WIR ELTERN

„Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.“
Das wusste schon Mark Twain vor mehr als hundert Jahren. Erziehung kann ja theoretisch auch bedeuten: sanft in die richtige Bahn lenken und sich an der Entwicklung des Kindes erfreuen. Butterweiches Verständnis für alles oder dauerndes Reglementieren machen aus dem Kind selten einen brauchbaren Erwachsenen. So wird höchstens erfolgreich die Entwicklung zur Selbstständigkeit verhindert. 

In diesem Sinne zeigt das Regieduo Bergkraut/Schweikert in seiner sehr rough gedrehten Schweizer Homestory „Wir Eltern“ eine ganz normale furchtbare Familie. Man weiß gar nicht, wen man nerviger finden soll: die spätpubertären Zwillingssöhne, Anfang 20, die partout nicht aus dem Hotel Mama bzw. Papa ausziehen wollen. Oder die viel zu verständnisvollen Akademiker-Eltern, die, wenn sie dann mal auf den Tisch hauen, garantiert keine Konsequenzen folgen lassen.

Frei nach wahren Begebenheiten spielt hier der Vater und Regisseur Eric Bergkraut mit seinen eigenen Söhnen das mitunter schwierige Familienleben nach. Lustige Idee: Zwischendurch geben echte Experten Erziehungstipps.

FAZIT

Der Film wird in den deutschen Kinos in einer von den Darstellern selbst gesprochenen hochdeutschen Version gezeigt. Die Synchronisation schadet dem Film sehr. Wer die Möglichkeit hat, sollte sich lieber die Schweizer Originalversion mit Untertiteln anschauen.

Schweiz 2019
94 min
Regie Eric Bergkraut und Ruth Schweikert
Kinostart 16. Juli 2020

MARIE CURIE – ELEMENTE DES LEBENS

Marie Curie liegt im Sterben. Schon wieder möchte man fast sagen, denn es ist gerade mal vier Jahre her, dass das Leben der zweifachen Nobelpreisträgerin zuletzt  verfilmt wurde. Auf der Bahre, eilig durch lange Krankenhausgänge geschoben, zieht ihr Leben noch einmal an ihr vorbei. Kein besonders origineller Einstieg in ein eher konventionelles Biopic.

Auch dieses gut gemeinte Werk werden zukünftige Schülergenerationen über sich ergehen lassen müssen. Wie im Lehrbuch hakt „Radioactive“ (so der Originaltitel) artig die Lebens-Best-Of-Stationen der visionären Wissenschaftlerin ab. 1903 erhält Curie als erste Frau (gemeinsam mit ihrem Mann Pierre) den Nobelpreis für Physik, Jahre später einen weiteren für Chemie. Zwischendurch weist der Film auf die zwiespältigen Folgen der Strahlenforschung hin. In seltsam fehl am Platz wirkenden Sequenzen werden eine Tumorbehandlung, der Bombenabwurf auf Hiroshima und natürlich das Reaktorunglück von Tschernobyl eingestreut. Das soll wohl eine mahnende Erinnerung an das sein, was da später noch kam. Hilfreich für diejenigen, die sich noch nie im Leben mit den Vor- und Nachteilen von Radioaktivität beschäftigt haben, für alle anderen unnötige Belehrung, die den Fluss der Erzählung stört. 

Dass „Marie Curie – Elemente des Lebens“ auf einer Graphic Novel („Radioactive: Marie & Pierre Curie: A Tale of Love and Fallout“) basiert, merkt man ihm leider viel zu selten an. Visuell ist das zwar alles ganz hübsch und stimmungsvoll, aber nicht besonders mutig. Erstaunlich, denn Regisseurin Marjane Satrapi ist selbst Comiczeichnerin und hat vor 13 Jahren mit „Persepolis“ ein bahnbrechendes Debüt abgeliefert.

FAZIT

Løtta und Tøby würden aufs Schärfste widersprechen, aber in erster Linie macht der direkte Kontakt mit Radium wohl vor allem eins: krank. Das müssen auch Marie und ihr Ehemann am eigenen Leib erfahren. Mit heutigem Kenntnisstand würde man sagen: „Selbst schuld, an der ganzen blutigen Husterei“, denn dass Marie jeden Abend ein kleines, grün leuchtendes Fläschchen Radium mit ins Bett nimmt, bleibt nicht ohne Folgen.

Originaltitel „Radioactive“
Großbritannien 2020
103 min
Regie Marjane Satrapi
Kinostart 16. Juli 2020

INTO THE BEAT – DEIN HERZ TANZT

„Hey Sweety, Du musst Deinen eigenen Style fahren. Wow, crazy!“
Ja, so reden sie, die jungen Leute von heute. Besonders, wenn sie aus der Tanzszene kommen. Katya steht kurz vor der Erfüllung ihres Lebenstraums: In sieben Tagen findet das Vortanzen für die New York Ballet Academy statt, sie hofft auf ein Stipendium. Doch dann verliebt sie sich Hals über Kopf in den Hip-Hop-Tänzer Marlon aka Alien – neues Glück, neue Pläne: Zusammen wollen sie sich einen Platz bei der weltberühmten Steetdance-Gruppe Tiger-Crew ertanzen.

Bei „Into the Beat“ trifft Klischee auf Klischee auf Klischee. Klar, dass im Jahr 2020 einer jungen Balletteuse bei ihrer ersten Begegnung mit modernem Tanz die Augen übergehen, weil, so etwas hat sie noch nie gesehen! Die Rolle des Internets bei Jugendlichen wird offenbar überschätzt. Selbstverständlich entwickelt sie innerhalb weniger Tage meisterliches Können, denn wer Dornröschen tanzen kann, der kann auch Breakdance. Klassische Tänzer erkennt man in diesem Film übrigens an ihrer intriganten Humorlosigkeit, während Hip-Hopper den ganzen Tag super drauf sind und Hoodies tragen. Eine echt crazy Family eben. „Hey, Du checkst das nicht!“ Hört man den jugendlichen Gesprächen zu, setzt unvermittelt Fremdscham ein. Noch schlimmer die Erwachsenen: Ein Kalenderspruch reiht sich da an den nächsten, als hätten sie alle die Vera-Drombusch-Dialogschule besucht.

Für einen modernen Tanzfilm überraschend uninspiriert gedreht und inszeniert. Das ist meilenweit von US-Vorbildern wie „Step Up“ entfernt.

FAZIT

Ach so! Das ist ein KiKA-Film! Deshalb erinnert „Into The Beat“ an eine modernisierte Version der biederen ZDF-Weihnachtsserie „Anna“.

Deutschland 2020
98 min
Regie Stefan Westerwelle
Kinostart 16. Juli 2020

HELMUT NEWTON – THE BAD AND THE BEAUTIFUL

„Männer interessieren mich nicht – sie sind nur Accessoires, wie ein Hut oder eine Sonnenbrille.“ Dieses gestrenge Urteil über das eigene Geschlecht stammt von Helmut Newton, der sich konsequenterweise zeit seines Lebens am liebsten mit Frauen umgab. Als ihn das Magazin Vogue einmal bittet, eine Fashionstrecke mit Herren-Trenchcoats zu schießen, lässt er das männliche Model kurzerhand weg, zieht selbst den Mantel über und fotografiert sich neben einer langbeinigen Nackten. Eine typische Newton-Geschichte, der laut eigener Auskunft auch mit 80 noch ein „Naughty Boy“ war.

Gero von Boehm lässt in seinem Dokumentarfilm dann auch ausschließlich Frauen zu Wort kommen: „Die Arbeit mit Newton hat mir die Stärke für meine spätere Karriere gegeben“, lobt die britische Schauspielerin Charlotte Rampling fast 50 Jahre nach dem berühmten Shooting Charlotte Rampling at the Hotel Du Nord“ den Fotografen. Zu den weiteren hochkarätigen Interviewpartnerinnen zählen Anna Wintour, Grace Jones, Claudia Schiffer, Nadja Auermann, Isabella Rossellini, Marianne Faithful und Hannah Schygulla. Deren Anekdoten von ihren Begegnungen mit dem Jahrhundertfotografen sind durchweg liebevoll bewundernd. Für Kritik ist da kaum Platz, denn Gero von Boehm ist in erster Linie Fan-Boy. Ein kurzer TV-Schnipsel mit Susan Sonntag liefert die einzige negative Stimme: Newtons berühmte Akte „Big Nudes“ seien „frauenfeindlich und abstoßend“.

