21 BRIDGES

Als in New York bei einem Raubüberfall acht Polizisten erschossen werden, übernimmt Police Detective Andre Davis (Chadwick Boseman) die Ermittlungen. Um die flüchtenden Mörder aufzuhalten, greift er zu einer außergewöhnlichen Maßnahme: Alle Zugänge, inklusive der 21 Brücken von und nach Manhattan werden gesperrt. 

„21 Bridges“ ist ein Film der vertanen Chancen. Wer ein „isoliertes Manhattan“-Szenario im Stil von John Carpenters „Die Klapperschlange“ erwartet, sieht sich enttäuscht. Für die Geschichte ist es völlig egal, ob die Insel abgeschottet wird oder nicht, jedenfalls macht der Film rein gar nichts aus seiner Idee. Unsinnige Drehbucheinfälle gibt es zuhauf. So zieht sich beispielsweise einer der Mörder während der Flucht um, rasiert sich den Bart ab und setzt eine Brille auf – er will sein mittlerweile stadtbekanntes Aussehen verändern – um nur eine Minute später durch besonders auffälliges Verhalten den ganzen Aufwand zunichtezumachen. Da fragt man sich: wozu?

Mit Milde betrachtet, ist „21 Bridges“ aber gar nicht so übel, wie die US-Kritik behauptet. Es wimmelt zwar von konstruierten Wendungen und Zufällen, doch lässt man das ganze im Nichts verpuffende Blendwerk weg, bleibt ein solider, durchaus spannender Police-Thriller.

FAZIT

Trotz des lieblos hingeschluderten Drehbuchs: actionreiche Unterhaltungsware.

Originaltitel „21 Bridges“
USA 2019
100 min
Regie Brian Kirk
Kinostart 06. Februar 2020

ENKEL FÜR ANFÄNGER

Titel, Plakat und Besetzung lassen Schlimmes vermuten, aber falsch gelegen: Nach „Das perfekte Geheimnis“ startet mit „Enkel für Anfänger“ schon wieder eine gelungene deutsche Komödie in den Kinos. Auf nichts ist mehr Verlass. 

Sie hat einen alten Griesgram zu Hause sitzen, ihm ist der Lebensgefährte vor ein paar Jahren weggestorben. Die befreundeten Rentner Karin (Maren Kroymann) und Gerhard (Heiner Lauterbach) langweilen sich. Auftritt Philippa (Barbara Sukowa): Die quirlige Hippie Frau überredet die beiden, Jobs als Leihoma und Leihopa anzunehmen. Das führt Anfangs zu Turbulenzen, bald aber zu der Einsicht, dass das Alter noch Überraschungen bereithalten kann.

„Enkel für Anfänger“ ist zwar ziemlich harmlose Kost, punktet aber mit einer durchweg komischen Geschichte und macht sich ausgiebig über Helikoptereltern und eingerostetes Rentnerdasein lustig. Dialoge und Timing sitzen, nicht selbstverständlich für eine deutsche Komödie. Dass aus dem Stoff keine alberne Klamotte geworden ist, verdankt der Film in erster Linie seiner Besetzung. Maren Kroymann, Barbara Sukowa und vor allem Heiner Lauterbach glänzen mit pointiertem, nuancierten Spiel.

FAZIT

Alte Profis, neu entdeckt in einer stimmigen Familienkomödie.

Deutschland 2020
104 min
Regie Wolfgang Groos
Kinostart 06. Februar 2020

LITTLE WOMEN

Wer Kostümschinken hasst, der kann sich „Little Women“ sparen. Für alle anderen ist Greta Gerwigs Film ein Muss. In ihrer erfrischenden Neu-Interpretation des Romans von Louisa May Alcott wechselt die Regisseurin virtuos zwischen verschiedenen Zeitebenen und verknüpft dabei elegant allerlei Handlungsstränge miteinander. Wie bei ihrem Vorgängerfilm „Lady Bird“ geht es auch hier um weibliches Selbstverständnis, die Wahl zwischen traditionellem oder selbstbestimmten Lebensentwurf. Dass daraus kein nerviges Emanzipations-Lehrstück, sondern ein kurzweiliges feel-good-movie geworden ist, ist der große Verdienst der Regisseurin und ihrer Darsteller. 

Reifröcke, Pferdekutschen und Herrenhäuser – es ist alles dabei. Die Erzählung von den vier March-Schwestern, die zusammen mit ihrem vermögenden Nachbarn Theodore ihren Weg ins Erwachsenenleben suchen, hätte auch leicht zu einer Schmonzette geraten können. Doch Greta Gerwig versteht es, die zeitlose Coming-of-age-Geschichte angenehm unkitschig zu inszenieren. Dem zuzusehen, ist ein großes Vergnügen. Dazu glänzt „Little Women“ mit einem beeindruckenden Ensemble: Saoirse Ronan, Emma Watson, Laura Dern, Meryl Streep und Timothée Chalamet. Ein echter Scene Stealer ist Florence Pugh, die schon letztes Jahr in „Midsommar“ positiv aufgefallen ist.  

FAZIT

Unterhaltsame Geschichte, interessante Figuren und kluger Humor. Empfehlenswert.

Originaltitel „Little Women“
USA 2019
134 min
Regie Greta Gerwig
Kinostart 30. Januar 2020

DAS GEHEIME LEBEN DER BÄUME

Literaturkritiker Denis Scheck sagt über das gleichnamige, 2015 erschienene Buch: „Ein (…) unprätentiöses Sachbuch, das daran erinnert, warum es kein besseres Medium für den Transfer von Wissen gibt als das Buch.“

Da ist was dran. Ein Dokumentarfilm zum Thema Bäume schadet zwar auch nicht, fraglich allerdings, ob man sich diesen hier im Kino ansehen muss. 

