BIS WIR TOT SIND ODER FREI

BIS WIR TOT SIND ODER FREI

Kinostart 31. März 2022

Otto Schily und Hans-Christian Ströbele: Zwei Anwälte, die in den 1980er-Jahren den Gerichtssaal als politische Bühne nutzen, um ihrer Sache die gewünschte mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen. Anwältin Barbara Hug will ihren Vorbildern nacheifern und mit den gleichen Mitteln das rückständige Schweizer Justizsystem umkrempeln. Ihre Klientel sind hauptsächlich Linksautonome, die bei Demos in Polizeigewahrsam genommen werden. Nun sucht der Berufskriminelle Walter Stürm ihre Hilfe. Nach zahlreichen Straftaten und wiederholten Ausbrüchen sitzt er in Isolationshaft. Die Anwältin und der Ganove: Da treffen zwei unterschiedliche Charaktere aufeinander, die der Wunsch nach Freiheit eint. Während es Hug eher um die theoretische Auslegung des Begriffs geht, ist für Stürm Freiheit etwas Greifbares, Konkretes: Er will sich keine Vorschriften machen lassen, will sich von den Fesseln seiner beengten bürgerlichen Herkunft befreien.

Kaum vorstellbar, dass das Leben in einem Schweizer Knast so hart sein soll. Ausgerechnet im Ursprungsort der Genfer Konventionen. Tatsächlich hat Amnesty International das Chuchichäschtli-Land in den 1980er-Jahren wegen Verletzung der Rechte von Gefangenen angeprangert. Schlimmer gehts immer – „Bis wir tot sind oder frei“ ist ein echter Problemfilm: Vater-Sohn-Konflikte, lieblose Eltern, Straßenkampf, kaputte Nieren, unerfüllte Liebe, brutaler Polizeistaat, Morphiumsucht, das Schweinesystem ganz allgemein, alte Faschisten gegen junge Revoluzzer, Waffenhandel – stöhn, es ist für jeden was dabei.

Die Geschichte beruht zwar auf wahren Begebenheiten, doch in der Nacherzählung von Regisseur Oliver Rihs finden sich wenig wahrhaftige Momente. An den Schauspielern liegt es nicht, vor allem Marie Leuenberger überzeugt als körperliches und seelisches Wrack, das sich zwischen Dialyse und Klassenkampf aufreibt. Mal von den zahllosen schlechten Perücken abgesehen und allerhand Fehlern in der Ausstattung (der Film spielt zwischen 1980 und 1999), killt vor allem die deutsche Synchronisation jede Authentizität. Ein Original im Schwyzerdütsch mit Untertiteln mag eine ganz andere Kraft und Wirkung entfalten, man weiß es nicht. Tipp vom Fachmann: Flug nach Zürich buchen, dort ins Kino gehen, danach ein schönes Käsefondue genießen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Stürm: Bis wir tot sind oder frei“
Schweiz / Deutschland 2020
118 min
Regie Oliver Rihs

alle Bilder © Port au Prince

DAS EREIGNIS

DAS EREIGNIS

Kinostart 31. März 2022

„Sind Sie krank?“, fragt der Uniprofessor seine Lieblingsstudentin. „Ich habe die Krankheit, von der nur Frauen betroffen sind und die uns zu Hausfrauen macht“, antwortet Anne. Die Literaturstudentin ist ungewollt schwanger. Und das ist im Frankreich der frühen 1960er-Jahre ein Problem. Die Ärzte raten ihr, die Situation zu akzeptieren. Ihren Eltern will sie sich nicht anvertrauen. Hilfe gibt es keine, denn selbst ihre engsten Freundinnen wollen von dem Thema nichts hören: Abtreibung ist streng verboten und wird mit Gefängnis bestraft. Je mehr Zeit verstreicht, desto verlassener fühlt sich Anne. Sie lässt nichts unversucht, die Schwangerschaft zu beenden, denn als alleinerziehende Mutter fürchtet sie um ihre Zukunft.

Audrey Diwan schafft das schier Unmögliche: Sie erzählt eine dramatische Geschichte, ohne dabei polemisch oder belehrend zu werden. Ein Drama ohne Dramatisierung, schnörkellos und direkt. Ihr Plädoyer für die weibliche Selbstbestimmung spielt zu einer Zeit, als es völlig normal war, dass Schwangere heiraten und ihre beruflichen Träume begraben. Doch die Diskussion über Recht und Unrecht am eigenen Körper ist auch heute noch aktuell und vielerorts noch nicht zu Ende geführt.

Vor allem die unsentimentale und gerade deshalb großartige Anamaria Vartolomei in der Hauptrolle macht „Das Ereignis“ zu einem kleinen Meisterwerk. Der Film gewann beim Filmfestival von Venedig den Goldenen Löwen als „Bester Film“ und setzte sich sogar gegen den Oscarfavoriten „Parallele Mütter“ durch.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „L’évènement“
Frankreich 2021
100 min
Regie Audrey Diwan

alle Bilder © Prokino

AMBULANCE

AMBULANCE

Kinostart 24. März 2022

Mehr, mehr, immer mehr: Michael Bay liefert mit „Ambulance“ einen weiteren größer-lauter-schneller-Actionfilm ab, der beim Zuschauer nach spätestens 10 Minuten pochenden Kopfschmerz auslöst. „Shut the fuck up“ brüllt die Hauptdarstellerin zweimal während des Films. Leider folgt niemand ihrem Wunsch.

Die ungleichen Brüder Will und Danny planen einen 32-Millionen-Dollar-Bankraub in LA. Der eine braucht das Geld, um seine kranke Frau zu retten, der andere ist Verbrecher aus Leidenschaft. Doch als der Überfall spektakulär schief geht, entführen die beiden einen Krankenwagen mit einem schwer verwundeten Polizisten und der Rettungssanitäterin Cam an Bord. In einer irrwitzigen Verfolgungsjagd versuchen Will und Danny dem massiven Polizeieinsatz zu entkommen.

Bay nutzt seit Jahren die gleichen Zutaten: Heroische Shots von unten, güldenes Sonnenlicht in Spiegelfassaden, markerschütternde Musik zu einfach jeder Szene und eine komplett entfesselte, vom Himmel herabstürzende Kamera. Neben permanentem Wackeln und Zoomen wird auch noch die belangloseste Dialogszene mindestens 670 Millionen Mal unterschnitten. Ein spektakulärer Autocrash folgt auf den nächsten, die immer grotesker werdende Verfolgungsjagd erinnert bald an eine Slapstickszene aus „Die nackte Kanone“ – das ist oft komisch, wenn auch unfreiwillig.

Fast and Furious mit Krankenwagen. Der adrenalingeschwängerte Bilderrausch kaschiert die dünne Story nur mühsam. Besonders enervierend: Die banalen Dialoge werden fast durchweg schreiend vorgetragen – wer nichts zu sagen hat, wird eben laut. Passend dazu schaltet Hauptdarsteller Jake Gyllenhal in full Nicolas Cage-Modus – sein overacting passt zum immer hysterischer werdenden Inszenierungsstil Bays.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ambulance“
USA 2021
133 min
Regie Michael Bay

alle Bilder © Universal Pictures Germany

JGA

JGA

Kinostart 24. März 2022

JGA – die drei Buchstaben stehen für „JungGesellenAbschied“, bzw. korrekt gegendert: „JungGesellinnenAbschied“ – gleichzeitig ist es ein Akronym für die Vornamen der drei Hauptfiguren: Jasmin, Gina und Ana. Die wollen mit ihrer besten Freundin vor der Hochzeit noch mal einen drauf machen. Doch schon im ersten Club die große Beichte: Die Braut in spe ist schwanger und will lieber zurück zu ihrem Zukünftigen. Was also tun mit dem angebrochenen Abend und den bereits bezahlten Flugtickets nach Ibiza? Nicht die Laune verderben lassen, einfach trotzdem feiern! Auf der Baleareninsel treffen die Mädels dann Jasmins Ex. Blöd, denn Jasmin ist nach acht Jahren immer noch nicht über die Trennung weggekommen. Es folgt ein chaotisches Wochenende inklusive geklautem Gepäck und beinahe Drogentrip.

Große Verwirrung gab es offensichtlich darüber, was „JGA“ eigentlich sein will. Derber Ulk? Ernsthaftes Beziehungsdrama? Lustige Analyse der Ü-30-Generation? Es ist von allem was ein bisschen. Am besten funktioniert die Dramödie, wenn die Figuren Tiefe zeigen dürfen. Zwischendurch hat der Film gutes Tempo und echten Dialogwitz. Doch immer wieder stören Plattheiten, intelligenter Humor und Flachwitz liegen in „JGA“ sehr dicht beieinander.

Die Schauspieler geben ihr Bestes, allein das unentschiedene Drehbuch steht ihnen im Weg. Gut in Erinnerung bleibt Taneshia Abt, die mit ihrem rotzigen Charme viele Szenen rettet. Und der immer gern gesehenen Luise Heyer wünscht man in Zukunft ein besseres Händchen bei ihrer Rollenwahl. Nach „Generation Beziehungsunfähig“ ist „JGA“ noch eine Klamotte, in der sie ihr Talent verschenkt. Die Männer haben in diesem Film keine Chance, sie bleiben bis zum Ende zweidimensionale Klischees, erinnern an lahme Kopien der Hang Over-Charaktere.

