UND MORGEN DIE GANZE WELT

„Wer unter 30 nicht links ist, der hat kein Herz. Und wer mit über 30 noch links ist, der hat keinen Verstand.“ Getreu diesem Motto schließt sich die zwanzigjährige Luisa einer Antifa-Gruppe in Mannheim an – ja, auch in der verschlafenen Schachbrett-Stadt gibt es politischen Kampf. Luisa und ihre Freunde Alfa und Lenor haben Großes vor: Unter einer Revolution gegen das herrschende System machen sie’s nicht. Schließlich steht im 20. Artikel des Grundgesetzes: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Also alles Auslegungssache. Die klaren Feinde sind die „Faschos“ – in diesem speziellen Fall ein Schlägertrupp, der für Wahlkampfveranstaltungen einer fiktiven, aber klar der AfD nachempfundenen Partei als Wachschutz angeheuert wird. Luisa zögert zunächst, doch Alfa und Lenor halten auch den Einsatz von Gewalt für ein legitimes Mittel. Was als Farbeier-werfender Spaß beginnt, läuft bald aus dem Ruder.

Alfa, Lenor und Luisa: Das klassische Trio aus Herz, Hirn und Faust. Doch Luisas Aufruf zu immer brutaleren Aktionen geht den Jungs bald zu weit. Das brave Mädchen aus gutem Haus mutiert zur rücksichtslosen Kämpferin im bewaffneten Widerstand. Dass sich Luisa in den coolen Alfa verliebt, der wie eine jugendliche Andreas-Baader-Kopie daherkommt, reicht kaum als Erklärung für ihre zunehmende Radikalisierung aus. Ihre kompromisslose Entwicklung bleibt schwer nachvollziehbar und ihre Motivation, zur Waffe zu greifen und auf Naziköpfe zu zielen, diffus.

Was wie ein brisanter Politthriller beginnt, verpufft am Ende ohne großen Erkenntnisgewinn. Immerhin taugt „Und morgen die ganze Welt“ zur Bestätigung des eigenen Weltbilds: Die Linken sind die Guten, die Rechten sind die Bösen – aber das wusste man auch schon vorher.

Überraschenderweise lief der Film als einziger deutscher Beitrag bei den internationalen Filmfestspielen von Venedig. Der „Tagesspiegel“ fragte ganz besorgt, ob es verhältnismäßig sei, „dass sich Julia von Heinz im Rampenlicht des Wettbewerbs behaupten“ müsse – ganz so, als sei die Regisseurin ein zartes Pflänzchen, das es vor der bösen Realität zu schützen gelte. Eine unbegründete Sorge, denn Hauptdarstellerin Mala Emde gewann im September den Preis der unabhängigen Filmkritik Bisato d’Oro als beste Hauptdarstellerin.

FAZIT

Ästhetisch näher am kleinen Fernsehspiel als am großen Politkino.

Nachtrag: „Und morgen die ganze Welt“ geht 2021 für Deutschland ins Rennen um den Oscar für den besten ausländischen Film und sticht damit Favoriten, wie „Undine“ und „Berlin Alexanderplatz“ aus. Sehr erstaunlich…

Deutschland / Frankreich 2020
111 min
Regie Julia von Heinz
Kinostart 29. Oktober 2020
und dann wieder ab 03. Dezember 2020

alle Bilder © Alamode

GLITZER UND STAUB

Die eine Hand am Sattelknauf, die andere elegant über den Kopf gehalten, wie um die Augen vor dem Sonnenlicht zu schützen. Einziges Ziel ist es, das Gleichgewicht zu halten. Ein kurzer, brutaler Tanz – wer herunterfällt, hat verloren.

Bullenreiten ist ein unerfreulicher Sport. In seiner Sinnlosigkeit rückt er in die Nähe des spanischen Stierkampfs. Tiere leiden zum Amüsement des Zuschauers. Zum Glück hat „Glitzer und Staub“ mehr zu bieten als Bilder von gequälten Tieren, denen mit der Spore in die Seite getreten wird. Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms stehen vier Mädchen zwischen 10 und 17 Jahren, die der Traum verbindet, ein echtes Cowgirl zu werden. Mit dem Klischee vom rosa gekleideten, mit Puppen spielenden Mädchen wird dabei gründlich aufgeräumt.

Die Filmemacherinnen Anna Koch und Julia Lemke erzählen vom Mut und Ansporn, sich in einem gefährlichen, männerdominierten Sport zu beweisen. „Never scared“ steht auf dem Gürtel von Ariyana Escobedo. Eine toughe Aussage für ein kleines Kind. „Jetzt erst recht“ könnte das trotzige Motto von Maysun lauten. Die 10-Jährige saß schon auf einem Pferd, bevor sie laufen konnte. Ihr Vater, der sich eigentlich einen Sohn gewünscht hätte und daraus auch keinen Hehl macht, glaubt, dass die Zuschauer „krasse Typen auf einem krassen Bullen sehen wollen“ – keine besonders ermutigenden Worte für seine Tochter.

Bullenreiten, praktiziert von kleinen Mädchen: eine Nische in der Nische. Die Neugierde der Zuschauer wird sich in Grenzen halten – schade, denn „Glitzer und Staub“ ist ein sehenswerter, exzellent fotografierter Dokumentarfilm über eine verborgene, seltsame Welt im Wilden Westen.

Deutschland 2020
93 min
Regie Anna Koch und Julia Lemke
Kinostart 29. Oktober 2020

alle Bilder © Port au Prince Pictures GmbH

SCHWESTERLEIN

Nina Hoss hätte bei der diesjährigen Berlinale eigentlich den silbernen Bären für die beste weibliche Hauptrolle verdient. Als Schwester(lein) des krebskranken Theaterschauspielers Sven entfaltet sie eine große Kraft, der ganze Film kreist um sie. Ihre Figur, die Autorin Lisa, muss sich gegen eine schier unendliche Flut an Dramen und Problemen stemmen: Ihre Mutter ist eine gefühlskalte Egoistin, ihr Ehemann will lieber Karriere in der Schweiz machen und der Regisseur ihres Bruders zweifelt an dessen Genesung und plant schon mal die nächste Spielzeit ohne ihn.

Nach „Undine“ (mit der tatsächlichen Gewinnerin des Bärens, Paula Beer) noch ein Märchen: „Hänsel und Gretel“ zieht sich als roter Faden durch den Film. Lisa schreibt ihrem Bruder eine Neuinterpretation der Grimm’schen Geschichte auf den Leib, gleichzeitig sind die verlorenen Kinder in der Gewalt der Hexe ein allzu offensichtliches Symbol für den Kampf der Geschwister gegen den Krebs.