Filme über Fotografen würden ihn entsetzlich langweilen, sagt Newton, zeigten sie doch nur „einen Mann hinter der Kamera, der dummes Zeug mit seinen Models redet.“ Die Dokumentation „The Bad and the Beautiful“ beweist das Gegenteil: Dem Charmebolzen zuzuhören und bei der Arbeit zuzuschauen ist nicht eine Sekunde langweilig.

FAZIT

Zum 100. Geburtstag: Bewegtes und bewegendes Porträt des berühmtesten Frauenfotografs.

Deutschland 2019
90 min
Regie Gero von Boehm
Kinostart 09. Juli 2020

EIN VERBORGENES LEBEN

Die wahre Geschichte des jungen österreichischen Bauern Franz Jägerstatter: ein Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, der nicht für die Nazis kämpfen oder Hitler während des Zweiten Weltkriegs die Treue schwören will. Die tiefe Liebe zu seiner Frau Fani verleiht ihm die Kraft, trotz Gefängnis und drohender Todesstrafe fest zu seinen Prinzipien zu stehen.

Unter der Regie von Terrence Malick spielen neben August Diehl und Valerie Pachner weitere bekannte Schauspieler wie Tobias Moretti, Matthias Schoenaerts, Ulrich Matthes und Bruno Ganz (in seiner letzten Rolle).

Sind die Schauspieler fabelhaft? Ja! Sind die Landschafts- und Naturaufnahmen aus den österreichischen Bergen ein visueller Rausch? Unbedingt! Hätte man den Film um mindestens eine Stunde kürzen können? Auf jeden Fall! Typisch Malick, vor allem bekannt für seine meditativen Filme über das Leben an sich, gibt es minutenlange Szenen, in denen man der Natur in ihrer Schönheit und den Protagonisten beim Nichtstun zuschauen kann. Briefe werden gelesen, Gras mit der Sense geschnitten, Blicke getauscht, in den Himmel gestarrt. Das könnte zwar besinnlich sein – und hat im cineastischen Meisterwerk „The Tree of Life“ auch ganz wunderbar funktioniert – hier wirkt es oft zäh und ermüdend. 

Wer sich bisher mit der sehr langsamen Erzählweise von Terrence Malick-Filmen nicht anfreunden konnte, den wird auch „Ein verborgenes Leben“ kaum bekehren. Zumal das knapp 3-stündige Werk auch „Weitwinkel – der Film“ heißen könnte. Alle Einstellungen wurden von Kameramann Jörg Widmer konsequent mit einer untersichtigen Weitwinkeloptik gefilmt. Das mag auf der großen Kinoleinwand noch wirkungsvoll sein, auf dem heimischen Bildschirm nervt dieser Kunstgriff schnell.

FAZIT

Schwierigkeiten bereiten sowohl der Originalton – deutsche Schauspieler, die in einer österreichischen Geschichte englisch sprechen – das ist schlicht irritierend – wie auch die deutsche Synchronisation: Die Lippenbewegungen matchen nicht und der sterile Sound der Nachvertonung will nicht in die große Natürlichkeit des Settings passen. Hätte Malick doch nur zwei Versionen gedreht…

Originaltitel „A Hidden Life“
Deutschland / USA 2019
173 min
Regie Terrence Malick
DVD & Bluray-Release 03. Juli 2020

SIBERIA

Clint ist ein kaputter Mann. Er lebt in einer einsamen Hütte in den Bergen. Dort betreibt er ein Café, in das sich nur ab und zu Gäste verirren. Eines Abends bricht er mit seinem Hundeschlitten auf, getrieben von der Hoffnung, sein wahres Dasein zu ergründen. Es folgt eine bemühte David-Lynchartige Reise durch Clints Traum- und Fantasiewelten. 

Eine dicke nackte Frau tanzt in einer Höhle im Kreis und ruft dabei “I need a doctor!”
Wieder so ein Schauspielerfilm. Diesmal kann man Willem Dafoe als gebrochenem Mann bei seinem Trip ins Ich zuschauen. Muss man aber nicht. “Siberia” ist verschwurbelte Kunst, die man sich besser sparen sollte. Immerhin gibt es schöne Landschaften mit jeder Menge Schnee zu sehen.

FAZIT

92 Minuten können sehr lang sein.

Originaltitel „Siberia“
Italien / Deutschland / Mexiko 2019
92 min
Regie Abel Ferrara
Kinostart 02. Juli 2020

UNDINE

Die gute Nachricht: am 2. Juli machen die Kinos wieder auf!
Die schlechte: „Die Känguru-Chroniken“ feiern ihren re-release. So unoriginell wie der neue Titel „Die Känguru-Chroniken Reloaded“, so unoriginell ist die Idee, dem Film eine 3D-Einstellung hinzuzufügen. Framerate warnte bereits im März mit einem Stern vor der einfältigen Klamotte.

Ein um einiges intelligenteres Kinoerlebnis bietet der neue Film von Christian Petzold.
Undine (Paula Beer) lebt in Berlin, arbeitet als Stadthistorikerin. Als ihr Freund Johannes (Jacob Matschenz) mit ihr Schluss macht, teilt sie ihm lakonisch mit, dass sie ihn nun töten müsse. Kurz darauf 
begegnet sie dem Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski), die beiden verlieben sich Hals über Kopf.

Undine ist eine mythologische Figur, eine Nymphe, die mit ihrem Gesang die Männer verzaubert. Eine Seele erlangt sie nur, wenn sie sich mit einem Menschen vermählt. Der Haken an der Sache: Untreue Gatten bringt sie um.

Christian Petzold dichtet den Mythos von der geheimnisvollen Wasserfrau zum modernen Märchen im heutigen Berlin um. Das funktioniert über weite Strecken erstaunlich gut. Der Film hat zugleich etwas Traumhaftes und Realistisches. Paula Beer verleiht der Figur Undine mit wassergewellten Locken eine rätselhafte Aura. Und keiner kann so überzeugend den leicht tumben und gleichzeitig sensiblen Arbeiter spielen wie Franz Rogowski.

„Undine“ ist ein hintergründiger, aber seltsam spröder Liebesfilm. Insgesamt eher eine zarte Fingerübung, ein nicht uninteressantes Experiment.

FAZIT

Der etwas andere Berlinfilm. Paula Beer gewann den silbernen Bären für die beste weibliche Hauptrolle bei der diesjährigen Berlinale.

Deutschland 2020
90 min
Regie Christian Petzold 
Kinostart 02. Juli 2020

DARK – Season 3

Über den Inhalt der dritten Staffel von „Dark“ etwas zu schreiben, ist ungefähr so verboten, wie im Jahr 1980 zu verraten, wer JR Ewing erschossen hat*. Netflix ermöglicht sieben Tage vor der Premiere zwar eine Sichtung, liefert dazu aber ein bedrohlich dickes Spoilerhandbuch mit.

„Dark“ ist ein Zeitgeistphänomen. Selten konnte eine deutsche Serie ein so breites internationales Publikum erreichen und begeistern. Dass sogar Amis auf „Dark“ abfahren, lässt sich sehr unterhaltsam im Podcast „Bored and Annoyed“ nachhören. Was bislang nur „Derrick“ vergönnt war, gelingt der von Baran bo Odar und Jantje Friese entwickelten Serie dank weltweiten Streamings mühelos: ein internationaler Erfolg zu werden.