„JGA“ ist entschieden zu lang. Die Handlung wird nach dem Ibiza-Ausflug mit einer unnötigen Hochzeitsgeschichte gestreckt, das fühlt sich noch mal wie ein neuer Film an. Aber was soll’s: Es gibt was zu lachen und ein bisschen „Eis am Stil“-Idiotie ist vielleicht genau das Richtige in diesen finsteren Zeiten.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
118 min
Regie Alireza Golafshan

alle Bilder © Leonine

COME ON COME ON

COME ON COME ON

Kinostart 24. März 2022

Joaquin Phoenix spielt den Radiojournalisten Johnny, der quer durch die USA reist, um junge Menschen nach ihrer Meinung zum Leben im Allgemeinen zu befragen. Auch ein Job. Als seine Schwester (Gaby Hoffmann) Probleme mit ihrem psychisch kranken Mann hat, bittet sie ihren Bruder, sich um ihren 9-jährigen Sohn (Woody Norman) zu kümmern. Johnny nimmt den Jungen mit zu sich nach New York. Es ist das erste Mal, dass er für ein Kind verantwortlich ist – und das erste Mal, dass Jesse längere Zeit von seiner Mutter getrennt ist. Nach und nach entwickelt sich eine tiefe emotionale Verbindung zwischen Onkel und Neffe.

Kritiker und Arthousefans werden begeistert sein:  „Come on Come on“ ist eine Familienaufstellung in atmosphärischem schwarz-weiß, die Raum für eigene Coloration lässt. Joaquin Phoenix spielt menschlicher und subtiler als sonst, und obwohl er einen Großteil seiner Dialoge unverständlich in den Bart nuschelt, ist ihm der nächste Oscar gewiss. Woody Norman hat eine beeindruckende natürliche Präsenz vor der Kamera, verbirgt eine alte Seele in kindlichem Körper – eine echte Entdeckung! Hinter der wundervollen Musik findet das hektische Großstadtleben Amerikas einen neuen Rhythmus. Der Film erzählt eine ergreifende symbiotische Beziehungsgeschichte zwischen jung und alt.

Weniger euphemistisch könnte man auch sagen, „Come on Come on“ bietet neben einem altklugen Kleinkind einen ganzen Strauß deprimierender Themen: Alzheimer, bipolare Störungen, Geschwisterstreit, Einsamkeit – unterbrochen durch tiefgründige Statements von Teenagern. Not the feelgood-movie of the year, aber Kunst. Wer als kinderloser Erwachsener bisweilen zweifelt, ob es nicht doch besser gewesen wäre, Nachwuchs in die Welt zu setzen, dem sei dieser Film als mahnende Erinnerung empfohlen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „C’mon C’mon“
USA 2021
108 min
Regie Mike Mills

alle Bilder © DCM

KINOSTART AM 17. MÄRZ

KINOSTART AM 17. MÄRZ 2022

PETITE MAMAN

Nach dem Tod ihrer Großmutter hilft die kleine Nelly ihren Eltern beim Ausräumen des Hauses. Beim Spielen im Wald lernt sie die gleichaltrige Marion kennen, die sich als ihre Mutter im Kindesalter entpuppt. Vergangenheit trifft Gegenwart. „Petite Maman“ wirkt wie eine zarte, sehr französische Antwort auf die Netflixserie „Dark“. Céline Sciammas Film erzählt vom Erwachsenwerden, von Trauerbewältigung und Abschiedsschmerz. Schön.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Petite Maman“
Frankreich 2021
72 min
Regie Céline Sciamma

DREI ETAGEN

„Tre Piani“ spielt – der Titel lässt es erahnen – in einem Wohnhaus, genauer in einem Wohnhaus im römischen Vorort Prati. Von oben nach unten: Im 3. Stock wohnt die Richterin Dora, die sich von ihrem anstrengenden Sohn entfremdet hat. Weiter unten dann Lucio, der sich sorgt, ob sein dementer Nachbar eventuell seine Tochter begrapscht hat. Und schließlich Monica, eine junge Mutter mit postnataler Depression. Die intellektuelle Lindenstraße hat zu viele Storys für einen Film und zu wenige für eine Vorabendserie. Die Schauspieler sind gut, kommen aber gegen das humorlose, melodramatische Drehbuch nicht an.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Tre Piani“
Italien 2021
117 min
Regie Nanni Moretti

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KINOSTART AM 10. MÄRZ

KINOSTART AM 10. MÄRZ 2022

DER SCHNEELEOPARD

Männer, die auf Schneeleoparden starren. Der Wildlife-Fotograf Vincent Munier und sein Freund, der Schriftsteller Sylvain Tesson, haben sich warm angezogen und harren nun in der Eiseskälte der tibetanischen Berge auf das seltene und scheue Raubtier. Dabei philosophieren sie über die Natur und die Menschheit. Nick Cave spielt die Musik zu den tiefschürfenden Gedanken. Eskapismus total. Ein schön anzusehender, nachdenklich machender, manchmal in Küchenkalenderpoesie verfallender Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „La Panthère des Neiges“
Frankreich 2021
95 min
Regie Marie Amiguet und Vincent Munier

VATERSLAND

Marie findet in einer alten Kiste Fotos und Filmaufnahmen aus ihrer Jugend. Sie begibt sich auf eine Erinnerungsreise zurück in die 1960er-Jahre. Doch es gibt eine große Diskrepanz zwischen den vom Vater gestellten Bildern und ihrer eigenen Wahrnehmung: Von ihrem Schmerz über den frühen Krebstod der Mutter und anderen erlittenen Traumata findet sich nichts in den Fotos und Filmen. Die drei Ebenen in Petra Seegers erstem Spielfilm sind unterschiedlich geglückt: Filmausschnitte und Fotos aus dem Privatarchiv der Regisseurin sind mitunter redundant und vor allem die Spielszenen in der Gegenwart sind recht hölzern inszeniert. Besser dagegen die Rückblenden: Hier gelingt ein authentischer Blick zurück in die muffigen 60er und das erste feministische Aufbegehren eines jungen Mädchens.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
118 min
Regie Petra Seeger

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BLUE BAYOU

BLUE BAYOU

Kinostart 10. März 2022

Antonio LeBlanc (Justin Chon) ist gebürtiger Koreaner, als 3-Jähriger wird er von einer weißen Familie in Louisiana adoptiert. 30 Jahre später ist er mit Kathy (Alicia Vikander) verheiratet und der Stiefvater von Jessie. Er kämpft um ein glückliches Leben für seine Familie, doch die Geister der Vergangenheit holen ihn immer wieder ein. Als er in eine Schlägerei mit einem Polizisten gerät, droht ihm die Abschiebung nach Korea.

Die Intention, auf die teils schreiend ungerechte Einwanderungspolitik der USA aufmerksam zu machen, ist löblich. Doch Jusin Chons Film ist weder Fisch noch Fleisch. Die Geschichte hat durchaus berührende Momente. Einerseits. Andererseits ist das Drama um Antonio, dem wegen eines Formfehlers bei seiner Adoption die Abschiebung droht, dermaßen konstruiert, dass man als Zuschauer bald genervt geistig abschaltet. Immer wieder gibt es schier unglaubliche Zufälle, die ausschließlich den Unglücksfaktor der Geschichte erhöhen sollen. Dazu heulen die Streicher oder klimpert die lieblich-sanfte Singer-Songwriter-Musik. Wenigstens sind die Bilder im erlesenen Arthouse-16-mm-Look wunderschön. L’art pour l’art.

„Blue Bayou“ balanciert auf einem schmalen Grat zwischen zu viel Inhalt (Abschiebung, Verbrechen, Familienstreit, Krankheit, Kindheitstrauma) und sentimentaler Manipulation. Blame it on the Drehbuch. An den Schauspielern liegt es nicht: Alicia Vikander ist hervorragend, Justin Chon zeigt eine starke Präsenz, nur seine Entscheidungen als Regisseur bleiben unklar. Sollte „Blue Bayou“ eine melodramatische Liebesschmonzette werden? Oder lieber ein künstlerisch wertvoller Film mit Anspruch? Beides zusammen verträgt sich nicht. Und so bleibt am Ende der Eindruck, dass sich irgendwo in all dem Drehbuchkitsch ein besserer Film versteckt.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Blue Bayou“
USA 2021
118 min
Regie Justin Chon

alle Bilder © Universal Pictures International Germa

PARALLELE MÜTTER

PARALLELE MÜTTER

Kinostart 03. März 2022

Die hyperrealen Farben! Die großartigen Schauspielerinnen! Die Musik von Alberto Iglesias! Was sich hier in begeisterten Ausrufen Bahn bricht, ist die Liebe zu Pedro Almodóvars Kinouniversum. Keiner kann so gut Telenovela für Intellektuelle wie der spanische Regisseur.

Mütter, Töchter, Freundinnen, Liebhaberinnen: „Parallele Mütter“ ist ein Frauenfilm durch und durch. Männer spielen nur kraftlose Nebenrollen oder sind schon direkt tot. Bei ihrer achten Zusammenarbeit mit Almodóvar spielt Penélope Cruz die erfolgreiche Werbefotografin Janis aus Madrid. Gemeinsam mit dem forensischen Archäologen Arturo will sie ein Massengrab in ihrem Heimatdorf untersuchen. Dort vermutet sie die sterblichen Überreste von Verwandten und Freunden, die während Francos Terrorherrschaft getötet wurden. Janis und der verheiratete Arturo beginnen eine kurze leidenschaftliche Affäre, sie wird schwanger. Auf der Entbindungsstation lernt sie die junge Ana kennen – eine folgenschwere Begegnung für die beiden werdenden Mütter. 

Ein Mann und eine Frau haben Sex – Schnitt – die Frau ist hochschwanger. Der ganze Beziehungskram und die Trennung dazwischen bleiben unerwähnt oder werden höchstens in elegant eingefügten Rückblenden erzählt. Pedro Almodóvar ist der König der Reduktion aufs Wesentliche. In den 1980er und 1990er-Jahren noch auf quietschbunte, überdrehte Komödien abonniert, ist er mittlerweile zum anspruchsvollen, klugen Autorenfilmer gereift.