„Schwesterlein“ changiert zwischen Illusion und überhöhtem Realismus. Thomas Ostermeier spielt – was sonst ? – den Regisseur, Lars Eidinger eine sterbenskranke Version des Schauspielers Lars Eidinger. Über so viel Nabelschau muss man erst mal hinwegsehen. Die Station des Sterbens werden fast artig abgehakt: der letzte besoffene Technotanz, der vermeintlich freiheitsbringende Paragliding-Flug, die hässlichen Krankenhausszenen mit viel Blut und piepsenden Maschinen. Das sind bekannte Bilder, da bewegt sich das Drama auf ausgetretenen Pfaden.

FAZIT

„Schwesterlein“ ist harte Kost. Als Film eher Mittelmaß, als Demonstration schauspielerischen Könnens eine Wucht.

Schweiz 2020
99 min
Regie Stéphanie Chuat und Véronique Reymond
Kinostart 29. Oktober 2020

alle Bilder © Weltkino Filmverleih GmbH

SCHLAF

Flugbegleiterin Marlene leidet unter wiederkehrenden Albträumen. Irgendwann schnappt sie über, verfällt in eine Art Schockstarre. Ihre Tochter Mona will helfen und macht sich auf die Suche in die Vergangenheit ihrer Mutter. In einem 70er-Jahre Dorfhotel namens Sonnenhügel findet sie irritierende Antworten.

In diesem Film wird viel gewürgt. Männer würgen Frauen, Frauen würgen Männer und manchmal würgen sich Menschen auch ganz alleine selbst. Klingt ein bisschen wie ein Edgar-Wallace-Streifen aus den 60ern. Für das verschwurbelte ZDF-Kleine-Fernsehspiel entschädigen nur die Schauspieler: Sandra Hüller als Marlene ist wie immer gut, hat hier jedoch fast nichts zu tun. Gro Swantje Kohlhof überzeugt als Tochter am Rande des Nervenzusammenbruchs. Marion Kracht und August Schmölzer spielen die Hotelbesitzer zwar schön zwielichtig, scheinen sich aber aus einem ganz anderen Film hierher verirrt zu haben.

Endlich mal wieder ein Vorurteil bestätigt: Deutsche können keine gescheiten Horrorfilme drehen! Es ist schon eine Kunst, einen Brei zu versalzen und gleichzeitig fade schmecken zu lassen. Das heillos überfrachtete Drehbuch bedient sich großzügig bei allerlei Genreklassikern wie „The Conjouring“ und „The Shining“, ohne etwas aufregend Neues daraus zu machen.

FAZIT

Heimathorror im Provinzhotel.

Deutschland 2020
102 min
Regie Michael Venus
Kinostart 29. Oktober 2020

alle Bilder © Edition Salzgeber

THE MORTUARY – JEDER TOD HAT EINE GESCHICHTE

Rechtzeitig zu Halloween kommt nicht nur eine 4K-Abtastung des George A. Romero-Zombie-Klassikers „Dawn of the Dead“ in die Kinos, sondern auch diese erfrischend altmodisch gemachte Horror-Anthologie. Vier gruselige Kurzgeschichten, von einer Rahmenhandlung eingefasst, in der ein furchterregender Leichenbestatter einem jungen Mädchen von den schaurigsten Todesfällen der vergangenen Jahrzehnte erzählt.

„The Mortuary“ steigert seinen Horror effektvoll von Episode zu Episode und sieht dabei auch noch fabelhaft aus. Regisseur und Drehbuchautor Ryan Spindell siedelt seine Geschichten in den 1950er bis 1980er-Jahren an: Was Set-Design, Kamera und Kostümbild hier aus einem überschaubaren Budget rausgeholt haben, ist wirklich phänomenal. Der Film verzichtet dabei dankenswerterweise auf den Einsatz von CGI, erzielt eine ungleich stärkere Wirkung mit analogen, handgemachten Effekten. Ein positiver Trend, der schon „Scary Stories to Tell in the Dark“ sehenswert gemacht hat.

Fun-Fact: Ryan Spindell führte 2015 bei dem 20-minütigen Film „The Babysitter Murders“ Regie. Da Kurzfilme selten Zuschauer finden und bestenfalls ein Festival-Dasein fristen, hat er seine liebevolle Hommage an die 1980er-Slasher-Filme nun in seinen ersten Langfilm „The Mortuary“ integriert. Eine Zweitverwertung sozusagen, die clever mit den anderen Geschichten verwoben, in einem überraschenden Twist endet – was will man zum Kürbisgruselfest mehr, außer vielleicht dem Rezept für eine leckere Suppe?

KÜRBISSUPPE

1 kindskopfgroßer Hokkaidokürbis
2 Zwiebeln
3 Knoblauchzehen
1 Dose Kokosmilch
1 Liter Gemüsebrühe
1 Stück Ingwer
Butter, Öl
Kürbiskerne, Kürbiskernöl
Salz, Pfeffer, Zucker

Den Kürbis waschen (Hokkaido muss nicht geschält werden) und mit einem großen Messer vierteln.
Die widerlichen Eingeweide (Kerne und Fasern) mit einem Löffel auskratzen.
Den Kürbis in daumengroße Stücke zerteilen.
In einem großen Topf die geschälten, in grobe Stücke zerschnittenen Zwiebeln und den Knoblauch im Butter/Ölgemisch andünsten. Den Kürbis dazugeben, kurz mitbraten. Dann den geschälten und geschnittenen Ingwer dazugeben.

Mit der Brühe (frisch ist gut – aus dem Glas oder als aufgelöster Brühwürfel geht auch) ablöschen.
Bei geschlossenem Deckel köcheln lassen. Nach ca. 15 Minuten die Kokosmilch dazugeben.
Noch mal 5 Minuten köcheln lassen.

In der Zwischenzeit eine halbe Folge einer Serie schauen (z. B. „The Boys“ Season 2) oder die Kürbiskerne (aus der Tüte, nicht die schleimigen aus dem gerade zerschnittenen Hokkaido) ohne Öl in der Pfanne rösten.
Die fertig gekochte Suppe (die Kürbisstücke sollten beim Gabeltest weich sein) mit dem Rührstab rücksichtslos pürieren. Mit Salz, Pfeffer und ggfs. einer Prise Zucker abschmecken.
Die Suppe in tiefen Tellern mit einem Schuss Kürbiskernöl verzieren und ein paar geröstete Kerne draufgeben. Mahlzeit!

