BERLINALE 2023 – TAG 5

BERLINALE 2023 – TAG 5

Am Potsdamer Platz hat nach vierhundertjähriger Umbauzeit THE PLAYCE eröffnet. Die Vorkriegsgeneration wird sich erinnern, da waren mal die Arkaden, eine Shoppingmall mit den üblichen Verdächtigen von H&M bis MediaMarkt, die so auch in Gelsenkirchen hätte stehen können. Nun also THE PLAYCE. Eine Wortschöpfung aus Play und Place: ein Spielplatz. Dazu passt, dass sich im 1. OG eine „Arcade“ befindet, eine lärmende Spielhalle, als hätte man sich direkt ins Amerika der 1980er-Jahre zurückgebeamt. Auch der Sinn des gigantischen NBA-Stores im Erdgeschoss erschließt sich wohl nur echten Basketball-Fans. Viele gibts davon scheinbar nicht – bisher überwiegt die Verkäuferzahl die der Kundschaft. Daneben eröffnet demnächst ein Barbie-Mattel-Store. Hinter der Amerikanisierung scheint System zu stecken. Hauptanziehungspunkt soll der gigantische Food-Hub sein, erdacht und umgesetzt von – richtig – einem Amerikaner, der mit dem gleichen Konzept in Prag angeblich Erfolg feiert. Man mag es kaum glauben. Wenn es in der Hölle eine Kantine gibt, dann sieht sie so aus. Ein riesiges, fensterloses Verlies mit 22 Restaurants und dem Charme einer Tiefgarage. Was das alles mit der Berlinale zu tun hat? Einiges, denn die Zeit zwischen den Filmen will gefüllt werden, am liebsten mit Nahrungsaufnahme. Nur kann einem bei all der neuen Trostlosigkeit der Appetit vergehen.

WETTBEWERB

TÓTEM

Tona hat Geburtstag, es wird wohl sein letzter sein. Der junge Vater ist todkrank. Familie und Freund treffen sich zu einem Abschiedsfest. Mittendrin: Tonas siebenjährige Tochter Sol.

Der mexikanischen Autorin und Regisseurin Lila Avilés gelingt das Kunststück, ihren Film und vor allem die junge Schauspielerin Naíma Sentíes absolut authentisch und mit großer Natürlichkeit in Szene zu setzen.

TÓTEM ist eine Liebeserklärung an die Familie, das Leben und den Tod. Keine ganz leichte Kost, aber wer sich darauf einlässt, wird mit einem spirituellen, berührenden und oft komischen Film belohnt. Bis jetzt der stärkste Wettbewerbsbeitrag.

Mexiko / Dänemark / Frankreich 2023
95 min
Regie Lila Avilés
Bild © Limerencia

PANORAMA

PASSAGES

Rainer Werner Fassbinder is back! In körperlich besserer Verfassung zwar, aber mit ähnlich unausstehlichem Verhalten hinter der Kamera. RWF heißt hier Tomas (Franz Rogowski) und ist ein deutscher Regisseur in Paris. Schwul. Eigentlich. Denn nach dem letzten Drehtag verbringt er die Nacht mit einer jungen Frau (Adèle Exarchopoulous). Er beichtet den Seitensprung am nächsten Morgen seinem Ehemann (Ben Whishaw). Doch dann wird aus der Affäre mehr. Nicht nur Tomas muss sich entscheiden, wie es weitergehen soll.

Famos, mit welchem Tempo Regisseur Ira Sachs durch die Geschichte saust. Es wird zwar genrebedingt viel geredet, aber nie zu viel. Kein Todlabern – wenn das Nötigste gesagt ist, prescht die Handlung weiter. Das macht PASSAGES extrem kurzweilig. Wo Ben Whishaw draufsteht, ist selten was Schlechtes drin. So auch hier. Der Brite ist ein Garant für gute Filme, von PADDINGTON bis BOND (er spielt in der Daniel Craig-Ära den Q). Glänzend auch, wie Franz Rogowski absolut glaubwürdig zwischen unsympathischem Kotzbrocken, sensiblem Mann und genervter Zicke wechselt.

Frankreich 2023
91 min
Regie Ira Sachs
Bild © SBS Poductions

PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO

GERANIEN

Schauspielerin Nina kehrt in ihre Heimatstadt zurück, um ihre geliebte Großmutter zu beerdigen. Trotz organisatorischer Probleme und emotionaler Schwierigkeiten mit ihrer entfremdeten Mutter findet die Familie in ihrer unterschiedlich ausgelebten Trauer (fast) zueinander. Und dann muss sich Nina noch entscheiden: Charakterschauspielerin bleiben oder doch eine gut bezahlte Rolle im TRAUMSCHIFF annehmen?

GERANIEN ist ein konventionell gemachter, aber durchaus liebenswerter Film. Regisseurin Tanja Eden hat die ehrliche Art der Ruhrpottler inklusive Trinkhallen und spießiger Reihenhauskultur glaubwürdig eingefangen. Durchweg gut gespieltes Drama mit komischen Elementen.

Deutschland 2023
84 min
Regie Tanja Eden
Bild © Claudia Schroeder

PANORAMA

HEROICO

Untergebene anschreien, nach oben buckeln und nach unten treten. Diese Verhaltensmuster kennt man sonst nur von der Unternehmenskultur eines großen Automobilkonzerns, in HEROICO ist es der Alltag in einer Kaserne. Der 18-jährige Luis verpflichtet sich als Soldat, hauptsächlich wegen der Krankenversicherung für sich und seine kranke Mutter. Sein neues Leben an der nationalen Militärakademie Mexikos wird zur Qual.

Regisseur David Zonanas Film beginnt als klassisches Soldaten-Ausbildungsdrama, wie man es seit FULL METAL JACKET schon oft gesehen hat. Doch nach und nach entwickelt sich die Geschichte zu einem Horrortrip. Was ist wahr, was ist Einbildung? Alptraum und Realität vermischen sich immer mehr. Guter Film und ein weiterer Beweis, dass am Soldatenleben rein gar nichts schön ist.

Mexiko / Schweden 2023
88 min
Regie David Zonana
Bild © Teorema

BERLINALE 2023 – TAG 4

BERLINALE 2023 – TAG 4

Echte Fans behaupten, nur im Berlinale-Palast käme wahres Festivalfeeling auf. Ihr Ahnungslosen. Im frisch renovierten CinemaxX gibt es neue, wunderbar weiche Ledersessel, die sich fast in Liegeposition fahren lassen. Herrlich! Fast wünscht man sich, der nächste Film möge schön langweilig sein, um sich einem erquickenden Schlummer hinzugeben.

WETTBEWERB

DISCO BOY

Gar nicht zum Einschlafen, aber trotzdem traumhaft: DISCO BOY.

Aleksei, ein junger Belarusse auf der Flucht, schließt sich der Fremdenlegion an, um die französische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Irgendwo im Nigerdelta verteidigt Jomo als Aktivist im bewaffneten Kampf sein Dorf. Aleksei ist Soldat, Jomo Guerillakämpfer. In einem weiteren sinnlosen Krieg verflechten sich ihre Schicksale.

Wer zu den Glücklichen (oder Unglücklichen) zählt, die nachts lebhaft träumen, dürfte das kennen: Alles wirkt real, nichts macht Sinn und trotzdem ergibt alles einen Sinn. DISCO BOY ist ein verfilmter Fiebertraum. Es geht um Männlichkeit (wie so oft bei dieser Berlinale), Traumata, geistige Verschmelzung und Tanz. Die fragmentarisch erzählte Geschichte wird von einem großartigen Franz Rogowski getragen, schon sein zweiter beeindruckender Auftritt bei dieser Berlinale. Dazu ein ebenso befremdlicher wie grandios passender Elektroscore. Es ist alles seltsam im Langfilmdebüt des italienischen Regisseurs Giacomo Abbruzzese. Aber seltsam heißt in diesem Fall gut.

Frankreich / Italien / Belgien / Polen 2023
91 min
Regie Giacomo Abbruzzese
Bild © Films Grand Huit

PANORAMA

SISI UND ICH

Sisi hier, Sisi da, Sisi wo man hinschaut. Ihre kaiserliche Omnipräsenz gibt sich schon wieder die Ehre. Neben diversen Netflix- und RTL-Serien war zum Thema zuletzt der österreichische Oscarbeitrag CORSAGE im Kino zu sehen.

Irma Gräfin von Sztáray bewirbt sich als Hofdame von Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn. Doch das Casting ist nicht ohne: Erst schlägt ihr die gestrenge Mutter die Nase blutig, dann wird sie wie ein Stück Vieh untersucht und verhört. Endlich auserwählt, kommen sich die Gräfin und die Kaiserin auf Sisis Sommersitz auf Korfu schnell nah.

SISI UND ICH ist all das, was CORSAGE gerne gewesen wäre. Eine wilde Neuinterpretation des vielerzählten Mythos. Grotesk und sehr komisch. Susanne Wolff und Sandra Hüller sind schlichtweg grandios, Locations und Kostüme erlesen, und das Ganze wird von einem überraschend modernen Soundtrack zwischen Nico und Portishead begleitet. Sehr gelungen.

Deutschland / Schweiz / Österreich 2023
132 min
Regie Frauke Finsterwalder
Bild © Bernd Spauke

WETTBEWERB

INGEBORG BACHMANN - REISE IN DIE WÜSTE

Apropos CORSAGE, bzw. Vicky Krieps. Die spielt die Hauptrolle in Margarethe von Trottas Wettbewerbsbeitrag INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE.

Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Die beiden weltberühmten Autoren begegnen sich 1958, verlieben sich, ziehen zusammen, ertragen sich bald nicht mehr. Er neidet ihr den Ruhm; Sie ist genervt von seinem Schreibmaschinengeratter und seiner Eifersucht sowieso. Bachmann zieht nach Rom, verfällt immer mehr ihrer Tabletten- und Alkoholsucht. Bei einer Reise mit ihrem Freund Adolf Opel in die Wüste reflektiert sie ihre gescheiterte Beziehung zu Frisch.

Der Tagesspiegel schreibt über den chinesischen Wettbewerbsbeitrag THE SHADOWLESS TOWER: „Die Kamera scheint eher zufällig dabei zu sein“. Bei INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE ist das genaue Gegenteil der Fall. Alles wirkt ausdrücklich für die Kamera inszeniert und ausgestattet. Den Statisten stehen die Regieanweisungen ins Gesicht geschrieben, die 50er-Jahre-Welt ist im Studio nachgebaut. Vicky Krieps spielt die draufgängerische Autorin mit gebremster Energie, dafür mit Kostümwechsel in jeder Szene. Ronald Zehrfeld ist nach anfänglicher Irritation als pfeifenrauchender Max Frisch eine erstaunlich überzeugende Besetzung. Margarethe von Trottas unmoderne Ingeborg-Bachmann-Hommage ist ein Film nur für Erwachsene, sehr ernst, sehr maniriert.

Schweiz / Österreich / Deutschland / Luxemburg 2023
110 min
Regie Margarethe von Trotta
Bild © Wolfgang Ennenbach

PERSPEKTIVE DEUTSCHES KINO

KNOCHEN UND NAMEN

Schauspieler Boris und Schriftsteller Jonathan sind seit vielen Jahren ein Paar. Die beiden leben mittlerweile ein wenig aneinander vorbei. Während der eine im Bett liegt und Drehbücher liest, arbeitet der andere im Nebenraum am Schreibtisch. Als Jonathan sich für seinen neuen Roman immer intensiver mit dem Tod auseinandersetzt und Boris bei Filmproben seinem jüngeren Kollegen Tim näher kommt, beginnen sie, ihre Liebe zu hinterfragen.

Regisseur Fabian Stumm erzählt in seinem Langfilmdebüt eine unterhaltsame Beziehungsgeschichte im Stil von Tom Tykwers DREI. Neben vielen gelungenen Szenen – Boris bei den Proben mit einer anstrengenden französischen Regisseurin – gibt es auch eine unnötige Seitengeschichte mit Jonathans 10-jähriger Nichte.

Deutschland 2023
104 min
Regie Fabian Stumm
Bild © Postofilm

GENERATION

L‘AMOUR DU MONDE

Margaux ist eine echte Transuse, euphemistisch könnte man sie auch als sanftmütig bezeichnen. Die 14-Jährige schleppt sich unbeteiligt durchs Leben, ein Praktikum in einem Kinderheim absolviert sie ohne Leidenschaft. Erst die Freundschaft zur kleinen Juliette (Esin Demircan, stiehlt den erwachsenen Darstellern die Schau) und dem stoischen Fischer Joël weckt sie (vorübergehend) aus ihrer Lethargie. 

Coming of Age Film aus der Schweiz, ungefähr so belebend wie das Gespräch mit einem mürrischen Teenager. Da können sogar 76 Minuten lang sein.

Schweiz 2023
76 min
Regie Jenna Hasse
Bild © Langfilm

BERLINALE 2023 – TAG 3

BERLINALE 2023 – TAG 3

Hair-Reinspaziert, Hairport, Vier Haareszeiten, Lockenvilla. Hat die deutsche Friseur-Innung eine großflächige Werbekampagne in Berlin gestartet? Nein, es ist das Plakat zur Berlinale 2023. Diesmal sollen die Zuschauer:innen im Mittelpunkt stehen, deshalb die eigenwilligen Zeichnungen von Menschen mit Frisuren. Im Kino trägt man Dauerwelle. Nächstes Jahr bitte wieder Plakate mit Bär.

WETTBEWERB

MANODROME

Ralphie wird demnächst Vater, aber sein Job als Uber-Fahrer (da freut sich der Berlinale-Sponsor) und seine persönliche Situation machen ihn nicht glücklich. Als er in einen seltsamen Männer-Club (oder sollte man sagen: Sekte?) aufgenommen wird, drängen unterdrückte Sehnsüchte an die Oberfläche und lassen Ralphie durchdrehen.

Aus der beliebten Berlinale-Sektion: What the Fuck? John Trengoves Film ist ein FIGHT CLUB für Arme. Oder ist das als Komödie gemeint? Immerhin sind die 95 Minuten über toxic masculinity at it’s best nicht langweilig und schön, Jesse Eisenberg mal außerhalb seiner Mark-Zuckerberg-Comfort-Zone spielen zu sehen.

GB / USA 2023
95 min
Regie John Trengove
Bild © Wyatt Garfield 

PANORAMA

DRIFTER

Der 22-jährige Moritz (Lorenz Hochhuth) zieht nach Berlin, der Liebe wegen. Kurz darauf macht sein Freund mit ihm Schluss und Moritz macht das, was schwule Männer in der Großstadt so machen – er geht ins Fitnessstudio. Zu seinen neuen Muskeln gesellen sich bald Tattoos, die Haare werden abrasiert, das Netzhemd übergeworfen und ab gehts ins Nachtleben. Mit viel Drogen und noch mehr wechselnden Sexualpartnern wird Moritz am Ende zu „einem richtig schwulen Mann“, wie es eine Freundin erfreut feststellt. Handlungsarmer, aber stimmungsvoller Debütfilm von Hannes Hirsch.

Deutschland 2023
79 min
Regie Hannes Hirsch
Bild © Salzgeber

BERLINALE SPECIAL

SONNE UND BETON

Berlin, Sommer 2003: Lukas, Julius, Gino und Sanchez – vier Jungs, die jede Menge Scheiß bauen und denen jede Menge Scheiß widerfährt. Muss das sein, diese vulgäre Sprache? Ja, denn in Gropiusstadt aufzuwachsen ist nichts für Weicheier. Hier gilt: Der Klügere tritt nach. An Drogen und Schlägereien kommt keiner vorbei. Die Sprache ist so rau wie die vier minderjährigen Kleingangster, die dringend 500 € klar machen müssen, sonst gibts Schläge von den Arabern.

Digger-ich-schwöre-ich-zerficke-dir-dein-Gesicht. Die interessanteste Frage zu SONNE UND BETON: Haben Jugendliche in den Nuller-Jahren wirklich schon derart penetrant gediggert wie heute? Dass mittlerweile 10-Jährige „Diggi“ schwafelnd durch die Straßen laufen, kennt man. Aber vor 20 Jahren? Man kann sich bei der Gelegenheit sowieso fragen, weshalb Regisseur Wnendt die Geschichte nicht in die Jetztzeit verlegt hat. Altmodische Handys und ein paar Nachrichtenbilder von Kanzler Schröder sind die einzigen Hinweise auf die Anfang-Tausender und haben keinen Mehrwert. Die massenkompatible Verfilmung von Felix Lobrechts Bestseller liegt irgendwo zwischen EIS AM STIEL und 4 BLOCKS für Jugendliche. Bisschen doof, bisschen nervig, trotzdem lustig und auf jeden Fall kurzweilig.

Deutschland 2023
119 min
Regie David Wnendt
Bild © Constantin Film Verleih

WETTBEWERB

THE SHADOWLESS TOWER

Der geschiedene Restaurantkritiker Gu Wentong erfährt, wo sein Vater lebt, zu dem er seit Jahren keinen Kontakt hat, und er beginnt eine Beziehung mit einer jüngeren Kollegin. Zwischendurch werden sehr viele Zigaretten geraucht und Handynachrichten verschickt.

Wo hört Meditation auf, wo fängt Langeweile an? THE SHADOWLESS TOWER ist ein klassischer Berlinale-Film aus China. Nichts, was man sich freiwillig im Kino ansehen würde. Aber natürlich trifft den Film keine Schuld, wenn im ausverkauften Berlinale-Palast ein Riese vor einem sitzt und man die Untertitel nicht mehr lesen kann. Vielleicht war es auch ein Feuerwerk der Unterhaltung. Wir werden es nie erfahren.

Originaltitel „Bai Ta Zhi Guang“
Volksrepublik China 2022
144 min
Regie Zhang Lu
Bild © Lu Films

PANORAMA

REALITY

Der Film schildert die im Jahr 2017 durchgeführte Hausdurchsuchung bei der Whistleblowerin Reality Winner im US-Bundesstaat Georgia. Das Besondere daran ist, dass sich kein Drehbuchautor die Dialoge ausgedacht hat. Regisseurin Tina Sattler lässt für ihren Debütfilm die Schauspieler ausschließlich die unveränderten Originalsätze aus einer FBI-Tonaufzeichnung sprechen.

Inhaltlich interessant und gut gespielt. Mit der Realität kann man es allerdings auch übertreiben. Der Mehrwert dieser stilistischen Spielerei erschließt sich nicht.

USA 2023
85 min
Regie Tina Sattler
Bild © Seaview

GENERATION

DANCING QUEEN

Mina ist ein dickes Mädchen. Trotzdem will sie unbedingt bei einem Hip-Hop-Tanzwettbewerb mitmachen, auch um in die Nähe des coolen Tänzers E. D. Win zu kommen. Mithilfe ihrer patenten Großmutter und gegen den Willen ihrer Eltern macht sie sich ans Training.

