THE BANSHEES OF INISHERIN

THE BANSHEES OF INISHERIN

Kinostart 05. Januar 2023

Frühmorgens aufstehen, die Tiere auf die Weide treiben, nachmittags zwei bis zehn Guiness trinken, abends mit dem Esel schmusen. Es ist nicht gerade viel los auf der abgelegenen Insel Inisherin vor der Westküste Irlands im Jahre 1923. Doch der einfach gestrickte Pádraic ist mit seinem Leben rundum zufrieden. Das Haus teilt er sich mit seiner unverheirateten Schwester Siobhán, seinen besten Freund Colm holt er jeden Tag pünktlich um zwei zum gemeinsamen Biertrinken ab. Bis Colm die Freundschaft urplötzlich kündigt. „Du hast mir nichts getan. Ich kann dich einfach nicht mehr leiden.“ Pádraic versteht die Welt nicht mehr und versucht, seinen Freund umzustimmen. Doch all seine Bemühungen nützen nichts, und als Colm Pádraic ein Ultimatum stellt, eskalieren die Ereignisse mit drastischen Folgen.

„The Banshees of Inisherin“ lässt sich auf vielerlei Arten interpretieren: eine simple Meditation über Männerfreundschaft? Eine Allegorie auf den Bürgerkrieg – einen Bürgerkrieg im Mikrokosmos, der für den damals tobenden irischen Bürgerkrieg im Großen steht? Oder ein Shakespeare-Drama inklusive Helden, Schurken, Hexen und Narren? Obwohl der Film zu großen Teilen aus philosophischen Gesprächen über Freundschaft und das Leben im Allgemeinen besteht, sollte man sich nicht in Sicherheit wiegen. Die vermeintlich sanfte Gleichmut hält ein paar bloody shocking Überraschungen parat.

Das Dreamteam ist zurück: Nach „Brügge sehen … und sterben?“ hat sich Regisseur McDonagh für seine neue Tragikomödie wieder Colin Farrell und Brendan Gleeson vor die Kamera geholt. Daneben sind unter anderem der immer hervorragende Barry Keoghan („Dunkirk“), sowie Kerry Condon (bekannt aus „Better Call Saul“) zu sehen.

Irisch klingt zwar oft wie Klingonisch auf Rückwärts. Trotzdem: Original mit Untertiteln ist ein Muss.
Go raibh maith agat as léamh (Vielen Dank fürs Lesen).

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Banshees of Inisherin“
Irland 2022
109 min
Regie Martin McDonagh

alle Bilder © Walt Disney Studio Motion Pictures GmbH

WAS MAN VON HIER AUS SEHEN KANN

WAS MAN VON HIER AUS SEHEN KANN

Kinostart 29. Dezember 2022

In einem kleinen Dorf im Westerwald tragen sich seltsame Dinge zu: Immer wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Ort. Selmas Enkelin Luise lügt und im gleichen Moment fällt etwas von oben herab. Martin kann im Zug mit geschlossenen Augen sehen, wo die Bahn gerade entlangfährt. Überhaupt das Sehen. Selma sieht nicht, dass der Optiker in sie verliebt ist, obwohl das ganze Dorf Bescheid weiß. Und Luises Vater will nicht sehen, dass seine Frau nicht mehr ihn, sondern den Eisverkäufer liebt.

Das ganze Leben in seiner schleierhaften Sinnlosigkeit

So viele Figuren, so viele Details. Eine Miniserie wäre vielleicht die adäquatere Form für die filmische Umsetzung von Mariana Lekys Bestseller gewesen. Denn über mehrere Folgen erzählt, kann eine Geschichte mal hierhin, mal dorthin abschweifen, während ein Spielfilm komprimieren und notfalls auch Figuren weglassen muss. 

Doch in Lekys Buch geht es ohnehin weniger darum, was, sondern wie es erzählt wird. Regisseur Aron Lehmann hat den Ton des Romans mit der richtigen Mischung aus wunderlicher Verschrobenheit und nötiger Ernsthaftigkeit kongenial eingefangen. Wann immer die Geschichte ins zu Niedliche abzurutschen droht, zieht Lehmann verlässlich die Notbremse und kontert mit trockenem Humor.

„Was man von hier aus sehen kann“ ist ein mit Luna Wedler, Corinna Harfouch und Karl Markovics ausgezeichnet besetzter Film über Liebe, Tod und überhaupt das ganze Leben in seiner Sinnhaftigkeit und manchmal schleierhaften Sinnlosigkeit. Irgendwo zwischen französischer „Amelie“-Leichtigkeit und deutscher Märchenhaftigkeit, herzenswarm und frei von Kitsch inszeniert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
109 min
Regie Aron Lehmann

alle Bilder © STUDIOCANAL

VERLORENE ILLUSIONEN

VERLORENE ILLUSIONEN

Kinostart 22. Dezember 2022

Klassische Musik erklingt, Lucien (Benjamin Voison) liegt verträumt im Gras und schreibt Gedichte. Seine geheime Affäre mit einer adligen Dame löst Getuschel im Dorf aus. Vor Liebe blind, nimmt die Mäzenin ihren Toyboy mit nach Paris, um ihn dort in die Gesellschaft einzuführen. Skandal! Denn der junge Mann ist nicht von edlem Geblüt. So weit, so wenig aufregend. „Verlorene Illusionen“ schickt sich in der ersten halben Stunde an, ein typischer Kostümschinken zu werden. Denkt man. Doch wer mit dem Roman von Honoré de Balzac vertraut ist, weiß, da kommt noch mehr. Denn die zweihundert Jahre alte Geschichte ist hochaktuell.

Trolle und Fake News gab es schon im 19. Jahrhundert

In Paris lässt Lucien seine Ambitionen, einen Roman zu schreiben, rasch hinter sich. So ändern sich die Zeiten: Mit Journalismus kann man damals noch gutes und schnelles Geld verdienen. Aus dem Idealisten wird ein bestechlicher und wegen seiner spitzen Feder gefürchteter Schreiber. Die Mechanismen der Macht funktionieren 1821 wie heute: Profit, Schein und Fake News.

Dass es schon im 19. Jahrhundert Trolle gibt, ist eine von vielen lehrreichen Erkenntnissen der intelligenten Dramödie von Xavier Giannoli. Einer dieser bösartigen Meinungsmacher ist Singali. Der wird bei Theaterpremieren als analoger Influencer engagiert. Wie ein Dirigent weist er eine Schar gekaufter Zuschauer an, zu buhen oder begeistert zu klatschen. Statt faulem Obst kann es dann auch Blumen auf die Bühne regnen. Je nachdem, wer ihn bezahlt. Die Qualität der Aufführung spielt dabei keine Rolle.