Originaltitel „The Mortuary Collection“
USA 2019
111 min
Regie Ryan Spindell
Kinostart 22. Oktober 2020

alle Bilder © Capelight Pictures

KAJILLIONAIRE

Produziert von Brad Pitt! Ja, DEM Brad Pitt, bei dem Carsten Maschmeyer seine Frau mal im Badezimmer festgestellt hat, dass die Beleuchtung nicht ausreicht. Die Hauptrollen mit Evan Rachel Wood (Westworld), Debra Winger (Zeit der Zärtlichkeit), Richard Jenkins (Shape of Water) und Gina Rodriguez (Deepwater Horizon) hochkarätig besetzt! „Kajillionaire“ klingt wie das nächste große Ding aus Hollywood. Was für eine Überraschung, dass Miranda July trotz der versammelten Prominenz keinen Blockbuster, sondern eine kleine, absurde Tragikomödie gedreht hat. Die Regisseurin dürfte Eingeweihten bislang höchstens als Performance- und Konzept-Künstlerin bekannt sein.

Old Dolio greift im Vorbeigehen ganz automatisch in das Münzfach des öffentlichen Telefons. Es könnten ja noch ein paar Cent darin liegen. Das Mädchen und ihre Eltern, Robert und Theresa, halten sich mit kleinen Gaunereien und Diebstählen über Wasser. Da sie seit Monaten mit der Miete im Rückstand sind, droht ihnen nun die Kündigung. Zeit, ein etwas größeres Ding zu drehen. 
Als das schrullige Trio bei einer Flugreise (auch diese wird nur aus betrügerischen Gründen unternommen) die aufgekratzte Latina Melanie kennenlernt, verändert sich die Familiendynamik gründlich. Vor allem Old Dolio spürt plötzlich eine große Leere und beginnt sich nach Liebe und einer normalen Familie zu sehnen.

Anfangs ganz schön deprimierend, der toxischen Beziehung zwischen introvertierter Tochter und lieblosen Eltern zuzuschauen. Erst das Auftauchen der exaltierten Melanie injiziert den Figuren und damit dem Film eine gewisse Leichtigkeit.
„Kajillionaire“ nimmt einige überraschende Wendungen, manchmal unerwartet, bisweilen bizarr – Wes Anderson läßt grüßen. Viele Einfälle funktionieren gut, andere erscheinen bemüht oder albern, ein bisschen „hit and miss“.  Evan Rachel Wood und Debra Winger sind in hässlichen Klamotten, ungeschminkt und mit trocken-struppigem Haar kaum wiederzuerkennen. Selten waren Hollywoodstars so erfrischend unvorteilhaft auf der Kinoleinwand zu sehen – das ist entweder komplett uneitel oder eine Bewerbung um den nächsten Oscar.

Originaltitel „Kajillionaire“
USA 2020
106 min
Regie Miranda July
Kinostart 22. Oktober 2020

alle Bilder © Universal Pictures Germany

THE BEACH HOUSE

Wenn sich der Zuschauer weder um die Handlung noch um die Charaktere schert, dann ist das keine glückliche Kombination. „The Beach House“ ist eine Super-Low-Budget-Produktion, die aussieht, als hätten sich ein paar Freunde übers Wochenende in einem Ferienhaus getroffen und spontan beschlossen, einen Horrorfilm zu drehen, ohne zu wissen, wie man so was macht.

Die „Geschichte“: Randall will mit seiner Highschoolfreundin Emily ein paar romantische Tage im Strandhaus seines Vaters verbringen. Dort treffen sie auf die Turners, Freunde von Randalls Vater. Die vier beschließen, einen gemütlichen Abend miteinander zu verbringen. Zum Essen gibts Austern und Haschisch-Schokolade. Später zieht dichter Nebel auf, Schleim tropft aus den Wasserhähnen und alle werden zu Zombies außer Emily, denn die mag keine Meeresfrüchte. Ende.

Die Infizierten können sich vor lauter Kotzattacken kaum von der Stelle bewegen – was ihre Bedrohlichkeit stark minimiert – und nach der endgültigen Zombifizierung werden ihre Augen ganz milchig. Warum außerdem überdimensionale Dumplings am Strand rumliegen und Emily sich einen langen Wurm aus dem Fuß zieht, bleibt ebenso unerklärt wie die Frage, weshalb dieser wirre Cocktail aus „Invasion of the Body Snatchers“, „The Fog“ und „Dawn of the Dead“ produziert wurde. Macht alles keinen Sinn.

Originaltitel „The Beach House“
USA 2019
88 min
Regie Jeffrey A. Brown
Kinostart 22. Oktober 2020

alle Bilder © koch films

I AM GRETA

Greta Thunberg Superstar. Ist es nun gutes oder unglückliches Timing, ausgerechnet in Corona-Zeiten eine Doku über die schwedische Umweltaktivistin in die Kinos zu bringen? Der Sieg über den Virus hat auf der Liste der zu lösenden Menschheitsprobleme den Top-Spot übernommen, Umweltschutz ist dabei ein wenig in Vergessenheit geraten. Eine filmische Gedächtnisauffrischung schadet also nicht.

„I am Greta“ erzählt die Geschichte eines Mädchens, das mit 15 Jahren anfängt, freitags einfach nicht mehr in die Schule zu gehen. Was als einsamer Protest vor dem schwedischen Parlament beginnt, weitet sich schon bald zu einer globalen Jugendbewegung aus. Wo immer Greta mittlerweile auftaucht, wird sie wie ein Rockstar gefeiert. Politiker schmücken sich mit ihrer Anwesenheit, sogar der Papst empfängt die junge Schwedin. Aber bringt all die Öffentlichkeit etwas? Hat sich die Menschheit tatsächlich geändert? Greta zweifelt und fragt immer wieder: Funktioniert mein Mikrofon? Hört ihr mich überhaupt?

Greta tapfer auf hoher See, Greta inniglich schmusend mit ihrem Pferd, Greta wütend auf dem UNO-Klimagipfel in New York – „How dare you!“ Die Macher wissen genau, was die Fans sehen und hören wollen. Gerade als man dem Film vorwerfen möchte, zu manipulativ zu sein, zu viel Starkult aufzubauen, kommen die Mit-Verursacher der zerstörten Umwelt zu Wort: Die Sympathieträger Trump und Bolsonaro, zwei mächtige Männer, die sich nicht entblöden, ein sechzehnjähriges Mädchen mit Asperger-Syndrom vor der Weltöffentlichkeit schlecht zu reden. Eine Erinnerung, dass der Kampf noch lange nicht gewonnen ist.

Originaltitel „I am Greta“
Schweden / Deutschland / USA / GB 2020
97 min
Regie Nathan Grossman
Kinostart 16. Oktober 2020

DER GEHEIME GARTEN

Niemand mag arrogante Klugscheißer. Das muss auch die 10-jährige Mary Lennox (Dixie Egerickx) erkennen. Obwohl sie gerade beide Eltern verloren hat, bringt kaum jemand Mitgefühl für die hochnäsige Waise auf. Ihr einziger Verwandter ist der trübsinnige Onkel Archibald (Colin Firth), der als Witwer mit seinem kränklichen Sohn ein düsteres Landgut in Yorkshire, England bewohnt. Um der gestrengen Aufsicht von Haushälterin Mrs. Medlock (Julie Walters) zu entfliehen, erkundet Mary die neblig-graue Moorlandschaft rund um das Anwesen auf eigene Faust. Dabei stößt sie zufällig auf einen verwunschenen „geheimen“ Garten. Gemeinsam mit ihrem Cousin und ihrem neugewonnen Freund Dickon entdeckt sie dort eine magische Welt, die nicht nur ihr eigenes Leben komplett verändert.