Vorhersehbare Komödie mit dem Herz am rechten Fleck. Für junge Zuschauer gibts positive Botschaften: Bodyshaming ist doof und wer will, der kann.

Norwegen 2023
85 min
Regie Aurora Gossé
Bild © Åsmund Hasli Amarcord

BERLINALE 2023 – TAG 2

BERLINALE 2023 – TAG 2

Zeit für Pressetextpoesie:
„Patric Chiha versetzt das Paar aus Henry James‘ Kurzgeschichte „The Beast in the Jungle“ in den Club und kontrastiert sein schicksalhaftes Warten mit dem ultimativen Im-Moment-Sein und dem hedonistischen Begehren der Tänzer*innen, in immerwährenden Choreografien die Zeit aufzulösen.“ Die weniger lyrische Framerate-Kritik zu LA BÊTE DANS LA JUNGLE gibts weiter unten.

GENERATION

WANN WIRD ES ENDLICH WIEDER SO SEIN, WIE ES NIE WAR

Eine etwas andere Kindheit: Josse wächst auf dem Gelände einer psychiatrischen Klinik auf.  Für den jüngsten Sohn von Direktor Meyerhoff (Devid Striesow) gehören die körperlich und geistig Behinderten quasi zur Familie. Am besten schläft er, wenn er nachts die Schreie der Patienten hört. Tagsüber schließt er Blutsbrüderschaft mit seinem Hund und kommt dem Doppelleben seines Vaters auf die Spur.

Kann man die mittlerweile fünf autobiografischen Romane Joachim Meyerhoffs überhaupt verfilmen? Ja, man kann. Komisch, ergreifend, voll absurder Momente und Begebenheiten: Sonja Heiss hat die 70er-Jahre Stimmung des zweiten Bands der Lebenserinnerungen des Schauspielers punktgenau eingefangen. Dabei sind die Figuren nicht einmal so besetzt, wie man sich das vielleicht beim Lesen vorstellt. Aber dank der stimmigen Inszenierung und dem hervorragenden Spiel taucht man schnell in die Welt der Familie Meyerhoff ein. Die sehr gelungene Romanverfilmung ist im Nebenprogramm Generation fast ein wenig verschenkt. Einziger Wermutstropfen: Der Stoff hätte locker für eine Fernsehserie gereicht. Ganze viermal wechselt der Schauspieler des Josse vom Kind zum Teenager bis zum jungen Mann. Das geht dann doch ein bisschen zu schnell.

Deutschland 2023
116 min
Regie Sonja Heiss
Bild © 2022 Komplizen Film GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Frédéric Batier

WETTBEWERB

BLACKBERRY

Wer die Zukunft verpennt, hat keine. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende eines großen deutschen Automobilkonzerns pflegte seinen Managern den Telefonhersteller Nokia als warnendes Beispiel für wirtschaftliche Ignoranz vorzuhalten. Irgendwann kam das erste Smartphone in den Handel und fegte die Finnen vom Markt. Nicht das iPhone, sondern das BlackBerry revolutionierte 1999 die Art, wie die Welt arbeitet, spielt und kommuniziert. Wer konnte schon ahnen, dass die kanadische Herstellerfirma RIM nur acht Jahre später von Apple vaporisiert wird.

Matt Johnson erzählt die Geschichte vom Aufstieg und Fall des BlackBerrys mit viel Witz und waschechten Nerds. Der unerbittliche Kampf um den Platz an der Spitze, die Arroganz und das fehlende Gespür für sich rasant weiterentwickelnde Technik – der Wettbewerbsbeitrag BLACKBERRY ist nicht nur ein spannender Wirtschaftskrimi, sondern vor allem eine sehr komische Gesellschaftssatire. Toll besetzt und dank leicht matschigen 16-mm-Looks ein authentischer Blick in eine Vergangenheit, die noch gar nicht so lange her ist, technisch aber steinzeitlich anmutet.

Kanada 2023
121 min
Regie Matt Johnson
Bild © Budgie Films Inc.

WETTBEWERB

THE SURVIVAL OF KINDNESS

Wüste, sengende Sonne, eine schmutzige Frau in einem Käfig. Das simpel gestrickte Hirn assoziiert sofort MAD MAX. Sollte sich tatsächlich ein Actionfilm ins Wettbewerbsprogramm verirrt haben? Aber nein, das ist die Berlinale. Und je Berlinale, desto absurder. Die Frau bricht aus dem Käfig aus, läuft durch verschiedene Landschaften, wird von Gasmasken tragenden Weißen gejagt und endet schließlich in einem dystopischen Industriegebiet.

THE SURVIVAL OF KINDNESS ist eine Parabel auf Rassismus. Oder auf die Historie der Menschheit. Man versteht es auch nach 96 Minuten nicht so recht. Wenigstens erzählt Regisseur Rolf de Heer seine Geschichte konsequent, ohne auch nur in die Nähe von mainstreamiger Unterhaltung zu kommen. Selbst die Dialoge sind artifiziell, mehr Laute und Grunzen statt Sprache. Ganz falsch war der MAD-MAX-Gedanke nicht: THE SURVIVAL OF KINDNESS ist ebenfalls eine Produktion aus Down Under.

Australien 2022
96 min
Regie Rolf de Heer
Bild © Triptych Pictures 

WETTBEWERB

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN

Sommer 1990. Ein Bauernhof an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Johannes hat für seine Freundin Maria und sich den Dachboden bei seinen Eltern zum kleinen Idyll gemacht. Maria liest Dostojewski, streift durch die Wiesen und widmet sich auch sonst dem süßen Nichtstun. Ihre Begegnung mit Henner, dem um einiges älteren Nachbarn, macht der Beschaulichkeit ein Ende. Eine tragische Liebe nimmt ihren Lauf.

IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN gehört in die Kategorie Filme, bei denen schon nach wenigen Minuten klar ist, dass man sich weder für die Figuren noch ihre deprimierenden Probleme interessiert. Das hölzern gespielte Drama von der verbotenen Liebe verläuft ereignislos und zieht sich über 129 Minuten wie Kaugummi. Sehenswert sind in diesem ersten deutschen Wettbewerbsbeitrag einzig die sommerlichen Landschaften Ostdeutschlands. Fazit: Es gibt ihn noch, den typisch deutschen Problemfilm.

Deutschland 2023
129 min
Regie Emily Atef
Bild © Pandora Film / Row Pictures

May (Anaïs Demoustier) und John (Tom Mercier aus dem 2019-Berlinale-Gewinner SYNONYMES) begegnen sich in einem Club. Immer wieder – von den späten 70ern bis in die 2000er-Jahre. Disco geht, Techno kommt. Erst fällt die Mauer, dann fallen die Zwillingstürme in New York. May und John altern nicht, sprechen über eine „geheimnisvolle Sache“, die kommen wird. Alles sehr rätselhaft und unverständlich. Sind die beiden Vampire? Reisende durch die Zeit? Ist John der Tod? Wer will es wissen? Kommentiert wird die Geschichte der Liebenden von  Béatrice „Betty Blue“ Dalle als ewige Türsteherin des Clubs. Kunst aus Frankreich.

Frankreich / Belgien / Österreich 2023
110 min
Regie Patric Chiha
Bild © Elsa Okazaki

GENERATION

ZEEVONK

Lena ist sauer. Denn ein riesiges Seemonster hat ihren Vater getötet. Dass der Fischer mit seinen Kollegen einfach so auf hoher See Schiffbruch erlitten hat – undenkbar für das Mädchen. Mit ihren Freunden Kaz und Vincent macht sie sich auf die Suche nach Beweisen für ihre Theorie.

Das Seemonster als Sinnbild für den Tod, der bekämpft werden muss. Wie Captain Ahab jagt Lena den Feind. Das ist in seiner Symbolik ein bisschen dick aufgetragen. Emotional bleibt der holländische Generation-Beitrag dabei eher unterkühlt. Am Ende fließen die Tränen, doch bis es so weit ist, zieht es sich.

Belgien / Niederlande 2023
98 min
Regie Domien Huyghe
Bild © A Private View

BERLINALE 2023 – TAG 1

BERLINALE 2023 – TAG 1

Es geht wieder los: neun Tage Berlinale! Und die Filmfestspiele sind in diesem Jahr noch nachhaltiger geworden: roter Teppich aus Recyclingmaterial, überall LED-Lampen und am Büffet keine Milchprodukte. Das freut die Kuh. Nur warum verkauft Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek das alles bei einer Pressekonferenz mit zitronigem Gesichtsausdruck, als wäre es ein Strauß schlechter Nachrichten? Man wünscht ihr etwas mehr Freude am Job. Apropos: Was macht eigentlich Dieter Kosslick? Der plant ein Comeback und soll ab 2024 die Leitung des neuen Umweltfilmfestivals in Potsdam übernehmen. Wir starten heute klimaneutral und ganz bescheiden mit nur einem Film. Sensation. So wenig gab es noch nie. Aber keine Sorge, in den nächsten Tagen folgen wie gewohnt viel zu viele neue Berlinale-Kritiken. Und Bitte!

BERLINALE SPECIAL

SHE CAME TO ME

Was haben ein Opernkomponist in Schaffenskrise, eine ordnungsmanische Psychiaterin, eine lebenslustige Schlepperkapitänin, eine junge Liebe und ein erzkonservativer Gerichtsstenograf miteinander zu tun? Die Antwort gibt SHE CAME TO ME mit einer nicht ganz rund laufenden New-York-Geschichte. Oder plakativer: Romeo und Julia meets moderne Oper mit viel Woody-Allen-Vibe.