Zwei Frauen, zwei Schwangerschaften, zwei Leben. Wie Almodóvar hier die Handlungsstränge von den starken Müttern und der faschistischen Vergangenheit seines Landes miteinander verwebt, ist meisterhaft. „Parallele Mütter“ erzählt eine politische und zutiefst menschliche Geschichte. Penélope Cruz wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig für Ihre Leistung ausgezeichnet und ist für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Madres Paralelas“
Spanien 2020
126 min
Regie Pedro Almodóvar

alle Bilder © STUDIOCANAL

COPPELIA

COPPELIA

Kinostart 03. März. 2022

Draußen ist es eisekalt, der Wind pfeift und Spazierengehen wird sowieso überschätzt. Da bleibt nur im Winterschlaf zu verharren – oder mal wieder ins Kino zu gehen. Reichlich positive Energie lässt sich ab dem 3. März mit der deutsch-niederländischen Produktion „Coppelia“ tanken.

Der Film erzählt die Liebesgeschichte von Swan und Franz (sehr niedlich: Michaela DePrince und Daniel Camargo). Swan ist eine emanzipierte junge Frau, die mit ihrer Mutter in einer hübschen Kleinstadt lebt. Ihr Herz gehört dem Fahrradhändler Franz, doch der ahnt nicht, dass Swan schwer in ihn verliebt ist…typisch Mann. Als eines Tages der dämonische Doktor Coppelius (Vito Mazzeo) eine Beautyklinik in der Stadt eröffnet, sorgt das für große Aufregung. Stets an dessen Seite: Coppelia, eine künstliche Frau, die dank ihrer Schönheit bald zum Stadtgespräch wird. Immer mehr Bewohner buchen einen Termin bei Dr. Coppelius, um sich „optimieren“ zu lassen. Der neue Look hat allerdings dramatische Nebenwirkungen: Das Spiegelbild stimmt, doch innerlich sterben die Menschen ab, werden zu seelenlosen Zombies.

Schon mit der ersten Szene wird klar: „Coppelia“ ist eine außergewöhnliche Produktion. Die zauberhafte Melange aus Computeranimation, Zeichentrick und Realfilm interpretiert E.T.A. Hoffmanns Geschichte „Der Sandmann“ modern und neu. Echtes Augenfutter: die atemberaubenden Kulissen und farbenfrohen Kostüme vermitteln eine zeitgemäße, positive Botschaft: Finger weg von Social Media und Faceapp – Liebe dich selbst auch ohne Instafilter!

„Coppelia“ erzählt seine Liebesgeschichte komplett ohne Dialoge oder Offstimme. Handlung und Emotionen werden nur durch die Magie des Tanzes ausgedrückt, einer universell verständlichen Sprache. Die Choreografie hat der preisgekrönte künstlerische Leiter des niederländischen Nationalballetts, Ted Brandsen übernommen. Eine mindestens ebenso große Rolle spielt die Musik – eine tolle Mischung aus Klassik und Moderne, komponiert von Maurizio Malagnini.

FAZIT

„Coppelia“: die Empfehlung gegen Winterblues.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Coppelia“
Niederlande / Deutschland / Belgien 2021
82 min
Regie Jeff Tudor, Steven De Beul, Ben Tesseur

alle Bilder © SquareOne Entertainment

THE BATMAN

THE BATMAN

Kinostart 03. März 2022

Huch, ist schon wieder Batman-Zeit? Der letzte Auftritt ist gerade mal vier Jahre her, da kommt schon die nächste Symphonie in Düsternis ins Kino. Wie alles im Leben ist auch Matt Reeves supergehypte Interpretation der unsterblichen Comicsaga Geschmacksache. Den überstylten Musikvideo-Look muss man mögen. Es regnet unentwegt, die Farben sind entsättigt und die Bilder künstlerisch unscharf. Überhaupt ist Kameramann Greig Fraser ganz verliebt in schlierige Makroshots. Dass der Film zwischen Grungedystopie, „Seven“-Horror und James-Bond-Action schlingert, auch darüber muss man hinwegsehen (wollen). Von der fehlenden Chemie zwischen Robert Pattison und Zoë Kravitz ganz zu schweigen: Selten wirkte eine Kusszene so pflichtschuldig. Meckerblock Ende.

Im Gegensatz zu anderen MCU oder DC-Filmen haben sich die Drehbuchautoren diesmal eine richtige Story ausgedacht. So ist „The Batman“ mehr finstere Detektivgeschichte als hirnloser, computergenerierter Sommerblockbuster. Der Riddler ist auf Rachefeldzug in Gotham City und tötet sich munter durch die städtische Politik- und Polizeiszene. Immer wieder hinterlässt er Grußkarten mit kryptischen Botschaften, die auf das nächste Opfer hinweisen. Zum Glück vermag Batman die Rätsel schneller zu lösen, als Catwoman miau sagen kann. Matt Reeves kaut dankenswerterweise nicht schon wieder die Originstory Batmans durch, sondern fokussiert sich auf dessen Wandlung vom Rächer zum Menschenfreund.

Und sonst? Vorher noch mal aufs Klo gehen, der Film ist fast 3 Stunden lang. Robert Pattison macht seine Sache als brooding Antihero mit vampirhafter Blässe gut – Just staying in character, schließlich gehört eine Fledermaus ja auch zur Gattung der Blutsauger. Die große Überraschung dann im Abspann: Colin Farrell spielt den Pinguin. Kompliment an die Maskenbildner – so unkenntlich, das hätte auch Florian Silbereisen sein können. Die Special-Effects sind State of the Art und halten sich zum Glück halbwegs an physikalische Gesetzte. Alles wirkt überzeugend handgemacht. Sieht gut aus, klingt auch gut: Michael Giacchino setzt bei seinem Soundtrack auf die große Überwältigung, Hans Zimmer lässt grüßen. Vor allem das Catwoman-Thema erinnert stark an einen Bond-Score.

„The Batman“ hat nicht die genreverändernde Kraft der Nolan-Filme. Allerdings liegt die Latte nach dessen Trilogie (bis auf den letzten Teil) sehr hoch und es darf berechtigterweise gefragt werden, ob die Zeit nach dem müden Ben Affleck-Auftritt wirklich schon wieder reif für einen weiteren Fledermausmann ist. Die Aussage des Regisseurs, sein Film sei eine vom DCU entkoppelte, eigenständige Geschichte (ähnlich wie „The Joker“) wird am Ende Lügen gestraft: Im berüchtigten Arkham Asylum lauert schon der nächste Bösewicht. Fortsetzung garantiert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Th Batman“
USA 2022
176 min
Regie Matt Reeves

alle Bilder © Warner Bros. Entertainment Inc.

KING RICHARD

KING RICHARD

Kinostart 24. Februar 2022

„Das gefährlichste Lebewesen auf Erden ist eine Frau, die ihren Verstand einsetzt.“
Richard Williams weiß, dass seine Töchter kluge Mädchen sind und er hat einen Plan: Mit viel Liebe, hartem Training und unkonventionellen Methoden will er Venus und Serena zu Weltklasse-Tennisspielerinnen aufbauen.

Doch die nicht nur kleidungstechnisch sehr weiße Sportart empfängt den Vater aus dem Getto lange Zeit mit verschränkten Armen. Immer wieder weisen ihn potenzielle Trainer und Förderer ab: eine Karriere im Tennis braucht den richtigen Background – also Geld, Herkunft und Verbindungen.

Venus und Serena Williams: Beide belegten Platz 1 der Weltrangliste, beide gewannen unzählige Titel im Einzel und Doppel. Der interessante Twist: „King Richard“ rückt den (un)-berühmten Vater der übererfolgreichen Tennisspielerinnen in den Mittelpunkt seiner Geschichte. Statt einer naheliegenden, klassischen Biografie, die die Karriere-Stationen der Schwestern artig abhandelt, erzählt Regisseur Green das Heldenepos vom Vater, der trotz aller Widrigkeiten niemals aufgibt. Unklar, ob das in Wirklichkeit so glorreich abgelaufen ist oder Richard Williams nicht auch seine eigenen Eitelkeiten bedient hat. Venus und Serena Williams sind Mit-Produzentinnen – könnte schon sein, dass da ein paar Kanten glatt geschliffen wurden und einiges idealisiert dargestellt wird.

Wie bei einem Film über den Aufstieg zweier Tennisstars nicht anders zu erwarten, gibt es jede Menge Szenen auf dem Platz. Auch wenn das für sich genommen spannend ist (wenigstens für Tennisfans) sind ausgerechnet dies die uninteressantesten Momente des Films. „King Richard“ ist ein Schauspielerfilm: Will Smith ist in Bestform, spielt auf dem Niveau seiner oscarnominierten Leistungen in „Das Streben nach Glück“ und „Ali“. Neben ihm eine Reihe ausgezeichneter Newcomer, allen voran Saniyya Sidney als Venus und Demi Singleton als Serena.

„King Richard“ ist ein fesselndes, gut gemachtes Drama mit erstklassiger Besetzung. Sehenswert, auch wenn man Tennis nichts abgewinnen kann.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „King Richard“
USA 2022
140 min
Regie Reinaldo Marcus Green

alle Bilder © Telepool

BELFAST

BELFAST

Kinostart 24. Februar 2022

Es gab Zeiten, da galt es als erstrebenswert, von der Hollywood Foreign Press Association (kurz: HFPA) einen Golden Globe verliehen zu bekommen. Damit ist es vorbei. Vor gut einem Jahr deckte ein Artikel der LA-Times das bis ins Mark korrupte System hinter der Organisation auf. Am schwersten wiegt der Vorwurf, unter den 87 Mitgliedern gebe es keine einzige Person of Color. Huch. Das war bis dahin niemandem aufgefallen.