Für einige eine hanebüchene, überkonstruierte Studie in Grau, für andere die beste Mystery-Serie aller Zeiten. Wem die ersten beiden Staffeln gefallen haben, den werden auch die finalen acht Folgen der komplexen Zeitreisegeschichte befriedigen. Es ist alles wie gewohnt: Der Handlung, die sich wie eine unendliche Matroschka-Puppe immer weiter und weiter verkompliziert, ist kaum zu folgen. Die Schauspieler sind grandios, sehen sich aber in ihren diversen Jugend-, Erwachsenen- und Greisenvarianten weiterhin kaum ähnlich, was dem Verständnis nicht unbedingt dienlich ist. Was vielleicht geholfen hätte, wäre eine kurze „Previously on Dark“- Einleitung vor jede Episode – oder Namensschilder. Selbst mit wachem Verstand und hoher Aufmerksamkeit versteht man oft nicht, wer da gerade wann mit wem um was kämpft. Macht aber nix, „Dark“ ist genial und hat das Zeug, den Zuschauer langsam auf unterhaltsame Weise verrückt werden zu lassen. Und das ist als Lob gemeint.
Nach drei Staffeln ist der Spaß vorbei und da keine weitere Fortsetzung geplant ist, muss man wohl einfach noch mal von vorne anfangen.

FAZIT

*Es war übrigens die von Mary Crosby gespielte Kristin Shepard. 

Deutschland 2020
Staffel 1 mit 10 Folgen, Staffel 2 + 3 je 8 Folgen
Regie Baran bo Odar
Die 3. Staffel gibt’s ab 27. Juni auf Netflix

SPACE FORCE

Immer drei Sterne – lang-wei-lig! Aber was soll man machen? Zwei ist „na ja“, vier schon „sehr gut“ und danach kommt nur noch „fantastisch“!
Drei ist eben „ganz gut“. So wie diese neue Netflix-Serie.

Wer mit den künstlerisch ambitionierten Filmen „Beautiful Boy“ oder „Foxcatcher“ nichts anfangen konnte und lieber wieder den „lustigen“ Steve Carell (nicht verwandt mit Rudi, der schreibt sich ja auch mit zwei R im Nachnamen) zurück will – good news: „Space Force“ ist so eine Art „The Office“ beim Militär. General Mark R. Naird (Carell) wird zum Chef der neugegründeten 6. US-Streitkraft, der Space Force, ernannt. Wenig begeistert siedelt er mit seiner Frau und Tochter auf einen abgelegenen, um nicht zu sagen sterbenslangweiligen Militärstützpunkt in Colorado um. Ziel der Mission ist es, wieder Astronauten auf den Mond zu bringen, bzw. kerniger ausgedrückt: bis 2024 wollen die USA „Boots on the moon“ bringen. Davon zumindest träumt der US-Präsident – der wird zwar namentlich nicht erwähnt, doch sein Tweet „Boops on the moon“ lässt keinen Zweifel, um wen es sich handelt. 

Die ersten zehn Folgen sind kurzweilig und es gibt ein paar wirklich komische Szenen. Vor allem immer dann, wenn John Malkovich mit von der Partie ist. Der steht als brillanter Dr. Mallory General Naird zur Seite. Malkovich spielt den Wissenschaftler mit schöner Süffisanz und entgegen seinem sonstigen Rollenprofil als relativ normalen Menschen – ein Highlight der Serie.

FAZIT

Für eine Militär-Komödie ziemlich lustig. Kuckt sich gut weg.

Originaltitel „Space Force“
USA 2020
10 Folgen, je 30 min
Created by Greg Daniels
ab 29. Mai 2020 auf Netflix

BENT

Was haben Kinos und Bordelle gemeinsam?
Beide gehören zu den sogenannten „Vergnügungsstätten“ und dürfen deshalb – im Gegensatz zu Theatern und Konzerthäusern – bald wieder aufmachen. Juche!
Die Bundesländer können sich überraschenderweise nicht einigen: Hier gehts am 15. Mai, da drei Tage später und dort erst nach Pfingsten los. Berlin macht sich’s gemütlich und nimmt sich ein bisschen länger Zeit – in der Hauptstadt bleiben die Kinosäle bis 5. Juni verschlossen. Das uneinheitliche Vorgehen ist für Verleiher ein Desaster, denn ein großer Hollywoodfilm wird kaum Bundesland für Bundesland an den Start geschickt. Bis sich dann alle doch noch geeinigt haben, gibt es weiterhin neue Video-on-Demand-Veröffentlichungen: diesmal ein digital restaurierter Klassiker des Queerfilms, „Bent“.

Erstaunlich, wer da alles mitspielt: Mick Jagger, Clive Owen, Nikolaj Coster-Waldau, Ian McKellen und der noch unbekannte Jude Law – in einer winzigen Nebenrolle, „Bent“ wurde 1997 gedreht.

Der homosexuelle Max (Clive Owen) genießt ein rauschhaft dekadentes Leben im Berlin der 30er Jahre. Während des „Röhm-Putsches“ können er und sein Freund Rudi zunächst fliehen, werden aber bald gefasst und verhaftet. Um nicht den rosa Winkel für Homosexuelle tragen zu müssen, lässt sich Max auf dem Weg nach Dachau einen Judenstern geben. Seine Selbstverleugnung geht sogar so weit, dass er seinen Freund auf Geheiß der Nazis tot prügelt.

Im Lager trifft Max auf Horst (Lothaire Bluteau), einen Insassen, der stolz das rosa Dreieck trägt. Die beiden Männer verlieben sich, obwohl ihnen streng verboten ist, miteinander zu sprechen oder sich gar zu berühren. 

Die erste Hälfte des Films hat mit ihren opulenten Partyszenen und Mick Jagger als Dragqueen (!) noch Schauwert, doch spätestens im zweiten Teil kippt „Bent“ in eine seltsame Künstlichkeit. Im Konzentrationslager werden in weißer Kulisse minutenlang Steine von rechts nach links getragen und in gestelzten Dialogen philosophiert. Dass der Film auf einem Theaterstück basiert, merkt man ihm da nur allzu deutlich an. 

FAZIT

Stärker auf der Bühne als auf der Leinwand.

p.s. Sollten die Kinos bis Anfang Juni alle wieder auf sein, kann man sich schonmal auf folgende Filme freuen:
„Exil“ ab 04. Juni
„Undine“ von Chritian Petzold ab 11. Juni
und ab 25. Juni „Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani

Originaltitel „Bent“
UK / JP 1997
102 min
Regie Sean Mathias
OV mit dt. UT
Ab sofort als VoD bei Club Salzgeber für 4,90 €

BERLIN, BERLIN – DER KINOFILM

Um es gleich vorwegzunehmen: der Inhalt ist kaum der Rede wert! Er verblasst gnädig schon wenige Minuten nach Filmende.
Lolle ist dabei, ihren alten Kumpel Hart zu ehelichen, die ewige Nummer zwei, als plötzlich auf dem Motorrad Jugendliebe Nummer eins daher braust, Cousin Sven, und verführerisch das Visier liftet. Lolle wird schwach und flüchtet vor der eigenen Hochzeit, wohl ahnend, dass das ein kapitaler Fehler sein könnte. Der Hallodri von damals ist der Hallodri von heute.

Es folgt ein Roadtrip von der Großstadt in den Harz und zurück – mit allerlei wirren Begegnungen. Warum und wieso, bleibt ein Geheimnis der Filmemacher. Die sogenannte „Handlung“ wirkt wie das Hirngespinst eines zugekifften Drehbuchautors, der mal so richtig die Sau rauslassen wollte. Leider hat ihm niemand verraten, wie öde das ist.
„Berlin, Berlin – Der Kinofilm“ ist vielleicht interessant für Nostalgiker mittleren Alters, die sich an die TV-Serie von vor 20 Jahren erinnern können und sich freuen, gerade in Coronazeiten, alte Bekannte wieder zu treffen. Damals trudelte das Landei Lolle (Felicitas Woll) vier Staffeln lang durch die Hauptstadt und erlebte Abenteuer. Sie wirkte emanzipiert und „Berlin, Berlin“ tatsächlich innovativ, die Geschichte immer wieder unterbrochen von bunten Comicszenen. Lolle war eine Type und die Vorabendserie umgab den Hauch des Authentischen. Heute wirkt alles eher muffig.