Der Plot klingt exzentrisch – der Film ist es nicht. Alles ganz nett, nicht laugh out loud lustig, aber charmant und manchmal sogar geistreich. Irritierend ist nur, dass das Bildformat ständig von fast Qudratisch zu Breitwand wechselt. Ein tieferer Sinn ist nicht erkennbar. Die hilfreiche Dame vom Verleih konnte es nach dem Screening auch nicht erklären, vermutete aber, es habe irgendwas mit dem Kommen und Gehen der Oper zu tun. Aha.

SHE CAME TO ME ist der Eröffnungsfilm der 73. Berlinale. Und in liebgewonnener Berlinaleeröffnungsfilmtradition ist er nur ganz okay. Die romantische Komödie von Rebecca Miller ist mit Anne Hathaway, Peter Dinklage und Marisa Tomei immerhin prominent besetzt.

USA 2023
102 min
Regie Rebecca Miller
Bild 
© Protagonist Pictures

ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA

ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA

Kinostart 15. Februar 2023

Neues von der Konditorenzunft: Es gibt Hochzeitstorten, mehrstöckig, reich verziert mit Zuckerguss und Marzipan, die sehen gut aus, schmecken aber nicht. Zu süß, zu mächtig, nach einem Stück ist man pappsatt. Und dann gibt es einen ehrlichen Apfelkuchen. Guter Boden, etwas Eiermasse, Äpfel. Fertig. Lecker. Noch ein Stück bitte. Backwerk und Marvel haben mehr gemeinsam, als man denkt.

Computergenerierte Märchenwelt

Thanos ist seit AVENGERS ENDGAME Geschichte. Zeit für einen neuen Bösewicht im MCU. Der heißt Kang der Eroberer und sitzt seit Jahren unfreiwillig im Quantenreich fest. Nun will er raus, um weiter zu „erobern“, was in seinem speziellen Fall bedeutet, Multiversen zu zerstören und Milliarden Leben zu vernichten. Scott Lang alias Ant-Man (Paul Rudd) macht mit Freundin Hope Van Dyne (Evangeline Lilly), Tochter Cassie und den Schwiegereltern (Michelle Pfeiffer und Michael Douglas) einen Familienausflug in die subatomare Welt, um das Schlimmste zu verhindern.

Agierten die Marvel-Superhelden in Phase I noch in halbwegs realen Settings, so ist davon in der mittlerweile fünften Phase nicht mehr viel übrig. Außer den ersten paar Minuten spielt der neue ANT-MAN in einer komplett computergenerierten Märchenwelt. Könnte auch irgendwo im Weltenraum sein. Erweitertes Crossover: STAR WARS und MARVEL gehören zum allmächtigen Disney-Konzern. Das merkt man spätestens daran, dass sich QUANTUMANIA schamlos im KRIEG DER STERNE-Universum bedienen darf. Die Fantasygeschöpfe erinnern mit ihren Kostümierungen an alte Kantinen-Bekannte vom Planeten Tatooine.

ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA ist ein eher belangloser Beitrag zum immer weiter expandierenden MCU, der lärmt und blinkt und dabei – wie eine Hochzeitstorte – zwar ganz nett aussieht, aber von allem viel zu viel hat. Da sehnt man sich nach der vergleichsweise simplen Apfelkuchen-Welt der IRON-MAN-Anfänge zurück.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ant-Man and the Wasp: Quantumania“
USA 2023
125 min
Regie Peyton Reed

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

WHAT’S LOVE GOT TO DO WITH IT?

WHAT’S LOVE GOT TO DO WITH IT?

Kinostart 23. Februar 2023

Das Beste an WHAT’S LOVE GOT TO DO WITH IT?: Tina Turners gleichnamiger 80er-Jahre-Formatradio-Hit ist im ganzen Film nicht zu hören. Vielmehr bezieht sich der Titel auf die Frage, ob Liebe bei einer Heirat überhaupt eine Rolle spielen muss. Oder ist es nicht besser – so die Mutter des Hauptprotagonisten – Liebe erst durch langsames Köcheln zu entfachen?

Alles so schön bunt hier!

Zoe ist eine junge Filmemacherin. Auf der Suche nach dem Thema für ihr nächstes Projekt kommt ihr die Geschichte ihres besten Freundes Kazim gerade recht. Der in Großbritannien geborene Arzt mit pakistanischen Wurzeln will demnächst heiraten. Das Besondere daran: Er lässt die Braut von seinen Eltern aussuchen. Eine arrangierte Hochzeit scheint ihm vernünftig und allemal erfolgversprechender als das langwierige Tindern. Zoe beschließt, Kazim zur Hochzeit nach Pakistan zu begleiten.

Wenn man der angeblich preisgekrönten Filmemacherin Zoe dabei zusieht, wie sie mit der Handkamera unbeholfen verwackelte Bilder für ihre Dokumentation dreht, fragt man sich, ob sie bisher für den Offenen Kanal gearbeitet hat. Umso erstaunlicher, dass bei der Premiere ihres Films perfekt ausgeleuchtetes und eingerichtetes Material zu sehen ist. Das wirkt dann ungefähr so authentisch wie die Studiokulissen, in denen die Pakistanszenen von WHAT’S LOVE GOT TO DO WITH IT? gedreht wurden. Alles so schön bunt hier! Aber nicht nur die Sets, auch die Emotionen sind künstlich. Dazu eine penetrante Filmmusik, die Flöten und Geigen um die Wette jubilieren lässt. Es ist fürchterlich.

Malen nach Zahlen: WHAT’S LOVE GOT TO DO WITH IT? ist eine romantische Komödie nach Schema F. Die überraschungsfreie Geschichte würde sich noch so wegschauen, wenn wenigstens die Chemie zwischen den Hauptdarstellern Lily James und Shazad Latif stimmen würde. Doch der Funke springt nicht über. Obwohl die zuckersüße Romanze ihre Momente hat, verderben der oft platte Humor und die klischeehaften Figuren den Spaß. Das kann nicht mal Emma Thompson als liebenswerte Schrulle retten.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „What’s Love got to do with it?“
England 2022
108 min
Regie Shekhar Kapur

alle Bilder © STUDIOCANAL

KNOCK AT THE CABIN

KNOCK AT THE CABIN

Kinostart 09. Februar 2023

Das schwule Elternpaar Eric und Andrew (Jonathan Groff und Ben Aldridge) plant mit Töchterchen Wen eine Auszeit vom Alltag. In einer einsam gelegenen Holzhütte will die Kleinfamilie ein paar unbeschwerte Tage verbringen. Doch dann tauchen vier unheimliche Fremde auf und verlangen eine unmögliche Entscheidung: Eines der Familienmitglieder müsse durch ein anderes getötet werden. Sollten sie sich weigern, werde „die Welt enden“.

Shyamalan holt aus Schauspielern oft das Schlechteste heraus

Das Presseheft sagt: „Das Einzige, dessen man sich sicher sein kann, wenn man für einen neuen Film von M. Night Shyamalan ins Kino geht, ist, dass man nicht weiß, was einen erwartet“. Das ist so nicht richtig, denn meist erwartet einen etwas sehr, sehr Schlechtes. Deshalb ist das Erstaunlichste an KNOCK ON THE CABIN, dass er vergleichsweise gar nicht mal so übel ist.

Shyamalan ist seit THE SIXTH SENSE ein Regisseur der ewigen Hoffnung. Doch wieder und wieder hat der einstige „nächste Spielberg“ enttäuscht. Er holt aus Schauspielern oft das Schlechteste heraus (Marc Wahlberg kann davon ein Lied singen) und nervt mit an Haaren herbeigezogenen Handlungstwists. Wer sich durch die letzten Werke des Ed Woods der Neuzeit quälen musste (OLD, GLASS, THE HAPPENING, AFTER EARTH – die Liste des Grauens ist lang) und deshalb auf das Schlimmste gefasst ist, wird von KNOCK AT THE CABIN positiv überrascht.

Natürlich ist auch dieser Horror-Mystery-Film ein Schmarren in Reinstform. Vier apokalyptische Reiter in einer Waldhütte, die den Weltuntergang prophezeien – also bitte! Trotzdem punktet der Thriller mit Atmosphäre und einer überzeugend spielenden Besetzung (unter anderem David Bautista). Auch wenn es gegen Ende wieder höchst albern wird – die ersten zwei Drittel von KNOCK AT THE CABIN sind gut gemachtes, halbwegs spannendes Unterhaltungskino.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Knock at the Cabin“
USA 2021
100 min
Regie M. Night Shyamalan

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

DIE AUSSPRACHE

DIE AUSSPRACHE

Kinostart 09. Februar 2023

Selten hat es ein Filmtitel so gut zusammengefasst: DIE AUSSPRACHE heißt im Original WOMEN TALKING. Und genau das tun sie. Schließlich geht es um lebenswichtige Entscheidungen. Wie spannend so ein Dialogfilm sein kann, weiß man spätestens seit DIE ZWÖLF GESCHWORENEN.

Oscarwürdiges Schauspielensemble

2010 – In einem kleinen Ort in den USA lebt eine Gruppe Mennoniten, die sich von der heutigen modernen Gesellschaft abschottet. Doch seit geraumer Zeit liegt ein Schatten über der Religionsgemeinschaft. Die Frauen werden nachts betäubt und vergewaltigt. Nun müssen sie entscheiden, wie es weitergehen soll: Nichts tun? Im Dorf bleiben und sich gegen die Männer wehren? Oder die Gemeinschaft mit den Kindern verlassen?

