erstaunlich, dass es zehn Jahre dauern sollte, bis sie ihren ersten eigenen Film bekam. Da war DC ausnahmsweise schneller und brachte schon 2017 die extrem erfolgreiche „Wonder Woman“ in die Kinos.

Es ist alles dabei: Perfekt choreographierte Kampfszenen, gigantische CGI-Schlachten, finstere Bösewichte, actionreiche Verfolgungsjagden, ausreichend interessante Figuren, clevere Dialoge – und trotzdem – eine leise Superhelden-Fatigue macht sich breit. Die immer gleichen Zutaten sind inzwischen wie eine Menükarte beim Asiaten um die Ecke – man kennt es, man mag es, es macht satt, aber so richtig originell und neu ist das alles nicht mehr.

Die Geschichte von der im Verborgenen zum Killer ausgebildeten Superagentin wurde schon wiederholt im Kino erzählt, unter anderem in „Nikita“ oder zuletzt in „Red Sparrow“. Cate Shortlands Comicverfilmung orientiert sich dementsprechend mehr am „Mission: Impossible“-Franchise als an der Avengers-Fantasywelt. Mehr Realismus, weniger blaue Köpfe..

Marvel beweist wie gewohnt ein gutes Händchen für den Cast: Florence Pugh stiehlt als sarkastische Yelena Belova Scarlett Johansson die Show und empfiehlt sich in der Post-Credit-Szene gleich als Nachfolgerin der (kein Spoiler) in „Avengers: Endgame“ den Opfertod gestorbenen Natasha. Die weiteren Neuzugänge Rachel Weisz und David Harbour bringen die Marvel-typische Portion Humor und sillyness in die etwas voraussehbare Agentenstory.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Black Widow“
USA 2020
134 min
Regie Cate Shortland
Kinostart 08. Juli 2021 und ab 9. Juli auf Disney+ mit VIP-Zugang

alle Bilder © Walt Disney Studios

THE LITTLE THINGS

THE LITTLE THINGS

Wenn in US-amerikanischen Thrillern junge Frauen nachts mit dem Auto über die Landstraße fahren und dabei laut zur Radiomusik mitsingen, dann nimmt das meist kein gutes Ende. Catherine Martin kann davon ein Lied singen. Kurz nach ihrer Gesangseinlage saß es in einem Brunnenschacht und sollte sich mit der Lotion eincremen.

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen Thriller zu etwas Besonderem machen: eine schauspielerische Leistung, wie beispielsweise die von Anthony Hopkins, der mit seiner Performance in „Das Schweigen der Lämmer“ den kannibalistischen Hannibal Lector unsterblich machte. Oder der perfekte Einsatz von Licht und Musik, wie bei David Finchers modernem Klassiker „Sieben“. „The Little Things“ hat nichts davon. Der Film ist eine lahme Kopie von besseren Thrillern und wirkt seltsam aus der Zeit gefallen.

Wenig neu schon die Grundidee: Zwei Ermittler jagen einen Serienmörder, die Zweihundertste. Die Konstellation „altgedienter Hase und schlauer Jungspund“ ist mittlerweile ein Klischee ihrer selbst. Kein Wunder, dass Denzel Washington seine Rolle im Automodus spielt. Rami Malek lässt dafür seinen schauspielerischen Manierismen umso mehr freien Lauf, das schrammt am overacting vorbei. Spätestens beim hohläugigen Auftritt von Jared Leto (der dritte Oscarpreisträger im Bunde) ist klar, wer hier höchstwahrscheinlich der Bösewicht ist. Das „whodunit“ wird zum weniger spannenden „did he really do it?“. Die beiden Cops setzen sich bei ihrer Täterüberführung natürlich über jede Vorschrift hinweg, auch das nichts Neues.