Trotz einer Laufzeit von zweieinhalb Stunden beeindruckt „Verlorene Illusionen“ durch seine erzählerische Dichte, die von einem hochkarätigen Schauspielerensemble getragen wird. Man weiß gar nicht, wo man mit dem Loben anfangen soll. Vincent Lacoste als manipulativer, windiger Chefredakteur? Großartig. Oder Salomé Dewaels als die mit allen Wassern gewaschene Geliebte Luciens? Ebenso. Von Xavier Dolan in der Rolle eines ambivalenten Autors – Ist er Freund? Ist er Feind? – ganz zu schweigen. Allen voran aber Hauptdarsteller Benjamin Voisin, der zuletzt in François Ozons „Sommer 85“ beeindruckt hat. Man kann die Augen gar nicht von ihm nehmen. Der Spagat zwischen liebenswertem Jungen und unsympathischem Aufsteiger gelingt ihm mühelos. Fabuleux!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Illusions perdues“
Frankreich 2022
150 min
Regie Xavier Giannoli

alle Bilder © CINEMIEN

ENNIO MORRICONE – DER MAESTRO

ENNIO MORRICONE – DER MAESTRO

Kinostart 22. Dezember 2022

Meist genügt nur ein Takt, um zu erkennen, dass die Filmmusik von ihm stammt. Mundharmonika, überirdischer Frauengesang – Ennio Morricone wertet mit seinem unverkennbaren Sound zahllose Spaghettiwestern auf. Der Mann war schon zu Lebzeiten eine Legende. Höchste Zeit für einen Dokumentarfilm über den genialen Komponisten. Regisseur Giuseppe Tornatore arbeitet die faszinierende Karriere seines langjährigen Freundes in „Ennio Morricone – Der Maestro“ chronologisch ab. Das ist zwar konventionell gemacht, aber auch angenehm unaufgeregt.

In gleichermaßen anrührenden wie erhellenden Interviewszenen erinnert Morricone sein Leben von der Kindheit bis zum sehr späten Oscargewinn für „The Hateful Eight“. Dazwischen gestreut kommen in kurzen O-Tönen – etwas zu hektisch aneinandergereiht – Weggefährten wie Quentin Tarantino, Bernardo Bertolucci, Joan Baez, Hans Zimmer, Bruce Springsteen oder Clint Eastwood zu Wort.

Tatsächlich ist die größte Überraschung, wie viele eingängige Schlager-Hits Morricone zu Beginn seiner Karriere in den 50er und 60ern geschrieben hat. Auch dass er vor seinen Welterfolgen wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder „Es war einmal in Amerika“ unzählige Filmmusiken für heute längst vergessene italienische Filme komponiert hat, dürfte den Wenigsten bekannt sein.

Morricone ist während seiner gesamten Karriere bereit, zu experimentieren, sich neu zu erfinden. Filmen verleiht er mit seiner Musik eine Dimension, die mancher Regisseur selbst noch gar nicht begriffen hat. Bei so viel aufregender Kreativität braucht es keine filmischen und erzählerischen Tricks. „Ennio Morricone – Der Maestro“ ist zwar ein etwas artig gemachter, aber trotzdem spannender Film über einen genialen Ausnahmekünstler.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ennio“
Italien / Belgien / Japan / Niederlande 2021
156 min
Regie Giuseppe Tornatore

alle Bilder © PLAION PICTURES

AVATAR: THE WAY OF WATER

AVATAR: THE WAY OF WATER

Kinostart 14. Dezember 2022

Groß, größer, Cameron. Der Erfolgsregisseur präsentiert mit „Avatar: The Way of Water“ im Grunde eine Neuverfilmung von „Avatar: Aufbruch nach Pandora“. Nur ist diesmal alles noch gewaltiger und farbenprächtiger, die Bilder noch plastischer. Vor allem in IMAX und 3D ist der Film ein visueller Rausch.

Avatar ist bis heute der erfolgreichste Film aller Zeiten

Das sieht schon sehr gut aus. Vor allem die Unterwasseraufnahmen. Da ist James Cameron in seinem Element. Und er weiß, was seine Fans wünschen: Schiffskatastrophe a la „Titanic“, check. Schillernde „Abyss“-Unterwasserwelten, check. „Aliens“-Machosoldaten, doppel-HOOAH-check! Viele der Versatzstücke kommen einem verdächtig bekannt vor. Der Meister zitiert sich selbst. 

Inhaltlich unterscheiden sich Avatar 1 und 2 kaum. Kurze Auffrischung: Der ehemals gelähmte Kriegsveteran Jake Sully (Sam Worthington) ist mittlerweile komplett zum blauhäutigen Na’vi geworden und hat mit Neytiri (Zoe Saldana) reichlich Nachwuchs in die pandorische Welt gesetzt. War der erste Teil noch eine simple Liebesgeschichte, erzählt die Fortsetzung eine soapige Familiensaga. Die Kleinen sind inzwischen zu pubertierenden Teenagern herangewachsen. Und da es im Weltenraum überall gleich zugeht, ignorieren die Kids auch hier bockig den Rat der Alten und provozieren dadurch eine gefährliche Situation nach der anderen. Aus denen sie dann von den Eltern gerettet werden müssen – Eine Geschichte so dünn wie ein Schluck Wasser.

Auch die Rollenverteilung zwischen Gut und Böse bleibt wie gehabt: Hier die teuflischen Menschen, die profitgierig auf den Umweltschutz spucken. Da die edlen Wilden, mit der Natur stets im Einklang und im ewigen Kampf gegen den weißen Mann. Winnetou, I see you.

James Cameron kann mit seinem Hybrid aus Real- und Computeranimationsfilm das Blockbusterkino nicht noch einmal revolutionieren. Der Reiz des Neuen ist weg. Gelegentlich droht die Schönheit der Bilder in Enthnokitsch und Pathos unterzugehen. Aber immerhin: Die im Rechner erschaffenen fantastischen Welten und die perfekt choreografierten Actionsequenzen haben Wucht. Wer im trüben Wintergrau für drei Stunden in türkisfarbenen Südsee-Welten versinken möchte, der ist hier genau richtig.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Avatar: The Way of Water“
USA 2022
192 min
Regie James Cameron

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

TERRIFIER 2

TERRIFIER 2

Kinostart 08. Dezember 2022

„Zuschauer mussten ohnmächtig aus dem Kino getragen werden“, verkündet das Presseheft voller Stolz. Abgebrühten Splatterfans mag da nur ein müdes Lächeln übers Gesicht huschen. Alle anderen seien hiermit gewarnt.

Schnipp, schnapp, Rübe ab

„Terrifier 2“ ist Hardcore-Trash in Vollendung. Das ist jetzt bitte nicht abwertend gemeint. Denn Regisseur Damien Leone hat eine echte Perle des Slashergenres geschaffen. „Terrifier 2“ pfeift auf Halloween-Retroromantik und geht noch zehn Schritte weiter. Der Film spielt zwar in der Jetztzeit (es gibt Handys), sieht aber aus und klingt (dank des Soundtracks von Paul Wiley) wie ein Independentmovie, das 1975 in einem heruntergekommenen New Yorker Grindhouse zur Mitternachtsmatinee gezeigt wird. Deshalb aufgepasst: „Terrifier 2“ läuft bei uns nur für kurze Zeit in ausgewählten Kinos. Je später die Vorstellung und je abgeranzter die Location, desto stilechter. 