Regisseur Jörg Adolph handelt die einzelnen Kapitel des Bestsellers uninspiriert ab und findet dabei weder eine stringente noch besonders aufregende Bildsprache für sein eigentlich interessantes Sujet. Die 96 Minuten sind mit ein paar Zeitrafferaufnahmen, elegischer Musik und sehr, sehr viel Peter Wohlleben gefüllt. Der Autor ist zwar eloquent und unterhaltsam, doch das Best-of all seiner Talkshowauftritte, Vorträge und Interviews trägt zur Vertiefung des Themas wenig bei. Hauptanliegen scheint eher Peter Wohllebens Vermarktung als das Wohl des Waldes zu sein. 

FAZIT

Wie so oft: Lieber das Buch lesen. Oder gleich festes Schuhwerk und Regenjacke anziehen und einen Waldspaziergang machen.

Deutschland 2020
96 min
Regie Jörg Adolph
Kinostart 23. Januar 2020

JOJO RABBIT

Irgendwo in einem bayerischen Phantasiedorf, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs: Die Welt des 10-jährigen Mini-Nazis Jojo wird auf den Kopf gestellt, als er entdeckt, dass seine Mutter ein jüdisches Mädchen im Haus versteckt hält. Mithilfe seines imaginären Freundes Adolf Hitler muss sich Jojo seinem blinden Nationalismus stellen.

Satire oder Drama? „Jojo Rabbit“ bleibt bis zum Schluss unentschieden. Für beides reicht es nicht so recht, der Film hat weder genug Tiefe, um wirklich zu berühren, noch ist er – bis auf ein paar Szenen – besonders lustig. Schauspielerisch gibt’s nichts auszusetzen: Sam Rockwell, Rebel Wilson und Stephen Merchant glänzen in Nebenrollen, Roman Griffin Davis als Jojo ist eine Entdeckung und Scarlett Johansson war lange nicht so gut wie in diesem Film. Regisseur Waititi in der Rolle des durchgedrehten Führers ist anfangs noch ganz spaßig, doch nach ein paar Auftritten zu viel nervt der clowneske Gröfaz. 

Hätte sich Wes Anderson des Stoffes angenommen, wäre daraus vielleicht ein richtig schräger, besserer Film geworden. So aber bleibt die Geschichte vom fanatischen Jungen, durch dessen Augen der Zuschauer den Zweiten Weltkrieg erlebt, gut gemeint, doch letztendlich enttäuschend.

FAZIT

Nach all dem Hype: ein herzliches „geht so“.

Originaltitel „Jojo Rabbit“
USA 2019
108 min
Regie Taika Waititi
Kinostart 23. Januar 2020

THE GRUDGE

So fängt das Kinojahr schon gleich ungut an: „The Grudge“ hat es geschafft, beim Bewertungsportal CinemaScore das selten vergebene „F“ zu erlangen. Schlechter geht’s nicht.

„The Grudge“ 2020 ist bereits die dritte Fortsetzung der amerikanischen Neuauflage des japanischen Originals „Ju-On“ von 2002. Wieder geht es um böse Geister, die sich in Häusern samt deren Bewohnern einnisten. Eine junge Mutter schleppt einen solchen Geist unwissentlich von Japan in die USA ein. Bald darauf tötet sie ihre Familie und sich selbst. Detective Muldoon versucht, den brutalen Familienmord aufzuklären. Im Rahmen ihrer Ermittlungen vor Ort betritt sie das verfluchte Haus und wird bald selbst von den Geistern verfolgt. Soweit, so unoriginell.

Regisseur Pesce bemüht sich, seine Geisterbahnfahrt durch verschachtelte Handlungs- und Zeitebenen mit ein wenig Bedeutung und Tiefe aufzuladen. Auch lobenswert: Statt perfekter CGI setzt der Filmemacher auf analoge Effekte. Viel geholfen hat die Mühe jedoch nicht. Der „Spukhaus“- und „Rache aus dem Totenreich“-Geschichte lässt sich als Nichtkenner der Filmserie nur schwer folgen. Da erlahmen das Interesse und die Sorge um die Figuren schnell. Und richtiger Horror will sich auch nicht einstellen: Die immer gleichen Jump-Scares, in denen entstellte Leichen und Geister urplötzlich aus dem Dunkel auftauchen, haben sich rasch abgeschliffen.

FAZIT

Hat ein paar gelungene Momente – alles in allem aber eher fade Gruselkost.

Originaltitel „The Grudge“
USA 2020
93 min
Regie Nicolas Pesce
Kinostart 09. Januar 2020

LITTLE JOE – GLÜCK IST EIN GESCHÄFT

Biogenetikerin Alice hat eine Wunderblume entwickelt. Die verlangt im Gegensatz zu anderen, pflegeleichteren Neuzüchtungen sehr viel Zuwendung, regelmäßiges Gießen und liebevolle Anrede. Als Belohnung für die Mühe versprüht sie einen glücklich machenden Duftstoff. Soweit die Theorie. Doch je weiter die geheimnisvolle Blume wächst, desto mehr verändern sich die Menschen in Alices Umfeld. Ihr Verdacht erhärtet sich, dass ihre Schöpfung womöglich nicht so harmlos und glücksverheißend ist, wie ursprünglich geplant.

Achtung, die Doppelgänger kommen! Im Sci-Fi-Klassiker „Invasion of the Body Snatchers“ übernehmen außerirdische Samenkapseln die Körper der Menschheit und machen aus ihnen empathielose, gleichgeschaltete Hüllen. „Little Joe“ erzählt eine ähnliche Geschichte, nur verlangsamt und ohne Aliens.

Interessant ist vor allem die Machart des Films: Rot, weiß und mintgrün sind vorherrschende Farben, das zieht sich von der Blume über die Laborkittel bis zur Haarfarbe der Hauptfigur durch. Das abstrakte Farbkonzept unterstützt den märchenhaften Aspekt der Geschichte. Die Bildführung passt sich dem zwanghaften Verhalten der Figuren an: Mehrfach fährt die Kamera bei Dialogszenen stoisch an den Protagonisten vorbei ins Nichts. Anstelle von Musik kommt ein nerviger, hochfrequenter Ton zum Einsatz. 

Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner liefert mit ihrem ersten englischsprachigen Film ein irritierendes, oft beklemmendes Genrestück ab, das zeitweise an eine etwas zu lang geratene Folge der Netflix-Serie „Black Mirror“ erinnert.

FAZIT

Ungewöhnlicher Mysterythriller, mit Emily Beecham und Ben Whishaw ausgezeichnet besetzt.

Originaltitel „Little Joe“
Österreich 2019
105 min
Regie Jessica Hausner
Kinostart 09. Januar 2020

3 ENGEL FÜR CHARLIE

Was haben der neue „3 Engel für Charlie“-Film und ein Kropf gemeinsam? Genau.

Die dümmliche Geschichte um eine elektronische Handgranate im Applestyle sieht wie die zu lang geratene Folge einer mittelmäßigen Fernsehserie aus. Vielleicht ist das als Referenz ans Original aus den 70er-Jahren gedacht, aber ins Kino lockt man damit kaum jemanden. 
Die 3 Engel Dylan (Kristen Stewart – zeitgeistgerecht ein bisschen lesbisch), Natalie (Naomi Scott) und Alex (Ella Balinska) sind Teil der Charles Townsend Agency. Die Ermittlerinnen beschränken sich in globalisierten Zeiten schon längst nicht mehr aufs heimische Kalifornien, sondern sind nun in internationalen Gefilden unterwegs. Wirre Pseudo-007-Drehbuchidee: Diverse Engel-Teams, die von verschiedenen „Bosleys“ geleitet werden, übernehmen weltweit Spionagejobs.

Für wen wurde dieser Film gemacht? Sollen junge Mädchen das als feministisches Statement missverstehen? Wenn Feminismus bedeutet, dass alle Männer scheiße und Frauen cool und schlagfertig sind, dann bitte schön. Natürlich stehen die emanzipierten Mädels trotzdem total auf Klamotten, am liebsten was Glitzerndes. Seltsam, wenn erwachsene Frauen unentwegt Girl-Power-Klischees von sich geben und dabei in erster Linie perfekt gestylt und gut aussehend sein wollen. So löst dann auch die Entdeckung, dass es im Headquarter der Townsend Agency mehr als EINEN begehbaren Kleiderschrank gibt, multiple Orgasmen aus.

FAZIT

Albern, doof und schlecht gemacht – trotzdem auf trashige Art unterhaltsam.

Originaltitel „Charlie’s Angels“
USA 2019
118 min
Regie Elizabeth Banks
Kinostart 02. Januar 2020

ALS HITLER DAS ROSA KANINCHEN STAHL

Die fleißigste Regisseurin Deutschlands hat schon wieder eine Autobiografie verfilmt: Diesmal Judith Kerrs Kindheitserinnerungen „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. Damit kommt nur ein Jahr nach „Der Junge muss an die frische Luft“ der nächste Film von Caroline Link zu Weihnachten in die Kinos.

Die neunjährige Anna Kemper muss 1933 mit ihrer Familie nach Zürich fliehen. Ihr Vater, ein berühmter Theaterkritiker (Oliver Masucci), ist der neuen nationalsozialistischen Regierung zu kritisch und als Jude ohnehin nicht mehr geduldet. Anna lässt in ihrer Heimatstadt Berlin alles zurück, auch ihr geliebtes rosa Stoffkaninchen. In der Fremde wartet ein neues Leben voller Herausforderungen auf die Familie.

Für Ausstattung und Besetzung hat die Regisseurin ein gewohnt gutes Händchen. Der Zeitkolorit Anfang der 30er Jahre in Berlin, der Schweiz und Paris ist gut eingefangen und vor allem die jungen Darsteller Riva Krymalowski und Marinus Hohmann als Geschwister Anna und Max machen ihre Sache ganz ausgezeichnet. 

Wieder liefert eine komplizierte Familiengeschichte die Vorlage. Caroline Link versucht mit viel Sinn für Tragik und Humor, die episodischen Geschehnisse einer Kindheit authentisch und wahrhaft zu inszenieren. In den Schweizer Bergen mit den pumperlgesunden, rotbackigen Einwohnern droht der Film allerdings in Heimatkitsch abzurutschen. Kamerafrau Bella Haben versucht, dem mit schnellen Zooms und Jumpcuts entgegenzuwirken, doch die moderne Bildsprache wirkt bemüht und stört den Erzählfluss. Das Drehbuch hangelt sich zu sehr an den Stationen der Flucht entlang. Trotz des echten Horrors des Naziregimes wird eine wirkliche Gefahr im Film immer nur behauptet und aus zweiter Hand berichtet. Es mag an der FSK-Freigabe von „0“ liegen, „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ bleibt zu oberflächlich und wirkt trotz seiner lobenswert kurzen Laufzeit von nur 90 Minuten zäh und langatmig.

FAZIT

Ganz okay. Der nächste große Wurf ist Caroline Link nicht gelungen.

Deutschland / Schweiz 2019
90 min
Regie Caroline Link
Kinostart 25. Dezember 2019

EINSAM ZWEISAM

In Paris, nur wenige Schritte voneinander entfernt, leben die beiden Mittdreißiger Rémy (François Civil) und Mélanie (Ana Girardot) Tür an Tür, ohne etwas davon zu ahnen. Die zwei wären eigentlich das perfekte Paar, denn sie werden von ganz ähnlichen Problemen gequält: Er findet nachts keine Ruhe, sie ist immer müde. Gestörter Schlafrhythmus ist zwar zentrales Thema, doch zugleich nebensächlich – im Kern geht es in „Einsam Zweisam“ um zwei gebrochene, unglückliche Menschen und deren Versuch, ins Leben zurückzukehren.