FAZIT

Was bleibt? Zu sehen, wie die Zeit sich einschreibt in Gesichter und was dabei ein paar Kilo mehr bewirken können. Selten etwas Gutes, so viel sei verraten. 

Deutschland 2020
80 min
Regie Franziska Meyer Price
Ab 08. Mai 2020 auf NETFLIX

DARK

Für einige wenige ist „Dark“ typisch deutsch und total komplizierter Scheiß. Der Handlung könne man vor allem deshalb kaum folgen, weil sich die jungen und die älteren Darsteller der Rollen wenig ähnlich sähen und man immer überlegen müsse, wer wer ist. Außerdem hätten die Filmemacher wohl kein Geld für Farbe, alles sei ein trüber grauer Brei.
Für die anderen ist „Dark“ die beste Serie aller Zeiten – zumindest auf Netflix. Das finden 80 % der Zuschauer und haben die deutsche Sci-Fi-Mystery-Serie gerade auf Platz eins bei Rotten Tomatoes gewählt. Noch vor „Stranger Things“, „The Crown“, „Black Mirror“ und anderen internationalen Netflix-Eigenproduktionen.

Wer mit Zeitreisegeschichten nix anfangen kann, sollte die Finger von „Dark“ lassen. Den immer komplizierter werdenden Handlungssträngen, die vom Eingreifen in die Vergangenheit und Zukunft erzählen, ist nur mit höchster Konzentration zu folgen. Lässt man sich aber darauf ein, wird man mit einem ausgesprochen befriedigenden Seherlebnis belohnt. Bis jetzt sind die Staffeln 1 und 2 verfügbar, in diesem Jahr wird das epische Werk mit der dritten und finalen Staffel abgeschlossen.  

Hier noch mal kurz angerissen, worum es geht:
(MILDE SPOILER) 

Die Geschichte beginnt in der fiktiven deutschen Kleinstadt Winden am 21. Juni 2019 mit dem Suizid von Michael Kahnwald. Er hinterlässt einen Brief mit dem Hinweis, ihn nicht vor dem 4. November um 22:13 Uhr zu öffnen. Michaels Sohn Jonas (Louis Hofmann, der ausnahmsweise bis zum Ende der 2. Staffel noch nicht die Hosen runter gelassen hat) kehrt nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie an seine Schule zurück. Als er sich mit seinen Freunden Martha, Bartosz, Magnus und dessen jüngererm Bruder Mikkel in den Wald zu den „Windener Höhlen“ aufmacht, werden sie Zeuge von unerklärlichen Phänomenen. Auf ihrer Flucht aus dem Wald verläuft sich Mikkel und geht verloren. Bei der anschließenden Suchaktion der Polizei wird in der Nähe der Höhlen die Leiche eines anderen, unbekannten Jungen gefunden.
„Dark“ ist eine Familiensaga mit übernatürlichen Elementen und spielt anfangs in der Gegenwart. Nach und nach werden das Doppelleben und die brüchige Beziehung zwischen vier Familien aufgedeckt. Es geht um einen geheimnisvollen Bergstollen, Atomkraft und Familiendramen in der Vergangenheit und Zukunft. Im Verlauf der achtzehn knapp einstündigen Folgen vollzieht die Handlung eine übernatürliche Wende der Ereignisse, die von 1921 über 1953, 1986, 2020  bis ins Jahr 2053 reichen.

FAZIT

Herzlichen Glückwunsch!

Deutschland 2017 – 2020
2 Staffeln, je 9 Folgen
Regie Baran bo Odar
Staffel 1 + 2 auf NETFLIX

KÖNIGIN

Anne, verheiratet, zwei Kinder, arbeitet als erfolgreiche Anwältin in Dänemark. Ihr Leben scheint perfekt. Doch dann beginnt sie eine verhängnisvolle Affäre mit ihrem 16-jährigen Stiefsohn. Gustav mag zwar körperlich reif sein, doch mental ist er noch ein halbes Kind. Einmal fragt er, was das Schlimmste sei, das sie sich vorstellen könne. „Alles zu verlieren“, antwortet Anne. Als ihre verbotene Beziehung aufzufliegen und sie tatsächlich alles zu verlieren droht, greift sie zu drastischen Mitteln. Ihre egoistischen Entscheidungen haben katastrophale Folgen.

„Königin“ erzählt die Geschichte eines Sündenfalls. Macht, Missbrauch und Verrat – es bleibt offen, ob Anne in ihrer Jugend selbst Opfer war. Regisseurin May el-Toukhy stellt den gängigen Glauben, im Bösen verberge sich manchmal ein guter Kern auf den Kopf: Bei ihr verbirgt sich im Guten das Böse. Der Film nimmt immer wieder Bezug auf Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Wie bei dessen Titelfigur kann man dem langsamen Sturz der Protagonisten in den bodenlosen Abgrund zuschauen. „Ab mit dem Kopf!“ Und wie die rote Königin aus dem Buch entpuppt sich auch Anne als unberechenbare Herrscherin über Leben und Tod.

Starke Schauspieler: Gustav Lindh als gar nicht so tougher Teenager und besonders Trine Dryholm, die für ihre Rolle als Anne bereits mehrfach ausgezeichnet wurde.

FAZIT

Unaufhaltsam tickendes Psychodrama. Sehenswert.

Originaltitel „Dronningen“
Dänemark 2019
127 min
Regie May el-Toukhy
Ab sofort zu kaufen bei iTunes, ab 14. Mai 2020 als VoD erhältlich

SYSTEMSPRENGER

MAMAAAAA!!! AAAAAHHHHH! Kreisch, Strampel, Tob: der Film zum häuslichen Coronakoller.
Benni (Helena Zengel, Deutscher Filmpreis: Beste Hauptdarstellerin) ist ein „Systemsprenger“. So nennt man Kinder, die durch alle Raster der deutschen Kinder- und Jugendhilfe fallen. Die Neunjährige schreit und prügelt sich schon nach kurzer Zeit aus jeder Pflegeeinrichtung raus. Genau das ist ihr Plan, denn Benni möchte unbedingt mit ihrer Mutter Bianca (Lisa Hagmeister) zusammenleben. Aber jeder außerplanmäßige Besuch beginnt mit Überforderung und endet in Gewalt. Zwischen all den Ausbrüchen und Kämpfen ist Benni ein niedliches Kind, das sich nach Zuneigung sehnt.
Entschlossen, sie aus dem Kreislauf der dauernden Zurückweisungen herauszuholen, nimmt Erzieher Micha (Albrecht Schuch, Deutscher Filmpreis: Bester Hauptdarsteller) die kleine Zeitbombe
 mit in eine einsam gelegene Waldhütte. Doch auch dieser Rettungsversuch mit Erlebnispädagogik ist zum Scheitern verurteilt. 

Nora Fingscheidt ist ein beinahe dokumentarischer Film über ein schwieriges Kind in noch schwierigeren Umständen gelungen. Als Zuschauer schwankt man zwischen Mitleid, Genervtheit und Hass. Das Dauer-Geschrei, aber auch die Ungerechtigkeit der Welt, geht an die Grenzen des Ertragbaren. „Systemsprenger“ ist ein intensiver Film mit einer herausragenden Hauptdarstellerin.

FAZIT

Völlig zu Recht achtfacher Gewinner des Deutschen Filmpreises 2020.