Wie alle guten Horrorfilme hat auch „Terrifier 2“ einen besonders garstigen Bösewicht. Der stumme „Art the Clown“ ist eine wahre Ausgeburt der Hölle. Unsterblich wie Mike Myers und Jason hat er im Gegensatz zu seinen killenden Kollegen richtig Freude an der sadistischen Arbeit. Ulkige Grimassen schneidend befördert er ein Opfer nach dem anderen auf möglichst brutale Art und Weise ins Jenseits. Schnipp, schnapp, Rübe ab. Ein echter Künstler seines Fachs.

Die Geschichte um ein Teenagermädchen und ihren Bruder tut nichts zur Sache, denn Hauptsache, die Gore-Effekte haben es in sich. Regisseur Damien Leon setzt dabei komplett auf physische Tricks, keine glatte CGI-Optik, das Blut spritzt hier noch handgemacht und ist daher umso wirkungsvoller. Wer sich also für ausgerissene Augen, mit dem Hammer zu Brei zerschlagenes Hirn oder heraushängendes Gedärm begeistert: Hier ist euer Schocker des Jahres. Uncut.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Terrifier 2“
USA 2022
137 min
Regie Damien Leon

alle Bilder © 24 Bilder

SHE SAID

SHE SAID

Kinostart 08. Dezember 2022

Der verurteilte Sexualstraftäter und Ex-Filmproduzent Harvey Weinstein ist ein echtes Schwein. Über Jahrzehnte missbraucht er Frauen körperlich und emotional. Das Bekanntmachen seiner Vergehen löst zunächst in den USA und später weltweit die #MeToo-Bewegung aus. In ihrem Buch „She Said: Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite a Movement“ erzählen die beiden New-York-Times-Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kanto von der Recherche, die den einst mächtigen Miramax-Boss vor fünf Jahren zu Fall bringt. Maria Schrader gibt nun mit der Verfilmung des Sachbuchs ihr US-Regie-Debüt.

Eine fast anämische Aneinanderreihung von Begebenheiten

Hollywood, Skandal, Machtmissbrauch. Das hätte auch schnell ein reißerischer Thriller werden können. Doch „She Said“ ist eine erstaunlich nüchterne, fast anämische Aneinanderreihung von Begebenheiten. Der Film lässt vieles aus – es fehlt eine Erklärung, wer Harvey Weinstein überhaupt ist und welche unangreifbare Machtposition er jahrzehntelang in Hollywood innehat – fokussiert sich auf die beiden Journalistinnen: So leidet Megan Twohey beispielsweise nach der Geburt ihres Kindes unter postpartaler* Depression. Schlimm, aber so what, möchte man sagen – eine Information, die weder besonders geschichtsrelevant ist, noch der Figur nachhaltig Tiefe verleiht.

Ein Vergleich drängt sich auf: „She Said“ ist eine MeToo-Variante von „All the President’s Men – Die Unbestechlichen“. Investigativen Journalisten bei der Arbeit zusehen, kann auch spannend sein. Das beweist Alan J. Pakulas Film über die Watergate-Affäre noch heute, fast 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung. Der sehr deutsche Blick von Emmy-Gewinnerin Maria Schrader auf eine US-amerikanische Geschichte ist zwar in Ansätzen erfrischend, doch die Regisseurin verweigert sich in ihrer braven Nacherzählung der Fakten zu sehr den Möglichkeiten des Kinos. Und auch wenn journalistische Recherche im wahren Leben tatsächlich aus vielen Telefonaten bestehen mag: Muss man die alle in einem Kinofilm zeigen?

Kitty Green hat mit „Die Assistentin“ vor zwei Jahren den eindringlicheren und besseren Film zum Thema gemacht.

* Mansplaining mit Framerate: Mit postnatal beschreibt man die Zeit nach der Geburt, bezogen auf das Kind. Mit postpartal hingegen meint man den Zeitraum nach dem Gebären, bezogen auf die Mutter. Somit ist hier die medizinisch korrekte Bezeichnung „Postpartale Depression“.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „She Said“
USA 2022
133 min
Regie Maria Schrader

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

CALL JANE

CALL JANE

Kinostart 01. Dezember 2022

Joy ist schwanger. Doch etwas stimmt nicht. Immer wieder wird ihr schwindlig, verliert sie das Bewusstsein. Der Arzt rät zu einem Schwangerschaftsabbruch, da sonst Lebensgefahr bestehe. Das Problem: Ende der 60er-Jahre sind Abtreibungen in den USA verboten und der rein männlich besetzte Klinikvorstand lehnt den Eingriff ab. Die Lage scheint aussichtslos, bis Joy auf eine illegale Gruppe trifft. Die „Janes“ helfen Frauen, ungewollte Schwangerschaften zu beenden und notfalls vor Gericht zu ziehen. Joy wird Teil des Untergrundkollektivs.

Ein wichtiges Thema, gerade in Zeiten, in denen das Recht auf Abtreibung in vielen Ländern wieder zur Diskussion steht (im Juni diesen Jahres wurde das generelle Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in den USA abgeschafft). Umso bedauerlicher, dass „Call Jane“ nicht richtig packt. Phyllis Nagy, die schon das Drehbuch zu Todd Haynes „Carol“ geschrieben hat, interessiert sich in ihrem Regiedebüt überraschend wenig für die aufkommende Frauen- und Hippiebewegung in den USA. Ihr eher konventioneller, zu netter Film fokussiert sich hauptsächlich auf die Frage: Finden Joys Ehemann und Tochter heraus, dass sich Mutti mit gesetzlosen neuen Freundinnen umgibt?

„Call Jane“ ist solide, gut gespielte, aber letztendlich biedere US-Ware. Einen weitaus besseren Film zum Thema hat die Französin Audrey Diwan mit „Das Ereignis“ gemacht, der im März diesen Jahres in den Kinos lief.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Call Jane“
USA 2022
121 min
Regie Phyllis Nagy

alle Bilder © DCM

CLOUDY MOUNTAIN

CLOUDY MOUNTAIN

Kinostart 01. Dezember 2022

Eine riesige Berglandschaft im Südwesten Chinas droht zu kollabieren. Nur der clevere Sprengstoffexperte Yizhou kann gemeinsam mit seinem Vater die Menschheit vor einer Katastrophe retten.

Die Helden sind tapfer, stark und exzellente Multitasker

„Cloudy Mountain“ ist Chinas Antwort auf Dwayne-Johnson-Filme, nur ohne The Rock. Die Großmeister der Kopie haben einen Actionblockbuster produziert, der mehr physikalische Grenzen ignoriert als „San Andreas“ und „Skyscraper“ zusammen. Stürze in einem Bus in ein tiefes Erdloch? Freeclimbing an einer regennassen Felswand? Ein zehn Meter Hechtsprung durch die Luft, um an den Kufen eines vorbeifliegenden Helikopters zu landen? Alles kein Problem, denn die Helden sind tapfer, stark und exzellente Multitasker. Die Krönung ist eine Szene, in der der Hauptdarsteller einen Jeep mit Höchstgeschwindigkeit durch eine enge Serpentinenstraße steuert, während er hoch komplizierte mathematische Gleichungen in seinen Computer hämmert und es um ihn herum hausgroße Felsbrocken regnet. Auf Mensch und Technik ist eben Verlass. Internet ist immer und überall verfügbar, im Reich der Mitte scheint es flächendeckend stabiles Netz zu geben. 5 G sogar im Erdinneren – davon kann unsereins nur träumen.

