TOM CRUISE – WELTSTAR IM PORTRÄT

TOM CRUISE – WELTSTAR IM PORTRÄT

„Hallo!“, das 1000-Watt-Lächeln kennt man sonst nur von der Leinwand. Aber wenn Tom Cruise mit ausgebreiteten Armen auf Dich zukommt, dann wird selbst einer gestandenen Hollywoodreporterin das Knie weich. Was für ein Mann! Mit gerade mal 1,50 m Körpergröße wirkt der drahtige Endsechziger im echten Leben noch mal ein gutes Stück kleiner als vermutet.

Er schließt mich in seine muskulösen Arme, als wären wir die besten Freunde. Durch den dünnen Stoff meiner Seidentunika spüre ich seine harte Männlichkeit an meinem Fußgelenk. „How are you? Great to SEE you!“ Er meint jedes Wort ernst und ich beeile mich, ihm von meinen Schwierigkeiten zu erzählen, hierher ins Château Marmont zu kommen, dem frühen Aufstehen, der kaputten Espressomaschine und dem Hund, der den ganzen Wohnzimmerteppich vollgekotet hat. Das scheint ihn zu interessieren, denn er ist selbst ein eingefleischter Hundenarr. Eine Gemeinsamkeit, die ich mit detaillierten Berichten über Form und Geruch des hündischen Stuhlgangs vertiefen möchte. Doch schon nach wenigen Worten winkt Tom ab. „Let’s focus on the good things in life!“. Recht hat er! 

Wie von meiner 12-jährigen Chefredakteurin beauftragt, frage ich ihn zunächst nach seinem Glauben. Neben Will Smith und John Travolta gehört der erfolgreiche Actionfilmstar wohl zu den prominentesten Scientology-Mitgliedern Hollywoods. „Ich sehe mich in der achten Dynamik des universellen Überlebens“ Was er wohl meint? Ich frage investigativ nach: „Was meinen Sie?“

Gott ist die Achte Dynamik

„Nun,“ strahlt mich Tom aus seinen faltenfreien Katzenaugen an, „Gott ist die Achte Dynamik. Das Streben zum Dasein nach Unendlichkeit. Keine Kultur in der Geschichte der Welt – außer den verderbtesten und aussterbenden – hat es versäumt, die Existenz eines höchsten Wesens zu bestätigen.“ Ich verstehe nur Bahnhof, nicke aber bestätigend. „I see. And what about your Mission:Impossible Franchise?“ Ein Themenwechsel scheint mir angebracht.

Darauf hat Mr. Power nur gewartet: „Das ist die wahrscheinlich erfolgreichste Actionfilmserie der Welt!“ Ich bin beeindruckt. Er scheint nicht nur ein begnadeter Schauspieler zu sein, er kennt sich auch bestens mit geschäftlichen Dingen aus.
„Wissen Sie, ich mache ja alle meine Stunts selbst!“
„Ist das nicht – wie sagt man – dangerous?“, entfährt es mir erschrocken.
„Nein!“, lacht der Weltstar, „Denn ich bin ja unsterblich!“
Ich komme mir so klein und dumm vor, das hatte ich nicht gewusst. Aber auf Wikipedia stand davon kein Wort.

Die Einsamkeit des Megastars berührt mich tief

Rot bis unter die Haarspitzen versuche ich mit meiner nächsten Frage abzulenken: „Und wie sieht es mit den Frauen aus? Ich bin sicher, Sie haben einige Verehrerinnen?!“ Hanks wird plötzlich ernst. Eine Rolle, die ihm gut steht. Er erzählt, dass er nach der Scheidung von Katie Holmes nie mehr echtes Glück gefunden hat. „Kennen Sie Florian Silbereisen? Uns verbindet vieles…“ Mir kommen die Tränen, ich schäme mich nicht, denn die Einsamkeit dieses Megastars berührt mich tief…

FAREWELL 007

FAREWELL 007

Gastautorin: Brigitte Steinmetz

Daniel Craig ist besoffen. Er schwankt in seinem schwarzen Anzug neben einer dreistöckigen Sahnetorte, die mit der vertrauten James Bond Silhouette verziert ist und jemand hinter ihm hält mit der Handykamera drauf, wie der sonst so stoische Brite einen Gefühlsausbruch erleidet. „Ich liebe euch alle” stammelt Craig „Das war die beste Zeit meines Lebens”. Betrunkene und Kinder sagen bekanntlich die Wahrheit, deshalb wollen wir ihm glauben. Die kurze Szene entstand im Oktober 2019 auf der Wrap-Party von „No Time To Die” in Matera, Italien und wurde seitdem Millionen Mal auf Twitter geteilt. Ein gerührter Daniel Craig ist besser als jedes geschüttelte Martini-Meme, denn das kann nur heißen: Hail The Queen, James Bond hat den Brexit überlebt.