Das 1911 erschienene Buch „The Secret Garden“ von Frances Hodgson Burnett wurde schon unzählige Male verfilmt. Diese Version von Marc Munden ist eine interessante Mischung aus Hitchcocks Gothic-Horror-Klassiker „Rebecca“ und kunterbuntem Schlumpfhausen-Film geworden. Eine Mixtur mit ein paar Schwächen: Die zickige Mary nervt zu Beginn sehr und der jauchzende Geigen-Score hätte auch ein paar Gänge zurückschalten können. Aber visuell ist „Der geheime Garten“ ein Rausch, die farbenprächtigen Bilder wirken wie lebendig gewordene Gemälde. Besonders die prachtvoll üppigen Gartenszenen erwecken umgehend den Wunsch nach einer eigenen grünen Parzelle (schöner Traum).

FAZIT

Angenehm ernsthafter Kinderfilm um Verlust, Trauer und Magie. 

Originaltitel „The Secret Garden“
Großbritannien 2019
100 min
Regie Marc Munden
Kinostart 15. Oktober 2020

ES IST ZU DEINEM BESTEN

Alles zu deinem Besten, Liebes! Von Generation zu Generation meinen es die Eltern stets gut mit den Kindern, auch wenn die schon längst erwachsen sind. Die Väter Arthur, Kalle und Yus (gespielt von Heiner Lauterbach, Jürgen Vogel und Hilmi Sözer) bilden da keine Ausnahme. Ihre Töchter sind zwar keine kleinen Mädchen mehr, doch wenn der neue Freund so gar nicht den väterlichen Vorstellungen entspricht, ist Ärger vorprogrammiert. Als Klub der „Super-Schwäger“ planen die drei, die unliebsamen Schwiegersöhne in spe aus dem Weg zu räumen. Keine gute Idee, wie sich bald herausstellt.

Ja, der Film könnte auch „Väter der Klamotte“ heißen.

Ja, Trailer, Plakat und Inhaltsangabe lassen das Schlimmste vermuten.

Ja, der Film ist visuell so aufregend wie ein ZDF-Fernsehfilm.

Aber:

„Es ist zu deinem Besten“ ist tatsächlich lustig.

Und besonders Heiner Lauterbach beweist wieder mal (wie schon in „Enkel für Anfänger“), dass er einen ausgeprägten Sinn für trockenen Witz hat.

Die Vorlage liefert der spanische Erfolgsfilm „Es por tu bien“ – haben die Deutschen also alles wieder nur abgekupfert? Na und (bei Königin)? Warum sollte man Geschichten, die in anderen Ländern schon das Publikum ins Kino gezogen haben, nicht für den hiesigen Markt copy/pasten? Hat schon hervorragend und sehr erfolgreich bei „Das perfekte Geheimnis“ geklappt.

FAZIT

Eine Komödie ohne Aussage und tieferen Sinn, manchmal platt, aber oft sehr lustig.

Deutschland 2019
90 min
Regie Marc Rothemund
Kinostart 08. Oktober 2020

MILLA MEETS MOSES

Wenn eines Tages Außerirdische das kulturelle Erbe der Menschheit durchforsten, werden sie sich wundern, weshalb es so viele Bücher und Filme über sterbenskranke Teenager gibt. „Milla meets Moses“ ist der nächste Beitrag zum Thema „Jugend und Tod“.

Die 16-jährige Milla verliebt sich in den kleinen Drogendealer Moses. Ihren Eltern gefällt das zunächst gar nicht. Doch die seltsame Beziehung beschert dem schwerkranken Mädchen neue Lebensfreude. Als die Eltern merken, dass Moses ihrer Tochter sichtlich guttut, nehmen sie ihn trotz aller Bedenken bei sich auf. Durch den ungewöhnlichen Familienzuwachs werden sie unfreiwillig mit ihren eigenen Schwächen konfrontiert.

Die australische Regisseurin Shannon Murphy variiert das Thema mit einer neuen, erfrischenden Erzählweise. „Babyteeth“ (so der Originaltitel) ist ganz im Sinne des „modern cinemas“ spontan und authentisch inszeniert und damit weit entfernt von thematisch vergleichbaren Filmen, wie „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ oder der letzte Woche gestarteten deutschen Produktion „Gott, Du kannst ein Arsch sein“.

„Milla meets Moses“ schafft es, deprimierende Themen wie Krankheit, Sucht und psychische Probleme unkonventionell und unverkrampft anzusprechen. Die Regisseurin findet dafür einen leichten, einfühlsamen und humorvollen Ton. Guter Film – gute Schauspieler: Eliza Scanlen und Toby Wallace überzeugen als körperlich, beziehungsweise seelisch kaputte Teenager. Ganz fabelhaft auch Essie Davis und Ben Mendelsohn, die in ihren Rollen als Eltern zugleich neurotisch, gebrochen und komisch sind.

FAZIT

Unkitschige, berührende Coming-of-Age-Geschichte über das Sterben.

Originaltitel „Babyteeth“
Australien 2020
118 min
Regie Shannon Murphy
Kinostart 08. Oktober 2020

alle Bilder © X Verleih

JIM KNOPF UND DIE WILDE 13

Warum lassen sich die Romane von Michael Ende so schwer verfilmen? Bei „Die unendliche Geschichte“ konnte man die Enttäuschung über das Kitschfest noch auf die damals begrenzten tricktechnischen Möglichkeiten schieben. Doch die Zeiten ändern sich und „Jim Knopf und die wilde 13“ bietet Bild- und Soundeffekte auf hohem internationalem Niveau. Nicht nur der Wolkenflug durch das dreidimensionale Warner-Logo zu Beginn des Films erinnert an die Harry-Potter-Filme.

Nachdem Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer im ersten Teil den Drachen Frau Mahlzahn besiegt haben, sinnt die Piratenbande „Die wilde 13“ auf Rache. Mit ihren Dampfloks begeben sich die beiden Helden auf eine abenteuerliche Reise, auf der Jim endlich die Wahrheit über seine Herkunft herausfinden möchte. 

Lummerland 2020 – das ist natürlich Lichtjahre von der Augsburger Puppenkiste entfernt. Dank magischer CGI-Effekte entstehen die von Michael Ende erdachten Figuren und Länder ganz so, wie man das bei einem modernen Fantasyfilm erwartet. Doch genau in dieser Perfektion liegt das Problem: Bei Endes Romanen besteht der Hauptspaß darin, sich bei der Lektüre seine eigenen fantastischen Welten auszumalen. Filmgewordener Realismus würgt der Fantasie die Luft ab. Man hätte den Machern etwas mehr Mut zu Wes-Anderson-Schrägheit und etwas weniger Bestreben nach Hollywoodperfektion gewünscht.

