DER SOMMER MIT ANAÏS

Kinostart 21. Juli 2022

Flatterhaft und flüchtig: So lässt sich der Charakter von Anaïs am ehesten beschreiben. Wie ein Duracell-Hase rennt die leicht neurotische 30-Jährige durchs Leben. Immer ein bisschen in Zeitnot, mit wenig Rücksicht auf andere. Die Miete ist seit drei Monaten überfällig – kein Problem, Anaïs kann das Eckige rund quatschen. Ihrem Freund erzählt sie nebenbei von einem Termin beim Arzt, eine Abtreibung – keine große Sache. Die Beziehung endet, Anaïs hat sich schon in den nächsten Mann verguckt, den deutlich älteren Softie Daniel. Doch die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung, als Anaïs Emilie, die Ehefrau ihres neuen Liebhabers,  kennenlernt. Bei einem Literaturfestival auf dem Land kommen sich die beiden Frauen näher und verlieben sich.

Es wird viel und schnell geredet, zunächst in Paris, später auf einem idyllischen Landgut in der Bretagne – höchst französische Laberitis. Charline Bourgeois-Tacquet inszeniert ihre etwas sperrige Dreiecksbeziehung, ohne zu moralisieren. Ob hetero oder lesbisch ist nebensächlich, es geht um Liebe, und die fällt bekanntlich, wohin sie will.

Jung, wild, ungestüm –  Im freien Geiste könnte Anaïs eine Schwester von Frances Ha oder Julie aus „Der schlimmste Mensch der Welt“ sein, ohne allerdings deren (filmische) Genialität zu erreichen. „Les amours d’Anaïs“ ist eine leichtfüßige Komödie, der es zwischendurch ein wenig an Substanz fehlt. Doch das machen die beiden Hauptdarstellerinnen wieder wett: Anaïs Demoustier und Valeria Bruni Tedeschi spielen die Amour Fou zwischen der jungen und der reiferen Frau grandios.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les amours d’Anaïs“
Frankreich 2021
98 min
Regie Charline Bourgeois-Tacquet 

alle Bilder © Prokino 

MONSIEUR CLAUDE UND SEIN GROSSES FEST

Kinostart 21. Juli 2022

Multi-Kulti-Familie, die Dritte. Diesmal wollen die Verneuils ihren vierzigsten Hochzeitstag mit einem erneuten Eheversprechen feiern. Zu diesem Anlass laden ihre vier Töchter die Familien der vier Schwiegersöhne ein. Das passt Vater Claude gar nicht.

Nach dem ersten Teil ging’s bergab. Statt einer erwähnenswerten Handlung reiht der Film sketchartige Szenen aneinander, die sich nie zu einer richtigen Geschichte fügen. Für eine Komödie gibt es erstaunlich wenig zu lachen. Wenigstens können Christian Clavier und Chantal Lauby immer noch als schlagfertiges Ehepaar erfreuen, die meisten anderen Figuren sind nervige, zweidimensionale Charaktere aus der Klamottenkiste. Doof.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Qu’est-ce qu’on a tous fait au Bon Dieu?“
Frankreich 2021
98 min
Regie Philippe de Chauveron

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih

MEINE STUNDEN MIT LEO

Kinostart 14. Juli 2022

Peter Rühmkorf dichtete 1971 auf der legendären Kinderplatte Warum ist die Banane krumm?: „Licht aus, Licht aus, Mutter zieht sich nackend aus, Vater holt den Dicken raus, einmal rein, einmal raus, fertig ist der kleine Klaus.“ Das dürfte Nancy Stokes unangenehm bekannt vorkommen. Die Lehrerin im Ruhestand hatte mit ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann nur stinklangweiligen Blümchensex. Einen Orgasmus hatte sie dabei nie. Beziehungsweise hatte sie überhaupt noch nie einen. Das soll sich jetzt mithilfe des jungen Sexarbeiters Leo Grande ändern.

Sophie Hydes Film schafft mit Leichtigkeit, was Karoline Herfurth kürzlich mit ihrem Klischeefest „Wunderschön“ versucht hat: eine lockere und gleichzeitig ernste Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit und missverstandenem Beautywahn.

Applaus für die Darsteller: Daryl McCormack spielt den niedlichen Stricher mit viel lässigem Charme und die sowieso immer grandiose Emma Thompson präsentiert sich am Ende des Films selbstbewusst ganz ohne Filter full frontal. Lustig, sexy und erfrischend unverkrampft: Ein durchweg befriedigender Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Good luck to you, Leo Grande“
GB 2022
97 min
Regie Sophie Hyde

alle Bilder © Wild Bunch Germany

WER WIR GEWESEN SEIN WERDEN

Kinostart 14. Juli 2022

Oh weh, ganz dünnes Karma-Eis: Darf (soll) man ein Obituary wie einen Spielfilm kritisieren? „Wer wir gewesen sein werden“ ist ein Nachruf auf einen geliebten Menschen, eine sehr persönliche Form der Trauerbewältigung – da verbietet sich eine Sternebewertung eigentlich. In drei Kapitel aufgeteilt – „Das Leben davor“, „Das Leben danach“ und „Das Hier und Jetzt“ – erzählt der Film in einer Collage aus privaten Videoaufnahmen, Fotos und Textnachrichten die alltägliche Geschichte der jungen Bierbrauerin Angelina Zeidler und des angehenden Filmemachers Erec Brehmer, die sich im Dezember 2015 auf Tinder kennenlernen.

Nach vier Jahren Beziehung wird Angi urplötzlich aus dem Leben gerissen. Der Frontalzusammenstoß mit einem Auto endet für die 29-Jährige tödlich. Erec überlebt den Unfall schwer verletzt und muss sich seiner Trauer stellen. Hätte er den Unfall verhindern können? Ist ein Leben ohne Angelina noch sinnvoll? War er der Freund, den sie verdient hat?

