DAS ZWEITE LEBEN DES MONSIEUR ALAIN

Der Dieselskandal hat die Automobilbranche erschüttert, jetzt setzen die Hersteller auf Elektromobilität. Beim Genfer Autosalon soll das neue französische E-Auto LX2 vorgestellt werden. Manager Alain Wapler steht nach drei Jahren Entwicklungszeit unter Druck, im Konzern ist er ohnehin angezählt.

5 Uhr 50, der Radiowecker spielt die Börsennachrichten: Alains Arm fühlt sich seltsam taub an, im Büro geht sein Powernap nahtlos in eine Ohnmacht über und auf dem Weg zum nächsten Termin folgt plötzlich ein Gehirnschlag. So schnell kann’s gehen, der Workaholic mit dem übergroßen Ego ist außer Gefecht gesetzt. Sein Sprachzentrum ist schwer gestört, die Worte kommen nur noch drehvert aus dem Mund und mit dem Orientierungssinn steht es auch nicht zum besten.

„Das zweite Leben des Monsieur Alain“ basiert auf der Autobiografie des Ex-Airbus- und Peugeot-Konzernmanagers Christian Streiff. Dessen komisch-dramatischer Kampf zurück ins Leben und sein Versuch, das Herz seiner entfremdeten Tochter wiederzugewinnen, hätten für einen abendfüllenden Kinofilm ausgereicht. Aber zusätzlich wird in einer Parallelhandlung die zwar charmante, aber komplett überflüssige Liebes- und Adoptionsgeschichte der Logopädin Jeanne erzählt. Dann gibt’s noch einen „Ich bin dann mal weg“-Jakobsweg-Selbstfindungstrip auszuhalten, da wähnt man sich schon wieder in einem ganz anderen Film. Weniger wäre mehr. 

FAZIT

Gute Schauspieler, interessante Geschichte – stellenweise berührend und komisch – insgesamt aber zu unentschlossen umgesetzt. Vor allem im letzten Drittel zerfasert der Film komplett.

Originaltitel „Un homme pressé„
Frankreich 2018
100 min
Regie Hervé Mimran
Kinostart 22. August 2019

ONCE UPON A TIME…IN HOLLYWOOD

Der bisher beste Film des Jahres ist endlich mal keine Fortsetzung von irgendwas. Quentin Tarantino hat es schon immer meisterhaft verstanden, Geschichte mit facettenreichen Charakteren überraschend neu zu interpretieren. Seine Version der Manson-Morde ist kunstvoll verschachteltes, großes Erzählkino. Eine wilde Mischung aus Komik und Drama, die sich jenseits ausgetretener Dramaturgiepfade bewegt. Originell, atmosphärisch dicht und sehr unterhaltsam. 

Ex-Kinostar, Ex-Fernsehstar, jetzt sind höchstens noch Gastrollen als Bösewicht drin: Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) hat schon bessere Zeiten erlebt. Der Schauspieler und sein langjähriges Stunt Double Cliff Booth (Brad Pitt) bewegen sich stetig Richtung Karrieretief. Parallel zum Schicksal der beiden „has beens“ erzählt „Once upon a time…in Hollywood“ vom Aufstieg der jungen Schauspielerin Sharon Tate (Margot Robbie). Tarantinos neuntes Werk ist ein aufregender Blick hinter die Kulissen der Film- und TV-Industrie Ende der 60er-Jahre.

FAZIT

Vintage Quentin Tarantino at his best. Macht großen Spaß, hat Tiefe und ist eine wunderschöne Liebeserklärung an das goldene Zeitalter Hollywoods.

Originaltitel „Once upon a time…in Hollywood“
USA 2019
160 min
Regie Quentin Tarantino
Kinostart 15. August 2019

PHOTOGRAPH

Der neue Film von Ritesh Batra. Im vergangenen Jahr erfreute der Regisseur mit der sehr gelungenen Romanverfilmung „The Sense of an Ending“ – seinem zweiten englischsprachigen Film nach „Lunchbox“ (2013). Mit „Photograph“ kehrt er nun zu seinen indischen Wurzeln zurück.
Straßenfotograf Rami soll von seiner Großmutter zwangsverheiratet werden. Als er eines Tages zufällig die junge Miloni trifft, fragt er sie, ob sie sich als seine Freundin ausgeben könnte. Das schüchterne Mädchen willigt ein.

„Photograph“ ist eine bittersüße, aber recht harmlose Romanze über zwei Menschen von unterschiedlicher Herkunft. Gewöhnungsbedürftig ist die Besetzung der beiden Hauptdarsteller: „Rafi“ Nawazuddin Siddiqui, sonst in Indien eher als Actionstar bekannt, könnte locker als Vater von Sanya Malhotras „Miloni“ durchgehen.

FAZIT

Zeigt ein paar authentische Einblicke in den indischen Alltag. Ganz okay.

Originaltitel „Photograph“
Indien/Deutschland/USA 2019
110 min
Regie Ritesh Batra
Kinostart 08. August 2019

SO WIE DU MICH WILLST

Claire, 50, befreundet sich auf Facebook mit Alex, 29. Im Profil gibt sie sich als attraktive 24-Jährige aus, Alex zeigt sich interessiert. Nach ein paar Wochen hin- und hergechatte will er seine Traumfrau endlich treffen. Claire versucht, ihn auf Abstand zu halten, verliert sich aber zusehends im Sog der Parallelwelt, bis ein Unglück geschieht.

Nicht nur Teenager verlieren sich in der virtuellen Welt der Social Networks, auch reifere Semester sind vor dem Absturz ins digitale Nirwana nicht gefeit. Basierend auf einem Roman von Camille Laurens, erzählt Regisseur Safy Nebbou in „So wie Du mich willst“ von einer Frau, die nicht nur mit ihren eigenen Verletzungen ringt, sondern auch mit der Angst vor dem Älterwerden. Ihre Geschichte – bzw. die Geschichten, denn es werden mehrere Varianten erzählt – schwankt zwischen belanglos, ergreifend, komisch und kitschig. 