„Cloudy Mountain“ ist ein Propagandafilm, in dem Sätze wie „Vertrauen Sie der Partei und der Regierung“ fast im Allgemeinlärm untergehen. Auf der Filmdatenbank IMDb hat das Katastrophenepos derart viele 10 von 10 Punkte Jubelbewertungen bekommen, dass man sich fragt, ob Xi Jinping hier persönlich nachgeholfen hat.

Wer über die teils lachhafte Handy-Videospiel-Qualität der Spezialeffekte spotten möchte – bitte schön. Unterhaltsam ist die rasante Achterbahnfahrt trotzdem. In einer Art Rudis Resterampe der Katastrophenfilme werden immer grotesker werdende Actionszenen aneinandergereiht, es bleibt kaum Zeit zum Luftholen. Überwältigungskino in Reinform.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Feng Bao“
China 2021
115 min
Regie Li Jun

alle Bilder © PLAION PICTURES GmbH

MERKEL – MACHT DER FREIHEIT

MERKEL – MACHT DER FREIHEIT

Kinostart 24. November 2022

Ist schon genügend Zeit vergangen? Will man sich nur ein Jahr nach ihrem freiwilligen Ausstieg aus der Politik einen Film über Angela Merkel anschauen? Die Regisseurin Eva Weber hat diese Fragen mit „ja“ beantwortet und aus umfangreichem Archivmaterial und zahlreichen Interviews mit Zeitzeugen eine Dokumentation über das Leben und Wirken der ewigen Kanzlerin gemacht.

Das entscheidende Merkmal von Angela ist die Abwesenheit von Ego

Frau und Ossi: Kann die das? Angela Merkel muss sich zu Beginn ihrer politischen Karriere viele Seltsamkeiten anhören. „Geht das nicht alles ein bisschen schnell für Sie? Haben Sie gelegentlich das beklemmende Gefühl, es geschehe etwas mit Ihnen, mehr als dass Sie selber etwas aus sich machen? Angela Merkel: derzeit mehr Objekt als Subjekt?“, fragt der Journalist Günter Gaus 1991. Die gleiche Frage einem Mann gestellt – undenkbar. Merkel zuckt kaum wahrnehmbar mit den Mundwinkeln. Provokationen sitzt sie aus.

Mit maximaler Effizienz räumt sie später politische Gegner aus dem Weg. Ihre Rolle im Machtkampf um das Ende der Ära Kohl fasst der ehemalige britische Botschafter Lord McDonald nicht ohne Bewunderung so zusammen: „Der alte Mann musste weg. Jemand musste ihn abfertigen.“ Während andere Energie auf eitle Hahnenkämpfe verschwenden, verfolgt Angela Merkel stoisch ihre Ziele, immer im Dienste der Sache. „Das entscheidende Merkmal von Angela ist die Abwesenheit von Ego“, sagt der ehemalige britische Premierminister Tony Blair über sie.

„MERKEL – Macht der Freiheit“ ist das unaufgeregte Porträt einer unaufgeregten Politikerin. Die Ex-Kanzlerin selbst taucht im ganzen Film nur in bereits bekanntem Material auf, für ein neues Interview stand sie nicht zur Verfügung. Unzählige Archivausschnitte, Fotos und Filme hat die Regisseurin ausgewertet und neu zusammengefügt. Kritische Töne bleiben dabei größtenteils aus. So entsteht das unterhaltsame, aber gerade im Angesicht der aktuellen Russlandkrise etwas zu positive Bild einer Politikerin, die sechzehn Jahre lang die mächtigste Frau der Welt war.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / GB / Dänemark 2022
96 min
Regie Eva Weber

alle Bilder © PROGRESS Filmverleih

ZEITEN DES UMBRUCHS

Kinostart 24. November 2022

Dass ein Schmock wie Ronald Reagan der nächste US-Präsident werden könnte, versetzt Irving Graff (Jeremy Strong) in Unglauben. Der liberale jüdische Familienvater lebt Anfang der 1980er-Jahre in Queens, New York. Mit seiner Frau Esther (Anne Hathaway) hangelt er sich so durch, vom klassischen Wunsch getrieben, die beiden Kinder mögen es „mal besser haben“. Doch Undank ist der Welten Lohn: Sohn Paul (Banks Repeta) ist verträumt und mehr am Zeichnen als an Lehren fürs Leben interessiert. Verständnis findet er nur bei seinem Großvater (Anthony Hopkins), dem einzigen Erwachsenen, auf den der Junge hört.

Der Film findet keinen großen dramatischen Bogen, bleibt skizzenhaft

Wer hat sich nicht schon mal gefragt, ob die eigene Familiengeschichte es nicht wert wäre, aufgeschrieben oder verfilmt zu werden? Da aber die meisten von uns kein Soap-Opera-Leben führen, hielte das Ergebnis den Rest der Menschheit vermutlich nicht in Atem. Und auch die Kindheitserinnerungen von James Gray sind weniger aufregend, als es der Drehbuchautor und Regisseur vermutet. Sein Film findet keinen großen dramatischen Bogen, bleibt skizzenhaft und ist nur mäßig interessant. Ständig wartet man auf einen großen Knall, Gefühle oder Drama, doch es passiert fast nichts. Wenigstens hat er eine fabelhafte Besetzung vor der Kamera versammelt: Neben Jeremy Strong und Anne Hathaway vor allem Anthony Hopkins, der endlich aufgehört hat, drittklassige Thriller fürs Geld zu drehen, und seit „The Father“ wieder zu Bestform zurückgefunden hat.

„Armageddon Time“ – der Originaltitel klingt brachial und vielversprechend. Überraschend, dass sich dahinter eine so fade Familiengeschichte verbirgt. Wie schon zuletzt „Ad Astra – Zu den Sternen“ ist auch Grays neuer Film kein Unterhaltungsfeuerwerk, eher eine Beobachtung von Zuständen. „Zeiten des Umbruchs“ möchte ein bildgewordener Jonathan Franzen-Roman sein: eine ausführliche Beschreibung vom Leben, bei der nicht viel passieren muss, die aber trotzdem fesselt. Das funktioniert bei Franzen auf dem Papier. Kino folgt anderen Regeln. Da können zwei Stunden ohne nennenswerte Geschichte ganz schön lang werden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Armageddon Time“
USA 2022
114 min
Regie  James Gray

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

BONES AND ALL

Kinostart 24. November 2022

Das Rückgrat geknickt,
Die Knochen zerknackt,
Die Schenkel gespickt,
Die Lebern zerhackt.

Joachim Ringelnatz beschreibt in seinem Gedicht „Silvester bei den Kannibalen“ genau wie’s geht. Derlei Anleitung könnte auch Maren gut gebrauchen, denn sie ist seit Kindesbein scharf auf Menschenfleisch. Als sich pünktlich zu ihrem 18. Geburtstag ihr Vater aus dem Staub macht, begibt sie sich auf die Suche nach ihrer verschollen geglaubten Mutter – ein Roadtrip quer durch die Vereinigten Staaten der Reagan-Ära. Unterwegs trifft sie Gleichgesinnte (man kann sich gegenseitig erschnuppern) und findet im Wild Boy Lee ihre erste große Liebe. Liebe unter Kannibalen. Schön.