Regisseur Cédric Klapisch („L’auberge espagnole“) erzählt in seinem liebenswert unaufgeregten Beziehungsdrama von unerfüllter Sehnsucht im Zeitalter der sozialen Medien. Die Wege von Rémy und Mélanie kreuzen sich im Laufe der Geschichte immer wieder – doch nichts geschieht. Einmal sitzen sie sogar ahnungslos in der U-Bahn direkt nebeneinander. Da möchte man fast eingreifen und dem Glück endlich auf die Sprünge helfen. Aber Klapisch hat keine Eile, nimmt sich viel Zeit, seine Charaktere auszuloten. Selbst in der Stadt der Liebe und im Zeitalter der unbegrenzten digitalen Möglichkeiten führt am Ende doch der Zufall zum Happy End.

FAZIT

„Einsam Zweisam“ ist ein melancholischer, entschleunigter Film mit zwei hervorragenden Hauptdarstellern.

Originaltitel „Deux Moi“
Frankreich / Belgien 2019
110 min
Regie Cédric Klapisch
Kinostart 19. Dezember 2019

THE FAREWELL

Oma liegt im Sterben und so versammelt sich die gesamte Familie noch mal zum Abschiednehmen in China. Die Todkranke soll nichts von ihrem baldigen Ableben erfahren, deshalb bekommt sie eine Lüge aufgetischt: Als Grund für das Familientreffen wird die hastig organisierte Hochzeit des Enkelsohns vorgeschoben. Eine schwierige Situation, vor allem für die aus New York angereiste Enkeltochter Billi. Der fällt das Lügen besonders schwer, denn sie liebt ihre Nai Nai (Mandarin für Großmutter) über alles. 

„The Farewell“ beginnt mit dem Satz „Basierend auf einer wahren Lüge“. Gleich danach wird ein Telefonat zwischen Billi in New York und ihrer Nai Nai in China gezeigt: 

„Trägst Du eine Mütze?“ „Ja“, sagt Billi beruhigend (natürlich trägt sie keine). 

„Bist Du zu Hause?“ „Ja“, lügt Nai Nai (ist sie nicht, sie ist im Krankenhaus).

Der Mensch lügt bis zu 200 mal am Tag. Ohne Böswilligkeit werden die „white lies“ oder Notlügen ausgesprochen, um den anderen nicht zu beunruhigen oder zu verletzen. In China geht man da noch weiter. Dort wird Todgeweihten selbst von Ärzten aus Respekt bisweilen die Wahrheit verschwiegen.

Sterbende Oma, weinende Enkel, Hochzeit – In den Händen einer weniger fähigen Filmemacherin hätte das Ganze auch zu einem Kitschfest ausarten können. Doch Regisseurin Lulu Wang ist ein berührender, witziger und kluger Film über Familiendynamiken gelungen. Sie erzählt hier ihre eigene Geschichte. Auch ihre Großmutter war erkrankt, auch ihre Familie beschloss, die Diagnose zu verheimlichen.

Die Besetzung der Hauptrolle Billi mit der amerikanischen Rapperin Awkwafina ist ein Glücksfall. Nach „Crazy Rich Asians“ zeigt sie hier, dass ihr zurückhaltendes und vielschichtiges Spiel ebenso liegt wie Comedy.

FAZIT

Gute Mischung aus Humor und Drama, gleichzeitig ein warmherziger Einblick in chinesische Familienverhältnisse.

Originaltitel „The Farewell“
USA / China 2019
100 min
Regie Lulu Wang
Kinostart 19. Dezember 2019

STAR WARS: DER AUFSTIEG SKYWALKERS

Liebgewonnene Rituale zum Jahresende: Ein neuer Star Wars-Film kommt in die Kinos und es ist Zeit für die unvermeidliche Best- und Worst-of-Liste. Selbstredend rein subjektiv. Es soll ja Zuschauer geben, die bei „Once upon a time in…Hollywood“ nach 90 Minuten das Kino verlassen, weil es ihnen zu langweilig ist. Genauso wie einige Kritiker „Der goldene Handschuh“ für eine gelungene Romanverfilmung halten. Liegt alles im Auge des Betrachters. Hier also die 2019 Top- und Flop-Liste von framerate:

Die besten 6

Parasite
Once upon a time in…Hollywood
Systemsprenger
Leid und Herrlichkeit
Capernaum – Stadt der Hoffnung
Joker

Die schlechtesten 3

Iron Sky: The Coming Race
Hellboy – Call of Darkness
Der goldene Handschuh

FAZIT

Ach ja, Star Wars. Hat man einen gesehen, hat man alle gesehen. Von den drei Sequels ist „Der Aufstieg Skywalkers“ auch nicht besser oder schlechter als die anderen Teile. Eine Mischung aus Sci-Fi, Märchen und Drama, leidlich spannend und mit zahlreichen Zitaten und Verweisen auf die immer noch weit überlegene Original-Trilogie gespickt. Ganz unterhaltsames Popcorn-Kino, alles schon mal dagewesen.

Originaltitel „Star Wars: The Rise of Skywalker“
USA 2019
144 min
Regie J.J. Abrams
Kinostart 18. Dezember 2019

MOTHERLESS BROOKLYN

Lionel Essrog (Edward Norton) ist ein Privatdetektiv, der unter dem Tourette Syndrom leidet. Eine Krankheit, die immer für einen schnellen Lacher TITTEN! FICKEN! gut ist.  „Motherless Brooklyn“ folgt Essrog bei seinem riskanten Vorhaben, den Mord an seinem Mentor und Freund Frank Minna (Bruce Willis) aufzuklären. Beim Kampf gegen Gangster und Korruption deckt Lionel streng gehütete Geheimnisse der New Yorker Politszene auf.