Die Geschichte spielt in den 1990er-Jahren und seitdem scheint auch das Drehbuch in einer Produzentenschublade gegammelt zu haben. Weshalb „The Little Things“ 30 Jahre zu spät mit einer so hochkarätigen Besetzung noch verfilmt wurde, bleibt rätselhaft.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Little Things“
USA 2020
128 min
Regie John Lee Hancock
Kinostart 08. Juli 2021

alle Bilder © WARNER BROS. PICTURES

BEYTO

BEYTO

Beyto ist guter Junge, lebt mit seiner türkischen Familie in der Schweiz. Eines Tages verliebt sich der schnuckelige Schwimmer in seinen Trainer Mike. Wie nicht anders zu erwarten, sind Anne und Baba wenig begeistert von der sexuellen Orientierung ihres Sohns. Eine hinterhältig geplante Zwangshochzeit in der Türkei soll den Junior wieder auf den rechten Pfad der Tugend zurückführen.

Wie ein Schweizer Uhrwerk ticken hier die Klischees im Sekundentakt. Gitta Gsell meint es gut, findet für ihren Spielfilm aber keine Struktur. Zu vieles wird angeteast und dann mir nichts, dir nichts als erledigt abgehakt. Probleme, gerade noch als unüberwindbar aufgebaut, lösen sich im nächsten Schnitt einfach auf. Es reicht eben nicht, Szenen aneinanderzuhängen und darauf zu hoffen, dass so ein Erzählfluss mit Spannungsbogen entsteht.

FAZIT

Schauspielerisch in Ordnung, holprig erzählt.

INFOS ZUM FILM

Schweiz 2020
98 min
Regie Gitta Gsell
Kinostart 01. Juli 2021

alle Bilder © Edition Salzgeber

MONSTER HUNTER

MONSTER HUNTER

Paul W.S. Anderson ist der Ed Wood des 21. Jahrhunderts. Wie es der hochgradig untalentierte Regisseur schafft, wieder und wieder Filme finanziert zu bekommen, bleibt ein Rätsel unserer Zeit. 

Milla Jovovich, die Ehefrau des Regisseurs, übernimmt diesmal die Rolle von Natalie Artemis, einer toughen persönlichkeitslosen U.S. Army Rangerin. Auf der Suche nach einer vermissten Einheit werden sie und ihr Kanonenfutter-Team aus unserer Welt in die „New World“ transportiert, wo sie gegen riesige Monster kämpfen müssen.

Das Furchterregendste an „Monster Hunter“ ist die groteske Donald-Trump-Gedächtnis-Perücke auf Ron Perlmanns Kopf. Das muss ein Witz sein. Der Film hat keine erwähnenswerte Geschichte, dafür Charaktere, die nicht wissen, was sie hier eigentlich verloren haben. Keine der Figuren hat Tiefe – wie auch ohne irgendeine Backgroundstory. Das Schauspiel beschränkt sich aufs Grimassieren und die Dialoge hätte sich ein Suppenhuhn ausdenken können. Effekte und CGI sind höchst durchschnittlich, das Drehbuch nicht existent, die Actionszenen so schlecht und hektisch zusammengeschnitten, dass man nie Gefahr läuft, sich in irgendeiner Form für das Geschehen auf der Leinwand zu interessieren.

FAZIT

Schrott.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Monster Hunter“
Deutschland, Japan, USA, China, Kanada 2020
103 min
Regie Paul W.S. Anderson
Kinostart 01. Juli 2021

alle Bilder © Constantin Film

DER SPION

DER SPION

Chruschtschow ist auf Krawall gebürstet: Der sowjetische Präsident plant, Atomwaffen auf Kuba zu stationieren, um so dem Erzfeind USA auf die Pelle zu rücken. Vor dem Hintergrund der Krise von 1962 erzählt „Der Spion“ die wahre Geschichte des britischen Geschäftsmannes Greville Wynne (Benedict Cumberbatch), der sich auf Geheiß des britischen MI-6 und einer CIA-Agentin (Rachel Brosnahan) auf eine gefährliche Mission in Moskau einlässt. Dort soll ihm der sowjetische Offizier Oleg Penkovsky (Merab Ninidze) brisante Informationen liefern, die eine nukleare Konfrontation verhindern könnten.