FAZIT

Juliette Binoche ist der Hauptgrund, diesen sanften Thriller-Liebesfilm anzuschauen, denn die ist wie immer fabuleux! 

Originaltitel „Celle que vous croyez“
Frankreich 2019
101 min
Regie Safy Nebbou
Kinostart 08. August 2019

ANNA

Die ranzigen Klischees fangen schon beim Titel an: ANИA wird mit einem gespiegelten N geschrieben, weil’s so schön rusƨisch aussieht. Das ist ungefähr so originell wie das als Kreuz geschriebene „†“ bei Horrorfilmen. Weiter geht’s: Anna wird vom KGB zur Kampfmaschine ausgebildet und anschließend zum Spionieren in den Westen verschickt. In Paris arbeitet sie natürlich als Supermodel, die Modefotografen sind allesamt zugekokste Irre, ihre WG-Mitbewohnerin eine heiße Lesbe und die CIA- und KGB-Agenten, mit denen sie es zu tun bekommt, verlieben sich reihenweise in die schöne Russin.

Luc Besson hat entweder verlernt, wie es geht, oder es war ihm schlicht egal: Die lustlos inszenierten Autoverfolgungen sind holprig zusammengeschnitten, die Kampfszenen lachhaft unrealistisch. Da setzt eine einzige Frau vierzig schwerbewaffnete Männer mit Leichtigkeit außer Gefecht. Natürlich stürzen die sich nicht (wie im wahren Leben) alle gleichzeitig auf die zarte Anna, sondern immer schön der Reihe nach. Das ist zwar taktisch nicht besonders klug, dafür wenigstens höflich.

Auch die Struktur des Films ist stümperhaft: Kaum passiert etwas Dramatisches, folgt eine Titel-Einblendung: „3 Monate vorher“ (als Variante: 10 Jahre, 6 Wochen, 2 Stunden, 5 Tage). Nun wird die eben gezeigte Szene mit einem Twist neu aufgerollt. Überraschung, alles ist ganz anders als gedacht. Gegen diesen erzählerischen Kniff gibt es grundsätzlich nichts einzuwenden, es sei denn, er wird wie hier wieder und wieder und wieder eingesetzt – fast unfreiwillig komisch in seiner Penetranz.

Die thematisch ähnlichen „Atomic Blonde“ und „Red Sparrow“ waren zwar auch keine wirklich guten Filme, wurden aber wenigstens von Charlize Theron und Jennifer Lawrence (halbwegs) gerettet. Anna wird von Sasha Luss gespielt. Die ist Model und sieht – für diese Berufsgruppe nicht ungewöhnlich – top aus. Schauspielerisch ist sie dagegen komplett überfordert. Dass sich Kälte und Emotionslosigkeit nicht zwingend in wächserner Mimik und gelangweilt abgelesenen Dialogen ausdrücken muss, wusste schon Grace Kelly in den 50er Jahren. 

FAZIT

Hat trotz aller Kritik einen gewissen trashigen Unterhaltungswert – und Helen Mirren in einer Nebenrolle!
Mit weniger Klischees, einem besseren Drehbuch, einem inspirierteren Regisseur und einer fähigeren Hauptdarstellerin hätte das theoretisch ein großer Popcorn-Kinospaß werden können.

Originaltitel „Anna“
Frankreich / USA 2019
119 min
Regie Luc Besson
Kinostart 18. Juli 2019

AUSGEFLOGEN

Ooooooh! Was Hundewelpen im Tierreich sind, ist „Ausgeflogen“ für Kinofilme. Weich, knuddelig und herzerwärmend. Héloïse ist geschieden, Mutter dreier Kinder und Besitzerin eines Restaurants. Die beiden Älteren sind aus dem Haus, nun ist die Jüngste kurz davor, zum Studium nach Kanada zu ziehen. Küken müssen das Nest verlassen – ein notwendiger Schritt, der bei Héloïse eine existenzielle Krise auslöst.

Ein wenig erinnert „Ausgeflogen“ an „Boyhood“. Wie in Linklaters Film geht es auch hier um Familiendynamik, Loslassen und Erwachsenwerden. Die Erzählung wechselt dabei mit Leichtigkeit zwischen zwei Zeitebenen: dem heutigen Paris und dreizehn Jahre in die Vergangenheit, kurz nach dem Scheitern von Héloïse‘ Ehe.

Regisseurin Lisa Azuelos hat schon mit „LOL“ (zunächst als französische, später als US-Version) eine ähnlich charismatische Komödie vorgelegt. Timing, Charakterzeichnung und Tempo sind perfekt, Hauptdarstellerin Sandrine Kiberlain ist als liebenswerte Mutter zugleich komisch und berührend. 

FAZIT

Es geht zwar im Grunde um nichts, aber dieses Nichts wird in angenehm kurzweiligen 87 Minuten sehr charmant beschrieben.

Originaltitel „Mon Bébé“
Frankreich 2019
87 min
Regie Lisa Azuelos 
Kinostart 18. Juli 2019

DER KÖNIG DER LÖWEN

Egal, ob man Musicals nun mag oder nicht: „Der König der Löwen“ sieht fantastisch aus und ist eine technische Meisterleistung.

Das Remake des Zeichentrick-Klassikers von 1994 ist visuell bahnbrechend, die fotorealistischen Landschaften und Tiere in diesem zu hundert Prozent im Computer entstandenen Animationsfilm sehen unfassbar gut aus. Dahinter steckt wieder einmal Jon Favreau, der schon mit „Iron Man“ und „The Jungle Book“ Maßstäbe im CGI-Filmemachen gesetzt hat.

Für die Optik also fünf Sterne plus, für das etwas mutlose Eins-zu-eins-Remake nur zwei. Denn Disney geht mit dieser Neuauflage auf Nummer sicher: die bekannte Hamlet-Geschichte vom Löwenjungen Simba, die Dialoge, die berühmten Originalsongs – fast alles unverändert. Immerhin ist der namhafte voice-cast neu: im Original sprechen und singen unter anderem Beyoncé, Seth Rogen und Donald Glover.