Die simple Formel lautet: Die besten Chancen, einen Oscar zu gewinnen, haben Schauspieler in der Rolle eines Todkranken oder Behinderten. „Motherless Brooklyn“ wäre gerne ein cooler Film noir im Stile von „L.A. Confidential“. Doch all die Musik-Szenen in verrauchten Jazzclubs und all die lässigen, Hut tragenden Detektive nützen nichts – herausgekommen ist nur ein um Stil bemühter, stellenweise unfreiwillig komischer, vermurkster Egotrip Edward Nortons. Denn statt zu vieler Köche hat hier ein einziger Koch in zu vielen Rollen den Brei verdorben. Der Oscar-Kandidat fungiert als Regisseur, Hauptdarsteller, Produzent und Drehbuchautor. Und scheinbar hat Regisseur Norton einen Narren an seinem Hauptdarsteller Norton gefressen. So bleiben Szenen ganz verliebt immer ein bisschen zu lange auf seinem Gesicht geschnitten. Das tut dem Film nicht gut, denn das ganze Gezucke und Geschimpfe nervt schon nach wenigen Minuten. Auch die anderen Schauspieler sind nicht in Höchstform. Willem Dafoe gibt mal wieder den am Rande des Wahnsinns Wandelnden und Alec Baldwin schafft es nicht, als oberkorrupter Politiker seine Figuren als SNL-Trump oder Jack Donaghy aus „30 Rock“ vergessen zu machen. Regisseur Norton lässt sich und seine Schauspieler an der zu langen Leine, was zu gnadenlosem Overacting führt.

FAZIT

Ein paar gute Momente hat der Film. Ansonsten ist „Motherless Brooklyn“ eine langatmige, eitle Oscarbewerbung.

Originaltitel „Motherless Brooklyn“
USA 2019
145 min
Regie Edward Norton
Kinostart 12. Dezember 2019

AUERHAUS

Kurz vor dem Erwachsenwerden: Das Leben von sechs Freunden soll nicht genauso vorsortiert und kläglich wie das ihrer Eltern verlaufen. Deshalb gründen sie eine Schüler-WG und ziehen gemeinsam ins Auerhaus (benannt nach dem Madness-Titel „Our House“). Eine Art Notwehrmaßnahme gegen die drohende Verspießung auf dem Dorf. Die Tage sind gefüllt mit Essenklauen, gemeinsamen Kochen, Federballspielen, Feiern und viel reden. Vor allem mit ihrem Kumpel Frieder, denn der ist depressiv und muss vor sich selbst gerettet werden.

Neele Leana Vollmar ist mit „Auerhaus“ eine rundum gelungene Romanverfilmung geglückt. Die Regisseurin erzählt lakonisch und einfühlsam von Liebe, Freundschaft und Idealismus. Die jugendlichen Darsteller spielen durchweg glaubhaft, vor allem der als „Fack ju Göhte“-Proll bekannte Max von der Groeben überrascht als sensibler Selbstmordkandidat Frieder.

Ausstattung und Atmosphäre sind auf den Punkt. Der Film ist eine Zeitreise in die frühen 1980er-Jahre, als die Haare noch ungestylt aus dem Kopf wuchsen, Handys Zukunftsmusik waren und mit gerade mal 18 Jahren alles möglich schien.

FAZIT

Nicht peinlich, nicht kitschig – die beste deutsche Jugendbuchverfilmung seit „Crazy“.

Deutschland 2019
107 min
Regie Neele Leana Vollmar
Kinostart 05. Dezember 2019

MEIN ENDE. DEIN ANFANG.

Eine Begegnung im U-Bahnhof – Nora und Aron verlieben sich auf den ersten Blick. Zufall, findet sie. Bestimmung, sagt er. Die Supermarktkassiererin und der Physiker – ein ungleiches, aber glückliches Paar. Doch dann geschieht eine Katastrophe: Aron wird erschossen. Nora trifft Monate später auf Natan. Beide ahnen nicht, dass sie schicksalhaft verbunden sind.

„Mein Ende. Dein Anfang.“ ist durch seine elliptischen Zeitebenen interessant strukturiert. Wie ein Puzzle setzt sich nach und nach die Geschichte von Aron, Nora und Natan zusammen. Marika Minoguchi versteht es, kleine Details und stimmungsvolle Momente so zu inszenieren, dass sich Vergangenheit und Gegenwart elegant miteinander verknüpfen. Nur der große Twist am Ende ist nicht ganz so überraschend, wie von der Regisseurin und Drehbuchautorin erhofft.

FAZIT

Regiedebüt mit ungewöhnlicher Erzählweise. Interessant.

Deutschland 2019
111 min
Regie Marika Minoguchi
Kinostart 28. November 2019

HUSTLERS

„Das ganze Land ist ein Stripclub. Auf der einen Seite sind die Leute, die mit dem Geld um sich werfen, auf der anderen Seite die Menschen, die dafür tanzen.“ 

Diese tierschürfende Erkenntnis teilt Stripperin Ramona (Jennifer Lopez) am Ende des Films mit den Zuschauern. Sie muss es wissen, denn mit Arschwackeln und Poledance hat sie es im angesagtesten Club der Stadt weit gebracht. Doch 2008 kommt es zum großen Börsencrash, plötzlich bleiben die spendablen Sugardaddys weg – und damit das Geld. Statt für ein paar Dollar zu tanzen, greift Ramona mit ihrer Freundin Destiny (Constance Wu „Crazy Rich Asians“) zu rabiaten Mitteln. Gemeinsam gründen sie eine Gaunerbande, die die Wall-Street-Kunden mit K.-o.-Tropfen außer Gefecht setzt, um dann deren Kreditkonten leer zu räumen. 