Die Codes erklären sich von selbst: Der Osten ist grau, der Westen bunt. Im Osten sind die Menschen mürrisch, im Westen warmherzig. Die gelernten Klischees machen „Der Spion“ zu just another spy movie, immerhin zu einem gut aussehenden. Mit seinen ästhetischen 60er-Jahre Settings und der stimmigen Ausstattung (inklusive dauerrauchenden Protagonisten) erscheint Dominic Cookes Film wie eine Coffee Table Book-Version aller bekannten Kalte-Kriegs-Spionagefilme. Leider ist bei all der Ästhetik die Spannung auf der Strecke geblieben.

Obwohl die Besetzung top ist, bleiben die Figuren eindimensional. Greville Wayne ist angeblich ein harter Trinker, der auch einem Seitensprung nicht abgeneigt ist, doch Cumberbatch spielt den behauptet wilden Playboy-Spion als einen äußerst normalen Familienvater ohne besondere Eigenschaften. Rachel Brosnahan (als CIA-Agentin) ist zwar immer gerne gesehen, schafft es aber nicht, ihre Marvelous Mrs. Maisel abzulegen. Es ist fast irritierend, dass sie während des gesamten Films keinen einzigen zotigen One-Liner raushaut.

Zu oft verliert sich der Agententhriller in Montagesequenzen, die Oleg Penkovsky beim Abfotografieren von geheimen Dokumenten, der Übergabe der Mikrofilme an seinen britischen Mittelsmann und die anschließend besorgte Auswertung der Bilder im Westen zeigen. Das ist nur leidlich spannend, das hat man schon zu oft gesehen. Richtig interessant wird es erst im letzten Drittel, bis dahin bleibt der Film eine blasse Version von Spielbergs „Bridge of Spies“.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Courier“
GB 2020
110 min
Regie Dominic Cooke
Kinostart 01. Juli 2021

alle Bilder © TELEPOOL

NOBODY

NOBODY

„Mister Cellophane shoulda been my name ‚cause you can look right through me“

Der Song aus dem Musical „Chicago“ trifft zu 100 Prozent auf Hutch Mansell zu – dem Inbegriff eines durchsichtigen Zellophan-Mannes. Der Familienvater führt ein eXtra-langweiliges Leben und wird von Kollegen, Frau und Kindern konsequent übersehen. Erst ein nächtlicher Einbruch bei ihm zu Hause setzt eine Ereigniskette in Gang, die aus dem braven Langweiler einen blutigen Rächer macht.

„John Wick“ lässt grüßen – Die Ähnlichkeiten sind kein Zufall, Drehbuchautor Derek Kolstadt hat sich neben „Nobody“ auch das enorm erfolgreiche Keanu Reeves-Franchise ausgedacht. Dementsprechend brilliert „Nobody“ vor allem mit seinen blutigen Action-Szenen. Die sind ausgeklügelt choreografiert, rasant geschnitten und haben hohen Unterhaltungswert. An der ein oder anderen Stelle gibt’s zwischen den Schägereien auch was zu lachen, Punkte aber vor allem für die Besetzung: Bob Odenkirk macht es sichtlich Spaß, endlich mal körperlich zu werden, nachdem er sich jahrelang als aalglatter Anwalt Saul Goodman aus allen brenzligen Situationen nur rausquatschen durfte. Leider raubt die deutsche Synchronisation mindestens 80 % seines Charmes – wenn möglich, die Originalversion schauen.

Kein Spoiler-Alert: Dass hinter der Mr. Nobody-Fassade ein Berufskiller steckt, ist spätestens seit dem Trailer keine Überraschung mehr. Ist „Nobody“ ein guter Film? Nicht unbedingt. Aber Bob Odenkirks neue Karriere als Actionheld funktioniert ganz gut. Bleibt nur zu hoffen, dass er nicht den gleichen Weg wie Liam Neeson oder Bruce Willis einschlägt, zwei ehemals hervorragende Schauspieler, die mittlerweile nur noch mit den immer gleichen Action-Flics ihr Geld machen.

FAZIT

Gehobene Konfektionsware mit guten Schauspielern.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Nobody“
USA 2021
92 min
Regie Ilya Naishuller
Kinostart 01. Juli 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

GEFANGEN IM NETZ

GEFANGEN IM NETZ

Da kann der RTL 2-Zuschauer nur müde gähnen: Schon vor mehr als 10 Jahren schickte der Schmuddelsender Ex-Bundesverteidigungsministergattin Stephanie zu Guttenberg auf die Jagd nach Kinderschändern: „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“ hieß das trashige Reality-TV-Format.