DIE AUSSPRACHE folgt weniger einer klassischen Handlung, ist mehr eine Anregung zum Nachdenken, ein Abwägen des Für und Wider von Rache und Vergebung. In langen Gesprächen diskutieren die Frauen die möglichen Konsequenzen ihrer Entscheidung. Regisseurin Sarah Polley vermeidet dabei jeden Voyeurismus: Die Geschichte hinter den Ereignissen mag zwar gewalttätig sein, doch der Film zeigt nie die Gewalt, die die Frauen erfahren. Nur kurze Ausschnitte des Danach sind zu sehen.

Das Schauspielensemble ist oscarwürdig, allen voran Rooney Mara und Claire Foy. Bis in die kleinste Nebenrolle ausgezeichnet besetzt, sorgen unter anderem Ben Whishaw und Frances McDormand für dramaturgisches (Schwer-)Gewicht. Fast monochrom, Gesichter im Halbschatten: Die Bilder (Kamera: Luc Montpellier) und die Farbgebung sind so düster wie die Geschichte selbst.

DIE AUSSPRACHE erinnert an eine Folge der TV-Serie THE HANDMAID’S TALE mit dem Unterschied, dass die Dystopie von Margaret Atwood Fiktion ist und DIE AUSSPRACHE auf wahren Begebenheiten beruht.

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Originaltitel „Women Talking“
USA 2021
104 min
Regie Sarah Polley

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

BULLDOG

BULLDOG

Kinostart 02. Februar 2023

Neckisches Versteckspiel, lachend im Gras wälzen, zu tief in die Augen schauen: Man könnte glatt meinen, die beiden wären ein Liebespaar. Aber falsch, es sind Mutter und Sohn. Ödipus lässt grüßen: Bruno ist einundzwanzig und lebt mit seiner nur fünfzehn Jahre älteren Mutter Toni auf Ibiza. Die ungesund enge Beziehung wird gestört, als sich Toni in Hannah verliebt und diese in den gemeinsamen Bungalow einzieht. Bruno passt der unfreiwillige Dreier gar nicht und reagiert eifersüchtig.

Sommerliche Leichtigkeit trifft auf ernstes Thema

Forever Young: Die Haare pink, das Basecap mit dem Schirm nach hinten – Mutter und Sohn verweigern sich dem Erwachsenenleben, hangeln sich mit Gelegenheitsjobs durch. Die beiden haben mit ihrem launischen Teenagerverhalten großes Nervpotenzial. Da fällt es mitunter schwer, Sympathie zu entwickeln. Julius Nitschkoff, Lana Cooper und Karin Hanczewski spielen überzeugend, auch wenn die Dialoge oft klingen, als seien sie den Schauspielern beim Dreh spontan in den Sinn gekommen.

Sommerliche Leichtigkeit trifft auf ernstes Thema. Hätte man die gleiche Geschichte in einer grauen Hochhaussiedlung inszeniert, würde man als Zuschauer nach einer halben Stunde zum Strick greifen. Doch der deprimierende Kampf inmitten prekärer Lebensverhältnisse spielt hier in einer lichtdurchfluteten Ferienanlage. Palmen statt Beton machen BULLDOG zu einem interessanten Debütfilm mit guten Schauspielern, der zwischendurch ein wenig lahmt.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Spanien 2021
95 min
Regie André Szardenings

alle Bilder © missingFILMs

AUS MEINER HAUT

AUS MEINER HAUT

Kinostart 02. Februar 2023

Beliebte Frage in weinseliger Runde: Wenn Du für einen Tag mit jemandem den Körper tauschen könntest – wer wäre das? Die langweiligen Antworten reichen von „meine Frau“ über „Beyoncé“ bis „George Clooney“. Was aber wäre, wenn man wirklich in den Körper eines anderen Menschen schlüpfen könnte? Was wäre, wenn es einem da so gut gefällt, dass man gar nicht mehr zurückwill?

Interessantes Gedankenspiel um Genderfragen und Rollenmuster

Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) wirken frisch verliebt. Auf den ersten Blick. Doch Leyla wird von Selbstzweifeln und Depressionen geplagt. Auf Einladung einer Freundin (Edgar Selge – ja genau, Edgar Selge als Freundin) fährt das junge Paar auf eine Insel. Durch ein geheimnisvolles Ritual können die beiden dort ihre Körper mit einem anderen Paar (Maryam Zaree und Dimitrij Schaad) tauschen, um so die Welt aus deren Augen zu sehen.

Klingt nach Science-Fiction, ist aber eine intellektuelle Interpretation des guten alten „Freaky Friday“-Themas. Mit dem Unterschied, dass sich Alex Schaad nicht in die niederen Gefilde einer albernen Verwechslungskomödie begibt. Der Regisseur beschäftigt sich viel mehr mit den zwischenmenschlichen Konsequenzen, die so ein Körpertausch mit sich bringt. Liebt man einen Menschen wegen seines Aussehens oder wegen seines Charakters? Und spielt das Geschlecht dabei eine Rolle?

AUS MEINER HAUT (Drehbuch Alex und Dimitrij Schaad) ist ein interessantes Gedankenspiel um Genderfragen und Rollenmuster. Verpackt in eine Liebesgeschichte, bei der die Identitätsgrenzen verschwimmen und neue Persönlichkeiten entstehen. Ein Fest für Schauspieler, denn sie dürfen innerhalb einer Geschichte in verschiedene Rollen schlüpfen. Mala Emde, Dimitrij Schaad, Maryam Zaree, Thomas Wodianka und Edgar Selge bringen die nötige Ernsthaftigkeit, um der fantastischen Geschichte Bodenhaftung zu geben. Nur Jonas Dassler ist dem Regisseur von der Leine gegangen und overacted, als hätte er sich ins Ohnsorg-Theater verirrt. Positiv erwähnenswert ist neben den stimmungsvollen Bildern von Ahmed El Nagar vor allem der eindringliche Score von Richard Ruzicka.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
103 min
Regie Alex Schaad

alle Bilder © X-Verleih

CAVEMAN

CAVEMAN

Kinostart 26. Januar 2023

Das Jahr ist noch jung, doch die deutsche Komödie CAVEMAN hat schon jetzt Chancen, in die Top 5 der schlechtesten Filme 2023 zu kommen.

Viermal gelacht in 100 Minuten

Bobby Müller (Moritz Bleibtreu) will unbedingt Comedian werden. Nun hat er beim Openmic-Abend im Comedy-Club die Chance, sich zu beweisen. Das Thema für sein Programm: der Unterschied zwischen Männern und Frauen. Denn der Mann von heute, meint Bobby, ist in der modernen Welt gescheitert. Zur Zeit der Höhlenmenschen war die Rollenverteilung einfacher: Die Männer jagen, die Frauen sammeln. Als bestes Beispiel für seine Theorie dient ihm die eigene Ehefrau Claudia. So weit, so unoriginell.

Viermal gelacht in 100 Minuten – kein guter Schnitt. Regisseurin Laura Lackmann hat aus dem erfolgreichen Broadwaystück von Rob Becker eine größtenteils unlustige, oft peinliche Klamotte gemacht. Der Humor bewegt sich auf Mario-Barth-Niveau: Männer haben Todesangst vorm Kleiderkauf, benutzen zur Körperpflege höchstens ein Duschgel, fressen Chips vor der Glotze und können Gefühle nur im Sportstadion zeigen. Frauen dagegen sind empathisch, lieben es zu shoppen und werden einmal im Monat zu Furien. Klischees aus der Steinzeit.

Da hilft auch die prominente Besetzung nicht. Moritz Bleibtreu knallchargiert sich durch die Hauptrolle, Wotan Wilke Möhring verwechselt Lispeln mit witzig sein. Nicht besser sind die uninspirierten Dialoge:

Bobby: „Ich bin ein Caveman, das ist das coole Wort für Höhlenmann! Du bist eine Sammlerin.“
Claudia: „Und da gibt’s wahrscheinlich kein cooles Wort für … ?“
Bobby: „Nee.“

Screwball Comedy vom Feinsten. Nur Laura Tonke und Martina Hill, die ihre Figuren vergleichsweise glaubhaft spielen und ein paar nette visuelle Ideen retten den Film vor einem Total-Fiasko.

Weil es immer noch schlechter geht, zum Abschluss noch Folgendes:
Wie nennt man ein Mammut im Weltall? Almut.
Im Ernst.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
100 min
Regie Laura Lackmann

alle Bilder © Constantin Film

CLOSE

CLOSE

Kinostart 26. Januar 2023

Die 13-Jährigen Léo und Rémi sind die allerbesten Freunde. Ihre Sommertage erfüllt von Wettrennen durch wogende Blumenfelder und kindlichen Ritterspielen im Schuppen hinter dem Hof. Nachts fantasieren sie sich in eine gemeinsame Zukunft, der eine als berühmter Musiker, der andere als sein Manager. Doch mit dem Ende der Sommerferien ändert sich alles.

Das Gift breitet sich in der neuen Schule durch die vermeintlich harmlose Frage einer Mitschülerin aus: „Seid ihr beiden ein Paar?“ Denn es kann nicht sein, dass zwei Jungs eine so enge Bindung haben, ohne dass sie schwul sind. Oder? Andere so zu lassen, wie sie sind, obwohl es nicht ins eigene Weltbild passt, fällt auch Kindern schwer. Es folgen die üblichen Gemeinheiten auf dem Schulhof: „Schwuchtel!“ Léo meidet den Kontakt immer mehr, denn er ist von den Gerüchten zutiefst verunsichert. Um dem klischeehaften Bild von Männlichkeit zu entsprechen, wird er Mitglied einer Hockeymannschaft. Für den sensiblen Rémi bedeutet das Ende der Freundschaft eine Katastrophe.