Der Film beruht auf einem Zeitungsartikel, erschienen im New York Magazine 2015. Also fast eine wahre Geschichte. Musik, Drogen, Klamotten, Penthouses – so schön kann das Leben als Stripperin sein. Und ja, für ungefähr eine Stunde ist das auch ganz unterhaltsam anzusehen. Es gibt ein paar lustige Momente und J-Lo sieht wirklich toll aus. Aber das Crime-Drama über Stripperinnen mit Herzen aus Gold ist zu leichtgewichtig. Dauer-Party in allen Varianten, ein paar Gastauftritte von Usher, Cardi B und Lizzo und sich ständig wiederholende Szenen, in denen durchweg unsympathische Scheißkerle um ihr Geld erleichtert werden sind zu wenig für fast zwei Stunden Laufzeit.

FAZIT

Nicht ganz so großartig wie überall behauptet, aber immerhin besser als „Showgirls“.

Originaltitel „Hustlers“
USA 2019
110 min
Regie Lorene Scafaria
Kinostart 28. November 2019

ARETHA FRANKLIN : AMAZING GRACE

Aretha Franklin nahm 1972, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere gemeinsam mit dem Southern California Community Choir in Los Angeles ihr legendäres Album „Amazing Grace“ auf. Es wurde zum erfolgreichsten Gospelalbum aller Zeiten.

Dass dieser Film fast 50 Jahre nach seiner Entstehung doch noch in die Kinos kommt und dieses Jahr auf der Berlinale seine Premiere feierte, grenzt an ein Wunder. Heutzutage kann jeder Telefonbesitzer perfekt stabilisierte und farbkorrigierte 4K-Filme produzieren. Doch damals ließen sich nach den Dreharbeiten die Ton- und Bildaufnahmen nicht synchronisieren. Die technischen Möglichkeiten waren Anfang der 1970er-Jahre begrenzt. Später folgte ein Rechtsstreit mit Aretha Franklin.

Die nun vorliegende Version ist so, wie sie von Regisseur Sydney Pollack seinerzeit geplant war: ohne nachträglich eingefügte Interviews, kein Making-of, kein Schnickschnack – nur Bilder von einem mitreißenden Konzert.

FAZIT

Eine raue, handgemachte Doku. Für Fans ein Muss. 

Originaltitel „Amazing Grace“
USA 1972/2018
87 min
Regie Alan Elliott, Sydney Pollack
Kinostart 28. November 2019

LE MANS 66 – GEGEN JEDE CHANCE

Ein Phänomen, in vielen Konzernen zu beobachten: Will man etwas erreichen, muss man direkt mit dem Chef sprechen. Meist ist der aber von Neinsagern und Speichelleckern abgeschirmt, die gute Ideen und innovative Vorschläge so lange verwässern, bis nur noch Unsinn übrig bleibt. Mit diesem zeitlosen Problem hat auch der amerikanische Autodesigner Carroll Shelby (Matt Damon) Anfang der 60er-Jahre zu kämpfen. Gemeinsam mit dem hitzköpfigen Rennfahrgenie Ken Miles (Christian Bale) soll er das angestaubte Image der US-Automarke Ford aufbessern. Dazu müssen die beiden erst mal den schnellsten Rennwagen der Welt entwickeln, um damit das prestigeträchtige 24-Stunden-Rennen von Le Mans zu gewinnen. Keine leichte Aufgabe angesichts der Bedenkenträger bei Ford und des übermächtigen Gegners Enzo Ferrari.

Mangolds Film, im Original passender „Ford v Ferrari“ betitelt, spielt zu einer Zeit, als Meinungsverschiedenheiten zwischen Männern noch mit einer anständigen Prügelei aus der Welt geräumt wurden. Gut gegen Böse, die Suche nach unbedingter Freiheit – „Le Mans 66“ erinnert an einen modernen Western, der galoppierende Pferde auf staubigen Pfaden gegen Rennautos auf dem Asphalt ausgetauscht hat. Der Film beruht auf einer wahren Geschichte, weshalb Method-Actor Christian Bale für seine Rolle wieder mal etliche Kilos abgespeckt hat. Wie oft kann so ein armer Körper das ständige Zu- und wieder Abnehmen eigentlich aushalten, bevor die Haut in großen Lappen herunterhängt? Matt Damon spielt das, was er am besten kann: den leicht angeschlagenen, netten Kerl von nebenan, der unaufgeregt die Fäden in der Hand behält.

FAZIT

Erstaunliche Erkenntnis nach zweieinhalb Stunden: Im Kreis fahrende Fahrzeuge können spannend sein. Selbst wenn man sich kein bisschen für Autorennen interessiert – „Le Mans 66“ ist ein packender, im besten Sinne altmodischer Film.

Originaltitel „Ford v Ferrari
USA 2019
152 min
Regie James Mangold
Kinostart 14. November 2019

MY ZOE

Das Feel-Bad-Movie of the Year kommt dieses Jahr von Schauspielerin und Regisseurin Julie Delpy.

Die Französin Isabelle (Julie Delpy) arbeitet als Genetikerin in Berlin, irgendwann in naher Zukunft.  Von ihrem Ex-Mann James lebt sie in herzlicher Abneigung getrennt. Die meiste Zeit streiten sich die beiden um das Sorgerecht für ihre Tochter Zoe. Eines Tages geschieht die Katastrophe: das Mädchen verletzt sich am Kopf, fällt ins Koma, stirbt. Isabelle bittet einen Reproduktionsmediziner um Hilfe. Eine folgenschwere Entscheidung.

Klonen mal ganz anders. Kein Science-Fiction-Actionkracher a la „The Island“ oder „Gemini Man“, sondern ein stiller, zurückhaltend inszenierter Arthouse-Film zum Thema. Regisseurin Julie Delpy versteht es, den universellen Albtraum aller Eltern – den Verlust ihres Kindes – glaubhaft und eindringlich darzustellen. Doch im Fortgang der Geschichte geht es ihr mehr um die Beantwortung der ethischen und moralischen Frage: Ist das Klonen eines geliebten Menschen nach dessen Tod richtig? Das ist zwar ein interessantes Gedankenspiel, doch die Handlung und das Handeln der Figuren wird immer abstrakter und unglaubwürdiger, die Distanz des Zuschauers wächst.

