RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN

Kinostart 09. Juni 2022

Pilateslehrerin Kathrin braucht eine neue Niere. Ihr egozentrischer Mann Arnold käme als Spender infrage, quält sich aber keine eindeutige Zusage ab. Ganz anders der gemeinsame Freund Götz. Aus dem dicken Bauch heraus erklärt er sich bereit, Kathrin eine seiner Nieren abzutreten. Diese Großzügigkeit stößt seiner Frau Diana sauer auf.

Sollte man der Ehefrau eine Niere spenden, obwohl das ein großes gesundheitliches Risiko bedeuten könnte? Wäre es nicht besser, auf einen verstorbenen Spender zu warten oder gar eine Niere im Darknet zu kaufen? Highlight des Films ist Samuel Finzi als handlungsgehemmter Gatte: Er würde, hätte, wollte – und macht dann doch nicht.

Michael Kreihsls Komödie basiert auf einem Theaterstück und das merkt man ihm deutlich an. Auf der Bühne auf vier Personen beschränkt, wurden fürs Kino noch unnötige Nebenrollen hinzugefügt, die vom eigentlichen Kern der Geschichte ablenken. Die mäßig lustige Komödie ist nach gut einer Stunde auserzählt,  wird aber durch eine wenig glaubwürdige Wendung noch weiter in die Länge gestreckt. Die Schauspieler geben ihr bestes, doch gegen die biedere TV-Inszenierung kommen sie nur schwer an. Boulevardkomödie, die aus ihrem Thema zu wenig macht.

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Österreich 2021
93 min
Regie Michael Kreihsl

alle Bilder © Filmwelt Verleihagentur GmbH

EIN GROSSES VERSPRECHEN

Kinostart 09. Juni 2022

Juditha und Erik planen ihren erfüllten gemeinsamen Lebensabend, denn mit der Pensionierung des engagierten Universitätsprofessors soll endlich Zeit für die schönen Dinge sein. Tanzen im Garten, Vögel füttern und mit dem Segelboot fahren – so was halt. Doch Juditha leidet unter MS, und gerade jetzt macht die tückische Nervenkrankheit einen heftigen Schub. Ungut auch, dass sie die sturste Frau auf Gottes Erden ist. Hilfe, egal von wem, lehnt sie rigoros ab. Das macht das Zusammenleben nicht gerade einfach. Erik bedrückt die häusliche Enge zusehends, und dass die beiden sich immer noch lieben, macht es nur noch schlimmer. Denn wer will seine Liebe schon leiden sehen?

Dazu muss man in Stimmung sein: Wendla Nölles Drama macht wenig Hoffnung, von schlimm wird es nur noch schlimmer. Stellt sich zwischen den Depressionsschüben, die man als Zuschauer erleidet, die Frage: Warum soll man sich das anschauen? Nichts gegen schicksalshafte Geschichten über andere Menschen, aber der immer bockiger werdenden Juditha und ihrem hilflos leidenden Erik beim gemeinsamen Untergang zuzuschauen ist quälend.

Sehenswert machen den offensichtlich für das Fernsehen gedrehte Film – die klassische 90-Minuten Laufzeit und der NDR als Produzent lassen keinen Zweifel, dass „Ein großes Versprechen“ schon bald am FilmMittwoch um 20.15 Uhr im Ersten laufen wird – die fabelhaften Schauspieler. Der bei uns vor allem als Kurt Wallander bekannte Rolf Lassgård überzeugt als sensibler, aber gänzlich überforderter Ehemann und die ohnehin immer famose Dagmar Manzel rührt und nervt gleichermaßen als an ihrer Krankheit zugrunde gehende Juditha.

Harte Kost, aber der Film hütet sich vor Rührseligkeiten und bietet eine ehrliche, beeindruckend gespielte Auseinandersetzung mit der Angst vor Krankheit und Vereinsamung im Alter, getragen von zwei hervorragenden Schauspielern.

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Deutschland 2021
90 min
Regie Wendla Nölle

alle Bilder © Filmperlen

ERWARTUNG – DER MARCO EFFEKT

Kinostart 02. Juni 2022

„Erwartung – Der Marco-Effekt“ ist ein ganz offensichtlich fürs Fernsehen (Co-Produzent ist das ZDF) gedrehter Thriller, der nun bei uns in den Kinos landet. Ein bisschen mehr cineastische Größe und etwas weniger biedere TV-Stangenware hätte es schon sein dürfen. Jede Einstellung atmet hier Fernsehen, trotz des oscarprämierten Regisseurs. Ein typischer Sonntag-Abend-Krimi, nur dass es hier nicht nach 90 Minuten vorbei ist – Die dünne Story voller Zufälle dehnt sich auf über zwei Stunden.

Kurt Wallander heißt jetzt Carl Mørck und kommt aus Dänemark. Wie sein schwedisches Vorbild wandelt auch dieser Kommissar stets am Rande einer Depression. Eines trüben Morgens landet ein seit Jahren abgeschlossener Fall auf seinem Schreibtisch. Der Reisepass eines seit vier Jahren verschwundenen Familienvaters wurde im Besitz des 14-jährigen Roma-Jungens Marco gefunden, als dieser illegal über die dänische Grenze wollte. Kommissar Mørck und sein Team kommen einer finsteren Verschwörung auf die Spur, die bis ganz nach oben reicht – und deren unfreiwillige Schlüsselfigur der junge Marco ist. 

Harry, fahr den Wagen vor. „Erwartung – Der Marco-Effekt“ ist konventionelle, einigermaßen solide gemachte Unterhaltung, ohne Tränensäcke und ohne große Überraschungen. Den Todesstoß besorgt wie immer die deutsche Synchronisation. Für Dutzendware wie diese lohnt nicht der Weg ins Kino, so was läuft auch ständig in den Öffentlich Rechtlichen. Schrott-Krimiautor Jussi Adler-Olsen liefert die Vorlage, dies ist bereits der fünfte Film, der auf seiner Romanserie basiert.

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Originaltitel „Marco effekten“
Dänemark / Deutschland / Tschechien 2021
125 min
Regie Martin Zandvliet

alle Bilder © Koch Films

DAS STARKE GESCHLECHT

Kinostart 26. Mai 2022

Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht
Außen hart und innen ganz weich

Zugegebenermaßen kein besonders origineller Ansatz, den 80er-Jahre-Hit für eine Filmkritik über einen Männerfilm zu zitieren. Aber hat Herbert Grönemeyer damals nicht schon alles Wissenswerte über das starke Geschlecht in seinem Lied gesagt?