FAZIT

Grundsätzliche Frage nach „Dumbo“ und „Aladdin“: Braucht es technisch ge-updatete Versionen alter Zeichentrickklassiker? Bei der Pressevorführung von „Der König der Löwen“ hat eine erwachsene Frau auf dem Nebensitz abwechselnd vor Freude gegluckst und Rotz und Wasser geheult – Disney scheint diesmal alles richtig gemacht zu haben.

Originaltitel „The Lion King“
USA 2019
117 min
Regie Jon Favreau
Kinostart 17. Juli 2019

TEL AVIV ON FIRE

Salam arbeitet als Praktikant bei der Fernsehproduktion seines Onkels. Seine Hauptaufgaben sind Kaffee kochen und die hebräische Aussprache der französischen Hauptdarstellerin einer Soap-Opera korrigieren. Der leicht verträumt daher kommende Mittdreißiger muss für seinen Job täglich die Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland passieren. Bei einer Kontrolle erzählt er dem gefrusteten Kommandeur Assi aus Angeberei, dass er der Drehbuchautor der Sechstagekrieg-Soap „Tel Aviv on Fire“ sei. Assi kennt die Show – seine Frau ist schließlich großer Fan – und hat jede Menge Ideen, wie man die Serie seiner Ansicht nach „realistischer“ machen könnte. Für die kleine Nachhilfe verlangt er lediglich eine tägliche Hummus-Lieferung – und zwar „den guten, arabischen“. Kein hoher Preis, findet Salam. Zu seiner eigenen Überraschung feiert er tatsächlich bald Erfolg als neuer Drehbuchautor der Serie. Sogar die kapriziöse Hauptdarstellerin ist begeistert, die eigentlich antizionistische Seifenoper wird immer populärer.

Regisseur Sameh Zoabi gewinnt dem seit Jahrzehnten unentwirrbar verknoteten Verhältnis Israels und Palästinas eine neue, komische Seite ab. „Palästina ist wie eine US-Serie, die immer weiter und weiter geht.“ So tiefsinnig und wahr beschreibt das ein Kollege von Salam. Auch wenn die Geschichte vom verschusselten „Drehbuchautoren über Nacht“ ein wenig zu märchenhaft ist – die sympathischen Figuren und der federleichte Ton machen die Komödie sehenswert.

FAZIT

Hummus zur Völkerverständigung:
250 g Kichererbsen in einen Mixer geben und langsam 150 ml kaltes Wasser dazu gießen. 2 Knoblauchzehen, den Saft einer Zitrone, 1/2 TL Salz und 1/2 TL Kreuzkümmel hinzugeben und so lange mixen, bis eine homogene Soße entstanden ist. 200 g Sesampaste (Tahina) dazu geben und mindestens 1 Minute auf hoher Stufe verrühren, bis der Hummus cremig ist. Mit Olivenöl, Kräutern, Fladenbrot und Zwiebeln servieren. 

Originaltitel „Tel Aviv On Fire“
Luxemburg, Frankreich, Israel, Belgien 2018
97 min
Regie Sameh Zoabi
Kinostart 04. Juli 2019

ANNABELLE 3

Seit 2013 hat sich das Conjuring-Universe zu einer Gelddruckmaschine entwickelt. Sein größter Star ist Annabelle. Die garstige Puppe hat mittlerweile ihre eigene Filmreihe, jetzt kommt der dritte Teil in die Kinos.

Ed und Lorraine Warren (Patrick Wilson und Vera Farmiga) haben gerade wieder einen Fall abgeschlossen. Um Teufelspuppe Annabelle daran zu hindern, weiteren Schaden anzurichten, nehmen sie sie mit zu sich nach Hause – keine gute Idee. In einem verriegelten Artefakte-Raum bezieht Annabelle eine Vitrine, „sicher“ untergebracht hinter heiligem Glas, das zusätzlich von einem Priester geweiht wurde.

Schlechte Idee, die Zweite: Als Ed und Lorraine zu einem neuen Fall gerufen werden, lassen sie ihre 10-jährige Tochter Judy mit der nicht viel älteren Babysitterin Mary Ellen zu Hause zurück. Die wiederum hat ihre beste Freundin Daniela im Schlepptau, ein Mädchen, das sich unglücklicherweise nicht an Regeln hält und (zu) sehr für die Geisterwelt interessiert.

FAZIT

„Annabelle 3“ ist ein größtenteils vorhersehbarer, nicht übertrieben origineller Genrefilm. Trotz der titiseegroßen Plotholes gibt es ein paar originelle Schockmomente, nett gemachte, altmodische Effekte und somit halbwegs annehmbare Gruselstimmung.

Originaltitel „Annabelle Comes Home“
USA 2019
106 min
Regie Gary Dauberman
Kinostart 04. Juli 2019

SPIDER-MAN: FAR FROM HOME

Zur Pressevorführung tritt eine Mitarbeiterin von Sony vors Publikum und bittet, „keinesfalls irgendwelche Spoiler zu veröffentlichen, damit jeder Zuschauer die Chance hat, den Film unvoreingenommen zu genießen.“ Das macht es nicht gerade leicht, eine halbwegs relevante Besprechung zu „Spider-Man: Far From Home“ zu schreiben, denn wo ist die Grenze? Schließlich knüpft der Film direkt an die Ereignisse von „Avengers: Endgame“ an. Wissen mittlerweile alle Zuschauer, dass 
ACHTUNG: SPOILER 
Iron Man, alias Tony Stark das Zeitliche gesegnet hat? Und dessen Zögling Peter Parker, nun alleingelassen, seinen Weg vom Teenager zum ausgewachsenen Superhelden finden muss?

Darf man wenigstens sagen, dass der neue Spider-Man-Film ein durchwachsenes Vergnügen ist?