Zuletzt sah es gar nicht gut aus für die Fortsetzung des sieben-Milliarden-Dollar-Franchise. 2015 fluchte Craig gar, dass er sich „lieber die Pulsadern aufschlitzen” würde, als noch mal 007 zu mimen. Bond war seit „Spectre” in Rente und Craig voller Rage. Wir erinnern uns, in der letzten Szene von „Spectre” fährt Bond mit Madeleine Swann (Léa Seydoux) in einer Replik seines alten Aston Martin DB5 der Freiheit entgegen. Für die späte Liebe lässt er M und Miss Moneypenny sitzen und sogar Blofeld (Christoph Waltz) mit dem Leben davonkommen. 
Craig war nicht zufrieden mit seinem letzten Eindruck. Zwischenzeitlich hatte er zwar gebellt, dass er einen weiteren Bond nur für einen monströsen Gehaltsscheck machen würde. Doch nimmt der Mann aus Liverpool seinen Beruf Schauspieler viel zu ernst, um nach dreizehn Jahren einen lauwarmen Abgang zu machen.

„Es fühlte sich an, als müsste ich noch eine Rechnung begleichen. Wäre mit „Spectre” Schluss gewesen, hätte es in meinem Hinterkopf rumort: “warum habe ich nicht noch einen gemacht!”. Ich hatte immer eine heimliche Vorstellung davon, wohin ich mit der Figur will. Spectre war’s noch nicht… aber dieser fühlt sich richtig an.”
Mysteriöse Worte. Auch weil die Genese von „No Time To Die” von Problemen geplagt war. Craig hielt den Betrieb wegen einer Knöchelverletzung monatelang auf. Regisseur Danny Boyle warf mitsamt seinem Drehbuchautor wegen „kreativer Differenzen” hin und wurde durch den sanftmütigen Cary Fukunaga (True Detective) ersetzt.  Kreative Differenzen über was oder mit wem? Die Spekulationen reichten von: Boyle wollte die bald 60 Jahre alte Agentensaga mit einem tödlichen Finale beenden und Produzentin Barbara Broccoli war dagegen, bis: Daniel Craig wollte diesen Bond endlich sterben lassen und Danny Boyle weigerte sich, der Henker zu sein. Wir werden es nie erfahren. Aber allein die Tatsache, dass die Gerüchte sich um den möglichen Tod des unsterblichen Agenten ranken, sagt doch viel über die gegenwärtige Geisteshaltung. Hat sich die Marke Bond überlebt?

Noch nie waren die Zeiten so kritisch für Bond. Der vornehmste Auftrag der 250 Millionen Dollar Produktion „No Time To Die” wird sein, den Arsch von Bond in die Post-#metoo-Ära zu retten. Die Essenz der Figur ist längst aufgelöst. Bond ist ein Relikt aus einem Großbritannien, das sein Erfinder Ian Fleming sich in der Nachkriegszeit erträumte. Großbritannien als Großmacht, in der Spionage als geschickteste Form von Außenpolitik gilt.

„Größe: 183 Zentimeter; Gewicht 76 Kilogramm; schlank, blaue Augen, schwarzes Haar, auf der rechten Backe eine senkrechte Narbe. Guter Sportler, ausgezeichneter Pistolenschütze, Boxer und Messerwerfer. Starker Raucher (Spezialzigaretten mit drei Goldstreifen). Leidenschaften: Alkohol (keine Exzesse) und Frauen”.
Cary Grant hätte den Idealvorstellungen von Fleming entsprochen, doch der war schon zu teuer, als der Agent 1962, neun Jahre nach seiner Romangeburt, im Film auf die Jagd von „Dr. No” geschickt wurde.
Und auch wenn 58 Jahre später die meisten, sogar Craig, immer noch Sean Connery ihren Lieblings-Bond nennen: Der Schotte wurde bei seinem Antritt durchaus nicht nur gefeiert, sondern von der Kritik als rassistisch und menschenverachtend beschimpft.
Dem Publikum wars freilich egal, der geschmeidige Spion wurde neben den Beatles zum erfolgreichsten Briten-Export. Sean Connery galt als Gentleman Agent, obwohl er „Marie” in „Diamonds are Forever” mit ihrem Bikinioberteil erwürgte und Pussy Galores „Nein” in „Goldfinger” mit brutalen Küssen erstickte. Frauen waren willige Accessoires, so austauschbar wie die Spielzeuge aus der Werkstatt von Q.