FAZIT

Aufwühlend in der ersten, zu konstruiert und der zweiten Hälfte. Zwiespältig.

Originaltitel „My Zoe
England / Deutschland / Frankreich 2019
102 min
Regie Julie Delpy
Kinostart 14. November 2019

ZOMBIELAND: DOPPELT HÄLT BESSER

2009 war die Welt der lebenden Leichen noch in Ordnung, da galt ein Film wie „Zombieland“ als erfrischend anders. Mittlerweile müffeln die allgegenwärtigen Untoten und auch Ruben Fleischers „Zombieland: Doppelt hält besser“ hat dem Genre nichts weltbewegend Neues beizufügen. Leichter Verwesungsgeruch hängt in der Luft.

Ein paar hübsche Ideen, ein paar nette Gags, viele spaßig gemeinte Schrifteinblendungen – das alles gab es so ähnlich schon im ersten Teil der Zombiekomödie. Emma Stone, Jesse Eisenberg (der ewige Mark Zuckerberg) und Woody Harrelson sind wieder mit von der Partie, Neuzugang Zoey Deutch bringt als knalldoofe Blondine ein bisschen frischen Wind ins Spiel. Aber gibt es einen zwingenden Grund für diese Fortsetzung? Gleich zu Beginn bedankt sich Eisenbergs Figur Columbus bei den Zuschauern, dass sie sich trotz der großen Auswahl an Zombiefilmen nun ausgerechnet diesen anschauen. Immerhin weiß „Zombieland: Doppelt hält besser“ um seine Überflüssigkeit.

FAZIT

Kann man kucken, muss man nicht.

Originaltitel „Zombieland: Double Tap“
USA 2019
96 min
Regie Ruben Fleischer
Kinostart 07. November 2019

LARA

Die Fassaden von warmem Herbstlicht beleuchtet, die Restaurants und Bars so gediegen-chic, als wären sie am Fuße des Eiffelturms gelegen und selbst der in garstigem 70er-Jahre Design erstarrte Feinkostladen Rogacki wirkt großstädtisch, wenn er von Kameramann Frank Griebe in Szene gesetzt wird. Selten sah das gute alte West-Berlin ästhetischer und schöner aus als in „Lara“. Die Liebe zum Stil setzt sich über die Kostüme und die Musik bis zur Besetzung fort. Alexander Khuon, Gudrun Ritter, Rainer Bock, Volkmar Kleinert: In Nebenrollen ist das Who is Who der deutschen Theaterszene versammelt. Passenderweise, denn der neue Film von Regisseur Jan-Ole Gerster wirkt in weiten Teilen wie ein verfilmtes Theaterstück.

Ein Tag in einem Leben: An Laras sechzigstem Geburtstag gibt ihr Sohn Viktor sein erstes Klavierkonzert mit Eigenkompositionen. Gestreng wie eine russische Eiskunstlauf-Trainerin hat Lara Viktors musikalischen Werdegang seit frühester Kindheit forciert. Corinna Harfouch spielt die emotional verhärtete Frau brillant. Sie umstrahlt eine traurig-abweisende Aura der Einsamkeit, wie sie sonst nur Isabell Huppert zu erzeugen vermag. Wer sich Lara annähert, wird kühl ignoriert oder notfalls mit messerscharfen Bemerkungen zurechtgewiesen. Mit der Zeit hat sie so nicht nur Kollegen und Freunde, sondern auch die eigene Familie ausgegrenzt.

Regisseur Gerster will erwachsen werden. Nach siebenjähriger Pause beherrscht er die Klaviatur des Filmemachens nach wie vor souverän. Doch hat er den lakonischen Humor seines kongenialen Erstlingswerks „Oh Boy“ diesmal zugunsten einer angestrengten Ernsthaftigkeit ausgetauscht. Das Mutter-Sohn-Drama ist eine in Stil erstarrte Fingerübung. „Lara“ wäre als interessanter Kurzfilm durchgegangen, wirkt aber auf Spielfilmlänge gestreckt arg manieriert.

FAZIT

Tolle Hauptdarstellerin in einem bemüht künstlerisch wertvollen Film.

Deutschland 2019
98 min
Regie Jan-Ole Gerster
Kinostart 07. November 2019

DAS PERFEKTE GEHEIMNIS

Schlimme Vorstellung: Beim Pärchenabend legt jeder sein Smartphone auf den Tisch und alle dürfen sehen, was da so den ganzen Abend reinkommt. Zu einem solch riskanten Spiel entschließen sich sieben Freunde beim gemeinsamen Abendessen. Nachrichten werden vorgelesen, Telefonate laut mitgehört, es gibt keine Geheimnisse. Anfangs noch ein harmloser Spaß wird die große Transparenz bald zum Desaster. 

Moment mal, da geht man voll negativer Vorurteile in die neue Komödie der „Fack ju Göhte“-Macher – und dann amüsiert man sich halbwegs gut. Clevere Idee, gute Figurenkonstellation, sehr unterhaltsame Geschichte – da stimmt doch was nicht!
Des Rätsels Lösung: „Das perfekte Geheimnis“ wurde nicht von Deutschen entwickelt, sondern beruht auf einer international getesteten Idee. Den gleichen Film gibt es bereits als griechische, spanische, türkische, französische, mexikanische, koreanische und chinesische Version. Die deutsche ist somit die achte Neuauflage des italienischen Kinohits „Perfetti Sconosciuti“, der 2016 alleine in seinem Heimatland knapp 3 Millionen Zuschauer ins Kino lockte.
Da zwischenmenschliche Verhaltensweisen und Marotten trotz Globalisierung immer noch halbwegs unterschiedlich sind, wird die identische Geschichte einfach für jedes Land entsprechend adaptiert. Dieses kalkulierte, risikolose Recycling könnte man böswillig auch mutlos nennen.