Für junge Zuschauer ist der Film bestimmt ein großes Vergnügen, denn an visuellen Schauwerten und Spannung mangelt es nicht. Hauptsache, die Kleinen lesen vorher das Buch und haben so die Chance auf ihr eigenes Kopfkino.

Deutschland 2020
109 min
Regie Dennis Gansel
Kinostart 01. Oktober 2020

GOTT, DU KANNST EIN ARSCH SEIN

Alles schnafte: Steffi ist 16, hat einen schnuckligen Freund, will demnächst ihre Ausbildung bei der Polizei beginnen. Doch dann erfährt sie, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt ist und nur noch kurze Zeit zu leben hat. Bei solchen Nachrichten verschieben sich die Prioritäten. Eigentlich wollte sie auf der bevorstehenden Klassenfahrt nach Paris ihr erstes Mal erleben, aber die besorgten Eltern verbieten die Reise und drängen, besser gleich mit der Chemotherapie zu beginnen. Steffi weigert sich – die letzten Wochen ihres Lebens will sie selbst bestimmen und brennt kurzerhand mit dem coolen Zirkusjungen Steve durch. Bei ihrem tragikomischen Roadtrip nach Frankreich verlieben sich die beiden ineinander.

Boy meets girl, girl get’s sick, girl dies, boy is sad.
Keine neue Geschichte und seit „Love Story“ ein beliebtes Thema für Tearjerker-Filme. Der deutschen Produktion „Gott, Du kannst ein Arsch sein“ hätte es gutgetan, ein paar Kalendersprüche weniger ins Dialogbuch zu schreiben: „Der Weg ist das Ziel“ – wirklich? Ein seichter Mainstream-Pop-Soundtrack, der wie eine Dauerschleife aus dem Privatradio klingt, macht die Sache auch nicht erträglicher. Wenn dann noch Til Schweiger mitspielt, setzen instinktiv Fluchtreflexe ein. Ist so, kann man nix gegen machen. Auch Filme können ein Arsch sein.

Was die RTL-Produktion rettet, ist seine tolle weibliche Besetzung: Heike Makatsch als zwischen Trauer und Hoffnung hin- und her gerissener Mutter, Jasmin Gerat als herzenswarme Barfrau und vor allem Sinje Irslinger in der Hauptrolle – authentisch und mit jeder Menge Witz und Charme gibt sie dem Film die nötige Erdung und bewahrt „Gott, Du kannst ein Arsch sein“ davor, eine allzu glatte Teenie-Schmonzette zu werden.

Liest sich wie eine Bravo-Lovestory, doch Zynismus ist fehl am Platz: der Film basiert auf den Tagebucheinträgen der 15-jährigen Stefanie, die 296 Tage nach ihrer Krebs-Diagnose starb.

Deutschland 2020
97 min
Regie André Erkau
Kinostart 01. Oktober 2020

IN BERLIN WÄCHST KEIN ORANGENBAUM

Der krebskranke Nabil wird nach 15 Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Vor seinem Tod plant er noch, von seinem früheren Partner Ivo das Geld vom letzten Überfall zu kassieren. Damit will er wenigstens seiner Exfrau Cora eine Zukunftsperspektive bieten. Was er nicht weiß: Cora hat eine 17-jährige Tochter und Nabil ist der Vater. Um die verlorene Zeit aufzuholen, machen sich Vater und Tochter gemeinsam auf eine abenteuerliche Reise nach Berlin.

Kida Ramadan präsentiert mit „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ seine erste Regiearbeit. Der vor allem aus der Serie „4 Blocks“ bekannte Schauspieler hat dafür ein beeindruckendes Ensemble um sich versammelt. Eine weise Entscheidung, denn Ramadan selbst ist als Schauspieler nicht gerade ein Meister seines Fachs. Als „Type“ oft ein Gewinn in Nebenrollen, gelangt er als Hauptdarsteller schnell an seine mimischen Grenzen. Die aufgesagten Dialoge klingen immer ein wenig auswendig gelernt und Emotionen wie Wut, Freude, Ärger und Trauer werden von ihm mit ein und demselben Gesichtsausdruck gespielt. Regisseur Ramadan scheint sich dessen bewusst zu sein und hat deshalb dem Schauspieler Ramadan mit dem „European Shooting Star“ Emma Drogunova und der wie immer ausgezeichneten Anna Schudt zwei starke Frauen an die Seite gestellt. Die Nebenrollen sind mit Tom Schilling, Frederick Lau und Stipe Erceg prominent besetzt. 

FAZIT

Obwohl es im Drehbuch von konstruierten Zufällen und Unwahrscheinlichkeiten wimmelt, ist Ramadan immerhin ein atmosphärisch stimmiger kleiner Film geglückt.

Deutschland 2020
89 min
Regie Kida Ramadan
Kinostart 24. September 2020

PERSISCHSTUNDEN

1942, auf einer Waldlichtung in Belgien: SS-Leute zerren Dutzende Menschen von der Ladefläche eines Lastwagens und erschießen sie. Einzig der junge Belgier Gilles überlebt das Massaker, weil er behauptet, kein Jude, sondern Perser zu sein. Eine Notlüge, die sich als seine Rettung erweist: Hauptsturmführer Koch (Lars Eidinger) sucht gerade jemanden, der ihm Farsi beibringt, da er nach Kriegsende ein Restaurant im Iran eröffnen will.
Das Dumme ist nur: Gilles spricht absolut kein Wort Persisch. Kurzerhand erfindet er eine eigene Sprache und bringt Koch ein Fantasiekauderwelsch bei.

„Persischstunden“ ist zwar sehr unterhaltsam (darf man das über einen Holocaust-Film sagen?) aber auch unentschlossen. Soll es nun eine ironische Komödie oder ein emotionales Drama sein? Gegen die Vermischung von Genres ist nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil, hier aber ist die Balance unausgewogen. Der Humor bewegt sich teilweise auf Pennälerniveau und die Spannungsmomente wirken mitunter wie aus einer mittelmäßigen Nachmittags-Soap.

Nur konsequent, dass sich da auch Lars Eidinger nicht entscheiden kann, ob er die ganz große Bühnenperformance für die letzte Reihe liefern oder doch lieber mit leisen Tönen (die er ja durchaus beherrscht) überzeugen soll. Das beste an „Persischstunden“ ist sein Hauptdarsteller Nahuel Pérez Biscayart. Wie der die ängstliche, traurige und zugleich starke Figur des Gilles spielt, macht den Film sehenswert.