Regisseur Luca Guadagnino ist ein Meister der Stimmung

„Bones and All“ würde in der modernen Gastronomie wohl „Nose to Tail“ heißen. Denn in der Adaption von Camille Deangelis’ Jugendroman geht es (auf den ersten Blick) genau darum: das Verspeisen von Menschen mit Haut und Haar. Regisseur Luca Guadagnino hat sich dafür erneut Timothée Chalamet vor die Kamera geholt und der macht, was er am besten kann: mit niedlichem Hundeblick unter der Lockenfrisur hervorschauen und sexuelle Ambivalenz verströmen. Sehr putzig auch Oscarpreisträger Mark Rylance als gruselig-irrer Körperfresser mit Prinzipien: Ihm kommen nur bereits Verstorbene auf den Teller. Die Hauptrolle ist mit Taylor Russell besetzt, die schon im sträflich vom Publikum ignorierten Coming-of-Age-Drama „Waves“ begeistern konnte.

Was dem Immobilienmakler „Locatio, Location, Location“, ist für Luca Guadagnino „Mood, Mood, Mood“. Die Filme des italienischen Regisseurs sind in erster Linie perfekt eingefangene Atmosphäre, weniger klassisch erzählte Geschichte. Wer wollte nach „Call Me by Your Name“ nicht sofort die Koffer packen und einen sonnenflirrend verliebten Urlaub im Süden verbringen? Ein Meister der Stimmung also. Mit „Bones and All“ hat er nun einen – sich selbst vielleicht etwas zu ernst nehmenden – romantischen Arthousefilm mit Horrorelementen gedreht. Top besetzt, zwischendurch mit Längen, aber insgesamt sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Bones and All“
Italien / USA 2022
131 min
Regie Luca Guadagnino

alle Bilder © Warner Bros. Pictures (international)

SHATTERED – GEFÄHRLICHE AFFÄRE

Kinostart 24. November 2022

Große Sorge um John Malkovich! Der preisgekrönte Schauspieler ist in finanziellen Schwierigkeiten! Oder warum sonst spielt er in diesem zweitklassigen C-Picture mit?

Die überraschungsfreie Geschichte wird inklusive aller Twits bereits im Trailer verraten: Der in einem Luxusanwesen in den Bergen lebende Tech-Millionär Chris (Cameron Monaghan) verliebt sich in die attraktive Sky (Lilly Krug). Als der bebrillte Beau bei einem Überfall verletzt wird, springt die junge Frau kurzerhand als Privatkrankenschwester ein. Doch die hilfsbereite Fassade täuscht, Sky verfolgt einen perfiden Plan. Natter!

„Shattered“ ist eine Mischung aus „Misery“ und „Fatal Attraction“, nur mit schlechteren Darstellern und überschaubarerem Production Value. Früher landeten solche Filme als Direct-to-DVD in Videotheken, heute werden sie auf Streamingplattformen verheizt. Weshalb es „Shattered“ auf die große Leinwand ins Kino geschafft hat, bleibt rätselhaft. Trotz seiner Schlichtheit in jeder Hinsicht, ist der Thriller wenigstens in der zweiten Hälfte ein bisschen spannend.

Stupid German Money goes Hollywood: Veronica Ferres ist nicht nur die Mutter der Hauptdarstellerin, sondern auch Produzentin des Films und privat mit Malkovich befreundet. Ach so, drum.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Shattered“
USA 2022
94 min
Regie Luis Prieto

alle Bilder © Leonine

EINFACH MAL WAS SCHÖNES

Kinostart 17. November 2022

Deutschlands fleißigste „Ich warte nicht auf Rollenangebote, sondern inszeniere mich selbst“-Schauspielerin und Regisseurin Karoline Herfurth hat es schon wieder getan. Gerade mal neun Monate nach „Wunderschön“ startet nun „Einfach mal was Schönes“ in den Kinos. Ähnlicher Titel, ähnlicher Film.

Karla ist 39 und familiengestresster Single. Sie möchte unbedingt ein Kind bekommen, doch es fehlt der richtige Mann. Also beschließt sie, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen: Samenbank sei Dank ist schnell ein Spender gefunden. Doch als ihr der viel zu junge Ole über den Weg läuft, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt.

Karoline Herfurth beweist, dass sie nicht nur ein Händchen fürs Komödiantische, sondern auch fürs Dramatische hat. Vielleicht sollte sie mit ihrem nächsten Projekt mal das Sujet wechseln. Drama mit Humor statt Komödie mit Drama. „Einfach mal was Schönes“ ist ein harmloser Film mit einer süßen Hauptdarstellerin und einem süßen Hauptdarsteller sowie einer grandiosen Ulrike Kriener als Höllenmutter. Obwohl das alles unterhaltsam ist, trägt die simple Geschichte nur für maximal 90 Minuten. Wie schon bei ihrem Vorgängerfilm (131 Minuten!!) möchte man sich mit der Regisseurin an den Schneidetisch (bzw. Computer) setzen und fragen: Braucht es diese redundanten Szenen wirklich? Wie oft muss man eine Fahrt über abgelegte Kleidungsstücke zeigen, um eine Beischlafszene anzukündigen? Einmal? Zweimal? Dreimal? Die Kunst des Weglassens beherrscht Herfurth nicht. Wenigstens konzentriert sich die Geschichte diesmal auf wenige Figuren, so bleibt genügend Zeit, Charaktere nicht nur anzureißen, um dann ihre Probleme im Schweinsgalopp zu lösen. Insgesamt also eine echte Weiterentwicklung zum zerfaserten Vorgängerfilm „Wunderschön“.

Karoline Herfurth bleibt ihrem Hit and Miss-Rezept treu: Neben wirklich lustigen gibt es mindestens genauso viele dämliche Szenen zum Fremdschämen. „Einfach mal was Schönes“ ist generationsübergreifende Mainstream-Unterhaltung für zwei Stunden Lachen und ein bisschen Weinen ohne großen Anspruch.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
116 min
Regie Karoline Herfurth

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

the MENU

Kinostart 17. November 2022

„Die im Feuer alter Buchenstämme vierzehn Stunden geräucherte Hippe wird von einem Schmand begleitet, den wir von Bauer William aus Schottland beziehen. Seine Kuh Mathilda gibt nur einen Liter Milch pro Woche, welcher exklusiv für diesen Gang in osmanischer Salzlake fermentiert wurde“.
So klingt die nicht erfundene Beschreibung eines verbrannten Stück Teigs mit saurer Sahne in einem Berliner Sterne-Restaurant. Man sitzt da, hört sich’s an und staunt. Jede Zutat wird mit einer Geschichte aufgeladen, alles ist Kunst. Wer schon mal das zweifelhafte Vergnügen hatte, in diesem nicht näher genannten Lokal zu dinieren, der ahnt, dass die im Film „the MENU“ gezeigte Welt der Superfoodies ziemlich nah an der Realität ist.