Die HFPA vergibt ihre Awards vorzugsweise an Studios, die sich die Gunst der Journalisten mit luxuriösen Reisen zu Filmsets oder anderen großzügigen Geschenken erworben haben. Die verdeckte Bestechung war zwar allgemein bekannt, scherte aber bislang keinen. Absurditäten wie die Auszeichnung „Bester Film“ für das Florian Henckel von Donnersmarck-Debakel „The Tourist“ oder der „Beste Comedy“-Preis für das Ridley-Scott-Drama „Der Marsianer“ wurden als Schrulligkeit belächelt. Erst die Veröffentlichung des LA-Times-Artikels machten die Golden Globes igitt, plötzlich wollte keiner mehr mit dem korrupten Haufen in Verbindung gebracht werden. Superstar Tom Cruise gab seine Preise sogar empört zurück.

Und was hat das nun alles mit Kenneth Branaghs fabelhaftem, autobiografisch inspiriertem Film „Belfast“ zu tun? Nichts. Außer dass, gerade als man dachte, die Golden Globes seien auf immer gebrandmarkt, das produzierende Studio damit wirbt, „Belfast“ habe den Golden Globe für das beste Drehbuch gewonnen. So viel zur Halbwertszeit von Skandalen.

Damit niemand sagen kann, Framerate sei zu geschwätzig, hier eine kurze, knappe Lobhudelei: Die Geschichte vom neunjährigen Buddy und seiner Familie im nordirischen Bürgerkrieg ist spannend, berührend, humorvoll, wunderschön fotografiert und hervorragend besetzt. Besonders Newcomer Jude Hill ist ein echtes Naturtalent. Ganz ausgezeichnet auch der Rest des Ensembles: Judi Dench wurde gerade für den Oscar nominiert, eine Ehre, die auch Caitríona Balfe für ihre Darstellung verdient hätte. Jamie Dornan kann charmanter Familienvater, Serienmörder (The Fall) und Sado-Maso-Lover (50 Shades of Grey) – warum nicht auch 007?

Man könnte „Belfast“ als Wohlfühlfilm abstempeln, und es gibt Momente, in denen hätte ein wenig mehr dramatische Tiefe nicht geschadet. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau: Branagh ist mit der richtigen Mischung aus Nostalgie, Wärme und Komik eine sehr persönliche Liebeserklärung an seine Heimatstadt gelungen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Belfast“
GB 2021
98 min
Regie Kenneth Branagh

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

BERLINALE 2022 – FINALE

BERLINALE 2022 – FINALE

WETTBEWERB

LEONORA ADDIO

2/5

Da geht man ins Kino, weiß nichts über das, was man gleich zu sehen bekommt und denkt nach kurzer Zeit: Das wirkt wie ein Film von einem sehr alten Mann gemacht. Und siehe da: Regisseur Paolo Taviani zählt schon 90 Jahre. Aber schützt Alter vor Kritik?

„Leonora Addio“ erzählt zwei Geschichten: Die erste handelt von Luigi Pirandellos Asche und ihrer Reise. Der berühmte Schriftsteller wurde 1936 in Rom kremiert und beigesetzt. Entgegen seinem letzten Willen, denn lieber wollte er in „einem rohen Felsen“ auf Sizilien seine letzte Ruhe finden. Und so beginnt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die abenteuerliche Fahrt einer Urne quer durch Italien. „Leonora Addio“ ist schon fast vorbei, da folgt noch die Verfilmung von Pirandellos Kurzgeschichte Il chiodo (dt.: „Der Nagel“). Darin tötet ein italienischer Junge in New York ein kleines Mädchen mit einem Nagel.

„Leonora Addio“ ist ein überinszenierter, in Kunst erstarrter Film. Die Schauspieler scheinen vom Regisseur jeden Lidschlag vorgeschrieben bekommen zu haben, so unnatürlich steif wirkt das oft. Der Wettbewerbsbeitrag sieht gut aus, aber seine beiden Geschichten sind enttäuschend schwach. Was das alles soll, erschließt sich bis zum Ende nicht.

Italien 2021
90 min
Regie Paolo Taviani

WETTBEWERB

THE NOVELIST'S FILM

2.5/5

Zufallsbegegnungen – der Film. Die Schriftstellerin Jun-hee besucht die Buchhandlung einer früheren Freundin, zu der sie den Kontakt verloren hatte. Bei einem Ausflug trifft sie einen Filmregisseur, der einmal eines ihrer Bücher verfilmen wollte. Später lernt sie bei einem Spaziergang im Park eine berühmte Schauspielerin kennen und schlägt ihr ein gemeinsames Kurzfilmprojekt vor. Nach einem Mittagessen kehren Jun-hee und die Schauspielerin in den Buchladen zurück. Oder wie es einer der Protagonisten sagt: „Eine Geschichte ohne Story ist keine Geschichte“

So spannend wie das klingt, ist es auch. Es passiert nicht viel in „The Novelist’s Film“. Hong Sang-soos Inszenierungsstil könnte man als „spontan“ bezeichnen, der Film wirkt wie beiläufig mitgedreht. In sehr langen Einstellungen wird sehr viel geredet. Manchmal ist das sogar einigermaßen amüsant. Nach zwei Silbernen Bären (2020 „The Woman Who Ran“ und 2021 „Introduction“) ist der neue Film des koreanischen Regisseurs eher eine federleichte Fingerübung.

Originaltitel „So-seol-ga-ui yeong-hwa“
Republik Korea 2021
92 min
Regie Hong Sang-soo

DIE GEWINNER 2022

BERLINALE 2022 – TAG 5

BERLINALE 2022 – TAG 5

Nach einer kleinen Arbeitsunterbrechung (und wo könnte man die besser verbringen als im wunderschönen Hannover?) gibt es heute und morgen noch einen Nachschlag Berlinale 2022.

WETTBEWERB

DRII WINTER

4/5

Marco ist ein eisteetrinkender Flachländer, Anna eine alleinerziehende Mutter vom Dorf. Dass die beiden zusammenpassen, daran gibt es große Zweifel. Und trotzdem. Marco wird bald der „Daddy“ von Annas Tochter Julia. Ein kleines Familienglück. Doch dann wird bei dem bulligen Stoiker ein Hirntumor diagnostiziert und alles gerät aus den Fugen. 
Was haben ein Alpenfilm aus der Schweiz und eine griechische Tragödie gemeinsam? In beiden wird das Drama von einem Chor kommentiert. Klingt wie ein Fremdkörper, funktioniert aber überraschend gut. „Drii Winter“ wurde mit Laiendarstellern gedreht. Michael Koch nimmt sich für seine atmosphärische Liebesgeschichte in den Bergen reichlich Zeit. Mit 136 Minuten etwas zu lang geraten und zwischendurch auch recht schweizerisch gemächlich erzählt. Einen Bären bekam der Kritikerfavorit nicht, aber immerhin eine „lobende Erwähnung“ der Jury.

Originaltitel „Drii Winter“
Schweiz / Deutschland 2022
136 min
Regie Michael Koch

WETTBEWERB

ONE YEAR, ONE NIGHT

3.5/5

Der Morgen des 14. Novembers 2015: Ramón Gonzalez bekommt keine Luft, hat Panikattacken. Etwas Schreckliches ist am Abend zuvor passiert: Er und seine Freundin Céline waren im Bataclan und haben nur mit großem Glück den Terroranschlag überlebt.
„Un año, una noche“ erzählt, wie Ramón und Céline nach dem Blutbad versuchen, zurück ins „normale“ Leben zu finden. Geht das überhaupt? Während sich Céline wieder in ihren Alltag stürzt, steckt Ramón in der Vergangenheit fest.
Der bewegende, intime Film von Isaki Lacuesta ist eine bittersüße Meditation über die Auswirkungen eines Traumas und den Wunsch, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Originaltitel „Un año, una noche“
Spanien / Frankreich 2021
130 min
Regie Isaki Lacuesta

PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO

ECHO

1.5/5

Das käme wohl dabei heraus, wenn der Volkshochschulkurs Video einen Piloten für das ARD-Regionalprogramm drehen würde. Die durch ein Bombenattentat in Afghanistan traumatisierte Polizistin Saskia Harder wird in die friedländische Provinz versetzt. Dort nimmt sie die Ermittlungen um die Identität einer Moorleiche auf…
Der Inhalt liest sich weitaus interessanter, als es das Ergebnis ist: Unbeholfen und unfreiwillig komisch.

Deutschland 2022
98 min
Regie Mareike Wegener

NOCH EINMAL, JUNE

NOCH EINMAL, JUNE

Kinostart 17. Februar 2022

Merken Sie sich: Apfel, Ball, Baum.
Wenige Sekunden später hat June die drei Worte schon wieder vergessen. Ihre Familie erkennt sie seit fünf Jahren nicht mehr. Doch eines schönen Morgens geschieht ein Wunder: June wacht auf und ist ganz die Alte. Sie muss erfahren, dass sie nach einem Schlaganfall dement wurde und nun in einem Pflegeheim lebt. Die neue Klarheit ist allerdings nicht von Dauer, die Ärzte vermuten, es sei nur eine Frage von Stunden, bis June wieder ins geistige Dunkel driftet. Also keine Zeit verlieren, die resolute Frau tritt vehement zurück ins Leben und erfährt, dass die Dinge in ihrer Abwesenheit „nicht nach Plan gelaufen sind“. Sie macht sich umgehend daran, ihre verkorkste Familie in die Spur zu bringen. Doch von der Rückkehr der übergriffigen Mutter sind ihre erwachsenen Kinder Ginny und Devon alles andere als begeistert.