Die geniale britische Dramedy-Serie „After Life“ behandelt ein ähnliches Thema, nur dass Ricky Gervais die Trauer seiner Figur mit viel schwarzem Humor erzählt. Wer die Serie kennt, wird die Szenen erinnern, in denen Tony immer wieder Homevideos seiner verstorbenen Frau auf dem Laptop anschaut. Life imitates art: Dank Social Media und allgegenwärtiger Smartphones kann auch Regisseur Erec Brehmer die Zuschauer auf eine digitale Erinnerungsreise in die Vergangenheit mitnehmen, auf die Suche nach seiner verstorbenen Freundin und in seine eigenen Abgründe. „Wer wir gewesen sein werden“ ist eine filmische Therapiesitzung: ehrlich, manchmal quälend intim, oft tieftraurig und berührend.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
81 min
Regie Erec Brehmer

alle Bilder © Erec Brehmer

CORSAGE

Kinostart 07. Juli 2022

Bald 70 Jahre post Romy Schneiders Darstellung für die Ewigkeit feiert die österreichische Kaiserin Sisi mediale Wiederauferstehung. Nach der RTL-Serie, deren zweite Staffel gerade produziert wird, kommt nun Marie Kreutzers ungewöhnlicher Cannesbeitrag in die Kinos.

Elisabeth („Sisi“) begeht bald ihren 40. Geburtstag. Damit gehört sie offiziell zum alten Eisen, denn in dem Alter hatten Frauen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Lebenserwartung erreicht. Noch wird sie vergöttert, für ihr strahlendes Aussehen angehimmelt, doch die Uhr tickt. Sisi ist eine lebenshungrige Frau, die es Leid ist, jeden Tag ihre Taille zu schnüren und sich allen Genüssen zu verweigern. Ihr Widerstand gegen ihr öffentliches Bild wird immer größer – sie beginnt, sich aus dem höfischen Korsett zu befreien.

Die Luxemburgerin Vicky Krieps spielt Kaiserin Elisabeth schön spröde und geheimnisvoll. Und die wie immer herausragende Kameraarbeit Judith Kaufmanns ist ein weiterer großer Pluspunkt des Films. Die Marotte, historische Stoffe bewusst mit modernen Elementen zu vermischen, wirkt dagegen angestrengt. Abends singt der Hofstaat britische Popsongs zur Harfe und der Schlossplatz sieht aus, als sei der Reisebus gerade aus dem Bild gefahren. Ist natürlich Absicht, genauso wie die sichtlich angeklebten Backenbärte. Die Übersetzung in die Popkultur wirkt hier allerdings unentschieden, das hat die Netflix-Soap „Bridgerton“ oder Sofia Coppola mit „Marie Antoinette“ besser und mutiger durchgezogen.

Das Gekünstelte kann man natürlich auch als „märchenhaft“ schönreden, womit sich dann der Kreis zu Romys Sisi wieder schließt. Denn auch die war in ihrer Heimatfilm-Kitschwelt meilenweit von der Realität entfernt.

INFOS ZUM FILM

Österreich / Luxemburg / Deutschland / Frankreich 2022
113 min
Regie Marie Kreutzer

alle Bilder © Alamode Film

WILLKOMMEN IN SIEGHEILKIRCHEN

Kinostart 07. Juli 2022

Geh schleich di, der Rosenmüller Marcus hot an leiwanden Streifen g’macht, aber ned fürs Patschnkino sondern fürs Lichtspielhaus. Bitteschön, so österreichisch wie an Powidltascherl oder an Schlutzkrapfen (obwohl der Regisseur ein waschechter Bayer ist): Die Liebeserklärung an den 2016 verstorbenen Karikaturisten Manfred Deix spielt in einem kleinen Kaff in Niederösterreich, Ende der 60er-Jahre. Der Krieg ist noch nicht lange vorbei, der braune Sumpf der ewig Gestrigen trifft sich abends im Beisl und lässt sich in Erinnerung an die guten alten Zeiten volllaufen.

Im Dorf wird er nur „Rotzlöffel“ gerufen, der tschoperte Sohn vom Wirtshausbesitzer. Sein großes Talent als Zeichner (vorzugsweise erotische Bilder von großbusigen Madln) macht er mithilfe zweier Mitschüler zu Geld, denn Bedarf an Schmuddelbildchen gab’s schon immer. Als eines Tages das Sinti-Mädchen (damals: Zigeuner-Mädchen) Mariolina mit ihrer Mutter im Dorf auftaucht, machen die Gfrasten an riesen Bahöl und um den Bub ist’s g’schehn, er is verbrunzt.

Natürlich kann ein computergenerierter Zeichentrickfilm aus Österreich nicht mit Produktionen aus dem Hause Pixar bzw. Disney mithalten. „Willkommen in Siegheilkirchen“ (ob man für die Erwähnung des Titels vom Verfassungsschutz auf die Beobachtungsliste gesetzt wird?) sieht trotzdem ordentlich aus und hat nur den Bruchteil einer großen Hollywoodproduktion gekostet. Die typischen Deix-Charaktere scheinen direkt aus dessen Karikaturen auf die Leinwand gesprungen zu sein. Sakrisch gut gelungen ist vor allem die Darstellung des erzkatholischen Dorfs mit seiner spießigen Enge. Abblätternde, marode Fassaden, hier und da noch ein Hakenkreuz an der Hauswand – man kann den Muff der späten 60er schier riechen.

„Willkommen in Siegheilkirchen“ ist ein anarchistischer Zeichentrickfilm mit ein paar Pimmel-Kacka-Ekelwitzen, aber besser ois a Stan am Schädl ist’s ollemol. Die gut eingefangene Geschichte einer Jugend in Niederösterreich hat Charme und Witz. Tolle Charaktere und teils psychedelische Sequenzen machen den manchmal etwas derben Humor locker wieder wett. Des taugt ma.

Dictionary 🇦🇹 🇩🇪

leiwand – super, toll

Patschnkino – Fernsehen

Powidltascherl – mit Plaumenmus gefüllte Teigtaschen

Schlutzkrapfen – Nudelspezialität aus Tirol

Beisl – Wirtshaus

tschopert – unbeholfen, geistesabwesend

Gfrasten – gemeine Menschen, Nichtsnutze

Bahöl – Aufruhr

verbrunzt – rettungslos verliebt

Sakrisch – sehr

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Rotzbub“
Österreich / Deutschland 2021
85 min
Regie Marcus H. Rosenmüller und Santiago López Jover

alle Bilder © Pandora Film Verleih

WIE IM ECHTEN LEBEN

Kinostart 30. Juni 2022

Juliette Binoche macht den Günter Wallraff und mischt sich inkognito unter die sozial Benachteiligten Frankreichs. Klos schrubben, Betten beziehen, Böden wischen. Und das bitte im Akkord, denn Zeit ist Geld. Marianne muss sich an das harte Arbeitsleben gewöhnen, denn bisher war sie „nur“ Hausfrau und Mutter, hat für ihren vermögenden Mann die Buchhaltung gemacht. Doch der hat sie betrogen und nun muss sie bei null anfangen. So wenigstens ihre gut erfundene Biografie.