Selten wurde Grausamkeit so ästhetisch serviert

Eine Gruppe reicher und berühmter Menschen reist auf eine Insel, um dort im ultra-exklusiven Restaurant Hawthorne zu speisen. Spaß kostet Geld: Für das Menü des legendären Chefkochs Slowik (Ralph Fiennes) sind 1.250 $ pro Kopf fällig. Doch was als unvergessliches Gourmet-Erlebnis geplant war, wandelt sich im Laufe des Abends zum Höllentrip.

Menu surprise: Regisseur Mylod spannt einen eleganten Bogen von satirischer Komödie über ausgewachsenen Thriller bis hin zum blanken Horror. Man weiß nie, was als Nächstes passiert, es bleibt bis zum Ende wunderbar überraschend. Das intelligente, mit scharfzüngigen Dialogen gespickte Drehbuch von Seth Reiss und Will Tracy nimmt dabei gekonnt die Auswüchse des Kapitalismus aufs Korn. Insofern ist „the MENU“ dem oscargekrönten „Parasite“ nicht unähnlich.

Selten wurde Grausamkeit so ästhetisch serviert. „the MENU“ nutzt den visuellen Stil der augenschmausigen NETFLIX-Serie „Chef’s Table“, inklusive ironischer Zwischentitel mit pseudo-poetischen Wortschöpfungen für den jeweiligen Gang. Aus der rundum delikaten Besetzung stechen vor allem der immer fabelhafte Ralph Fiennes als Chefkoch und Hong Chau als eiskalt professionelle Oberkellnerin Elsa hervor. „the MENU“ ist eine zugleich komische und bitterböse Abrechnung mit der grotesken Welt der Spitzengastronomie. Guten Appetit.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Menu“
USA 2022
107 min
Regie Mark Mylod

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

BEAUTIFUL BEINGS

Kinostart 10. November 2022

Für den 14-jährigen Balli läuft es denkbar schlecht: Er lebt mit seiner drogenabhängigen Mutter in einem runtergekommenen Haus, ein Auge wurde ihm „versehentlich“ vom Stiefvater weggeschossen, in der Schule wird er regelmäßig gemobbt. Kein schönes Leben. Als Balli die gleichaltrigen Addi, Konni und Siggi kennenlernt, entwickelt sich langsam eine Freundschaft zwischen den vier Jungs.

Was ist wahre Freundschaft?

Der Film des isländischen Regisseurs wirkt wie eine zeitgemäße Interpretation von „Stand By Me“. Nur um einiges rougher und näher an der Wirklichkeit. Der Kontrast könnte nicht größer sein: Zu Hause dominieren die Väter, durchweg Loser, vom Trinker bis zum brutalen Schläger ist alles dabei. Auf der anderen Seite steht die pubertäre Grenzen austestende Freundschaft zwischen den Jungs, die immer wieder überraschend zärtliche Momente hat.

„Beautiful Beings“ wirft interessante Fragen auf: Was ist wahre Freundschaft? Wie lässt sich der eigene Weg finden? Und können beste Freunde schlechten Einfluss nehmen? Regisseur Guðmundsson ist ein bewegendes, in stimmungsvollen Bildern gedrehtes Coming-Of-Age-Drama mit vier tollen Newcomern geglückt. „Berdreymi“ wird im kommenden Jahr von Island ins Rennen um den Oscar für den besten internationalen Film geschickt.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Berdreymi“
Island / Dänemark / Schweden / Niederlande / Tschechische Republik 2022
123 min
Regie Guðmundur Arnar Guðmundsson

alle Bilder © Salzgeber

BLACK PANTHER WAKANDA FOREVER

Kinostart 10. November 2022

Regisseur Ryan Coogler hatte keine leichte Aufgabe. Nach dem überraschenden Tod seines Hauptdarstellers Chadwick Boseman 2020 war es mehr als unklar, ob es überhaupt eine Fortsetzung des Megaerfolgs „Black Panther“ geben könnte und sollte.

Der beste MCU-Film aller Zeiten?

Und nun? Die Onlinekritiker überschlagen sich im Vorfeld: „Black Panther Wakanda Forever“ sei „zwar nicht der beste MCU-Film aller Zeiten“, aber immerhin „der beste aus der aktuellen Phase 4“. Darüber lässt sich streiten. Das größte Problem ist nicht die Abwesenheit Bosemans – in all den langen Dialogszenen geht das ohnehin unter – es ist das Fehlen eines schwarzen Panthers generell. Geschlagene zwei Stunden lässt sich der Film Zeit, ehe seine Titelfigur überhaupt in Erscheinung tritt. Doch dann ist es zu spät und zu wenig. Immerhin hält das Kriegsepos einen der besseren MCU-Gegenspieler parat: Namor, König einer verborgenen Unterwassernation, ist ein gut ausgearbeiteter Charakter aus Fleisch und Blut, der sich nicht in eine Reihe mit den oft vergessbaren CGI-Kreaturen stellt.

„Black Panther 2“ sieht wie die düstere Verfilmung einer Las-Vegas-Show von Cirque du Soleil aus und ist erstaunlich humorfrei. Das wiederum kann dem Drehbuch gar nicht hoch genug angerechnet werden, denn witzige oneliner kann wirklich niemand mehr hören. Der epische Abenteuerfilm beeindruckt mit tollen Unterwasserszenen, ist aber mit 161 Minuten entschieden zu lang geraten. „Wakanda Forever“ bekommt da eine ganz neue Bedeutung.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Black Panther Wakanda Forever“
USA 2022
161 min
Regie Ryan Coogler

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

MRS. HARRIS UND EIN KLEID VON DIOR

Kinostart 10. November 2022

von Anja Besch

Im London der späten 50er fristet die ältliche Kriegerwitwe Ada Harris mit verschiedenen Putzjobs ein bescheidenes Dasein, dessen einzige Ausschweifungen gelegentliche Pub-Besuche sind – bis sie eines Tages ausgerechnet durch die Haute-Couture-Robe einer Kundin aus ihrer pragmatischen Genügsamkeit gerissen wird. Dank eiserner Sparsamkeit und eines ebenso unverhofften Geldsegens läppert sich zwar die nötige Anschaffungssumme zusammen, doch noch befindet sich der Stoff, aus dem ihre Träume sind, im Atelier des großen Couturiers Christian Dior. Endlich in der Hauptstadt der Mode angekommen, schafft es Mrs. Harris nicht nur, ins Allerheiligste vorzudringen, sondern – um aus dem Nähkästchen zu spoilern – eine griesgrämige Direktrice, einen charmanten Grafen, ein existenzialistisches Pärchen und eigentlich tout Paris zu bezaubern.

Wem diese Geschichte vage bekannt vorkommt, der musste vielleicht 1982 die betuliche Fernsehadaption mit Inge Meysel ertragen. Vierzig Jahre später wird Anthony Fabians Kinoversion „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior“ endlich Paul Gallicos Literaturklassiker gerecht. Buchstäblich old-fashioned, voller britischem Humor und berührend statt nur rührselig.

Kleider machen Leute und Leute machen Kleider gilt eben auch fürs Filmgeschäft – insbesondere den Cast: Die wunderbare (Oscar®- und BAFTA-nominierte) Lesley Manville in der Titelrolle schart höchstkarätige Co-Darsteller um sich wie Isabelle Huppert, Lambert Wilson oder Jason Isaacs sowie die Jungstars Alba Baptista und Lucas Bravo.