So könnte es sein, wenn ein Toter aufersteht. Überraschung, Freude, Frust. Gerade hatten sich alle mit dem Verlust arrangiert, da werden die alten Wunden wieder aufgerissen. Schon nach einem halben Tag fragt die Tochter: „Weißt Du, was ich in den letzten 5 Jahren am meisten genossen habe? Nicht jeden Tag daran erinnert zu werden, was für eine fucking Enttäuschung ich für Dich bin.“ Autsch.

Und noch ein Demenzfilm. Nach dem grandiosen Oscargewinner „The Father“ kommt diese australische Drama-Komödie in die Kinos. Dass „Noch einmal, June“ keine Symphonie in Kitsch wurde, ist der zurückhaltenden Regie von JJ Winlove und seinen Schauspielern zu verdanken.

Winlove vermeidet weitgehend klebrige Gefühlszuckerwatte, die Geschichte bleibt wohltuend einfach und geradlinig. Der Regisseur tut gut daran, den Film vertrauensvoll in die Hände seiner Hauptdarstellerin zu legen. Die fabelhafte Noni Hazlehurst spielt June nicht nur verletzlich und bemitleidenswert, sie lässt auch immer wieder den alten Drachen durchblitzen, der seine Familie jahrelang tyrannisiert hat.

FAZIT

„Noch einmal, June“ – ein kleiner, bewegender Film mit Herz und Humor.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „June again“
Australien 2021
99 min
Regie JJ Winlove

alle Bilder © Happy Entertainment

UNCHARTED

UNCHARTED

Kinostart 17. Februar 2022

Es gibt gute Quatschfilme und es gibt weniger gute Quatschfilme. „Uncharted“ gehört zur letzteren Kategorie. Man kann es sich geradezu vorstellen, wie die 12-jährigen Drehbuchautoren bei einer Tasse heißen Kakaos im Kinderzimmer sitzen und sich die hanebüchene Geschichte ausdenken. Bei der Plünderung des „Best of Abenteuerfilms“ wird gecopy-pasted was das Zeug hält. Wie bei den Spätwerken der „The Fast and the Furious“-Reihe spielen physikalische Gesetzte und erzählerische Wahrscheinlichkeiten dabei keine Rolle.

Von der Verfilmung eines Videospiels darf und soll man sich nichts erwarten, so die in vielen Jahren gelernte Regel. Ohne große Erwartungen sind dann wohl auch die Schauspieler in dieses Projekt gegangen: Mark Wahlberg merkt man die Unlust jedenfalls deutlich an. Auch die weiblichen Figuren (eine Bösewichtin und eine überflüssige Mit-Schatzsucherin) bleiben den ganzen Film über blutleeres Beiwerk. Retten muss es also (wieder mal) Spiderman: Tom Holland scheint der einzige zu sein, dem die kunterbunte Kirmesfahrt Spaß macht und der seinen ihm zur Verfügung stehenden Charme plus gestählten Oberkörper zum Einsatz bringt.

Hirn aus, Augen auf: Die Schauwerte sind enorm. Gleich zu Beginn wird der Held von einem roten Sportwagen angefahren. Nicht auf der Straße, sondern an der geöffneten Ladeluke eines Transportflugzeugs. Der daraus resultierende fallschirmlose Sturz ist der Auftakt für eine Reihe immer absurder werdender Actionszenen. Bei der Jagd nach einem legendären Goldschatz aus dem 16. Jahrhundert führt die Reise von Amerika durch spanische Katakomben bis in die Südsee. Natürlich – die analogen Jahre sind vorbei – ist in diesem Film nichts echt, sieht aber wenigstens halbwegs echt aus. Dem Fortschritt in der Erstellung computergenerierter Welten sei Dank. Nur wenn diese Welten jede Bodenhaftung verlieren und sich irgendwann zwei riesige Segelschiffe an Ketten hängend von zwei Helikoptern getragen, fliegend durch die Lüfte jagen und auf den Schiffsdecks währenddessen Faust- und Schwertkämpfe stattfinden, dann ist das nur noch gaga.

FAZIT

Doof, aber unterhaltsam.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Uncharted“
USA 2022
115 min
Regie Ruben Fleischer

alle Bilder © Sony Pictures Germany

BERLINALE 2022 – TAG 4

BERLINALE 2022 – TAG 4

Die alte philosophische Frage: Wenn ein Baum im Wald fällt und niemand ist da, um es zu hören, macht der Baum dann ein Geräusch? Oder anders gefragt: Wenn die Berlinale seit ein paar Tagen läuft und fast keiner ist da, findet sie dann trotzdem statt? Selten gab es ein leereres Festival. In den Kinos verteilt es sich vielleicht deshalb so gut, weil die Filme gleichzeitig auf bis zu 9 Screens gezeigt werden. Aber auch draußen ist wenig los. Die Schlangen vor den Testbussen: überschaubar. Der Andrang am Kimchistand: nicht der Rede wert. Die Mall nebenan ist sowieso seit gefühlt 5 Jahren wegen Umbaus geschlossen. Zum Glück hat man vor lauter Ausweise und Testbändchen vorzeigen eh keine Zeit für irgendwas. Also schnell zurück ins Dunkel…

BERLINALE SPECIAL GALA

DER PASSFÄLSCHER

3.5/5

Eine Frage an den künstlerischen Leiter der Berlinale: Lieber Carlo Chatrian, sind Filme, wie zum Beispiel „Beautiful Beings“ oder „Der Passfälscher“ zu gut, um es in den Wettbewerb zu schaffen? Stattdessen mediokre Kost („Call Jane“) oder quälende Kunst („Everything will be ok“). Schon im vergangenen Jahr folgte das Wettbewerbsprogramm mehr dem Kopf und weniger dem Herzen.

Das kann man Cioma Schönhaus dagegen nicht vorhalten: Der junge Mann ist ein wahrer Herzensmensch und läuft mit bester Laune durchs Leben. Obwohl er als Jude in Nazideutschland allen Grund zur Verzweiflung hätte. Vom 3. Reich lässt er sich die Laune nicht verderben. „Der Passfälscher“ erzählt die wahre Geschichte vom – der Titel legt es nahe – Dokumentenfälscher Cioma, der dank seiner Fähigkeiten wiederholt der Gestapo entkommt und gerade noch rechtzeitig den Nazis in die Schweiz entfliehen kann.

Mit ausgezeichneter Besetzung (Luna Wedler, Louis Hofmann und Jonathan Berlin) hat Regisseurin Maggie Peren einen oft vergnüglichen, im besten Sinne leichten Film über Chuzpe und Hoffnung in düsteren Zeiten gedreht. Nicht die Neuerfindung des Kinos, aber sehenswert.

Deutschland / Luxemburg 2022
116 min
Regie Maggie Peren

WETTBEWERB

THE PASSANGERS OF THE NIGHT

3/5

Das können nur die Franzosen: Die große Beiläufigkeit als Film. „Les passagers de la nuit“ ist wie das Leben, Menschen kommen und gehen, es passiert etwas – als geübter Hollywood-Zuschauer erwartet man stets das Schlimmste – doch dann löst sich das Drama wieder ins Nichts. La vie continue.

Paris, 1981. Elisabeth (Charlotte Gainsbourg) wurde von ihrem Ehemann verlassen, sie und ihre Teenager-Kinder müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen.

Mikhaël Hers entwickelt aus seinem sensiblen Blick auf die 1980er-Jahre und die scheinbar alltäglichen Momente des Familienlebens eine Art cineastisches Tagebuch. Die Passagiere der Nacht verlangen zu Anfang ein wenig Geduld, doch man sollte sich auf den Rhythmus des poetischen Films einlassen, es lohnt sich.

Originaltitel „Les passagers de la nuit“
Frankreichn 2022
111 min
Regie Mikhaël Hers

WETTBEWERB

A E I O U - DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE

1.5/5

Die 60-jährige Schauspielerin Anna verliebt sich in ihren 17-jährigen Schüler Adrian. „Die Reifeprüfung“ lässt grüßen.

Niemand kann rational beweisen, dass ein bestimmtes Geschmacksempfinden das richtige ist: Dem einen gefällt Helene Fischer, der andere mag Toast Hawaii. Auf die Qualität des deutschen Wettbewerbsbeitrags „A E I O U“ kann man sich hingegen problemlos einigen: Der ist einfach schlecht, keine Frage. Oder? Abgesehen von einem wirren Drehbuch, das nur eine halbe Handvoll guter Momente hat, war wohl selten ein talentfreierer Jungschauspieler als Milan Herms in einer Hauptrolle zu sehen. Nö, das kann nicht mal Sophie Rois retten. Nach der Premiere gabs trotzdem tosenden Applaus. Vielleicht kann man sich über Geschmack ja doch streiten…

Deutschland / Frankreich 2022
104 min
Regie Nicolette Krebitz

GENERATION 14plus

MILLIE LIES LOW

2.5/5

Du liebe Zeit: Millie nimmt unfassbar viel Mühe auf sich, um zu verhindern, dass irgendwer von ihrer Panikattacke im Flugzeug erfährt. Genau deshalb musste sie kurz vor Start von Bord gehen. Aber statt Freunde und Familie zu informieren, sitzt sie nun mittel- und obdachlos in ihrer Heimatstadt Wellington fest, obwohl sie doch eigentlich auf dem Weg nach New York zu ihrem Edel-Praktikum sein sollte.

