O BEAUTIFUL NIGHT

Wong Kar-Wai meets Himmel über Berlin: Das Spielfilmdebüt des Illustrators Xaver Böhm erzählt die ungewöhnliche Geschichte von Juri, einem jungen Mann, der jederzeit mit dem plötzlichen Herzstillstand rechnet. Ein klassischer Hypochonder.

Eines Nachts, die Brust schmerzt mal wieder, trifft er in einer Flipperkneipe auf einen trinkfesten Russen. Der behauptet, der TOD höchstpersönlich zu sein und stellt Juri vor die Wahl: „Willst Du sofort sterben oder vorher noch ein bisschen Spaß haben?“ Das mit dem Herzinfarkt kann dann doch noch warten und so begeben sich die beiden auf eine schräge Tour durch das nächtliche Berlin.

Kompliment an Kamerafrau Jieun Yi und die Postproductionfirma LUGUNDTRUG: So schön menschenleer und kunstvoll stilisiert hat man die Stadt selten gesehen.

FAZIT

Ungewöhnlicher, humorvoller, visuell herausragender Film. Sehenswert.

Deutschland 2019
89 min
Regie Xaver Böhm
Kinostart 20. Juni 2019

SUNSET

Ungarn 1913, ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs: eine Zivilisation am Abgrund. Die junge Iris sucht eine Anstellung im Hutgeschäft Leiter, das früher einmal ihren Eltern gehörte. Der neue Besitzer weist sie jedoch zurück und auch überall sonst in der Stadt stößt sie auf Ablehnung. Iris treibt verloren durch Budapest auf der Suche nach ihrer Vergangenheit.

„Sunset“ lässt sich am ehesten wie die Inszenierung eines Traums kurz vor dem Aufwachen beschreiben. Als somnambuler Geist stellt die junge Iris Fragen, die unbeantwortet verhallen und gibt Antworten, auf die keine Reaktion erfolgt. Alles in dieser längst vergangenen Welt scheint wie in Watte gepackt.

In fein komponierten Bildern und mit einem virtuosen Gespür für die dekadente Atmosphäre vor dem Ersten Weltkrieg zeigt Regisseur Nemes die Spurensuche seiner spröden Hauptfigur. Dabei befreit er sich vom standardisierten Filmemachen, vermeidet jeden gefälligen Kostümkitsch. Kaum eine Einstellung, bei der nicht Iris‘ Gesicht oder Hinterkopf einen Großteil des Bildes einnimmt. Durch diese Subjektivität bekommt der Film etwas extrem Zwingendes.

FAZIT

„Sunset“ ist ein anspruchsvolles Kinoerlebnis.

Originaltitel „Napszállta“ 
Ungarn/Frankreich 2018
142 min
Regie László Nemes 
Kinostart 13. Juni 2019

THE DEAD DON’T DIE

In Centerville, einem verschlafenen Nest irgendwo in den USA, erheben sich eines Nachts die Toten aus ihren Gräbern. Warum das so ist, weiß niemand genau, wahrscheinlich hat es irgendwas mit Fracking am Nordpol und der deshalb verschobenen Erdachse zu tun. Egal, wie nicht anders zu erwarten, fallen die frisch erwachten Toten blutgierig über die Einwohner der Kleinstadt her.

„The Dead Don’t Die“ ist stellenweise ganz putzig in seiner typisch lakonischen Jim Jarmusch-Art, verbunden mit ein bisschen Umweltsünder- und Kapitalismuskritik. Aber Zombies als Synonym für die in stumpfen Konsumrausch verfallene Menschheit zu nutzen, das hat George A. Romero schon vor Jahrzehnten besser (und bissiger) gemacht.

Bill Murray, Adam Driver, Chloë Sevigny, Danny Glover, Tilda Swinton, Tom Waits, Selena Gomez, Steve Buscemi, Carol Kane: viele ausgezeichnete Schauspieler, die wenig bis gar nichts zu tun haben. Die verschwendeten Stars geben sich in teilweise nur sekundenlangen Auftritten die Klinke in die Hand.

Jim Jarmusch taugt nicht zum Mainstream. Der klamottige Film torkelt vor sich hin, im Laufe der Geschichte werden die Ideen zunehmend abstruser, die handelnden Personen verhalten sich immer irrationaler und unglaubwürdiger. Vielleicht hat der Regisseur die letzten Jahre im Tiefschlaf verbracht und nicht realisiert, dass es mittlerweile unzählige (bessere) Zombie-Komödien gibt.

FAZIT

Weder als intelligenter Horrorfilm noch als schräge Komödie befriedigend.

Originaltitel „The Dead Don’t Die“ 
USA 2019
105 min
Regie Jim Jarmusch
Kinostart 13. Juni 2019

ZWISCHEN DEN ZEILEN

Macht das Internet dumm? Hören die Menschen bald ganz auf, Bücher zu lesen und starren nur noch zombifiziert in ihre Smartphones?

„Zwischen den Zeilen“ ist ein fein beobachtetes, hintergründiges Porträt des Pariser Literaturbetriebs. Es geht um verletzte Eitelkeiten, Affären und Geheimnisse, alte und neue Liebschaften, in allererster Linie aber um die vermeintlichen Gefahren der Digitalisierung. Im Kontrast zur virtuellen Welt, zeigt Olivier Assayas‘ Film hauptsächlich Menschen im Gespräch. Wobei „hauptsächlich“ noch untertrieben ist, denn es wird geredet und geredet, sehr viel geredet. Und wie das bei einer Diskussion so ist, manchmal ist sie lehrreich, bestenfalls hat sie Witz, zwischendurch kann sie aber auch anstrengend und penetrant werden. „Zwischen den Zeilen“ ist mit leichter Hand inszeniert und dank französischem Flair unterhaltsam anzusehen. Trotz Dauerlaberei.

FAZIT

Mit Juliette Binoche und Guillaume Canet ausgezeichnet besetzter, kluger Film.