Wenn die Heizungen im Winter auf Sparflamme bleiben, wird es einem mit diesem Film wenigstens richtig warm ums Herz.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Mrs. Harris Goes to Paris“
Großbritannien / Ungarn 2021
116 min
Regie Anthony Fabian

alle Bilder © Universal Picture International Germany

DIE SCHRIFTSTELLERIN, IHR FILM UND EIN GLÜCKLICHER ZUFALL

Kinostart 10. November 2022

Zufallsbegegnungen – der Film. Die Schriftstellerin Jun-hee besucht die Buchhandlung einer früheren Freundin, zu der sie den Kontakt verloren hatte. Bei einem Ausflug trifft sie einen Filmregisseur, der einmal eines ihrer Bücher verfilmen wollte. Später lernt sie bei einem Spaziergang im Park eine berühmte Schauspielerin kennen und schlägt ihr ein gemeinsames Kurzfilmprojekt vor.

Eine beiläufig mitgedrehte, federleichte Fingerübung

So spannend wie das klingt, ist es auch. Es passiert fast nichts in „The Novelist’s Film“, der in Deutschland – das ist jetzt große Mode – unter einem ellenlangen Nonsens-Titel in die Kinos kommt. In meditativen Szenen wird viel geredet, manchmal ist das auch einigermaßen amüsant. Hong Sang-soos dialoglastiger Film ist dramaturgisch weniger kompliziert aufgebaut als seine früheren Werke, die noch viel mehr mit Verschachtelungen und Wiederholungsstrukturen gespielt haben. Den aktuellen Inszenierungsstil des Regisseurs könnte man als „spontan“ bezeichnen, „Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall“ wirkt wie eine beiläufig mitgedrehte, federleichte Fingerübung.

Nach Hong Sang-soos „The Woman Who Ran“ (2020) und „Introduction“ (2021) hat auch „Die Schriftstellerin…“ den Silbernen Bären in Berlin gewonnen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „So-seol-ga-ui yeong-hwa“
Republik Korea 2021
92 min
Regie Hong Sang-soo

alle Bilder © Grandfilm

LAND OF DREAMS

Kinostart 03. November 2022

Irgendwann in naher Zukunft in New Mexico: Die gebürtige Iranerin Simin arbeitet als Faktenprüferin und „Traumfängerin“ für das US-Zensusbüro. Ihre Aufgabe besteht darin, von Haus zu Haus zu gehen und die Menschen nach ihren Träumen zu befragen. In ihrer eigenen Wohnung verkleidet sie sich abends als die Personen, die sie interviewt hat, und übersetzt deren Traumaussagen ins Farsi. Diese Performance lädt sie dann online auf einer Social-Media-Plattform hoch. Klingt nach Kunst? Ist es auch.

Sanfte Anleihen bei Luis Buñuel und deutlichere Anleihen bei David Lynch machen „Land of Dreams“ vor allem visuell interessant. Mit prominenten Schauspielern wie Matt Dillon (als zynischer Bodyguard) und Isabella Rossellini, die covidbedingt nur eine Gastrolle per Monitorzuschaltung hat, erzählt die Regisseurin Shirin Neshat (Co-Regie: Shoja Azari) eine surreale Geschichte, die sich in 113 Minuten etwas zu lang entfaltet. Trotz des überbetonten Themas vom „Staat, der die Träume seiner Bürger kontrollieren will“, sind es die poetischen Bilder und die Musik von Michael Brook, die „Land of Dreams“ sehenswert machen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Land of Dreams“
Deutschland / USA 2021
113 min
Regie Shirin Neshat und Shoja Azari

alle Bilder © W-Film

AMSTERDAM

Kinostart 03. November 2022

Anstrengend! Überladen! Nicht so clever, wie er glaubt zu sein! Selten wurden große Stars derart verheizt! Keine Chemie! Totalausfall! Die Kritik ist sich in ihrem vernichtenden Urteil ziemlich einig: David O. Russells neuer Film ist ein kolossaler Flop.

Drama, Screwball-Komödie, Thriller

Die Geschichte von den beiden verwundeten Soldaten, die am Ende des Ersten Weltkriegs eine Krankenschwester kennenlernen, um dann mit ihr gemeinsam eine unvergessliche Jules und Jim-Zeit in Amsterdam zu verbringen, sei von Anfang an von allem zu viel. Drama, Screwball-Komödie, Thriller, Kriegsfilm: Wie soll das zusammenpassen? Erst als sich die Handlung ins New York der 1930er-Jahre verlegt und die drei Freunde einer (wahren) Verschwörung auf die Spur kommen, die das Schicksal der ganzen Welt beeinflussen könnte, finde der Film Tritt, aber dann sei es schon zu spät. So die seltsame, nicht nachvollziehbare Meinung der Kritiker.

Der Film erzählt eine Geschichte – und dass die mal lustig, mal dramatisch ist und auch einmal kurz im Krieg spielt – na und? Sicher, ein paar Kürzungen hätten nicht geschadet, denn 134 Minuten klingen nicht nur lang, sie sind es auch. Aber sich über eine abwechslungsreiche Handlung zu echauffieren, das klingt eher wie eine persönliche Abrechnung mit dem Regisseur.

„Amsterdam“ beginnt stark, schwächelt ein bisschen in der Mitte und fängt sich dann wieder zum Ende. Die Namen aller mitspielenden Stars aufzulisten, würde zu weit führen, aber Christian Bale, John David Washington, Margot Robbie und Chris Rock seien genannt. Und natürlich Robert DeNiro, Rami Malek und Anya Taylor-Joy. Und nicht zu vergessen Taylor Swift. Russel hat große Namen zusammengetrommelt und liefert einen stellenweise lustigen, fast hitchcockschen Thriller mit herausragender Ausstattung, toller Kamera und einem spielfreudigen Mega-Cast.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Amsterdam“
USA 2022
134 min
Regie David O. Russell 

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

WIR SIND DANN WOHL DIE ANGEHÖRIGEN

Kinostart 03. November 2022

Es war einer der spektakulärsten Kriminalfälle Deutschlands: Am 25. März 1996 wurde um 20.20 Uhr der Publizist und Mäzen Jan Philipp Reemtsma in Hamburg-Blankenese entführt. Erst nach 33 Tagen Gefangenschaft und einer Lösegeldzahlung von 30 Millionen D-Mark wurde er wieder freigelassen. Bis dahin hielten sich Presse, Radio und Fernsehen an eine vereinbarte Nachrichtensperre, sodass die Öffentlichkeit erst im Nachhinein von dem Verbrechen erfuhr. Die Entführer waren ausnahmsweise keine Angehörigen der RAF, sondern ganz gewöhnliche Gangster. Zwei Jahre später wurden sie gefasst, vom Großteil des Lösegelds fehlt bis heute jede Spur.