François Ozon, Xavier Dolan und nun Lukas Dhont. Der 31-jährige Belgier ist eines der Regie-Wunderkinder, wie sie die Filmszene nur alle paar Jahre hervorbringt. Kaum zu glauben, dass CLOSE erst sein zweiter Spielfilm ist. Dhonts Regiedebüt GIRL über einen Transgender-Teenager wurde 2018 mit Preisen überhäuft und war ein großer Erfolg bei Publikum und Kritik. Nun widmet er sich erneut den Qualen der Jugend.

Wie auch immer sich die Karriere des jungen Filmemachers entwickelt, er ist auf alle Fälle ein fantastischer Schauspielführer. Denn was er aus dem gesamten Cast und besonders den beiden Newcomern Eden Dambrine und Gustav De Waele herausholt, ist schlicht phänomenal. CLOSE – eine Geschichte von Liebe und Schuld, ohne jeden falschen Ton erzählt. Ein aufwühlender, wahrhaftiger Film. Ein kleines Meisterwerk.

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Originaltitel „Close“
Belgien / Frankreich / Niederlande 2022
105 min
Regie Lukas Dhont

alle Bilder © Pandora Film

THE SON

THE SON

Kinostart 26. Januar 2023

Depression: ein ernst zu nehmendes Thema. Gerade bei Jugendlichen. Die oft schamhaft verschwiegene Krankheit kann gar nicht genug mediale Aufmerksamkeit bekommen. Fragt sich nur, ob Regisseur Florian Zeller mit seinem durch und durch künstlich wirkenden Film den Betroffenen einen Gefallen getan hat. Denn THE SON ist das filmische Äquivalent zu einem Coffee Table Book aus der Psychiatrie.

Melodramatik statt Dramatik

Schöne Menschen in schöner Umgebung haben … Probleme. Ja, selbst sehr reiche New Yorker in perfekt eingerichteten Traumwohnungen machen sich beim Tragen frisch gebügelter Hemden Sorgen. Der geschiedene Anwalt Peter (Hugh Jackman) versteht das Verhalten seines 17-jährigen Sohns Nicholas (Zen McGrath) nicht mehr. Der schwänzt seit Wochen die Schule, hat keine Freunde und ist auch sonst ein schwieriger, verschlossener Junge. Für Peter kommen die Probleme mit dem Junior ungelegen, denn er richtet sich gerade ein neues Leben mit seiner Freundin Beth (Vanessa Kirby) und dem frisch geborenen Sohn Theo ein. Doch weil ihn das schlechte Gewissen plagt, bietet er Nicholas an, bei ihm einzuziehen. Er will beweisen, ein besserer Vater zu sein, als es sein eigener war. Der wiederum wird in einem Gastauftritt von Sir Anthony Hopkins als echtes Scheusal von Hannibal Lecterschen Ausmaßen verkörpert.

THE FATHER und THE SON. Zwei Filme über geistige Erkrankungen, die auf Theaterstücken von Florian Zeller basieren. Im Gegensatz zum künstlerisch anspruchsvollen THE FATHER ist dem französischen Regisseur mit seinem zweiten Spielfilm kein großer Wurf gelungen. Alles wirkt überinszeniert und unecht. Selbst gestandene Mimen wie Hugh Jackman spielen, als ständen sie auf einer Theaterbühne. Den papierraschelnden Dialogen kann auch er kein Leben einhauchen. Zudem greift Hans Zimmer in seinem Soundtrack auf penetrante Geigen zurück und erzeugt so Melodramatik statt Dramatik. Die Wendungen, mit denen Zeller in seinem Oscar®-Gewinner THE FATHER noch überraschen konnte, sind hier hohl und erwartbar. Der Regisseur kann sich nicht von seinen erprobten Inszenierungstricks befreien.

Nach dem grandiosen Vorgängerfilm eine echte Enttäuschung.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Son“
GB 2022
122 min
Regie Florian Zeller

alle Bilder © LEONINE

SEASIDE SPECIAL

SEASIDE SPECIAL

Kinostart 19. Januar 2023

Charmanter gehts kaum: Am Ende eines Piers in Cromer an der englischen Ostküste steht ein Theater. Jeden Sommer geht dort zweimal täglich der Vorhang auf. Drei Monate lang, ohne Pause. Eine Variety-Show mit Tanz, Gesang, Sketchen und Zaubertricks. Erste Reaktion auf die Kleinkunst: Die intellektuelle Augenbraue schnellt spöttisch nach oben. Selbst Ensemblemitglieder gestehen, dass sie die bunte Touristenshow anfangs nicht richtig ernst genommen haben. Doch schon nach kurzer Zeit und viel Zuneigung und Begeisterung vom Publikum wird auch dem letzten Misanthropen klar: Die „End-of-Pier-Show“ ist etwas ganz Besonderes.

Brexit or no Brexit?

„Lieber bin ich ein leuchtender Meteor, der für ein paar Sekunden über den Himmel streicht, als ein immer gleicher, staubiger Planet“, sagt die Lead-Sängerin der Show. Es geht nicht um Weltruhm und nicht um das große Geld, sondern das Gefühl, jeden Tag die Menschen ein kleines bisschen glücklich gemacht zu haben. Der Filmemacher Jens Meurer hat die engagierte Truppe ein Jahr lang mit der 16-mm-Kamera begleitet, Interviews geführt und einen Blick vor und hinter die Kulissen geworfen.

Der Kniff: Während der Dreharbeiten haben die ansonsten verlässlich sympathischen Briten über ihre Zukunft abgestimmt: Brexit or no Brexit? Alle Beteiligten im Theater haben ihre Meinung zum Desaster. Das geht von Pro Boris über Auswanderungsgedanken bis zum ausgestreckten Mittelfinger für die Konservativen. Das Ensemble wird zum Mikrokosmos: Europa vs. England.

„Seaside Special“ ist ein liebevoller Blick auf britische Besonderheiten, ohne Schadenfreude und voller Witz. Ein lustiger Film über den Brexit? Das kann doch nur ein Engländer machen! Falsch gedacht. Jens Meurer hat zwar in Oxford studiert, ist aber eine echte Kartoffel. Möglicherweise hat er von außen eine klarere Sicht auf den historischen Wahnsinn. Am Ende der Saison Wehmut in jeder Hinsicht. Die Briten sind raus. Und kurz darauf wird die ganze Welt von Corona heimgesucht. Das vorläufige Aus auch für die End-of-Pier-Show. Kein Publikum, keine Jobs. Aber es gibt ein Happy End: Das Theater hat überlebt, am 1. Juli 2023 startet die nächste Runde.

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Deutschland / Belgien 2021
93 min
Regie Jens Meurer

alle Bilder © Farbfilm-Verleih

BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE

BABYLON – RAUSCH DER EKSTASE

Kinostart 19. Januar 2023

Wer schon mal berauscht war, von welcher Droge auch immer – Adrenalin, Kokain, Serotonin – kennt dieses Gefühl. Die Zeit rast und scheint gleichzeitig stillzustehen. Eine Minute fühlt sich wie eine Stunde an, die Nacht wie ein Moment. „Babylon – Rausch der Ekstase”, der neue Film von Damien Chazelle („La La Land”, „Whiplash”) entlässt einen nach drei Stunden acht Minuten ähnlich betäubt und beschwingt. Amerikanische Zuschauer ließen sich vom Trailer täuschen – ein durchgedrehter Kostümschinken mit Elefant und Jazzmusik? Und blieben dem Epos fern. Sie wissen nicht, was ihnen entgeht.

Was Hollywood prägt: Rassismus, Sexismus, Gier

Allein die ersten dreissig Minuten sind eine Party, bei der man vor lauter Sinneseindrücken kaum Luft bekommt. Doch genau dann, wenn es zu viel der Ekstase wird, legt Chazelle den Schalter um. Der Cast ist vorzüglich, Brad Pitt als verderbt melancholischer Douglas Fairbanks Typ am Ende seiner Karriere und Margot Robbie in der Rolle des süchtigen Starlets, die in ihrer modernen Aufmachung verstört und nicht nur Träumer wie Newcomer Diego Calva magnetisiert.

Chazelle will viel: eine Choreografie wie „Apocalypse Now” und hinter die Kulissen der Industry leuchten wie einst „Boogie Nights”. Er wirft alles in den Ring, was Hollywood immer noch prägt: Rassismus, Sexismus, Gier, sogar Tobey Maguire in einer widerlichen Gastrolle und klärt nebenbei noch ein paar Mythen auf: In der Stummfilmära gab es offenbar mehr Westernfilm-Regisseurinnen als hundert Jahre später, der Mullholland Drive war wirklich nur eine Schotterstraße und Filmkritikerinnen hatten Macht! Was sollen wir sagen: Wir haben uns prächtig amüsiert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Babylon“
USA 2022
188 min
Regie Damien Chazelle

alle Bilder © Paramount Pictures Germany

RACHE AUF TEXANISCH

RACHE AUF TEXANISCH

Kinostart 19. Januar 2023

„Nicht jeder weiße Mann aus New York braucht einen Podcast“ Produzentin Eloise (Issa Rae) ist zunächst wenig begeistert von Bens (B.J. Novak) Idee, die x-te Podcast-Serie über ein ungelöstes Verbrechen zu machen. Doch die Geschichte ist vielschichtiger, als es zunächst den Anschein hat.