Nach dem epischen und fabelhaften letzten Avengers-Film schaltet Marvel (verständlicherweise) ein paar Gänge zurück. Wie soll man das auch toppen? 

Spidey ist müde und urlaubsreif. Da trifft es sich gut, dass seine (finanziell offensichtlich sehr gut gestellte) Schule einen Ausflug plant: Venedig, Paris, London.
Während unsereins ins Schwarzwälder Luginsland und später mit viel Glück nach Prag (damals noch vom Tourismus unzerstört) reisen durfte, fliegen die feinen New York Kids von heute mal eben über den Atlantik in die Alte Welt. Das kennt man schon: Fällt den Autoren nichts Neues ein, wird die Handlung kurzerhand in ein exotisches Land oder – wie in diesem Fall – nach Europa verlegt. So entpuppt sich die Klassenreise auch als lahmer Drehbuchkniff, um dem Film durch neue Locations frisches Blut zu injizieren. Hilft nichts, schon der erste Kampf, kaum in Venedig angekommen, mit einem wenig beeindruckenden „Gezeiten“-Monster, ist in seiner Plastikhaftigkeit vergleichsweise unterwältigend. Aber ohne Avengers-level-große Bedrohungen geht’s halt nicht, denn Spiderman ist ein Marvel-Superheldenfilm und keine Coming-of-Age-Komödie.

Hinter den zerstörungswütigen Wasser-, Erd-, Feuer- und Luft-Monstren steckt natürlich ein Bösewicht, der nach Ruhm und Macht giert. Die Motivation des Schurken ist allerdings mehr als an den Haaren herbeigezogen und das Drehbuch entblödet sich nicht, ihn zwischendurch sein Anliegen und den ganzen Plot in einem langatmigen Monolog erklären zu lassen. Gutes Geschichtenerzählen sieht anders aus.

FAZIT

Zwiespältig. Der Aspekt der pubertären Verunsicherung und ersten Verliebtheit hat deutlich mehr Potenzial als die auf Dauer ermüdenden Actionszenen. Sehenswert machen den Film seine mitunter witzigen Dialoge und der Cast: Verlässlich wie immer gibt Samuel L. Jackson den knurrigen Nick Fury, als Neuzugang im MCU ist Jake Gyllenhaal dabei und der mittlerweile 23-jährige Tom Holland überzeugt immer noch als Teenage Spider-Man.

Originaltitel „Spider-Man: Far From Home“
USA 2019
129 min
Regie Jon Watts
Kinostart 04. Juli 2019

KROOS

Toni Kroos – Sportler, Mensch, Stifter. So steht es grenzkitschig auf der offiziellen Homepage. Der Mann scheint keine Fehler zu haben. Selbst ehemalige Kritiker müssen mittlerweile eingestehen, dass Kroos ein brillanter Jahrhundertfußballer ist. Beim Megaverein Real Madrid bestimmt er seit 2014 als vorausschauender Logiker das Spiel. „Dirigent“, so bezeichnen ihn Kollegen und Trainer voller Bewunderung.

Der perfekte Toni wird 1990 in Greifswald geboren. Schon als Kleinkind ist sein Talent unverkennbar. Nach einer Karriere als Juniorspieler bei Hansa Rostock landet er 2006 für acht Jahre beim FC Bayern München. Für jeden anderen Spieler der Gipfel des Erfolgs, die Erfüllung aller Fußballträume. Nicht für Toni Kroos. Der „Mia san mia“-Verein und der kühle, rationale Spieler passen nicht zusammen. Dass er es trotzdem so lange aushält, spricht für seine Leidensfähigkeit.

Regisseur Manfred Oldenburg lässt sportliche Weggefährten, Freunde und vor allem die Familie zu Wort kommen. Die haben natürlich nur das Allerbeste über Toni zu sagen. Ein paar lustig skurrile Beobachtungen und die O-Töne von den Großeltern Kroos, Robbie Williams und Marcel Reif bewahren den Film vor allzu viel Pathos.

Uli Hoeneß, dem selbst eine Haftstrafe keinerlei Demut beibringen konnte, ist dann auch der einzige Interviewpartner, der eine nicht ganz so glänzende Meinung von Kroos hat. Bei aller bayrischen Arroganz – zwischendurch ist es erfrischend, wenigstens eine kritische Stimme zu hören. Der Rest ist Jubel, schließlich geht es hier um Legendenbildung.

FAZIT

„Toni Kroos“ ist ein gut gemachter Werbefilm – und trotz Dauerlobhudelei sehr unterhaltsam. Auch für Fußballignoranten sehenswert.

Deutschland 2019
113 min
Regie Manfred Oldenburg 
Kinostart 04. Juli 2019

PETS 2

In guter alter „Sex and the City 2“-Tradition wechselt die Fortsetzung von „Pets“ die Location. New York reicht nicht mehr, diesmal muss es wenigstens…Antiklimax…auf dem Land spielen. Wenig exotisch, dafür bieten sich hier ein paar neue Varianten der eigentlich auserzählten Idee: Unsere Haustiere führen ein heimliches Doppelleben. Sobald Frauchen und Herrchen das Haus verlassen, fallen die Masken. Aus Hunden, Katzen, Meerschweinchen und Kaninchen werden sprechende Wesen mit sehr menschlichen Verhaltensweisen und Problemen.
Diese Idee hat der erste Teil „Pets“ 2016 schon ausreichend und in allen Varianten durchgespielt. Für einen zweiten abendfüllenden Spielfilm ist den Machern nicht mehr genug eingefallen, „Pets 2“ ist eher eine Sammlung von Kurzgeschichten, die am Ende notdürftig zusammengeführt werden.
Macht aber nichts – Zielgruppe sind junge bis sehr junge Zuschauer, die werden ihren Spaß haben.

Unverzeihlich allerdings: Schafe werden in „Pets 2“ dümmlich und damit in denkbar schlechtem Licht dargestellt.

