Irgendwann werden wir uns alles erzählen

IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN

Ab 13. April 2023 im Kino

Emily Atefs Berlinale-Beitrag: Es gibt ihn noch, den typisch deutschen Problemfilm.

Sommer 1990. Ein Bauernhof an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Johannes hat für seine Freundin Maria und sich den Dachboden bei seinen Eltern zum kleinen Idyll gemacht. Maria liest Dostojewski, streift durch die Wiesen und widmet sich auch sonst dem süßen Nichtstun. Ihre Begegnung mit Henner, dem um einiges älteren Nachbarn, macht der Beschaulichkeit ein Ende. Eine tragische Liebe nimmt ihren Lauf.

IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN gehört in die Kategorie Filme, bei denen schon nach wenigen Minuten klar ist, dass man sich weder für die Figuren noch ihre deprimierenden Probleme interessiert. Das hölzern gespielte Drama von der verbotenen Liebe verläuft ereignislos und zieht sich über 129 Minuten wie Kaugummi. Von der Dramatik des Trailers ist im Film wenig zu spüren. Sehenswert sind in diesem deutschen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag einzig die sommerlichen Landschaften Ostdeutschlands. Ernüchterndes Fazit: Es gibt ihn noch, den typisch deutschen Problemfilm.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
129 min
Regie Emily Atef

alle Bilder © Pandora Film

STASIKOMÖDIE

Kinostart 19. Mai 2022

Es sind schon mehr als drei Jahrzehnte vergangen, seit in Berlin-Lichtenberg die Akten geschreddert wurden. Zeit genug, sich über die Stasi lustig zu machen? Ja, doch, durchaus – findet Leander Haußmann und beendet (hoffentlich) seine durchwachsene DDR-Trilogie, die er mit „Sonnenallee“ und „NVA“ vor über 20 Jahren begann.

Ludger ist ein gewissenhafter junger Mann. Wenn das Ampelmännchen Rot zeigt, dann heißt das: Warten. Auch wenn weit und breit kein Auto am Leninplatz zu sehen ist. Dass das Beachten der Verkehrsregeln ein Gehorsamstest der Stasi ist, ahnt Ludger an diesem sonnigen Morgen noch nicht. Er soll als verdeckter Ermittler in die Künstlerszene am Prenzlauer Berg eingeschleust werden. Aushorchen, unterwandern und seinen Vorgesetzten Bericht erstatten – so sein Auftrag. In einer Rahmenhandlung erinnert sich der ältere Ludger – mittlerweile ein erfolgreicher Schriftsteller – an seine Vergangenheit und muss entscheiden, wie viel Wahrheit seine Familie verträgt.

Aus heutiger Sicht sind „Sonnenallee“ und „NVA“ Klamotten mit guten Darstellern – mehr nicht. Immerhin hat Theatermann Haußmann ein Händchen fürs Visuelle, auch „Stasikomödie“ lässt Staunen: Sagenhaft, wie echt das alles aussieht. Man fühlt sich glatt ins Ostberlin der 1980er versetzt, natürlich in eine künstlerisch verklärte Version der ehemaligen Hauptstadt der DDR. Der Trabbi knattert durch die Dunckerstraße, vorbei an unsanierten Altbauten und im Hintergrund erhebt sich der Wasserturm im Abendlicht. Besetzung, Ausstattung, Kostüme, Setbau – da gibt’s nichts zu meckern.

Schauspieler gut, Bilder gut – was also stimmt nicht? Es ist wie immer Haußmanns unangebrachter Hang zum Volkstheater-Humor. Die alberne Witzigkeit ist zum Fremdschämen. 🎶 Dou-liou Dou-liou Dou-liou Saint-Tropez – Haußmann stellt seine Stasioffiziere zwar als genauso große Volltrottel wie Louis de Funès und seine Flics dar, doch mit der schrecklichen Wahrheit hat das nichts zu tun. Fatales Resümee: Am Ende war alles halb so schlimm, und wir sind doch alle ein bisschen Stasi.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
116 min
Regie Leander Haußmann

alle Bilder © Constantin Film

LIEBER THOMAS

LIEBER THOMAS

Die Komödien „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin“ erwecken den Eindruck, das Leben jenseits des antifaschistischen Schutzwalls sei bunt und fröhlich gewesen. Gut 30 Jahre nach Mauerfall zeichnen Filme wie „Gundermann“ oder der im August gestartete „Nahschuss“ ein realistischeres Bild der Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Schluss mit lustig.