Tatsächlich ist Marianne eine erfolgreiche Autorin, die ein Buch über den Alltag der Geringverdiener schreiben will. Und weil Erlebnisse aus erster Hand immer am besten sind, taucht sie mit falscher Identität in die Welt der Hilfsarbeiterjobs ein. Besonders mit Christele, einer toughen jungen Frau, die sich mit drei Kindern durchs Leben schlägt, verbindet sie bald eine enge Freundschaft.

In unkundiger Hand wäre die Geschichte von der sensiblen Autorin und ihren neuen Freundinnen aus dem Prekariat wahlweise ultradeprimierend oder vor Kitsch triefend geraten. Doch der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller und Regisseur Emmanuel Carrère weiß genau, wie es geht: kein falscher Ton, keine forcierte Gefühlsduselei. Bei seinem zweiten Spielfilm kann er sich auf ein ausgezeichnetes Ensemble verlassen, mit einer wunderbaren Juliette Binoche in der Hauptrolle und einer ganzen Reihe umwerfender Laiendarstellerinnen an deren Seite. Guter Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ouistreham“
Frankreich 2021
106 min
Regie Emmanuel Carrère

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih

DER BESTE FILM ALLER ZEITEN

Kinostart 30. Juni 2022

Die Frage aller Fragen am Ende: Was bleibt von mir? Da Geld keine Rolle spielt, könnte der 80-jährige Milliardär Humberto Suarez eine Brücke bauen lassen, die seinen Namen trägt. Oder vielleicht einen Film produzieren? Aber nicht irgendeinen, sondern den besten Film aller Zeiten. Dazu heuert er die berühmte Regisseurin Lola Cuevas (Penélope Cruz) und zwei noch berühmtere Schauspieler an. Ein Clash der Egos: Hollywood-Star Félix Rivero (Antonio Banderas) trifft auf Theatermimen Iván Torres (Oscar Martínez). Um ihre beiden Hauptdarsteller auf den Dreh vorzubereiten, hat sich die Regisseurin eine Reihe von exzentrischen Übungen ausgedacht: unter anderem lässt sie Iván und Félix ihre Texte lesen, während über ihren Köpfen ein fünf Tonnen schwerer Felsbrocken baumelt.

Die im Original ganz unbescheiden „Competencia oficial“ (Offizieller Wettbewerb) genannte Satire des Regieduos Duprat & Cohn macht den Zuschauern ebenso großen Spaß wie den Schauspielern, die sich selbst und ihre Eitelkeiten gehörig auf die Schippe nehmen. Der wahre Superstar ist (neben Antonio und der für immer schönen Penélope) das Anwesen, in dem gedreht wurde. In seiner strengen Sachlichkeit erinnert es an ein Lovechild von Frank Gehry und Mies-van-der-Rohe – Architekturstudenten werden feuchte Augen bekommen. Schöne Menschen, schöne Location, schöne Bilder: Kameramann Arnau Valls Colomer setzt den bissigen Inhalt in perfekt kadrierte, fabelhafte Bildkompositionen um.

Selbstgespräche mit einem Staubsaugerrohr. „Der beste Film aller Zeiten“ ist ein cleveres Spiel mit falschen Fährten. Was im Moment noch nebensächlich erscheint, bekommt erst später eine tiefere Bedeutung. Die Regisseure wissen genau, wie sie den Gedankenfluss der Zuschauer manipulieren können. Einziger Wermutstropfen: Emotional bleibt der Film unterkühlt. Das liegt an seiner Struktur: Statt einer Handlung reihen sich amüsante Sketche aneinander, die oft genial, aber manchmal ein bisschen zu vorhersehbar sind.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Competencia oficial“
Spanien 2021
114 min
Regie Gaston Duprat und Mariano Cohn

alle Bilder © STUDIOCANAL

ELVIS

Kinostart 23. Juni 2022

Er war Superstar
Er war populär
Er war so exaltiert
Because er hatte Flair
Er war der wahre King, der größte Rock’n Roll Star aller Zeiten.
Bis heute hat kein Solokünstler mehr Musikträger verkauft als Elvis Presley.

Baz Luhrmann ist einer der Regisseure, deren Handschrift man schon nach wenigen Einstellungen erkennt. Diesmal dauert es nicht einmal eine Sekunde, denn schon das diamantenfunkelnde 3D-Logo von Warner Brothers zeigt, wohin die Reise geht. Getreu dem Liberace-Motto „Too much of a good thing is wonderful“ schöpft der Regisseur aus dem Vollen. Alles ist überinszeniert, gefiltert und auf maximale Wirkung inszeniert. Wer Luhrmanns Arbeiten kennt, weiß, dass bei ihm Form vor Inhalt geht. Das sieht alles erwartungsgemäß toll aus, Catherine Martins Kostüme und das Produktionsdesign sind eine Hommage an Presleys Blütezeit von den 1950er bis zu den 1970er-Jahren.

Doch unter all dem Glamour und Glitter verbirgt sich eine komplexe Geschichte. Der Film beleuchtet das Leben und die Musik des Superstars durch das Prisma seiner schwierigen Beziehung zu seinem berüchtigten Manager Colonel Tom Parker, mit reichlich Fettprothesen schön ölig von Tom Hanks gespielt.

Egal, ob man Luhrmanns trailerartiges Schnittgewitter nun mag oder nicht, sein opulentes Biopic ist vor allem eins: A superstar in the making. Austin Butler gibt mit sexueller Dynamik alles, shakes, rattles and rolls mit so viel Hingabe, dass er nach Ende der Dreharbeiten für zwei Wochen mit Erschöpfungssymptomen ins Krankenhaus musste. All die Mühe hat sich gelohnt, denn sogar Elvis-Witwe Priscilla ist begeistert: Kein anderer Film habe „Elvis jemals besser dargestellt“ als dieser.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Elvis“
USA 2022
159 min
Regie Baz Luhrmann

alle Bilder © Warner Bros. Entertainment Inc.