Der Ablauf ist immer der gleiche: acht Männer – alle sitzen vor neutral schwarzem Hintergrund – werden in Einzelinterviews zu ihrer Sexualität befragt. Dazu müssen sie zunächst einen Text lesen, in dem andere Männer (anonym befragt) über ihre sexuellen Wünsche und Erlebnisse berichten. Da geht es unter anderem um Vergewaltigungsfantasien, Unterwerfung und Ähnliches. Ein Zwitter aus Dokumentarfilm und Versuchsanordnung: Die Kamera zeigt zunächst die Reaktion der acht Männer auf das Gelesene. Danach tragen sie den Text vor und werden anschließend vom Regisseur (der nur als Stimme aus dem Off zu hören ist) zu ihren eigenen Erfahrungen befragt. Unsicher, was Frauen wirklich wollen, sind sie alle, so viel sei schon mal gespoilert.

Ein leichter Beigeschmack von „bisschen zu gespielt“ stellt sich zwischendurch ein. Die Redner sind ungewöhnlich souveräne Selbstdarsteller, die sich ohne viele „ähs“ in druckreifer Sprache ausdrücken können. Eine Googlesuche ergibt: alle acht Männer sind entweder Schauspieler, Regisseure, Autoren oder zumindest medienerfahren. Möglicherweise fanden sich schlicht keine verunsicherten Normalos, die das Ausloten ihrer männlichen Seele in verständliche Worte fassen konnten.

Interessant wäre zu erfahren, wer sich für diesen Film ein Kinoticket kauft: Mehr Männer oder mehr Frauen? Es werden hoffentlich viele sein. Endlich mal eine Dokumentation, die keine Drohnenflüge über exotische Landschaften oder das Paarungsverhalten ausgestorbener Pandabären zeigt, sondern ein aufschlussreiches Experiment wagt. Das sollte an der Kinokasse belohnt werden.

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Deutschland 2021
102 min
Regie Jonas Rothlaender

alle Bilder © missingFILMs

ONE OF THESE DAYS

Kinostart 19. Mai 2022

Nichts Geringeres als das in der US-amerikanischen Verfassung verankerte Streben nach Glück („Pursuit Of Happiness“) steht im Mittelpunkt einer Produktion, die – Corona sei schuld – erst zwei Jahre nach ihrem Berlinale-Erfolg ins reguläre Kino kommt: „One Of These Days“ – ein eindringliches Filmdrama um eine kuriose Kompetition, das auf wahren Begebenheiten basiert.

Alle Jahre wieder veranstaltet ein Autohaus in der texanischen Provinz seinen beliebten Ausdauerwettbewerb, bei dem zwanzig Menschen buchstäblich Händchen halten müssen – mit einem Pick-up. Der Gewinn ist zum Greifen nah, denn eben dieser Truck gebührt dem Ausdauerndsten, was dubiose Glücksritter anzieht, Späthippies oder verzweifelte Underdogs wie den jungen Familienvater Kyle (Joe Cole). Ein klassischer Antiheld, der im Durchhalten um jeden Preis seine einzige Chance auf ein vermeintlich besseres Leben sieht.

Die deutsch-amerikanische Ko-Produktion ist spätestens dann mehr als nur statisches Kammerspiel auf einem Parkplatz, wenn die Kamera die Protagonisten auch in ihre Pinkelpausen begleitet oder ins traute Heim. Wie das von Mittfünfzigerin Joan Riley (Carrie Preston), die als unermüdliches Missing Link zwischen Teilnehmern und Publikum des PR-Rummels fungiert – und in jeglicher Hinsicht als rechte Hand ihres verheirateten Chefs.

Mit einem hervorragend besetzten Ensemblefilm zeigt Wahlamerikaner Bastian Günther in Realityformat menschliche Tragödien von grenzenloser Gier und Sozialdarwinismus im Stil von „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“. Zunächst chronologisch erzählt, springt die Handlung zuletzt in die jüngere Vorvergangenheit zurück, was dem Unhappy Ending des Films eine bitter-süße Note verleiht und die abgedroschene Weisheit, der Weg sei das Ziel, unwiderruflich ad absurdum führt.

Anja Besch

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Originaltitel „One Of These Days“
Deutschland / USA 2022
120 min
Regie Bastian Günther

alle Bilder © Weltkino Filmverleih

STASIKOMÖDIE

Kinostart 19. Mai 2022

Es sind schon mehr als drei Jahrzehnte vergangen, seit in Berlin-Lichtenberg die Akten geschreddert wurden. Zeit genug, sich über die Stasi lustig zu machen? Ja, doch, durchaus – findet Leander Haußmann und beendet (hoffentlich) seine durchwachsene DDR-Trilogie, die er mit „Sonnenallee“ und „NVA“ vor über 20 Jahren begann.

Ludger ist ein gewissenhafter junger Mann. Wenn das Ampelmännchen Rot zeigt, dann heißt das: Warten. Auch wenn weit und breit kein Auto am Leninplatz zu sehen ist. Dass das Beachten der Verkehrsregeln ein Gehorsamstest der Stasi ist, ahnt Ludger an diesem sonnigen Morgen noch nicht. Er soll als verdeckter Ermittler in die Künstlerszene am Prenzlauer Berg eingeschleust werden. Aushorchen, unterwandern und seinen Vorgesetzten Bericht erstatten – so sein Auftrag. In einer Rahmenhandlung erinnert sich der ältere Ludger – mittlerweile ein erfolgreicher Schriftsteller – an seine Vergangenheit und muss entscheiden, wie viel Wahrheit seine Familie verträgt.

Aus heutiger Sicht sind „Sonnenallee“ und „NVA“ Klamotten mit guten Darstellern – mehr nicht. Immerhin hat Theatermann Haußmann ein Händchen fürs Visuelle, auch „Stasikomödie“ lässt Staunen: Sagenhaft, wie echt das alles aussieht. Man fühlt sich glatt ins Ostberlin der 1980er versetzt, natürlich in eine künstlerisch verklärte Version der ehemaligen Hauptstadt der DDR. Der Trabbi knattert durch die Dunckerstraße, vorbei an unsanierten Altbauten und im Hintergrund erhebt sich der Wasserturm im Abendlicht. Besetzung, Ausstattung, Kostüme, Setbau – da gibt’s nichts zu meckern.

Schauspieler gut, Bilder gut – was also stimmt nicht? Es ist wie immer Haußmanns unangebrachter Hang zum Volkstheater-Humor. Die alberne Witzigkeit ist zum Fremdschämen. 🎶 Dou-liou Dou-liou Dou-liou Saint-Tropez – Haußmann stellt seine Stasioffiziere zwar als genauso große Volltrottel wie Louis de Funès und seine Flics dar, doch mit der schrecklichen Wahrheit hat das nichts zu tun. Fatales Resümee: Am Ende war alles halb so schlimm, und wir sind doch alle ein bisschen Stasi.