Das Porträt einer „typisch“ texanischen Familie

Ben Manalowitz, ein selbstverliebter Redakteur für den renommierten New Yorker, erhält mitten in der Nacht einen Anruf. Abilene ist tot. Ben muss hektisch in seinen Kontakten suchen, um sich zu erinnern, wer Abbie überhaupt war – eine zufällige Sex-Bekanntschaft unter vielen. Doch ihre Familie glaubt, dass Ben die Liebe ihres Lebens war. Von den Tränen der Angehörigen erweicht, reist er nach Texas, nimmt an der Beerdigung teil und hält sogar eine Trauerrede. Abbie ist an einer Überdosis gestorben, doch ihr Bruder Ty (ausgezeichnet: Boyd Holbrook) glaubt, seine Schwester sei ermordet worden. Beweise hat er keine, nur ein Bauchgefühl. Deshalb will er Rache üben, Texas-Style. Ben wittert seine Chance, aus der Geschichte einen True-Crime-Podcast zu machen.

„Rache auf Texanisch“ ist eine Komödie, bei der nicht jeder Gag zündet und ein Krimi, der nur mäßig spannend ist. Aber vor allem – und das ist der interessantere Teil – das Porträt einer „typisch“ texanischen Familie, inklusive Rodeo, Waffenliebe und ungesundem Essen. Gleichzeitig wirft der Film einen Blick auf ein tief gespaltenes Land. Hier die vernünftigen Liberalen an Ost- und Westküste, dazwischen die rotnackigen MAGA-Idioten – so das allgemein verbreitete Klischee.

Ganz rund tickt das Regiedebüt des vor allem aus der US-Serie „The Office“ bekannten Schauspielers B.J. Novak nicht. Hinter vermeintlichen Hobos und Verschwörungsgläubigen verbergen sich mitunter liebenswerte Menschen, bei denen der Blick hinter die Fassade lohnt – eine etwas simple Erkenntnis. Aber der Regisseur und Drehbuchautor beweist ein gutes Händchen für Dialoge und Charakterzeichnung. In Zeiten, in denen Fakten oft als lästig empfunden und gerne für das eigene Narrativ verdreht werden, ist seine Botschaft, sich gegenseitig wieder etwas besser zuzuhören, nicht die schlechteste.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Vengeance“
USA 2022
111 min
Regie B.J. Novak

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

IN DER NACHT DES 12.

IN DER NACHT DES 12.

Kinostart 12. Januar 2023

In der Nacht des 12. Oktobers verlässt Clara eine Party und macht sich auf den Heimweg. Das Aktenzeichen XY-geschulte Auge erkennt sofort: Gleich passiert etwas Entsetzliches. Aus dem Dunkel taucht ein maskierter Mann auf, schüttet dem Mädchen Benzin ins Gesicht, lässt es bei lebendigem Leib verbrennen.

Bis zur letzten Minute packend

Die beiden Kriminalbeamten Yohan und Marceau treffen bei ihren Ermittlungen auf zahlreiche Männer, mit denen Clara ein Verhältnis hatte. Beziehungen, die von Missgunst, Eifersucht und Kälte geprägt waren. Doch die einzige Schuld Claras, so ihre beste Freundin, war es, ein Mädchen zu sein.

Obwohl von Anfang an klar ist, dass der Fall ungelöst bleibt, ist der Film bis zur letzten Minute packend. Spoilerwarnung ist nicht nötig, denn den größten besorgt „In der Nacht des 12.“ schon im Vorspann selbst: „von 800 Morden, die jährlich in Frankreich begangen werden, bleiben 20 % unaufgeklärt“ steht da zu lesen. Im Abspann dann der Hinweis, dass die Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht. Wären diese Informationen nicht in umgekehrter Reihenfolge sinnvoller? Egal. So wie diesen stilistisch perfekten Kriminalfilm wünscht man sich mal wieder einen „Tatort“. Unheimlich und voller Sogkraft.

Regisseur Dominik Moll hat ein fesselndes Mosaik aus Realismus, surrealer Stimmung und allgegenwärtigem Sexismus geschaffen. Mit den nächtlichen, in oranges Laternenlicht getauchten Straßen, dem seltsamen menschlichen Verhalten und einem ungelösten Rätsel erinnert „In der Nacht des 12.“ an die (leider nur in der ersten Staffel herausragende) französische Serie „Les Revenants“. Beklemmend und sehr sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „La nuit du 12“
Frankreich 2022
115 min
Regie Dominik Moll

alle Bilder © Ascot Elite Entertainment & 24 Bilder

M3GAN

M3GAN

Kinostart 12. Januar 2023

Spielzeugentwicklerin Gemma steht unter Druck. Der Markt ist hart umkämpft, etwas Neues muss her. Als die alleinstehende junge Frau unerwartet zum Vormund ihrer verwaisten Nichte Cady wird, nimmt sie die Hightech-Puppe M3GAN (Model 3 Generative Android) mit nach Hause. Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: dem trauernden Mädchen eine Spielgefährtin zur Seite stellen und gleichzeitig den Prototyp vor Markteinführung in Aktion testen?

Diese Woche bei „Shopping Queen“: Kombiniere ein zeitloses Outfit rund um das angesagte It-Piece Ringelshirt. Mit dabei: Chucky, Annabelle und als erste Kandidatin M3GAN. Doch die macht alles falsch: ein altbackenes Kleid über weißen, blickdichten Strumpfhosen, dazu schwarze Lackschuhe. Als Krönung ein überdimensionierter Schlupf, der das matronenhafte Outfit endgültig zum modischen Super-GAU macht. Das tut nichts für sie! Ganz lieb gemeinte 0 Punkte.

Aber wie soll eine Roboter-Puppe auch Sinn für Fashion haben? Obwohl M3GAN sonst so ziemlich alles kann: Zuhören, trösten, lachen, ans Händewaschen nach dem Toilettengang erinnern, Gefühle erkennen. Und wenn es sein muss, auch morden.

Anders als die von bösen Geistern besessene Mörderpuppen-Konkurrenz ist M3GAN eine Art Androide, bei dem die Sicherungen durchbrennen. Zwar ist ihre Geschichte nicht besonders überraschend erzählt und voller Logikbrüche, aber was soll’s? Gerard Johnstone Horrorfilm ist sich in jeder Sekunde bewusst, dass er hochgradig albern ist. Und genau das macht ihn so unterhaltsam. Die grundböse Killer-Puppe, die zum Einschlafen mit metallischer Stimme Lieder von SIA singt und sich im Angriffsmodus besorgniserregend verrenken kann, bereitet trotz gruseligen Modegeschmacks mörderischen Spaß.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „M3GAN“
USA 2023
102 min
Regie Gerard Johnstone

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

OPERATION FORTUNE

OPERATION FORTUNE

Kinostart 05. Januar 2023

Was ist ein McGuffin? Wer jetzt genervt mit den Augen rollt, der darf schnell zum nächsten Abschnitt weiterspringen. Für alle anderen eine kleine Filmlektion: Der Begriff McGuffin stammt von Alfred Hitchcock. Er bezeichnet einen beliebigen Gegenstand (vom Diamanten über einen Brief bis zum Aktenkoffer kann das alles Mögliche sein), der in einem Film dazu dient, die Handlung auszulösen oder voranzutreiben. Der (beispielsweise) Aktenkoffer ist dabei vollkommen nebensächlich, denn es geht nur darum, die Protagonisten auf Trab zu halten und damit Spannung zu erzeugen.

Es riecht nach neuem Franchise

Kein Spion in Sicht: Tom Cruise alias Ethan Hunt geht erst im kommenden Sommer wieder auf unmögliche Mission und 007 macht eine wohlverdiente Pause – ein neuer Darsteller ist noch nicht gefunden. In diese Lücke drängt sich nun Guy Ritchie mit seinem stylishen Actionfilm „Operation Fortune“. Und es riecht nach neuem Franchise. Der eingangs erwähnte McGuffin ist hier eine ominöse Festplatte. Darauf befindet sich ein Code, mit dem das internationale Bankensystem zerstört werden kann. Topspion Orson Fortune (Jason Statham) und sein Team müssen verhindern, dass die Daten einem milliardenschweren Waffenhändler (Hugh Grant) in die Hände fallen. Dazu werden pausenlos Computer gehackt und Bösewichte verdroschen. Wie üblich in solchen Filmen führt die Jagd dabei einmal sinnlos rund um den Globus. Exotische Locations sind ein Muss, auch wenn ein Großteil der Arbeit vom Rechner zu Hause erledigt werden könnte.

Bond- und Mission-Impossible-Filme verfügen über astronomische Budgets und sind visuell entsprechend hochklassig. Da ist man als Zuschauer verwöhnt. Bei Guy Ritchie wirkt alles ein bisschen kleiner und normaler und dadurch auch preisgünstiger im Look. Obwohl das Stuntteam von „John Wick“ und „Deadpool“ am Werk war, sehen viele der Actionszenen eher nach gehobenem TV-Format aus. Verfolgungsjagden und Explosionen hat man schon weitaus eindrucksvoller und bombastischer gesehen. Dass „Operation Fortune“ trotzdem großen Spaß macht, liegt an der Top-Besetzung. Neben dem knochentrockenen Jason Statham sind besonders Aubrey Plaza als schlagfertige Computerexpertin und Hugh Grant als zwielichtiger Waffenhändler herausragend. Coole Sprüche, britischer Humor und eine temporeiche Jagd machen „Operation Fortune“ zwar nicht zu großer Kunst, aber zu extrem kurzweiliger Unterhaltung.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Operation Fortune: Ruse de Guerre“
USA 2022
114 min
Regie Guy Ritchie

alle Bilder © LEONINE

THE BANSHEES OF INISHERIN

THE BANSHEES OF INISHERIN

Kinostart 05. Januar 2023

Frühmorgens aufstehen, die Tiere auf die Weide treiben, nachmittags zwei bis zehn Guiness trinken, abends mit dem Esel schmusen. Es ist nicht gerade viel los auf der abgelegenen Insel Inisherin vor der Westküste Irlands im Jahre 1923. Doch der einfach gestrickte Pádraic ist mit seinem Leben rundum zufrieden. Das Haus teilt er sich mit seiner unverheirateten Schwester Siobhán, seinen besten Freund Colm holt er jeden Tag pünktlich um zwei zum gemeinsamen Biertrinken ab. Bis Colm die Freundschaft urplötzlich kündigt. „Du hast mir nichts getan. Ich kann dich einfach nicht mehr leiden.“ Pádraic versteht die Welt nicht mehr und versucht, seinen Freund umzustimmen. Doch all seine Bemühungen nützen nichts, und als Colm Pádraic ein Ultimatum stellt, eskalieren die Ereignisse mit drastischen Folgen.