Der Bond des 20. Jahrhunderts war ein Charmeur ohne Gefühle, ein unverwundbarer Killer, der im Kampf um Leben und Tod allenfalls ein paar Kratzer davontrug. Ein Weltreisender ohne Passprobleme, mit der Lizenz konsequenzlos zu lieben und zu töten, Bösewichter aus fahrenden Zügen zu schmeißen, mit Harpunen abzuschießen und ihre Geheimverstecke in verlassenen Vulkanen in die Luft zu jagen Bond lebte nicht nur zweimal, er war unsterblich. Der elegante, skrupellose Bond, schrieb Bond Experte Dr. Siegfried Tesche vor 25 Jahren im Playboy, war im Nachkriegseuropa „wie ein Überlebenspaket”.

Heldenfiguren erzählen immer etwas über den amtierenden Zeitgeist. Auch wenn Ian Fleming stets beteuerte, seine Romane seien unpolitische Zerstreuung, spiegelten sie doch seine Verstörung über die gesellschaftlichen Umbrüche der Sechzigerjahre wider: Die Emanzipation der Frauen etwa versteht er allein als freie Fahrt für Sex. George Lazenby, der einzige Bond, der nur einmal im Dienste ihrer Majestät in Erscheinung trat, scheiterte vielleicht auch, weil er mit Tracy (Diana Rigg) zu sehr bondete für den Geschmack von 1968. Bond ist zu cool für die Ehe, die Frau muss sterben. Dann doch lieber Roger Moore „ich kann drei Gesichtsausdrücke: Augenbrauen hochziehen, Augenbrauen runzeln und geradeaus schauen” so lange den Zyniker spielen lassen, bis er als „0070” zu peinlich wurde. Auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise versuchte Timothy Dalton mit Charakter gegen Gadgets zu gewinnen. Das Ergebnis überzeugte so wenig wie Pierce Brosnans aufgeblasene Model-Version.
Als Brosnan 1995 zu „Golden Eye” antrat, begrüßte ihn Judy Denchs M als „sexistischen Dinosaurier”. Das Problem war erkannt, doch änderte das nichts daran, dass Bond zunehmend merkwürdig aus der Zeit gefallen schien. 

„Verdammte Scheiße, wie soll ich das anstellen?” war Daniel Craigs erster Gedanke, als er 2005 die Herausforderung annahm, den gestrigen Actionhelden zu modernisieren.
„Es gab immer diese unangenehme Seite an Bond – Sean Connery hat Frauen ins Gesicht geschlagen als 007!” Craig näherte sich seiner Aufgabe als angeschlagener Auftragskiller. „Du kannst ihm nicht verzeihen, aber wenigstens verstehen, warum er sich so verhält.” Das Publikum wollte verstehen.
Casino Royale spielte 2006 über 594 Millionen Dollar weltweit ein, was ihn – bis „Skyfall” – zum erfolgreichsten Bond Film aller Zeiten machte. Keiner redete mehr davon, dass Craig zu klein oder zu blond für die Rolle sei, als er wie einst Ursula Andres in hautenger La Perla Badehose der Karibik entstieg. Kann ein sexy Bond Sexist sein?

Franchise Fans mögen keine Veränderungen. James Bond war eine verlässliche Konstante in der immer schnelleren Welt. So aufregend seine Abenteuer sind, wirken sie in ihrer Formelhaftigkeit beruhigend. Große Eingangsszene, Titelsequenz mit bombastischer Musik, Besuch bei M und Q, Mission in exotischen Destinationen, Eroberung einer oder mehrere Schönheiten, großes Finale, Welt gerettet.
Doch die Welt ist nicht gerettet. Während selbst Marvel-Comichelden längst ein Innenleben zugeschrieben wird, versucht Bond immer noch mit seiner neuen Düsterheit eines zu markieren. Der Wandel ist nur eine Pose. Auch wenn Vesper Lynd (Eva Green) James Bond ganz selbstbewusst einen hübschen Hintern bescheinigt, muss sie trotzdem sterben, damit er frei für die nächste Eroberung ist.