SHIVER – DIE KUNST DER TAIKO TROMMEL

Kinostart 23. Juni 2022

Schnell die Koffer packen und sich auf eine Reise nach Japan begeben. Genauer nach Sado. Wild, ursprünglich und faszinierend schön sieht die von dramatischem Ozeanwellen umgebene Insel in Toyoda Toshiakis Film aus.

Schönheit beflügelt Kreativität. In „Shiver – Die Kunst der Taiko Trommel“ bildet Sado die Kulisse für ein außergewöhnliches Experiment: Der japanische Elektro-Musiker Koshiro Hino trifft auf das Taiko Performing Arts Ensemble Kodo. Die Gruppe besteht seit über 40 Jahren und erzeugt mit einer Vielzahl exotischer Schlaginstrumente ihren mittlerweile weltberühmten Sound.

Aus der Kollaboration zwischen Hino und Kodo entstand ein faszinierendes audiovisuelles Ereignis, das ganz ohne Dialoge auskommt. Zwischen Kontemplation und purer Kraft: Der Dokumentarfilm „Shiver“ ist ein verrücktes, magisches und philosophisches Event.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Senritsu seshimeyo“
Japan 2020
89 min
Regie Toyoda Toshiaki 

alle Bilder © Rapid Eye Movies

PRESS PLAY AND LOVE AGAIN

Kinostart 16. Juni 2022

Eine berühmte Anekdote: Billy Wilder erzählte einmal, er habe im Schlaf immer die besten Drehbuchideen. Eines Nachts machte er sich nach einem besonders lebhaften Traum Notizen. Als er am nächsten Morgen den Zettel las, stand da: Boy meets girl.
So ähnlich muss auch das Drehbuch zu „Press Play and Love again“ entstanden sein.

Laura verliebt sich in Harrison. Harrison macht Laura ein Mixtape. Harrison stirbt (sorry, SPOILER). Laura hört sich ein paar Jahre später die Musikkassette an und wird wie durch Zauberhand in die Vergangenheit zurückgeschleudert. Zukunfts-Laura versucht Vergangenheits-Harrison zu retten.

Multiversum ist gerade das neue Schwarz. Warum nicht eine banale Lovestory mit Zeitreise und verschiedenen Schicksalsvarianten kreuzen? Kann man machen, sollte nur abgedrehter umgesetzt werden. „Everything Everywhere All at Once“ und „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ zeigen gerade, wie es richtig geht. Greg Björkmans Film ist seichte Konfektionsware, erinnert in seinen besten Momenten an eine laue Black-Mirror-Episode. Zu vorhersehbar spult sich die Geschichte ab, die beiden Hauptdarsteller Clara Rugaard und Lewis Pullman sind blass und langweilig. Dass der Film von der ersten bis zur letzten Minute mit klimpriger Musik zugekleistert ist, macht das Ganze auch nicht besser. Einzig die Location entschädigt: Die hawaiianische Insel Oahu sieht gut aus, da könnte man auch mal hin.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Press Play“
USA 2022
85 min
Regie Greg Björkman

alle Bilder © splendid film

DIE GESCHICHTE DER MENSCHHEIT – LEICHT GEKÜRZT

Kinostart 16. Juni 2022

1977 schickt die NASA die Raumsonde Voyager auf ihre unendliche Reise in den Weltraum. An Bord eine goldene Bildplatte, auf der Dr. Gerhard Friedle (Christoph Maria Herbst) die wichtigsten Stationen der Menschheitsgeschichte erklärt.

Da ist er – der schlechteste Film des Jahres!
Regisseur und Drehbuchautor Erik Haffner versucht sich in Monty Python-Humor und scheitert dabei kläglich oder grandios, ganz wie man es nimmt. Beeindruckend, wie er mit einem Best of deutsche Comedy-Cast (Bastian Pastewka, Carolin Kebekus, Axel Prahl, Ulrich Tukur, Kostja Ullmann, Max Giermann, Tom Schilling u.v.m.) einen so unlustigen Murks fabrizieren konnte. 

„Die Geschichte der Menschheit“ reiht einen Kalauer an den nächsten und verweigert sich dabei jeglichem komödiantischen Timing. Den halben Stern gibt es für eine im Vergleich halbwegs funktionierende Musicalnummer mit Bela B. als Joseph-Ignace Guillotine, dem Erfinder der gleichnamigen Enthauptungsmaschine und die komplett fehl am Platz wirkende (weil in ihrer Loriothaftigkeit lustige) Szene mit Tom Schilling als Graf von Stauffenberg. Der Rest ist unterster Provinztheater-Schrott.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
96 min
Regie Erik Haffner

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

LIGHTYEAR

Kinostart 16. Juni 2022

Dass wir in düsteren Zeiten leben, zeigt folgende Meldung: In Saudi-Arabien wird „Lightyear“ verboten, weil er einen Kuss zwischen zwei Frauen zeigt. Herr im Himmel!

Jetzt wird’s kompliziert: „Lightyear“ ist weder Prequel oder Sequel, sondern ein Film im Film. In „Toy Story“ besitzt der Junge Andy ein Spielzeug namens Buzz Lightyear. Diese Actionfigur basiert auf dem Kinofilm „Lightyear“, der in der fiktiven Toy-Story-Welt ein Kassenschlager war. Franchise auf Metaebene sozusagen.

Man muss das alles nicht verstehen und auch die Pixar-Trilogie muss man nicht kennen, um an „Lightyear“ großen Spaß zu haben. Für Nerds gibt es unzählige Zitate und Querverweise auf beinahe alle Science-Fiction-Klassiker der Filmgeschichte, von Alien über Kampfstern Galactica, bis zu 2001, Star Wars und Trek. Doch auch ohne Hintergrundwissen bietet die Geschichte vom zeitreisenden Space Ranger und seiner Trümmertruppe den Zuschauern jede Menge Spannung, Herz und Humor.
Kein neuer Pixar-Klassiker, aber sehr gut gemachte Unterhaltung. Diese Woche der mit Abstand empfehlenswerteste Filmstart.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Lightyear“
USA 2022
105 min
Regie Angus MacLane

alle Bilder © Walt Disney Motion Pictures Germany

A E I O U – DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE

Kinostart 16. Juni 2022

Age is just a number: Die 60-jährige Schauspielerin Anna und ihr 17-jähriger Schüler Adrian verlieben sich ineinander. 