Im Gegensatz zur reißerischen Schnappatmigkeit des deutschen Fernsehversuchs nähert sich der tschechische Dokumentarfilm „Gefangen im Netz“ dem schwierigen Thema Cybergrooming um einiges behutsamer an. Wie bei einer aufwändigen Spielfilmproduktion findet zunächst ein Casting statt. Drei mädchenhaft aussehende, aber volljährige Frauen sollen sich im Internet als 12-jährige Kinder ausgeben. Schon diese Szene zu Beginn des Films hat es in sich: da erzählen die jungen Schauspielerinnen, wie sie selbst als Jugendliche belästigt und im Netz gemobbt wurden. Die Grenze zwischen Inszenierung und Realität verwischt von Anfang an.

Aus im Studio nachgebauten Zimmern, von Kameras und einem Team Seelsorger begleitet, chatten die “Mädchen” dann mehrere Wochen mit Männern aller Altersgruppen. Dabei gilt es, die zuvor festgelegten Regeln zu beachten: So muss gleich zu Beginn auf das Alter hingewiesen werden, es darf nicht selbst angerufen werden und es darf nicht geflirtet, verführt oder provoziert werden.

Trotzdem fordern fast alle Männer die Mädchen früher oder später dazu auf, sich nackt vor der Kamera zu präsentieren oder zumindest explizite Fotos hochzuladen. Einige der Männer versuchen nach Erhalt, die Mädchen zu erpressen (die versendeten Nacktbilder sind im Photoshop entstanden).

Um das Aussehen der Täter zu verfremden, wurde ihnen in der Postproduktion eine runde, milchige Maske über das Gesicht gelegt, nur Augen- und Mundpartie bleiben klar zu erkennen. Ein gespenstischer Effekt, der die Täter noch bedrohlicher wirken lässt.

FAZIT

Finsteres, gut gemachtes Dokuexperiment. Mit über einer halben Millionen Zuschauern war “Gefangen im Netz” in Tschechien die erfolgreichste Kinoproduktion des Jahres 2020.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „V síti – caught in the net“
CR 2020
100 min
Regie Barbora Chalupová & Vít Klusák
Kinostart 24. Juni 2021

alle Bilder © Filmwelt

PROXIMA: DIE ASTRONAUTIN

PROXIMA: DIE ASTRONAUTIN

Annalena Baerbock nervt das: Helmut Kohl wurde im Laufe seiner politischen Karriere nie gefragt, wie er Beruf und Kindererziehung unter einen Hut bringt. Die Regeln der Politik gelten auch im Weltraum: Papa fliegt zum Mond und ist ein Held. Mama fliegt zur ISS und ist eine Rabenmutter. Das arme Kind einfach so zurücklassen! Wie kann sie nur?

Schon als Mädchen träumt Sarah (Eva Green) davon, Astronautin zu werden. Als sie für eine Marsmission auserwählt wird, beginnt eine physisch und psychisch stressige Vorbereitungszeit im ESA-Trainingslager. Der Haken am großen Weltraumabenteuer: Bald wird sie nicht nur die Erde für ein Jahr verlassen, sondern auch ihre kleine Tochter Stella. Lebenstraum oder Mutterliebe: Sarah steht vor einer schweren Entscheidung.

Der Titel klingt nach Science-Fiction, doch „Proxima: Die Astronautin“ ist alles andere als das. Tatsächlich spielt keine einzige Szene im All, die Handlung findet ausschließlich auf der Erde statt. Regisseurin Alice Winocour erzählt ein stilles Drama über Liebe und Abnabelung und wirft dabei einen kritischen, feministischen Blick auf die von Männern dominierte Berufswelt.