Deutschland 2019
118 min
Regie Nora Fingscheidt
ab sofort auf NETFILX

MADAME

Heutzutage dreht jedes Kleinkind perfekte Filme und lädt sie Sekunden später auf sozialen Plattformen hoch. Unvorstellbar für jugendliche Influencer: Es gab mal Zeiten, in denen Filme nicht in Hollywood-4K-Qualität aus dem iPhone kamen. Anfang der 80er Jahre galt es noch, klobige Videokameras zu schultern. Zum Glück bekommt auch der 13-jährige Stéphane Riethauser solch eine Kamera geschenkt. Der Junge beginnt, seinen Alltag zu filmen und so entsteht ein umfangreiches und einzigartiges Zeitdokument über seine Kindheit, Jugend und vor allem seine Oma.

Caroline ist eine rechte Lotte und steht im Mittelpunkt der Hommage, die Stéphane Riethauser seiner unkonventionellen Großmutter gewidmet hat. Ein bewegtes Leben: Nach einer von ihrem Vater arrangierten Hochzeit bekommt sie ihr erstes Kind, lässt sich kurz darauf scheiden – in den 1920er Jahren ein Skandal. Sie wird eine erfolgreiche Unternehmerin, eine selbstbewusste Frau, die sich dem patriarchalen System verweigert.

Jahre später sieht sich ihr Enkelsohn Stéphane mit ganz anderen und doch ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Auf dem „mit einem Zipfelchen“ ausgestatteten Kind lasten die Erwartungen des Vaters und einer heteronormen Gesellschaft. Als schwuler Junge unterdrückt er seine Gefühle, spielt der Familie und sich selbst die Rolle des Machos vor. Mit seinem Coming-out ändert er sein Leben radikal und wird zu einem engagierten Kämpfer für die Rechte der LGBTQ Community.

Das Interview, das der erwachsene Stéphane mit seiner 90-jährigen Großmutter kurz vor deren Tod gedreht hat, bildet den Rahmen der Dokumentation. Der Regisseur bebildert seine intime Familienchronik ausschließlich mit Amateuraufnahmen, die zunächst sein Vater seit den 1950er Jahren und später er selbst ab den 1980er Jahren gedreht haben.

FAZIT

So interessant kann anderer Leute Leben sein. Gewöhnungsbedürftig ist der vom Regisseur etwas roboterhaft eingesprochene deutsche Offtext.

Originaltitel „Madame“
Schweiz 2019
94 min
Regie Stéphane Riethauser
Ab sofort als VoD auf Club Salzgeber für 4,90 €

Weekly Update 03 – diesmal mit *unbezahlter Werbung

Im zweiten Stock übt das unbegabte Kind seit drei Stunden die Titelmelodie von „Der Herr der Ringe“ auf der Trompete. Wer wird heute zuerst einen Schreianfall bekommen, der Junge oder seine Mutter? Oben rollt die Psychologin Weinfässer durch die Wohnung. Das macht sie jeden Tag, oft bis 3 Uhr morgens. So laut, dass man kein Auge zu macht. „ZU“ ist übrigens das Un-Wort des Jahres. Alles ist zu, außer den Augen. Auch die Kinos sind weiterhin zu. Vielleicht muss Framerate bald „die 5 besten Science-Fiction-Filme auf Netflix“ oder kurz und knapp irgendwelche Serien besprechen. Bis es hoffentlich nie so weit ist, gibts erstmal weitere VoD Neuerscheinungen und Brot.

Brot? Ja KOMMA Brot! Das allerbeste Brot der Stadt kann man derzeit in „Die Weinerei“, einem charmanten Weinladen in der Veteranenstraße 17, Berlin-Mitte kaufen. Mehl, Salz, Hefe, Wasser und viel Liebe: Mehr Inhaltsstoffe braucht es nicht. Innen saftig weich, außen eine herrlich dunkle Kruste. Knurps, fünf Sterne! *

Zum Preis von etwas mehr als zwei Broten (9,99 €) kann man ab sofort den Berlinale Gewinner 2019 „Synonymes“ streamen und tut dabei auch noch Gutes: Grandfilm teilt den Gewinn 50/50 mit den wegen Corona geschlossenen Independent-Kinos, die bisher die Filme des Verleihers gezeigt haben. Und der bereits letzte Woche erwähnte Club Salzgeber erweitert ab 09. April sein Portfolio mit dem mexikanischen Film „This is not Berlin“. *

SYNONYMES

Schlechter kanns für Yoav kaum laufen: Die Wohnung, in der er unterkommen soll, ist komplett unmöbliert und leer. Weil es so kalt ist, nimmt er erst mal ein Bad. Kaum in der Wanne, werden ihm alle seine Sachen gestohlen. Tom Mercier spielt Yoav, einen unzufriedenen jungen Mann, der aus Tel Aviv nach Paris flieht, um dort ein neues Leben zu beginnen. Er will seine Wurzeln kappen, nichts soll ihn an seine Vergangenheit erinnern. Yoav weigert sich, auch nur ein einziges hebräisches Wort zu sprechen. Sein ständiger Begleiter ist ein französisches Wörterbuch. So kommuniziert er mit den verschiedenen Menschen, die seinen Weg kreuzen. Wie er mit seinem niedlich-debil-geilen Gesichtsausdruck, französische Vokabeln brabbelnd, durch die Straßen von Paris irrt, erinnert er fast ein bisschen an Trash-König Joey Heindle, der sich verlaufen hat. 

Ein Pluspunkt des Films ist sein trockener Humor. Nervig dagegen ist das unüberhörbare Rascheln der Drehbuchseiten. Das Verhalten der Figuren dient oft nur der Geschichte, wirkt dadurch artifiziell und zu gewollt. „Synonymes“ basiert auf den eigenen Erfahrungen von Autor und Regisseur Nadav Lapidist. Eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen, manche geglückt, manche weniger. 

FAZIT

Die Berlinale-Jury entschied, „Synonymes“ sei der beste Films des Festivals 2019 und verlieh ihm den Goldenen Bären.

Originaltitel „Synonyms“
Frankreich / Israel / Deutschland 2019
123 min
Regie Nadav Lapid 
Ab sofort als VoD auf Grandfilms für 9,99 €

THIS IS NOT BERLIN

Ein Junge mit langen Haaren steht verloren inmitten einer heftigen Massenschlägerei. Der Blick geht ins Leere, er fällt in Ohnmacht. 

Mexiko City, 1986. Ein Außenseiter in der Schule, zu Hause nervt seine in Depressionen versunkene Mutter: der 17-jährige Carlos gehört nirgendwo richtig dazu. Das mit dem in Ohnmacht fallen ist zwar uncool, dafür ist er am Lötkolben ein Held. Der kleine Daniel Düsentrieb bastelt in seiner Freizeit die verrücktesten Maschinen zusammen. Als er den Synthesizer einer Band repariert und damit deren Auftritt rettet, wird er zum Dank mit in den angesagten Klub „Azteca“ genommen. Während ganz Mexiko der WM entgegenfiebert, entdeckt Carlos dort zusammen mit seinem besten Freund Geza die Welt der Subkultur: Video-Art, Punk-Performance, sexuelle Ambivalenz und Drogen. 
Klingt wie ein gewöhnliches Abendprogramm im Berlin der 80er Jahre. But this is not Berlin, it’s Mexiko! Wer hätte gedacht, dass es da vor 35 Jahren genauso wild und künstlerisch aufregend zuging, wie in der damals noch geteilten Hauptstadt? Die Underground-Kultur der Zeit haben Regisseur Sama und sein Kameramann Altamirano perfekt wieder zum Leben erweckt. Sexuell freizügige Nacktkunst-Aktionen und Jeder-mit-jedem-Herumgeschlafe sind erfrischend offen und unverklemmt inszeniert.

„This is not Berlin“ mischt sehr viel – ein bisschen zu viel – schräge Kunst mit einer etwas generischen Coming-Of-Age-Story über einen Jungen, dem die Augen für eine neue Welt geöffnet werden. Am Ende verstolpert sich die Handlung zu sehr in Klischees von Eifersucht und betrogener Freundschaft, das hätte es gar nicht gebraucht. Bis dahin ist „This is not Berlin“ ein unkonventioneller Film über Selbstfindung, Freundschaft, Liebe und das Erwachsenwerden.

