Climax

⭐️⭐️

21 Tänzerinnen und Tänzer feiern eine wilde Party,  am nächsten Tag soll es gemeinsam auf große Tournee durch Frankreich und die USA gehen. Doch die gute Stimmung kippt, irgendwer hat LSD in die Sangriabowle gemixt. Nach und nach beginnt die Droge zu wirken, aus Übermut wird Angst, dann Paranoia. Am Ende steigern sich Begehren, Hass und Brutalität bis zum Wahnsinn.

Zu Beginn könnte man noch denken, es handele sich um eine sehr coole Fortsetzung des „Step up“-Franchise. Die jungen, attraktiven Protagonisten werden zunächst in kurzen Interviewschnipseln vorgestellt. Darauf folgen zwei furiose Tanzszenen, bei denen man gar nicht glauben mag, dass Menschen zu solchen Bewegungen und Verrenkungen fähig sind. Dazu pumpt der 90er-Jahre-Soundtrack – das hat enorme Kraft.

Dann der Bruch. Kaum hat der unfreiwillige LSD-Trip begonnen, wird der Film zunehmend wirr und anstrengend. Der Versuch, den nur im Kopf der Protagonisten stattfindenden Höllentrip als wild durchchoreografierte Horrorsequenz auf die Leinwand zu bringen, scheitert weitestgehend. Quälend, dem immer irrer und brutaler werdenen Alptraum zuzuschauen. Das gewollte Schocken lähmt den Film und lässt das Interesse immer weiter sinken, bis man am Ende nur noch froh ist, dass es vorbei ist.

FAZIT

Zwiespältig. Die erste Hälfte mit ihren aberwitzigen Choreografien und interessanten Figuren ist grandios, die zweite Hälfte ein anstrengender Horrortrip – „Mother!“ für Fortgeschrittene.

Frankreich, 2018
Regie Gaspar Noé
95 min
Kinostart 06. Dezember 2018

Anna und die Apokalypse

⭐️⭐️

Die verschlafene Kleinstadt Little Heaven wird ausgerechnet zu Weihnachten von einer Zombie-Apokalypse heimgesucht. Schülerin Anna und ihre Freunde kämpfen und tanzen sich ihren Weg durch Horden von lebenden Toten und haben dabei stets ein Liedchen auf den Lippen.

Beworben wird der britische Film als „Ein Zombie-Weihnachts-Musical“. Geworden ist es eher ein unguter Mix aus „Shaun of the Dead und „Glee“. Anders als bei den Vorbildern erweisen sich bei diesem Splatter-Musical die Songs und meisten Gags als Rohrkrepierer. Und auch die Zombies stolpern überraschend ungruselig durch die Geschichte. Die Darsteller bemühen sich ihren Figuren Leben einzuhauchen, sind aber knapp zehn Jahre zu alt für die Rollen. Choreografie, Songs, Zombies: das hat man alles woanders schon besser gesehen.

FAZIT

Genre-Mash-up mit begrenztem Spaß- und Gruselfaktor.
Alles Geschmackssache: Auf diversen Filmfestivals entwickelte sich Anna und die Apokalypse zum Publikumsliebling.

GB, 2018
Regie John McPhail
92 min
Kinostart 06. Dezember 2018

Widows – Tödliche Witwen

Vier Ganoven lassen nach einem gründlich missglückten Raubüberfall ihre Ehefrauen als Witwen zurück. Um die noch ausstehenden Schulden bei einem verfeindeten Gangster zahlen zu können, nehmen Veronica (Viola Davis), Linda (Michelle Rodriguez), Alice und Belle ihr Schicksal in die eigenen Hände und planen einen Coup.

Fast enttäuschend, dass sich Oscarpreisträger Steve McQueen nach seinem grandiosen „12 Years a Slave“ ganze fünf Jahre Zeit liess, um nun mit dieser kleinen Fingerübung in die Kinos zurückzukehren.
In Widows wird die bekannte Geschichte vom „heist“, dem perfekt geplanten Raub, neu interpretiert:
Frauen übernehmen das Kommando. Wie schon „Ocean’s 8“ liegt Widows damit voll im #metoo-Trend.
Etwas genauer hingeschaut, erzählt der Film aber weniger die Geschichte von women of color und ihrem Weg zu Stärke und Selbstbestimmtheit, sondern die der ultimativen Gleichstellung: Frauen können genauso brutal und skrupellos wie Männer sein. Aha.

FAZIT

Widows – Tödliche Witwen – zehn Minuspunkte für den idiotischen deutschen Titel – ist ein stylish gedrehter, nicht gerade weltbewegender Thriller. Gehobene Konfektionsware.