Regisseurin Michelle Savill erzählt in ihrem Debütfilm eine aberwitzige Geschichte, die bei genauerer Betrachtung ganz schön konstruiert wirkt. Warum Millie überhaupt lügt, erschließt sich auch nach 100 Minuten nicht. Natürlich ist der Wunsch nachvollziehbar, heimlich das eigene Leben zu besuchen und zuzuhören, was die anderen über einen lästern, kaum dass man (vermeintlich) weg ist. Aber diese Drehbuchidee taugt inhaltlich eher für einen Kurzfilm.

Neuseeland 2021
100 min
Regie Michelle Savill

BERLINALE 2022 – TAG 3

BERLINALE 2022 – TAG 3

Die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist sauer auf Corona: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Pandemie unsere vielfältige Kultur kaputt macht!“ Blöder Virus, unsere schöne Kultur! Voll gemein. Eine Berlinale als Präsenzveranstaltung ist nicht unumstritten, denn dem Virus ist die Meinung einer Politikerin in der Regel egal. Daher ein Danke an die Veranstalter: das ist bis auf die anfangs holprige Sitzplatz-Zuteilung schon alles sehr gut organisiert und die halbleeren (oder halbvollen?) Kinos mit Maskenpflicht geben ein einigermaßen sicheres Gefühl. Sollte uns die Pandemie noch weiter erhalten bleiben, könnte man bei der neunten Welle im nächsten Jahr vielleicht über eine zusätzliche Online-Sichtung nachdenken, das würde die Besucherströme weiter entzerren.

Me talk pretty one day: Hier zur Erheiterung ein Auszug aus der Gewinnerliste 2021:

Babardeală cu bucluc sau porno balamuc
Guzen to sozo
Természetes fény
Rengeteg – mindenhol látlak
Inteurodeoksyeon

Echter Leserservice: in diesem Jahr gibt es die englischen Verleihtitel in der Überschrift.

WETTBEWERB

RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH

3.5/5

Wer oder was ist Rabiye Kurnaz? Rabiye Kurnaz ist eine Frau aus Bremen, die vor dem obersten Gerichtshof der USA die Vereinigten Staaten von Amerika verklagt hat. Sie wollte damit ihren Sohn aus Guantánamo befreien. Nach den Anschlägen von 9/11 und der damaligen politischen Stimmung im Land ein eigentlich aussichtsloses Unterfangen.

Eine wahre  Geschichte: Murat Kurnaz wurde ohne Anklage 5 Jahre lang in dem berüchtigten Gefangenenlager auf Kuba festgehalten. Dass er entlassen wurde, hat er seiner Mutter und vor allem dem Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke zu verdanken. Der mahnt bis heute an, dass sich die damals politisch Verantwortlichen von der rot-grünen Bundesregierung nie für ihre Versäumnisse entschuldigt oder Murat gar eine Entschädigung gezahlt haben.

Kann man ein so schweres Thema in eine Komödie verpacken? Zwischendurch setzt Regisseur Andreas Dresen zu sehr auf harmlosen Ulk. Das sei gewollt, denn der Film erzähle schließlich aus der Perspektive der Mutter. Und die scheint im wahren Leben einen ausgeprägten Sinn für Humor zu haben. Alexander Scheer stand zuletzt in „Gundermann“ für den Regisseur vor der Kamera. In „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ glänzt das Chamäleon unter Deutschlands Schauspielern nun als norddeutscher Menschenrechtsanwalt Docke (kurzer Phrasencheck: warum „glänzen“ Schauspieler eigentlich immer? Sind doch keine frisch geputzten Silberlöffel). Die Kölner Komödiantin und Moderatorin Meltem Kaptan geht mit viel Herz und emotionaler Intelligenz in ihrer Rolle als Muttertier auf. Gerüchteweise wird sie schon als Silberner-Bär-Kandidatin gehandelt…

Deutschland / Frankreich 2022
119 min
Regie Andreas Dresen

WETTBEWERB

CALL JANE

2.5/5

Joy ist schwanger. Doch etwas stimmt nicht. Immer wieder wird ihr schwindlig, verliert sie das Bewusstsein. Der Arzt rät zu einem Schwangerschaftsabbruch, da sonst Lebensgefahr bestehe. Das Problem: Ende der 60er-Jahre waren Abtreibungen in den USA verboten und der rein männlich besetzte Klinikvorstand lehnt den Eingriff ab. Die Lage scheint aussichtslos, bis Joy auf eine illegale Gruppe trifft, die Frauen dabei hilft, ungewollte Schwangerschaften zu beenden. Joy befreundet sich mit den „Janes“ und bietet sogar tatkräftige Unterstützung an.

Phyllis Nagy, die schon das Drehbuch zu Todd Haynes „Carol“ geschrieben hat, interessiert sich in ihrem Langfilm-Regiedebüt überraschend wenig für die aufkommende Frauen- und Hippiebewegung in den USA. Ihr – trotz des Themas – erstaunlich konventioneller Film fokussiert sich hauptsächlich auf die Frage: Finden Joys Ehemann und Tochter heraus, dass sich Mutti mit gesetzlosen neuen Freundinnen umgibt? „Call Jane“ ist solide gemachte, gut gespielte, aber letztendlich biedere US-Ware. Im Wettbewerb? Really?

USA 2022
121 min
Regie Phyllis Nagy

WETTBEWERB

RETURN TO DUST

2.5/5

So, jetzt beruhigen wir uns alle erst mal. Einatmen, ausatmen – ruuuuuhig. Jede Berlinale hat ihren Ooom-Film: 2022 heißt der „Yin Ru Chen Yan“

Die behinderte, inkontinente Guiying und der Bauer Ma werden in einer arrangierten Ehe zusammengeführt. Nach und nach finden sie ein gemeinsames Glück. Zur trauten Zweisamkeit gehört ein Haus. Und das bauen sie selbst. Und zwar komplett selbst: sie flechten die Dachabdeckung, mischen den Lehm für die handgemachten Ziegel, trocknen die Ziegel unter der Sonne, transportieren den Mörtel mithilfe ihres treuen Esels … und so weiter. Zeit spielt in Li Ruijuns 131-Minuten-Film nur eine untergeordnete Rolle.

Eine cineastische Entschleuinigung, die ganz nebenbei, ohne erhobenen Zeigefinger ernste Themen berührt.

Originaltitel „Yin Ru Chen Yan“
Volksrepublik China 2022
131 min
Regie Li Ruijun

GENERATION 14plus

GIRL PICTURE

4/5

Aus Finnland, dem Land mit der lustigen Sprache (Originaltitel: Tytöt tytöt tytöt), kommen oft erstaunlich gute Filme. So auch diese kleine Perle, die im Generation 14plus-Programm versteckt wird. Die wilde Mimmi verliebt sich in die schöne Eiskunstläuferin Emma. Und Rönkkö macht sich mit verschiedenen Jungs auf die Suche nach ihrem G-Punkt.
Unverkrampft erzählte Coming-of-Age-Geschichte über Freundschaft, Sex und Liebe. Kiva elokuva.

Originaltitel „Tytöt tytöt tytöt“
Finnland 2022
101 min
Regie Alli Haapasalo

BERLINALE 2022 – TAG 2

BERLINALE 2022 – TAG 2

Ach nö! Der perfekte Plan geht doch nicht auf. Für die Pressescreenings braucht es neben Boosterimpfung einen negativen Coronatest. Da die erste Vorstellung bereits zu unmenschlich früher Stunde stattfindet (9 Uhr!!), entstand die geniale Idee, sich abends, NACH dem letzten Film, also um 23 Uhr testen zu lassen, um dann am nächsten Morgen mit Negativbescheid ins Kino zu spazieren. Vorbei, denn ab sofort gilt: Es muss ein tagesaktueller Test vorliegen. 🙄 Naja, wenn es der Sicherheit dient… 

Nachtrag zum wütenden Aktivisten von gestern: Der hatte heute einen weiteren Auftritt im Berlinale Palast, man solle „der Festivalleitung schreiben und seinen Unmut über die automatisch zugewiesenen Plätze“ kundtun. Doch die Stimmung hat sich gedreht. Buhrufe aus dem Publikum. Eine Journalistin aus Reihe 12 ruft: „Even if they hang us from the ceiling to watch the films, you should be thankful to even be here!“

WETTBEWERB

BOTH SIDES OF THE BLADE

2.5/5

Sara und Jean sind glücklich. Verliebt wie am ersten Tag. Doch eines Tages tritt François in das perfekte Leben der beiden. Sara war früher mit François zusammen, Jean ist sein ehemals bester Freund. Eine komplizierte Verwirrung der Gefühle beginnt.

Szenen einer Ehe die Hundertste. Das komplizierte Beziehungsleben erwachsener Großstädter wurde in der Geschichte des Kinos schon oft erzählt. Claire Denis französisches Drama hat dem nicht viel Neues beizufügen. Sehenswert sind die Streitereien und Liebkosungen dank der fabelhaften Darsteller: Juliette Binoche und Vincent Lindon spielen mit großem Können die ganze Klaviatur der Emotionen.

Oroginaltitel „Avec amour et acharnement“
Frankreich 2021
116 min
Regie Claire Denis

WETTBEWERB

EVERYTHING WILL BE OK

1.5/5

Charlton Heston brauchte seinerzeit noch etwas länger, bis er am Ende vom „Planet der Affen“ begriff, dass er sich die ganze Zeit auf der Erde befunden hatte. In Rithy Panhs Figurenfilm „Everything will be ok“ ist von Anfang an klar: Die Tiere haben die Macht übernommen. Endlich, möchte man sagen. Was kann schon schiefgehen, wenn milde Lämmer und sanfte Schweine die Zukunft der Erde bestimmen? Jede Menge! Denn die Tiere haben in Geschichte nicht aufgepasst und begehen die gleichen Fehler wie die Menschen.