Originaltitel „Doubles vies“
Frankreich 2019
107 min
Regie Olivier Assayas
Kinostart 06. Juni 2019

ROCKETMAN

Die Geschichte geht ungefähr so: Regisseur Bryan Singer nervt bei den Dreharbeiten zum Queen-Film „Bohemian Rhapsody“ so sehr, dass ihn das Studio mitten in der Produktion rausschmeißt. Auftritt Dexter Fletcher. Der Ersatzmann bringt „Bohemian Rhapsody“ nicht nur ohne Zickereien zu Ende – der Film wird ein riesiger Kassenhit und beschert Hauptdarsteller Rami Malek seinen ersten Oscar. Nach diesem Erfolg darf Fletcher ein schon lange geplantes Wunschprojekt realisieren: Die Verfilmung von Elton Johns Lebensgeschichte – „Rocketman“.

Derselbe Regisseur, die gleichen Stärken.
Wie im Queen-Biopic wird auch hier ein ausgezeichnetes Ensemble von einem tollen Hauptdarsteller angeführt. Taron Egerton verkörpert Elton John mit Haut und (ausgedünntem) Haar. Der Schauspieler geht komplett in seiner Rolle auf. Besonders beeindruckend, dass Egerton nicht nur die Lippen zum Playback bewegt, sondern alle Songs selbst singt. Und dabei erstaunlich gut klingt. Stimme, Aussehen, Bewegung – alles auf den Punkt.

Derselbe Regisseur, die gleichen Schwächen.
„Rocketman“ ist in weiten Teilen Malen nach Zahlen. Schade, dass der Film nicht mehr wagt. Denn ein paar, fast surreale Szenen, wie zum Beispiel das buchstäbliche gemeinsame Abheben des Sängers mit seinem Publikum haben echte Größe. Warum nicht mehr davon? Schräger und noch mehr Mut zum Camp, dann hätte das richtig gut werden können. Die theaterhafte Inszenierung der 60er und 70er-Jahre hat schon aus „Bohemian Rhapsody“ ein zu braves, familientaugliches Mainstream-Musical gemacht.

FAZIT

Die Musik ist mitreißend, die Songs weltberühmt, die Schauspieler top und die Frisuren sehen so unecht wie Faschingsperücken aus. Also alles genau wie beim Queen Film. Wer den mochte, wird auch hier seinen Spaß haben.

Originaltitel „Rocketman“
USA 2019
121 min
Regie Dexter Fletcher
Kinostart 30. Mai 2019

ALADDIN

Das Beste an „Aladdin“ ist ein ausgesprochen liebenswerter fliegender Teppich. Und – trotz aller Unkenrufe im Vorfeld – Will Smith. Der bringt in der Nachfolge von Robin Williams die dringend benötigte Portion schrägen Humors in die Geschichte. Doch bis zu seinem ersten Auftritt als Genie quält sich der Film zäh im Stil einer TV-Soap dahin. Straßendieb Aladdin und Prinzessin Jasmine wirken mit ihren geweißten Zähnen und frisch gestärkten Bollywood-Kostümen so makellos sauber, als hätten sie sich aus einer anderen Disney Produktion, dem „High School Musical“ in die Wüste verirrt. Die Künstlichkeit der Darsteller passt zu den Pappkulissen. Der Film sieht aus, als wäre er in einem Vergnügungspark gedreht worden. 

„Aladdin“ ist harmlose, formelhaft gemachte Unterhaltungsware. Vielleicht wurde Regisseur Guy Ritchie vom Studio ausgebremst, von seinem einstigen anarchischen Touch ist jedenfalls nichts mehr zu spüren.

Immerhin funktioniert die Musik: Klassiker wie „Friend Like Me“ und „A Whole New World”, bekannt aus dem 1992er Zeichentrickfilm,  erweisen sich als unzerstörbar und entfalten auch in der neuen, zweidimensionalen Plastikwelt ihre ganze Größe.

Disney plündert weiter das Archiv und setzt bei seinen Neuversionen auf Quantität – doch die Fehlschüsse häufen sich. Nach den gelungenen „Maleficient”, „Das Dschungelbuch” und „Die Schöne und das Biest” kamen mit „Mary Poppins“, „Dumbo“ und nun „Aladdin“ allein im letzten halben Jahr drei eher durchschnittliche Filme ins Kino. Bleibt abzuwarten, ob „Der König der Löwen“ und „Mulan“ besser gelingen.

Originaltitel „Aladdin“
USA 2019
128 min
Regie Guy Ritchie
Kinostart 23. Mai 2019

JOHN WICK: KAPITEL 3

Im Berliner Zoopalast gibt es bekanntlich die beste Bestuhlung. Besonders zu empfehlen: Kino 2. Da lassen sich die Sitze elektrisch verstellen und auf Knopfdruck beinahe in Schlafposition bringen. Für den Zuschauer angenehm, denn ist der Film mal etwas zäh, ist zwischendurch wenigstens ein anständiges Nickerchen drin. Apropos: In „John Wick: Kapitel 3“ reiht sich eine Kampfszene an die nächste, das hört und hört nicht auf. Gewohnt perfekt choreografiert, besonders ein spektakuläres Messerduell hat es in sich, aber die unendlich in die Länge gezogenen Metzeleien ermüden auf Dauer. Der Film wirkt wie das zu lang geratene Showreel einer Stuntagentur (nicht überraschend, Regisseur Chad Stahelski war früher selbst Stuntman).

Die Story knüpft nahtlos ans Ende des zweiten Teils an: Auf John Wick ist ein Kopfgeld in Höhe von 14 Millionen Dollar ausgesetzt. Das bietet diversen Kriminellen Anlass (New York scheint unendlich viele davon zu haben), Jagd auf den Titelhelden zu machen. Viel mehr passiert in 128 Minuten nicht. Dagegen war der auch nicht gerade komplexe Racheplot für den getöteten Hund im ersten Teil noch um einiges origineller.

Keanu Reeves macht, was er am besten kann: schwarze Anzüge tragen und grimmig aus der Wäsche gucken. Soll sich aber keiner beschweren, denn der dritte (und sicher nicht letzte) Teil der John Wick Saga liefert genau das, was Fans erwarten – jede Menge stylische, visuell kreativ umgesetzte Kampfszenen.

FAZIT

Trotz Augenfutter – bei einer Laufzeit von über zwei Stunden gibt es zwischendurch spürbare Längen.

Originaltitel „John Wick: Chapter 3 – Parabellum“
USA 2019
128 min
Regie Chad Stahelski
Kinostart 23. Mai 2019

EDIE – FÜR TRÄUME IST ES NIE ZU SPÄT

Am Ende eines Lebens: Der alte Griesgram von Ehemann tot, das Haus zu leer, die Tochter kühl und ohne Verständnis. Der nächste unausweichliche Schritt: das Altersheim, wo Senioren wie unmündige Kinder behandelt werden. Die 83-Jährige Edie hat darauf keine Lust. Nachdem sie sich ein Leben lang den Wünschen anderer untergeordnet hat, bricht sie aus, um sich einen Traum zu erfüllen: die Besteigung von Mount Suilven in den schottischen Highlands.

Die rüstige Greisin macht sich auf die Reise und bleibt nicht lange alleine. Gleich am Bahnhof wird sie von Jonny umgerannt, der rein zufälligerweise Bergführer ist und einen Laden für Wanderbedarf führt. Dort stattet sich Edie erst mal neu aus, denn natürlich hat sie – hahaha, immer diese alten Leute – von „modernem“ Kram keine Ahnung. Ihr Campingkocher wird noch mit Kohlemotor angetrieben, die Teekanne stammt aus dem 17. Jahrhundert und – iiiih!! ein Handy – was ist das denn???
Ein paar Klischees weniger hätten es auch getan.

So lahm teilweise die Drehbuchideen, so beherzt spielt Sheila Hancock dagegen an. Der hoffnungslose Blick ins Leere, während der gelähmte Ehemann mit dem Treppenlift nach unten fährt. Das wütende Abwischen des Lippenstifts, weil ihr das eigene Alter bewusst wird und sie sich lächerlich fühlt. Die Tragikomödie hat viele solch schöner Momente. Regisseur Simon Hunter hat das gut inszeniert und vertraut zu Recht auf seine großartige Hauptdarstellerin.

„Edie – Für Träume ist es nie zu spät“ – das sich einstellende Rosamunde Pilcher-Feeling liegt nicht nur am schnulzigen deutschen Verleihtitel, sondern vor allem an der Musik, die unnötig banalisiert. Der Holzhammer-Score mit seinen 5.000 heulenden Geigen und klimpernden Akustikgitarren schreibt penetrant vor, was man zu fühlen hat. Weniger wäre mehr. 
Sei’s drum. Mit etwas Altersmilde betrachtet, ist das nette Unterhaltung mit schönen Naturaufnahmen und einer würdevollen Hauptdarstellerin.

FAZIT

Selbstverwirklichung im Alter.
Den Silberrücken im Kino hat’s gefallen – es wurde viel und zustimmend gekichert.

Originaltitel „Edie“
Großbritannien 2017
102 min
Regie Simon Hunter 
Kinostart 23. Mai 2019

BLOWN AWAY

Jeden Morgen duschen, Haare frisieren, zur Arbeit gehen, Geld verdienen: Bringt es das auf Dauer? Nö, finden die Studienfreunde Hannes Koch und Ben Schaschek und machen lieber den ultimativen Aussteigertraum wahr: eine Reise mit Segelboot und Bus rund um die Welt, viereinhalb Jahre Auszeit. Auf ihren Stationen treffen die beiden dabei immer wieder auf Gleichgesinnte, mit denen sie spontan Musik aufnehmen. Das Besondere: die verschiedenen Tracks eines Songs entstehen jeweils an unterschiedlichen Orten auf der Welt: die Gitarre beispielsweise in Südafrika, Monate später der Gesang in Brasilien und die Streicher in Salvador. Ein ungewöhnliches, interkulturelles Musikexperiment.

Besser hätte sich das keine Agentur ausdenken können: Hannes und Ben sind perfekt gecastet – blaue Augen, blonde Haare, Vollbärte. Zwei liebenswerte Hipster-Hippies auf großer Fahrt. Obwohl beide vom Segeln keine Ahnung haben, fahren sie mal eben so von Australien über Indonesien nach Südafrika und dann, schwupps, überqueren sie auch noch den Atlantik bis Südamerika. Alles easy, man muss es nur wollen. Als Marketingvehikel, um die Musik der beiden zu promoten, ist der Film perfekt gelungen. Nichts scheint unmöglich, man würde am liebsten direkt mit an Bord gehen, oder ersatzweise schon mal den chilligen Soundtrack kaufen.

FAZIT

Den Weltreisenden ist zusammen mit Regisseur Micha Schulze ein unaufgeregter, sehr unterhaltsamer Dokumentarfilm über Freundschaft, Musik und Abenteuer gelungen. Einziger Minuspunkt: Die dauer gut gelaunte Offstimme (Hannes) lässt den Film zeitweise wie eine ProSieben-Galileo-Reportage wirken.

Deutschland 2019
119 min
Regie Micha Schulze
Kinostart 23. Mai 2019

DAS FAMILIENFOTO

Gabrielle verdient ihr Geld, indem sie sich von Touristen als lebende Statue fotografieren lässt. So driftet sie nonchalant durchs Leben. Ihr pubertierender Sohn findet seine freigeistige Mutter die meiste Zeit nur peinlich. Gabrielles Schwester Elsa verbittert an ihrem unerfüllten Kinderwunsch, folglich ist ihre Laune dauerhaft schlecht bis sehr schlecht. Und Bruder Mao verdient zwar haufenweise Geld als Spieleentwickler, kämpft aber mit Depressionen.
Die Verkorkstheit der Kinder geht, wie so oft, auf das Konto der Eltern: Die Mutter der drei Geschwister, eine Psychotherapeutin, mischt sich immer noch übergriffig in das Leben ihrer erwachsenen Kinder ein. Ihr geschiedener Ex-Mann war zu sehr mit seinen zahlreichen Geliebten beschäftigt, um sich um die Erziehung zu kümmern. Nun trifft die dysfunktionale Familie bei der Beerdigung des Großvaters wieder aufeinander und steht plötzlich vor einem gemeinsamen Problem: wohin mit der dementen Großmutter?

Cécilia Rouauds Film erzählt von Menschen, die nicht zueinander finden, die sich lieben, aber nicht aus ihren gelernten Verhaltensmustern ausbrechen können. Um dann doch, durch eine kleine Veränderung, alles umzukrempeln.
„Das Familienfoto“ ist ein sehr französischer Film. Liebe, Schmerz, Trauer und Familienwahn – federleicht und ohne Peinlichkeit inszeniert. 

FAZIT

Seine Freunde kann man sich aussuchen, die Familie nicht. Mit Vanessa Paradis, Camille Cottin und 
Pierre Deladonchamps hervorragend besetzt, und trotz Drama komisch und unterhaltsam.

Originaltitel „Photo De Famille“
Frankreich 2019
98 min
Regie Cécilia Rouaud 
Kinostart 16. Mai 2019

THE SILENCE

Horrorfilmschule, erstes Semester: steigere langsam die Spannung, zeige dein Monster nicht zu früh. Bei „The Silence“ dauert es ganze drei Minuten, bis die „Avispas“ ihren ersten Auftritt haben. Die hässlichen Vögel sind eine Mischung aus Gummifledermaus, Alien und gotischem Wasserspeier. Kaum, dass sie einer unterirdischen Höhle nach mehreren Millionen Jahren Gefangenschaft entfleucht sind, fallen sie in Hitchcock’scher Manier blutgierig über die Menschheit her. Die Viecher sind blind, verfügen aber über ein ausgezeichnetes Gehör. Deshalb heißt es ab sofort: Ruhe! Wie passend, dass Hauptfigur Ally (Kiernan Shipka) gehörlos ist. Aus dieser Behinderung macht der Film zwar nichts weiter, aber dadurch beherrscht Allys Familie perfekt die Gebärdensprache. Das erleichtert die geräuschlose Kommunikation erheblich. (Wäre stumm nicht noch besser gewesen?)

Wem die Geschichte vom geräuschempfindlichen Monster irgendwie bekannt vorkommt – letztes Jahr lief „A Quiet Place“ in den Kinos. Allerdings war der um Klassen besser und hat seine Monster klugerweise nicht gezeigt, was ihre Bedrohlichkeit erheblich gesteigert hat.

 „The Silence“ versagt auf vielen Ebenen. John R. Leonettis Film ist größtenteils unspannend, unbeholfen inszeniert und stümperhaft zusammengehackt. Manches wirkt irritierend zusammenhanglos, als stammten Szenen  aus einem anderen Film  – sie beginnen ohne Einführung und enden ohne Auflösung. Wichtige Teile, die eigentlich dem Verständnis dienten, scheinen ersatzlos der Schere zum Opfer gefallen zu sein. Möglich, dass es irgendwann mal eine längere, bessere, oder sogar noch viel schlechtere Version des Films gab.

FAZIT

Das Leben ist teuer und sonst verlässlich gute Schauspieler machen zwischendurch auch mal Schrottfilme fürs Geld. „The Silence“ – selten sah man Stanley Tucci schlechter.

USA 2019
90 min
Regie John R. Leonetti
Kinostart 16. Mai 2019

AVENGERS: ENDGAME

Letztes Jahr wurde die Hälfte allen Lebens mit einem Fingerschnippen ausgelöscht und damit auch die Familie der Avengers stark dezimiert. Jetzt kommt die heiß ersehnte Fortsetzung von „Avengers: Infinity War“ ins Kino. Nach mittlerweile zweiundzwanzig Filmen werden im großen Finale alle losen Enden miteinander verknüpft und die noch offenen Fragen beantwortet. Das Marvel Cinematic Universe hat sich im Laufe der Zeit zu einem so komplexen Geflecht ausgedehnt, dass nur sehr treue Zuschauer verstehen, warum wer mit wem gegen wen kämpft. Für diese Fans ist das Epos der Regisseurs-Brüder Anthony und Joe Russo die Erfüllung eines Nerdtraums und der Kinohöhepunkt des Jahres.

Natürlich gibt’s auch diesmal die unvermeidliche CGI-Gigantoschlacht am Ende und auf dem Weg dahin viel Pathos und heroisches in die Ferne Gestarre. Doch trotz seiner drei Stunden Lauflänge ist „Avengers: Endgame“ ein erstaunlich kurzweiliger Film, der fast durchweg die richtige Balance aus Humor, Action und Sentimentalität findet.

FAZIT

Ein befriedigendes (vorläufiges) Ende der Superheldensaga, die 2008 mit „Iron Man“ begann.

USA 2019
182 min
Regie Anthony und Joe Russo
Kinostart 24. April 2019

Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit

Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit  ist ein Film, zu dem man eine Gebrauchsanweisung lesen sollte. Da bei framerate.one der Servicegedanke an erster Stelle steht, bitteschön: Beinahe alle Dialoge werden von den zentral ins Bild gesetzten Schauspielern direkt in die Kamera gesprochen. Warum ist das so? Kameramann Benoît Delhomme wollte damit die Einstellungen wie alte Porträtgemälde aussehen lassen. Gleichzeitig sollte der Bühneneffekt des „Durchbrechens der vierten Wand“, bei dem sich der Schauspieler direkt ans Publikum wendet, derart überstrapaziert werden, dass man sich mit der Zeit daran gewöhnen und es als natürlich empfinden soll. Das gelingt jedoch nicht wirklich.
Normalsterbliche könnten sich auch fragen, warum der Film so verwackelt und hektisch hin und her gerissen aussieht. Die naheliegende Erklärung: Die Kamera sollte sich wie ein Pinsel beim Malen eines impressionistischen Bildes bewegen. Doch auch hier finden Theorie und Praxis nicht zusammen – die Dauerhandkamera nervt gewaltig. Unnötig , weil die Bilder eigentlich schön sein könnten, denn es wurde vor allem an Originalmotiven in Südfrankreich gedreht.

Regisseur Julian Schnabel ist selbst Maler und daher nicht besonders an einem klassisch erzählten Biopic interessiert. Sein Künstlerportrait ist mehr eine Sammlung von improvisierten Szenen und philosophischen Abhandlungen über das „Malersein“ an sich. Wie Vincent van Gogh seinerzeit, ist das Filmteam einfach losgezogen, um die Stimmungen und die berauschenden Farben der lichtdurchfluteten Landschaften einzufangen. Willem Dafoe gibt einen glaubwürdigen Vincent ab, obwohl er mit seinen 63 Jahren deutlich älter als der mit 37 verstorbene Künstler ist. Dank Kostüm und Maske sieht er dem Maler aber nicht nur verblüffend ähnlich, er beherrscht den ganzen Film mit seinem überragenden Spiel.
Zu Recht gab’s dafür eine Oscarnominierung.

FAZIT

Van Gogh vermittelt die Zerrissenheit und den Wahn des Künstlers eindrucksvoll und nachfühlbar. Aber wie das mit Wahnsinn so ist – man muss ihn auch ertragen können. Arthouse Kino, nicht unanstrengend.

USA/Frankreich 2018
111 min
Regie Julian Schnabel 
Kinostart 18. April 2019

Friedhof der Kuscheltiere

Dreißig Jahre nach der ersten Verfilmung kommt jetzt eine ebenfalls misslungene Version der unheimlichsten Stephen King-Geschichte ins Kino.

An den Schauspielern liegt es nicht, denn der Thriller ist mit Jason Clarke, John Lithgow, Amy Seimetz und der Newcomerin Jeté Laurence gut besetzt. Aber das beherrschende Thema des Romans, die Urangst, von toten Familienmitgliedern nachts heimgesucht zu werden – schon 1902 das Thema des Gruselklassikers „Die Affenpfote“ – teilt sich kaum mit.

Die Horror-Geschichte vom Vater, der sein tödlich verunglücktes Kind mittels eines alten Indianer-Hokuspokus-Friedhofs wieder ins Reich der Lebenden zurückholt, schleppt sich in dieser Neuverfilmung ohne große Überraschungen dahin. Jeden Schreckensmoment hat man schon allzu oft gesehen – inklusive der kalten Hand, die nach dem Fuß greift, der knarrenden Kellertür und dem stets flackernden Licht. Wenn dann die Leichen in der unheiligen Stätte hinter dem Tierfriedhof verscharrt werden, sieht das unglücklicherweise auch noch wie in einer 60er-Jahre-Studioproduktion der „Hammer Films“ aus: Der Bodennebel kriecht und am Himmel gewittert es. Gruseleffekte aus der Mottenkiste.

Dem Regieteam Kevin Kölsch und Dennis Widmyer gelingt es nur in wenigen Momenten, die bedrohliche Atmosphäre des Romans auf die Leinwand zu übertragen. Der neue Friedhof der Kuscheltiere  ist zwar schön düster, bleibt aber zu vorhersehbar und damit größtenteils langweilig.

FAZIT

Vielleicht lässt sich das Buch einfach nicht fürs Kino adaptieren.  Eine weitere, der unendlich vielen misslungenen Stephen King-Romanverfilmungen.

USA 2019
100 min
Regie Kevin Kölsch und Dennis Widmyer
Kinostart 04. April 2019

Willkommen in Marwen

Der Spielzeugkonzern Matell bringt nächstes Jahr „Barbie – der Film“ in die Kinos – in der Titelrolle beachtlicherweise Margot Robbie. Plastikpuppen mit Stecknadelbeinen, gespielt von Oscarpreisträgern? Die gibt’s schon jetzt im neuen Steve Carell-Film zu sehen. Willkommen in Marwen ist allerdings keine quietschbunte „Barbie meets Ken“-Lovestory, sondern die wahre Geschichte eines traumatisierten Mannes.
Mark Hogancamp wird von einer Horde Rechtsradikaler fast totgeprügelt. Aus dem Koma erwacht, fehlt ihm jegliche Erinnerung an sein früheres Leben. Zur Therapie erschafft er sich seine eigene Wirklichkeit im Garten: Marwen, ein belgisches Miniaturstädtchen im Maßstab 1:6 zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Dort lebt, neben bösen Nazis und einer Truppe schwer bewaffneter Frauen, auch sein Alter Ego – der coole, amerikanische Captain Hogie. Hogancamp fotografiert die barbiehaften Puppen, die das Aussehen seiner Freunde und Feinde haben, in selbst erdachten Szenen, aus denen er stets als Held hervorgeht.

Robert Zemeckis ist vor allem für den Einsatz bahnbrechender Spezialeffekte berühmt. „Zurück in die Zukunft“, „Der Tod steht ihr gut“, „Contact“ oder „Forrest Gump“ – immer wieder hat der Regisseur mit innovativen Techniken das Filmemachen revolutioniert. Bei Willkommen in Marwen werden nun erstmals computeranimierte Puppen mit den real gedrehten Augen und Mündern der Schauspieler verschmolzen. Ein fast surrealer Effekt, faszinierend, aber auch etwas spooky.

FAZIT

Visuell außergewöhnlich, dramaturgisch eher schwach. Die Charaktere bleiben klischeehaft und sind zu flach gezeichnet. Es gibt nur zwei Kategorien Mensch: entweder gütig oder grundböse. Willkommen in Marwen ist trotz seiner originellen Geschichte ein durchschnittliches Hollywoodmelodram, das hinter den Erwartungen zurückbleibt.

USA, 2019
116 min
Regie Robert Zemeckis
Kinostart 28. März 2019

Wir

1987 – ein Vergnügungspark am Strand von Santa Cruz. Die kleine Adelaide läuft ihren Eltern weg und findet sich ganz alleine in einem Spiegelkabinett wieder. Während sie durch das dunkle Labyrinth irrt, entdeckt sie zu ihrem Entsetzen, dass das, was zunächst ihr Spiegelbild zu sein scheint, in Wahrheit ihre Doppelgängerin ist. 

Dreissig Jahre später: Adelaide macht mit ihrem Mann und den beiden Kindern Strandurlaub am Ort ihres Kindheitstraumas. In der Familie herrscht leicht angespannte Atmosphäre, denn Adelaide beunruhigen eine Anhäufung seltsamer Zufälle. Die Stimmung kippt unvermittelt in blanken Horror, als nachts plötzlich vier unheimliche Gestalten in der Einfahrt des Ferienhauses stehen. Die Fremden dringen nicht nur brutal in die heile Welt der Wilsons ein, sondern sehen ihnen auch noch  verstörend ähnlich. Die doppelten Lottchen sind mit Scheren bewaffnet und ihnen steht der Sinn nach Mord.

Wir – oder „US“, wie er schön doppeldeutig im Original heißt, ist ein Film zum Zeitgeist: eine Abrechnung mit dem aktuellen, nicht nur US-amerikanischen Phänomen der geschürten Angst vor den Anderen. Weitgehend funktioniert der intelligente Horror. Besonders bei den nervenaufreibenden Szenen, die sich im Ferienhaus abspielen, erinnert der Thriller an „Funny Games“. Wie Michael Haneke, versteht es auch Jordan Peele meisterhaft, permanente Todesangst und Humor in Balance zu halten.

Aber der Regisseur meint es zu gut und hat noch mehr mitzuteilen. Wir  verlässt sich nicht auf seinen Horror, sondern belastet mit immer ausufernderen Erklärungen: Woher kommen die Doppelgänger? Was ist ihre Vorgeschichte? Warum tun sie, was sie tun? Doch durch zu viel Information verliert der Schrecken seine Kraft.

FAZIT

„Wir selbst sind unsere schlimmsten Feinde“ – dieser Satz entwickelt hier eine ganz neue Dimension.
Der Nachfolgefilm zu Peeles brillanten „Get Out“ ist ein intelligenter, größtenteils unheimlicher und überraschend vielschichtiger Thriller, der aber vor allem gegen Ende unter akuter Erklärwut leidet.

USA, 2019
117 min
Regie Jordan Peele 
Kinostart 21. März 2019

Iron Sky: The Coming Race

Nazis auf dem Mond! Hitler lebt!
Filmkenner erinnern sich, das gab’s vor Jahren schon einmal im Kino. Versprühte Iron Sky 2012 noch (mit viel gutem Willen betrachtet) den Charme des Absurden, so war es eigentlich kaum mehr als ein mittelmäßiges Trash-Filmchen – bemüht schräg und nur pseudo-provokant.

Eine eherne Filmregel lautet: Sequels müssen noch einen draufsetzen – simple Nazis auf dem Mond reichen also nicht mehr aus. Diese Vorgabe toppt Iron Sky: The Coming Race mühelos. Die Bedrohung kommt diesmal aus dem Erdinneren in Gestalt von Aliens und Dinosauriern. Konsequenter Höhepunkt des Humbugs: Adolf Hitler, der auf einem T-Rex namens Blondie reitet.

Hätte „Holmes & Watson“ nicht schon abgeräumt – Iron Sky: The Coming Race wäre dieses Jahr der Anwärter auf die „Goldene Himbeere“ für den schlechtesten Film gewesen. Nur eine Vermutung, aber genau das gehört wahrscheinlich auch zum „kultigen“ Kalkül der Macher. Gähn.

FAZIT

Eine Fortsetzung, die die Welt nicht braucht, inhaltlich und handwerklich fragwürdig.
Kleines, irritierendes Detail am Rande: die US-Präsidentin im Film ist, wie schon im Original vor sieben Jahren, eine Dame namens Sarah Palin. Das wirkt seltsam anachronistisch und man fragt sich, wie lange der Film wohl im Giftschrank lag, bevor er jetzt in die deutschen Kinos kommt.

Finnland/Deutschland/Belgien, 2019
93 min
Regie Timo Vuorensola 
Kinostart 21. März 2019

Lampenfieber

Da, wo es die unbequemste Bestuhlung Berlins gibt, spielt der neue Dokumentarfilm von Alice Agneskirchner: im Friedrichstadt-Palast. Die Filmemacherin wirft einen Blick hinter die Kulissen der mit 2.854 m² Spielfläche größten Theaterbühne der Welt. (Isch schwöre, stimmt wirklich!)
Die Herausforderungen bei der Produktion der Kinder- und Jugendshow „Spiel mit der Zeit“ werden artig chronologisch abgearbeitet: vom ersten Casting, über die intensive Probenzeit, bis zur bejubelten Premiere. Dazwischen gestreut gibt’s die üblichen Besuche zu Hause und ein paar Interviews.
„Rhythm is it!“ (2004) oder die Langzeitdoku „Adrians großer Traum“ (2010) hatten da deutlich mehr Tiefe und waren mutiger gemacht. Immerhin sind die sechs angehenden Kinderstars, deren persönliche Entwicklung, Frust und Freude der Film zeigt, gut ausgewählt. Von unbedarft über herzerwärmend bis altklug ist alles dabei. Heimlicher Star ist jedoch die Tanzlehrerin Christina Tarelkin – so patent, mit der möchte man abends mal ein Bier trinken gehen.

FAZIT

Interessantes Thema, konventionell gemachter Film.

Deutschland 2019
92 min
Regie Alice Agneskirchner
Kinostart 14. März 2019

Trautmann

Was fällt einem Briten spontan ein, wenn man ihn zu Deutschland befragt?
Fußball und Nazis – allerdings nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Zum Glück schreibt das Leben die schönsten Geschichten. Bert Trautmann ist in dieser Hinsicht die perfekte Mischung: ein fußballspielender Ex-Nazi.

Bert Trautmann? Nie gehört? Selbst größte Kickerfans müssen da erst mal nachdenken. Der Deutsche gerät während des Zweiten Weltkriegs in englische Gefangenschaft. Nach Kriegsende bleibt er in England und wird bei Manchester City zum erfolgreichsten Torhüter seiner Zeit. Er verliebt sich in Margaret, die Tochter seines Trainers, die beiden heiraten und werden Eltern dreier Söhne. Als er 1956 im Pokalfinale trotz gebrochenen Halswirbels weiterspielt und so seinem Team den Sieg sichert, wird er zum englischen Nationalhelden.

Ein Film wie ein Überraschungsei: Trautmann ist interessantes Historiendrama, spannende Sportlerbiografie und berührende Liebesgeschichte. Natürlich wurde für den Film das wahre Leben etwas gepimpt und unpassende Details wurden ausgespart. So hatte der echte Bernhard Trautmann schon eine gescheiterte Beziehung hinter sich und war Vater einer Tochter, bevor er Margaret kennenlernte. Und auch diese Ehe hielt nur bis Ende der 1960er Jahre. Aber egal, Film ist Illusion und es ist Regisseur Marcus H. Rosenmüller zu verdanken, dass Trautmann trotz Geschichtsglättung nicht zu einem kitschigen Feelgood-Movie geworden ist. David Kross ist als Titelheld ein Glücksfall, denn er spielt die Rolle des von inneren Dämonen gepeinigten Mannes angenehm zurückhaltend und ist obendrein ein begabter Fußballer.

FAZIT

Ohne Erwartungen gesehen, positiv überrascht. Schöner Film, trotz deutscher Synchronfassung.

Deutschland/GB 2019
120 min
Regie Marcus H. Rosenmüller
Kinostart 14. März 2019

Captain Marvel

Negative Kritik an Captain Marvel  ist Meckern auf hohem Niveau. Wie gewohnt ist das neueste Kapitel im Marvel Cinematic Universe perfekt gemachtes Popkornkino. Allerdings liegt die Latte mittlerweile so hoch, sind die Fans derart verwöhnt, dass es auffällt, wenn Story und Effekte nur guter Durchschnitt sind. Captain Marvel  bietet kaum etwas, was man nicht so oder besser schon in anderen Produktionen gesehen hätte. Nach dem bahnbrechenden „Black Panther“ und witzigen „Ant-Man and the Wasp“ im vergangenen Jahr ist dies eher eine kleine Zwischenmahlzeit bis zum großen Finale in „Avengers: Endgame“.

Captain Marvel  spielt Mitte der 1990er Jahre: Zwei verfeindete Alienvölker verlagern aus irgendeinem nicht näher erläuterten Grund ihre Auseinandersetzung auf unsere Erde. Dabei spielt Carol Danvers aka Captain Marvel eine Schlüsselrolle – sie kann als Einzige den intergalaktischen Krieg beenden.

Im ersten Viertel noch auf gute Art verwirrend, beinahe wie ein Traum inszeniert, wird Captain Marvel  im weiteren Verlauf immer konventioneller. Neu ist, dass diesmal nicht die Bösewichter generisch und damit uninteressant sind, sondern die Heldin selbst. Brie Larson ist zwar eine ausgezeichnete, Oscar-gekrönte Schauspielerin, aber aus der eindimensionalen Figur Captain Marvel kann selbst sie nicht viel heraus holen. Die Titelheldin bleibt einem auch nach zwei Kinostunden seltsam egal. Das könnte daran liegen, dass der Film die klassische Entwicklungsgeschichte der Heldin dramaturgisch umgeht. Statt den gewohnten Weg vom Nobody zum Superhero zu erzählen, verfügt Captain Marvel schon von Anfang an über ihre Superkräfte. Das wird ausführlich in den mittlerweile zum Standard gehörenden „Haut glüht von innen, Energiestrahl aus Auge/Hand/Mund zerbombt alles“-Szenen gezeigt. Wenigstens bringen der digital verjüngte Samuel L. Jackson und eine niedliche Alienkatze ein bisschen Spaß in die Sache.

FAZIT

Beim Rennen um den besten weiblichen Superhelden geht DC als klarer Sieger hervor: „Wonder Woman“ hat mehr Charme, Witz und Herz als der 21. Film aus dem Marvel-Universum.

USA 2019
124 min
Regie Anna Boden & Ryan Fleck
Kinostart 07. März 2019

Kirschblüten & Dämonen

Doris Dörrie hat einen Gespensterfilm gemacht, der so unheimlich wie ein Hui Buh-Hörspiel ist.
Die Fortsetzung ihres Erfolgsfilms „Kirschblüten – Hanami“ aus dem Jahr 2008 erzählt vom einsamen Alkoholiker Karl (Golo Euler), Sohn des verstorbenen Ehepaars Rudi (Elmar Wepper) und Trudi (Hannelore Elsner) aus dem ersten Teil. Eines Tages klopft die Japanerin Yu (Aya Irizuki) an seine Tür und stellt sich mit den Worten „I am Yu“ vor – Achtung: doppeldeutig! Sie überredet ihn, gemeinsam aufs Land in sein leer stehendes Elternhaus zu fahren. Dort begegnet Karl nicht nur seinen entfremdeten Geschwistern, sondern auch den Geistern der Vergangenheit.
Kirschblüten & Dämonen erinnert an das Videoprojekt einer Selbstfindungs-Theatergruppe. Alles sehr gewollt, teils unfreiwillig komisch und plump inszeniert. Da Karl zum Beispiel immer wieder an seiner Männlichkeit zweifelt, friert ihm irgendwann der Schwanz ab. Feinsinn sieht anders aus. 
Richtig gut wird der Film nur in den Szenen mit der großartigen Birgit Minichmayr. Leider hat die aber nur einen fünf Minuten-Auftritt.

FAZIT

Regisseurin Dörrie und ihr Kameramann Hanno Lentz wollten beim Dreh möglichst frei und spontan reagieren. Aber Freiheit und Spontanität haben ihren Preis. Man muss schon Fan von Gopro-Videolook sein – Kirschblüten & Dämonen sieht wie ein sehr low-budgetiertes Kleines Fernsehspiel aus und atmet den Geist eines bemühten Experimentalfilms.

Deutschland 2019
110 min
Regie Doris Dörrie
Kinostart 7. März 2019

Escape Room

Nerdalarm: wer weiß, was sogenannte „Escape Room“-Computerspiele sind? 
Das geht so: Ein Raum, nur eine Tür – und die ist verschlossen. Der Spieler muss durch das Lösen von Rätseln den Schlüssel zur Tür finden, um weiterzukommen und am Ende zu gewinnen. Wem das zu virtuell ist, der kann diesen Nervenkitzel auch real erleben, nur dass man dazu nicht mit Chipstüte und Joggingbuxe vorm PC sitzt. Wie beim Computerspiel werden auch hier mehrere Personen in „Themenräume“ eingesperrt (z.B. Serienkiller oder Russenmafia – oder ist das dasselbe?), aus denen sie dann in vorgegebener Zeit herausfinden müssen. 
Der Film Escape Room geht nun wieder einen Schritt zurück in die Lethargie – zuschauen, statt dabei sein.
Sechs Personen, die scheinbar nichts miteinander verbindet, müssen unterschiedlich knifflige Rätsel lösen, um am Ende 10.000 $ zu kassieren. Da das alleine ein bisschen zu fad wäre, gibt’s anstelle von Punkteabzug Lebensabzug. Wer falsch reagiert, zu langsam oder schlicht zu doof ist, stirbt. Einer nach dem anderen, in guter alter „Zehn kleine Jägermeister“-Tradition. Gestalterisch einigermaßen fantasievoll umgesetzter Thriller, das offene Ende droht mit unnötiger Fortsetzung.

FAZIT

Wen Logik nicht schert, der kann hier seinen Spaß haben. Albern, aber unterhaltsam.

USA 2019
99 min
Regie Adam Robitel
Kinostart 28. Februar 2019 

Wie gut ist deine Beziehung?

Steves bester Freund Bob wurde gerade von seiner Freundin verlassen. Und das wegen eines älteren Zausels, der sich als Tantralehrer verdingt. Bei Steve schrillen die Alarmglocken. Was, wenn auch seine Lebensgefährtin Carola plötzlich Augen für andere Männer hätte und ihm untreu werden würde?
Hätte, würde, könnte: Weil er sonst nichts zu tun hat, konstruiert Steve kurzerhand seine eigenen Beziehungsprobleme. Schlechte Idee, die Erste: Er bittet ausgerechnet den an allem Unglück schuldigen Tantralehrer Harald, Carola seine Telefonnummer zuzustecken, um dann zu testen, ob sie auf den Flirtversuch einsteigt. Die wiederum wurde von ihrer besten Freundin Anette angehalten, Steve eifersüchtig zu machen…usw….usf….hört sich konstruiert an? 

Wie gut ist deine Beziehung? ist einer der Filme, bei denen man als Zuschauer ständig die Augen verdreht, weil sich die Figuren benehmen, wie man das im wahren Leben nie tun würde. Die selbst erfundenen „Probleme“ könnten sich mit einer klaren Antwort im Nu aus der Welt schaffen lassen, aber dann wäre der Film nach einer halben Stunde vorbei. Ja, da ist der Wunsch der Vater des Gedankens.

FAZIT

Laut Werbung „Eine Komödie in bester Screwball-Manier“.
In Wahrheit ist Wie gut ist deine Beziehung? seichte, im Timing oft daneben liegende Standardware. Der eigenwillige Soundtrack, der wie aus einer „Die Sendung mit der Maus“-Episode klingt, macht die Sache auch nicht besser.

Deutschland 2019
111 min
Regie Ralf Westhoff
Kinostart 28. Februar 2019 

Hard Powder

Armer Liam Neeson. So wie der Bäcker, der jeden Tag die gleichen fünf Brote backt, oder die Aldi Kassiererin, die tagaus, tagein im grellen Neonlicht Waren über den Scanner zieht, muss auch der irische Superstar Langeweile verspüren. Seit Jahren spielt er den „Rächer mit dem guten Herzen“ im immer gleichen Film. Es schadet also nichts, wenn nach Taken 1-3, The Commuter, Non-Stop (und wie sie alle heißen) mal Abwechslung ins Spiel kommt.

Hard Powder ist tatsächlich nicht die übliche Fließbandware und um einiges origineller inszeniert, als die Zug/Flugzeug/Autojagden, bei denen Liam sonst seine Feinde platt macht. Ungewöhnlich schon die Locationwahl: ein im Tiefschnee versinkender Skiort in den Rocky Mountains. Hier pfeift von früh bis spät eine steife Brise, das hat beinahe Shining-hafte Atmosphäre. Nels Coxman (Liam Neeson) ist der örtliche Schneepflugfahrer und sorgt verlässlich für freie Straßen. Sein harmonisches Familienleben mit Frau und Kind wird jäh unterbrochen, als Drogengangster seinen Sohn ermorden. Genauso stoisch wie den Schnee beseitigt er daraufhin die bösen Buben und löst nebenbei noch einen blutigen Bandenkrieg aus – Blut auf Schnee macht sich immer gut.

Sein trockener, schwarze Humor hebt Hard Powder wohltuend von der sonstigen 08/15-Konfektionsware ab. Vielleicht liegt es ja tatsächlich, wie Liam Neeson im Interview vermutet, am europäischen Regisseur. Der Norweger Hans Petter Moland beweist mit dem US-Remake seines eigenen Films Einer nach dem Anderen (2014), dass es doch noch kleine Überraschungen im ausgelutschten Rächergenre zu entdecken gibt.

FAZIT

Besser als erwartet. Und macht neugierig aufs Original, das im Norwegischen den hübschen Titel „Kraftidioten“ trägt.

USA, 2018
119 min
Regie Hans Petter Moland
Kinostart 28. Februar 2019