Wie schon in „Casino Royale” musste Craigs 007 auch in „Spectre” alles aufgeben: seine Wohnung, seinen Job, seine Kollegen. Er hat nur eine Wahl, als er mit der Waffe im Anschlag über dem wehrlosen Blofeld, Urheber alles Bösen in Bonds Universum steht: Pflicht oder Liebe, abdrücken oder … abhauen? 
Dass wir keine Ahnung haben, was die Alternative sein könnte, sagt alles über das wahre Geheimnis von James Bond: Wer ist dieser Typ eigentlich, wenn er nicht 007 ist?

Et toi, Daniel Craig?
Wäre er nicht Schauspieler, würde Craig einen exzellenten Geheimagenten abgeben, denn auch nach einem ganzen Leben in der Öffentlichkeit und dreizehn Jahren in einer ikonischen Rolle weiß man über den Mann wenig mehr als zu seinen Anfängen am Provinztheater.

Geboren in Chester am 2. März 1968. Mutter Kunstlehrerin, Vater Pub-Betreiber. Daher recht trinkfest.
„Immer schon die Arroganz besessen”, nichts anderes als Schauspieler sein zu wollen; das Handwerk lernte er an der „Guildhall School of Music and Drama” an der Seite von Rhys Ifans, Ewan McGregor and Joseph Fiennes. Mit 24 heiratete er eine schottische Kollegin, Fiona Loudon, die Ehe hielt vier Jahre, die gemeinsame Tochter Ella ist längst erwachsen. Sieben Jahre war er der unbekannte Schauspieler an der Seite von Heike Makatsch. Danach wurde es aufregend. Sein Ticket nach Hollywood war 2001 „Tomb Raider” mit Angelina Jolie. Als Shakespeare-Schauspieler rechtfertigte er seine Mitwirkung in der Verfilmung eines Videospiels mit „dem Gehaltsscheck”. Wenig später machte er als Kokaindealer in „Layer Cake” Eindruck bei den Kritikern – und Kate Moss. Es gefiel ihm gar nicht, wie die Medien sich 2004 auf seine Affäre mit dem Supermodel stürzten. „Ich verstand das Interesse an zwei öffentlichen Personen” wand er sich noch Jahre später „aber ich werde niemals öffentlich über eine Beziehung sprechen, weil nur Scheißtypen so was tun würden.” Ein Gentleman genießt und schweigt – aber weil er das zu beharrlich auf Pressekonferenzen tat, beschimpften die britischen Tabloids den neuen Bond bald als „James Bland (Langweilig)”.

Interviews mit Craig sind immer noch kein Feuerwerk, besonders, weil er seine Verschwiegenheit mit entwaffnender Höflichkeit tarnt. Dabei ist er schockierend leicht zu erheitern. Wenn man lange genug in Harmlosigkeiten stochert, schiebt er ein paar Puzzlestücke rüber. Auf die Frage etwa, ob die messerscharfen Anzüge, die Tom Ford seinem Bond auf den Leib meißelt, sich auf seinen Stil ausgewirkt hätten, muss er erst kichern. „Style, ich, hihi, also, haha”. Pause. Und dann: „Mein Großvater war Maßschneider. Von ihm habe ich schon als kleiner Junge gelernt, wie ein Anzug zu sitzen hat, wie Stoffe sich anfühlen und wo die Nähte hingehören. Was Maßanzüge betrifft, bin ich sehr verwöhnt.”

Anders als Bond scheint Craig eher Serien-Monogamist als Ladykiller. Zwischen „Ein Quantum Trost” und „Skyfall” verliebte er sich in seine langjährige Bekannte Rachel Weisz bei gemeinsamen Dreharbeiten zu einem psychologischen Thriller. „Dream House” verschwand schnell in der Versenkung, Rachel Weisz wurde seine Frau und 2018 Mutter der gemeinsamen Tochter. Von der klammheimlichen Hochzeit zwischen dem Bonddarsteller und der Oscar Preisträgerin (The Constant Gardener) im Dezember 2011 wussten nur vier Leute. M hätte seine Freude gehabt.