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Deutschland 2022
116 min
Regie Leander Haußmann

alle Bilder © Constantin Film

RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH

Kinostart 28. April 2022

Wer oder was ist Rabiye Kurnaz? Rabiye Kurnaz ist eine Frau aus Bremen, für die das Adjektiv „patent“ erfunden wurde. Außerdem hat sie ganz nebenbei die Vereinigten Staaten von Amerika vor dem obersten Gerichtshof der USA verklagt. Auf diesem Weg wollte sie die Freilassung ihres Sohns aus Guantánamo erreichen. Nach den Anschlägen von 9/11 und der damaligen politischen Stimmung im Land ein eigentlich aussichtsloses Unterfangen.

Eine wahre  Geschichte: Murat Kurnaz wurde ohne Anklage 5 Jahre lang in dem berüchtigten Gefangenenlager auf Kuba festgehalten. Dass er entlassen wurde, hat er seiner Mutter und dem Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke zu verdanken. Der mahnt bis heute, dass sich die damals politisch Verantwortlichen von der rot-grünen Bundesregierung nie für ihre Versäumnisse entschuldigt oder Murat gar eine Entschädigung gezahlt haben.

Kann man ein so schweres Thema in eine Komödie verpacken? Andreas Dresen erzählt seine dramatische Geschichte unterhaltsam leicht, zwischendurch rutscht er gefährlich nah an harmlosen Ulk. Das sei so gewollt, sagt der Regisseur, denn der Film erzähle schließlich aus der Perspektive der Mutter. Und die hat im wahren Leben eben einen ausgeprägten Sinn für Humor.

Alexander Scheer stand zuletzt als „Gundermann“ für Dresen vor der Kamera. In „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ überzeugt das Chamäleon unter Deutschlands Schauspielern nun erneut als unangepasster, sehr norddeutscher Menschenrechtsanwalt. Das wahre Ereignis und liebenswerter Mittelpunkt des Films ist Meltem Kaptan. Die Kölner Komödiantin und Moderatorin geht mit viel Herz und emotionaler Intelligenz in ihrer Rolle als Muttertier auf. Dafür gab es in diesem Jahr einen  Silbernen Bären bei der Berlinale.

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Deutschland / Frankreich 2022
119 min
Regie Andreas Dresen

alle Bilder © Pandora Film

EINGESCHLOSSENE GESELLSCHAFT

EINGESCHLOSSENE GESELLSCHAFT

Kinostart 14. April 2022

Sönke Wortmann ist Deutschlands fleißigster Komödienregisseur. Nach „Der Vorname“, „Contra“ und demnächst „Der Nachname“ kommt jetzt „Eingeschlossene Gesellschaft“ in die Kinos. Bei der eingeschlossenen Gesellschaft handelt es sich um sechs Lehrer, die von einem genervten Vater unter Waffengewalt gezwungen werden, die seiner Meinung nach ungerechte Benotung seines Sohns zu überdenken. Dem Junior fehlt genau ein Punkt, um sich fürs Abi zu qualifizieren.

Solcherart Ensemblefilme leben von Klischees. Das war bei den Schülern in „Fack ju Göhte“ so und ist bei den Lehrern nicht anders. Florian David Fitz spielt den dauerjugendlichen Sportlehrer, Anke Engelke die verbitterte Hexe, Justus von Dohnanyi den überkorrekten, humorlosen Pauker, Nilam Farooq die junge, selbstbewußte Referendarin und so weiter. Die Figurenzeichnung hat sich da seit Opas Kino aus den 1960er-Jahren nicht groß weiterentwickelt. Fragt sich nur: Gibt es so was heutzutage wirklich noch? Und wenn ja, wo? Möglicherweise hat Sönke Wortmann (Jahrgang 1957) seine eigenen traumatischen Schulerinnerungen aufgearbeitet. 

Ein bisschen zu simpel auch die Rollenverteilung: Die Jungen sind modern, die Älteren sind verknöcherte Despoten, die nicht mal wissen, dass es HipHop und nicht HipHip oder HopHop heißt. Na ja. Trotzdem findet der Film immer wieder den richtigen Ton. Denn er stellt die richtigen Fragen: Wer entscheidet da eigentlich über die Zukunft unserer Kinder? Sind Lehrer nicht genauso fehlbar wie der Rest der Menschheit? So entwickelt sich die Geschichte zwischendurch fast zum brechtschen Drama, wenn über Wohl und Wehe eines Schülers gerichtet wird. „Eingeschlossene Gesellschaft“: eine gelungene Mischung aus Ulk und Ernsthaftigkeit.

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Deutschland 2022
101 min
Regie Sönke Wortmann

alle Bilder © Leonine

JGA

JGA

Kinostart 24. März 2022

JGA – die drei Buchstaben stehen für „JungGesellenAbschied“, bzw. korrekt gegendert: „JungGesellinnenAbschied“ – gleichzeitig ist es ein Akronym für die Vornamen der drei Hauptfiguren: Jasmin, Gina und Ana. Die wollen mit ihrer besten Freundin vor der Hochzeit noch mal einen drauf machen. Doch schon im ersten Club die große Beichte: Die Braut in spe ist schwanger und will lieber zurück zu ihrem Zukünftigen. Was also tun mit dem angebrochenen Abend und den bereits bezahlten Flugtickets nach Ibiza? Nicht die Laune verderben lassen, einfach trotzdem feiern! Auf der Baleareninsel treffen die Mädels dann Jasmins Ex. Blöd, denn Jasmin ist nach acht Jahren immer noch nicht über die Trennung weggekommen. Es folgt ein chaotisches Wochenende inklusive geklautem Gepäck und beinahe Drogentrip.

Große Verwirrung gab es offensichtlich darüber, was „JGA“ eigentlich sein will. Derber Ulk? Ernsthaftes Beziehungsdrama? Lustige Analyse der Ü-30-Generation? Es ist von allem was ein bisschen. Am besten funktioniert die Dramödie, wenn die Figuren Tiefe zeigen dürfen. Zwischendurch hat der Film gutes Tempo und echten Dialogwitz. Doch immer wieder stören Plattheiten, intelligenter Humor und Flachwitz liegen in „JGA“ sehr dicht beieinander.

Die Schauspieler geben ihr Bestes, allein das unentschiedene Drehbuch steht ihnen im Weg. Gut in Erinnerung bleibt Taneshia Abt, die mit ihrem rotzigen Charme viele Szenen rettet. Und der immer gern gesehenen Luise Heyer wünscht man in Zukunft ein besseres Händchen bei ihrer Rollenwahl. Nach „Generation Beziehungsunfähig“ ist „JGA“ noch eine Klamotte, in der sie ihr Talent verschenkt. Die Männer haben in diesem Film keine Chance, sie bleiben bis zum Ende zweidimensionale Klischees, erinnern an lahme Kopien der Hang Over-Charaktere.

