BOB MARLEY: ONE LOVE

BOB MARLEY: ONE LOVE

Ja, Mann! Bob Marley hätte einen besseren Film verdient als dieses flache Malen-nach-Zahlen-Biopic.

Ab 15. Februar 2024 im Kino

Reinaldo Marcus Greens Film wendet sich an ein Publikum, das entweder gar nichts über Bob Marley weiß (Bob wer?) oder Fans, die einfach noch mal die Greatest Hits des Reggaemusikers hören wollen. Schon der Anfang ist entsprechend plump: Schrifttafeln informieren den Zuschauer gefühlt minutenlang, wer der Mann überhaupt war und in welcher Zeit er lebte.

Mit dem Holzhammer erzählt

Wer es noch nicht wusste: Bob Marley war ein jamaikanischer Musiker und Aktivist, der als bedeutendster Vertreter und Mitbegründer der Reggae-Musik gilt. Gemeinsam mit seiner Band The Wailers hatte er zahllose Hits. Mit nur 36 Jahren starb er am 11. Mai 1981 an Hautkrebs.

Eine Geschichte wie mit dem Holzhammer erzählt. Beispielsweise so: Kaum hört Marley (Kingsley Ben-Adir) ein paar Takte des Soundtracks zum Paul-Newman-Film EXODUS, schon greift er nach der Gitarre und performt aus dem Stand den Welthit „Exodus“. Ja, so genial war er wohl. Oder: Marley und seine Frau Rita (Lashana Lynch) streiten sich, sie läuft weinend weg und – richtig – in der nächsten Szene ist „No Woman, No Cry“ zu hören. Welcher Song läuft wohl vor einer Schießerei?

Regie und Drehbuch mögen es ohnehin simpel, haken mehr ab, als eine dramaturgisch interessante Story zu erzählen. Keine Szene, in der nicht irgendwas Maßgebliches besprochen oder Geniales komponiert wird. Das mag zwar alles so gewesen sein, eine tiefergehende Entwicklung der Charaktere bleibt bei diesem „Best of eines Lebens“ aus. Technisch ist das gut gemacht und auch schauspielerisch gibt es nichts zu meckern, nur das Drehbuch hat die Eleganz eines Wikipediaeintrags.

Musiker-Biopics sind ein hit-or-miss-Spiel: Verkleidete Schauspieler, die zum Playback performen, erreichen nie die Kraft und den Zauber des Originals. Für jede BOHEMIAN RAHAPSODY gibt es einen ROCKETMAN, für jeden ELVIS einen MAESTRO. In diesem Fall ist nicht nur haartechnisch gesehen GIRL YOU KNOW IT’S TRUE der bessere Rastazopf-Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Bob Marley: One Love“
USA 2024
105 min
Regie Reinaldo Marcus Green

alle Bilder © Paramount Pictures Germany

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ARISTOTELES UND DANTE ENTDECKEN DIE GEHEIMNISSE DES UNIVERSUMS

ARISTOTELES UND DANTE ENTDECKEN DIE GEHEIMNISSE DES UNIVERSUMS

Die Bestsellerverfilmung über zwei ungleiche Freunde will zu viel und scheitert daran.

Ab 08. Februar 2024 im Kino

ChatGPT, fasse die folgenden 300 Seiten zusammen, unter Beibehaltung der Kernaussagen. Was mit Texten per KI halbwegs funktioniert, ist bei Buchverfilmungen immer noch ein Problem. Entscheidendes fehlt oder ans Herz gewachsene Charaktere werden gestrichen. Der Leser ist genervt. Bei ARISTOTELES UND DANTE ENTDECKEN DIE GEHEIMNISSE DES UNIVERSUMS ist das Gegenteil der Fall – und nun, was soll man sagen? Das macht es auch nicht besser.

Reichlich uninteressante Nebenhandlungen

Der einzelgängerische Aristoteles und der flamboyante Dante könnten unterschiedlicher nicht sein. Trotzdem oder gerade deshalb werden sie beste Freunde. Die „vielleicht“ oder „vielleicht nicht“-Liebesgeschichte zwischen den Jungs, angesiedelt im Texas der 1980er-Jahre, hätte als Coming-of-Age-Film genügend Potenzial. Leider wurden noch reichlich uninteressante Nebenhandlungen über Aris im Knast sitzenden Bruder, den Tod einer lesbischen Tante, die AIDS-Epidemie, Probleme mit den Eltern, Trennungsschmerz, Homophobie und vieles mehr ins Drehbuch gepackt. All die Nebenkriegsschauplätze rauben der eigentlichen Geschichte die Luft zum Atmen. Dramaturgisch besonders ungeschickt: Dante zieht für ein Jahr nach Chicago und verschwindet damit für gut die Hälfte des Films. Kein Wunder, dass man spätestens dann das Interesse an der ohnehin nicht besonders knisternden jungen Liebe verloren hat.

Krampfige oder ins Nichts laufende Dialoge, Charaktere, die eingeführt werden und wieder verschwinden, beliebige Ausstattung und Kostüme. Der Film könnte 1985 oder genauso gut 2024 spielen. Die Besetzung geht in Ordnung (Eva Longoria bleibt als verständnisvolle Mutter fast ungenutzt), doch die guten Schauspieler können das überfrachtete Drehbuch nicht retten.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Aristotle and Dante Discover the Secrets of the Universe“
USA 2023
96 min
Regie Aitch Alberto

alle Bilder © capelight pictures

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ALL OF US STRANGERS

ALL OF US STRANGERS

Zeitreise mal anders. Nicht im DeLorean auf brennenden Reifen zurück in die Zukunft, sondern als melancholischer Traum auf den Spuren der eigenen Kindheit.

Ab 08. Februar 2024 im Kino

Adam ist einsam. Seine Eltern verlor er bei einem Autounfall, als er gerade mal zwölf Jahre alt war. Nun lebt der Drehbuchautor in einem gesichtslosen Hochhaus am Rande Londons. Auf dem Plattenspieler die großen Queer-Pop-Hits der 1980er-Jahre. Eines Abends klingelt sein Nachbar Harry an der Tür. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich rasch eine Beziehung, doch gleichzeitig wird Adam von Erinnerungen an die Vergangenheit heimgesucht. Immer wieder findet er sich in der Vorstadt wieder, in der er aufgewachsen ist. Im Haus seiner Kindheit leben seine Eltern noch genauso, wie vor 30 Jahren, nichts hat sich hier verändert. Das Wiedersehen jenseits von Zeit und Raum löst nicht nur bei Adam schmerzhafte Erinnerungen aus.

Der irreale Zustand zwischen Traum und Aufwachen

ALL OF US STRANGERS ist eine melancholische Meditation über Verlust und Einsamkeit, die sich wie der irreale Zustand zwischen Traum und Aufwachen anfühlt. Wunderbar unkitschig und herzzerreißend traurig, dazu mit umwerfenden Leistungen von allen Schauspielern. Neben Andrew Scott (dem Pfarrer aus FLEABAG) und Paul Mescal glänzen Jamie Bell und Claire Foy als (un)-tote Eltern. Wer bei den Gesprächen zwischen Vater und Sohn nicht mit den Tränen kämpft, hat kein Herz.

Für seine Studie über Vergebung und die Macht der Liebe findet der Film eine ungewöhnliche Erzählform, Kamera und Soundtrack sind herausragend. ALL OF US STRANGERS ist eine der schönsten Lebens- und Liebesgeschichten des Jahres.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „All of us Strangers“
GB 2023
105 min
Regie Andrew Haigh

alle Bilder © Walt Disney Studio Motion Pictures GmbH

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DIE FARBE LILA

DIE FARBE LILA

Aus Buch wird Film wird Broadwaymusical wird Film. THE COLOR PURPLE erzählt vom Triumph einer schwarzen Frau über ihren brutalen Ehemann. 1985 wurde der Stoff unter der Regie von Steven Spielberg verfilmt, 2005 kam eine mit Tony-Awards ausgezeichnete Broadway-Produktion auf die Bühne. Aus der hat Regisseur Blitz Bazawule nun wieder einen Kinofilm gemacht.

Ab 08. Februar 2024 im Kino

Musicals: Die einen lieben sie, die anderen hassen sie. Daran wird auch die von Oprah Winfrey und Steven Spielberg produzierte Verfilmung des Broadway-Stücks DIE FARBE LILA nichts ändern. Die Geschichte von der misshandelten Celie, die unglücklich mit einem brutalen Drecksack verheiratet ist und deren geliebte Schwester von eben diesem vertrieben wird, ist bekannt. Neu ist, dass die Handlung diesmal singend erzählt wird.