Natürlich erregt es Argwohn, dass Craig seit dem Drehende von „No Time To Die” so gut gelaunt, ja geradezu befreit wirkt. Nach 13 Jahren Bond und Zwischenspielen in finsteren Filmen wie „Defiance” und „Girl With The Dragon Tattoo” hatte er zuletzt endlich mal Spaß als Detektiv in der Krimikomödie „Knives Out”. Eine „Mischung aus Columbo und Miss Marple” mit breitem Südstaatenakzent spielt er da, und es ist beinahe beleidigend, wie überrascht Kritiker von seiner blauäugigen Schusseligkeit sind. Hatten sie wirklich vergessen, was für ein guter Schauspieler Daniel Craig schon immer war? Bond jedenfalls ist seine Sorge nicht mehr. „Who the fuck cares” sagt Craig auf Spekulationen über seine Nachfolgerschaft. Fest steht immerhin, dass es keine Jane Bond geben wird. Auch wenn eine Frau (Lashana Lynch) in Bonds Liebespause die ikonische 007 übernommen hat. James Bonds Problem ist nicht, was er in der Hose hat. Sondern im Kopf. Sein Königreich ist kaputt. Seine misogynistische Geisteshaltung unzeitgemäß. Seine Kaltblütigkeit ein Fall für den Psychiater.

„No Time To Die” fährt alle Mittel auf, um den Geheimagenten zu verjüngen. Pop Rumpelstilzchen Billie Eilish darf den Titelsong singen. Phoebe Waller-Bridge, Schöpferin und Hauptdarstellerin der umwerfend komischen BBC-Serie „Fleabag”, schreibt am Drehbuch mit. Doch wie weit kann man den Charakter des altgedienten Agenten verwässern, bevor er sich vollkommen aufgelöst hat? Wird er für seinen nächsten Martini nach Zitronenabrieb aus lokalem Anbau verlangen? Vielleicht ist es Zeit, dem alten Bond Farewell zu wünschen. Vielleicht wirkt Daniel Craig deshalb wie erlöst. Vielleicht wäre das beste aller Finale ein bombastischer Abgang. James Bond ist tot, es lebe ein neuer 007.

Alle Bilder © Universal Pictures International

LERNEN VON DEN ALTEN

Gastautorin: Brigitte Steinmetz

Michael Caine: Guten Tag, bitte nennen Sie mich Michael.
  Framerate: Vielen Dank, wie aufmerksam. Wir standen kurz davor, Sie als Knight Mickelwhite oder Sir Maurice anzusprechen.
Caine: Ach was, die Zeiten sind vorbei.
  Nicht in England.
Caine: Ich bin geborener Maurice Knickelwhite, geadelt für meine Verdienste als Michael Caine und genauso freundlich zur Queen wie zu meiner Putzfrau.
  Wobei Sie mit der Queen eher mal zu Abend essen.
Caine: Das stimmt nur bedingt. Es ist auch schon mindestens fünfzehn Jahre her, dass ich mit der Queen dinierte. Ich weiss noch, dass sie sich mit ihrem Tischnachbarn langweilte und zu mir herüberbeugte: Sie kennen doch bestimmt ein paar gute Witze? Und ich antwortete: leider keine, die ich Ihnen erzählen könnte, Madam. Worauf sie vorschlug,  zuerst einen deftigen zum Besten zu geben.
  Und hat Her Majesty Sie erheitern können?
Caine: Sehr. Sie ist eine lustige Frau. Ihr Witz hatte irgendetwas mit Pferden zu tun, leider erinnere ich die Pointe nicht mehr.
  Müsste einem anständigen Briten eine soche Begegnung nicht unvergesslich bleiben?
Caine: Ich bin Brite durch und durch aber Status beeindruckt mich nicht. Mein familiärer Hintergrund ist ja sehr arm.  Mein Vater arbeitete auf dem Fischmarkt, meine Mutter war Zugehfrau. Und ich spreche bewusst noch heute ihren ordinären Akzent. Ich bin Arbeiterkind und Knight, das lebende Beispiel für den Untergang des Klassensystems.
  Pflegen Sie noch Verbindungen zu Ihrem früheren Leben?
Caine: Keine. Wo ich herkam,  galten Schauspieler entweder als schwul oder grössenwahnsinnig oder beides. Als ich ein unbekannter Schauspieler mit Schulden war, mieden mich meine Kumpels im Pub, um mir kein Bier ausgeben zu müssen. Warum sollte ich mit diesen Leuten befreundet bleiben?