Kein Kitsch, keine billige Spannung, kein Schnickschnack

Über die Erinnerungen der unheilvollen Tage des Wartens hat Johann Scheerer 2018 ein Buch geschrieben: „Wir sind dann wohl die Angehörigen – Die Geschichte einer Entführung“. Das Drama aus der Perspektive des damals erst 13-jährigen Sohns Johann. Hans-Christian Schmid hat aus diesem autobiografischen Bestseller jetzt einen Film gemacht – und was für einen! Kein Kitsch, keine billige Spannung, kein Schnickschnack. Mit Hans Löw, Justus von Dohnányi, Adina Vetter und Newcomer Claude Heinrich inszeniert der Regisseur eine Art Kammerspiel (ein Großteil der Handlung spielt im Haus der Familie Reemtsma/Scheerer), das die nervenzerreißende Anspannung, das bange Hoffen, das stümperhafte Vorgehen der Polizei und die gescheiterten Lösegeldübergaben auf nüchterne, sachliche Art zeigt, ohne dabei emotionslos zu sein.

„Wir sind dann wohl die Angehörigen“ fokussiert sich – der Titel legt es nah – auf Reemtsmas Frau Ann-Kathrin Scheerer und den gemeinsamen Sohn Johann. Von einer Sekunde auf die andere wird der Familienalltag auf den Kopf gestellt, Polizisten ziehen ins Haus ein, Post und Telefon werden dauerüberwacht. Zwischen gescheiterten Geldübergaben erreichen die Angehörigen die verzweifelten Briefe des Entführten. In all dem Chaos muss sich der pubertierende Junge zurechtfinden, während seine Mutter langsam zu zerbrechen droht.

Der beste Tatort, der kein Tatort ist

Sparsamer Musikeinsatz (hervorragend: The Notwist), punktgenaue Ausstattung und in ruhigen, unaufdringlichen Bildern erzählt – wenn man einen Kriminalfilm macht, dann bitteschön so! Obwohl der (gute) Ausgang der Geschichte bekannt ist, bleibt „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ fesselnd von der ersten bis zur letzten Minute. Wer sich über die Opferperspektive informieren will, dem sei Jan Philipp Reemtsmas Buch „Im Keller“ empfohlen.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
118 min
Regie Hans-Christian Schmid

alle Bilder © Pandora Film, 23/5

INVISIBLE DEMONS

Kinostart 03. November 2022

Delhi ist die Hölle auf Erden. Ganze Parks und Straßenzüge werden mit giftigen Chemikalien eingenebelt, um die brütenden Moskitos zu killen. Das Atmen der Luft ist so ungesund wie das Rauchen einer Schachtel Zigaretten pro Tag. Die ehemalige Lebensader der Stadt, der Fluss Yamuna, ist nur noch eine stinkende Kloake, dick mit weißem Schaum bedeckt. Kein Wunder, denn die Industrie leitet ihre Abwässer direkt und ungefiltert ein. Auf Müllbergen suchen die Ärmsten der Stadt nach verwertbaren Resten im Abfall, daneben kämpfen zwei Kühe um eine Plastiktüte. Dreck fressen, um zu überleben. Als ob das nicht genug wäre, spielt auch noch das Wetter verrückt: Sengende Hitze mit Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius wechselt sich mit sintflutartigen Regengüssen ab, die das ganze Land überschwemmen.

Von Hoffnung keine Spur, der Mensch ist an der ganzen Misere schuld

Die deutsch-indisch-finnische Koproduktion „Invisible Demons“ reiht ein Untergangsszenario ans nächste. Die Welt steht am Abgrund. Politik und Wirtschaft versprechen Besserung, doch auf die leeren Worte folgen keine Taten. Alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann, trotzdem tut keiner etwas dagegen.

Von Hoffnung keine Spur, der Mensch ist an der ganzen Misere schuld. Wer es nicht schon vorher war, wird nach diesem Film endgültig zum Misanthropen. Aber vielleicht braucht es einen fatalistischen Blick auf den Zustand unserer Umwelt und das Versagen der Menschheit, um sich (mal wieder) das ganze Ausmaß der Tragödie vor Augen zu halten. Rahul Jain beschränkt sich in seinen 66 Minuten Dystopie ausschließlich auf Negatives, Lösungen oder zukunftsorientierte Umweltprojekte – Fehlanzeige. Dabei gibt es die in Indien sicher auch.

Im Kino dürfte es der Dokumentarfilm aufgrund seiner Länge (irgendwo zwischen Kurz- und Spielfilm) schwer haben. Als aufrüttelnde Mahnung wären ihm trotzdem viele Zuschauer zu wünschen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Invisible Demons“
Indien / Deutschland / Finnland 2021
66 min
Regie Rahul Jain

alle Bilder © GMfilms

SEE HOW THEY RUN

Kinostart 27. Oktober 2022

Ein allseits unbeliebter Hollywood-Regisseur, der mitten in den Vorbereitungen für die Verfilmung eines erfolgreichen Theaterstücks steckt, wird ermordet. Inspektor Stoppard (Sam Rockwell) und die übereifrige Constable Stalker (Saoirse Ronan) übernehmen den Fall. Schnell stellen sie fest, dass es Parallelen zwischen dem fiktiven Bühnenstück und der Realität gibt.

Es fehlt ein ganz entscheidender Faktor, der einen guten Krimi ausmacht: die Spannung.

Das ist dann auch schon die einzig originelle Idee von Mark Chappells Drehbuch: Das Whodunit „See How They Run“ spielt im Setting des wohl berühmtesten Whodunits, Agatha Christies „The Mousetrap“. Nicht Film im Film, aber Film im Theater sozusagen. Inspiriert vom „Mord im Orientexpress“-Erfolg und natürlich zuletzt „Knives Out“ (Teil 2 erscheint demnächst bei Netflix), hat Regisseur Tom George einen klassischen Mörder-Mystery-Film inszeniert, der stilecht im London der 50er-Jahre angesiedelt ist. Leider fehlt ein ganz entscheidender Faktor, der einen guten Krimi ausmacht: die Spannung. Quälende 98 Minuten schleppt sich die langweilige Geschichte dahin. Versuche, mit einer an Wes Anderson angelehnten Bildsprache das Ganze etwas aufzupeppen, scheitern kläglich – „See How They Run“ sieht nicht mal besonders gut aus, ist nur müdes Zitat.

Wenn schon die Handlung keine Spannung bietet, dann sollte es wenigstens die Besetzung in sich haben: Die bereits erwähnten Erfolgsfilme bieten mit großen Namen wie Daniel Craig oder Penélope Cruz Entertainment per Starpower. Ein Rezept, das schon die trutschigen 70er-Jahre-Verfilmungen mit Peter Ustinov gekonnt befolgt haben. Davon kann bei „See How They Run“ keine Rede sein. Hauptdarsteller Sam Rockwell agiert durchweg, als stünde er kurz vor dem Einschlafen. Ein Gefühl, das sich schon bald auf die Zuschauer überträgt. Und auch der restliche Cast (mit Ausnahme von Saoirse Ronan) ist eher gehobener Durchschnitt.

Für ein gutes Whodunit braucht es eine straffe Regie, gepfefferte Dialoge und (zumindest ein bisschen) suspense. All das fehlt hier. Enttäuschend in jeder Hinsicht.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „See How They Run“
USA 2021
98 min
Regie Tom George

alle Bilder © Walt Disney Studio Motion Pictures GmbH