„JGA“ ist entschieden zu lang. Die Handlung wird nach dem Ibiza-Ausflug mit einer unnötigen Hochzeitsgeschichte gestreckt, das fühlt sich noch mal wie ein neuer Film an. Aber was soll’s: Es gibt was zu lachen und ein bisschen „Eis am Stil“-Idiotie ist vielleicht genau das Richtige in diesen finsteren Zeiten.

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Deutschland 2022
118 min
Regie Alireza Golafshan

alle Bilder © Leonine

COPPELIA

COPPELIA

Kinostart 03. März. 2022

Draußen ist es eisekalt, der Wind pfeift und Spazierengehen wird sowieso überschätzt. Da bleibt nur im Winterschlaf zu verharren – oder mal wieder ins Kino zu gehen. Reichlich positive Energie lässt sich ab dem 3. März mit der deutsch-niederländischen Produktion „Coppelia“ tanken.

Der Film erzählt die Liebesgeschichte von Swan und Franz (sehr niedlich: Michaela DePrince und Daniel Camargo). Swan ist eine emanzipierte junge Frau, die mit ihrer Mutter in einer hübschen Kleinstadt lebt. Ihr Herz gehört dem Fahrradhändler Franz, doch der ahnt nicht, dass Swan schwer in ihn verliebt ist…typisch Mann. Als eines Tages der dämonische Doktor Coppelius (Vito Mazzeo) eine Beautyklinik in der Stadt eröffnet, sorgt das für große Aufregung. Stets an dessen Seite: Coppelia, eine künstliche Frau, die dank ihrer Schönheit bald zum Stadtgespräch wird. Immer mehr Bewohner buchen einen Termin bei Dr. Coppelius, um sich „optimieren“ zu lassen. Der neue Look hat allerdings dramatische Nebenwirkungen: Das Spiegelbild stimmt, doch innerlich sterben die Menschen ab, werden zu seelenlosen Zombies.

Schon mit der ersten Szene wird klar: „Coppelia“ ist eine außergewöhnliche Produktion. Die zauberhafte Melange aus Computeranimation, Zeichentrick und Realfilm interpretiert E.T.A. Hoffmanns Geschichte „Der Sandmann“ modern und neu. Echtes Augenfutter: die atemberaubenden Kulissen und farbenfrohen Kostüme vermitteln eine zeitgemäße, positive Botschaft: Finger weg von Social Media und Faceapp – Liebe dich selbst auch ohne Instafilter!

„Coppelia“ erzählt seine Liebesgeschichte komplett ohne Dialoge oder Offstimme. Handlung und Emotionen werden nur durch die Magie des Tanzes ausgedrückt, einer universell verständlichen Sprache. Die Choreografie hat der preisgekrönte künstlerische Leiter des niederländischen Nationalballetts, Ted Brandsen übernommen. Eine mindestens ebenso große Rolle spielt die Musik – eine tolle Mischung aus Klassik und Moderne, komponiert von Maurizio Malagnini.

FAZIT

„Coppelia“: die Empfehlung gegen Winterblues.

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Originaltitel „Coppelia“
Niederlande / Deutschland / Belgien 2021
82 min
Regie Jeff Tudor, Steven De Beul, Ben Tesseur

alle Bilder © SquareOne Entertainment

WUNDERSCHÖN

WUNDERSCHÖN

Kinostart 03. Februar 2022

Neutronensterne sind die vermutlich dichtesten Objekte im Universum: Ein Teelöffel ihrer Materie wiegt einige Milliarden Tonnen. Das haben schlaue Wissenschaftler mit der Formel p = m durch v berechnet: Masse geteilt durch Volumen ist gleich Dichte. Kann man mit dieser Gleichung auch die Dichte der Klischees in einem Film berechnen? Geht das in Gramm pro Drehbuchseite oder in Kilogramm pro Filmminute?

„Wunderschön“ ist der Neutronensternhaufen unter den Filmen. Nonstop jagt ein Klischee das nächste. Da ist das dicke Mädchen, in der Schule ausgegrenzt, die Mutter eine klapperdürre Zicke. Aber was sind schon ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen, wenn sich darunter eine übertalentierte Baseballspielerin versteckt? Klar, dass da der (dünne) süße Junge aus dem Team ganz wuschig wird. Und das junge Model: selbstverständlich magersüchtig, auf Koks und ganz doll unglücklich in ihrer Instagram-Hinterhof-Traumwohnung (der an die Wand geschraubte Nachttisch ist allerdings wirklich eine gute Idee). Und deren erfolgreicher Bruder: verheiratet, zwei Kinder. Alles könnte so schön sein, doch dann will seine Frau auch Karriere machen, da hat er erst mal gar kein Verständnis. Dann die Großeltern: Zu lange verheiratet, er sieht sie gar nicht mehr, sie leidet still  in ihrer beigen Blase, Sex haben die beiden sowieso seit Jahren nicht mehr – also ab zum Tangokurs! Und so weiter und so weiter.

Dass „Wunderschön“ nicht wie eine bleierne Ente untergeht, liegt an der souveränen Regie von Karoline Herfurth und der spielfreudigen Besetzung. Emilia Schüle, Martina Gedeck, Joachim Król und Friedrich Mücke, allesamt Profis, die wissen, wie man den Ball in der Luft hält, auch wenn sich beim Zuschauer die Augäpfel angesichts der Flachheiten bis zum Hypothalamus verdrehen. Halbwegs unterhaltsam und amüsant ist das am Ende dann doch. Dass es auch besser geht, zeigt die einzig originelle Episode über eine emanzipierte, liebeskritische Lehrerin, gespielt von der verlässlich sarkastischen Nora Tschirner.

Erkenntnis: Es handelt sich nicht um die Verfilmung von Tolstois „Krieg und Frieden“, sondern eher um eine überlange Folge einer TV-Vorabendserie. Wunderschön wäre es also gewesen, den Film um gut ein Drittel zu kürzen. Das hätte alles lässig in 90 kurzweilige Minuten gepasst. Einen halben Extrastern für die gute Absicht: Wir sind alle gleich, es ist egal, wie man aussieht, die inneren Werte zählen. Amen.