FAZIT

Hat einigermaßen Charme und ist kurzweilig.
Sinnloses Wissen: Terrier Max wird im US-Original von Patton Oswalt gesprochen. Im ersten Teil lieh noch der in Ungnade gefallene Louis C.K. der Figur seine Stimme.

Originaltitel „The Secret Life of Pets 2“
USA 2019
92 min
Regie Chris Renaud
Kinostart 27. Juni 2019

LONG SHOT – UNWAHRSCHEINLICH, ABER NICHT UNMÖGLICH

Im Weißen Haus regiert ein narzisstischer Depp. Im Gegensatz zu Donald Trump strebt der fiktive US-Präsident allerdings keine zweite Amtszeit an. Er möchte lieber in Kinofilmen mitspielen – das habe mehr Prestige, findet er. Außenministerin Charlotte Field (Charlize Theron) wittert ihre Chance, seine Nachfolgerin und somit die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden. Für ihre Bewerbungskampagne engagiert sie den chaotischen, aber brillanten Journalisten Fred Flarsky (Seth Rogen).

Es hätte auch eine Abrechnung mit dem Washingtoner Politpanoptikum oder eine beißende Satire werden können. Aber diesen Anspruch erhebt „Long Shot“ nicht. Die Romantikkomödie schöpft ihren Witz und Charme aus der Unwahrscheinlichkeit eines gegensätzlichen Paares. Damit das auch doofe Zuschauer verstehen, wird Charlize Theron durchweg fantastisch aussehend und stilvoll in Szene gesetzt, während Seth Rogen wie ein 10-jähriges Schulkind gekleidet ist und durch extreme Tollpatschigkeit auffällt. Das Drehbuch bedient sich relativ schamlos bei anderen Filmen (u.a. „Pretty Woman“und „There’s Something About Mary“) – aber besser gut geklaut, als schlecht neu erfunden.

„Long Shot“ funktioniert vor allem dank seiner Darsteller. Das Timing sitzt, die meisten Gags zünden. An Charlize Theron ist zwar keine begnadete Komödiantin verloren gegangen, aber im Zusammenspiel mit dem oft sehr lustigen Seth Rogen stimmt die Chemie. In Nebenrollen glänzen „Better Call Saul“ Bob Odenkirk als dümmlicher US-Präsident und ein bis zur Unkenntlichkeit geschminkter Andy Serkis als gruselige Schimäre aus Rupert Murdoch und Steve Bannon.

FAZIT

„Long Shot“ – gut gemacht und lustig.

Originaltitel „Long Shot“
USA 2019
125 min
Regie Jonathan Levine
Kinostart 20. Juni 2019

BRIGHTBURN: SON OF DARKNESS

Was wäre, wenn Superman kein schmalzlockiger Gutmensch, sondern eine Ausgeburt der Hölle wäre? Das ist die originelle Grundidee des Superhelden/Horrorfilms „Brightburn“.

Wie bei Familie Kent: Auf das Grundstück von Tori und Kyle Breyer stürzt eines Nachts ein UFO, in den qualmenden Trümmern liegt ein unversehrtes Baby. Das kinderlose Paar „adoptiert“ den Jungen. Bis kurz vor seinem 13. Geburtstag scheint Brandon ein ganz normales Kind zu sein. Doch als über Nacht die Pubertät einsetzt, entwickelt der Knabe statt Stimmbruch und Bartflaum übermenschliche Fähigkeiten. Und die nutzt er im Gegensatz zu seinem Vetter vom Planeten Krypton nicht zur Rettung der Erde, sondern um möglichst viele Menschen auf möglichst grausame Art zu töten.

Regisseur David Yarovesky stellt genüsslich alle ikonischen Superman-Bilder auf den Kopf. Statt heroisch, wirkt der mit flatterndem Cape am Himmel schwebende Brandon ausgesprochen bedrohlich. Und das mühelose Anheben eines PKWs versetzt nicht seine Eltern in Erstaunen, sondern beendet brutal das Leben eines Gegners – schön blutrünstig und ideenreich umgesetzt.

Erstaunlich, was man aus einem vergleichsweise mini Budget von 6 Millionen Dollar herausholen kann. Warum die US-Kritik den Film so gnadenlos geschlachtet hat, bleibt rätselhaft. Denn „Brightburn“ ist ein origineller, gut gemachter und durchweg spannender Horrorthriller.

FAZIT

Wenn das die einleitende Coming of Age Geschichte eines wütenden Teenagers ist, dann darf man sich schon auf die ausgewachsene Fortsetzung freuen.

Originaltitel „Brightburn“
USA 2019
91 min
Regie David Yarovesky 
Kinostart 20. Juni 2019

TOLKIEN

Für seine Werke „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ hat J.R.R. Tolkien ganze Welten erfunden, sogar eigene Sprachen kreiert. Die Romane aus den 1930er und 40er Jahren sind bis heute Vorbild für etliche Fantasy-Bücher und Filme. Peter Jacksons epische Trilogien wurden vielfach ausgezeichnet, spielten Milliarden ein. Mit „Tolkien“ kommt nun die Lebensgeschichte eines der berühmtesten Autoren des 20. Jahrhunderts ins Kino. Und die ist vergleichsweise banal.

Die wenig originelle Rahmenhandlung des Films zeigt den erwachsenen John Ronald Reuel Tolkien (Nicholas Hoult) fiebrig durch die Schützengräben des Ersten Weltkriegs irrend. Während um ihn herum die Welt brennt, erinnert er sich an sein bisheriges Leben. Die Mutter, deren Rittergeschichten er als kleiner Junge lauschte, stirbt früh,  J.R.R. und sein Bruder bleiben als Waisen zurück. Als Jugendlicher trifft er seine große Liebe Edith (Lily Collins), elfenschön und ebenfalls Waise. Später auf der Universität gründet er mit drei Freunden eine „Fellowship“, ein Bündnis ewiger Treue. Der Beginn des Ersten Weltkriegs beendet das idyllische Dasein in Cambridge abrupt, die vier Freunde müssen an die Front.