Dem Vergleich mit überlebensgroßen Holocaust-Dramen wie „Schindlers Liste“ oder „Das Leben ist schön“ kann „Persischstunden“ nicht standhalten. Die Bildsprache ist zu glatt, die Schauplätze wirken unpassend ästhetisch. Fast hat man den Eindruck, Kameramann Vladislav Opelyants hätte mehr Wert auf hübsche Bilder als auf Authentizität gelegt.

FAZIT

Klingt absurd, beruht aber auf einer wahren Geschichte.

Originaltitel „Persian Lessons“
Deutschland / Russland 2019
127 min
Regie Vadim Perelman
Kinostart 24. September 2020

DAVID COPPERFIELD – EINMAL REICHTUM UND ZURÜCK

Charles Dickens besaß ein überragendes Talent, die Ängste von Kindern in seinen Romanen anschaulich zu beschreiben. Das 600-Seiten-Werk „David Copperfield or The Personal History, Adventures, Experience and Observation of David Copperfield the Younger of Blunderstone Rookery (Which He Never Meant to Publish on Any Account)“, wie das Buch im Originaltitel heißt, ist neben „Oliver Twist“ sein bekanntester Roman. Die autobiografisch geprägte Geschichte vom verarmten Waisenkind, das zum gefeierten Schriftsteller im viktorianischen England aufsteigt, ist – typisch Dickens – angefüllt mit herrlich schrulligen Figuren. Regisseur Armando Iannucci hat für seine Neuverfilmung eine entsprechend beherzt aufspielende Besetzung versammelt: Als David Copperfield überzeugt der Oscar-nominierte Dev Patel („Slumdog Millionaire“), in Nebenrollen sind unter anderem Ben Whishaw als verschlagener Uriah Heep und Tilda Swinton als schön exzentrische Tante Betsey Trotwood zu sehen. Ein echter scene-stealer ist der immer brillante Hugh Laurie („Dr. House“) als Mrs. Trotwoods Untermieter.

Erwähnenswert ist die unbefangene Besetzung von klassisch weißen Rollen mit Schauspielern jeglicher Hautfarbe. Da haben blasse englische Kinder schwarze Eltern und der eigentlich weiße David wird von einem Inder gespielt. Das alles ist dem Film wunderbar gleichgültig – eine als Tatsache behauptete farbenblinde Multikulti-Welt. Man gewöhnt sich schnell an diesen Kunstgriff, den schon das Musical „Hamilton“ erfolgreich eingesetzt hat.

Das Drehbuch setzt auf Tempo und bisweilen schenkelklopfenden Humor. Eine schöne Idee ist das Spiel mit Handlungs- und Zeitebenen: So beobachtet der erwachsene David seine eigene Geburt und Kindheit, kommentiert immer wieder das Geschehen und schreibt, wenn es sein muss, Figuren auch mal aus der Geschichte, um ihre Abwesenheit zu erklären. Das sind nette Ideen, die den stellenweise etwas theaterhaften Film davor bewahren, allzu sehr ins komödienstadelhafte abzurutschen.

FAZIT

Farbenfrohe Neuverfilmung des unverwüstlichen Klassikers von 1850.

Originaltitel „The Personal History of David Copperfield“
116 min
Großbritannien / USA 2019
Regie Armando Iannucci
Kinostart 24. September

FUTUR DREI

Parvis, der Sohn iranischer Einwanderer, lebt am Nabel der Provinz: Hildesheim, Niedersachsen. Er verbummelt sein Leben zwischen Tanzen gehen, jobben und anonymen Grindr-Dates (dem Gay-Equivalent zu Tinder). Als er in einem Flüchtlingsheim Sozialstunden ableisten muss, verliebt er sich in Amon, der mit seiner Schwester aus dem Iran geflüchtet ist. Die drei verbindet bald eine intensive Freundschaft und Beziehung.

Faraz Shariat, Jahrgang 1994, erzählt in seinem Regiedebut „Futur Drei“ von Heimat und Ausgrenzung. Obwohl Parvis’ Familie seit vielen Jahren in Deutschland lebt, hat sie sich nie wirklich integriert. Parvis dagegen fühlt sich deutsch und nicht als Iraner – ein interessanter Zwiespalt. 

Die ersten zwei Drittel des Films sind spannend und geben einen unklischeeigen Einblick in das Leben des jungen Schwulen. Gegen Ende hat der Regisseur beschlossen, dass es „künstlerisch“ werden muss. Die eher wahllos eingestreuten Vignetten hätten für sich genommen ambitionierte Kurzfilme ergeben, doch das zu gewollt Experimentelle fügt sich nicht in die bis dahin präzise und geradlinige Erzählung.

FAZIT

4 Sterne für die Story plus 2 Sterne für die künstlerische Ambition, geteilt durch zwei  = 3 Sterne für „Futur Drei“. No pun intended.

Deutschland 2020
92 min
Regie Faraz Shariat
Kinostart 24. September 2020

THE OUTPOST – ÜBERLEBEN IST ALLES

„The Outpost“ basiert auf dem gleichnamigen Buch des CNN-Reporters Jake Tapper und beschreibt die „Schlacht von Kamdesh“, die als eine der blutigsten Auseinandersetzungen im Afghanistan-Krieg gilt. 

Der entlegene Außenposten einer amerikanischen Militäreinheit in Afghanistan – eingekesselt, komplett von Bergen umgeben. Heckenschützen und Granaten stellen eine ständige Gefahr für die stationierten US-Soldaten dar. Keine gute Ausgangsposition. „Es wird nicht besser“, hat einer an die Wand neben seinem Feldbett geschrieben – Den Männern ist die Sinnlosigkeit ihres Auftrags schmerzlich bewusst. Trotz der Versuche, den Einheimischen Hilfe beim Wiederaufbau ihrer Gemeinde anzubieten, kommt es regelmäßig zu Scharfschützen-Angriffen der Taliban. Eines Tages eskaliert die Situation.

„The Outpost“ stellt den Wahnsinn einer komplett überflüssigen Militär-Mission bloß. Das ist teilweise erschütternd – ziemlich genau so muss es im realen Krieg zugehen – aber natürlich auch US-typische Heldenverehrung, weshalb es vor allem zum Ende reichlich Pathos gibt.

Die Besetzung ist gut, dass Orlando Bloom mitspielt, realisiert man erst beim Abspann: Wie das mit kurz geschorenen Köpfen so ist – man kann sie nur schwer auseinanderhalten. Hinzu kommt, dass den ähnlich aussehenden Charakteren vom Drehbuch nicht allzu viel Hintergrundgeschichte mitgegeben wird. Dabei wäre es ja durchaus hilfreich, wenn man die Figuren etwas besser kennenlernen würde, bevor sie alle niedergeschossen werden.