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Deutschland 2021
131 min
Regie Karoline Herfurth

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

HANNES

HANNES

Lieber Hannes,

ich schreibe Dir heute, weil sie einen Film über uns gemacht haben. Seit deinem Motorradunfall liegst Du ja im Koma und kannst dich nicht mehr wehren. Was soll ich sagen: Der Film ist richtig schlecht geworden. So schlecht, dass er für die Dozenten aller Filmhochschulen eine Offenbarung wäre. Erstsemester aufgepasst: So macht man es nicht. Die hölzernen Dialoge klingen, als hätte sie die Drehbuchautorin von „Unser Charly“ geschrieben. Musikalischer Berater war wohl Til Schweiger – an einem miesen Tag mit Kater. Kein Gefühl ist echt, alles großer Kitsch. Irgendwie haben es die Produzenten geschafft, namhafte Schauspieler zu verpflichten. Lisa Vicari aus „Dark“ zum Beispiel. Die hat aber nichts zu tun, außer grimmig zu schauen. Wahrscheinlich wurde ihr erst beim Dreh klar, worauf sie sich da eingelassen hat. Heiner Lauterbach hatte wohl auch keine Lust, der spielt, als würde er das Telefonbuch vorlesen. Und wusstest Du, dass Hannelore Elsner kurz vor ihrem Tod noch 300 Filme gedreht hat? Oder weshalb taucht sie hier schon wieder in ihrer allerallerletzten Rolle auf? Für Hannelore muss der Dreh ein Vorgeschmack auf die Hölle gewesen sein, schon wieder muss sie die immer noch attraktive, kapriziöse Irre geben. Der Film ist ihr sogar gewidmet, die Arme.
Alles sehr schade, die Geschichte unserer Freundschaft hätte einen besseren Film verdient. Die gute Nachricht: Bei den Goldenen Himbeeren werden deutsche Filme nicht berücksichtigt.

Alles Liebe, dein Moritz

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2019
91 min
Regie Hans Steinbichler
Kinostart 25. November 2021

alle Bilder © STUDIOCANAL

RESIDENT EVIL: WELCOME TO RACCOON CITY

RESIDENT EVIL: WELCOME TO RACCOON CITY

Willkommen zu einer kleinen Zeitreise in die Waschbären-Stadt! Das Prequel zur erstaunlich erfolgreichen Resident Evil-Serie spielt 1998. Raccoon City ist zur Geisterstadt verkommen. Schuld daran ist der Wegzug des Pharmariesen Umbrella Coporation. Keine Arbeitsplätze, keine lebendige Kleinstadt. Auch Claire hat sich vor fünf Jahren aus dem Staub gemacht. Als sie zurückkehrt, um ihren Bruder Chris vor einer bevorstehenden Katastrophe zu warnen, ahnt sie nicht, dass das Unheil schon an der Tür kratzt.

1,2 Milliarden Dollar hat das Franchise bis heute eingespielt. Aus Produzentensicht naheliegend, dass es irgendwie weitergehen muss. Jetzt also ein Prequel, das der zuletzt etwas aus der Puste gekommenen Resident Evil-Serie neue Energie verleihen soll. „Welcome to Racoon City“ erfindet das Genre nicht neu – die Versatzstücke sind aus vielen Horrorfilmproduktionen bekannt – trotzdem funktioniert der Neustart. Die Geschichte vom Ursprung allen Zombieübels ist durchweg spannend erzählt und funktioniert auch ohne Postergirl Milla Jovovich hervorragend. Teil 8 kann kommen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Resident Evil: Welcome to Racoon City“
Deutschland / Kanada 2021
107 min
Regie Johannes Roberts
Kinostart 25. November 2021

alle Bilder © Constantin Film

DAS SCHWARZE QUADRAT

DAS SCHWARZE QUADRAT

Die Kunsträuber Vincent (Bernhard Schütz) und Nils (Jacob Matschenz) drehen ein ganz großes Ding: Für ihren Auftraggeber klauen sie das 60 Millionen Dollar teure Gemälde „Das schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch. Nun sind sie mit ihrer Beute an Bord eines Kreuzfahrtschiffes gelandet und müssen als Elvis- und David Bowie-Imitatoren auf die Bühne (Ja, solcherart Verwechslungen passieren gerne in deutschen Komödien). Neben der auch vor Brutalitäten nicht zurückschreckenden Martha (Sandra Hüller) interessieren sich noch weitere Passagiere für das wertvolle Kunstwerk.

Natürlich werden schon beim Titel Erinnerungen an den Cannes-Gewinner „The Square“ geweckt. Doch abgesehen davon, dass es in „Das schwarze Quadrat“ auch um Kunst geht, haben die beißende Satire von Ruben Östland und der Film von Peter Meister wenig gemeinsam. Für sein Debüt hat sich der 34-Jährige vorgenommen, „einen Film zu machen, der einfach extrem unterhaltsam ist.“ Das ist ihm größtenteils gelungen, langweilig ist „Das schwarze Quadrat“ zu keiner Sekunde. Es gibt ein paar wirklich witzige Szenen und die Schauspieler – alle sonst eher vom ernsten Fach – machen den Film über weite Strecken sehenswert. Trotzdem mischt sich in den Mix aus zarter Ironie und schrägen Charakteren immer wieder unlustiger Klamauk. Ist das ein deutsches Problem? Werden die Regisseure von Produzenten ausgebremst, die das Publikum unterschätzen und ihm das Verständnis für intelligenten Humor absprechen? Die Väter der Klamotte geben nie auf. Mit einem ausgefeilteren Drehbuch und weniger Albernheiten hätte „Das schwarze Quadrat“ sonst richtig gut werden können.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
105 min
Regie Peter Meister
Kinostart 25. November 2021

alle Bilder © Port au Prince Pictures

MEIN SOHN

MEIN SOHN

Skateboard fahren, Kiffen, Saufen, Party machen. Jason nimmt das Leben auf die leichte Schulter. Bis er eines Tages bei einem Skate-Unfall schwer verletzt wird. Seine Mutter Marlene wacht an seinem Krankenbett, kümmert sich um einen Platz in einer Schweizer Reha. Sie beschließt, ihren Sohn selbst dorthin zu fahren. Auf dem Roadtrip brechen alte Konflikte zwischen Mutter und Sohn auf.

Es muss ja nicht immer alles Soap sein, aber ein bisschen mehr Dramatik hätte Regisseurin und Drehbuchautorin Lena Stahl ihrer Geschichte ruhig verpassen können. Wenn sich über 90 Minuten die Figurenkonstellation kaum weiterentwickelt und die Geschichte der Charaktere bestenfalls angedeutet wird, dann plätschert es halt nur so dahin, bleibt oberflächlich.

Sehenswert machen „Mein Sohn“ (der ebenso gut „Meine Mutter“ heißen könnte) vor allem die Schauspieler. Als unglückliche Mutter blitzt ihr trockener Humor zwar nur selten durch, aber die wunderbare Anke Engelke kann außer Late-Night-Talkshow alles. Mittlerweile überzeugt sie in dramatischen Rollen genauso wie im komischen Fach. Sexy trotz Augenringe: Dem Mensch gewordenen Waschbären Jonas Dassler nimmt man die Rolle des „I don’t give a fuck“-Teenagers auch mit seinen 25 Jahren noch ab. Dassler gehört spätestens seit seinem Durchbruch in „Der Goldene Handschuh“ zu den aufregendsten Theater- und Filmschauspielern seiner Generation.

