BERLINALE 2024 – FINALE
Das waren die 74. Internationalen Filmfestspiele von Berlin. Eine insgesamt schwache Berlinale und gleichzeitig die letzte der glücklosen Doppelspitze Rissenbeek und Chatrian. 2025 geht es unter der (hoffentlich, wahrscheinlich, bestimmt) kundigeren Leitung von Tricia Tuttle weiter. Vor den offiziellen Preisträgern, hier noch schnell die Framerate-Top 5:
Und das waren die Flops:
Goldener Bär für den Besten Film
DAHOMEY
Das Thema ist hochaktuell: Im November 2021 verließen 26 Kunstschätze Paris und kehrten in ihr Herkunftsland Dahomey, das heutige Benin, zurück. 1892 wurden sie dort von französischen Kolonialtruppen geraubt. Doch wie geht man mit den Objekten um in einem Land, das sich während ihrer Abwesenheit stark verändert hat?
Als „Mesmerisieren” wird das in den Bann ziehen bzw. Hypnotisieren bezeichnet. Ein Archaismus, der heute kaum noch Anwendung findet. Außer in einer Berlinale-Pressekonferenz 2024. „Thank you for this mesmerizing experience“, bedankt sich ein Journalist bei Regisseur Mati Diop. Na gut, ins Deutsche übersetzt heißt „mesmerizing“ schlicht „faszinierend“. Und als Kurzfilm wäre DAHOMEY das auch. Scheinbar musste aber auf Teufel komm raus die Minimallänge eines Spielfilms erreicht werden. Und so arbeiten sich die Filmemacher mühsam mit vielen langen Auf- und Abblenden auf knappe 67 Minuten. Ein neuer Trend scheint das Unterlegen von Dingen (hier Statuen) und Tieren (bei PEPE ein Nilpferd) mit dröhnenden, tiefen Stimmen zu sein. Der beste Film? Eher ein Abschiedsgeschenk an Carlo, denn der hatte in seiner diesjährigen Filmauswahl den Fokus auf Afrika gelegt.
Großer Preis der Jury
Hong Sang-soo
A TRAVELER’S NEED
Ein Film, für den man eine Betriebsanleitung braucht. Worum geht‘s? IMDb fasst es perfekt zusammen: „Eine Französin trinkt in Korea Makgeolli, nachdem sie ihre Einkommensquelle verloren hat, und unterrichtet dann zwei Koreanerinnen in Französisch.“ Genau. Die Französin wird von Isabelle Huppert gespielt. Der in langen, statischen Videobildern gedrehte Film (eine Spezialität des koreanischen Regisseurs Hong Sang-soo) ist nicht frei von Situationskomik, lässt aber den unkundigen Zuschauer komplett ratlos zurück (eine weitere Spezialität des Regisseurs).
Erfrischende Ehrlichkeit. In seiner Dankesrede sagt Regisseur Hong Sang-soo an die Jury gewandt: „Thank you, I don’t know what you saw in my film.“ Neither did I.
Preis der Jury
Bruno Dumont
L'EMPIRE
In einem kleinen französischen Dorf geschehen seltsame Dinge. Die Menschen verneigen sich vor einem allmächtigen Baby und Köpfe werden mit Laserschwertern abgetrennt. Kein Wunder, haben sich doch Außerirdische in die Körper der Dorfbewohner eingenistet. Die ultimative Schlacht zwischen zwei verfeindeten Alien-Spezies steht kurz bevor.
Wie belieben? Na gut, es ist eine Berlinale in der Carlo-Chatrian-Ära, aber trotzdem. Der obskure Mix aus französischem Arthouse, STAR WARS und Pseudo-Lars von Trier ist für ungefähr 5 Minuten unterhaltsam. Bruno Dumonts Science-Fiction-Parodie ist schwer verdauliche Kost und seltsam im unguten Sinn. Preis der Jury? WTF.
Beste Regie
Nelson Carlos De Los Santos Arias
PEPE
Noch so ein Film, den man lieber verpasst hätte. Nelson Carlos De Los Santos Arias’ kaleidoskophafte Bildcollage (man könnte es auch eine unstrukturierte Materialsammlung nennen) erzählt die Geschichte von Pablo Escobars Nilpferden. Die Tiere wurden nach dem Tod des Drogenbarons auf dessen Anwesen gefunden. PEPE (der besser im künstlerisch anspruchsvollen Forum aufgehoben wäre) vereint inszenierte Spielsequenzen mit Zeichentrick, Dokfilm, viel Experimentellem und sehr oft simplem Schwarzbild – was sich bei den weichen Liegesesseln im CinemaxX-Kino als großes Problem erweist 💤 Irgendwie originell ist es ja trotzdem – oder wann erzählt einem schon ein Nilpferd auf Afrikaans seine philosophischen Gedanken zum Leben und Tod? Kein Film im Wettbewerb hat den Preis für die beste Regie weniger verdient als dieser.
Beste Hauptrolle
SEBASTIAN STAN
A DIFFERENT MAN
Schauspieler Edward leidet unter einer starken Gesichtsdeformation. Dank eines neuen Medikaments sieht er bald wie Hollywoodstar Sebastian Stan aus. Äußerlich ändert sich einiges in seinem Leben, und doch bleibt im Grunde alles gleich.
A DIFFERENT MAN hat ein paar hübsche schräge Ideen, mit Adam Pearson einen sehr charmanten scene-stealer und eine ganze Reihe Probleme. Die platte Message „Was nützt die schönste Fassade, wenn die inneren Werte nicht stimmen“ wird mit dem Holzhammer transportiert. Dazu führt das unausgewogene Tempo zu langatmigen Szenen, während der Wechsel zwischen Psycho-Drama und Möchtegern-Thriller auf Dauer anstrengt. Regisseur Aaron Schimberg präsentiert dem Zuschauer haufenweise Indie-Klischees und wenig Subtilität. Sebastian Stan – bester Hauptdarsteller? Ein schulterzuckendes Hm.
Beste Nebenrolle
EMILY WATSON
SMALL THINGS LIKE THESE
Die bange Frage: Ist der Eröffnungsfilm in diesem Jahr wieder besonders schlecht? Ganz im Sinne Chatrians geht’s mit schwerer Kost los. Als Lieferant für entsetzliche Geschichten ist die Kirche stets ein verlässlicher Quell: In SMALL THINGS LIKE THESE geht es nicht um Hexenverbrennung oder Kindesmissbrauch, sondern um ein unbekannteres Verbrechen. Das Drama beschäftigt sich mit den irischen „Magdalenen-Wäschereien“. Das waren Heime, die zwischen 1820 und Mitte der 1990er-Jahre von römisch-katholischen Institutionen betrieben wurden. Vorgeblich sollten dort „gefallene junge Frauen“ reformiert werden, in Wahrheit wurden sie misshandelt, ausgebeutet und ihrer Kinder beraubt. Der Kohlehändler Bill Furlong (Cillian Murphy) kommt eher unfreiwillig hinter die korrupten Machenschaften des Klosters und weckt dabei Erinnerungen an seine eigene traumatische Kindheit.
Zugegebenermaßen fällt es schwer, sich auf den Film zu konzentrieren, wenn nebendran ein dauerkaugummikauender, handybrummender, reißverschlußaufundzumachender Zuschauer sitzt. Da wünscht man sich den stillen Brüter Cillian Murphy als Platznachbarn, der weint sogar lautlos. Ist es zu früh zu prophezeien, dass er den Bären als bester Schauspieler bekommen könnte?
SMALL THINGS LIKE THESE ist erwachsenes, ernstes Kino, mit leichter Tendenz ins Zähe. Düster und ohne jede Leichtigkeit, aber herausragend gespielt und inszeniert.
Bestes Drehbuch
MATTHIAS GLASNER
STERBEN
Matthias Glasner kehrt zum ersten Mal seit 2006 in den Berlinale Wettbewerb zurück. Sein grandioses Familienepos STERBEN handelt natürlich genau vom Gegenteil, nämlich dem Leben in all seinen furchtbaren und furchtbar schönen Facetten. Die über dreistündige Drama-Komödie erforscht die Intensität des Lebens angesichts des Todes mit einer Mischung aus Zartheit, Brutalität, absurder Komik und trauriger Schönheit, die die Grenzen zwischen bitter und lustig verschwimmen lässt.
Im Fokus der Handlung steht Familie Lunnies: Lissy (Corinna Harfouch) ist Mitte 70 und froh, dass ihr dementer Mann endlich im Heim ist. Ihr Sohn Tom (Lars Eidinger), ein Dirigent, arbeitet zusammen mit seinem depressiven Freund Bernard an der Komposition „Sterben“. Toms Schwester Ellen (Lilith Stangenberg) hat ein Alkoholproblem und beginnt eine wilde Liebesgeschichte mit dem verheirateten Zahnarzt Sebastian (Ronald Zehrfeld).
Die in Kapitel gegliederte Geschichte hängt zwischendrin ein bisschen durch: Die Episode um Tochter Ellen ist die schwächste und fühlt sich an, als sei sie aus einem anderen Film. Ansonsten ist STERBEN voller guter Szenen – die vielleicht beste zeigt Lars Eidinger und Corinna Harfouch im schmerzhaft wahrsten Mutter-Kind-Gespräch der Kinogeschichte. Wahnsinnig komisch und todtraurig zugleich. Allein dafür lohnt es sich.
Herausragende Künstlerische Leistung
MARTIN GSCHLACHT - KAMERA
DES TEUFELS BAD
Schlimmer geht immer. Wenn man sich mal so richtig die gute Laune verderben lassen will, dann ist DES TEUFELS BAD eine echte Empfehlung. Die auf historischen Gerichtsprotokollen basierende Geschichte, angesiedelt in einem Wald im Oberösterreich des 18. Jahrhunderts, handelt von Agnes. Die junge Frau fühlt sich nach der Hochzeit mit Wolf fehl am Platz, kein Wunder, steht ihr Mann doch eher auf Burschen. Die tief religiöse und hochsensible Frau zieht sich immer mehr zurück, versinkt in Melancholie.
Kotze, Blut, Dreck – es war ein unappetitliches Leben 1750. Der österreichische Wettbewerbsfilm ist eine Symphonie in grau und beige, hat aber wenigstens so etwas wie eine Geschichte. Man ist ja schon dankbar für die kleinen Dinge bei dieser Berlinale. Das Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala legt mit DES TEUFELS BAD vielleicht einen authentischen, aber in großen Teilen drögen und schwer auszuhaltenden Film vor, der trotz aller Freudlosigkeit bisweilen hart an die folkloristische Kitschgrenze schrammt.