„Das perfekte Geheimnis“ ist mit Elyas M’Barek, Florian David Fitz, Jella Haase, Karoline Herfurth, Frederick Lau, Wotan Wilke Möhring und Jessica Schwarz ordentlich und typgerecht besetzt. Regisseur Bora Dagtekin hält dank des guten Drehbuchs zwei Stunden lang die Waage zwischen Komödie, Drama, Klamauk und Tiefgang.

FAZIT

Zur Einstimmung kann man sich schon mal die französische Version „Le Jeu“ anschauen, läuft auf Netflix.

Deutschland 2019
115 min
Regie Bora Dagtekin
Kinostart 31. Oktober 2019

SCARY STORIES TO TELL IN THE DARK

„Scary Stories to tell in the Dark“ wird zwar als „der neue Film von Guillermo del Toro“ beworben – tatsächlich fungierte der Oscargewinner diesmal aber nur als Produzent, die Regie übernahm André Øvredal. Der Norweger ist zuletzt mit dem gelungenen Horror-Thriller „The Autopsy of Jane Doe“ positiv aufgefallen.

In der US-Kleinstadt Mill Valley kommen vier Teenager auf die schlechte Idee, ausgerechnet an Halloween das verlassene Haus der Familie Bellows auszukundschaften. Im Keller finden die Jugendlichen ein mysteriöses Buch, in dem sich wie von Zauberhand jede Nacht neue Geschichten schreiben. Mit blutiger Tinte verfasst, werden darin die schlimmsten Albträume der Leser zum Leben erweckt.

Die Handlung spielt 1968 und dankenswerterweise mal nicht in den zu Tode retro-zitierten 1980er Jahren. Auch wenn sich die Ausstattung bemüht hat – richtig glaubwürdig kommt das nicht rüber, die Figuren sind im Aussehen und Verhalten zu modern. Doch allzu wichtig ist das für die Geschichte nicht – Hauptsache, keiner hat ein Mobiltelefon zur Hand und kann damit um Hilfe rufen. 

Spukhäuser und von Monstern gejagte Teenager: das ist zwar nicht sonderlich neu und originell, funktioniert aber als amüsante Geisterbahnfahrt ganz ausgezeichnet. Während die Stephen King Verfilmung „ES“ unverständlicherweise ein globaler Kinohit wurde, versteht es dieses thematisch verwandte B-Picture um einiges besser, eine unheimliche Atmosphäre und Spannung zu erzeugen.

FAZIT

Kurzweiliger, gut gemachter Gruselfilm.

Originaltitel „Scary Stories to tell in the Dark“
USA 2019
108 min
Regie André Øvredal
Kinostart 31. Oktober 2019

TERMINATOR: DARK FATE

„Terminator: Dark Fate“ knüpft fast nahtlos an „Terminator: Judgment Day“ und damit das weitere Schicksal Sarah Connors (Linda Hamilton, digital de-aged) in den 90er-Jahren an. Teil 3, 4 und 5 der Saga werden komplett ignoriert. Ist Regisseur Tim Miller das Unmögliche gelungen, eine würdige Fortsetzung der von Fans geliebten ersten beiden Teile der Terminator-Filme abzuliefern? 

Nein. Denn auf das interessante Intro folgt nur ein Aufguss der schon zu oft erzählten Dystopie. Wieder mal werden böse und gute Terminatoren aus der Zukunft in die Jetztzeit – diesmal nach Mexiko – geschickt. Dort sollen sie die Person, die Jahre später den Widerstand der Menschen gegen die Maschinen anführen wird, töten beziehungsweise retten. Gähn. So bekannt wie die ewig gleiche Handlung ist inzwischen das Mantra des Schöpfers der Filmserie, James Cameron: Der neue Film sei fantastisch und qualitativ endlich wieder auf dem Niveau der ersten beiden Teile. Man darf dem Mann einfach nichts mehr glauben.

#metoo: In der fünften Fortsetzung der Robocalypse von 1984 übernehmen drei starke Frauen die Führung. Neu im dauerrecycelten Kosmos sind Mackenzie Davis als Maschinenmensch und Natalia Reyes, die terminiert/gerettet werden soll. Linda Hamilton hat sich nochmal mit Geld überreden lassen, in diesem unnötigen sechsten Aufguß mitzuspielen, ebenso wie der unverzichtbare Arnold Schwarzenegger. Als graubärtiger, alt gewordener Terminator mit Gewissen (!) kümmert er sich lieber um seine Familie (!!), als Killerrobotern den Garaus zumachen.

Es gibt ein paar nette state-of-the-art Spezialeffekte zu bewundern, der neue Terminator Rev-9 (Gabriel Luna) kann sich splitten und gleichzeitig als Skelett und Hülle kämpfen, also zwei Killer zum Preis von einem,  sowie reichlich „Ägdschen“, krachende Verfolgungsjagden am Boden, durch die Luft und unter Wasser. Erstaunlich für so eine Big-Budget-Produktion: Der Film hat einen unschönen TV-Look, sieht in manchen Szenen irritierend billig aus. Die Bilder wirken künstlich, Explosionen sehen wie aus einem Computerspiel aus – vielleicht ein Zugeständnis an die Sehgewohnheiten der Zielgruppe U15.

FAZIT

Immerhin: Von den vier Fortsetzungen, die nach „T 2“ ins Kino kamen, ist „Dark Fate“ noch die gelungenste. Doch die Geschichte war schon nach dem zweiten Teil auserzählt. Nun ist es endlich Zeit, das Terminator-Franchise zu beerdigen. 

Originaltitel „Terminator: Dark Fate“
USA 2019
123 min
Regie Tim Miller
Kinostart 24. Oktober 2019