  Waren Ihre Eltern denn glücklich über Ihre Berufswahl?
Caine: Nicht die Bohne. Mein Vater wollte, dass ich ihm auf dem Fischmarkt zur Hand gehe. Man soll nie auf seine Eltern hören.
  Sie sagten mal, Geldverdienen sei Ihr grösster Antrieb zur Schauspielerei gewesen.
Caine: Ich wollte nicht mehr arm sein, das ist wahr. Aber man kann sich wahrscheinlich einen leichteren Beruf als Schauspieler aussuchen, um zu Geld zu kommen.
  Wie lange mussten Sie darben?
Caine: Neun Jahre lang. Mit 29 hatte ich 4.000 Pfund Schulden, nach dem damaligen Kurs wohlgemerkt. Als niemand mehr an mich glauben mochte, kriegte ich die Hauptrolle in „Zulu”. Und einen Scheck über 12.000 Pfund. Aber am Ende der Dreharbeiten war ich immer noch mit 4.000 in den Miesen. Ich musste ja erst einmal lernen, mit Geld umzugehen. Und so ging das weiter. Man landet eine Rolle und macht noch einen Film und noch einen und jedesmal fürchtet man, das war’s jetzt. Aber ich hatte Glück.
  Ab wann fühlten Sie sich über dem Berg?
Caine: Schwer zu sagen. Ich verdiente mit „Alfie” „Ipcress File” und „The Italian Job” eine Menge Geld. Mit 32 kaufte ich mir einen silbernen Rolls Royce obwohl ich nicht mal einen Führereschein hatte. Ein Chauffeur erschien mir der Inbegriff von Luxus.
  Und fortan drehten Sie nur noch Filme der Kunst zuliebe?
Caine: Ich wünschte, es wäre so gewesen aber ich hatte das Ziel, jedem einzelnen meiner Familienangehörigen ein Haus zu kaufen. Und dann ging ich nach Hollywood.
  Wo die richtig grossen Gagen gezahlt werden.
Caine: Ich gebe zu, ich war sehr beeeindruckt. Der Produzent von „Towering Inferno” bat mich um ein Treffen. „Towering Inferno” war ein Kassenschlager mit den beiden grössten Stars dieser Zeit – Steve McQueen und Paul Newman. Und dieser Produzent wollte MIR die Hauptrolle in seinem nächsten Film geben! Natürlich sagte ich zu. Es war „Der Schwarm” der grösste Mist den Sie sich vorstellen können. Ein Special-Effects-Film mit bettelarmen Special Effects. Einfach grauenhaft. Ich dachte, ich sei der nächste Steve McQueen, stattdessen ruinierte ich meinen Ruf.
  Haben Sie sich seitdem noch mal so verschätzt?
Caine: Oh ja, mit dem Remake von „Sleuth”. Es schien idiotensicher. Grossartiges Drehbuch, Kenneth Branagh führte Regie, Jude Law und ich in den Hauptrollen. Aber wir wurden von den Kritiken vernichtet! Geradezu geschlachtet! Ich dachte, die haben einen anderen Film gesehen, so sind sie über uns hergefallen.
  Remakes von Kultklassikern haben es immer schwer.
Caine: Aber für diese Häme gab es keine Erklärung. Es war eine wundervolle Story und alle Mitwirkenden waren brillant. Inklusive mir. Aber die Kritiker hielten es für Mist. Ich verstehe es immer noch nicht.
  Kommt da die Angst vor Armut wieder hoch?
Caine: Nein, dazu bin ich zu wohlhabend. Mir kann nichts mehr passieren. Ich bin in der luxuriösen Position, nur noch arbeiten zu müssen, wenn ich unbedingt will.