Gedreht wurde an Originalschauplätzen in Star City und Baikonur. Die Regisseurin wählt eine fast dokumentarische Form für ihre universelle Mutter-Tochter-Geschichte. Neben einer herausragenden Eva Green spielen Lars Eidinger, Matt Dillon und Sandra Hüller.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Proxima“
Frankreich / Deutschland 2019
107 min
Regie Alice Winocour
Kinostart 24. Juni 2021

alle Bilder © Koch Films

FREAKY

FREAKY

We need to talk about Dackelhunde! Nachdem die klugen und eleganten Tiere in den 1970er-Jahren zu Spießerkötern auf Audi-Hutablagen degradiert wurden, feiern sie nun ein verdientes Comeback. Die herrlich dicken Stummelbeine, das selbstbewusst durchgestreckte Kreuz, der scharfe, kritische Blick: WeenerDogs sind Hunde zum Verlieben und mittlerweile omnipräsent. Auf Kaffeetassen, in Instastories, als Möbelstücke und sogar als Muster auf dem Schlafanzug einer serienmordenden Highschool-Schülerin. In „Freaky“ spielen Teckel somit zwar nur eine dekorative Nebenrolle, doch die schwarze Komödie lohnt das Ansehen trotzdem. Zwei alte, schon oft benutzte Filmideen werden hier miteinander kombiniert und – siehe da – es entsteht etwas Neues, Originelles. Ursprünglich sollte der Film „Freaky Friday the 13th“ heißen – inhaltlich auf den Punkt: eine Titel-Vermählung der Body-Swap-Komödie „Freaky Friday“ und der Horror-Film-Reihe „Freitag der 13.“.

Zauberei: Die 17-jährige Schülerin Millie findet sich nach einer Messerattacke unversehens im Körper eines gesuchten Serienkillers wieder. Umgekehrt ist der „Blissfield Butcher“ plötzlich ein verunsichertes Highschool-Girl, das mithilfe ihrer Freunde (politisch korrekt: eine Schwarze und ein Schwuler) den 24 Stunden währenden Fluch um jeden Preis rückgängig machen will.

Regisseur Christopher Landon schreckt in seiner Horror-Komödie vor keinem Klischee zurück: Extra-bitchige Mitschülerinnen, tumbe, notgeile Footballspieler und sadistische Lehrer – hier haben sich die typischen Genre-Vertreter versammelt. Sie alle ereilt ihre gerechte Strafe. Die Art und Weise des Gemetzels ist dabei schön blutrünstig und einfallsreich umgesetzt.

Wie schon „Scream“ funktioniert „Freaky“ auch als Komödie, dank der ausgezeichneten Darsteller: Kathryn Newton nimmt man eiskalte Killerin und gemobbte Schülerin gleichermaßen ab. Und Vince Vaughn hat als Teenager-Mädchen die Rolle seines Lebens gefunden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Freaky“
USA 2020
102 min
Regie Christopher Landon
Kinostart 24. Juni 2021

alle Bilder © Universal Pictures Germany

BREAKING NEWS IN YUBA COUNTY

BREAKING NEWS IN YUBA COUNTY

Immer wieder wird die Frage gestellt, ob es bei Framerate auch mal eine Null-Sterne-Bewertung gäbe. Bisher nicht. Doch „Breaking News in Yuba County“ wäre ein würdiger Kandidat. Lausiger Film mit scheußlicher deutscher Synchronisation.

Der einzige Verdienst von Regisseur Tate Taylor besteht darin, überqualifizierte Schauspieler überredet zu haben, in diesem Anwärter auf die Goldene Himbeere mitzuwirken: Allison Janney, Mila Kunis, Matthew Modine, Awkwafina, Ellen Barkin, Juliette Lewis, Wanda Sykes und viele mehr. Warum?

Die Geschichte wiederzugeben lohnt nicht. Irgendwas satirisch gemeintes mit Verbrechern, Lösegeld und dem Wunsch, im Fernsehen aufzutreten. „Breaking News in Yuba County“ wirkt, als habe sich ein sehr sehr unbegabter Regisseur zwanzig Jahre zu spät entschlossen, mal einen Film im Stil der Coen-Brothers zu versuchen. Das ist in jeder Hinsicht schief gegangen.

FAZIT

Top-Favorit für den schlechtesten Film 2021.