Wo hört Kino auf und wo fängt ein Diavortrag an? „Everything will be ok“ ist (leider) kein Animationsfilm, sondern ein Abschwenken von Szenenbildern bzw. „Dioramen“. Unbewegte Holzfiguren starren auf Bildschirme, die ein Best of menschlicher Gräueltaten zeigen. Ist das nun lazy filmmaking oder eine neue Kunstform? Im Museum würden die erstarrten Figuren die Aufmerksamkeit des Betrachters für ungefähr 5 Minuten halten, im Kino auf 98 Minuten gedehnt ist die Qual groß.

Frankreich / Kambodscha 2021
98 min
Regie Rithy Panh

WETTBEWERB

THE LINE

3/5

Diesmal ist Margaret zu weit gegangen. Nachdem sie ihrer Mutter ins Gesicht geschlagen hat, wird sie zu einem mehrmonatigen Kontaktverbot verurteilt. Der 100-Meter-Bannkreis, von der kleinen Schwester Margarets mit blauer Farbe um das Haus der Mutter gemalt, ist die titelgebende Linie, die nicht überschritten werden darf. Doch der erzwungene Abstand lässt in Margart die Sehnsucht nach ihrer Familie nur wachsen.

Für die Eröffnungsszene, in der eine in Zeitlupe gefilmte Margaret vollkommen außer sich wie ein wildes Tier um sich schlägt und die Einrichtung des mütterlichen Wohnzimmers zerlegt, hat der Film 5 Sterne verdient. Nach und nach deckt Regisseurin Ursula Meier die Schichten der seelischen Grausamkeit auf. Mutter Christina entpuppt sich als egozentrisches Scheusal, labil und infantiler als ihre 12-jährige Tochter. Die Wut der ältesten Tochter Margaret kommt also nicht von ungefähr, doch fällt es schwer, Sympathien zu entwickeln. Denn sowohl die Mutter als auch ihre drei Töchter sind wenig liebenswerte Wesen.
Lustspiel oder Drama? „La ligne“ wechselt immer wieder die Stimmung und springt ohne Vorwarnung zwischen Komödie und Tragödie hin und her. Großartiger als der Film: Valeria Bruni Tedeschi und Stéphanie Blanchoud als in tiefer Hassliebe verbundenes Mutter-Tochter-Gespann.

Originaltitel „La ligne“
Schweiz / Frankreich / Belgien 2022
101 min
Regie Ursula Meier

BERLINALE SPECIAL GALA

GOOD LUCK TO YOU, LEO GRANDE

4/5

Peter Rühmkorf dichtete 1971 auf der legendären Kinderplatte Warum ist die Banane krumm?: „Licht aus, Licht aus, Mutter zieht sich nackend aus, Vater holt den Dicken raus, einmal rein, einmal raus, fertig ist der kleine Klaus.“ Das dürfte Nancy Stokes aus der Seele sprechen. Die Lehrerin im Ruhestand hatte mit ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann nur stinklangweiligen Blümchensex. Einen Orgasmus hatte sie dabei nie. Beziehungsweise hatte sie überhaupt noch nie einen. Das soll sich jetzt mithilfe des jungen Sexarbeiters Leo Grande ändern.

Manchmal kann der intellektuelle Kunst-Overkill der Berlinale auch anstrengend sein. Wie gut, dass sich in den Nebenprogrammen immer wieder Erfrischungen verstecken, die auch das etwas mainstreamigere Filmherz erfreuen. Sophie Hydes Film schafft mit Leichtigkeit, was Karoline Herfurth gerade mit ihrem Klischeefest „Wunderschön“ versucht hat: eine lockere, komische, berührende und gleichzeitig ernste Auseinandersetzung mit der eigenen Körperlichkeit und missverstandenem Beautywahn.

Applaus für die Darsteller: Daryl McCormack spielt den niedlichen Sexworker mit jeder Menge lässigem Charme und Emma Thompson (sowieso immer gut) präsentiert sich am Ende des Films selbstbewusst ganz ohne Filter full frontal. Ein durchweg befriedigender Film.

GB 2022
97 min
Regie Sophie Hyde

BERLINALE 2022 – TAG 1

BERLINALE 2022 – TAG 1

Dieses Jahr wird das Leben wild und gefährlich, denn die Berlinale findet wieder live in den Kinos statt. Die eigentlich geniale Aufteilung von digitalem Event für die Filmindustrie und Outdoor-Sommerfestspielen für das Publikum war eine einmalige Sache, nun heißt es: geimpft, geboostert, getestet plus Maske und halbe Besetzung: 2G+++.

Noch bevor es richtig losgeht, hat die Berlinale ihr erstes Skandälchen: Das neue System verlangt, auch Presse-Akkreditierte müssen sich vorher online Platzkarten sichern. Die Sitze im Kinosaal werden vom System per Zufall vergeben, und dass Computer nicht besonders schlau sind, ist bekannt. So kommt es, dass die hinteren Reihen A bis F gut gefüllt sind, während die restlichen 14 Reihen nach vorne komplett leer bleiben. Grotesk. Vor Beginn des Eröffnungsfilms erhebt sich plötzlich ein Zuschauer und ruft wutentbrannt: „This is crazy! Don’t let them treat you like this! Ignore the rules! Choose your own seat! There is nothing they can do if we all stick together. Let’s fight this!“ Außer einer jungen Frau, die Bravo rufend nach vorne stolpert, bewegt sich niemand von seinem Platz. Denn es droht der Saalverweis. Kein Thursday for Future. Aber recht hat der tapfere Demonstrant natürlich (scheinbar hatte er in Cannes schon einen ähnlichen Auftritt), leider bellt er den falschen Baum an. Vielleicht sollte er lieber bei der Festivalleitung zur Revolution aufrufen…

WETTBEWERB

PETER VON KANT

3.5/5

François Ozon liebt Rainer Werner Fassbinder. Nach der kongenialen Verfilmung des Fassbinder-Theaterstücks „Tropfen auf heiße Steine“ (2000) feiert nun sein Remake des 1972 entstandenen Films „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ Premiere in Berlin.

Peter von Kant, ein erfolgreicher Filmregisseur, ist ein echtes Scheusal. Seinen stummen Diener und Assistenten Karl behandelt er wie Dreck. Eines Tages lernt er den jungen Amir kennen. Peter verliebt sich unsterblich in den sexy 24-Jährigen. Er will Amir eine Karriere im Filmgeschäft ermöglichen, lädt ihn ein, bei sich zu wohnen. Neun Monate später ist aus dem schüchternen Jungen ein manipulativer, launischer Star geworden, der sich bald darauf von Peter trennt. 

Das lieb gewonnene Vorurteil, Eröffnungsfilme der Berlinale wären immer schlecht, wird dieses Jahr nicht bestätigt: „Peter von Kant“ ist ein echter Ozon – stilsicher, artifiziell und ungewöhnlich. Anders als in Fassbinders Film ist hier die Titelrolle männlich besetzt. Das beschert der Geschichte vom cholerischen Filmregisseur eine neue Ebene, denn Peter von Kant ist ganz offensichtlich dem echten Fassbinder nachempfunden. Die Titelrolle spielt Denis Ménochet, der bereits zweimal für Ozon vor der Kamera stand. Der Eröffnungsfilm ist ein etwas zu wortreiches (weniger euphemistisch: geschwätziges) aber ausgezeichnet gespieltes Kammerspiel.

Frankreich 2021
84 min
Regie François Ozon

WETTBEWERB

RIMINI

3/5

Rex Gildo und Werner Böhm können davon ein Lied singen: Wenn sich Schlagerstars nicht gerade totsaufen oder aus Badezimmerfenstern springen, dann enden sie entweder im Möbelmarkt oder am Ballermann. Nicht viel besser ist das Schicksal von Richie Bravo, der verdient sein Geld in Rimini.

Die besten Jahre liegen hinter ihm – das Jackett passt nur noch mit Mieder und sein Repertoire gibt er mittlerweile in Hotelhallen zum Besten. Doch Richie weiß, was Fans (und Frauen) wünschen: viel öligen Charme und noch mehr körperliche Zuwendung. Eines Tages steht seine erwachsene Tochter vor ihm und verlangt Geld, denn Papa hat sich seit 18 Jahren nicht gemeldet, geschweige denn Unterhalt gezahlt.

Was ist der Superlativ von deprimierend? Rimini im Winter. Eine Stimmung, die der österreichische Film von Ulrich Seidl perfekt einfängt. Trauriger Ort, trauriger Typ: Richie Bravo ist ein Wrack, er säuft und raucht Kette. Von den bemitleidenswerten Auftritten vor greisem Publikum wechselt die Geschichte immer wieder zu wenig erbaulichen Sexszenen mit Richie und älteren Damen. Fanservice der besonderen Art. Daneben erzählt der Regisseur die Geschichte von Richies dementem Vater, der in einem Pflegeheim dahinvegetiert und alte Nazilieder singt. Tragisch und lustig zugleich.

Österreich / Frankreich / Deutschland 2022
114 min
Regie Ulrich Seidl

BERLINALE SPECIAL GALA

INCREDIBLE BUT TRUE

2/5

Unglaublich, aber wahr: Im Keller von Maries und Alans Haus verbirgt sich etwas Rätselhaftes. Wenn man doch nur darüber reden könnte! Doch Marie will das Geheimnis für sich behalten, besonders vor Alans Chef. Der hat sich in Japan einen iPenis einpflanzen lassen. Klingt seltsam? Ist es auch.

In der Fernsehserie „Black Mirror“ würde Quentin Dupieuxs satirische Zeitreisegeschichte nur als mittelmäßige Folge durchgehen. Achtung, SPOILER: Im Keller des Hauses befindet sich eine Luke zu einem Schacht. Steigt man den hinab, landet man wieder im Obergeschoss des Hauses. So weit, so seltsam. Klettert man dann wieder zurück, so sind 12 Stunden vergangen, gleichzeitig ist man aber 3 Tage jünger geworden. Marie beschließt, die skalpellfreie Verjüngungskur umfassend zu nutzen.

Bleibt die Frage: Was soll das? Als Satire auf den Beautywahn ist der Film nicht scharf genug, als Fantasygeschichte zu lahm und als Komödie zu unlustig. Ein paar Szenen funktionieren –  besonders zu Beginn, als der Makler dem Paar das Haus präsentiert und in höchster Umständlichkeit das Kellergeheimnis erklären will. Doch je länger die Geschichte läuft, desto uninteressanter wird sie. Zum Schluss gibt es einen minutenlangen Zusammenschnitt, dialoglos auf Musik, fast so, als hätten die Macher nicht mehr gewusst, was sie mit dem restlichen Material anfangen sollen. Trotz seiner kurzen 74 Minuten ist das unglaubliche, aber wahre Geheimnis vor allem gegen Ende erstaunlich zäh.

Originaltitel „Incroyable mais vrai“
Frankreich / Belgien 2021
74 min
Regie Quentin Dupieux

PANORAMA

BEAUTIFUL BEINGS

4/5

Für den 14-jährigen Balli läuft es denkbar schlecht: Er lebt in einem runtergekommenen Haus bei seiner drogenabhängigen Mutter, ein Auge wurde ihm „versehentlich“ vom Stiefvater weggeschossen, in der Schule wird er regelmäßig gemobbt. Kein schönes Leben. Als Balli die gleichaltrigen Addi, Konni und Siggi kennenlernt, entwickelt sich langsam eine Freundschaft zwischen den vier Jungs.

Der Film des isländischen Regisseurs wirkt wie eine zeitgemäße Interpretation von „Stand By Me“. Nur um einiges rougher und näher an der Wirklichkeit. Der Kontrast könnte nicht größer sein: Zu Hause dominieren die Väter, allesamt Looser – vom Trinker bis zum brutalen Schläger ist alles dabei. Auf der anderen Seite steht die oft (typisch pubertär) Grenzen austestende Freundschaft zwischen den Jungs, die immer wieder überraschend zärtliche Momente hat.
Regisseur Guðmundsson ist ein bewegendes, in stimmungsvollen Bildern gedrehtes Coming-Of-Age-Drama geglückt mit vier tollen Newcomern.

Originaltitel „Berdreymi“
Island / Dänemark / Schweden / Niederlande / Tschechische Republik 2022
123 min
Regie Guðmundur Arnar Guðmundsson

PANORAMA

NOBODY'S HERO

3.5/5

In französischen Clermont-Ferrand verliebt sich der ungelenke Médéric in Isadora, eine 50-jährige Prostituierte. Als das Städtchen Schauplatz eines Terroranschlags wird, flüchtet sich der junge Obdachlose Selim in Médérics Gebäude und löst damit eine kollektive Paranoia unter den Hausbewohnern aus. Ist das der gesuchte Islamist? Médéric ist hin- und hergerissen zwischen seinem Mitgefühl für Selim und dem Wunsch, die Affäre mit Isadora fortzusetzen.
Figuren, Konstruktion und Stimmung erinnern an einen Roman von Michel Houellebecq. Eine Geschichte, wie aus dem Leben: so grotesk, dass sie sehr wahrscheinlich ist.

Originaltitel „Viens je t’emmène“
Frankreich 2022

100 min
Regie Aliaksei Paluyan

WAS GESCHAH MIT BUS 670?

WAS GESCHAH MIT BUS 670?

Kinostart 10. Februar 2022

„Verschwunden am gefährlichsten Ort der Welt: Der Todeszone Nord-Mexikos“
Obwohl das Kinoplakat den Leibhaftigen zeigt und der deutsche Titel ein bisschen reißerisch klingt: Nein, „Was geschah mit Bus 670?“ ist kein RTL-Mystery-Thriller.

Wegen eines Jobs will Jesús mit einem Freund die Grenze zwischen Mexiko und den USA überqueren. Zwei Monate später wird die Leiche des Freundes gefunden – von Jesús fehlt bis auf seine in einem Massengrab gefundene Tasche jede Spur. Als die Mutter des Jungen, Magdalena, auf einer Polizeistation eine Vermisstenanzeige aufgeben will, drängt man sie, den Tod ihres Sohnes zu bestätigen. Der Fall soll möglichst schnell zu den Akten gelegt werden. Doch Magdalena ist überzeugt: Jesús lebt noch. Sie begibt sich auf eine Odyssee durch das mexikanische Grenzgebiet.

Beklemmend – so lässt sich der erste Spielfilm von Fernanda Valadez am ehesten beschreiben. Die Erzählweise der mexikanischen Regisseurin ist trotz des heftigen Themas zurückhaltend. Sie vermeidet in ihrer ungewöhnlichen Familiengeschichte jegliche Melodramatik. Lange Einstellungen – oft verharrt die Kamera minutenlang auf den Gesichtern – und poetische Naturaufnahmen machen „Was geschah mit Bus 670?“ zu einem visuell ungewöhnlichen, stellenweise experimentellen Arthouse-Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel “Sin señas particulares“
Mexiko / Spanien 2020
97 min
Regie Fernanda Valadez

alle Bilder © MFA+

THE SADNESS

THE SADNESS

Kinostart 03. Februar 2022

Die Welt wird von einer Pandemie beherrscht. Ernst nimmt das schon lange keiner mehr, die Warnungen der Wissenschaft werden ins Lächerliche gezogen. Nur ein harmloser Schnupfen, alles Panikmache. Was wie eine Ist-Beschreibung des Jahres 2022 klingt, ist die Prämisse für den taiwanesischen Horrorfilm „The Sadness“.

Ein Tag wie jeder andere in Taipeh. Kat macht sich auf den Weg ins Büro, während ihr Freund Jim auf seinem Motorroller ziellos durch die Stadt fährt. Als er gerade auf seinen Coffee to go wartet, schüttet plötzlich eine alte Frau dem Verkäufer siedend heißes Öl über den Kopf. In der Bahn muss sich Kat währenddessen gegen einen aufdringlichen Geschäftsmann wehren. Ein junger Mann mit Sonnenbrille betritt den Zug und beginnt wahllos mit dem Messer auf andere Fahrgäste einzustechen. Der gerade noch harmlose Virus ist mutiert, die neue Variante greift das Gehirn an, die Menschen werden verrückt. Kat kann dem Blutbad entkommen, doch der Wahnsinn breitet sich wie ein Lauffeuer aus und die Stadt versinkt in gewalttätigem Chaos.

„Der wohl brutalste Zombiefilm aller Zeiten“, heisst es auf dem Filmplakat. Doch mit Zombies haben die Infizierten (außer ihrem Appetit auf Menschenfleisch) wenig gemeinsam. Während Untote meist wie ausgeknipst durch die Gegend stolpern, sind hier die Menschen zu tollwütigen Bestien mutiert. Wenig untot ist dabei auch ihr unbändiger Sexdrang. Der Sinn steht ihnen nach Vergewaltigung, Folter und Mord. Wenn der Begriff vom „Torture Porn“ mal passt, dann hier. „The Sadness“ ist ein aggressiver, verstörender Schocker, der die Grenzen des Geschmacks bewusst überschreitet. Der Film zeigt den Zusammenbruch einer Gesellschaft in ihrer schlimmsten Form. Irritierend sind nicht nur die ultrabrutalen Blutbäder, sondern auch die rasende Geschwindigkeit, mit der das ganz normale Leben aus den Fugen gerät. Splatterfans dürften an diesem Genrefilm ihren Spaß haben.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ku bei“
Taiwan 2021
100 min
Regie Rob Jabbaz

alle Bilder © capelight pictures

BALLADE VON DER WEISSEN KUH

BALLADE VON DER WEISSEN KUH

Kinostart 03. Februar 2022

Der Makler macht der jungen Mutter wenig Hoffnung: Witwen, Hundebesitzer oder Junkies haben in Teheran keine Chance auf eine Wohnung. Für ihre Notlage kann die alleinerziehende Mina nichts, denn ihr Ehemann Babak wurde zu Unrecht verurteilt und hingerichtet. Wie ein guter Geist taucht da plötzlich Reza auf, der behauptet, Schulden bei Babak gehabt zu haben, die er jetzt begleichen möchte. Mina ahnt nicht, dass Reza ein Geheimnis vor ihr verbirgt.

Arthousekino aus dem Iran? Keine Angst, „Ballade von der weißen Kuh“ ist viel unterhaltsamer, als es der Inhalt vermuten lässt. Das hervorragend gespielte und ausgezeichnet inszenierte Drama behandelt ein Thema, so alt wie die Menschheit: Schuld und Sühne. Im Iran führte „Ghasideyeh gave sefid“ zu Kontroversen, denn er klagt nicht nur das dortige Justizsystem an, sondern thematisiert noch ein paar weitere Tabus wie Frauenfeindlichkeit und staatliche Unterdrückung. Hauptdarstellerin Maryam Moghaddam führte gemeinsam mit Behtash Sanaeeha die Regie bei diesem stillen und doch wuchtigen Film.

„Ballade von der weißen Kuh“ feierte letztes Jahr seine Weltpremiere bei der Berlinale.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ghasideyeh gave sefid“
Iran / Frankreich 2020
105 min
Regie Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha

alle Bilder © Weltkino Filmverleih GmbH