Überbordende Gesangs- und Tanznummern

Regisseur Blitz Bazawule hat mit der Adaption des Pulitzerpreis-ausgezeichneten Romans von Alice Walker einen zeitlosen Film gemacht. Hier stört nichts unpassend Modernes, alles ist hochprofessionell inszeniert, perfekt ausgestattet und natürlich top gespielt und gesungen. Die Kamera von Dan Laustsen gleitet durch sonnendurchflutete oder dramatisch verregnete Südstaaten-Landschaften, umkreist und fliegt über die Darsteller in feist ausgestatteten Musicalnummern.

Dass es dabei nicht disneyhaft septisch wird, ist vor allem den grandiosen Schauspielerinnen zu verdanken, allen voran Fantasia Barrino in der Hauptrolle, Taraji P. Henson als Shug Avery und Scene-Stealer Danielle Brooks, deren Sofia sich in der von Männern dominierten Welt nicht die Butter vom Brot nehmen lässt.

Die ersten zwei Stunden sind großes Kino: überbordende Gesangs- und Tanznummern und tolle Darbietungen von allen Beteiligten machen den Film zu einem Erlebnis. Doch am Ende ist es die letzte halbe Stunde, die zu viel ist. Je mehr die Bösen geläutert sind, desto kitschiger wird es. Ein Problem, das schon Spielbergs Version hatte. Wie in jeder echten Hollywoodproduktion ist auch hier das Happy End unvermeidlich, nur besonders glaubhaft ist es nicht.

Blitz Bazawule ist ein ghanaischer Multimediakünstler, der vor allem als Co-Regisseur bei Beyoncés „Black is King“ bekannt wurde. Seine Neuverfilmung von THE COLOR PURPLE ist ein visuelles Fest, handwerklich unglaublich gut gemacht, nur bei der Charakterentwicklung hapert es manchmal etwas. Wer Sinn für Musicals hat, sollte sich DIE FARBE LILA trotzdem auf keinen Fall entgehen lassen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Color Purple“
USA 2023
145 min
Regie Blitz Bazawule

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

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EINE MILLION MINUTEN

EINE MILLION MINUTEN

Zufall oder Absicht? EINE MILLION MINUTEN zeigt auffallende Parallelen zu WOCHENENDREBELLEN - ist aber der bessere Film.

Ab 01. Februar 2024 im Kino

Die Geschichte kommt einem bekannt vor: Vater ist viel unterwegs, macht Karriere. Mutter kümmert sich um Kinder und Haushalt, ist frustriert. Opa wird von Joachim Król gespielt. Eines der Kinder hat eine leichte Behinderung. Nix Garstiges, irgendwas, was man fast nicht sieht. ADHS oder so. Und weil keine Therapie anschlägt und das Kind es sich abends beim Zubettgehen so sehr wünscht, fasst die Familie einen verrückten Plan: Sie fahren gemeinsam durch sämtliche Fußballstadien Deutschlands. Nein, das war der andere Film. Sie machen eine Weltreise für 1.000.000 Minuten (entspricht knapp zwei Jahren). Und weil Kinder nicht nur im Prenzlberg an der Macht sind, dürfen sie den Verlauf der Tour bestimmen. Kurz mit dem kleinen Finger auf den Globus getippt – und los geht’s. Doch dass man, egal wohin man reist, seine Probleme immer wie einen schweren Koffer mit sich trägt, ist eine Binsenweisheit.

Das Leben ist der beste Autor

Ohne jeden Zynismus kann man sagen, dass hier die Probleme von extrem privilegierten Menschen thematisiert werden. So hält sich das Mitleid in Grenzen, wenn die Familie bei ihrem Selbstfindungstrip in fantastischen Häusern mit direktem Meerzugang residiert und das größte Problem eine instabile Internetverbindung ist. Darauf ein kühles Bier am Strand.

Dass EINE MILLION MINUTEN um Klassen besser als sein Doppelgänger WOCHENENDREBELLEN ist, hat mehrere Gründe: Zum einen sieht er besser aus. Kameramann Andreas Berger hat den Film fürs Kino gedreht und vermeidet kleinliches TV-Format. Zum anderen beweist Regisseur Christopher Doll bei der Besetzung der Hauptrollen mit Karoline Herfurth und Tom Schilling ein glückliches Händchen. Den beiden ist es zu verdanken, dass EINE MILLION MINUTEN keine banale deutsche Komödie mit Herz-Schmerz-Elementen geworden ist. Ganz im Gegenteil. Abgesehen von den etwas nervigen „Bilder einer glücklichen Familie mit gefälliger Popmusik unterlegt“-Sequenzen hat der Film viele erstaunlich ernste und berührende Momente.

Das Leben ist eben doch der beste Autor: Wie WOCHENENDREBELLEN basiert auch EINE MILLION MINUTEN auf einer wahren Geschichte. Die Buchvorlage stammt von Wolf Küper, der mit seiner Familie nach Stationen in Australien, Neuseeland und Asien inzwischen in Kapstadt lebt. Christopher Doll liefert mit der Verfilmung eine emotionale und wohltuend untypisch deutsche Tragikomödie ab – sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2024
123 min
Regie Christopher Doll

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

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THE HOLDOVERS

THE HOLDOVERS

Ab 25. Januar 2024 im Kino

Ein schlecht gelaunter Professor, ein rebellischer Teenager und eine trauernde Köchin bilden eine Zwangsgemeinschaft zu Weihnachten. Alexander Payns neuer Film kommt auf den Tag genau einen Monat zu spät in die Kinos. Aber weil THE HOLDOVERS ein moderner Klassiker ist, kann man sich den auch im Januar noch gut anschauen.

Schnee rieselt, der Baum ist geschmückt, es weihnachtet sehr. Doch im Elite-Internat Barton Academy ist zum Jahresende 1970 die Stimmung alles andere als festlich. Der bösartige, von Schülern wie Kollegen gehasste Lehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) hat die undankbare Aufgabe, sich über die Feiertage um die „Überbleibsel“ (The Holdovers) zu kümmern, also jene Schüler, die nicht zu ihren Familien fahren konnten oder durften. In diesem Jahr bleibt am Ende nur der hochintelligente Einzelgänger Angus (Dominic Sessa) in seiner Obhut. Zusammen mit Kantinenköchin Mary (Da’Vine Joy Randolph) bildet die Zwangsgemeinschaft eine Art Ersatz-Familie, wenn auch auf begrenzte Zeit.

Das Leben ist hart

THE HOLDOVERS könnte ebenso gut aus der HAROLD AND MAUDE-Zeit stammen. Regisseur Alexander Payn erzeugt ein perfektes 70er-Jahre-Feeling ohne Klischees oder einen aufdringlichen Zeitgeist-Soundtrack. Es fängt schon beim altmodischen Universal-Logo an, geht über die hässlichen, aber sehr authentischen Titel-Einblendungen, bis hin zur perfekten Ausstattung samt Kostüme. Einen Glücksgriff hat Payne mit seinem bislang unbekannten Hauptdarsteller Dominic Sessa getan. Der steht hier zum allerersten Mal vor einer Kamera. Unglaublich. Dass er nebenbei auch noch wie die jugendliche Version von Donald Sutherland aussieht, macht die Reise in die 70er noch überzeugender. (Fragt sich, wieso die Macher vom TRIBUTE VON PANEM-Prequel den nicht auf dem Schirm hatten). Daneben der immer hervorragende, hier oscarreif spielende Paul Giamatti. Regisseur und Schauspieler verbindet eine lange Geschichte. Schon vor 20 Jahren stand Giamatti in SIDEWAYS für Payn vor der Kamera. Die in diesem Jahr mit dem Golden Globe für die beste Nebenrolle ausgezeichnete Da’Vine Joy Randolph vervollständigt das Trio als patente und großherzige Köchin, die mehr Tragik in sich trägt, als es auf den ersten Blick scheint.

Das Leben ist hart und THE HOLDOVERS macht daraus keinen Hehl. Die Weihnachtsgeschichte vom mürrischen Giftzwerg, der sich zum emphatischen Menschen wandelt, ist oft rührend, aber nie rührselig. Payne ist ein moderner Klassiker geglückt – bewegend, toll gespielt und mit viel authentischer 70er-Jahre-Atmosphäre. Unbedingt ansehen. 

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Holdovers“
USA 2023
133 min
Regie Alexander Payn

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

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STELLA. EIN LEBEN.

STELLA. EIN LEBEN.

Ab 25. Januar 2024 im Kino

Blondiert, elegant und skrupellos - Stella Goldschlag verrät während des Zweiten Weltkriegs jüdische Mitbürger, um ihre eigene Haut zu retten.

Berlin 1940: Sie lebt und liebt Jazz. Der große Traum vom Engagement in New York wird sich nicht erfüllen, denn Stella und ihre Freunde sind Juden. Sie kann zwar zunächst untertauchen, doch 1943 wird sie verhaftet. Um sich und ihre Eltern zu retten, arbeitet sie im Auftrag der Gestapo, sucht nach jüdischen Mitbürgern und denunziert sie. 

War Stella Goldschlag ein Monster?

Zwischen 600 und 3.000 Juden verrät Stella Goldschlag und stürzt sie damit ins Verderben. Nach Kriegsende will sie sich als „Opfer des Faschismus“ anerkennen lassen, später konvertiert sie zum Christentum und wird bekennende Antisemitin. Paula Beer spielt die ambivalente Figur gewohnt facettenreich, doch als Zuschauer bleibt man distanziert. Es fällt schwer, irgendeine Form von Sympathie oder Mitgefühl (trotz brutaler Folter durch die Gestapo) für eine Kollaborateurin zu entwickeln, die sich derart skrupellos verhält. Wie sie gemeinsam mit ihrem Freund, dem Passfälscher Rolf Isaaksohn, nicht nur überteuerte Ausweispapiere an Juden verkauft, sondern sich bald einen genussvollen Sport daraus macht, sogar enge Freunde zu verraten – das ist schon ganz und gar widerlich.

Den Kudamm der 40er-Jahre hat Set-Designer Albrecht Konrad kurzerhand an der Frankfurter Allee nachgebaut. Das sieht täuschend echt aus und ist eine Wohltat gegenüber den sonst üblichen, im Computer generierten Kulissen. STELLA. EIN LEBEN. besticht immerhin durch tolle Ausstattung. Doch sowohl in der Besetzung als auch in der Bildsprache ist der Film eigenartig modern. Zu keinem Moment glaubt man ernsthaft, Jannis Niewöhner oder Damian Hardung seien Menschen aus der damaligen Zeit. Kameramann Benedict Neuenfels zoomt und wackelt dazu durch die Geschichte, als würde er einen Jason-Bourne-Film in den 2000er-Jahren drehen – auch das wirkt angestrengt und fehl am Platz.

Ein zwiespältiger Film über eine (mehr als) zwiespältige Frau. War Stella Goldschlag ein Monster? Darüber zu urteilen, fällt schwer. Über allem steht die ewige Frage: „Was hätte man selbst getan?“ Stella Goldschlag war Täterin und Opfer zugleich. STELLA. EIN LEBEN. hat inszenatorische Schwächen, erzählt aber eine hochinteressante und gleichzeitig verstörende wahre Geschichte.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
115 min
Regie Kilian Riedhof

alle Bilder © MAJESTIC

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POOR THINGS

POOR THINGS

Ab 18. Januar 2024 im Kino

Was passiert, wenn man einer Selbstmörderin das Gehirn ihres ungeborenen Kindes einpflanzt? Auf diese komplexe Frage findet der neue Film von Yorgos Lanthimos (THE LOBSTER und THE FAVOURITE) überraschende Antworten.

Frankenstein 2.0: Der brillante Wissenschaftler Dr. Gordon Baxter (Willem Dafoe) fischt die Leiche einer Schwangeren aus dem Fluss. In seinem Labor verpflanzt er das Gehirn des ungeborenen Babys in den Kopf der jungen Frau. Mit viel Blitz und Strom erweckt er sie anschließend zum Leben. Bella Baxter (Emma Stone), so nennt er sein Geschöpf, macht sich mit kindlicher Neugier daran, die Welt des 19. Jahrhunderts zu erkunden.

Mindestens die weibliche Emanzipation in Zeitraffer

Vom Prenzlpanther zum normalen Menschen: Bella lernt laufen, essen, sich zu benehmen, entdeckt ihre Sexualität, die Liebe, die Kultur und die Politik. Was so ein Leben eben alles bereithält. Emma Stone spielt sich dabei in Richtung nächste Oscarnominierung. Faszinierend, wie sie sich von einem brabbelnden, kaputten Spielzeug auf zwei Beinen vor den Augen der Zuschauer in eine freiheitsliebende, selbstbestimmte Frau verwandelt. Manche interpretieren schon wieder eine zweite BARBIE und mindestens die weibliche Emanzipation in Zeitraffer in den Film. Doch POOR THINGS ist vor allem ein intelligenter Augenschmaus.

Willem Dafoe sieht unter einer dicken Schicht Latex selbst wie eine Kreation Frankensteins aus. Hinter der vernarbten Maske verbirgt sich eine geschundene Seele, seinem monströsen Vater sei Dank. Den genialen Wissenschaftler spielt Dafoe zurückgenommen, die Rolle hätte leicht in schamloses overacting kippen können. „Dumm fickt gut“ müsste im Falle von Mark Ruffalos Figur eher „eitel fickt gut“ heißen. Großartig, wie er den erbärmlichen Liebhaber Bellas der Lächerlichkeit preisgibt und nebenbei für eine ganze Generation Männer steht, die glaubt, nur durch ihre Virilität, könnten Frauen Erfüllung finden.

Die mit Fischaugenobjektiv teils in schwarz-weiß, teils in knallbunten Farben gedrehten Bilder wecken dank surrealistischer Kulissenbauten Erinnerungen an Terry Gilliam und Wes Anderson. Ähnlich wie die beiden großen Kinomagier erschafft Yorgos Lanthimos einzigartige, handgemachte Fantasiewelten und lässt seine Figuren jenseits aller gängigen Hollywoodformeln agieren. Dabei ist Lanthimos noch nicht im Manierismus festgefahren (im Gegensatz zu Anderson, der sich seit Jahren um sich selbst zu drehen scheint), wirkt frisch und aufregend.

Noch besser wäre POOR THINGS wohl nur, wenn man ihm in der Mitte eine halbe Stunde rausschneiden würde. Es zieht sich zwischendurch ein wenig. Aber das wird locker durch grandiose Bilder, tolle Schauspieler und die besten Tierfabelwesen (ein Hund mit Gänsekopf!) wettgemacht, die seit langem im Kino zu bestaunen waren. Das Festivalpublikum in Venedig war begeistert, am Schluss gab es den Goldenen Löwen für den Besten Film. Verdient.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Poor Things“
England 2023
141 min
Regie Yorgos Lanthimo

alle Bilder © The Walt Disney Company Germany

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BABY TO GO

BABY TO GO

Ab 11. Januar 2024 im Kino

Familienplanung von übermorgen. BABY TO GO ist eine ironische Zukunftsvision mit hübschem Technik-Schnickschnack und Werbeästhetik.

Gleichberechtigung 5.0: Männer können auch im neuen Jahr nicht schwanger werden, da kann die Wissenschaft noch so lange forschen. Und Frauen wollen es nicht mehr. Die Hormone, die Hitzewallungen, die Schwangerschaftsstreifen! Stattdessen lässt sich der Nachwuchs in einem schicken Designer-Pod im Labor züchten. Kinderkriegen wird so einfach wie die Pflege eines Tamagotchis.

BLACK-MIRROR-Episode auf 111 Minuten gedehnt

BABY TO GO erzählt von Rachel (Emilia Clarke) und Alvy (Chiwetel Ejiofor), die sich nach langem Zögern entschließen, Eltern von einem Plastikei zu werden. Regisseurin Sophie Barthes nutzt für ihre Science-Fiction-Sozialsatire die visuellen Mittel einer Apple-Werbung. Slicke Technik (der Frühstückstoast kommt aus dem 3D-Drucker), sanfte Pastelltöne – die Welt der Zukunft sieht gut aus.

Doch gutes Aussehen alleine reicht nicht. BABY TO GO ist eine etwas zahnlose BLACK-MIRROR-Episode auf 111 Minuten gedehnt. Das hätte sich komprimierter und wirkungsvoller locker in der Hälfte der Zeit erzählen lassen. Trotz all der hübschen Bildideen zieht es sich zwischendurch wie eine Apple-Präsentation von Tim Cook.

Zuschauer, die zwischen 10 und 14 € für ein Kinoticket berappen, erwarten eine gewisse Quantität an Film. Deshalb gibt es hierzulande auch keinen Markt für Kurzfilme. Eine knackigere Version von BABY TO GO wäre besser bei einem Streamer oder als Hälfte eines Doublefeatures aufgehoben.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Pod Generation“
GB 2022
111 min
Regie Sophie Barthes

alle Bilder © Splendid Film

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PRISCILLA

PRISCILLA

Ab 04. Januar 2024 im Kino

Was vom Mythos übrigblieb – die wahre Geschichte von Elvis Presleys besserer Hälfte.

Text: Anja Besch

Wohl jeder kennt die Story von Priscilla Beaulieu, die als 14-Jährige auf einem deutschen Army-Stützpunkt Elvis kennenlernt und ihm aus Liebe in den goldenen Käfig Graceland nach Memphis folgt. Statt elterlicher Aufsichtspflicht gilt es nun, die kruden religiösen und modischen Lebensregeln des Elvis Aaron Presley aka „Elvis the Pelvis“ zu befolgen. Der hüftschwingende Superstar und Pin Up Boy einer ganzen kreischenden Backfischgeneration entpuppt sich im überladenen Heim als pillenkomatöser Sexmuffel, der sieben Jahre lang allenfalls Hand an die Optik seiner später Angetrauten legt. Vierzehn Jahre und ein überraschendes Kind später verlässt Priscilla den King und schreibt 1985 ihre Memoiren „Elvis und Ich“, auf denen die 20 Millionen US-Dollar teure Produktion von Regisseurin Sophia Coppola beruht.

Lehrstück in Make-up, Frisurenstyling und Raumausstattung

PRISCILLA ist zwar aufwendiger als ein Privatfernsehen-Biopic, doch keineswegs interessanter, aufschlussreicher oder subtiler. Was die Königin des Musik-Merchandise-Marketings zu eben dieser machte (Lebensaufgabe seit Elvis Tod 1977 – neben talentfreien Schauspielversuchen in DALLAS oder DIE NACKTE KANONE – Verwalterin der Pilgerstätte Graceland), ist allenfalls ein Lehrstück in Make-up, Frisurenstyling und Raumausstattung.

Natürlich zieht der Name der bekanntesten Ex-Ehefrau der Welt, doch ist nicht jedes vermeintliche VIP-Opfer gleich eine verfilmungswürdige Ikone. Um die Beziehung des Mythos‘ Elvis zu seiner Kindsbraut zu verstehen, hätte es mehr als die überdimensionierten 40 cm Größenunterschied der beiden Hauptdarsteller Cailee Spaeny und Jacob Elordi gebraucht. Der Zuschauer bleibt außen vor und leidet bei Tränchen der chronisch Unterliebten – deren Namenspatronin bezeichnenderweise eine vorchristliche Märtyrerin ist – allenfalls mit ihrer Wimperntusche. Zum Trost gibt es nicht einmal ein Wiederhören mit gefühlsverstärkenden Elvis-Songs, da aus rechtlichen Gründen der Score von Coppolas Ehemann Thomas Mars und dessen Poprockband „Phoenix“ stammt.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Priscilla“
USA 2023
113 min
Regie Sofia Coppola

alle Bilder © MUBI

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THE QUEEN MARY

THE QUEEN MARY

Ab 28. Dezember 2023 im Kino

Rechtzeitig zum Jahresende kommt dieser komplett verkorkste Quatschfilm über ein dümpelndes Gespensterschiff in die Kinos.

Am Hafen von Long Beach liegt seit vielen Jahren die RMS Queen Mary vor Anker. In den 1930er-Jahren gebaut, früher stolzer Passagierdampfer, inzwischen zu einem Casino für spielsüchtige Touristen verkommen. Als neue Attraktion bieten die Eigner nun eine Geistertour an Bord. Der Film THE QUEEN MARY dient offensichtlich als Werbevehikel für den 65 $ teuren „Paranormal Ship Walk“.

Ein Meisterwerk des Scheiterns

THE QUEEN MARY macht den Eindruck, als hätten sehr viele Köche den Brei verdorben. Im Schnittraum wurde dann das Material ohne jeden Sinn und Verstand aneinander geschustert. Das Ergebnis: Ein Meisterwerk des Scheiterns. Wirr wäre untertrieben. Es gibt wohl zwei (oder drei?) Zeitebenen: Eine spielt 1938 und handelt von einer Gaunerfamilie, die sich trotz Dritte-Klasse-Tickets in den Speisesaal der First Class schmuggelt. Als man sie enttarnt, wird der Vater zum blutrünstigen Axtmörder, während seine kleine Tochter mit Fred Astaire einen schier unendlich langen Stepptanz aufführt (nicht fragen). Gleichzeitig stolpern in der Gegenwart die vollbusige Sarah (an der Bluse stets einen Knopf zu viel geöffnet), ihr Ex-Mann und der zwergwüchsige Sohn über das Deck, auf der Suche nach Gespenstern oder möglicherweise dem verloren gegangenen Drehbuch. In diesem filmischen Desaster sind einzig die Ausstattung des Schiffs mit seinen historischen Dekor und die schick gemachten Übergänge zwischen den Epochen erwähnenswert.

Regisseur Gary Shore hat schon den unsäglichen DRACULA UNTOLD verbrochen. Dass er früher mal Werbefilme gemacht hat, mag man kaum glauben. THE QUEEN MARY ist zu lang, zu schlecht gedreht und im wahrsten Sinne des Wortes unterbelichtet. Das funktioniert nicht mal als trashiger Spaß. Die beste Szene zeigt eine Gespensterfrau, die sich den Kopf auf der Tastatur eines Klaviers zu Matsch zerschlägt – als Zuschauer dieses Films kann man es ihr nachempfinden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Haunting of the Queen Mary“
USA / Großbritannien 2023
125 min
Regie Gary Shore

alle Bilder © Splendid Film

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LOLA

LOLA

Ab 28. Dezember 2023 im Kino

Was wäre, wenn? LOLA ist ein kluges Gedankenspiel über Machtmissbrauch und seine fatalen Konsequenzen.

Eine interessante Überlegung: Ließe sich das Schicksal der Menschheit verändern, wenn man Nachrichten aus der Zukunft sehen könnte? Thom und Mars haben eine Maschine erfunden, kurz „Lola“ genannt, mit der sie genau das können. Es ist das Jahr 1941, der Zweite Weltkrieg tobt und Hitlers Truppen rücken nach England vor. Mithilfe ihrer Maschine, mit der sie Radio und Fernsehschnipsel aus der Zukunft empfangen können, wissen die beiden Schwestern immer schon einen Tag vorher, was der GröFaZ plant und können die Zivilbevölkerung vorwarnen. Bald werden die beiden „Wahrsagerinnen“ nationale Berühmtheiten, obwohl niemand weiß, wer sie in Wirklichkeit sind. Doch das Wissen über die Angriffspläne von morgen weckt das Interesse des Militärs – und so was geht ja bekanntlich nie gut aus.

Wäre David Bowie in einer alternativen Zeit Zahnarzt geworden?

Sie haben David Bowie gelöscht! Kann passieren, wenn sich durch zunächst kleine, dann immer gewaltigere Eingriffe der Ablauf des Weltgeschehens ändert und die uns bekannte Timeline aus dem Ruder läuft. Wäre David Bowie in einer alternativen Zeit Zahnarzt geworden und hätte nie von Major Tom gesungen? Die Idee ist nicht neu, aber hier besonders faszinierend weitergedacht: Wie sehr ändert sich der Lauf der Welt, wenn zum Beispiel Musik aus der Zukunft schon 1940 populär gemacht wird?

Für seinen klugen Experimental-Film LOLA hat Regisseur Andrew Legge die Form des „Found-Footage“-Formats gewählt. Das ist zwar voll 2000er, funktioniert hier aber hervorragend. Statt verwackelter Videobilder gibt es der damaligen Zeit entsprechend verwackelte Filmbilder in schwarz-weiß und verrauschtem Ton. LOLA ist ein beeindruckendes Spielfilmdebüt, nur 80 Minuten lang und könnte als Blaupause für eine Miniserie oder einen großen Spielfilm dienen. Clever gemacht und sehr interessant.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Lola“
Irland / UK 2023
80 min
Regie Andrew Legge

alle Bilder © Neue Visionen

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THE IRON CLAW

THE IRON CLAW

Ab 21. Dezember 2023 im Kino

In der internationalen Wrestling-Szene waren sie jahrelang Stars. Privat lag ein Fluch auf den Von Erichs.

Texas, Anfang der 80er-Jahre: Fritz Von Erich ist ein berühmter Wrestler, dem der ultimative Sieg als World-Champion zeitlebens verwehrt bleibt. Also drängt er seine Söhne in den Sport. Dass die Jungs in erster Linie das Ego ihres Vaters befriedigen und mit unterwürfigem „Yes Sir!“ nur Befehle ausführen, kommt dem herrschsüchtigen Alten nicht in den Sinn.

Muskeln, Kraft und toxische Männlichkeit

Die Story vom Fluch, der angeblich auf den Von Erichs liegt, ist in Insiderkreisen Legende. Hätte sich das ein Drehbuchautor ausgedacht, würde man ihm maßlose Übertreibung vorwerfen. So viel sei verraten: Von fünf Brüdern (in Wahrheit sogar sechs) überlebt am Ende nur einer. Nicht umsonst wird die Familie oft als die Kennedys des Sports bezeichnet.

Die Besetzung ist das Highlight des Films. Neben dem besorgniserregend muskulösen Zac Efron (von einer He-Man-Gedächtnisfrisur verunstaltet) besteht sie aus lauter tollen Schauspielern, bei denen man auf Anhieb nicht so genau erinnert, woher man sie kennt: Jeremy Allen White (THE BEAR), Harris Dickinson (TRIANGLE OF SADNESS) und vor allem als gestrenger Vater Holt McCallany, der in der leider nie fortgesetzten Serie MINDHUNTER die Hauptrolle spielt.

Es riecht nach Testosteron. Für Wrestling sollte man sich auf jeden Fall interessieren, denn es gibt viel vom Sport zu sehen, von dem bis heute niemand weiß, wo Wettkampf aufhört und Show beginnt. Hier dreht sich alles um Muskeln, Kraft und toxische Männlichkeit. Die Von Erichs sind jahrelang Stars der Szene und eilen von Sieg zu Sieg. Es hätte nicht geschadet, wenn sich das Drehbuch dabei ein bisschen weniger an der Realität abgearbeitet hätte. So bleiben die Figuren von Anfang bis Ende in ihren Verhaltenskorsetts gefangen. Die Eltern behandeln ihre Kinder wie nützliches Werkzeug, Emotionen sind unerwünscht. Die ständige Wiederholung von Kämpfen im Ring und dem nächsten Schicksalsschlag ist nicht leicht zu verdauen. Doch die Realität war wohl noch viel schlimmer als das, was auf der Leinwand zu sehen ist. Einer der Söhne, Chris, kommt im Film gar nicht vor. Auch sein Leben endete früh durch Selbstmord. „Man kann das den Zuschauern nicht zumuten. Es wäre einfach zu unerbittlich.“, sagt Regisseur Durkin.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Iron Claw“
USA / GB 2023
130 min
Regie Sean Durkin

alle Bilder © LEONINE Studios

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GIRL YOU KNOW IT’S TRUE

GIRL YOU KNOW IT’S TRUE

Ab 21. Dezember 2023 im Kino

Sie verkauften 14 Millionen Alben, wurden zu Stars - gesungen haben andere. Ist die Geschichte von Milli Vanilli knapp 30 Jahre später noch relevant genug, um daraus einen Kinofilm zu machen?

Der kometenhafte Aufstieg und der krasse Absturz der beiden Backgroundtänzer Robert Pilatus und Fabrice Morvan, besser bekannt als Milli Vanilli, ist 1993 der größte Skandal, den die Musikgeschichte bis dato erlebt hat. Vergleichbar in etwa, wenn heute rauskäme, dass Taylor Swift seit Jahren die Lippen zum Playback einer anderen Sängerin bewegt. Milli Vanilli sind internationale Stars aus München. Nummer eins Hits weltweit, vergöttert in Amerika und Gewinner des Grammys als Best New Artists. Doch dann lässt Produzent Frank Farian bei einer Pressekonferenz die Bombe platzen: Rob und Fab haben nicht einen Ton auf ihrem millionenfach verkauften Album selbst gesungen. Alles Lug und Trug. Ihre Platten werden öffentlich von enttäuschten Fans mit Bulldozern zermalmt.

Eine alberne deutsche Klamotte auf RTL-Niveau?

Wenn Menschen, die es gut mit einem meinen, hören, dass man sich bei strömendem Regen zur Pressevorführung eines Milli Vanilli-Biopics mit Matthias Schweighöfer (!) aufmacht, erntet man Mitleid. Warum tust Du dir das an? Die eigene Lust ist auch nicht gerade groß, schließlich sieht der Trailer verboten schlecht aus. Eine alberne deutsche Klamotte auf RTL-Niveau über zwei Fake-Musiker – wer braucht das? Und dann die große Überraschung: Nicht nur nervt Schweighöfer nicht, der Film ist richtig gut. Unterhaltsam, witzig und vor allem auf den Punkt besetzt. Tijan Njie und Elan Ben Ali sehen den Originalen unfassbar ähnlich und können auch noch spielen.

Die Rahmenhandlung zeigt die beiden auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. In einem luxuriösen Hotelzimmer auf die Couch gefläzt, erzählen sie ihre Geschichte. Dabei durchbricht Regisseur Verhoeven, wie auch später bei anderen Szenen, die vierte Wand. Die Darsteller sprechen direkt zu den Zuschauern. Nur eine von vielen guten Ideen, die den Film auch visuell interessant machen. Schön widerlich ist die Ausstattung. Wer dabei war, erinnert sich: so geschmacklos sah Ende der 80er-Jahren die Mode wirklich aus. Neben der eigentlichen Skandalgeschichte gibt es Wissenswertes über die Abgründe des Musikbusiness (der große Hit „Girl you know it’s true“ war geklaut – Farian selbst nennt es eine Neuinterpretation) und die familiären Hintergründe der beiden gefallenen Stars.

Wie so oft, findet auch GIRL YOU KNOW IT’S TRUE kein Ende. Es gibt da eine bestimmte Szene mit einem Walkman, die das perfekte Schlussbild für diesen unerwartet guten Film gewesen wäre. Aber das ist nur ein kleines Manko – die unglaublich wahre Geschichte von Milli Vanilli ist eine echt gelungene Überraschung zu Weihnachten.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
124 min
Regie Simon Verhoeven

alle Bilder © LEONINE Studios

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EILEEN

EILEEN

Ab 14. Dezember 2023 im Kino

Todd Haynes für Arme: EILEEN ist ein hochkarätig besetztes B-Picture.

Massachusetts im Winter 1964: Der Vater ein jähzorniger Säufer, die gemeinsame Wohnung heruntergekommen, der Job im Jugendgefängnis öde. Eileens Leben ist trostlos. Bis eines Tages die glamouröse Rebecca als ihre neue Chefin auftaucht – um das junge Mädchen ist es geschehen. Bald entwickelt sich eine zarte Bande zwischen den beiden Frauen. Doch dann konfrontiert Rebecca Eileen mit einem furchtbaren Geheimnis.

Der große Twist kommt viel zu spät

Oh Schreck, oh Graus! Klingt wie ein B-Picture? Ist es auch. Früher wäre so was als Schwarz-Weiß-Drama mit hysterischem Geigenscore in die Kinos gekommen. Todd Haynes, der andere moderne Regisseur mit einer Schwäche für Douglas-Sirk-Dramen, hat mit CAROL schon vor acht Jahren das bessere Retro-Drama gedreht. 

Die einen mögen sie, viele hassen sie: Anne Hathaway gibt dem Affen Zucker, ist in dieser zweitklassigen Produktion aber fast verschenkt. Die hervorragende Thomasin McKenzie (LAST NIGHT IN SOHO) spielt die Titelfigur Eileen als sexuell erwachende Kindfrau. Weshalb sich ein A-Cast für diese maue Produktion verpflichtet hat, bleibt ein Geheimnis. Aber das größte Rätsel ist, wohin das Drehbuch mit seiner Geschichte will. Der gar nicht so überraschende Twist kommt viel zu spät, da hat man schon längst das Interesse verloren. Und auch die mehr als dezent angedeutete homoerotische Liebe zwischen Eileen und Rebecca verpufft ohne nennenswerten Effekt. Am Ende des Films fragt man sich: Was genau sollte das alles?

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Eileen“
USA 2023
97 min
Regie William Oldroyd

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

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MUNCH

MUNCH

Ab 14. Dezember 2023 im Kino

Biopic über den Vater des Expressionismus, Edvard Munch. Sein Gemälde „Der Schrei“ ist eines der berühmtesten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts.

MUNCH ist eine Tour de Force durch das Seelenleben eines unergründlichen Künstlers. Von seinen Kollegen missverstanden, vom Kunstbetrieb abgelehnt, von Melancholie geplagt und von der Alkoholsucht gequält – Regisseur Henrik Martin Dahlsbakken zeichnet ein nuanciertes Porträt des norwegischen Malers.

Nur wenige waren produktiver

Das 19. Jahrhundert ist nur ein Handyklingeln vom Technoclub entfernt. MUNCH schafft den Bezug zum Heute, indem er Szenen frech ins Berlin der Jetztzeit verlegt. Dort sorgt 1892 die erste Ausstellung des jungen Malers für einen Skandal. Eine von vielen künstlerisch mutigen Ideen, die das Biopic zu einem relevanten, modernen Stück Kino machen. So wird der greise Munch beispielsweise von der norwegischen Theaterschauspielerin Anne Krigsvoll gespielt, eine überraschende Besetzung, die hervorragend funktioniert.

Der große Ruhm setzt auch bei Edvard Munch erst lange nach seinem Tod ein: 2012 wird „Der Schrei“ für unfassbare 120 Millionen US-Dollar versteigert. Wie in den beiden anderen aktuellen Malerbiopics DALILAND und DER SCHATTEN VON CARAVAGGIO spielen auch bei MUNCH die Kunstwerke selbst nur eine untergeordnete Rolle. Die Seelenqualen (und damit Inspirationsquellen) des Künstlers stehen mehr im Mittelpunkt als sein Werk. Verständlich, denn für einen Spielfilm bieten abgefilmte Gemälde nur einen überschaubaren Unterhaltungswert. Wer das im Kino trotzdem sehen möchte, für den gibt es am Ende von MUNCH eine tolle, mehrminütige Sequenz, die ein Best of seiner berühmtesten Bilder zeigt. Es sind viele. Munch hinterließ der Nachwelt mehr als 1.700 Gemälde.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Munch“
Norwegen 2023
104 min
Regie Henrik Martin Dahlsbakken

alle Bilder © Splendid Film

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How to have Sex

HOW TO HAVE SEX

How to have Sex

HOW TO HAVE SEX

Ab 07. Dezember 2023 im Kino

How to have sex - hopefully not like this.

Was ist schlimmer, als eine Horde besoffener US-Teenager zum Springbreak? Eine Horde besoffener Teenager aus England auf einer Mittelmeerinsel. Die 17-jährige Tara und ihre Freundinnen machen auf ihrem Mädelstrip keine Gefangenen. Nach den Schulprüfungen wollen sie vor allem drei Dinge: Saufen bis zum Koma, Party & Sex. Praktisch: Auch bei den Jungs im Apartment nebenan haben die Hormone das Denken übernommen. Je lauter und zügelloser, desto besser. Was dann in dieser einen Nacht passiert, bleibt zunächst vage. Erst gegen Ende wird klar: Tara hatte Sex gegen ihren Willen.

Saufen, Party & Sex

HOW TO HAVE SEX ist provokant, exzessiv und trotz mediterranen Sonnenscheins düster. Regisseurin Molly Manning weiß genau, wie man die Stimmung für eine moderne Coming-of-Age-Geschichte einfängt. Ihr Film ist ein authentisches, klischeefreies Stück über das Erwachsenwerden. Souverän auch ihre Schauspielführung: Tara wird von Mia McKenna-Bruce gespielt, einer 26-jährigen Britin, die sicher noch eine große Karriere vor sich hat. Eine Entdeckung.

Neid auf Cannes. Wie viele gute Filme laufen da eigentlich jedes Jahr? Die Berlinale schaut beschämt zu Boden. Man kann darauf wetten: Alles was herausragend ist, trägt im Vorspann den Palmwedel des französischen Filmfestivals. Auch dieses aufregende Erstlingswerk wurde in Cannes 2023 gefeiert und gewann in der Sektion „Un Certain Regard“ den Hauptpreis.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „How to have sex“
GB 2023
98 min
Regie Molly Manning

alle Bilder © capelight pictures

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WIE WILDE TIERE

WIE WILDE TIERE

Ab 07. Dezember 2023 im Kino

Das kennt man aus Brandenburg: Die einen wollen nichts wie weg - hin in die Großstadt. Die anderen haben Lärm und Prenzlpanther satt und ziehen aufs Land. Doch in den verwaisen Dörfern lauern oft Ablehnung und offener Hass auf die Zugezogenen.

Das französische Paar Antoine (Denis Ménochet) und Olga (Marina Foïs) lebt seit zwei Jahren in einer kleinen Gemeinde im Landesinneren Galiziens. Die beiden passen sich an, so gut es geht, arbeiten hart, betreiben Ackerbau und ernähren sich von dem, was sie erwirtschaften. Doch die Einheimischen bleiben unter sich, begegnen den ökologisch bewussten Neubauern mit Argwohn und Ablehnung. Besonders mit dem Nachbarn Xan (beängstigend fies: Luis Zahera) gibt es immer wieder Streit.

Es brodelt unter der Oberfläche

Es brodelt unter der Oberfläche und früher oder später wird es zur Katastrophe kommen. Als es dann so weit ist, wechselt der Film von der männlichen in die weibliche Perspektive. Das macht WIE WILDE TIERE vielschichtig und ungemein spannend. Dass die Geschichte von wahren Begebenheiten inspiriert ist, lässt die Verzweiflung über die elende Spezies Mensch noch wachsen. Warum nur gibt es so viel Neid und Verbohrtheit auf der Welt? Aber so einfach ist es nicht. In einer der besten Szenen des Films versuchen die Kontrahenten eine Annäherung. Bei einer Flasche Wein macht jeder seinen Standpunkt klar. Das führt zwar zu keiner Lösung, doch als Zuschauer wird man sich seines eigenen Schwarz-Weiß-Denkens bewusst und beginnt fast Mitgefühl für die vermeintlich „Bösen“ zu empfinden.

Seit der Weltpremiere in Cannes 2022, wo WIE WILDE TIERE als Sensation gefeiert wurde, ist sein Erfolg ungebrochen. Bei der Verleihung der Goyas 2023 räumte er neun Preise ab, unter anderem für Bester Film, Beste Regie sowie Bester Hauptdarsteller.

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Originaltitel „As Bestas“
Spanien / Frankreich 2023
137 min
Regie Rodrigo Sorogoye

alle Bilder © STUDIOCANAL

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AUF DEM WEG

AUF DEM WEG

Ab 30. November 2023 im Kino

Und noch ein Film zum Thema: Männer laufen von A nach B und finden sich dabei selbst. Diesmal wandert Jean Dujardin durch Frankreich.

Spätestens seit Hape Kerkelings Jakobsweg-Reise sehnt sich das Publikum nach Kerlen, die sich in schroffer Natur Erkenntnisse über sich selbst erlaufen. Auch Denis Imberts AUF DEM WEG bietet da inhaltlich wenig Neues. Doch im Vergleich zur verunglückten ICH BIN DANN MAL WEG-Verfilmung ist dieser Trip ein echtes Juwel. In Frankreich wollten das bis jetzt über eine Millionen Zuschauer sehen.

Jean Dujardin ist perfekt als gestrauchelter Macho

„Acht Meter reichten aus, um mir die Rippen, die Wirbel und den Schädel zu brechen. Acht Meter reichten, um 50 Jahre zu altern.“ Jean Dujardin spielt den Schriftsteller Pierre, der nach einer betrunkenen Kletterei aus dem 2. Stock eines Hotels auf die Straße fällt. Die Ärzte sehen zunächst wenig Chance auf Heilung. Ob der passionierte Kletterer jemals wieder laufen kann, ist mehr als fraglich. Doch wäre das so, gäbe es weder Buch noch Film. Gegen jede Diagnose findet Pierre die Kraft, eine 1.300 Kilometer lange Mammutwanderung quer durch Frankreich anzugehen. Sein Weg führt ihn von den südlichen Alpen über das Zentralmassiv bis zur Küste von La Hague.

Ein Traum der Privilegierten – so eine mehrmonatige Auszeit muss man sich finanziell leisten können. Praktisch, wenn man während der Wanderung noch seinem Job nachgehen kann – dass dabei dann ein Bestseller rauskommt – geschenkt. Aus der Fülle der Selbstfindungsfilme (und Bücher) sticht AUF DEM WEG wohltuend heraus. Das liegt vor allem an der Besetzung – Jean Dujardin ist perfekt als gestrauchelter Macho. Auch wenn es schon wieder ein Mann ist, der sich hier auf Seelenreise in die raue Natur begibt. Frauen fahren wohl lieber nach Indien oder gehen in den SPA.

Mit aufs Wesentliche reduzierten Rückblenden und grandiosen Naturaufnahmen entwickelt AUF DEM WEG einen leisen, fast poetischen Sog. Dazu werden aus dem Off die prägnantesten Stellen der Vorlage, Sylvain Tessons Lebenserinnerung „Auf versunkenen Wegen“ gelesen. So ist man dann nach 93 Minuten doppelt belohnt: einen schönen Film gesehen und gleichzeitig ein gutes Buch dazu gehört.

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Originaltitel „Sur les chemins noirs“ 
Frankreich 2021
93 min
Regie Denis Imbert

alle Bilder © X VERLEIH

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The old oak

THE OLD OAK

The old oak

THE OLD OAK

Ab 23. November 2023 im Kino

Regisseur Ken Loach ist 87 Jahre alt und hat keine Geduld mehr. Sein (wahrscheinlich) letzter Film ist nochmals ein Aufruf zu mehr Gemeinschaft und Solidarität.

Gelsenkirchen könnte auch in Großbritannien liegen. Easington ist eine dieser typisch nordenglischen Kleinstädte, die früher dank Bergbau mit Leben und harter Arbeit erfüllt waren, nun aber nach 30 Jahren des Niedergangs zu Geisterstädten verkommen. Es gibt keine Jobs, die Häuser verfallen oder werden zu Schleuderpreisen an Investoren verscherbelt. Der letzte Zufluchtsort für die, die den Absprung nicht geschafft haben, ist der lokale Pub „The Old Oak“. Dessen Wirt TJ Ballantyne (Dave Turner) hat selbst einige Schicksalsschläge erlebt, bei den verbitterten Tiraden seiner Stammgäste schaltet er deshalb lieber auf Durchzug. Als eines Tages unter dem Protest der Dorfbewohner eine große Gruppe syrischer Flüchtlinge in Easington eintrifft, ist die Aufregung und Ablehnung groß.

Ein Loblied auf die Arbeiterklasse

THE OLD OAK erzählt von der ungewöhnlichen platonischen Beziehung zwischen dem depressiven Pub-Besitzer TJ und der jungen, fotobegeisterten Syrerin Yara (Ebla Mari). Ganz langsam entwickelt sich eine zarte Freundschaft zwischen den beiden. Wahrhaftig und authentisch gespielt von Dave Turner und Ebla Mari, die hier ihr Filmdebüt gibt.

Ken Loach war und ist ein Meister im Darstellen des englischen Arbeitermilieus. So ist auch sein neuer – und nach eigener Aussage letzter – Film ein Loblied auf Gemeinschaftsgeist und die Arbeiterklasse. THE OLD OAK fügt sich damit nahtlos in das Lebenswerk des Regisseurs ein.

Keine Jobs, keine Perspektive, vergessen  und von der Regierung fallengelassen: Die Probleme der britischen Einheimischen und der syrischen Flüchtlinge sind sich gar nicht so unähnlich. Loachs Leidenschaft und sein Mitgefühl für diese Menschen sind aufrüttelnd und eindringlich. Dass der Regisseur nach einer fast 60-jährigen Karriere die Geduld verloren hat und deshalb seine Botschaften mit dem Holzhammer vermittelt, sei ihm verziehen. Nur das Ende geht dann doch zu weit und ist purer Sozialkitsch. Bis dahin ist OLD OAK ein bewegendes Drama über Verlustangst und die Schwierigkeit, die Hoffnung zu behalten. Das sehenswerte Alterswerk eines kompromisslosen und bemerkenswerten Regisseurs.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Old Oak“
Großbritannien / Frankreich 2023
113 min
Regie Ken Loach

alle Bilder © WILD BUNCH GERMANY

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NAPOLEON

NAPOLEON

NAPOLEON

NAPOLEON

Ab 23. November 2023 im Kino

Kino, wie es sein soll: episch, spannend, lustig und lehrreich. Ridley Scotts neues Meisterwerk zeigt den französischen Kaiser, wie man ihn noch nie zuvor gesehen hat.

Stolze 85 Jahre alt ist Ridley Scott und er kann’s noch immer. Mit NAPOLEON ist dem britischen Regisseur erneut ein großer Wurf gelungen. Dass das alles toll aussieht und die Schlachtszenen bombastisch sind, versteht sich fast von selbst. Schließlich hat der Mann mit ALIEN, BLADE RUNNER und GLADIATOR ganze Genres neu erfunden oder zumindest jahrzehntelang geltende Maßstäbe gesetzt.

Trotz der blutigen Schlachtszenen fast eine Komödie

Joaquin Phoenix ist die perfekte Besetzung und spielt den französischen Feldherrn und Kaiser als souveränes, rücksichtsloses Genie – zumindest wenn es um Kriegsführung geht. Im Privaten ist seine Hoheit dagegen das Gegenteil eines Genies. Unbeholfen, albern und dabei schwer in Josefine verliebt (fabelhaft: Vanessa Kirby). Von der Liebe seines Lebens, die ihm 15 Jahre (nicht immer) treu zur Seite steht, lässt sich Napoleon wegen ausgebliebener Nachkommen scheiden.

Überraschung: NAPOLEON ist trotz der blutigen Schlachtszenen fast eine Komödie. Mindestens aber ein historisches Drama mit komischen Elementen. Kleine Missgeschicke, absurde Dialoge und ein sich oft gar nicht kaiserlich verhaltender Kaiser sorgen für Lacher. Überhaupt ist Scott eine ausgesprochen kurzweilige (bei 157 Minuten Laufzeit) und lehrreiche Geschichtsstunde gelungen. Höhepunkt ist die Schlacht von Austerlitz, in der die französische Armee die Streitkräfte Russlands und Österreichs dank Napoleons strategischem Geschick auf dem Schlachtfeld auslöscht. Selten genug in Historienfilmen: Man versteht die Zusammenhänge und geht klüger aus dem Kino.

Ridley Scotts vielleicht nicht 100 % historisch korrekte Version des Lebens von Napoleon Bonaparte hätte noch reichlich weitere Lobeshymnen verdient. Zum Beispiel, dass Joaquin Phoenix auf einen falschen (französischen) Akzent verzichtet – Scotts HOUSE OF GUCCI wurde wegen übertriebenen Englisch-Italienisch-Kauderwelschs zur unfreiwilligen Komödie. Aber vor allem ist NAPOLEON für die große Leinwand gemacht. Apple hat den Film zwar finanziert und früher oder später wird er auf Apple TV+ laufen – aber vorher sollte man sich NAPOLEON unbedingt im Kino anschauen.

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Originaltitel „Napoleon“
USA / England 2023
157 min
Regie Ridley Scott

alle Bilder © Sony Pictures

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DIE TRIBUTE VON PANEM – THE BALLAD OF SONGBIRDS & SNAKES

DIE TRIBUTE VON PANEM – THE BALLAD OF SONGBIRDS & SNAKES

Ab 16. November 2023 im Kino

Und noch eine Fortsetzung: Das Prequel zu einer Trilogie, die schon in vier Teile zerdehnt war. Hat die Menschheit wirklich auf die Vorgeschichte zu den Hunger Games gewartet?

Erstmal: dett is nich meen Berlin! Wieso Berlin? Als es den Babelsberger Filmstudios noch gut ging und diverse Streiks nicht die halbe Industrie lahmlegten, wurde die US-Produktion DIE TRIBUTE VON PANEM – THE BALLAD OF SONGBIRDS & SNAKES zu großen Teilen in der deutschen Hauptstadt gedreht – und das sieht man. Szenenbildner Uli Hanisch hat vom Olympiastadion über den Strausberger Platz bis zum Krematorium Baumschulenweg (werden da eigentlich auch noch Bestattungen durchgeführt oder nur noch Filme gedreht?) diverse Motive in beeindruckende Endzeit-Settings umgebaut. So macht der Film vor allem Berlinern Laune beim heiteren Locationraten.

Fühlt sich wie die komplette Staffel einer Serie an

Basierend auf der Bestseller-Reihe von Suzanne Collins werden „Die Tribute von Panem“-Kinofilme weiter ausgeschlachtet. Nachdem Regisseur Lawrence kürzlich selbst zugab, dass das Splitten des dritten Films in zwei Teile „ein schwerer Fehler“ gewesen sei, geht es nun mit dem fünften beziehungsweise ersten Prequel-Teil weiter. Die Vorgeschichte der gefürchteten Hungerspiele stellt den jungen Coriolanus (Tom Blyth) in den Mittelpunkt, lange bevor er zum Präsidenten von Panem wird (in Teil eins bis vier von Donald Sutherland gespielt). Als Sprössling einer einst vermögenden Familie wird er zum Mentor von Lucy Gray (Rachel Zegler) ernannt, einem Mädchen aus dem verarmten Distrikt 12. Schnell wittert er seine Chance, Familienehre und Macht zurückzuerlangen.

Bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt: Oscarpreisträgerin Viola Davis goes full camp als Dr. Volumnia Gaul. Trotz aufgeplatzter Sofakissen-Frisur und grellem Make-up ist sie weniger furchteinflößend, als sie es hätte sein wollen und lässt dabei die Grenzen zum overacting weit hinter sich. Ausgezeichnet dagegen: Jason Schwartzman als schmieriger Showmoderator und der immer herausragende Peter Dinklage in der Rolle des tragischen Antihelden. Nach THE MARVELS trällert es auch in den Tributen gewaltig. Noch ein Actionspektakel, in dem gesungen wird. Man fragt sich, was das soll. Rachel Zegler hat zwar eine hübsche Stimme (schließlich war sie die Maria in Steven Spielbergs WEST SIDE STORY), aber das Gejodel wirkt in einem dystopischen Jugendfilm völlig fehl am Platz.

DIE TRIBUTE VON PANEM – THE BALLAD OF SONGBIRDS & SNAKES. Langer Titel, langer Film. Der in drei Kapitel unterteilte 157-Minuten-Film fühlt sich wie die komplette Staffel einer Serie an. Vor allem der letzte Akt könnte glatt ein eigener Spielfilm sein. Fortsetzung folgt. Garantiert.

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Originaltitel „The Hunger Games: The Ballad of Songbirds & Snakes“
USA 2023
157 min
Regie Francis Lawrence

alle Bilder © LEONINE Studios

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HÖR AUF ZU LÜGEN

HÖR AUF ZU LÜGEN

Ab 16. November 2023 im Kino

Eine traurige, aber unsentimentale Geschichte über die Zwänge der Moral – und deren Überwindung.

„Hör auf zu Lügen“, mahnt seine Mutter ihn. Dabei erfindet der junge Philippe Besson einfach nur gerne Geschichten. Er beobachtet fremde Menschen auf der Straße und fantasiert ihr Leben. Zu lügen hilft ihm, ehrlich zu sich selbst zu sein. Denn Philippe mag Jungs und das ist in einer kleinen französischen Provinz in den 1970er-Jahren ein echtes Problem. Im autobiografischen Roman „Hör auf zu Lügen“ erzählt Philippe Besson von seiner Jugendliebe.

Ein sehenswerter LGBTQ-Film

In Buch und Film heißt das Alter Ego des Schriftstellers Stéphane, ist 17 Jahre alt und schwer verliebt. Er fühlt sich von seinem Klassenkameraden, einem hübschen und bei den Mädchen beliebten Winzerssohn, angezogen und ist mehr als überrascht, als dieser sein Interesse erwidert. Thomas wird seine erste große Liebe. Doch diese Liebe muss im Verborgenen bleiben, denn Thomas verleugnet seine sexuelle Identität. Jahrzehnte später kehrt der inzwischen erfolgreiche Autor Stéphane zum ersten Mal seit seiner Jugend in sein Heimatdorf zurück. Kurz nach seiner Ankunft lernt er Lucas (Victor Belmondo) kennen und erfährt, dass der junge Mann der Sohn seiner großen Liebe Thomas ist. Eine Begegnung, die alte Wunden aufreißt.

Gerade das Buch zu Ende gelesen, schon kommt die Verfilmung in die Kinos. Was natürlich reiner Zufall ist, denn „Hör auf zu Lügen“ („Arrête avec tes mensonges“) hat Philippe Besson schon 2017 veröffentlicht. Wie das immer so ist, wenn die Zeit zwischen Lesen und Filmsehen zu kurz ist  – das Buch ist überlegen. Das hat man sich ganz anders vorgestellt – Regisseur Olivier Peyon erfindet Figuren dazu, verzichtet auf eine der drei Zeitebenen und gönnt seiner Hauptfigur mit einer leidenschaftlich vorgetragenen Rede ein unnötig versöhnliches, etwas kitschiges Ende.

Und trotzdem: HÖR AUF ZU LÜGEN lohnt sich. Das liegt vor allem an der zeitlosen, schnörkellos erzählten Geschichte und der Besetzung. Während die beiden jugendlichen Figuren in den Rückblenden eher blass bleiben, sind es besonders Guillaume de Tonquédec als älterer Stéphane Belcourt (aka Philippe Besson) und Victor Belmondo (unverkennbar der Enkel von Jean Paul), die die tragische Liebesgeschichte sehenswert machen. Buch wie Film sind ein Ersatz-Abschiedsbrief für den echten Thomas Andrieu, der sich 2016 das Leben nahm und Familie und Freunde ratlos zurückließ.

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Originaltitel „Arrête avec tes mensonges“
Frankreich 2022
98 min
Regie Olivier Peyon

alle Bilder © 24 Bilder

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THE QUIET GIRL

THE QUIET GIRL

Ab 16. November 2023 im Kino

Der schönste „Stummfilm“ aller Zeiten spricht gälisch und in kleinen Gesten.

Die typisch irisch-katholische Sippe hat so viele Kinder, dass sie sogar eines davon ausleihen kann, zumal bereits das nächste ins übervölkerte Haus steht. Und so erhält Cáit, die Außenseiterin der Familie, die Chance auf einen Sommer bei entfernten Verwandten, der ihr Leben grundlegend verändern wird.

Künftiger Klassiker des Europäischen Films

Auf der Autofahrt in die kleine Küstenstadt erlebt der Zuschauer die Reise mit den Augen der Neunjährigen – Kippen im Ascher, die Schulter des Vaters (Michael Patric), Stromleitungen am Straßenrand – und ist am Ziel ebenso baff über die ungewohnt herzliche Begrüßung ihrer Tante Eibhlín (Carrie Crowley), die sie von da an liebevoll und geduldig in die kleinen Alltäglichkeiten des neuen Zuhauses einführt. Eher wortkarg zeigt sich zunächst ihr Ehemann Seán (Andrew Bennett), mit dem das scheue Mädchen aber bald eine ganz besondere Art der Kommunikation entwickelt, in der ein Keks mehr als 1000 Worte sagt und der tägliche Lauf zum Briefkasten zum Akt der Selbstfindung wird. Doch selbst in dieser sonnigen Idylle auf Zeit gibt es Schatten der Vergangenheit.

Dass „Das stille Mädchen“ nicht zwangsläufig in ein schnödes Disney Finale gipfelt, ist nur eine seiner vielen schönen Eigenheiten. Als kulturelle Besonderheit kann gelten, dass er komplett in irischer Sprache gedreht wurde (was ausnahmsweise für die deutsche Synchronisation spricht) und war natürlich der irische Oscar-Beitrag 2023 in der Kategorie Bester Internationaler Film.

Das tiefgründige, berührende Drama basiert auf einer Kurzgeschichte von Claire Keegan, die 2010 als „Best of the Year“ im New Yorker veröffentlicht wurde. Und ist unglaublicherweise das Spielfilmdebüt sowohl von Regisseur Colm Bairéad als auch für seine überragende Kinderdarstellerin Catherine Clinch in der Titelrolle der Cáit, die mit THE QUIET GIRL heimlich, still und leise einen künftigen Klassiker des Europäischen Films erschaffen haben.

Text: Anja Besch

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „An Cailín Ciúin“
Irland 2022
95 min
Regie Colm Bairéad

alle Bilder © Neue Visionen

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