FAZIT

Ein entwicklungsarmes Roadmovie mit starken Schauspielern.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
94 min
Regie Lena Stahl
Kinostart 18. November 2021

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

LIEBER THOMAS

LIEBER THOMAS

Die Komödien „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin“ erwecken den Eindruck, das Leben jenseits des antifaschistischen Schutzwalls sei bunt und fröhlich gewesen. Gut 30 Jahre nach Mauerfall zeichnen Filme wie „Gundermann“ oder der im August gestartete „Nahschuss“ ein realistischeres Bild der Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Schluss mit lustig.

Zwei, die von Anfang an nicht zueinander passen: Die DDR und Thomas Brasch. Mit seinem Vater Horst, SED-Parteifunktionär und stellvertretender Minister für Kultur, ist er in Hassliebe verbunden. Aus Thomas soll ein braver Staatsbürger werden, doch schon früh fühlt er sich zum Schriftsteller berufen. Als 1968 sowjetische Panzer den Prager Frühling niederwalzen, protestieren Thomas und seine Freunde mit einer Flugblattaktion in Berlin. Der junge Autor wird von seinem Vater verraten, kommt ins Gefängnis. Auf Bewährung entlassen, arbeitet Brasch zunächst als Fräser in einer Transformatorenfabrik. 1978 darf er mit seiner Frau in den Westen ausreisen. Dort dreht er mehrere Kinofilme, wird sogar nach Cannes eingeladen.

War „Das Leben der Anderen“ noch eine hollywoodgerechte Aufarbeitung des Stasi-Staates, so wählt Andreas Kleinert für „Lieber Thomas“ eine poetischere, künstlerisch freiere Herangehensweise. Das in strengem Schwarzweiß gedrehte Drama legt sich nicht auf Wahrheit oder Fiktion fest, wechselt fließend zwischen Traum und Wirklichkeit. Fast könnte man meinen, der Film sei zu DDR-Zeiten gedreht worden, so stimmig wirkt die Atmosphäre.

Intensivtäter Albrecht Schuch (wer sonst?) verkörpert die deutsch-deutsche Zerrissenheit des 2001 verstorbenen Autors und Regisseurs kongenial. Neben der großartigen Besetzung (Jella Haase, Jörg Schüttauf, Anja Schneider) sind vor allem die Szenen mit Brasch als Malocher in der Fabrik am stärksten. Die Bilder von Kameramann Johann Feindt erinnern hier an die gerade wiederentdeckten Aufnahmen des Fotografen Günter Krawutschke, der die Gesichter des Arbeiter- und Bauernstaats in seinen einzigartigen Bildern verewigte.

„Lieber Thomas“ ist nach „Familie Brasch“ bereits der zweite Film, der sich mit dem Leben der schillernden Persönlichkeit Braschs auseinandersetzt. Ein Mann mit vielen Facetten: Jude, Dichter, Sozialist, Frauenheld, Träumer, eine unangepasste Künstlerseele.

FAZIT

Sehr sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
150 min
Regie Andreas Kleinert
Kinostart 11. November 2021

alle Bilder © Wild Bunch Germany

CONTRA

CONTRA

Warum sind deutsche Komödien oft so schlecht? In 99,9 % der Fälle ist das Drehbuch schuld an der Misere. Die Lösung: Einfach eine bereits erprobte Idee kaufen, sie für den hiesigen Markt adaptieren und neu verfilmen. So geschehen bei der Elyas-M’Barek-Komödie „Das perfekte Geheimnis“, mit 5 Millionen Besuchern einer der erfolgreichsten Kinofilme 2019. Sönke Wortmanns Dramödie „Contra“ wurde nach dem gleichen Rezept produziert, das Original lief als „Le Brio“ in den französischen Kinos.

Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) ist auf den ersten (und zweiten) Blick ein richtiges Arschloch. Nachdem er die Jura-Studentin Naima Hamid (Nilam Farooq) in einem voll besetzten Hörsaal beleidigt hat und eine Videoaufnahme davon viral gegangen ist, droht er von der Uni zu fliegen. Doch der Universitätspräsident gibt ihm eine letzte Chance: Als ihr Mentor soll er Naima auf einen Debattierwettbewerb vorbereiten. Das Arrangement ist für beide zunächst eine Zumutung.

Wortmann erzählt die Aufsteiger-Geschichte mit allerlei überraschenden Haken und Wendungen. Die eleganten Dialoge sind gespickt mit schönen Boshaftigkeiten und frei von Political Correctness. Herbst und Farooq bei ihren scharfzüngigen Streitgesprächen zuzuhören, macht großen Spaß. Nur im Mittelteil hängt der Film ein bisschen durch, da geht das ungleiche Paar auf Deutschlandtournee – die Debattierwettbewerbe finden übers ganze Land verteilt statt. Es reiht sich eine Zugfahrt-Szene an die nächste. Fast könnte man meinen, die Deutsche Bahn sei Produzentin des Films. Wundern würde es nicht, schließlich bekannte Wortmann schon 1999 in einem Werbespot für das Unternehmen: „Warum ich Bahn fahre? Da laufen einfach die besten Filme.“

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
104 min
Regie Sönke Wortmann
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Constantin Film

BORGA

BORGA

Borga? Was issn das? „Borga“ nennen die Ghanaer einen Mann, der es im Ausland zu Reichtum gebracht hat und so seine daheimgebliebene Familie unterstützen kann.

Ist Geiz immer noch geil? Wenn sich der Durchschnittsbürger alle paar Wochen neue Fernseher, Waschmaschinen oder Drucker kauft – was passiert dann eigentlich mit den ganzen Altgeräten? Kojo und Kofi wachsen auf einer stinkenden Müllhalde in Ghana auf. Kabel abbrennen, das freigelegte Metall verkaufen, westlichen Elektroschrott ausschlachten: So sieht der triste Alltag der Kinder aus – hoffnungsvoll ist anders. Jahre später gelangt Kojo mithilfe einer Schlepperbande nach Mannheim, der nicht ganz so schönen Schachbrettstadt am Neckar. Kein Job ist zu unwürdig oder gefährlich: Kojo setzt alles daran, seiner Familie den Traum vom Wohlstand zu erfüllen und selbst ein Borga zu werden.