  Was war so unwiderstehlich an Ihrer Rolle als Butler Alfred der Batman Trilogie „The Dark
Knight”?
Caine: Nun, ich erfülle nur meinen Vertrag über drei Filme. Und ganz nebenbei ist (Regisseur und Drehbuchautor) Chris Nolan mit „Dark Knight” der beste und erfolgreichste Batman Film aller Zeiten gelungen. Buch und Besetzung sind superb. Heath Ledger war als „Joker” wirklich umwerfend, faszinierend, fantastisch.
  Die New York Times verglich ihn mit Marlon Brando.
Caine: So? Hm, ich kannte Marlon sehr gut und Heath nur ein bisschen. Aber ich verstehe, was Sie meinen. Diese schlummernde Naturgewalt. Heath hatte so gar nichts Schauspielerhaftes an sich. Am Set war er ein freundlicher, ganz stiller Typ. So lange, bis der Regisseur Action rief und dann: Krawumm! Das findet man wirklich selten bei jungen Schauspielern. Diese Kraft hinter einer so beherrschten Fassade.
  Waren Sie anders?
Caine: Die Zeiten waren anders. Ich möchte sagen: Flamboyanter. Es war die Disco-Ära und ich ging jede Nacht aus. Sie nannten mich Disco-Michael. Ich möchte die Sechziger nicht glorifizieren aber wenigstens betranken wir uns in Gesellschaft, in der Öffentlichkeit. Die Genussmittel, die Mitte der Siebziger in Mode kamen, konnte man nur hinter verschlossenen Türen konsumieren. Das war nichts für mich.

   Mitte der Siebziger waren Sie ja auch schon mit ihrer heutigen Frau Shakira verheiratet.
Caine: Fast 50 Jahre sind wir jetzt zusammen, können Sie sich das vorstellen? Jedenfalls bis vor zwei Stunden. Solange haben wir uns nicht gesehen. Wer weiss, vielleicht hat sie mich inzwischen verlassen.
  Leiden Sie immer noch unter Verlustängsten?
Caine: Oh, eine interessante Unterstellung. Sie meinen, meine verlustreiche Kindheit führte zu überzogenem Besitzanspruch?
  Führte sie?
Caine: Keine Ahnung, ich habe mich noch nie analysieren lassen. Es stimmt, dass ich mein hart verdientes Geld nicht so ohne weiteres hergebe. Als die britische Steuer mal auf unglaubliche 82 Prozent stieg für Besserverdiener wie mich, bin ich für acht Jahre nach Los Angeles geflüchtet. Nur meine Frau darf sich mehr als 40 Prozent von meinem Einkommen nehmen.
  Ist Ihre Frau denn so anspruchsvoll?
Caine: Nein. Ich gebe sehr viel Geld aus, aber ich habe keine Ahnung von Preisen. Shakira hingegen weiss ganz genau was wieviel kostet und  achtet darauf, dass ich nicht übers Ohr gehauen werde.

  Was bedeutet Luxus heute für Sie?
Caine: Das kommt darauf an, wie Sie Luxus definieren. Materiell kann ich mir alles leisten, was ich mir wünsche. Ich fliege erste Klasse, wohne in den besten Hotels, lasse meine Anzüge masschneidern. Als Kind schien mir fliessend warmes Wasser ein unerreichbarer Luxus, heute bestehe ich auf zwei Badezimmern in meinen Hotelsuiten.
  Wozu?
Caine: Eines der Geheimnisse einer glücklichen Ehe.
  So?
Caine: Nein, das ist nur so dahingesagt. Bitte bringen Sie mich nicht in Verlegenheit. Ich kenne keine Patentrezepte für harmonische Partnerschaften. Vieles ist Zufall. Oder Schicksal, ganz wie man’s nimmt.