Was hätte das alles werden können: Eine fantastische Reise in die Gedankenwelt eines Genies! Woher nahm Tolkien die Inspiration für Hobbits, Gandalf und Gollum? Das Ineinandergreifen von Realität und Fantasie! Aber scheinbar war Tolkiens Leben nicht aufregend genug, um daraus einen interessanteren Spielfilm zu machen. Die naheliegende Idee, Parallelen zwischen dem Leben und Werk des Autors zu ziehen, taucht nur in kurzen, zu subtilen Andeutungen auf. “Tolkien“ ist nett anzusehendes, braves Sonntagnachmittagskino. Schade, denn den guten Schauspielern und auch sich selbst als Zuschauer hätte man einen aufregenderen Film gewünscht.

FAZIT

Erzählerisch uninspiriert und visuell ein besseres TV-Movie. Insgesamt recht belanglos.

Originaltitel „Tolkien“
GB 2019
112 min
Regie Dome Karukoski
Kinostart 20. Juni 2019

O BEAUTIFUL NIGHT

Wong Kar-Wai meets Himmel über Berlin: Das Spielfilmdebüt des Illustrators Xaver Böhm erzählt die ungewöhnliche Geschichte von Juri, einem jungen Mann, der jederzeit mit dem plötzlichen Herzstillstand rechnet. Ein klassischer Hypochonder.

Eines Nachts, die Brust schmerzt mal wieder, trifft er in einer Flipperkneipe auf einen trinkfesten Russen. Der behauptet, der TOD höchstpersönlich zu sein und stellt Juri vor die Wahl: „Willst Du sofort sterben oder vorher noch ein bisschen Spaß haben?“ Das mit dem Herzinfarkt kann dann doch noch warten und so begeben sich die beiden auf eine schräge Tour durch das nächtliche Berlin.

Kompliment an Kamerafrau Jieun Yi und die Postproductionfirma LUGUNDTRUG: So schön menschenleer und kunstvoll stilisiert hat man die Stadt selten gesehen.

FAZIT

Ungewöhnlicher, humorvoller, visuell herausragender Film. Sehenswert.

Deutschland 2019
89 min
Regie Xaver Böhm
Kinostart 20. Juni 2019

SUNSET

Ungarn 1913, ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs: eine Zivilisation am Abgrund. Die junge Iris sucht eine Anstellung im Hutgeschäft Leiter, das früher einmal ihren Eltern gehörte. Der neue Besitzer weist sie jedoch zurück und auch überall sonst in der Stadt stößt sie auf Ablehnung. Iris treibt verloren durch Budapest auf der Suche nach ihrer Vergangenheit.

„Sunset“ lässt sich am ehesten wie die Inszenierung eines Traums kurz vor dem Aufwachen beschreiben. Als somnambuler Geist stellt die junge Iris Fragen, die unbeantwortet verhallen und gibt Antworten, auf die keine Reaktion erfolgt. Alles in dieser längst vergangenen Welt scheint wie in Watte gepackt.

In fein komponierten Bildern und mit einem virtuosen Gespür für die dekadente Atmosphäre vor dem Ersten Weltkrieg zeigt Regisseur Nemes die Spurensuche seiner spröden Hauptfigur. Dabei befreit er sich vom standardisierten Filmemachen, vermeidet jeden gefälligen Kostümkitsch. Kaum eine Einstellung, bei der nicht Iris‘ Gesicht oder Hinterkopf einen Großteil des Bildes einnimmt. Durch diese Subjektivität bekommt der Film etwas extrem Zwingendes.

FAZIT

„Sunset“ ist ein anspruchsvolles Kinoerlebnis.

Originaltitel „Napszállta“ 
Ungarn/Frankreich 2018
142 min
Regie László Nemes 
Kinostart 13. Juni 2019

THE DEAD DON’T DIE

In Centerville, einem verschlafenen Nest irgendwo in den USA, erheben sich eines Nachts die Toten aus ihren Gräbern. Warum das so ist, weiß niemand genau, wahrscheinlich hat es irgendwas mit Fracking am Nordpol und der deshalb verschobenen Erdachse zu tun. Egal, wie nicht anders zu erwarten, fallen die frisch erwachten Toten blutgierig über die Einwohner der Kleinstadt her.

„The Dead Don’t Die“ ist stellenweise ganz putzig in seiner typisch lakonischen Jim Jarmusch-Art, verbunden mit ein bisschen Umweltsünder- und Kapitalismuskritik. Aber Zombies als Synonym für die in stumpfen Konsumrausch verfallene Menschheit zu nutzen, das hat George A. Romero schon vor Jahrzehnten besser (und bissiger) gemacht.

Bill Murray, Adam Driver, Chloë Sevigny, Danny Glover, Tilda Swinton, Tom Waits, Selena Gomez, Steve Buscemi, Carol Kane: viele ausgezeichnete Schauspieler, die wenig bis gar nichts zu tun haben. Die verschwendeten Stars geben sich in teilweise nur sekundenlangen Auftritten die Klinke in die Hand.

Jim Jarmusch taugt nicht zum Mainstream. Der klamottige Film torkelt vor sich hin, im Laufe der Geschichte werden die Ideen zunehmend abstruser, die handelnden Personen verhalten sich immer irrationaler und unglaubwürdiger. Vielleicht hat der Regisseur die letzten Jahre im Tiefschlaf verbracht und nicht realisiert, dass es mittlerweile unzählige (bessere) Zombie-Komödien gibt.

FAZIT

Weder als intelligenter Horrorfilm noch als schräge Komödie befriedigend.

Originaltitel „The Dead Don’t Die“ 
USA 2019
105 min
Regie Jim Jarmusch
Kinostart 13. Juni 2019

X-MEN: DARK PHOENIX

Die Haut ist blau, aus den Händen schießen Blitze und beim Gedankenlesen werden dramatisch zwei Finger an die Schläfe gehalten: Es ist wieder X-Men-Zeit.