Niemand kann rational beweisen, dass ein bestimmtes Geschmacksempfinden das richtige ist: Dem einen gefällt Helene Fischer, der andere mag Toast Hawaii. Auf die Qualität des deutschen Berlinale-Wettbewerbsbeitrags „A E I O U“ kann man sich hingegen problemlos einigen: Der ist einfach schlecht, oder?

Abgesehen von einem wirren Drehbuch, das nur eine halbe Handvoll guter Momente hat, war wohl selten ein talentfreierer Jungmime als Milan Herms in einer Hauptrolle zu sehen. Niedliches Aussehen allein reicht eben nicht. Wenigstens befindet er sich in guter Gesellschaft, denn auch Udo Kier war immer schon mehr „Typ“ als begnadeter Schauspieler. Nö, das kann nicht mal Sophie Rois retten. Nach der Premiere gabs trotzdem tosenden Applaus. Vielleicht kann man sich über Geschmack ja doch streiten?

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Frankreich 2022
104 min
Regie Nicolette Krebitz

alle Bilder © Port au Prince Pictures

ZWISCHEN UNS

Kinostart 16. Juni 2022

Mundwinkel hoch heißt Freude.
Mundwinkel runter heißt Trauer.
Eva und ihr Sohn Felix üben das vor dem Spiegel.
Ist ja nicht so schwer normalerweise. Für den autistischen Jungen hingegen schon, denn Emotionen zu lesen ist für ihn ein Ratespiel.

In Max Feys Drama „Zwischen uns“ geht es um einen 13-jährigen Jungen mit Asperger-Syndrom. Dessen Mutter Eva versucht alles Menschenmögliche, ihren Sohn zu integrieren, doch immer wieder kommt es zu Problemen in der Schule. Nur beim Nachbarn, dem Fischhändler Pelle, blüht Felix auf.

Wenn es um das sehr begrenzte Genre „gestörte Terrorkinder“ geht, hat „Systemsprenger“ die Latte vor drei Jahren sehr hoch gehängt. Nicht zu Unrecht durfte die geniale Hauptdarstellerin Helena Zengel anschließend sogar mit Tom Hanks drehen.

Neben einer wunderbaren Liv Lisa Fries, die hier endlich mal ihr 20er-Jahre Berlingören-Image ablegen darf und dem grundsympathischen Thure Linhardt spielt Jona Eisenblätter die Hauptrolle. Vielleicht fehlt Regisseur Fey bei seinem Debütfilm noch die nötige Erfahrung, Kinder richtig zu inszenieren. Vielleicht gibt es aber auch wenige Jungschauspieler, die eine so schwierige Rolle meistern können. Richtig glaubwürdig ist die Darstellung des autistischen Kindes zwischen schmollendem Starren und Schreianfällen jedenfalls nicht. So bleibt „Zwischen uns“ nur dank seiner zurückhaltend spröden Inszenierung und der erwachsenen Darsteller sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
86 min
Regie Max Fey

alle Bilder © Wild Bunch Germany

MIT HERZ UND HUND

Kinostart 09. Juni 2022

Es ist mehr als nur eine urbane Legende, dass so manche Zweibeiner-Liebe beim Gassigehen ihren schnuppernden Anfang nahm. Selbst im Zeitalter von Tinder und Parship werden immer noch – alte Hundeschule – schwanzwedelnd die besten Kontakte geknüpft. Wie bei Dave und Fern, zwei Londoner Ü60-Rentnern, deren Romanze ab dem 9. Juni in dreiundzwanzig Spaziergängen ihren Lauf mit Hindernissen nimmt. „23 Walks“ – Auf Deutsch wie üblich verniedlicht „Mit Herz und Hund“.

Der naturliebende, freimütige Pensionär Dave mit seiner ebenso unangeleinten Schäferhündin erregt zunächst eher den Unmut der resoluten Fern und ihres Yorkshire-Terriers. Bei zwangsläufigen Wiederbegegnungen in den örtlichen Auslaufgebieten bemerkt die Scheidungsgeschädigte jedoch bald, dass der Ex-Krankenpfleger über viel Herz und andere Qualitäten verfügt. Anders als die gewohnt treue Zuneigung des tierischen Ersatzpartners verursacht menschliches Begehren jenseits der Lebensmitte ein unverhofftes Gefühlschaos von mopsfidel bis hundeelend.

Bevor es zum finalen Walk kommt, durchlebt der Zuschauer mit Herrchen und Frauchen, ihrem menschlichen Anhang und den beiden Wuffkes eine universelle Liebesgeschichte, die überall in der ersten Welt spielen könnte. Von Regisseur Paul Morrison launig-liebenswert inszeniert und dank der harmonierenden Performance von Alison Steadman und Dave Johns eine empfehlenswerte Coming-of-Best-Age Tragikomödie, die Lust macht, den inneren Schweinehund zu überwinden.

Anja Besch

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „23 Walks“
Großbritannien 2020
97 min
Regie Paul Morrison

alle Bilder © Weltkino Filmverleih

JURASSIC WORLD: EIN NEUES ZEITALTER

Kinostart 08. Juni 2022

„Die Dinosaurier werden immer trauriger
Denn die Saurier dürfen nicht an Bord“
In Lonzos abscheulichem Lied von 1980 durften sie nicht auf die Arche Noah und mussten deshalb jämmerlich ertrinken. Nun haben die Dinos tatsächlich Grund zur Trauer, denn mit dem überfrachteten Finale der Jurassic-World-Trilogie schlägt zumindest im Kino ihr endgültig letztes Stündlein.

„Jurassic Park war das Wichtigste, was der Paläontologie in den letzten Jahrzehnten widerfahren ist, denn dieser Film erweckte die Dinosaurier für eine neue Generation wieder zum Leben“, sagt Stephen Brusatte, Professor an der University of Edinburgh. 
Folgerichtig beginnt der mittlerweile sechste Teil der Saurierserie fast so wissenschaftlich wie eine Dokumentation auf dem National Geographic Channel: Eine Reporterin fasst für Neueinsteiger noch einmal zusammen, was bisher geschah. Eine von vielen uneleganten Ideen, die das holprige Drehbuch parat hält.

Seit die fossilen Tierchen im letzten Teil versehentlich in Freiheit gelangten, leben sie nun über den ganzen Planeten verteilt. „Ein gigantisches Ringen um die Herrschaft zwischen Mensch und Dinosaurier beginnt.“, wie es im bedrohlichen Marketingjargon heißt. Ein an Steve Jobs angelehnter Bösewicht (eine weitere lazy Scriptidee) plant den ökologischen Supergau. Es drohen also nicht nur T-Rex und Co sondern auch kapitalistischer Größenwahn. Für die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung braucht es deshalb die vereinten Kräfte der Generationen: Chris Pratt und Bryce Dallas Howard kämpfen an der Seite der Originalbesetzung Laura Dern, Sam Neill und Jeff Goldblum.

Ob den Spitzenplatz in der Nahrungskette am Ende der Mensch oder der Saurier gewinnt, soll hier nicht verraten werden. Der Weg dahin ist eine feist produzierte, doch zu oft gesehene Blockbusterreise. Eine sechste Fahrt durch die immer gleiche Geisterbahn verliert eben irgendwann ihren Schrecken. Die Effekte sind top, nur die Geschichte scheint endgültig auserzählt, „Ein neues Zeitalter“ ist eine Zitatensammlung anderer Abenteuer-Action-Filme – gab’s schon, kennt man. Höchste Zeit, den Dinos mal wieder ein paar Millionen Jahre Pause zu gönnen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Jurassic World: Dominion“
USA 2022
147 min
Regie Colin Trevorrow

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

FRANCE

Kinostart 09. Juni 2022

„France“ ist peinlich. Es fängt schon furchtbar an: In einer Montage aus inszeniertem Material und einer echten Pressekonferenz fragt die Starjournalistin France de Meurs den französischen Präsidenten, ob er achtlos oder hilflos sei. Während Macron geduldig antwortet, blödeln France und ihre Produzentin mit obszönen Beckenbewegungen und Züngeleien derart hemmungslos, dass man sich kurz nach der Seriosität von „Dumm und Dümmer“ sehnt.

„France“ ist nicht lustig. Ein ganz banaler Verkehrsunfall: France fährt einen jungen Mann über den Haufen, anschließend entdeckt sie, dass ihre Tränendrüsen funktionieren. Fortan weint sie in fast jeder Szene. Gegen ihre aufgewühlten Emotionen hilft nur eine Kur im Sanatorium. Dort, im Liegestuhl auf die Berge blickend, folgt das nächste Highlight der „genialen Mediensatire“: Eine völlig überdrehte Juliane Köhler schnattert sich über die Anwesenheit der deutschen Bundeskanzlerin in Rage, nur deren Namen will ihr partout nicht einfallen. Es ist – SPOILER – Angela Merkel.

„France“ hat auch ein paar gelungene Szenen. Die zeigen France als überambitionierte Kriegsreporterin, die ihr Kamerateam und sich für die perfekte Einstellung in Lebensgefahr bringt. Wag the dog – Wenn die Realität zu harmlos aussieht, schubst die Journalistin schon mal aufständische Einheimische durchs Bild, bis die Dramatik passt. Paul Ronzheimer gefällt das.

„France“ kann man sich sparen. Zum Thema „Journalismus im Film“ gibt es unzählige Werke, aber mit Sicherheit war keines so schlecht gemacht und unrealistisch wie dieses. Satirisch ist daran gar nichts, höchstens unfreiwillig komisch. Die pseudomoralische Metamorphose von der kalten Journalistin zum empathischen Menschenkind ist komplett unglaubwürdig. Nicht mal eine bessere Schauspielerin hätte das retten können. Schon gar nicht Léa Seydoux, die sich hier auf einen einzigen Gesichtsausdruck beschränkt – wahlweise mit und ohne Tränen. Ca vaut pas la peine!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „France“
Frankreich / Deutschland / Belgien / Italien 2021
133 min
Regie Bruno Dumont

alle Bilder © MFA+ FilmDistribution

RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN

Kinostart 09. Juni 2022

Pilateslehrerin Kathrin braucht eine neue Niere. Ihr egozentrischer Mann Arnold käme als Spender infrage, quält sich aber keine eindeutige Zusage ab. Ganz anders der gemeinsame Freund Götz. Aus dem dicken Bauch heraus erklärt er sich bereit, Kathrin eine seiner Nieren abzutreten. Diese Großzügigkeit stößt seiner Frau Diana sauer auf.

Sollte man der Ehefrau eine Niere spenden, obwohl das ein großes gesundheitliches Risiko bedeuten könnte? Wäre es nicht besser, auf einen verstorbenen Spender zu warten oder gar eine Niere im Darknet zu kaufen? Highlight des Films ist Samuel Finzi als handlungsgehemmter Gatte: Er würde, hätte, wollte – und macht dann doch nicht.

Michael Kreihsls Komödie basiert auf einem Theaterstück und das merkt man ihm deutlich an. Auf der Bühne auf vier Personen beschränkt, wurden fürs Kino noch unnötige Nebenrollen hinzugefügt, die vom eigentlichen Kern der Geschichte ablenken. Die mäßig lustige Komödie ist nach gut einer Stunde auserzählt,  wird aber durch eine wenig glaubwürdige Wendung noch weiter in die Länge gestreckt. Die Schauspieler geben ihr bestes, doch gegen die biedere TV-Inszenierung kommen sie nur schwer an. Boulevardkomödie, die aus ihrem Thema zu wenig macht.

INFOS ZUM FILM

Österreich 2021
93 min
Regie Michael Kreihsl

alle Bilder © Filmwelt Verleihagentur GmbH

EIN GROSSES VERSPRECHEN

Kinostart 09. Juni 2022

Juditha und Erik planen ihren erfüllten gemeinsamen Lebensabend, denn mit der Pensionierung des engagierten Universitätsprofessors soll endlich Zeit für die schönen Dinge sein. Tanzen im Garten, Vögel füttern und mit dem Segelboot fahren – so was halt. Doch Juditha leidet unter MS, und gerade jetzt macht die tückische Nervenkrankheit einen heftigen Schub. Ungut auch, dass sie die sturste Frau auf Gottes Erden ist. Hilfe, egal von wem, lehnt sie rigoros ab. Das macht das Zusammenleben nicht gerade einfach. Erik bedrückt die häusliche Enge zusehends, und dass die beiden sich immer noch lieben, macht es nur noch schlimmer. Denn wer will seine Liebe schon leiden sehen?

Dazu muss man in Stimmung sein: Wendla Nölles Drama macht wenig Hoffnung, von schlimm wird es nur noch schlimmer. Stellt sich zwischen den Depressionsschüben, die man als Zuschauer erleidet, die Frage: Warum soll man sich das anschauen? Nichts gegen schicksalshafte Geschichten über andere Menschen, aber der immer bockiger werdenden Juditha und ihrem hilflos leidenden Erik beim gemeinsamen Untergang zuzuschauen ist quälend.

Sehenswert machen den offensichtlich für das Fernsehen gedrehte Film – die klassische 90-Minuten Laufzeit und der NDR als Produzent lassen keinen Zweifel, dass „Ein großes Versprechen“ schon bald am FilmMittwoch um 20.15 Uhr im Ersten laufen wird – die fabelhaften Schauspieler. Der bei uns vor allem als Kurt Wallander bekannte Rolf Lassgård überzeugt als sensibler, aber gänzlich überforderter Ehemann und die ohnehin immer famose Dagmar Manzel rührt und nervt gleichermaßen als an ihrer Krankheit zugrunde gehende Juditha.

Harte Kost, aber der Film hütet sich vor Rührseligkeiten und bietet eine ehrliche, beeindruckend gespielte Auseinandersetzung mit der Angst vor Krankheit und Vereinsamung im Alter, getragen von zwei hervorragenden Schauspielern.

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Deutschland 2021
90 min
Regie Wendla Nölle

alle Bilder © Filmperlen

ERWARTUNG – DER MARCO EFFEKT

Kinostart 02. Juni 2022

„Erwartung – Der Marco-Effekt“ ist ein ganz offensichtlich fürs Fernsehen (Co-Produzent ist das ZDF) gedrehter Thriller, der nun bei uns in den Kinos landet. Ein bisschen mehr cineastische Größe und etwas weniger biedere TV-Stangenware hätte es schon sein dürfen. Jede Einstellung atmet hier Fernsehen, trotz des oscarprämierten Regisseurs. Ein typischer Sonntag-Abend-Krimi, nur dass es hier nicht nach 90 Minuten vorbei ist – Die dünne Story voller Zufälle dehnt sich auf über zwei Stunden.

Kurt Wallander heißt jetzt Carl Mørck und kommt aus Dänemark. Wie sein schwedisches Vorbild wandelt auch dieser Kommissar stets am Rande einer Depression. Eines trüben Morgens landet ein seit Jahren abgeschlossener Fall auf seinem Schreibtisch. Der Reisepass eines seit vier Jahren verschwundenen Familienvaters wurde im Besitz des 14-jährigen Roma-Jungens Marco gefunden, als dieser illegal über die dänische Grenze wollte. Kommissar Mørck und sein Team kommen einer finsteren Verschwörung auf die Spur, die bis ganz nach oben reicht – und deren unfreiwillige Schlüsselfigur der junge Marco ist. 

Harry, fahr den Wagen vor. „Erwartung – Der Marco-Effekt“ ist konventionelle, einigermaßen solide gemachte Unterhaltung, ohne Tränensäcke und ohne große Überraschungen. Den Todesstoß besorgt wie immer die deutsche Synchronisation. Für Dutzendware wie diese lohnt nicht der Weg ins Kino, so was läuft auch ständig in den Öffentlich Rechtlichen. Schrott-Krimiautor Jussi Adler-Olsen liefert die Vorlage, dies ist bereits der fünfte Film, der auf seiner Romanserie basiert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Marco effekten“
Dänemark / Deutschland / Tschechien 2021
125 min
Regie Martin Zandvliet

alle Bilder © Koch Films

DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT

Kinostart 02. Juni 2022

In einer der schönsten Szenen in diesem an schönen Szenen reichen Film knipst Julie einen Lichtschalter um, und plötzlich bleibt die ganze Welt (oder zumindest Oslo) stehen. Julie kann ungehindert durch die Straßen zu dem Mann laufen, den sie liebt und ihn küssen. Hach. Liebe. Überhaupt – die Liebe! „Der schlimmste Mensch der Welt“ ist einer der besten Liebesfilme der letzten Jahre, wenn nicht gar… Und wer sich als Zuschauer nicht unsterblich in die Hauptdarstellerin Renate Reinsve verliebt, der trägt ein Herz aus Stein in der Brust.

Regisseur Joachim Trier erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die versucht, ihren Platz im Leben zu finden. Gar nicht so einfach, denn Julie, die gerade 30 Jahre alt geworden ist, stürzt sich mit großer Begeisterung in immer neue Berufsziele und Beziehungen. Medizinstudium? Zu körperlich. Psychologiestudium? Zu geistig. Fotografin? Warum nicht? Oder doch lieber in einem Buchgeschäft arbeiten? Mit dem 14 Jahre älteren Comiczeichner Aksel lebt sie einigermaßen glücklich zusammen, doch mit dessen „erwachsenen“ Freunden wird sie nicht warm. Eines Tages schleicht sie sich heimlich auf eine Hochzeitsparty und lernt dort den lebenslustigen, gleichaltrigen Eivind kennen.

„Der schlimmste Mensch der Welt“ ist ein wunderbarer norwegischer Film, der alles in sich vereint, was einen Film sehenswert macht: Grandiose Schauspieler, eine zu Herzen gehende Geschichte, Ernsthaftigkeit, Menschlichkeit und Fantasie. In einen Prolog, 12 Kapitel und einen Epilog unterteilt, zeigt der Film Schlüsselmomente in Julies Leben – Momente, die über ihren weiteren Weg entscheiden, auch wenn sie das in diesem Augenblick selbst noch nicht realisiert.

Joachim Trier, der gemeinsam mit Eskil Vogt (Regisseur von „The Innocent“ – noch so ein großartiger skandinavischer Film) das Drehbuch geschrieben hat, umschifft gekonnt alle gängigen Liebesfilm-Klischee-Klippen und bleibt von der ersten bis zur letzten Szene wahrhaftig. Eine kluge, charmante Komödie, eine erotische Romanze, ein bittersüßes Drama – so viel Film fürs Geld. Wenn es die deutsche Synchronisation nicht wieder kaputtmacht, schon jetzt einer der besten Filme des Jahres.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Verdens verste menneske“
Norwegen 2021
121 min
Regie Joachim Trier

alle Bilder © Koch Films

DAS STARKE GESCHLECHT

Kinostart 26. Mai 2022

Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht
Außen hart und innen ganz weich

Zugegebenermaßen kein besonders origineller Ansatz, den 80er-Jahre-Hit für eine Filmkritik über einen Männerfilm zu zitieren. Aber hat Herbert Grönemeyer damals nicht schon alles Wissenswerte über das starke Geschlecht in seinem Lied gesagt?

Der Ablauf ist immer der gleiche: acht Männer – alle sitzen vor neutral schwarzem Hintergrund – werden in Einzelinterviews zu ihrer Sexualität befragt. Dazu müssen sie zunächst einen Text lesen, in dem andere Männer (anonym befragt) über ihre sexuellen Wünsche und Erlebnisse berichten. Da geht es unter anderem um Vergewaltigungsfantasien, Unterwerfung und Ähnliches. Ein Zwitter aus Dokumentarfilm und Versuchsanordnung: Die Kamera zeigt zunächst die Reaktion der acht Männer auf das Gelesene. Danach tragen sie den Text vor und werden anschließend vom Regisseur (der nur als Stimme aus dem Off zu hören ist) zu ihren eigenen Erfahrungen befragt. Unsicher, was Frauen wirklich wollen, sind sie alle, so viel sei schon mal gespoilert.

Ein leichter Beigeschmack von „bisschen zu gespielt“ stellt sich zwischendurch ein. Die Redner sind ungewöhnlich souveräne Selbstdarsteller, die sich ohne viele „ähs“ in druckreifer Sprache ausdrücken können. Eine Googlesuche ergibt: alle acht Männer sind entweder Schauspieler, Regisseure, Autoren oder zumindest medienerfahren. Möglicherweise fanden sich schlicht keine verunsicherten Normalos, die das Ausloten ihrer männlichen Seele in verständliche Worte fassen konnten.

Interessant wäre zu erfahren, wer sich für diesen Film ein Kinoticket kauft: Mehr Männer oder mehr Frauen? Es werden hoffentlich viele sein. Endlich mal eine Dokumentation, die keine Drohnenflüge über exotische Landschaften oder das Paarungsverhalten ausgestorbener Pandabären zeigt, sondern ein aufschlussreiches Experiment wagt. Das sollte an der Kinokasse belohnt werden.

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Deutschland 2021
102 min
Regie Jonas Rothlaender

alle Bilder © missingFILMs

ALLES IN BESTER ORDNUNG

Kinostart 26. Mai 2022

Es ist über 20 Jahre her, da lebte in der Wilmersdorfer Straße eine leicht verschrobene, ältere Dame, die einigen Berlinern als Moderatorin beim Offenen Kanal bekannt war. „Ich zeige Ihnen Blumen“ oder „Da ist noch eine Katze in der Fensterbank“ gehörten zu ihren berühmtesten Zitaten, die sogar von der Band Kissogram in einem Lied verewigt wurden. Was kaum jemand wusste (bis auf den Autoren dieser Zeilen, der in den 1990er-Jahren ihr Wohnungsnachbar war): Frau S. war ein Hamsterer – oder wie der Amerikaner sagt: Hoarder. Die Grenze zwischen Sammeln und krankhaftem Messietum sind fließend, in welche Kategorie Frau S. fiel, lässt sich nicht sagen, denn ihre Wohnung durfte niemand betreten. Nur einmal musste sie dem Heizungsmonteur Einlass gewähren, der danach fassungslos von meterhohen Zeitungsstapeln berichtete. Trotzdem standen immer wieder erstaunlich große Möbelstücke im Treppenhaus, die Frau S. dann bei einem kurzen Plausch als „viel zu schade zum Wegschmeißen“ erklärte und noch irgendwo zwischen der sonntagmorgens gespielten Hammondorgel und all den anderen Schätzen in ihrer Wohnung unterbrachte.

Auch Marlen (Corinna Harfouch) bewahrt ein ganzes Leben in ihren vier Wänden auf. Das Entsorgen von selbst hoffnungslos kaputten Gegenständen ist für sie undenkbar, denn sie hat „Mitleid mit Dingen“. Da niemand einen Film über eine verschmutzte „Kathedrale aus Kot“ sehen will (höchstens im Privatfernsehen, wo einst ein Badezimmer mit diesen blumigen Worten beschrieben wurde), ist in Natja Brunkhorsts Spielfilmdebüt alles viel netter als im echten Leben. Marlens Wohnung erinnert eher an ein gemütlich verwunschenes Second-Hand-Möbellager.

Ganz anders sieht es bei Fynn (Daniel Sträßer) aus, dem reichen 100 Dinge zum Leben (der durchschnittliche Europäer besitzt 10.000). In der spartanischen Behausung des Mathegenies, direkt über Marlens Wohnung, tropft der Heizkörper. Selbst ist der Mann: Einmal mit der Rohrzange nachziehen, schon steht alles unter Wasser. Und weil daraufhin die Handwerker wochenlang den Boden trockenlegen müssen, zieht Fynn kurzerhand bei Marlen ein (in Köln scheint es keine Hotels zu geben). Der Kontrollfreak und die Messiefrau. Die Zusammenführung der gegensätzlichen Charaktere wirkt zwar etwas konstruiert, doch das erste kritische Beschnuppern und der zaghafte Versuch, sich gegenseitig aus den festgezurrten Verhaltensmustern zu helfen, ist charmant und leichtfüßig umgesetzt.

„Alles in bester Ordnung“ ist ein reizender kleiner Film über zwei Außenseiter, die sich am Ende perfekt ergänzen. Schön, dass es mal keine alberne Romcom, sondern eine intelligente deutsche Komödie mit tollen Schauspielern ins Kino schafft.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
96 min
Regie Natja Brunckhorst

alle Bilder © Filmwelt