Ein ungewöhnlicher deutscher Film – ungewöhnlich gut, kraftvoll und im feisten Cinemascopeformat gedreht. Perfekt ist „Borga“ nicht, manchmal irritiert die etwas sprunghafte Erzählweise, aber das schmälert den positiven Gesamteindruck nicht. Hauptdarsteller Eugene Boateng (nicht mit Jérôme verwandt) ist eine echte Entdeckung, spielt die Rolle äußerst überzeugend. Den wird man sicher bald in größeren Produktionen sehen.

Der Film gewann vier Max-Ophüls-Preise, denn er „zeigt in eindringlichen, teils beklemmenden Bildern die globalen Auswirkungen des westlichen Konsums auf Kosten des afrikanischen Kontinents“, so die Begründung der Jury. Dass der Film zuvor bei verschiedenen Festivals abgelehnt wurde, weil der Regisseur eine Kartoffel ist – das ist Political Correctness ad absurdum geführt.

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Ghana / Deutschland 2021
107 min
Regie York-Fabian Raabe
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Across Nations Filmverleih

TOUBAB

TOUBAB

Das ist mal echt Pech: Babtou ist gerade aus dem Knast entlassen worden, seine Kumpels veranstalten eine spontane Willkommensparty und Zack – ein dummer Spruch, Schlägerei, Polizei. Die Konsequenzen sind dramatisch: Babtou soll in den Senegal abgeschoben werden, obwohl er in Deutschland geboren wurde und in Frankfurt aufgewachsen ist. Seine einzige Chance: die Heirat mit einer Deutschen. Da sich auf die schnelle keine willige Kandidatin finden lässt, springt Freund Dennis ein. Die neue „schwule“ Liebe sorgt im Hochhaus Ghetto für Ärger und Verwirrung.

Klingt nach alberner Komödie, ist aber ein überraschend guter Film. Natürlich lassen sich ein paar Klischees nicht vermeiden – so sind die beiden deutschen Beamten, die dem jungen Glück eine Scheinehe nachweisen wollen, ein bisschen sehr dick aufgetragen. Und auch auf die penetranten „Ja Mann, Digger, Alter“-Dialoge könnte man gut verzichten. Aber die Geschichte hat Herz, viele gute Momente und vor allem eine tolle Besetzung. Farba Dieng und Julius Nitschkoff spielen die besten Freunde erfrischend unverkrampft und mit dem richtigen Timing für Lässigkeit und Tiefgründigkeit. Für ihre schauspielerische Leistung wurden die beiden mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Regisseur Florian Dietrich wollte einen Film machen, „der nicht elitär ist und trotzdem eine klare politische Botschaft hat: ein bunter, starker, aufrechter Mittelfinger sozusagen.“ Das ist geglückt.

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Deutschland / Senegal 2021
96 min
Regie Florian Dietrich
Kinostart 23. September 2021

alle Bilder © Camino

EIN NASSER HUND

EIN NASSER HUND

Der 16-jährige Iraner Soheil zieht mit seinen Eltern nach Berlin-Wedding. Schnell freundet er sich beim Kicken mit ein paar Migrantenjungs an, verliebt sich in das türkische Mädchen Selma. Was Soheil seinen neuen Freunden verschweigt: Er ist kein Muslim, sondern Jude. Als er sich gezwungenermaßen outet, ist der Beef (#Jugendsprache) vorprogrammiert. Krass antisemitisch! Ja, Mann!

Der Wedding ist nicht nur im Kommen (seit über 50 Jahren), sondern auch Heimat für Araber, Kurden, Türken, Palästinenser – alles eine große Familie. Doch wehe, ein Jude verirrt sich hierhin, dann ist es mit der Toleranz vorbei. „Für die Deutschen bin ich ein Kanake, für die Türken ein Jude und für die Israelis ein Terrorist“, stellt Soheil resigniert fest. Wie soll es da jemals Weltfrieden geben?

Viel zu viel reißt der Film in zu kurzer Zeit an: Die Hauptfigur Soheil verändert sich im Sauseschritt vom guten Jungen zum gefeierten Sprayer, dann zum bösen Dealer, Messerstecher, unfreiwilligen Vater, Bandenopfer, Fachmann für Nahostkonflikte und schließlich zum israelischen Soldaten. Jeder Erinnerungsfetzen aus der Buchvorlage von Arye Sharuz Shalicar wird unmotiviert zu einer Filmszene verwurstet, egal, ob das einen größeren Zusammenhang ergibt oder nicht. Möglich, dass der Film erst am Schneidetisch zerhackstückt wurde, aber flüssig erzählt geht anders.

Damir Lukačević verfolgt das hehre Ziel, einen politischen Film über Hass und Gewalt, Toleranz und das schwierige Zusammenleben verschiedener Kulturen zu machen. Das ist nur teilweise geglückt. Die jungen (Laien)-Darsteller machen ihre Sache ordentlich, doch einige Szenen, besonders die mit Kida Khodr Ramadan (unvermeidlich), bewegen sich auf gehobenem Schüler-Theater-Niveau.

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Deutschland 2021
102 min
Regie Damir Lukačević
Kinostart 09. September 2021

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

GENERATION BEZIEHUNGSUNFÄHIG

GENERATION BEZIEHUNGSUNFÄHIG

Beziehungen und Romantik sind Tim (Frederick Lau) ein Gräuel. Nach One-Night-Stands meldet er sich grundsätzlich nicht zurück, auf Tinder wartet schon die nächste Frau. Als er sein weibliches Pendant Ghost (Luise Heyer) kennenlernt und sich unversehens in sie verliebt, muss er von seiner eigenen bitteren Medizin kosten: Nach ein paar intensiven Dates wird er von seiner Angebeteten geghostet.

„Generation Bziehungsunfähig“ ist eine weitgehend unlustige Komödie mit einem nervigen Frederick Lau und einer charmanten Luise Heyer. Michael Nasts Sachbuch-Bestseller, 2016 erschienen, liefert die Vorlage. In der Verfilmung dient die verstolperte Liebesgeschichte als lockere Rahmenhandlung für eine Reihe eher zusammenhangloser Begebenheiten aus dem Leben eines Beziehungskrüppels.

„Die Känguru-Chroniken“ waren letztes Jahr so erfolgreich, dass gerade eine Fortsetzung gedreht wird. Folglich gibt es eine Menge Zuschauer, die auch Helena Hufnagels Film zum Brüllen komisch finden werden. Humor ist eben Geschmacksache, wusste schon Til Schweiger.
Apropos: Besonders störend an „Generation Beziehungsunfähig“ ist wieder mal die Unart, jede Szene mit einem Popsong zu unterlegen. Hier scheint die Auswahl von einem pensionierten rbb-Redakteur getroffen worden zu sein. Als Tim und sein Opa einen Joint rauchen ist die musikalische Begleitung dazu – richtig: Don’t Bogart That Joint – so originell kann nur deutsche Comedy sein.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
80 min
Regie Helena Hufnagel
Kinostart 29. Juli 2021

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

PRÉLUDE

Die Netflix-Serie „Dark“ geht bald in die 3. Season und Louis Hofmann hat noch kein einziges Mal seinen Penis gezeigt! So sad. Möglicherweise liegt es am Fernsehformat, denn auf der großen Leinwand zieht der Jungschauspieler regelmäßig blank. Auch in „Prélude“ gibt es keinen zwingenden Grund für eine Full-Frontal Szene – und dennoch…

Der talentierte, aber nicht übertalentierte Pianist David (Louis Hofmann) studiert am Musikkonservatorium. Gleich zu Semesterbeginn verliebt er sich in Marie (Liv Lisa Fries), die eigentlich mit Walter zusammen ist (Johannes Nussbaum) – Verwirrung der Gefühle. Unter der Fuchtel seiner fordernden Professorin Frau Matussek (Ursina Lardi) wird sich David schnell seiner Mittelmässigkeit bewusst. Bald schmerzt der Körper, die Hände zucken unkontrolliert, der zerbrechliche Junge verfällt in depressive Wahnvorstellungen.

„Prélude“ zeigt zur Abwechslung mal keine crazy Mittepartypeople, sondern fast altmodisch ernsthafte, junge Menschen beim Studium. Gäbe es keine Rollkoffer und anderen modernen Kram – der Film könnte genauso gut in der Vorkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts spielen. Da passt vor allem Liv Lisa Fries, die wie geboren wirkt für zeitlich nicht klar einzuordnende Rollen. Wie immer präzise und gut: Louis Hofmann. Der 22-Jährige hält perfekt die Balance zwischen kalter Arroganz und großen Selbstzweifeln.

„Prélude“ ist besonders in der ersten Hälfte stark: ein analytisch scharfes, geradlinig erzähltes Portrait. Doch je verrückter David, desto sperriger der Film. Einbildung und Realität heben sich auf, es wird immer unklarer, ob er glaubt, etwas zu tun oder es tatsächlich tut. Dieses Verwischen der Grenzen könnte spannend sein, doch Regisseurin Sarabi entgleitet mit fortschreitender Paranoia der Hauptfigur auch der Erzählfluß, die Geschichte wird immer wirrer.

FAZIT

Drama vom Zerbrechen unter den zu hohen Anforderungen an sich selbst. Gut gespielter, am Ende schwer nachvollziehbarer Blick in eine sensible Künstlerseele.

Deutschland 2019
95 min
Regie Sabrina Sarabi
Kinostart 29. August 2019

Wie gut ist deine Beziehung?

Steves bester Freund Bob wurde gerade von seiner Freundin verlassen. Und das wegen eines älteren Zausels, der sich als Tantralehrer verdingt. Bei Steve schrillen die Alarmglocken. Was, wenn auch seine Lebensgefährtin Carola plötzlich Augen für andere Männer hätte und ihm untreu werden würde?
Hätte, würde, könnte: Weil er sonst nichts zu tun hat, konstruiert Steve kurzerhand seine eigenen Beziehungsprobleme. Schlechte Idee, die Erste: Er bittet ausgerechnet den an allem Unglück schuldigen Tantralehrer Harald, Carola seine Telefonnummer zuzustecken, um dann zu testen, ob sie auf den Flirtversuch einsteigt. Die wiederum wurde von ihrer besten Freundin Anette angehalten, Steve eifersüchtig zu machen…usw….usf….hört sich konstruiert an? 

Wie gut ist deine Beziehung? ist einer der Filme, bei denen man als Zuschauer ständig die Augen verdreht, weil sich die Figuren benehmen, wie man das im wahren Leben nie tun würde. Die selbst erfundenen „Probleme“ könnten sich mit einer klaren Antwort im Nu aus der Welt schaffen lassen, aber dann wäre der Film nach einer halben Stunde vorbei. Ja, da ist der Wunsch der Vater des Gedankens.

FAZIT

Laut Werbung „Eine Komödie in bester Screwball-Manier“.
In Wahrheit ist Wie gut ist deine Beziehung? seichte, im Timing oft daneben liegende Standardware. Der eigenwillige Soundtrack, der wie aus einer „Die Sendung mit der Maus“-Episode klingt, macht die Sache auch nicht besser.

Deutschland 2019
111 min
Regie Ralf Westhoff
Kinostart 28. Februar 2019 

Abgeschnitten

★★

Und warum auch nicht: Bei der Autopsie einer verstümmelten Frauenleiche findet der Rechtsmediziner Paul Herzfeld in deren Kopf einen Zettel mit der Handynummer seiner Tochter Hannah. Die ist entführt worden und der Kidnapper schickt auf diese komplizierte Weise Herzfeld auf eine obszöne Schnitzeljagd, von Leiche zu Leiche. Die morbide Spur führt nach Helgoland, aber die Insel ist wegen eines Unwetters von der Außenwelt abgeschnitten. Herzfeld kommt nicht weiter. Deshalb bittet er die junge Comiczeichnerin Linda um Hilfe, die gerade auf Helgoland festsitzt. Sie soll für ihn – per telefonischer Anweisung – diverse, böse zugerichtete Leichen aufschnippeln und obduzieren. Nur so kann der Serienkiller gestoppt werden. Voll gruselig.

MACHART

Ein bisschen „Sieben“, ein bisschen „Das Schweigen der Lämmer“. Regissur Christian Alvart hat keine Angst vor copy/paste. Die vielen Anleihen bei den amerikanischen Vorbildern sind offensichtlich. „Abgeschnitten“ ist ein sehr konstruierter, leidlich spannender deutscher Thriller mit reichlich computeranimiertem Schnee und viel, viel schamloser Werbung für Mercedes Benz.

Die Besetzung ist prominent: Schon wieder Lars Eidinger. Das macht aber nichts, den sieht man immer gerne, diesmal als Psychopathen, der seine Opfer in den Selbstmord treibt. Moritz Bleibtreu, borderline fehlbesetzt, spielt den Rechtsmediziner Paul Herzfeld. Jasna Fritzi Bauer ekelt sich viel als unfreiwillige Obduktionsgehilfin. Und Fahri Yardim macht, was er am besten kann und beschränkt sich auf seine Standardrolle des türkischen „Hamburger Jung mit Herz“.

Den Titel des Films kann man übrigens in mehrfacher Hinsicht wörtlich nehmen: Eine Vater-Tochter-Beziehung, Helgoland im Unwetter und diverse menschliche Gliedmaßen, alles ist und wird hier abgeschnitten.

FAZIT

Halbwegs spannender Leichenporno.

Deutschland, 2018
Regie Christian Alvart
132 min
Kinostart 11. Oktober 2018