Diesmal droht die Gefahr aus dem Inneren: Bei einer Weltraummission kommt es zu einem unheilvollen Zwischenfall. Eine fremde Energieform ergreift von Jean Grey (Sophie Turner) Besitz und macht sie zur mächtigsten Mutantin aller Zeiten: Dark Phoenix.  Jean kann ihre unfreiwilligen neuen Superkräfte nicht kontrollieren und bringt so die Gemeinschaft der X-Men in große Gefahr. Zu allem Überfluss wollen ihr dann auch noch böse Aliens ans Lederoutfit, die die Vernichtung der Menschheit planen. Soweit die nicht gerade originelle Drehbuchidee.

„X-Men: Dark Phoenix“ startet  mit einer fulminanten Nightcrawler-Sequenz im All, doch im zweiten Akt ist die Luft raus, die Geschichte hängt ganz schön durch. Tödlich für jeden Superheldenfilm: „X-Men: Dark Phoenix“ nimmt sich selbst zu ernst. Das gleiche Problem hat schon etliche DC-Filme gekillt: zu wenig Humor, zu viel Pseudotiefsinn. Gegen Ende nimmt der Film dann noch mal Fahrt auf – eine grandiose Actionszene in einem Zug entschädigt für die langatmigen Dialogszenen davor.

Insgesamt nicht viel Neues an der Mutantenfront. Immerhin darf Jennifer Lawrence als Raven/Mystique ein wenig #metoo Zeitgeist einbringen. Bei einem Streit mit Professor Xavier fordert sie eine Umbenennung der X-Men in X-Women, denn schließlich retten fast immer die Frauen den Männern den Arsch.

FAZIT

Trotz solider visueller Umsetzung, die X-Men könnten eine Frischzellenkur oder eine längere Kreativpause vertragen. Marvel hat mittlerweile die Rechte von FOX zurückerworben, es besteht also Hoffnung.

Originaltitel „Dark Phoenix“
USA 2019
120 min
Regie Simon Kinberg
Kinostart 06. Juni 2019

ZWISCHEN DEN ZEILEN

Macht das Internet dumm? Hören die Menschen bald ganz auf, Bücher zu lesen und starren nur noch zombifiziert in ihre Smartphones?

„Zwischen den Zeilen“ ist ein fein beobachtetes, hintergründiges Porträt des Pariser Literaturbetriebs. Es geht um verletzte Eitelkeiten, Affären und Geheimnisse, alte und neue Liebschaften, in allererster Linie aber um die vermeintlichen Gefahren der Digitalisierung. Im Kontrast zur virtuellen Welt, zeigt Olivier Assayas‘ Film hauptsächlich Menschen im Gespräch. Wobei „hauptsächlich“ noch untertrieben ist, denn es wird geredet und geredet, sehr viel geredet. Und wie das bei einer Diskussion so ist, manchmal ist sie lehrreich, bestenfalls hat sie Witz, zwischendurch kann sie aber auch anstrengend und penetrant werden. „Zwischen den Zeilen“ ist mit leichter Hand inszeniert und dank französischem Flair unterhaltsam anzusehen. Trotz Dauerlaberei.

FAZIT

Mit Juliette Binoche und Guillaume Canet ausgezeichnet besetzter, kluger Film.

Originaltitel „Doubles vies“
Frankreich 2019
107 min
Regie Olivier Assayas
Kinostart 06. Juni 2019

MA

„MA – sie sieht alles“. Denn Sue „Ma“ Ann beherrscht Social Media und hat so ihre Opfer stets im Blick. Und das, obwohl sie schon Ü30 ist! Voll lit, die Alte.

Maggie, die gerade mit ihrer Mutter in eine todeslangweilige Kleinstadt nach Ohio gezogen ist, will mit ein paar neuen Freunden Party machen. Da alle unter 21 sind, fragen sie die zufälligerweise des Weges kommende Sue Ann, ob sie wohl so nett wäre, im Supermarkt ein paar Flaschen Schnaps zu kaufen. Die ist selbst mal jung gewesen und über die Maßen erfreut, aushelfen zu können. Sie bietet sogar an, das Saufgelage in ihrem Haus, respektive Keller stattfinden zu lassen. Man ahnt, das nimmt kein gutes Ende.

Jung, hübsch und dauerhorny. Teenager, die für ihre erwachende Sexualität und Feierfreude bestraft werden: Da steht „Ma“ ganz in der Tradition des guten, alten 70/80er Jahre „Freitag der 13.“ und „Halloween“-Horrors. Im Gegensatz zu deren oft zweitklassigen Schauspielern kann „Ma“ mit einer A-Liga Besetzung aufwarten. Juliette Lewis gibt sehr glaubhaft die Whitetrash-Mutti mit Herz. Nur Octavia Spencer ist unter- oder überfordert. Ob es an der Regie von Tate Taylor liegt, oder ob sie ihre Rolle selbst nicht ernst nehmen kann – als durchgedrehte Psychopathin ist die Oscarpreisträgerin wenig überzeugend.

FAZIT

„Ma“ ist ein halbwegs solider Horror-Thriller mit ein paar netten Schockmomenten.

Originaltitel „Ma“
USA 2019
99 min
Regie Tate Taylor
Kinostart 30. Mai 2019

GODZILLA II: KING OF THE MONSTERS

„Godzilla 2“ ist das gefühlt tausendste Re-Re-Re-Re-Re-Reboot der Saga vom jahrtausende alten Supermonster und gleichzeitig eine Fortsetzung des Kassenerfolgs „Godzilla“ von 2014. 

