BERLINALE 2023 – TAG 3
Hair-Reinspaziert, Hairport, Vier Haareszeiten, Lockenvilla. Hat die deutsche Friseur-Innung eine großflächige Werbekampagne in Berlin gestartet? Nein, es ist das Plakat zur Berlinale 2023. Diesmal sollen die Zuschauer:innen im Mittelpunkt stehen, deshalb die eigenwilligen Zeichnungen von Menschen mit Frisuren. Im Kino trägt man Dauerwelle. Nächstes Jahr bitte wieder Plakate mit Bär.
WETTBEWERB
MANODROME
Ralphie wird demnächst Vater, aber sein Job als Uber-Fahrer (da freut sich der Berlinale-Sponsor) und seine persönliche Situation machen ihn nicht glücklich. Als er in einen seltsamen Männer-Club (oder sollte man sagen: Sekte?) aufgenommen wird, drängen unterdrückte Sehnsüchte an die Oberfläche und lassen Ralphie durchdrehen.
Aus der beliebten Berlinale-Sektion: What the Fuck? John Trengoves Film ist ein FIGHT CLUB für Arme. Oder ist das als Komödie gemeint? Immerhin sind die 95 Minuten über toxic masculinity at it’s best nicht langweilig und schön, Jesse Eisenberg mal außerhalb seiner Mark-Zuckerberg-Comfort-Zone spielen zu sehen.
GB / USA 2023
95 min
Regie John Trengove
Bild © Wyatt Garfield
PANORAMA
DRIFTER
Der 22-jährige Moritz (Lorenz Hochhuth) zieht nach Berlin, der Liebe wegen. Kurz darauf macht sein Freund mit ihm Schluss und Moritz macht das, was schwule Männer in der Großstadt so machen – er geht ins Fitnessstudio. Zu seinen neuen Muskeln gesellen sich bald Tattoos, die Haare werden abrasiert, das Netzhemd übergeworfen und ab gehts ins Nachtleben. Mit viel Drogen und noch mehr wechselnden Sexualpartnern wird Moritz am Ende zu „einem richtig schwulen Mann“, wie es eine Freundin erfreut feststellt. Handlungsarmer, aber stimmungsvoller Debütfilm von Hannes Hirsch.
Deutschland 2023
79 min
Regie Hannes Hirsch
Bild © Salzgeber
BERLINALE SPECIAL
SONNE UND BETON
Berlin, Sommer 2003: Lukas, Julius, Gino und Sanchez – vier Jungs, die jede Menge Scheiß bauen und denen jede Menge Scheiß widerfährt. Muss das sein, diese vulgäre Sprache? Ja, denn in Gropiusstadt aufzuwachsen ist nichts für Weicheier. Hier gilt: Der Klügere tritt nach. An Drogen und Schlägereien kommt keiner vorbei. Die Sprache ist so rau wie die vier minderjährigen Kleingangster, die dringend 500 € klar machen müssen, sonst gibts Schläge von den Arabern.
Digger-ich-schwöre-ich-zerficke-dir-dein-Gesicht. Die interessanteste Frage zu SONNE UND BETON: Haben Jugendliche in den Nuller-Jahren wirklich schon derart penetrant gediggert wie heute? Dass mittlerweile 10-Jährige „Diggi“ schwafelnd durch die Straßen laufen, kennt man. Aber vor 20 Jahren? Man kann sich bei der Gelegenheit sowieso fragen, weshalb Regisseur Wnendt die Geschichte nicht in die Jetztzeit verlegt hat. Altmodische Handys und ein paar Nachrichtenbilder von Kanzler Schröder sind die einzigen Hinweise auf die Anfang-Tausender und haben keinen Mehrwert. Die massenkompatible Verfilmung von Felix Lobrechts Bestseller liegt irgendwo zwischen EIS AM STIEL und 4 BLOCKS für Jugendliche. Bisschen doof, bisschen nervig, trotzdem lustig und auf jeden Fall kurzweilig.
Deutschland 2023
119 min
Regie David Wnendt
Bild © Constantin Film Verleih
WETTBEWERB
THE SHADOWLESS TOWER
Der geschiedene Restaurantkritiker Gu Wentong erfährt, wo sein Vater lebt, zu dem er seit Jahren keinen Kontakt hat, und er beginnt eine Beziehung mit einer jüngeren Kollegin. Zwischendurch werden sehr viele Zigaretten geraucht und Handynachrichten verschickt.
Wo hört Meditation auf, wo fängt Langeweile an? THE SHADOWLESS TOWER ist ein klassischer Berlinale-Film aus China. Nichts, was man sich freiwillig im Kino ansehen würde. Aber natürlich trifft den Film keine Schuld, wenn im ausverkauften Berlinale-Palast ein Riese vor einem sitzt und man die Untertitel nicht mehr lesen kann. Vielleicht war es auch ein Feuerwerk der Unterhaltung. Wir werden es nie erfahren.
Originaltitel „Bai Ta Zhi Guang“
Volksrepublik China 2022
144 min
Regie Zhang Lu
Bild © Lu Films
PANORAMA
REALITY
Der Film schildert die im Jahr 2017 durchgeführte Hausdurchsuchung bei der Whistleblowerin Reality Winner im US-Bundesstaat Georgia. Das Besondere daran ist, dass sich kein Drehbuchautor die Dialoge ausgedacht hat. Regisseurin Tina Sattler lässt für ihren Debütfilm die Schauspieler ausschließlich die unveränderten Originalsätze aus einer FBI-Tonaufzeichnung sprechen.
Inhaltlich interessant und gut gespielt. Mit der Realität kann man es allerdings auch übertreiben. Der Mehrwert dieser stilistischen Spielerei erschließt sich nicht.
USA 2023
85 min
Regie Tina Sattler
Bild © Seaview
GENERATION
DANCING QUEEN
Mina ist ein dickes Mädchen. Trotzdem will sie unbedingt bei einem Hip-Hop-Tanzwettbewerb mitmachen, auch um in die Nähe des coolen Tänzers E. D. Win zu kommen. Mithilfe ihrer patenten Großmutter und gegen den Willen ihrer Eltern macht sie sich ans Training.
Vorhersehbare Komödie mit dem Herz am rechten Fleck. Für junge Zuschauer gibts positive Botschaften: Bodyshaming ist doof und wer will, der kann.
Norwegen 2023
85 min
Regie Aurora Gossé
Bild © Åsmund Hasli Amarcord