FAZIT

Interessante Zeitreise in die 80er – wurde bereits auf mehreren Festivals ausgezeichnet.

Originaltitel „Esto no es Berlín“
Mexiko 2019
109 min
Regie Hari Sama
Spanische OF mit deutschen UT
Ab 09. April als VoD auf Club Salzgeber für 4,90 €

Weekly Update 02

Toilettenpapierwitze kann jetzt langsam auch keiner mehr hören. Desgleichen Klagen über zu wenig Nudeln, Mehl oder Hefe im lokalen Supermarkt. Ist jetzt halt so, kauft euer Brot doch einfach weiter beim Bäcker, so wie in den letzten 50 Jahren vor Corona.

Ein viel größeres Problem (für framerate) sind die weiterhin geschlossenen Kinos. Die Verleiher gehen aber mittlerweile dazu über, vor allem kleinere Filme nicht mehr irgendwann im Kino, sondern jetzt online zu zeigen – per Video On Demand. Zum Glück, denn die schon vor Wochen verfassten Kritiken würden sonst in der Schublade verschimmeln – und das wäre ja schade.

Den Anfang macht „Kopfplatzen“, den die Edition Salzgeber in ihrem neu gegründeten „Salzgeber Club“ ab 2. April anbietet.

Auch lohnenswert ist der bereits besprochene Horrorthriller „Der Unsichtbare“ – den gibts im deutschen iTunes-Store ab sofort für schlappe 17,99 € zu leihen.

KOPFPLATZEN

Grau, grau, grau sind alle meine Kleider,
grau, grau, grau ist alles, was ich hab’.
Wie viele Shades of Grey gibt es eigentlich? More than 50? „Kopfplatzen“ zeigt sie alle. Vom Hemd über die Wandfarbe bis zur allgemeinen Grundstimmung. Grau auch das Befinden des Zuschauers. Wenn draußen die Welt untergeht, warum sich nicht mal zwei extra-düstere Stunden zu Hause machen?

Der 29-jährige Markus ist Architekt, hat schöne blaue (!) Augen, ist immer schick gekleidet. Ein netter Kerl, der auf Kinder steht. Auf kleine Jungs, um genauer zu sein. Er kann den ganzen Tag an nichts anderes denken, fotografiert sie im Schwimmbad, wirft ihnen verstohlene Blicke im Bus zu, läuft ihnen im Park hinterher. Er leidet unter seiner Veranlagung, sucht Hilfe.
„Verlassen Sie sofort meine Praxis!“ Sein Hausarzt will mit so einem wie ihm nichts zu tun haben. Und auch der Psychiater macht wenig Hoffnung. Heilbar sei die Neigung leider nicht. Da erscheint es als verheerender Wink des Schicksals, dass Jessica mit ihrem achtjährigen Sohn in die Nachbarwohnung einzieht. Der Mann und der Junge freunden sich an, die Mutter verliebt sich in den hilfsbereiten Markus.

Die Dialoge hören sich zwischendurch wie die vorgetragenen Protokolle einer Sitzung beim Psychotherapeuten an. Und auch wenn der Film immer wieder auf klischeehafte Symbolik zurückgreift, schauspielerisch ist „Kopfplatzen“ herausragend. Hauptdarsteller Max Riemelt sagt im Interview lakonisch, dass es keinen Unterschied mache, ob er einen Mörder, einen Nazi oder einen Pädosexuellen spiele. Stimmt, denn in Rollen schlüpfen ist schließlich sein Job. Trotzdem verdient er großes Lob für seinen Mut und die Intensität, mit der er diese Figur spielt. Savaş Ceviz‘ Drama fällt kein Urteil, bleibt ambivalent. Es wäre einfacher, käme Markus als aufgedunsenes, schwitzendes Ekelpaket daher, das im Campingwagen kleine Kinder verführt. Riemelt erzeugt mit der Darstellung des einsamen, bindungsunfähigen Markus verstörenderweise Mitgefühl, ohne eine mögliche Schuld zu verharmlosen.

FAZIT

Kein heiteres Thema, kein heiterer Film.

Deutschland 2019
99 min
Regie Savaş Cevizn 
Ab sofort als VoD im Salzgeber Club für 4,90 €

DER UNSICHTBARE

Universal Pictures hat seine Pläne, ein „Dark Univers“ mit Vampiren, Werwölfen und anderen Monstern zu kreieren nach dem Tom-Cruise-Flop „The Mummy“ zu Grabe getragen. Nun hat sich das Studio zu einem kompletten Reboot entschieden. Und so wie es aussieht, war das eine goldrichtige Entscheidung. Die Neuverfilmung des H. G. Wells Romans „Der Unsichtbare“ ist ein sehr gelungener Horrorthriller geworden, extrem spannend von der ersten bis zur letzten Minute. 

Cecilia Kass (Elisabeth Moss) flieht mitten in der Nacht aus dem Haus ihres kontrollsüchtigen Freundes Adrian. Sie taucht bei ihrem Kindheitsfreund James und dessen Tochter unter. Zwei Wochen später erfährt sie, dass ihr millionenschwerer Ex Selbstmord begangen hat. Doch Cecilias Erleichterung währt nicht lange. Bald ist sie sicher, von einem unsichtbaren Mann verfolgt zu werden. Natürlich glaubt ihr niemand, sie wird für verrückt erklärt.

Die Idee des Films, statt der Geschichte des Unsichtbaren die seines Opfers in den Mittelpunkt zu stellen geht voll auf. Der Perspektivenwechsel lässt den oft erzählten Horrorklassiker neu und frisch wirken. Ganz nebenbei zeigt Regisseur und Drehbuchautor Whannell glaubhaft die Angst und Auswirkungen einer Beziehung des Missbrauchs. Elisabeth Moss liefert als drangsalierte Ex-Freundin wieder mal eine Top-Leistung ab. Der Score von Benjamin Wallfisch ist  wirkungsvoll, Ausstattung und Kamera auf dem Punkt. Unglaublich, dass der Film mit einem Minibudget von 7 Millionen Dollar realisiert wurde.

FAZIT

Nervenaufreibend.

Originaltitel: „The Invisible Man“
USA 2020
110 min
Regie Leigh Whannell
Ab sofort als VoD auf iTunes für 17,99 €

Weekly Update 01

Große Sorge um Billie Eilish! Wieso? Was ist passiert? Hat sich die misslaunige Kindfrau etwas angetan? Nein, zum Glück nicht. Aber wie ist das denn jetzt? Ben Dolic darf nach der Absage des ESC im nächsten Jahr nicht noch mal mit seinem Lied „Violent Thing“ antreten. Irgendwie ist dann wohl die Halbwertszeit abgelaufen oder alle haben sich bis dahin an dem Song überhört. Von Billie Eilish stammt das Titellied zum neuen Bond „No Time To Die“. Der Film sollte im April in die Kinos kommen, vor kurzem wurde der Start auf 12. November verschoben. Hat sich die Welt bis dahin nicht auch an dem bereits veröffentlichten Jammer-Lied sattgehört? Müsste nicht ein neuer Titelsong her? Und damit auch eine neue Vorspannsequenz? Wer macht sich da mal bitte Gedanken?

James Bond ist ja leider nicht der einzige, der seine Premiere verschoben hat. Sämtliche Hollywood-Großproduktionen haben auf Krisenmodus geschaltet und kommen irgendwann, das RKI alleine weiß wann, ins Kino. „Mulan“, „The Black Widow“, „A Quiet Place 2“, und, und, und. Für die meisten Filme gibt es noch nicht mal einen neuen Starttermin. Die geschlossenen Kinos haben aber auch ihr Gutes, wenigstens verirrt sich jetzt niemand mehr in „Die Känguru Chroniken“.

Filmtipp, jetzt da alle Zeit haben. Auf iTunes noch mal (oder zum ersten Mal) „Once upon a time…in Hollywood“ schauen.