Die japanische Riesenechse, die Atomsprengköpfe futtert wie unsereins Erdnussflips, ist diesmal richtig sauer. Ghidorah, ein dreiköpfiger Drache, will Godzilla den Rang als König der Alphatitanen ablaufen (bitte nicht fragen). Auf der ganzen Welt kriechen daraufhin diverse Monster aus ihren Höhlen (eine befindet sich sogar im bayrischen Wald), um gemeinsam in den Krieg zu ziehen. Die Viecher wollen die Menschheit vernichten, denn die ist schuld an Krieg, Artensterben und der Umweltzerstörung ganz allgemein – so ähnlich wie die CDU. Das wird den Zuschauern in einem Rezo-würdigen Monolog von der wie immer fabelhaften Vera Farmiga leidenschaftlich vor Augen geführt. Uh, Snap!

Wurde dem ersten Teil noch vorgeworfen, er sei zu geschwätzig und biete zu wenig Monsteraction, geht der zweite Teil beherzt den umgekehrten Weg. Eine Zeit lang ist es ja ganz unterhaltsam, den Riesen bei der genussvollen Zerstörung diverser Städte und Landstriche zuzuschauen. Technisch und visuell ist das meisterhaft gemacht. Doch in 132 (!) Minuten trifft herzlich wenig Story auf monströsen Dauerbeschuss. Das ist schlicht anstrengend.

Gegen all den Lärm haben die Schauspieler kaum eine Chance. Sie bleiben Stichwortgeber und dienen bestenfalls als Erklärbären. Ihre Hauptaufgabe besteht ohnehin darin, mit offenem Mund und staunenden Augen Rodan, Mothra (und wie sie alle heißen) bei ihrem Zerstörungswerk zuzuschauen.

FAZIT

Mehr Monster geht nicht.

Originaltitel „Godzilla – King of the Monsters“
USA 2019
132 min
Regie Michael Dougherty
Kinostart 30. Mai 2019

ROCKETMAN

Die Geschichte geht ungefähr so: Regisseur Bryan Singer nervt bei den Dreharbeiten zum Queen-Film „Bohemian Rhapsody“ so sehr, dass ihn das Studio mitten in der Produktion rausschmeißt. Auftritt Dexter Fletcher. Der Ersatzmann bringt „Bohemian Rhapsody“ nicht nur ohne Zickereien zu Ende – der Film wird ein riesiger Kassenhit und beschert Hauptdarsteller Rami Malek seinen ersten Oscar. Nach diesem Erfolg darf Fletcher ein schon lange geplantes Wunschprojekt realisieren: Die Verfilmung von Elton Johns Lebensgeschichte – „Rocketman“.

Derselbe Regisseur, die gleichen Stärken.
Wie im Queen-Biopic wird auch hier ein ausgezeichnetes Ensemble von einem tollen Hauptdarsteller angeführt. Taron Egerton verkörpert Elton John mit Haut und (ausgedünntem) Haar. Der Schauspieler geht komplett in seiner Rolle auf. Besonders beeindruckend, dass Egerton nicht nur die Lippen zum Playback bewegt, sondern alle Songs selbst singt. Und dabei erstaunlich gut klingt. Stimme, Aussehen, Bewegung – alles auf den Punkt.

Derselbe Regisseur, die gleichen Schwächen.
„Rocketman“ ist in weiten Teilen Malen nach Zahlen. Schade, dass der Film nicht mehr wagt. Denn ein paar, fast surreale Szenen, wie zum Beispiel das buchstäbliche gemeinsame Abheben des Sängers mit seinem Publikum haben echte Größe. Warum nicht mehr davon? Schräger und noch mehr Mut zum Camp, dann hätte das richtig gut werden können. Die theaterhafte Inszenierung der 60er und 70er-Jahre hat schon aus „Bohemian Rhapsody“ ein zu braves, familientaugliches Mainstream-Musical gemacht.

FAZIT

Die Musik ist mitreißend, die Songs weltberühmt, die Schauspieler top und die Frisuren sehen so unecht wie Faschingsperücken aus. Also alles genau wie beim Queen Film. Wer den mochte, wird auch hier seinen Spaß haben.

Originaltitel „Rocketman“
USA 2019
121 min
Regie Dexter Fletcher
Kinostart 30. Mai 2019

ALADDIN

Das Beste an „Aladdin“ ist ein ausgesprochen liebenswerter fliegender Teppich. Und – trotz aller Unkenrufe im Vorfeld – Will Smith. Der bringt in der Nachfolge von Robin Williams die dringend benötigte Portion schrägen Humors in die Geschichte. Doch bis zu seinem ersten Auftritt als Genie quält sich der Film zäh im Stil einer TV-Soap dahin. Straßendieb Aladdin und Prinzessin Jasmine wirken mit ihren geweißten Zähnen und frisch gestärkten Bollywood-Kostümen so makellos sauber, als hätten sie sich aus einer anderen Disney Produktion, dem „High School Musical“ in die Wüste verirrt. Die Künstlichkeit der Darsteller passt zu den Pappkulissen. Der Film sieht aus, als wäre er in einem Vergnügungspark gedreht worden. 

„Aladdin“ ist harmlose, formelhaft gemachte Unterhaltungsware. Vielleicht wurde Regisseur Guy Ritchie vom Studio ausgebremst, von seinem einstigen anarchischen Touch ist jedenfalls nichts mehr zu spüren.

Immerhin funktioniert die Musik: Klassiker wie „Friend Like Me“ und „A Whole New World”, bekannt aus dem 1992er Zeichentrickfilm,  erweisen sich als unzerstörbar und entfalten auch in der neuen, zweidimensionalen Plastikwelt ihre ganze Größe.

Disney plündert weiter das Archiv und setzt bei seinen Neuversionen auf Quantität – doch die Fehlschüsse häufen sich. Nach den gelungenen „Maleficient”, „Das Dschungelbuch” und „Die Schöne und das Biest” kamen mit „Mary Poppins“, „Dumbo“ und nun „Aladdin“ allein im letzten halben Jahr drei eher durchschnittliche Filme ins Kino. Bleibt abzuwarten, ob „Der König der Löwen“ und „Mulan“ besser gelingen.

Originaltitel „Aladdin“
USA 2019
128 min
Regie Guy Ritchie
Kinostart 23. Mai 2019