INFOS ZUM FILM

USA 2021
96 min
Regie Tate Taylor
Kinostart 24. Juni 2021

alle Bilder © Constantin Film

A QUIET PLACE 2

A QUIET PLACE 2

Die Fortsetzung (die dankenswerterweise nicht „A Quieter Place“ heißt) knüpft nahtlos an den Überraschungshit von 2018 an. Wobei, nicht ganz: der Film beginnt zunächst mit einem Rückblick auf den ersten Tag der Katastrophe – und der hat es in sich. Selten sah man ein Kinopublikum synchron so in den Sitzen hochschrecken.

Wer bis jetzt nur Bahnhof verstanden hat – hier eine kurze „Was bis jetzt geschah“-Zusammenfassung: Nach der Invasion von außerirdischen Monstern ist die Menschheit stark dezimiert. Die bitterbösen Viecher töten jeden, der ihnen in die Quere kommt. Ihr extrem gut ausgeprägter Gehörsinn ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits darf niemand, der überleben will, einen Mucks machen, andererseits lassen sich die Monster mit hochfrequenten Tönen halbwegs in Schach halten. Familie Abott – Vater, Mutter, zwei gehörlose Kinder – sind auf der Flucht. Ganz leise versteht sich. Am Ende des ersten Teils hat die Mutter – in einer nervenzerreißend stillen Szene – ein Baby zur Welt gebracht und ein Familienmitglied musste sein Leben lassen.

„A Quiet Place 2“ steht dem ersten Teil in nichts nach. Drehbuchautor und Regisseur John Karsinski (im wahren Leben der Ehemann von Hauptdarstellerin Emily Blunt) ist ein extrem spannender Film geglückt. Thriller inszenieren kann er. Was ihm nicht so liegt, sind Dialogszenen. Die sind in ihrer tranigen Labrigkeit ermüdend, da hängt der Film durch. Zum Glück gibt’s davon nicht allzu viele und der nächste Jump-Scare lauert schon um die Ecke.

FAZIT

Mehr Monster, mehr Stille, mehr Spannung. Gelungene Fortsetzung.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „A Quiet Place 2“
USA 2020
100 min
Regie John Krasinski
Kinostart 24. Juni 2021

alle Bilder © Paramount Pictures Germany

CHAOS WALKING

Framerate

„Chaos Walking“ ist ein wandelndes Chaos, indeed. Die Idee mag im Roman noch funktioniert haben, auf der Leinwand nervt sie schon nach wenigen Minuten: Noch so banale Gedanken oder Überlegungen manifestieren sich als bunte Partikelwolke um die Köpf der Menschen und jeder kann die Gedanken des anderen hören und sehen.

Todd Hewitt (Spiderman Tom Holland) lebt auf einem fernen Planeten in einer Gesellschaft, in der es keine Frauen mehr gibt. Die sind alle tot, scheinbar von bösartigen Aliens ermordet. Eines Tages crasht das Raumschiff von Viola (Daisy Ridley) auf dem Planeten. Schlecht für sie, denn Frauen können ihre Gedanken verbergen und werden daher als Bedrohung angesehen. Die Männer reagieren ausgesprochen feindselig auf die Fremde. Bald wird Viola vom oberfiesen Bürgermeister der Stadt (Mads Mikkelsen, wie immer gut) zur Jagd freigegeben. Der spontanverliebte Todd will seiner Angebeteten helfen.

Nein, das Herstellungsjahr weiter unten ist kein Tippfehler, „Chaos Walking“ wurde tatsächlich schon 2017 gedreht. Zwei Jahre später gab es noch mal einen Nachdreh, wohl um zu retten, was zu retten ist. Der Kinostart wurde etliche Male verschoben, teils Corona-bedingt, tatsächlich aber, weil das Studio erkannt hat, dass der Film nichts taugt. Die Zutaten zum Desaster: Bösewichter mit nicht nachvollziehbarer Motivation, Charaktere, die kommen und gehen, ohne für die Geschichte eine Rolle zu spielen, dystopische Klischees zuhauf und planetengroße Löcher im Drehbuch. „Chaos Walking“ ist leider nicht einmal ein unterhaltsames B-Movie.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Chaos Walking“
USA 2017
108 min
Regie Doug Liman
Kinostart 17. Juni 2021

alle Bilder © STUDIOCANAL