„The Banshees of Inisherin“ lässt sich auf vielerlei Arten interpretieren: eine simple Meditation über Männerfreundschaft? Eine Allegorie auf den Bürgerkrieg – einen Bürgerkrieg im Mikrokosmos, der für den damals tobenden irischen Bürgerkrieg im Großen steht? Oder ein Shakespeare-Drama inklusive Helden, Schurken, Hexen und Narren? Obwohl der Film zu großen Teilen aus philosophischen Gesprächen über Freundschaft und das Leben im Allgemeinen besteht, sollte man sich nicht in Sicherheit wiegen. Die vermeintlich sanfte Gleichmut hält ein paar bloody shocking Überraschungen parat.

Das Dreamteam ist zurück: Nach „Brügge sehen … und sterben?“ hat sich Regisseur McDonagh für seine neue Tragikomödie wieder Colin Farrell und Brendan Gleeson vor die Kamera geholt. Daneben sind unter anderem der immer hervorragende Barry Keoghan („Dunkirk“), sowie Kerry Condon (bekannt aus „Better Call Saul“) zu sehen.

Irisch klingt zwar oft wie Klingonisch auf Rückwärts. Trotzdem: Original mit Untertiteln ist ein Muss.
Go raibh maith agat as léamh (Vielen Dank fürs Lesen).

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Banshees of Inisherin“
Irland 2022
109 min
Regie Martin McDonagh

alle Bilder © Walt Disney Studio Motion Pictures GmbH

WAS MAN VON HIER AUS SEHEN KANN

WAS MAN VON HIER AUS SEHEN KANN

Kinostart 29. Dezember 2022

In einem kleinen Dorf im Westerwald tragen sich seltsame Dinge zu: Immer wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand im Ort. Selmas Enkelin Luise lügt und im gleichen Moment fällt etwas von oben herab. Martin kann im Zug mit geschlossenen Augen sehen, wo die Bahn gerade entlangfährt. Überhaupt das Sehen. Selma sieht nicht, dass der Optiker in sie verliebt ist, obwohl das ganze Dorf Bescheid weiß. Und Luises Vater will nicht sehen, dass seine Frau nicht mehr ihn, sondern den Eisverkäufer liebt.

Das ganze Leben in seiner schleierhaften Sinnlosigkeit

So viele Figuren, so viele Details. Eine Miniserie wäre vielleicht die adäquatere Form für die filmische Umsetzung von Mariana Lekys Bestseller gewesen. Denn über mehrere Folgen erzählt, kann eine Geschichte mal hierhin, mal dorthin abschweifen, während ein Spielfilm komprimieren und notfalls auch Figuren weglassen muss. 

Doch in Lekys Buch geht es ohnehin weniger darum, was, sondern wie es erzählt wird. Regisseur Aron Lehmann hat den Ton des Romans mit der richtigen Mischung aus wunderlicher Verschrobenheit und nötiger Ernsthaftigkeit kongenial eingefangen. Wann immer die Geschichte ins zu Niedliche abzurutschen droht, zieht Lehmann verlässlich die Notbremse und kontert mit trockenem Humor.

„Was man von hier aus sehen kann“ ist ein mit Luna Wedler, Corinna Harfouch und Karl Markovics ausgezeichnet besetzter Film über Liebe, Tod und überhaupt das ganze Leben in seiner Sinnhaftigkeit und manchmal schleierhaften Sinnlosigkeit. Irgendwo zwischen französischer „Amelie“-Leichtigkeit und deutscher Märchenhaftigkeit, herzenswarm und frei von Kitsch inszeniert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2022
109 min
Regie Aron Lehmann

alle Bilder © STUDIOCANAL

ENNIO MORRICONE – DER MAESTRO

ENNIO MORRICONE – DER MAESTRO

Kinostart 22. Dezember 2022

Meist genügt nur ein Takt, um zu erkennen, dass die Filmmusik von ihm stammt. Mundharmonika, überirdischer Frauengesang – Ennio Morricone wertet mit seinem unverkennbaren Sound zahllose Spaghettiwestern auf. Der Mann war schon zu Lebzeiten eine Legende. Höchste Zeit für einen Dokumentarfilm über den genialen Komponisten. Regisseur Giuseppe Tornatore arbeitet die faszinierende Karriere seines langjährigen Freundes in „Ennio Morricone – Der Maestro“ chronologisch ab. Das ist zwar konventionell gemacht, aber auch angenehm unaufgeregt.

In gleichermaßen anrührenden wie erhellenden Interviewszenen erinnert Morricone sein Leben von der Kindheit bis zum sehr späten Oscargewinn für „The Hateful Eight“. Dazwischen gestreut kommen in kurzen O-Tönen – etwas zu hektisch aneinandergereiht – Weggefährten wie Quentin Tarantino, Bernardo Bertolucci, Joan Baez, Hans Zimmer, Bruce Springsteen oder Clint Eastwood zu Wort.

Tatsächlich ist die größte Überraschung, wie viele eingängige Schlager-Hits Morricone zu Beginn seiner Karriere in den 50er und 60ern geschrieben hat. Auch dass er vor seinen Welterfolgen wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder „Es war einmal in Amerika“ unzählige Filmmusiken für heute längst vergessene italienische Filme komponiert hat, dürfte den Wenigsten bekannt sein.

Morricone ist während seiner gesamten Karriere bereit, zu experimentieren, sich neu zu erfinden. Filmen verleiht er mit seiner Musik eine Dimension, die mancher Regisseur selbst noch gar nicht begriffen hat. Bei so viel aufregender Kreativität braucht es keine filmischen und erzählerischen Tricks. „Ennio Morricone – Der Maestro“ ist zwar ein etwas artig gemachter, aber trotzdem spannender Film über einen genialen Ausnahmekünstler.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ennio“
Italien / Belgien / Japan / Niederlande 2021
156 min
Regie Giuseppe Tornatore

alle Bilder © PLAION PICTURES

AVATAR: THE WAY OF WATER

AVATAR: THE WAY OF WATER

Kinostart 14. Dezember 2022

Groß, größer, Cameron. Der Erfolgsregisseur präsentiert mit „Avatar: The Way of Water“ im Grunde eine Neuverfilmung von „Avatar: Aufbruch nach Pandora“. Nur ist diesmal alles noch gewaltiger und farbenprächtiger, die Bilder noch plastischer. Vor allem in IMAX und 3D ist der Film ein visueller Rausch.

Avatar ist bis heute der erfolgreichste Film aller Zeiten

Das sieht schon sehr gut aus. Vor allem die Unterwasseraufnahmen. Da ist James Cameron in seinem Element. Und er weiß, was seine Fans wünschen: Schiffskatastrophe a la „Titanic“, check. Schillernde „Abyss“-Unterwasserwelten, check. „Aliens“-Machosoldaten, doppel-HOOAH-check! Viele der Versatzstücke kommen einem verdächtig bekannt vor. Der Meister zitiert sich selbst. 

Inhaltlich unterscheiden sich Avatar 1 und 2 kaum. Kurze Auffrischung: Der ehemals gelähmte Kriegsveteran Jake Sully (Sam Worthington) ist mittlerweile komplett zum blauhäutigen Na’vi geworden und hat mit Neytiri (Zoe Saldana) reichlich Nachwuchs in die pandorische Welt gesetzt. War der erste Teil noch eine simple Liebesgeschichte, erzählt die Fortsetzung eine soapige Familiensaga. Die Kleinen sind inzwischen zu pubertierenden Teenagern herangewachsen. Und da es im Weltenraum überall gleich zugeht, ignorieren die Kids auch hier bockig den Rat der Alten und provozieren dadurch eine gefährliche Situation nach der anderen. Aus denen sie dann von den Eltern gerettet werden müssen – Eine Geschichte so dünn wie ein Schluck Wasser.

Auch die Rollenverteilung zwischen Gut und Böse bleibt wie gehabt: Hier die teuflischen Menschen, die profitgierig auf den Umweltschutz spucken. Da die edlen Wilden, mit der Natur stets im Einklang und im ewigen Kampf gegen den weißen Mann. Winnetou, I see you.

James Cameron kann mit seinem Hybrid aus Real- und Computeranimationsfilm das Blockbusterkino nicht noch einmal revolutionieren. Der Reiz des Neuen ist weg. Gelegentlich droht die Schönheit der Bilder in Enthnokitsch und Pathos unterzugehen. Aber immerhin: Die im Rechner erschaffenen fantastischen Welten und die perfekt choreografierten Actionsequenzen haben Wucht. Wer im trüben Wintergrau für drei Stunden in türkisfarbenen Südsee-Welten versinken möchte, der ist hier genau richtig.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Avatar: The Way of Water“
USA 2022
192 min
Regie James Cameron

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany