GHOSTBUSTERS: LEGACY

GHOSTBUSTERS: LEGACY

Wozu gibt es Fortsetzungen? Kann man es bei Serien nicht einfach bei einer Staffel belassen? Wer soll den ganzen Content überhaupt schauen? Das Gleiche gilt für Filme. Sequel, Prequel, Schniequel. Beim Ghostbusters-Franchise ging der zweite Teil noch in Ordnung, völlig überflüssig hingegen war das All-Female-Remake von 2016. Jetzt also noch eine Fortsetzung, diesmal mit Teenagern. Klingt schlimm, ist aber großartig!

Vor dem Presse-Screening läuft eine kurze Videobotschaft des Regisseurs Jason Reitman, dessen Vater Ivan die ersten beiden Teile inszeniert hat, in der er inständig bittet, keinerlei Spoiler oder Storyelemente zu verraten. Sehr gerne! Das Nacherzählen des Inhalts gehört sowieso zu den langweiligsten Bestandteilen einer Framerate-Kritik.

Let’s lieber talk about Sterne: Nein, 0 Sterne gab es noch nie und wird es nie geben. Es sei denn, „Monster Hunter“ wird fortgesetzt. 5 Sterne gibt es nur in absoluten, lebensverändernden Ausnahmen. Also auch so gut wie nie. „Ghostbusters Legacy“ würde in einer gerechteren Welt 5 Sterne bekommen. Denn es gibt nichts auszusetzen an dieser liebevollen und liebenswerten Fortsetzung des 80er-Jahre-Hits. Alles richtig gemacht: Die Kinderdarsteller perfekt gecastet (und nerven nicht, dafür einen Extrastern), die Dialoge witzig, die Geschichte spannend und der Soundtrack von Rob Simonsen weckt nostalgische John-Williams-Gefühle.

„Ghostbusters: Legacy“ ist die perfekte Reinkarnation eines Steven Spielberg-Films aus der ET-Poltergeist-Ära. Und warum dann nur 4 Sterne? Weil es halt alles schon mal da war. Das tut dem Vergnügen zwar keinen Abbruch, aber wenn überhaupt, dann hätte das Original von 1984 fünf Sterne verdient.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ghostbusters: Afterlife“
USA 2021
124 min
Regie Jason Reitman
Kinostart 18. November 2021

alle Bilder © Sony Pictures Germany

EIFFEL IN LOVE

EIFFEL IN LOVE

Kleine Quizrunde für Senioren: Mit welchem Gebäude erlangte Gustave Eiffel im 19. Jahrhundert Weltruhm?

A) Kölner Dom
B) Berliner Fernsehturm
C) New Yorker Freiheitsstatue
D) Londoner Tower Bridge

Richtige Antwort: C. Neben der Erkenntnis, daß niemand Klugscheißer mag, ist das schon wieder eine geschlossene Wissenslücke. Eiffel hat Lady Liberty zwar nicht entworfen, sie aber dank ausgeklügelter Stahlkonstruktion auf Jahrhunderte standsicher gemacht.

Sein nächstes großes Ding ist der Tour Eiffel. 1889, pünktlich zur Pariser Weltausstellung, soll der 324 Meter hohe Turm fertig sein, um eigentlich zwei Jahre später wieder zurückgebaut zu werden. Streikende Bauarbeiter, Probleme mit der Finanzierung, wütende Anwohner – was wie der Bau des BER klingt, ist in Wahrheit die fast gescheiterte Geschichte eines der schönsten Architekturkunstwerke der Welt. Gustave Eiffel will die Weltbevölkerung ursprünglich mit seiner neugebauten Metro beeindrucken, erst die wiedererwachte Liebe zu einer Frau inspiriert ihn zu dem eleganten Phallus mitten in Paris. Weniger sexuell aufgeladen lässt sich in die Form des Eiffelturms auch ein großes A interpretieren, den Anfangsbuchstaben der Angebeteten Adrienne.

Regisseur Martin Bourboulon, sonst eher Spezialist für Komödien, erfindet mit „Eiffel in Love“ das Rad nicht neu: Ein bisschen erinnert das Liebesdrama an „Titanic“ – nur eben nicht zu Wasser, sondern an Land. Wirklichkeit und Fiktion decken sich auch hier nur teilweise: Als der 28-jährige Jungarchitekt in Bordeaux eine Brücke baut, haben Gustave und Adrienne tatsächlich eine leidenschaftliche Beziehung. Ob die Liebe zwischen den beiden allerdings Jahre später noch einmal erblüht und Monsieur Eiffel tatsächlich zum Turmbau inspiriert, ist eine unbewiesene Drehbuchidee.

Die Romanze ist mit Romain Duris und der aus „Sex Education“ bekannten Emma Mackey ausgezeichnet besetzt. Trotz der etwas konventionellen Erzählweise: „Eiffel in Love“ ist unterhaltsam, bildgewaltig und dazu noch romantisch, ohne in Kitsch abzudriften. Vive la France!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Eiffel“
Frankreich 2021
109 min
Regie Martin Bourboulon
Kinostart 18. November 2021

alle Bilder © Constantin Film

LAST NIGHT IN SOHO

LAST NIGHT IN SOHO

Huch, you didn‘t see that coming: „Last Night in Soho“ ist Mode trifft Zeitreise trifft Horror. Dorfkind Eloise kommt nach London, um Fashion Design zu studieren (was auch sonst 2021?). Ihr erstes eigenes Zimmer bezieht sie zur Untermiete bei Miss Collins. Die Einrichtung im 60er-Jahre-Stil ist ganz nach ihrem Geschmack, denn Ellie lebt eindeutig im falschen Jahrhundert. Nachts träumt sie von Sandy, einer Sängerin im London der Swinging Sixties: die Kleider sind von Mary Quant, im Kino läuft James Bond mit Sean Connery und der berühmte Nachtklub „Café de Paris“ ist gleich um die Ecke. Doch als sich Traum und Wirklichkeit immer mehr vermischen, gerät Ellie in große Gefahr.

Wäre Alfred Hitchcock 75 Jahre später zur Welt gekommen, würde er heute vielleicht ähnliche Filme wie Edgar Wright drehen. Der britische Regisseur schuf 2004 mit „Shaun of the Dead“ einen modernen Klassiker und begeisterte 2017 mit „Baby Driver“ sowohl Kritiker als auch Publikum. Sein neues Werk ist eine wilde Mischung aus Zeitreise-Fantasy, Love Story und düsterem Psychothriller. Man fragt sich – vor allem gegen Ende – ob das nun alles vollkommen absurd oder absolut genial ist. Von ein paar Längen abgesehen, bietet „Last Night in Soho“ vor allem tolles 60er-Jahre-Feeling. Und wie die Geschichte von harmlos-nett zu waschechtem Horror mutiert, das ist ungewöhnlich und höchst unterhaltsam.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Last Night in Soho“
USA 2021
117 min
Regie Edgar Wright
Kinostart 11. November 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

THE MANY SAINTS OF NEWARK

THE MANY SAINTS OF NEWARK

Regisseur Alan Taylor findet offensichtlich Gefallen daran, es sich mit Hardcore-Fans zu verderben. Nach einhelliger Zuschauer- und Kritiker-Meinung hat er den schlechtesten Marvel-Film zu verantworten: „Thor: The Dark Kingdom“ (wenigstens bis „Eternals“ in die Kinos kam). Direkt danach drehte er „Terminator: Genesis“. Diese Fortsetzung fand so wenig Gefallen, dass anschließend das gesamte Franchise einem Reboot unterzogen wurde (ohne Erfolg). Nun legt sich Taylor mit einer besonders strengen Fangruppe an: „A Sopranos Story“ heißt sein neuer Film im Untertitel und ist ein Prequel zur legendären Mafiasaga.

Der unerwartete Tod von James Gandolfini vor acht Jahren machte alle Pläne, die preisgekrönte HBO-Serie jemals fortzusetzen, zunichte. Deren Abschluss (ein schlichter Schnitt auf Schwarz) wird von Fans bis heute als entweder genial oder enttäuschend empfunden. Statt das überraschend abrupte Ende aufzuklären, gibt es nun eine Reise zu den Anfängen. Die Rolle des jungen Tony Soprano spielt der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnittene Michael Gandolfini. Ein genialer Besetzungscoup, Ähnlichkeit ganz ohne Computer-Tricks.

Im Mittelpunkt des Films steht Tonys Onkel Dickie Moltisanti. Ein schlimmer Finger, dem trotzdem die Sympathien des Publikums gehören. Als Mitglied der DiMeo-Verbrecherfamilie betreibt er den örtlichen Glücksspielring in Newark. Tony Soprano, noch ein Teenager, steht am Scheideweg: bürgerliches Leben oder dem Vorbild seines Onkels folgen und Berufsverbrecher werden? Wie die Geschichte ausgeht, ist bekannt.

Alan Taylor hat sich rehabilitiert. Auch ohne jemals eine Folge der Serie gesehen zu haben, funktioniert der Film. In zwei spannenden Stunden lernt der Zuschauer den Soprano-Clan in seinen mörderischen Anfängen kennen. Mit großem Aufwand und exzellenter Besetzung erzählt „The Many Saints of Newark“ eine epische Familiensaga, in der Erpressung und Gewalt Alltag sind. Sicher bleiben für Nicht-Kenner einige Verweise auf die Serie unverständlich, das macht aber nichts. „The Many Saints of Newark“ ist auch ohne Insiderwissen sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Many Saints of Newark“
USA 2021
120 min
Regie Alan Taylor
Kinostart 04. November 2021

alle Bilder © Warner Bros. Entertainment Inc.

ETERNALS

ETERNALS

Marvel wird erwachsen. Und was ist die Definition von erwachsen werden? In erster Linie weniger Spaß, mehr Schwere, mehr Ernsthaftigkeit. Die guten alten Zeiten, in denen ein arroganter Milliardär einen Metallanzug zusammenschweißt, um dann gegen einen anderen Mann in einem Metallanzug zu kämpfen, sind vorbei. Inzwischen ist das Marvel Cinematic Universe ungleich komplexer und verschachtelter geworden.

Indie Darling und Oscarpreisträgerin Chloé Zhao wurde als Regisseurin verpflichtet, doch alle Fans von „Nomadland“ dürften spätestens nach 10 Minuten schreiend das Kino verlassen. Schluss mit Arthouse im Dokustyle, hier kommt Blockbusterkino.
Kann ein Superheldenfilm gigantomanisch, episch und trotzdem langweilig sein? „Eternals“ gibt die Antwort. Die scientologyartige Story erzählt von gottgleichen Wesen, die sich seit 7.000 Jahren unerkannt auf der Erde herumtreiben. Ursprünglich sollten sie die Menschheit vor Deviants (CGI-Drachen ohne Haut) schützen. Nun droht neuer Ungemach, die Eternals müssen sich noch einmal zusammenfinden und gemeinsam kämpfen.

„Eternals“ sieht gut aus (viel Gold, viele echte Locations), ist sehr lang und leidet unter Übervölkerung. Das Drehbuch konfrontiert die Zuschauer mit zehn neuen Charakteren. Das sind ungefähr acht zu viel. Die Geschichte springt willkürlich durch die Jahrhunderte und manche der Figuren sind so uninteressant, dass sie den Film komplett ausbremsen. Auch der Humor will nicht recht zünden, ein Novum im MCU. Am Ende (nach einer naja-Mid- und einer hm-Endcreditszene) heißt es drohend: „Eternals will return“. Dann hoffentlich mit einer strafferen Story.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Eternals“
USA 2021
157 min
Regie Chloé Zhao
Kinostart 03. November 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

DIE GESCHICHTE MEINER FRAU

DIE GESCHICHTE MEINER FRAU

Schiffskapitän Jakob Störr (der Name ist Programm) trifft in einem vornehmen Lokal seinen Freund Kodor. Aus einer Laune heraus wetten die beiden Männer, Jakob solle die nächste Frau, die den Raum betritt, heiraten. Gesagt, getan. Lizzy, jung und hübsch, lässt sich überraschend auf den spontan vorgetragenen Antrag ein. Dass Jakob überhaupt heiraten will, hat nichts mit Liebe zu tun. Er folgt nur dem Rat seines Schiffskochs, eine Ehe würde gegen seine Magenschmerzen helfen. Keine gute Ausgangslage für eine erfolgreiche Beziehung.

Ildikó Enyedis 1920er-Jahre-Epos ist ein hervorragend fotografierter, erlesen ausgestatteter Augenschmaus. Doch es passiert so wenig in den knapp drei Stunden, dass die Szenen einer lieblosen Ehe in ihrer ständigen Wiederholung bald eine einschläfernde Wirkung entfalten.

Neben den ästhetischen Bildern ist Léa Seydoux der einzige Lichtblick in diesem langatmigen Cannes-Wettbewerbs-Beitrag. Die französische Schauspielerin macht das Beste aus ihrer Rolle. Doch gegen das Hauptproblem des Films kann auch sie nichts ausrichten: „Die Geschichte meiner Frau“ fixiert sich auf die falsche Figur. Kapitän Störr ist in seiner bleiernen Antriebslosigkeit der weitaus uninteressantere Charakter in diesem Drama. Die temperamentvolle Lizzy scheint das spannendere Leben zu führen, doch darüber erfährt der Zuschauer so gut wie nichts.

FAZIT

Kunstvoll gepflegte Arthouse-Langeweile.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „A feleségem története“
Ungarn / Deutschland / Frankreich / Italien 2021
169 min
Regie Ildikó Enyedi
Kinostart 04. November 2021

alle Bilder © Alamode Film

CONTRA

CONTRA

Warum sind deutsche Komödien oft so schlecht? In 99,9 % der Fälle ist das Drehbuch schuld an der Misere. Die Lösung: Einfach eine bereits erprobte Idee kaufen, sie für den hiesigen Markt adaptieren und neu verfilmen. So geschehen bei der Elyas-M’Barek-Komödie „Das perfekte Geheimnis“, mit 5 Millionen Besuchern einer der erfolgreichsten Kinofilme 2019. Sönke Wortmanns Dramödie „Contra“ wurde nach dem gleichen Rezept produziert, das Original lief als „Le Brio“ in den französischen Kinos.

Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) ist auf den ersten (und zweiten) Blick ein richtiges Arschloch. Nachdem er die Jura-Studentin Naima Hamid (Nilam Farooq) in einem voll besetzten Hörsaal beleidigt hat und eine Videoaufnahme davon viral gegangen ist, droht er von der Uni zu fliegen. Doch der Universitätspräsident gibt ihm eine letzte Chance: Als ihr Mentor soll er Naima auf einen Debattierwettbewerb vorbereiten. Das Arrangement ist für beide zunächst eine Zumutung.

Wortmann erzählt die Aufsteiger-Geschichte mit allerlei überraschenden Haken und Wendungen. Die eleganten Dialoge sind gespickt mit schönen Boshaftigkeiten und frei von Political Correctness. Herbst und Farooq bei ihren scharfzüngigen Streitgesprächen zuzuhören, macht großen Spaß. Nur im Mittelteil hängt der Film ein bisschen durch, da geht das ungleiche Paar auf Deutschlandtournee – die Debattierwettbewerbe finden übers ganze Land verteilt statt. Es reiht sich eine Zugfahrt-Szene an die nächste. Fast könnte man meinen, die Deutsche Bahn sei Produzentin des Films. Wundern würde es nicht, schließlich bekannte Wortmann schon 1999 in einem Werbespot für das Unternehmen: „Warum ich Bahn fahre? Da laufen einfach die besten Filme.“

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
104 min
Regie Sönke Wortmann
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Constantin Film

BORGA

BORGA

Borga? Was issn das? „Borga“ nennen die Ghanaer einen Mann, der es im Ausland zu Reichtum gebracht hat und so seine daheimgebliebene Familie unterstützen kann.

Ist Geiz immer noch geil? Wenn sich der Durchschnittsbürger alle paar Wochen neue Fernseher, Waschmaschinen oder Drucker kauft – was passiert dann eigentlich mit den ganzen Altgeräten? Kojo und Kofi wachsen auf einer stinkenden Müllhalde in Ghana auf. Kabel abbrennen, das freigelegte Metall verkaufen, westlichen Elektroschrott ausschlachten: So sieht der triste Alltag der Kinder aus – hoffnungsvoll ist anders. Jahre später gelangt Kojo mithilfe einer Schlepperbande nach Mannheim, der nicht ganz so schönen Schachbrettstadt am Neckar. Kein Job ist zu unwürdig oder gefährlich: Kojo setzt alles daran, seiner Familie den Traum vom Wohlstand zu erfüllen und selbst ein Borga zu werden.

Ein ungewöhnlicher deutscher Film – ungewöhnlich gut, kraftvoll und im feisten Cinemascopeformat gedreht. Perfekt ist „Borga“ nicht, manchmal irritiert die etwas sprunghafte Erzählweise, aber das schmälert den positiven Gesamteindruck nicht. Hauptdarsteller Eugene Boateng (nicht mit Jérôme verwandt) ist eine echte Entdeckung, spielt die Rolle äußerst überzeugend. Den wird man sicher bald in größeren Produktionen sehen.

Der Film gewann vier Max-Ophüls-Preise, denn er „zeigt in eindringlichen, teils beklemmenden Bildern die globalen Auswirkungen des westlichen Konsums auf Kosten des afrikanischen Kontinents“, so die Begründung der Jury. Dass der Film zuvor bei verschiedenen Festivals abgelehnt wurde, weil der Regisseur eine Kartoffel ist – das ist Political Correctness ad absurdum geführt.

INFOS ZUM FILM

Ghana / Deutschland 2021
107 min
Regie York-Fabian Raabe
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Across Nations Filmverleih

RON LÄUFT SCHIEF

RON LÄUFT SCHIEF

Der schönste Tag 2021 war der 4. Oktober: Facebook, Instagram und WhatsApp gingen für sieben Stunden offline. Die Welt konnte durchatmen. Was für ein Segen!

Dass sich so etwas in nächster Zeit wiederholt, ist eher unwahrscheinlich. Denn das Sammeln von Daten und das Absaugen unserer Lebenszeit ist für Social Media Konzerne überlebenswichtig. Please, like me! Das Grundübel begann schon 2007 mit der Einführung des iPhones. Apple hat die Menschen zu Smombies (© Jugendwort 2015) gemacht. Erstaunlich, dass die längst überfällige Abrechnung nun ausgerechnet in Form eines leicht zuckrigen Animationsfilms im Appledesign daherkommt.

Barney ist ein socially challenged Teenager. Freunde hat er keine, im Pausenhof steht er meist alleine rum. Kein Wunder, denn er ist der einzige Schüler ohne B-bot. Die übergroßen Tamagotchi-Eier können fahren, laufen, sprechen und natürlich sämtliche Social Media App-Funktionen erfüllen. Nebenbei speichern sie die persönlichen Daten ihrer Besitzer, verknüpfen sich untereinander in der Cloud. Das Ganze erinnert an eine Datingapp für Kinder. Du magst Schokolade und Einhörner? Match! Als Barney endlich seinen eigenen Bot zum Geburtstag bekommt, stellt er schnell fest, dass sein Gerät ein paar Macken hat.

Visuell orientiert sich „Ron läuft schief“ an Pixar-Produktionen, erreicht aber nicht ganz deren Qualitätslevel. Auch die fröhlich poppige Musikauswahl ist etwas gewöhnungsbedürftig. Aber der Humor stimmt, es gibt einige lustige Seitenhiebe auf fehlfunktionierende Technik und B-bot Ron ist ausgesprochen niedlich. Für den Voicecast in der Originalversion wurden unter anderem Jack Dylan Grazer, Zach Galifianakis und Olivia Colman verpflichtet.

„Ron läuft schief“ ist gute Familienunterhaltung mit sanftem Biss und hat das Herz am rechten Fleck. Ganz mit dem System brechen will der Film dann aber doch nicht, denn die Moral von der Geschicht’ ist ambivalent: Am Ende haben sich die sprechenden tictacs zu noch angepassteren Freunden der Kinder gewandelt. Konsequenter wäre es gewesen, die Scheißdinger einfach abzuschalten.

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Originaltitel „Ron’s Gone Wrong“
USA 2021
106 min
Regie Sarah Smith und Jean-Philippe Vine
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

DEAR EVAN HANSEN

DEAR EVAN HANSEN

Es gab mal eine Schauspielerin namens Joan Crawford. Die war dafür berühmt, dass sie ihren Kindern unter Wutanfällen verbot, Kleidung auf Drahtbügeln aufzuhängen. NO WIRE HANGERS! Im Trash-Camp-Klassiker „Mommie Dearest“ glaubhaft nachgestellt. (hier die Szene) Joan hatte im wahren Leben eine Adoptiv-Tochter. Christina Crawford war ebenfalls Schauspielerin, unter anderem wirkte sie in der Serie „The Secret Storm“ mit. Eines Tages wurde sie schwer krank. Die Produzenten fanden es eine gute Idee, die Rolle ersatzweise mit Christinas Mutter Joan zu besetzten. Warum das erwähnenswert ist? Christina war damals in ihren 20ern, Joan 62.

„Dear Evan Hansen…“, so beginnt der schüchterne Evan einen Brief an sich selbst am ersten Tag in der Oberstufe – ein Rat seines Therapeuten. Durch unglückliche Umstände gerät ein Ausdruck dieses Briefes in die Hände von Evans Mitschüler Connor. Die beiden kennen sich kaum, Connor ist ein schwieriger Einzelgänger. Kurz darauf nimmt er sich das Leben, wird mit dem Brief in der Tasche gefunden, den seine Eltern als Abschiedsbrief an Evan interpretieren. Evan, der der trauernden Familie Trost spenden will, behauptet, Connors bester Freund gewesen zu sein und spinnt die erfundene Geschichte immer weiter aus.

Und was hat nun Joan Crawford mit „Dear Evan Hansen“ zu tun? Die Hauptrolle in der Broadway-Musicalverfilmung wird von Ben Platt gespielt. Der ist 28. Die Figur, die er spielt, soll ein 17-jähriger Highschoolschüler sein. Platts Aussehen ist wie der viel zitierte Unfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Trotz puppenhaft geschminktem Gesicht, aufgetufften Haaren und Kinderklamotten sieht er wie ein verkleideter Mittdreißiger mit Doppelkinn aus. Creepy!

Wie es sich für ein amerikanisches Musical gehört, sind die Songs von Benj Pasek und Justin Paul (u. a „The Greatest Showman“, „La La Land“) nett und catchy. Es wird viel geweint (vor und auf der Leinwand) und würde nicht der irritierende Anblick des fehlbesetzten Hauptdarstellers ablenken, wäre „Dear Evan Hansen“ ganz okay, wenn auch mit 137 Minuten Laufzeit entschieden zu lang.
Achtung: Bei uns startet der Film synchronisiert, schauderhafterweise wurden auch die Songs ins Deutsche übersetzt.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Dear Evan Hansen“
USA 2021
137 min
Regie Stephen Chbosky
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

ANTLERS

ANTLERS

Wie kommt es, dass Kinder-Zeichnungen in Filmen oft wie abstrakte expressionistische Meisterwerke aussehen? Auch der erst 12-jährige Lucas malt seitenweise künstlerisch Hochwertiges in sein Schulheft. Die blutigen Bilder sind Ausdruck seiner Ängste, denn zu Hause verbirgt er ein entsetzliches Geheimnis. Dass er einerseits niemandem etwas davon verraten will, andererseits ausführliche Storyboards dieses Geheimnisses malt – das Drehbuch will es so. Seine Lehrerin Julia macht sich große Sorgen und bittet ihren Bruder Paul, den örtlichen Sheriff, der Sache nachzugehen.

Ein Feuilletonist würde jetzt irgendwas von „atmosphärisch dicht“ schwadronieren – aber das ist ja schließlich Framerate hier. Also kurz und knapp gesagt: „Antlers“ fängt gut an, verliert sich aber schnell in langweiligen Klischees.
„Let the right one in“, „Twin Peaks“, „Alien“, „The Thing“ – die Reihe der zitierten Klassiker ließe sich beliebig fortsetzen. Dazu noch ein alter Indianer, der geheimnisvolles Zeug von mythologischen Kreaturen nuschelt, ein bisschen Gesellschaftskritik und verdrängte Traumata aus der Kindheit. Zuviel des Guten. Nur Humor geht dem Arthouse-Horror komplett ab. Dafür nimmt er sich selbst viel zu ernst.

„Antlers“ ist ein großes Gewurschtel. Es entsteht der Eindruck, als hätte der Film eine verlustreiche Testscreeningschlacht verloren. Ganze Sequenzen wurden scheinbar entfernt oder nachträglich umgestellt. Das Stückwerk führt dazu, dass die Geschichte nie richtig in Fahrt kommt.
Am gelungensten sind die Szenen zwischen der besorgten Lehrerin Julia und ihrem schwer verstörten Schüler Lucas (sehr gut: Jeremy T. Thomas). Das hätte ein schön düsteres Drama über Missbrauch werden können, doch leider ist es nur ein durchschnittlicher Horrorfilm geworden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Antlers“
USA 2021
99 min
Regie Scott Cooper
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

HALLOWEEN KILLS

HALLOWEEN KILLS

Malus. Peius. Pessimus.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Halloween Kills“
USA 2021
105 min
Regie David Gordon Green
Kinostart 21. Oktober 2021

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

VENOM: LET THERE BE CARNAGE

VENOM: LET THERE BE CARNAGE

Der Verleih besteht auf Spoiler-Verbot. Aber was soll man schreiben, wenn weder über die Geschichte noch über die überall gehypte Midcreditscene etwas verraten werden darf? Venoms pränormatives Interesse gilt dem Phänomen der Rache in seiner historischen und begriffsgeschichtlichen Genese, seiner ethnologisch und kulturanthropologisch fundierten Ausprägung und seinen Darstellungsformen im Bereich des Imaginären.

ODER ein Zitat aus dem Presseheft:

Venom wird erneut von Tom Hardy verkörpert. Die Regie übernahm Andy Serkis. In weiteren Hauptrollen sind Michelle Williams und Naomie Harris zu sehen. Den Bösewicht Cletus Kasady/Carnage spielt Woody Harrelson (im Woody-Harrelson-Auto-Modus / Anm. d. Red.)

Statt Kritik eine lahme Checklist:
Schauspieler – gut
Geschichte – nicht vorhanden
Effekte – okay
Der ganze Film – naja

Die gute Nachricht: Das blutleere CGI-Blutbad dauert nur 97 Minuten. In den USA hat „Venom: Let there be Carnage“ am Startwochenende 90 Millionen Dollar eingespielt. Beeindruckend. Und erstaunlich.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Venom: Let there be Carnage“
USA 2021
97 min
Regie Andy Serkis
Kinostart 21. Oktober 2021

alle Bilder © Sony Pictures

THE FRENCH DISPATCH

THE FRENCH DISPATCH

Wes Anderson ist ein Genie.

5/5

Es gibt wohl kaum einen Regisseur der Gegenwart, der so vor Originalität und visuellem Einfallsreichtum strotzt wie Wes Anderson. Sein neuester Film ist eine liebevoll komische Hommage an den Journalismus. Mit spielerischer Fantasie und visionärem Geist erweckt der Meisterregisseur eine Sammlung von herrlich schrulligen Geschichten zum Leben, die in der letzten Ausgabe des fiktiven Magazins „The French Dispatch“ veröffentlicht werden.
Neben seinem hochkarätigen Stammensemble (u. a. Bill Murray, Owen Wilson, Adrien Brody) haben diesmal die Oscarpreisträgerin Frances McDormand und Jungstar Timothée Chalamet einen unvergesslichen Auftritt. Für das typische Wes-Anderson-Feeling sorgen die fantastische Ausstattung und das liebevolle Spiel mit Miniaturen und Zeichentricksequenzen. „The French Dispatch“ ist ein Muss für Fans. In Cannes gab es dafür minutenlang Standing Ovations.

Wes Anderson ist ein überschätztes One-Trick-Pony.

1/5

Das englische Wort „pretentious“ wurde eigens für den US-amerikanischen Regisseur erfunden. Im Gegensatz zu Woody Allen, der auch nur eine Geschichte in sich trägt, diese aber wenigstens durch wechselnde Genres immer wieder neu verpackt, ergeht sich Anderson in reiner Selbstverliebtheit und zitiert sich am liebsten selbst. Den visuellen Schnickschnack, wie das Spiel mit Farbe und Schwarz-Weiß oder theaterhaft aufgeschnittene Sets kennt man mittlerweile zur Genüge.
Neben den üblichen Verdächtigen sind die immer latent genervt wirkende Frances McDormand und Jungstar Timothée Chalamet mit dabei. Letzterer macht ein paar ironische Bemerkungen über seine knabenhafte Figur. So originell sind Drehbuchautoren: Den gleichen Scherz gab es gerade erst in „Dune“ zu hören.
Wer bisher nicht mit dem Anderson-Universum warm geworden ist, den wird auch „The French Dispatch“ nicht bekehren. Für eine halbe Stunde mögen der visuelle Witz und die sprachliche Akrobatik ganz amüsant sein – auf 108 Minuten gedehnt ist es nur aufgeplusterte Langeweile.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The French Dispatch“
USA 2020
108 min
Regie Wes Anderson
Kinostart 21. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

THE LAST DUEL

THE LAST DUEL

Ritter Jean (Matt Damon) und Junker Jacques (Adam Driver) werden zu erbitterten Feinden, nachdem Jeans Frau, Marguerite (Jodie Comer), behauptet, von Jacques brutal vergewaltigt worden zu sein. Der beteuert zwar seine Unschuld, doch Jean glaubt seiner Frau und bringt den ehemaligen Freund vor Gericht. Der Ausgang eines vom König angeordneten Duells soll über Schuld und Unschuld entscheiden.

#metoo im 14. Jahrhundert – Die Drehbuchautoren Matt Damon, Ben Affleck und Nicole Holofcener lassen die Männer im Kettenhemd ausgesprochen schlecht aussehen. Die Handlung wird aus drei Perspektiven gezeigt: der des Ehemanns, der des Vergewaltigers und zuletzt der des Opfers. Den Kunstgriff, die gleiche Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen, kennt man zum Beispiel von der 40 Jahre alten ZDF-Miniserie „Tod eines Schülers“.

Matt Damon, durch eine Vokuhila und einen abscheulichen Kinnbart entstellt, liefert wie immer eine solide Leistung ab – dröge kann er gut. Ganz ausgezeichnet: Jodie Comer als missbrauchte Frau, die sich zur Wehr setzt. Adam Driver bleibt im Star Wars-Modus und gibt erneut den ambivalenten Shakespeare-Schurken, dessen britischer Akzent kommt und geht wie Ebbe und Flut. Die große Überraschung ist der Auftritt des platinblond gefärbten Ben Afflecks, der sich mit seinem losen Mundwerk aus einem lustigeren Film hierher verirrt hat.

Ridley Scotts visuelles Universum bleibt seit „Gladiator“ unverändert und kennt nur zwei Farbstimmungen: stahlblau und kerzenwarm. Auch die immer gleichen Schlachten bei beständig schlechtem Matsche-Wetter kennt man aus zahllosen anderen Abenteuerfilmen. Hundertfach kopiert und zitiert, sieht aber immer noch gut aus.

FAZIT

Ja, so san’s, die alten Rittersleut’ – wenn sie sich nicht gerade die Köpfe einschlagen, gibt es außer Saufen und Schnackseln wenig Freizeitbeschäftigung. „The Last Duel“ bietet nicht viel Neues, ist aber dank seiner Erzählstruktur – wie der Engländer sagen würde – growing on you. Häufig genug, dass bei einer Laufzeit von 2,5 Stunden in der letzten Stunde das große Mopsen einsetzt. Hier aber ist das Gegenteil der Fall: Anfangs ein bisschen zäh, doch je länger es dauert, desto interessanter wird es. Also Geduld, es lohnt sich am Ende.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Last Duel“
USA 2021
153 min
Regie Ridley Scott
Kinostart 14. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

HOCHWALD

HOCHWALD

Lost in Südtirol. Mario (Thomas Prenn) schlägt sich mit Aushilfsjobs durchs Leben, in seiner Freizeit zieht er bunte Retro-Kleidung an und tanzt alleine in der Schulaula. Für die Einwohner in seinem streng katholischen Heimatdorf ist er eine spinnerte Dancing-Queen, auf so einen hat man gerade noch gewartet. Als Mario seinen Freund Lenz in Rom besucht, werden sie Opfer eines Terroranschlags in einer Schwulenbar.

Immer wenn er überfordert ist, zieht der heroinsüchtige Mario eine Faschingsperücke auf. Diese und viele andere Drehbuchideen erinnern daran, dass es sich bei „Hochwald“ um ein Regiedebüt handelt. Evi Romen hat ein gutes Gespür für Atmosphäre und inszeniert den Kontrast zwischen Dorfgemeinschaft und feindseliger Ausgrenzung glaubhaft. Doch die Regisseurin verzettelt sich im Laufe der Handlung zu sehr: Sexuelle Orientierung, Religion, Terrorismus und Drogensucht – die vielen komplexen Themen kann der Film nur streifen, das wirkt oft angestrengt. Im Interview sagt sie: „Das Weglassen ist mir sehr schwergefallen, weil ich sehr viel an sehr tiefen persönlichen Recherchen in dieses Projekt gesteckt habe und sehr viel Material hatte.“ Weniger wäre sehr viel mehr gewesen. Preise hat es trotzdem gehagelt: „Hochwald“ wurde mit dem Goldenen Auge des Zürich Film Festivals und dem Großen Diagonale Preis ausgezeichnet. Hauptdarsteller Thomas Prenn gewann den Österreichischen Filmpreis als „Bester männlicher Hauptdarsteller“.

INFOS ZUM FILM

Österreich / Belgien 2020
107 min
Regie Evi Romen
Kinostart 07. Oktober 2021

alle Bilder © Edition Salzgeber

TITANE

TITANE

Alles einsteigen, dabei sein, die nächste Fahrt geht rückwärts! Ein Film wie eine Achterbahnfahrt. Der Versuch, den Inhalt von „Titane“ zu beschreiben: Die kleine Alexia überlebt schwerverletzt einen Autounfall. Im Krankenhaus wird ihr eine Titanplatte in den Schädel geschraubt. Daraufhin entwickelt sie eine sehr innige Beziehung zu Autos, Martin Winterkorn hätte das gefallen. Naheliegend, dass sie sich im Erwachsenenalter ihren Lebensunterhalt als Erotik-Tänzerin bei Motorshows verdient. Eines Abends verlangt ein Fan mehr als ein Autogramm, seine Zudringlichkeit muss er mit dem Leben bezahlen. Um unterzutauchen, nimmt Alexia die Identität eines vor zehn Jahren verschollenen Jungens an. Dessen Vater, Feuerwehrkommandant Vincent, akzeptiert den vermeintlich zurückgekehrten Sohn ohne Zögern. Das seltsame Paar entwickelt eine ganz besondere Eltern-Kind-Beziehung.

So weit, so weird. Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass Alexia eine Serienmörderin ist und nicht in sondern von einem Auto geschwängert wird. Statt Blutungen und Milcheinschuss sondert ihr Körper Motoröl ab. Ja genau, so eine Art Film ist das. Regisseurin Julia Ducournau mag David Cronenberg, Body-Horror und Brutalität. Ein selbst zugefügter Nasenbeinbruch ist nur einer von vielen „Aua, ich kann nicht hinschauen“-Momenten des Films. „Titane“ ist unsinnig, absurd, unterhaltsam, verrückt und poetisch. Der What-the-Fuck-Faktor ist ungefähr so groß wie seinerzeit bei Darren Aronofskys „Mother!“. Das könnte je nach Geschmack zwischen null und fünf Sterne bekommen. Einigen wir uns also auf die goldene Mitte. Eins ist das provokante Gender-Verwirrspiel aber mit Sicherheit nicht: langweilig.

Von der Kritik fast einhellig als Meisterwerk und sogar als „Neuerfindung des Kinos“ gefeiert, gewann der Film dieses Jahr die Goldene Palme in Cannes.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Titane“
Frankreich / Belgien 2021
108 min
Regie Julia Ducournau
Kinostart 07. Oktober 2021

alle Bilder © Koch Films

JAMES BOND – KEINE ZEIT ZU STERBEN

JAMES BOND – KEINE ZEIT ZU STERBEN

Sag zum Abschied leise Servus. Daniel Craig hat die Schnauze voll, dies ist unwiderruflich sein letzter Bond. Mit etwas Glück wird aus dem Abschiedsschmerz im Laufe der Zeit Vermissen und dann eine schöne Erinnerung. Durch die zahlreichen Verschiebungen hatten die Bond-Fans knapp anderthalb Jahre Zeit, innerlich Abschied zu nehmen. Ursprünglich sollte es bereits im April 2020 geschüttelte Martinis geben. Wenigstens für Daniel Craig eine Erlösung, denn der wollte sich nach seinem letzten Auftritt in „Spectre“ „lieber die Pulsadern aufschneiden, als noch einmal als Bond vor der Kamera zu stehen“. Erst schmale 50 Millionen Pfund Gage konnten ihn überzeugen, ein allerletztes Mal die Walther PPK zu zücken.

Hat sich das lange Warten gelohnt? Großes JA und kleines nein. Es ist natürlich ein Erlebnis, den Film im Kino zu sehen. Die ersten zwei Drittel sind auch wirklich toll. Es gibt zahlreiche charmante Hinweise auf die letzten 24 Filme, der Humor stimmt, Bilder und Musik sind groß. Alles noch besser als erwartet. Nur das letzte Drittel ist, wie schon bei „Spectre“, der Schwachpunkt des Films und macht ihn gefühlte 45 Minuten zu lang.

Zum Inhalt nur so viel: James Bond kommt einem geheimnisvollen Bösewicht auf die Spur, der im Besitz einer brandgefährlichen neuen Technologie ist. Die Welt muss ein weiteres Mal gerettet werden. 

Fast drei Stunden Zeit nimmt sich Regisseur Cary Joji Fukunaga, die Geschichte von Bond zu Ende zu erzählen. Daniel Craig, der die Rolle des Superspions anfangs mit düsterer Brutalität gespielt hat, nähert sich auf seine alten Tage erfrischenderweise der gehobenen Augenbrauen-Ironie von Roger Moore an. Im 25. Kapitel der Filmreihe hat neben einem wenig überzeugenden Rami Malek als Ober-Schurke auch der in „Spectre“ sträflich unterforderte Christoph „Blofeld“ Waltz einen Kurzauftritt. Die Locations sind wie immer atemberaubend, die Stunts irrwitzig, die Bond-Frauen schön (dass sie nicht mehr Bond-Girls heißen, ist Mit-Drehbuchautorin Phoebe Waller-Bridge zu verdanken) und die Sprüche gewohnt lässig. In einer Top 5 der Craig-Bonds würde „Skyfall“ immer noch Platz 1 belegen. Silber für „Casino Royale“ und „No Time to Die“ direkt dahinter. Insgesamt ein fulminanter und würdiger Abschied aus dem Geheimdienst ihrer Majestät.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „James Bond – No Time To Die“
GB / USA 2020
163 min
Regie Cary Joji Fukunaga
Kinostart 30. September 2021

alle Bilder © Universal Pictures International

TED BUNDY: NO MAN OF GOD

TED BUNDY: NO MAN OF GOD

Als sie das Drehbuch zugeschickt bekommt, fragt sich Regisseurin Amber Sealey zu Recht: „Warum wollen die noch einen Ted-Bundy-Film machen?!“, gibt es doch mittlerweile unzählige Spiel- und Dokumentarfilme, die sich mit dem Leben des Serienkillers auseinandersetzen. Bundy vergewaltigte und tötete laut eigener Aussage mehr als 30 Frauen und Mädchen. Bill Hagmaier, einer der ersten Profiler, die dazu ausgebildet wurden, psychologische Täterprofile von Serienmördern zu erstellen, sollte im Auftrag des FBI den zum Tode Verurteilten zum Reden bringen. Das Interview zog sich über fünf Jahre, die Tonbandaufzeichnungen lieferten später die Vorlage für den Bestseller „Ted Bundy: Conversations with a Killer“.

„Ted Bundy: No Man of God“ ist ein Kammerspiel: Die meisten Szenen finden im Verhörraum statt. Bundy strahlt eine subtile Bösartigkeit aus, der sich Hagmaier kaum entziehen kann. Ein wenig erinnert das Katz- und Mausspiel an Hannibal Lecter und Clarice Starling. Elijah Wood spielt Hagmaier mit einer unaufdringlichen Energie, sanft und großäugig. Luke Kirby, der dem echten Bundy frappierend ähnlich sieht, verkörpert die Manierismen und Sprache des Mörders hervorragend. Obwohl sich einige der Interviewszenen unnötig in die Länge ziehen, bleibt die Spannung dank der schauspielerischen Leistungen durchweg erhalten. Regisseurin Amber Sealey versteht es, ihre weibliche Sicht unaufdringlich in den Film einzuweben. Manchmal verharrt die Kamera wie nebenbei kurz auf einer Frau am Rande einer Einstellung – eine Statistin auf dem Bürgersteig, in einem Auto, in einem Flur – als leise Erinnerung daran, dass in Filmen über männliche Serienmörder die Opfer oft vergessen werden.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „No Man of God“
USA 2021
100 min
Regie Amber Sealey
Kinostart 23. September 2021

alle Bilder © Central Film

SCHACHNOVELLE

SCHACHNOVELLE

Die gymnasiale Oberstufe kann sich freuen: Wenn in Zukunft Stefan Zweigs Weltbestseller „Schachnovelle“ durchgenommen wird und der Lehrer den 4:3 Röhrenfernseher auf dem quietschenden Rollwagen ins Klassenzimmer fährt, dann wird (hoffentlich) nicht mehr die zähe 1960er-Verfilmung mit Curd Jürgens und Mario Adorf gezeigt, sondern diese fabelhafte Neuverfilmung von Philipp Stölzl.

Die Macher haben sich entschieden, aus der 1942 von Zweig im Exil geschriebenen Geschichte lieber ein Stück pralles Kino als langweiliges Arthouse zu machen. Die Bilder von Kameramann Thomas W. Kiennast sind groß und cineastisch, der Schnitt von Sven Budelmann virtuos und Ingo Ludwig Frenzels Soundtrack kann locker mit jeder Hollywoodproduktion mithalten. Und erst die Schauspieler: Oliver Masucci trägt den Film, spielt die vielschichtige Figur des Dr. Bartok präzise, wechselt mühelos zwischen ironisch-süffisantem Wiener Schmäh und bis zum Irrsinn gequältem Opfer. Sein Kontrahent Albrecht Schuch zeigt in einer Doppelrolle erneut, dass er zu den besten Schauspielern der jüngeren Generation gehört.

Stölzl und Drehbuchautor Eldar Grigorian interessieren sich nicht für eine artige Buchverfilmung, sie vermischen und ordnen die Geschichte neu. Das monatelange Verhör Bartoks im Hotel Metropol durch den Gestapo-Leiter Böhm, in dem der Anwalt geheime Nummernkonten preisgeben soll, ist labyrinthisch mit der Schiffsreise Bartoks von Europa nach New York verwoben. Als Zuschauer kann man bald nicht mehr zwischen Realität, Einbildung, Wahrheit und Wahnsinn unterscheiden. Ein surrealer Psychothriller, ein großer Wurf.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
111 min
Regie Philipp Stölzl
Kinostart 23. September 2021

alle Bilder © STUDIOCANAL

TOUBAB

TOUBAB

Das ist mal echt Pech: Babtou ist gerade aus dem Knast entlassen worden, seine Kumpels veranstalten eine spontane Willkommensparty und Zack – ein dummer Spruch, Schlägerei, Polizei. Die Konsequenzen sind dramatisch: Babtou soll in den Senegal abgeschoben werden, obwohl er in Deutschland geboren wurde und in Frankfurt aufgewachsen ist. Seine einzige Chance: die Heirat mit einer Deutschen. Da sich auf die schnelle keine willige Kandidatin finden lässt, springt Freund Dennis ein. Die neue „schwule“ Liebe sorgt im Hochhaus Ghetto für Ärger und Verwirrung.

Klingt nach alberner Komödie, ist aber ein überraschend guter Film. Natürlich lassen sich ein paar Klischees nicht vermeiden – so sind die beiden deutschen Beamten, die dem jungen Glück eine Scheinehe nachweisen wollen, ein bisschen sehr dick aufgetragen. Und auch auf die penetranten „Ja Mann, Digger, Alter“-Dialoge könnte man gut verzichten. Aber die Geschichte hat Herz, viele gute Momente und vor allem eine tolle Besetzung. Farba Dieng und Julius Nitschkoff spielen die besten Freunde erfrischend unverkrampft und mit dem richtigen Timing für Lässigkeit und Tiefgründigkeit. Für ihre schauspielerische Leistung wurden die beiden mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Regisseur Florian Dietrich wollte einen Film machen, „der nicht elitär ist und trotzdem eine klare politische Botschaft hat: ein bunter, starker, aufrechter Mittelfinger sozusagen.“ Das ist geglückt.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Senegal 2021
96 min
Regie Florian Dietrich
Kinostart 23. September 2021

alle Bilder © Camino

EIN NASSER HUND

EIN NASSER HUND

Der 16-jährige Iraner Soheil zieht mit seinen Eltern nach Berlin-Wedding. Schnell freundet er sich beim Kicken mit ein paar Migrantenjungs an, verliebt sich in das türkische Mädchen Selma. Was Soheil seinen neuen Freunden verschweigt: Er ist kein Muslim, sondern Jude. Als er sich gezwungenermaßen outet, ist der Beef (#Jugendsprache) vorprogrammiert. Krass antisemitisch! Ja, Mann!

Der Wedding ist nicht nur im Kommen (seit über 50 Jahren), sondern auch Heimat für Araber, Kurden, Türken, Palästinenser – alles eine große Familie. Doch wehe, ein Jude verirrt sich hierhin, dann ist es mit der Toleranz vorbei. „Für die Deutschen bin ich ein Kanake, für die Türken ein Jude und für die Israelis ein Terrorist“, stellt Soheil resigniert fest. Wie soll es da jemals Weltfrieden geben?

Viel zu viel reißt der Film in zu kurzer Zeit an: Die Hauptfigur Soheil verändert sich im Sauseschritt vom guten Jungen zum gefeierten Sprayer, dann zum bösen Dealer, Messerstecher, unfreiwilligen Vater, Bandenopfer, Fachmann für Nahostkonflikte und schließlich zum israelischen Soldaten. Jeder Erinnerungsfetzen aus der Buchvorlage von Arye Sharuz Shalicar wird unmotiviert zu einer Filmszene verwurstet, egal, ob das einen größeren Zusammenhang ergibt oder nicht. Möglich, dass der Film erst am Schneidetisch zerhackstückt wurde, aber flüssig erzählt geht anders.

Damir Lukačević verfolgt das hehre Ziel, einen politischen Film über Hass und Gewalt, Toleranz und das schwierige Zusammenleben verschiedener Kulturen zu machen. Das ist nur teilweise geglückt. Die jungen (Laien)-Darsteller machen ihre Sache ordentlich, doch einige Szenen, besonders die mit Kida Khodr Ramadan (unvermeidlich), bewegen sich auf gehobenem Schüler-Theater-Niveau.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
102 min
Regie Damir Lukačević
Kinostart 09. September 2021

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

SHANG-CHI AND THE LEGEND OF THE 10 RINGS

SHANG-CHI AND THE LEGEND OF THE 10 RINGS

Dass es Marvel mit dem asiatischen Markt ernst meint, beweist schon die Anfangsszene: Da wird gefühlt 20 Minuten lang ausschließlich Mandarin mit Untertiteln gesprochen. Eine kleine Sensation für einen US-Blockbuster.

„Shang-Chi“ erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der sich dem Einfluss seines Vaters entziehen möchte, einem der mächtigsten Verbrecher der Welt. Es geht um Familie, Trauer und natürlich wie immer bei Marvel um Heldenbildung. So wie zuletzt „Black Panther“ die schwarze, integriert nun „Shang-Chi“ die asiatische Community ins Superhelden-Universum.

Der neue Marvel-Film ist Teil der PHASE IV (Nichtkenner lesen jetzt sowieso nicht weiter) und bläst kräftig frischen Wind ins MCU. „Shang-Chi and the Legend of the 10 Rings“ besticht durch eine wilde Mischung aus Martial-Arts und Fantasy. Die furiosen Kampfszenen (vor allem in einem Bus und später auf einem wackligen Hochhausgerüst) sind perfekt choreografiert und bereiten großen Spaß. „Crouching Tiger, Hidden Dragon“ auf Speed. Wie üblich bei Marvel, ist der dritte Akt mit seiner kopfschmerzerzeugenden CGI-Schlacht der uninteressanteste Teil des Films. Dafür gibt es ein unerwartetes Wiedersehen mit Fuchur, dem Glücksdrachen aus der unendlichen Geschichte … Oder zumindest einem engen Verwandten.

Obwohl die 133 Minuten Laufzeit ein paar Längen haben, ist „Shang-Chi“ visuell aufregendes, äußerst unterhaltsames Überwältigungskino. Und das Sitzenbleiben bis zum Ende des Abspanns lohnt sich: die beiden After-Credit-Szenen machen schon mal Appetit auf die nächsten Marvel-Abenteuer.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Shang-Chi and the Legend of the 10 Rings“
USA 2021
133 min
Regie Destin Daniel Cretton
Kinostart 02. September 2021

alle Bilder © Marvel Studios

BEFLÜGELT – EIN VOGEL NAMENS PENGUIN BLOOM

BEFLÜGELT – EIN VOGEL NAMENS PENGUIN BLOOM

Sam Bloom (Naomi Watts) führt mit ihrem Mann Cameron (Andrew Lincoln) und ihren drei Söhnen ein beneidenswert glückliches Leben in Australien. Herrliches Haus direkt am Meer – perfekt, denn Sam ist leidenschaftliche Surferin. Alles könnte so schön sein, bis eines Tages ein Unfall das Leben der Familie erschüttert. Sam bricht sich das Rückgrat und ist danach von der Brust abwärts gelähmt. Aus ihrer Depression und Verbitterung können ihr weder Mann noch Kinder heraushelfen. Erst ein adoptierter Flötenvogel (heißt so, ist aber nur eine Krähe, die sich für was Besseres hält) verleiht der Gelähmten wieder Zuversicht und holt sie ins Leben zurück.

Okay, das klingt wirklich furchtbar: Ein Vogel, der „Flügel“ verleiht. Aber „Penguin Bloom“, wie der Film viel weniger peinlich im Original heißt, ist ein überraschend unkitschiges Drama mit herausragender Besetzung. Andrew Lincoln hat sich sichtlich von der jahrelangen Zombiejagd erholt, die drei Kinder machen ihre Sache ausgezeichnet und vor allem Naomi Watts verleiht der Geschichte mit ihrem leisen, zurückhaltenden Spiel die nötige Erdung. Mit anderer Besetzung hätte das auch gründlich schiefgehen können. Jeder Sonntagabend auf dem ZDF ist dafür Beweis.

Eine gelähmte Mutter, die sich zurück kämpft – das wäre Stoff genug für einen abendfüllenden Film gewesen. Die inspirierende Krähe hätte es da gar nicht gebraucht. Doch Sam Blooms Geschichte ist wahr. Dass ihr bei ihrem Weg aus der Depression ein Vogel zur Seite stand – das hat sich kein Drehbuchautor, sondern das Leben ausgedacht.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Penguin Bloom“
USA / Australien 2020
95 min
Regie Glendyn Ivin
Kinostart 19. August 2021

alle Bilder © Leonine