Zwei, die von Anfang an nicht zueinander passen: Die DDR und Thomas Brasch. Mit seinem Vater Horst, SED-Parteifunktionär und stellvertretender Minister für Kultur, ist er in Hassliebe verbunden. Aus Thomas soll ein braver Staatsbürger werden, doch schon früh fühlt er sich zum Schriftsteller berufen. Als 1968 sowjetische Panzer den Prager Frühling niederwalzen, protestieren Thomas und seine Freunde mit einer Flugblattaktion in Berlin. Der junge Autor wird von seinem Vater verraten, kommt ins Gefängnis. Auf Bewährung entlassen, arbeitet Brasch zunächst als Fräser in einer Transformatorenfabrik. 1978 darf er mit seiner Frau in den Westen ausreisen. Dort dreht er mehrere Kinofilme, wird sogar nach Cannes eingeladen.

War „Das Leben der Anderen“ noch eine hollywoodgerechte Aufarbeitung des Stasi-Staates, so wählt Andreas Kleinert für „Lieber Thomas“ eine poetischere, künstlerisch freiere Herangehensweise. Das in strengem Schwarzweiß gedrehte Drama legt sich nicht auf Wahrheit oder Fiktion fest, wechselt fließend zwischen Traum und Wirklichkeit. Fast könnte man meinen, der Film sei zu DDR-Zeiten gedreht worden, so stimmig wirkt die Atmosphäre.

Intensivtäter Albrecht Schuch (wer sonst?) verkörpert die deutsch-deutsche Zerrissenheit des 2001 verstorbenen Autors und Regisseurs kongenial. Neben der großartigen Besetzung (Jella Haase, Jörg Schüttauf, Anja Schneider) sind vor allem die Szenen mit Brasch als Malocher in der Fabrik am stärksten. Die Bilder von Kameramann Johann Feindt erinnern hier an die gerade wiederentdeckten Aufnahmen des Fotografen Günter Krawutschke, der die Gesichter des Arbeiter- und Bauernstaats in seinen einzigartigen Bildern verewigte.

„Lieber Thomas“ ist nach „Familie Brasch“ bereits der zweite Film, der sich mit dem Leben der schillernden Persönlichkeit Braschs auseinandersetzt. Ein Mann mit vielen Facetten: Jude, Dichter, Sozialist, Frauenheld, Träumer, eine unangepasste Künstlerseele.

FAZIT

Sehr sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
150 min
Regie Andreas Kleinert
Kinostart 11. November 2021

alle Bilder © Wild Bunch Germany

NAHSCHUSS

NAHSCHUSS

Die DDR, eine Sinfonie in Beige. Wer den Geruch von Wofasept und das Kratzen von Dederon vermisst, wer überhaupt findet, dass das Leben viel zu bunt ist, der kann jetzt im Kino eine kleine Zeitreise zurück in die Deutsche Demokratische Republik anno 1981 machen.

„Nahschuss“ – der Titel bezieht sich auf eine Hinrichtungsmethode, bei der dem Verurteilten hinterrücks direkt ins Genick geschossen wurde – lässt von der ersten Einstellung an keinen Zweifel aufkommen: Das wird schlecht enden.
Werner Teske war am 26. Juni 1981 der letzte DDR-Bürger, an dem die Todesstrafe vollstreckt wurde. „Nahschuss“ ist von seiner Geschichte inspiriert.

Der Ingenieur Franz Walter (Lars Eidinger) ist überglücklich, als ihm seine Professorin eröffnet, er sei als ihr Nachfolger im Gespräch. Im Gegenzug soll er beim Auslandsnachrichtendienst der DDR tätig werden. Zusammen mit seinem Kollegen Dirk (Devid Striesow) wird er zu Einsätzen in die feindliche BRD geschickt. Anfangs noch ganz pflichtbewusster Sozialist, erwecken die menschenverachtenden Methoden der Stasi bei Franz bald tiefsten Widerwillen und lösen eine Depression aus. Selbst seine Frau Corina (Luise Heyer) dringt kaum noch zu ihm durch. Franz will aussteigen, raus aus dem System, doch es gibt keinen Weg.

Von Ostalgie keine Spur. Franziska Stünkels Film ist eine Abrechnung mit einem Unrechtssystem, in dem die Methoden des Nationalsozialismus unter neuem politischen Deckmantel fortgesetzt wurden. Deutschlands fleißigster Schauspieler Lars Eidinger spielt Franz Walter leise und zurückhaltend. Er macht nachvollziehbar, in welchen Zwängen sich Menschen in der DDR ausgesetzt sahen, egal ob sie für oder gegen den Staat waren. Ganz hervorragend auch Devid Striesow als dubioser Stasi-Kollege, der sich zwar linientreu gibt, aber gleichzeitig den Verlockungen des Westens nicht widerstehen kann. Luise Heyer macht mit ihrer nuancierten Darstellung das herausragende Trio komplett.
„Nahschuss“ ist ein düsterer, sehr ernsthafter Film über ein vergessenes Kapitel deutscher Geschichte.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
116 min
Regie Franziska Stünkel
Kinostart 12. August 2021

alle Bilder © Alamode Film

Ballon

★★★★

1979 gelang den Familien Strelzyk und Wetzel die gemeinsame Flucht aus der DDR – auf denkbar spektakuläre Weise mit einem selbstgenähten Heißluftballon.

MACHART

Die vor den 70er Jahren Geborenen erinnern sich, zumindest im Westen:
1979 war das die Exklusivgeschichte im Magazin STERN.

3 Jahre später nahm sich Hollywood der Verfilmung des Stoffes an. Aber schon damals, noch viele Jahre vor dem Mauerfall, ahnte man, dass dies eher eine unauthentische Disney-Interpretation der DDR war und nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun haben konnte.

Nun also fast 40 Jahre später Michael Bully Herbigs Version. Und die ist (wieder) Hollywoodkino in Reinform, nur dass das diesmal bitte als Lob zu verstehen ist. Obwohl der Ausgang der Geschichte hinlänglich bekannt ist, bleibt der Film durchweg spannend und hält sein Tempo vom Anfang bis zum Ende. Wie eine tickende Zeitbombe entwickelt sich das Fluchtdrama; vom ersten gescheiterten Versuch, über die allgegenwärtige Furcht von der Stasi entdeckt zu werden, bis zum glücklichen Ende. Es gibt nichts zu meckern an „Ballon“: liebevolle Ausstattung, hervorragende Darsteller, treibende Musik, Spannung bis zuletzt. Bully Herbig ist ein perfekter Actionthriller geglückt.

FAZIT

Sehr amerikanisch professionell und dabei trotzdem – auf gute Art – ganz und gar deutsch.

Deutschland, 2018
Regie Michael Bully Herbig
120 min
Kinostart 27. September 2018

Werk ohne Autor

★★★★

Elisabeth (Saskia Rosendahl) liebt ihren kleinen Neffen Kurt über alles. Doch die unkonventionelle junge Frau lebt in gefährlichen Zeiten. Während des Nationalsozialismus wird sie als schizophren diagnostiziert und später in einer Anstalt vergast. Die Folgen dieses grausamen Verbrechens begleiten Kurt (Tom Schilling) ein Leben lang.

Als junger Mann beginnt er nach dem Ende des 2. Weltkriegs eine Ausbildung an der Kunsthochschule Dresden. Hier trifft er auf Ellie (Paula Beer), die beiden verlieben sich. Ellies Vater (Sebastian Koch) ist Professor Seeband, ein erfolgreicher Arzt und früherer Nazioffizier, dessen Geschichte unheilvoll mit Kurts Schicksal verknüpft ist. Nach dem Studium in der DDR wird Kurt zunächst Auftragskünstler für sozialistischen Realismus. Kurz vor Mauerbau flieht er mit Ellie in die BRD. Im Düsseldorf der 60er und frühen 70er Jahre beginnt sein Aufstieg zu einem der bekanntesten Maler seiner Generation. „Werk ohne Autor“ basiert lose auf der Lebensgeschichte des Künstlers Gerhard Richter.

MACHART

Ja, schon wieder eine Künstlerbiografie. Aber was für eine: „Werk ohne Autor“ ist zwar stellenweise grandioser Kitsch, aber auch großes, packendes Kino geworden. Mit seinem dritten Spielfilm wollte Oscarpreisträger Florian Henckel von Donnersmarck keine kleinen Brötchen backen. Sex, Liebe, Kunst, Gewalt, Verbrechen, Wahnsinn, Nationalsozialismus, Krieg, deutsch-deutsche Geschichte. Das alles hat der Regisseur in sein episches, 188 Minuten langes Rehabilitationswerk gesteckt.

Ausstattung und Inszenierung bewegen sich auf höchstem Niveau. Tom Schilling, Paula Beer, Oliver Mascuti, Hanno Koffler, Lars Eidinger, Ben Becker, und, und, und. Die Schauspieler sind erste Garde und durchweg hervorragend, werden aber alle von Sebastian Koch als Professor Carl Seeband überragt. So viel Lob, da muss es natürlich auch einen Wermutstropfen geben. Und das ist überraschenderweise der Score von Max Richter. Besonders bei den eigentlich leisen, emotionalen Szenen drängt sich die Musik viel zu sehr in den Vordergrund und erzeugt so das Gegenteil von echten Gefühlen.

FAZIT

Der Künstler schnackselt gerne und oft. Das ist beneidenswert, muss aber nicht zwingend unentwegt gezeigt werden. Die Hälfte an Sexszenen hätte es auch getan.

„Werk ohne Autor“ hat keine Angst vor großen Gefühlen: drei Epochen deutscher Geschichte – mitreißend und bewegend erzählt.  Eine Hommage an die Kraft der Kunst. Empfehlenswert.

Deutschland, 2018
Regie Florian Henckel von Donnersmarck
188 min
Kinostart, pünktlich zum Tag der deutschen Einheit, am 3. Oktober 2018