FAZIT

Gar nicht so schlecht, reicht aber nicht an die Qualität von modernen Kriegsfilm-Klassikern wie „American Sniper“ heran.

Originaltitel „The Outpost“
USA 2020
119 min
Regie Rod Lurie
Kinostart 17. September 2020

LOVE SARAH – LIEBE IST DIE WICHTIGSTE ZUTAT

Enie van de Meiklokjes (?) lädt fast täglich zum großen Backen auf Sat 1, da war es nur eine Frage der Zeit, bis sich der erste Kinofilm des Themas annimmt.

Sarah verunglückt tödlich mit dem Fahrrad. Sie hinterlässt ihrer 19-jährigen Tochter Clarissa einen unfertigen Laden in Notting Hill, in dem sie eigentlich eine Bäckerei aufmachen wollte. Um diesen Traum posthum zu verwirklichen, verbündet sich Clarissa mit ihrer Oma Mimi und der besten Freundin ihrer Mutter, Isabella – drei Frauen, drei Generationen. Gemeinsam planen sie eine  Konfiserie/Konditorei zu eröffnen, wie es sie seit dem Café Steinmetz nicht mehr gegeben hat!

Eine nette Idee, doch leider geht „Love Sarah“ nicht auf. Vielleicht war’s zu wenig Hefe, zu viel Salz oder nicht ausreichend Liebe beim Anrichten: der Film scheitert auf mehr Ebenen, als ein Mille-feuille Blätterteigschichten hat. Die Erzählung quält sich wie ein Knethaken durch zähen Teig, jede Wendung bleibt vorhersehbar, Humor und Charme sind so rar wie gute Brötchen in Berlin.

Nicht einmal für einen gescheiten Food-Porn hat es gereicht. Die eigentlich sinnliche Herstellung der Torten wird lieblos abgehandelt, da hat schon der Vorspann der Netflix-Serie „Chef’s Table“ mehr Sexappeal. Immer wieder dazwischen geschnittene Bilder von Teilchen auf Kuchentabletts sind ungefähr so aufregend wie das Durchswipen eines Instagram-Accounts zum Thema „Backen“.

FAZIT

Schlechter Film mit guten Schauspielern und hübschem Notting-Hill-Setting.

Originaltitel „Love Sarah“
GB / Deutschland 2020
98 min
Regie Eliza Schroeder
Kinostart 10. September 2020

THE PHOTOGRAPH

„The Photograph“ erzählt von Mae (Issa Rae), Tochter der berühmten Fotografin Christina Eames (Chanté Adams), die sich auf Spurensuche in die Jugendzeit ihrer plötzlich verstorbenen Mutter begibt. Bei ihrer Recherche lernt sie den Journalisten Michael (LaKeith Stanfield) kennen, der gerade an einer Story über Christina arbeitet.

Schöne Menschen in schöner Umgebung. Die Kostüme erlesen, die Wohnungen großzügig und schick, die Autos stets frisch geputzt: „The Photograph“ ist wenigstens hübsch anzuschauen. Das war’s aber auch schon. Wer jemals das Vergnügen hatte, Issa Rae in ihrer preisgekrönten HBO-Dramedy-Serie „Insecure“ zu sehen, den lässt ihr neuer Film unterkühlt zurück. Bei der Auswahl ihrer Kinorollen beweist die Schauspielerin bislang wenig Fortune. „The Lovebirds“ (Die Turteltauben) war albern und doof, „Little“ hatte einer ausgelutschten Idee nicht viel Neues zuzufügen (ein Erwachsener, der über Nacht zum Kind wird – das hat Tom Hanks 1988 schon viel besser gemacht). In „The Photograph“ ist das sonst so lebhafte und über-charmante Multitalent nur ein Schatten ihrer selbst, wirkt wie ausgeknipst. Fast meint man, die Regieanweisung „Weniger! Noch weniger!“ aus dem Hintergrund zu hören. Sediert steht Issa nicht.

Regisseurin und Drehbuchautorin Stella Meghie orientiert sich in Struktur und Inhalt stark an Clint Eastwoods Melodrama „The Bridges of Madison County“, ohne freilich jemals dessen Tiefe und emotionale Wucht zu erreichen. „The Photograph“ plätschert so dahin. Von einem Jazz-Soundtrack begleitet, wechseln sich ein paar berührende mit vielen banalen Szenen ab. Der Film verfällt dabei immer wieder in genretypische Klischees. Zu erwartbar verläuft die Parallelgeschichte von der freiheitshungrigen Mutter in den 1980er-Jahren und der sinnsuchenden Tochter im Heute.

FAZIT

Im Gegensatz zu „The Bridges of Madison County“ muss man (leider) kein Taschentuch mit ins Kino nehmen.

Originaltitel „The Photograph“
USA 2020
106 min
Regie Stella Meghie
Kinostart 10. September 2020

FAKING BULLSHIT

Die Polizeistation einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen soll mangels nicht vorhandener Kriminalität wegrationalisiert werden. Also faken die Polizisten kurzerhand selbst Straftaten, um so ihre Existenz zu rechtfertigen. Gute, aber illegale Idee.

Regisseur Alexander Schubert dürfte den meisten als Mitglied der ZDF-Comedy-Serien „Heute-Show“ und „Sketch History“ bekannt sein. Mit seinem Regiedebüt „Faking Bullshit“ liefert er nun eine unterhaltsame, oft schwarzhumorige Komödie ab. Ein etwas unperfekter, teils holprig gemachter Film, aber das Timing sitzt und die Gags zünden größtenteils. Die erfrischend unbekannten (bis auf Tatortreiniger Bjarne Mädel) Schauspieler halten die Waage zwischen trockenem Witz und Albernheiten.

Einziger Kritikpunkt: Size matters. Oder in diesem Fall besser: Length matters. „Faking Bullshit“ wäre ein noch besserer 60-Minuten-Film geworden; auf über 100 Minuten trägt die Geschichte nicht und ein bemühter Handlungsstrang um geraubte Gemälde macht die zweite Hälfte zäh. 

FAZIT

Ganz charmante Komödie mit guter Besetzung.

Deutschland 2020
105 min
Regie Alexander Schubert
Kinostart 10. September 2020

MULAN

Disney hat sich entschlossen, den potenziellen US-Sommerblockbuster „Mulan“ nicht im Kino, sondern auf seiner Streaming-Plattform Disney+ anzubieten: Zuschauer können sich für knapp 22 €  (zusätzlich zum Abo-Preis) den Film mieten. Dieser kann dann so oft abgespielt werden, wie das Disney+ Abo läuft. Wahrlich kein Schnäppchen. Der Mäusekonzern argumentiert, ein Kinobesuch mit Eltern und zwei Kindern sei weitaus teurer. Stimmt, besonders wenn die Blagen literweise Cola und mehrere Eimer Popcorn verfuttern.