ONCE UPON A TIME…IN HOLLYWOOD

Der zweitbeste Film des Jahres 2019 war endlich mal keine Fortsetzung von irgendwas. Quentin Tarantino hat es schon immer meisterhaft verstanden, Geschichte mit facettenreichen Charakteren überraschend neu zu interpretieren. Seine Version der Manson-Morde ist kunstvoll verschachteltes, großes Erzählkino. Eine wilde Mischung aus Komik und Drama, die sich jenseits ausgetretener Dramaturgiepfade bewegt. Originell, atmosphärisch dicht und sehr unterhaltsam. 

Ex-Kinostar, Ex-Fernsehstar, jetzt sind höchstens noch Gastrollen als Bösewicht drin: Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) hat schon bessere Zeiten erlebt. Der Schauspieler und sein langjähriges Stunt Double Cliff Booth (Brad Pitt) bewegen sich stetig Richtung Karrieretief. Parallel zum Schicksal der beiden „has beens“ erzählt „Once upon a time…in Hollywood“ vom Aufstieg der jungen Schauspielerin Sharon Tate (Margot Robbie). Tarantinos neuntes Werk ist ein aufregender Blick hinter die Kulissen der Film- und TV-Industrie Ende der 60er-Jahre.

FAZIT

Vintage Quentin Tarantino at his best. Macht großen Spaß, hat Tiefe und ist eine wunderschöne Liebeserklärung an das goldene Zeitalter Hollywoods.

USA 2019
160 min
Regie Quentin Tarantion 
Zu sehen auf iTunes

NARZISS UND GOLDMUND

Was für Unwissende wie eine hippe Bar in Berlin Neukölln klingt, ist natürlich ein Klassiker der deutschen Literatur – Hermann Hesses berühmteste Erzählung aus dem Jahr 1930.

Die Geschichte spielt in der Klosterschule Mariabronn im Mittelalter und handelt von der Freundschaft zwischen den Schülern Narziß (im Buch immer noch mit ß) und Goldmund. Narziß ist streng gläubig, lebt in Askese und fühlt sich mehr als freundschaftlich zu Goldmund hingezogen. Der ist das genaue Gegenteil, ein Freigeist und Künstler, der der klösterlichen Enge bald entfliehen will.

Gregorianische Choräle, wollüstige Huren, zahnlose Wegelagerer und holde Jungfern, die mit blumengeschmücktem Haar über die Wiese laufen – Stefan Ruzowitzkys Verfilmung strotzt vor ausgelutschten Mittelalter-Klischees. Damit sich auch die heutige Jugend angesprochen fühlt, wird zwischendurch seltsam modern gesprochen: „Echt?“, fragt der kindliche Goldmund einmal. Besonders Kida Khor Ramadans Auftritte sorgen für unfreiwillige Lacher, wenn der „4 Blocks“-Schauspieler seine Dialoge in kaum unterdrücktem Gettodeutsch spricht. Die Anpassung an eine zeitgemäße Sprache bleibt inkonsequent, ist deshalb umso störender.

Lob für die beiden Hauptdarsteller, die tapfer gegen die schwache Inszenierung anspielen. Sabin Tambrea, bekannt als depressiver Ehemann aus „Ku’damm 56/59“, taucht glaubhaft in die düstere Welt der Tonsuren und Selbstgeißelung ein – ihm nimmt man uneingeschränkt den von unterdrückten Gefühlen gepeinigten Narziß ab. Jannis Niewöhner zieht so oft es geht sein Hemd (und manchmal auch die Hose) aus und empfiehlt sich mit gestähltem Body, blondierten Haaren und angeklebtem Bart als deutsche Antwort auf Charlie Hunnam. Mit seiner lebendigen Ausstrahlung und Körperlichkeit verleiht er dem Abenteurer Goldmund die nötige Portion Wildheit.

FAZIT

Ob man mit dieser Verfilmung zukünftigen Schülergenerationen einen Gefallen tut? Besser noch mal das Buch lesen.

Deutschland 2020
118 min
Regie Stefan Ruzowitzky
Kinostart 12. März 2020

ONWARD: KEINE HALBEN SACHEN

New Mushroomton ist eine stinknormale US-Kleinstadt: Hier leben Elfen, Zwerge, Riesen, besoffene Einhörner und die blauhaarigen Brüder Ian und Barley Lightfoot (im Original: Tom Holland und Chris Pratt).
Zu seinem 16. Geburtstag bekommt Ian von seiner Mutter ein ganz besonderes Geschenk – einen Zauberstock, mit dem er (angeblich) seinen verstorbenen Vater für einen Tag zurück ins Leben holen kann.

Regisseur Dan Scanlon hat die Zutaten aus so ziemlich jedem erfolgreichen Fantasy-Film der letzten Jahrzehnte in einem großen Topf (oder hier passender: Kessel) zusammengerührt: Harry Potter, Herr der Ringe, Gremlins, Drachenzähmen leicht gemacht, dazu ein bisschen Avatar und eine Prise Transformers. Aber was er aus diesem Brei gemacht hat, ist überraschend originell und schmeckt!
Wie immer bei Pixar-Produktionen legt das Drehbuch großen Wert auf liebevoll ausgearbeitete Figuren. Die Vater-Sohn-Familien-Geschichte punktet besonders mit selbstironischen Seitenhieben auf die übertriebene Kommerzialisierung, wie sie Disney in seinen diversen Themenparks betreibt. Der Film hat Herz, Humor und natürlich eine Botschaft. Die ist zwar auch recycelt – sei Du selbst, dann kannst Du alles schaffen – aber wie das präsentiert und inszeniert wird, ist ausgemacht unterhaltsam.

FAZIT

„Onward: Keine halben Sachen“ spielt zwar nicht in der Liga von „UP“, „Inside Out“ oder anderen Pixar-Klassikern, besticht aber durch seinen erfrischenden Humor und seine hübschen originellen Ideen.

Originaltitel „Onward“
USA 2019
112 min
Regie Dan Scanlon
Kinostart 05. März 2020

DIE KÄNGURU-CHRONIKEN

Mit Humor ist das so eine Sache. Was die einen zum Brüllen komisch finden, löst bei den anderen nur unverständiges Kopfschütteln aus. Es soll ja Menschen geben, die Eckart von Hirschhausen lustig finden. Oder Dieter Nuhr. So gesehen hat der Bestseller „Die Känguru-Chroniken“ bestimmt seine Daseinsberechtigung. Vielleicht können begeisterte Leser jetzt auch herzlich über die Dani Levy-Verfilmung lachen.

Gleich zu Beginn ist aus dem Off ein Streitgespräch zwischen Kleinkünstler Marc-Uwe und dem Känguru zu hören. Das Känguru (dessen Stimme ungefähr die Penetranz des Erklärvogels aus der roten Infobox am Potsdamer Platz hat – die Älteren erinnern sich) besteht darauf, dass die gemeinsame Geschichte von Anfang an erzählt wird. Dazu sieht man ein paar Szenen, die dem Känguru aber nicht weit genug zurückreichen. „Nein“, nölt es, „Du musst noch weiter zurück, ganz an den Anfang!“ Und was kommt? Na? Richtig, eine Szene vom Urknall. Haha. Sehr originell – not. Wer so was zum Lachen findet, ist mit „Die Känguru Chroniken“ bestens bedient.

FAZIT

Regisseur Dani Levy fügt seinem Oeuvre einen weiteren missglückten Film bei.

Deutschland 2020
90 min
Regie Dani Levy
Kinostart 05. März 2020

DER UNSICHTBARE

Universal Pictures hat seine Pläne, ein „Dark Univers“ mit Vampiren, Werwölfen und anderen Monstern zu kreieren nach dem Tom-Cruise-Flop „The Mummy“ zu Grabe getragen. Nun hat sich das Studio zu einem kompletten Reboot entschieden. Und so wie es aussieht, war das eine goldrichtige Entscheidung. Die Neuverfilmung des H. G. Wells Romans „Der Unsichtbare“ ist ein sehr gelungener Horrorthriller geworden, extrem spannend von der ersten bis zur letzten Minute. 