  Ihre Liebesgeschichte ist eine der romantischsten Hollywoods.
Caine: Das finde ich auch. Überlegen Sie mal, ich war Disco Michael und jeden Abend unterwegs. Ich sah nie fern. Nur an diesem einen Abend hatte ich keine Lust auszugehen und lud meinen besten Freund zum Essen ein. „Ich koche” sagte ich „und wir gucken fern”. Er sagte zu, denn ich bin ein ganz vorzüglicher Koch.
  Erinnern Sie noch die Menüfolge?
Caine: Nicht im Detail. Damals experimentierte ich noch mit verschiedenen Rezepten. Aber ich werde nie vergessen, wie Shakira in mein Leben tanzte. In einem Maxwell Kaffe Werbespot auf meinem Schwarz-Weiss Fernseher. Ich verliebte mich auf der Stelle in diese wunderschöne Brasilianerin. Am nächsten Tag fand ich heraus, dass sie indischer Abstammung ist und nicht in Rio sondern um die Ecke in London lebte. Zu unserem ersten Rendezvous fuhr ich in einem Rolls Cabrio in einem weissen Nero Anzug vor. Stellen Sie sich vor ich wäre an diesem Abend ausgegangen wie üblich. Wir hätten uns nie getroffen.
  Eine aussergewöhnlich schöne Frau an der Seite ist auch eine Art Statussymbol.
Cain: Ich mache keinen Hehl daraus. Shakiras Schönheit ist ein Faktor unserer glücklichen Beziehung. Das mag brutal klingen aber in meinem Beruf ist man nun einmal  vielen Verführungen ausgesetzt. Wenn ich aber mit einer Frau verheiratet bin, die noch schöner als meine Kolleginnen ist, warum sollte ich sie betrügen?
  Sie wissen, dass Feministinnen Sie für dererlei Äusserungen geisseln, nicht wahr?
Caine: Ist mir egal. Natürlich wären wir nicht ein halbes Jahrhundert lang glücklich, wenn unsere Beziehung nur auf Äusserlichkeiten aufbaute. Aber meine erste Ehe ging schief, weil das Gras auf der anderen Seite immer grüner schien. Und heute bin ich ein sehr familienorientierter Mensch. Ich koche und gärtnere und würde am liebsten nie unser Anwesen verlassen wenn Shakira mich nicht daran erinnerte, dass meine Arbeit  meine Hobbies finanziert.
  Ungewöhnliche Hobbies für jemanden, der ohne fliessend warmes Wasser aufgewachsen ist.
Caine: Stimmt, das lernte ich erst im zweiten Welktkrieg kennen, als wir vor den Bombenangriffen auf London aufs Land flohen. Meine Mutter fand dort Arbeit als Köchin einer sehr, sehr reichen Familie. Es war ein bisschen wie „Upstairs Downstairs“ (Das Haus am Eaton Place) unten das Gesinde, oben die Herrschaften. Aber für mich gab es keinen heimeligeren Ort auf der Welt als die Küche dieses Landguts.
  Heute leben Sie selbst auf so einem Gut.
Caine: Und ich bin mir sicher, wenn ich Psychoanalyse betreiben würde, aber das tue ich wie gesagt nicht, würde man dahinter kommen, dass ich meine Kindheit unter anderen Vorzeichen nachlebe.
  Jetzt sind Sie Upstairs.
Caine: So kann man das auch nicht sagen. Ich habe Personal, aber ich stehe immer noch gern selbst am Herd.
  Ein Hobby?
Caine: Eine Obsession. Ich bin leidenschaftlicher Koch und Gärtner. Das hat beinahe etwas Zen-haftes. Ich esse, was ich selbst in meinem Garten säte. Und es ist ein grosser Garten, sechs Morgen.
  Hilft Ihnen Ihre Frau beim Gärtnern und Kochen?
Caine: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich nerve sie, wenn ich nicht drehe, weil ich ständig am Haus herumbastle. Unsere Mansion in Surrey ist von Aussen 200 Jahre alt aber Innen mit den modernsten Finessen ausgestattet. Ich bin Technik-Freak und brauche immer den neuesten Schnickschnack. Meine Töchter laden ihre I-Phones an meinen Computer. Mein Talent als Diskjockey ist legendär.
Stimmt ja, Sie haben sogar eine Kompilation mit Chill-Musik unter dem Titel „Cained” herausgegeben.
Caine: Ach, das war nur eine alberene Spielerei, bei einem Lunch mit Elton John in Nizza geboren. Er liess Lounge-Musik im Hintergrund laufen und war beeindruckt, dass ich jedes einzelne Stück identifizieren konnte. Da drängte er mich, für seine Plattenfirma eine Sammlung meiner Lieblingstracks zusammenzustellen. Das war ganz witzig aber meine Leidenschaft gehört eindeutig dem Kochen.
  Haben Sie die auch mal versucht zu Geld zu machen?
Caine: Aber natürlich. Ich betrieb jahrelang einige sehr erfolgreiche Restaurants.
  Und was wurde daraus?
Caine: Ich hab’ sie alle verkauft.
  Warum?
Caine: Weil hochdekorierte Köche noch grössere Egos haben als Schauspieler. Dafür habe ich keinen Nerv mehr. Ich bin im mentalen Ruhestand.
  Wunschlos glücklich?
Caine: Nein, wo denken Sie hin. Ich will immer noch einen Oscar als bester Hauptdarsteller. Ich war sechs Mal nominiert aber habe verdammt nochmal noch nie einen gewonnen. Aber ich bin guter Dinge. Denn jetzt kann ich mir geringe Gagen in anspruchvollen Indiefilmen leisten.