Wer das Original nie gesehen hat, hier noch mal kurz die Geschichte: Mulan Hua, die Tochter eines hochdekorierten Soldaten, beschließt anstelle ihres kranken Vaters dem Einberufungsbefehl des Kaisers zu folgen. Das junge Mädchen gibt sich in Männerverkleidung als Jun Hua aus und muss sich einer strengen Ausbildung unterziehen. Beim Kampf gegen eine böse Hexe lernt sie, auf ihre innere Stärke zu vertrauen und entdeckt dabei ihr wahres Potenzial. 

Die Neuverfilmung hat  jede Menge Augenfutter zu bieten – kein Wunder bei 200 Millionen Dollar Budget. Doch all die bunten Kostüme und die zahlreichen Slowmotion-Kämpfe in grandioser Naturkulisse können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Charaktere zweidimensionaler als ein Blatt Papier sind. Die Augen sind erfreut, doch das Herz bleibt kalt.

Wie steht’s mit Girl power für Fortgeschrittene? Das wäre ja mal was gewesen, wenn die tapfere Kriegerin am Ende, auf alle Konventionen pfeifend, alleine in den Sonnenuntergang geritten wäre. Doch ganz so weit will Disney nicht gehen: Ein echtes Happy End kann es nur dann geben, wenn die Männer – in diesem Fall der Kaiser und der eigene Vater – Mulan ihre vermeintlichen Fehler verzeihen und Absolution erteilen. Dann wird’s auch was mit dem Herzbuben.

„Mulan“ gesellt sich zu den vielen unterwältigenden Realverfilmungen, die Disney von seinen Zeichentrick-Klassikern in den letzten Jahren ins Kino gebracht hat. Braucht man die? Nein. Aber es lässt sich viel Geld damit verdienen und jede Generation soll ihre eigene Version…bla, bla, bla. Wenigstens singt keiner.

FAZIT

Besser als Aladdin.

Originaltitel „Mulan“
USA 2020
115 min
Regie Niki Caro
Streaming bei Disney+ für 21,99 € ab dem 04. September 2020

NINA WU

Die Schauspielerin Nina Wu musste sich bisher mit Werbespots und Kurzfilmen über Wasser halten. Nun wird ihr die Hauptrolle in einem Agententhriller angeboten, doch das Drehbuch verlangt explizite Nacktszenen. Während des Drehs wird Nina immer wieder von ihrem Regisseur vor versammelter Crew erniedrigt und sogar physisch misshandelt. Die Demütigungen hinterlassen tiefe Spuren, als auch noch familiäre Probleme dazukommen, hat sie zunehmend Schwierigkeiten, Realität und paranoide Fantasien auseinanderzuhalten.

„Sie nehmen mir nicht nur meinen Körper. Sie nehmen mir auch die Seele“ – diese Dialogzeilen aus dem fiktiven Film im Film sind als klares #metoo-Statement gegen das System des Machtmissbrauchs im realen Filmbusiness zu verstehen. Hauptdarstellerin und Drehbuchautorin Wu Ke-Xi bezieht sich dabei auf persönliche Erfahrungen, die sie zu Beginn ihrer Karriere erleiden musste. 

Regisseur Midi Z outet sich mit seinem Cannes-2019-Beitrag als großer David-Lynch-Fan. Wie der US-amerikanische Regisseur erzeugt er durch Musik und Bildgestaltung eine Atmosphäre der steten Beklemmung und unterschwelligen Bedrohung. Zum Glück öffnet sich die westliche Welt zunehmend dem asiatischen Filmmarkt, denn auch dieser vom österreichischen Kameramann Florian Zinke grandios fotografierte taiwanesische Film lohnt den Kinobesuch.

FAZIT

Stylisher Psycho-Thriller, vom Weinstein-Skandal inspiriert.

Originaltitel „Zhuo Ren Mi Mi“
Mandarin mit deutschen Untertiteln
Taiwan / Malaysia / Myanmar 2019
103 min
Regie Midi Z
Kinostart 03. September 2020

TENET

Christopher Nolan ist einer der wenigen modernen Regisseure, der – abgesehen von seiner Batman-Trilogie – keine Franchise-Filme produziert, sondern verschiedenste Genres neu interpretiert und damit oft einzigartige Kinoerlebnisse kreiert. So entsteht im besten Fall intelligentes Überwältigungskino, das (neudeutsch) einen Brainfuck auszulösen vermag.

Das Thema „Zeit“ fasziniert Nolan dabei schon seit seinem frühen Erfolg „Memento“. In späteren Werken wie „Inception“ und „Interstellar“ spielt er immer wieder mit temporären Anomalien. Selbst „Dunkirk“, auf den ersten Blick ein straighter Kriegsfilm, entpuppt sich als Kunstwerk der Verschachtelung: Die gleiche Geschichte wird in drei parallelen Zeitsträngen erzählt: als eine Woche auf dem Land, als ein Tag auf der See und zu einer Stunde komprimiert in der Luft.

Der britische Regisseur gilt als einer der größten Geheimniskrämer der Filmgeschichte. So viel Getue um den Inhalt gab es zuletzt bei Trumps Steuererklärung. Wenn das Geheimnis Teil des Events ist, darf man dann überhaupt etwas über die Story verraten? Ja, denn die versteht man bei „Tenet“ ohnehin nicht. Ein Geheimagent (John David Washington) soll die Menschheit vor dem Untergang bewahren. In bester James-Bond-Manier jagt er einen russischen Bösewicht (Kenneth Branagh), der einen Weg gefunden hat, die Zeit zu manipulieren. Play – Pause – Rewind. Die erzählte Geschichte läuft ab einem gewissen Punkt gleichzeitig vorwärts und rückwärts ab. Zeit-Inversion nennt sich das. Nette Idee, doch Nolan wäre nicht Nolan, wenn er die Sache nicht noch verkomplizieren würde. Um das alles halbwegs zu erklären, wird unendlich viel geredet. Dazwischen überschlagen sich Autos rückwärts und Kugeln fliegen in Waffen zurück.

150 Minuten lang visuellen und akustischen Lärm auf höchstem Niveau zu veranstalten und dabei zu langweilen, auch das ist eine Kunst. „Tenet“ ist laut und geschwätzig. Das Gimmick, vor- und rückwärts laufende Szenen miteinander zu kombinieren, hat sich schnell verbraucht. Der Geschichte zu folgen, ist nahezu unmöglich, Mitgefühl mit den Figuren und damit Spannung kann da erst gar nicht aufkommen.

FAZIT

Gut aussehendes Science-Fiction-Drama, das sich möglicherweise nach wiederholtem Anschauen auch inhaltlich erschließt. Lässt kalt.

Originaltitel „Tenet“
USA 2020
150 min
Regie Christopher Nolan
Kinostart 26. August 2020