Cecilia Kass (Elisabeth Moss) flieht mitten in der Nacht aus dem Haus ihres kontrollsüchtigen Freundes Adrian. Sie taucht bei ihrem Kindheitsfreund James und dessen Tochter unter. Zwei Wochen später erfährt sie, dass ihr millionenschwerer Ex Selbstmord begangen hat. Doch Cecilias Erleichterung währt nicht lange. Bald ist sie sicher, von einem unsichtbaren Mann verfolgt zu werden. Natürlich glaubt ihr niemand, sie wird für verrückt erklärt.

Die Idee des Films, statt der Geschichte des Unsichtbaren die seines Opfers in den Mittelpunkt zu stellen geht voll auf. Der Perspektivenwechsel lässt den oft erzählten Horrorklassiker neu und frisch wirken. Ganz nebenbei zeigt Regisseur und Drehbuchautor Whannell glaubhaft die Angst und Auswirkungen einer Beziehung des Missbrauchs. Elisabeth Moss liefert als drangsalierte Ex-Freundin wieder mal eine Top-Leistung ab. Der Score von Benjamin Wallfisch ist  wirkungsvoll, Ausstattung und Kamera auf dem Punkt. Unglaublich, dass der Film mit einem Minibudget von 7 Millionen Dollar realisiert wurde.

FAZIT

Nervenaufreibend.

Originaltitel: „The Invisible Man“
USA 2020
110 min
Regie Leigh Whannell
Kinostart 27. Februar 2020

HIGHLIGHTS BERLINALE 2020 ● IRRADIÉS ● SHEYTAN VOJUD NADARAD

Das hat Framerate im Wettbewerbsprogramm 2020 am besten gefallen:
„Berlin Alexanderplatz“
„First Cow“
„Schwesterlein“ (schauspielerisch)
Und im Panorama:
„Shirley“
„Exil“

Der allgemeine Kritikerliebling „Never Rarely Sometimes Always“ war auch nicht schlecht, wenngleich die Rollenverteilung in grundböse Männer und gütige Frauen ein wenig zu plump war.

Das Fazit zur Berlinale: gleichbleibender Puls mit leichten Ausschlägen nach unten und nach oben.

Und sonst?
Aufgrund eines Betriebsausflugs ist es der Framerate-Redaktion leider nicht möglich, die letzten beiden Wettbewerbsbeiträge* zu sichten. Der Vollständigkeit halber gibt es wenigstens einen Copy/Paste-Auszug aus dem wie immer lyrischen Pressetext.
(*Nachtrag: NATÜRLICH hat „Sheytan Vojud Nadarad“ den goldenen Bären gewonnen, war ja klar…)

Schon am Montag, den 2. März geht’s bei Framerate mit „Der Unsichtbare“ weiter, einem sehr gelungenen Horrorthriller mit Elisabeth Moss.

IRRADIÉS

(Wettbewerb)

Pressetext: „Jede Tragödie ist einzigartig, doch die Wiederholung erzeugt jenes dumpfe Rauschen, vor dem es kein Entrinnen gibt. „Irradiés“ ist gemacht von Menschen, die körperliche und psychische Irradiationen von Krieg überlebt haben, und jenen ans Herz gelegt, die glauben, gegen solche immun zu sein.
„Irradiés“ ist kein Opus für die Kunstgalerie, sondern ein extremer, notwendiger Film, der mit unnachgiebiger Wucht in Auge und Herz dringt.“

Englischer Titel „Irradiated“
Frankreich / Kambodscha 2020
88 min
Regie Rithy Panh

SHEYTAN VOJUD NADARAD

(Wettbewerb)

Pressetext: „Die vier Geschichten, aus denen „Sheytan vojud nadarad“ besteht, sind Variationen über die Themen moralische Kraft und Todesstrafe. Sie fragen danach, bis zu welchem Grad individuelle Freiheit unter einem despotischen Regime und scheinbar unentrinnbaren Bedrohungen möglich ist. Mohammad Rasoulof verknüpft sie narrativ nur lose, dennoch sind sie auf unerschütterliche und tragische Art miteinander verbunden. Angesichts der organisierten Unterdrückung scheint es nur eine Wahl zu geben: zwischen Widerstand und Überleben. Trotzdem fordert uns jede der abrupt abbrechenden Geschichten auf, darüber nachzudenken, wie Männer und Frauen auch in solchen Situationen ihre Freiheit behaupten können.

Englischer Titel „There Is No Evil“
Deutschland / Tschechische Republik / Iran 2020
150 min
Regie Mohammad Rasoulof

RIZI ● CHARLATAN

Meist ist es ein älterer, korpulenter Herr im dunklen Mantel. Die Haare grau meliert, Schuppen auf den Schultern, Brille. Man steht vor dem noch verschlossenen CinemaXx, eingeklemmt zwischen hundert Wartenden. Es riecht nach ungelüftetem Wollpulli. Sobald sich die Türen öffnen, schiebt, drückt und drängelt der Mann, bis der Weg abgeschnitten ist. Auf der Treppe zum Saal bewegt er sich dann plötzlich zeitlupenlangsam – verständlich, denn die sms muss genau jetzt beantwortet werden. Das Ganze gibt es noch als Variation mit kleinwagengroßem Rucksack auf dem Rücken.

RIZI

(Wettbewerb)

Apropos älterer Herr: Achtung, SPOILER! Es folgt die komplette Handlung des Films „Rizi“.
Ein Mann hat Schmerzen. Er starrt in den Regen, nimmt ein Bad, geht zur Akupunktur. Ein jüngerer Mann bereitet in einem spartanisch eingerichteten Raum Speisen zu. Er putzt das Gemüse, heizt die Kohlen an.
Das alles wird in minutenlangen Einstellungen in Echtzeit gezeigt. Nach etwas 45 Minuten kommt Bewegung in die Sache. Allerdings nicht auf der Leinwand, sondern im Kino. Zuschauer flüchten aus dem Saal.
Der ältere Mann liegt inzwischen nackt auf einem Hotelbett. Der jüngere Mann massiert ihn. Man fragt sich besorgt, ob es eine 30- oder 90-Minuten-Behandlung wird. Dann, nach weiteren 10 Minuten der erlösende Schnitt. Ach nein, die Einstellungsgröße hat sich nur geändert, die Massage geht weiter, wird zum Happy End gebracht. Die beiden Männer gehen noch eine Kleinigkeit in einem Rote-Lampen-Laden essen. Das Leben geht weiter. Der Junge kocht Suppe, der Alte fotografiert Fische und schläft.

Nach 127 Minuten ein müder Interpretationsversuch: Einsamkeit in der Großstadt? Liebe ist käuflich?

Englischer Titel „Days“
Taiwan 2019
127 min
Regie Tsai Ming-Liang

CHARLATAN

(Berlinale Special Gala)

Ein bisschen Urin in einem Glas (transparent muss es sein!) gegen das Licht gehalten – und schon kann Jan Mikolášek eine Diagnose stellen. Ein paar Kräutermischungen zum Tee aufgebraut, Patient gesund, fertig! So ein Wunderheiler würde heutzutage Millionen verdienen, Mikolášek hat das Pech, in der Tschechoslowakei zur falschen Zeit zu leben. In den Jahren des Poststalinismus ist er den Machthabern ein Dorn im Auge, wegen eines konstruierten Verbrechens werden er und sein Assistent František vor Gericht gestellt.

„Charlatan“ erzählt zum einen die Lebensgeschichte eines Wunderheilers oder eben Scharlatans – kommt auf den Standpunkt an – und zum anderen eine Liebesgeschichte. Mikolášek und František waren beide mit Frauen verheiratet, führten aber jahrelang eine heimliche, homosexuelle  Beziehung.

Agnieszka Hollands Film ist ein konventionell gemachtes aber lehrreiches und halbwegs spannendes Biopic.

Tschechische Republik / Irland / Polen / Slowakische Republik 2020
118 min
Regie Agnieszka Holland