USA, 2018
Regie Steve McQueen
130 min
Kinostart 06. Dezember 2018

Under The Silver Lake

Sam (Andrew Garfield) ist ein Nichtsnutz. Er wohnt in einem kleinen Apartment in Silver Lake, Los Angeles und hegt keinerlei Ambitionen, irgendetwas aus seinem Leben zu machen. Meist verbringt er den Tag mit der Suche nach versteckten Codes und Botschaften in seiner Umgebung. So ist er zum Beispiel fest davon überzeugt, dass Vanna White – die amerikanische Maren Gilzer – während der Sendung „Wheel of Fortune“ dem Zuschauer per Zwinkern geheime Signale gibt. Man könnte sagen, Sam ist ein bisschen paranoid.
Eines Tages trifft er die attraktive Sarah (Riley Keough) und die beiden verbringen einen netten Abend miteinander. Als sie sich am nächsten Tag wiedersehen wollen, ist nicht nur Sarah, sondern auch ihre komplette Wohnungseinrichtung verschwunden. Sam wittert eine Verschwörung und macht sich auf die Suche.

Ein Hundekiller, eine mörderische Eulenfrau, ein auf mysteriöse Art verschwundener Millionär: unter der sonnigen Oberfläche Kaliforniens tun sich Abgründe auf.
Zeigte „La La Land“ im vergangenen Jahr die eher beschwingte, fröhliche Seite von Los Angeles, so ist Under The Silver Lake ein fieberhafter Film noir über die auf Alpträumen gebaute Stadt geworden. Unterhaltsam ist das allemal. All die versteckten Tribute an andere Regisseure und kleinen Anspielungen auf andere Filme zu entdecken ist sehr vergnüglich. David Robert Mitchell hat seine Vorbilder genau studiert: hier ein bisschen Alfred Hitchcock, da ein wenig Brian de Palma (selbst ein Meister des Zitats) und viel David Lynch.
Obwohl Under The Silver Lake mitunter an einen sehr ambitionierten Studentenfilm erinnert, macht es doch Spaß, Sam bei seiner schrägen Odyssee durch das labyrinthische Los Angeles zu folgen. Die versteckten Codes, ungelösten Rätsel und hidden messages führen zwar auch hier, wie so oft in der modernen Popkultur (siehe „Lost“), am Ende nicht zu einer befriedigenden Auflösung: aber egal – der Weg ist das Ziel.

FAZIT

Einige Zuschauer werden das Kino mit einem großen Fragezeichen im Gesicht verlassen. Am besten gar nicht darüber nachdenken, was das alles soll, sondern einfach auf die Stimmung einlassen und nebenbei den tollen Bernard-Herrmann-inspirierten Soundtrack genießen.

USA, 2018
Regie David Robert Mitchell
139 min
Kinostart 06. Dezember 2018

Jupiter’s Moon

⭐️⭐️

Der junge Syrer Aryan wird beim illegalen Überqueren der serbisch-ungarischen Grenze angeschossen.
Schwer verletzt, entwickelt er plötzlich die übermenschliche Fähigkeit durch reine Willenskraft zu schweben. Im Flüchtlingslager entdeckt der korrupte Arzt Dr. Stern das Potenzial seines Patienten. Gegen Bezahlung wird der fliegende Junge todkranken Patienten als neues Weltwunder präsentiert. Doch auch die Polizei interessiert sich für den seltsamen Fall.

In erster Linie wirkt der Film wie die Bewerbungsrolle von Regisseur Mundruczó für Hollywood.
Die teilweise real gedrehten Schwebe/Flugszenen sehen dank perfektem wire-removal spektakulär und super realistisch aus. Auch eine von „Inception“ inspirierte Szene, in der sich ein ganzer Raum um die eigene Achse dreht, muss sich vor dem Original nicht verstecken. Das ist visuell meisterhaft. Und die atemberaubende one-take Autoverfolgung kann locker mit „The Fast and the Furious“ oder „Jason Bourne“ mithalten.
Aber der Rest?
Schon der Anfang irritiert. Da ist auf einer Schrifttafel zu lesen, dass auf Europa, einem der Monde des Jupiter, die theoretische Möglichkeit für Leben existiere. Sehr bedeutungsschwanger. Aber dann spielt diese Information in den darauffolgenden zwei Stunden keinerlei Rolle mehr. Oder soll die platte Botschaft „In Europa ist Leben möglich“ sein?
Jupiter’s Moon möchte Stellung beziehen, übernimmt sich aber an der Vielzahl seiner Themen: Flüchtlingskrise, Terrorismus, der Glaube an Gott, Wunder, Schuld, Erlösung, die realpolitischen Zustände im heutigen Ungarn, eine beinahe Vater-Sohn-Beziehung, und, und, und. Dieser bunte Strauß kommt teils als sphärischer Kunstfilm, teils als konventioneller Actionfilm daher.
Handwerklich top, doch was das alles bedeuten soll, bleibt das Geheimnis des Regisseurs.

FAZIT

Poetischer, kunstvoll gedrehter, jedoch ratlos zurücklassender Superheldenfilm.

Ungran/Deutschland, 2017
Regie Kornél Mundruczó
123 min
Kinostart 22. November 2018

In My Room

⭐️⭐️⭐️⭐️

Armin ist EB-Kameramann in Berlin. Wenn er mal einen Job vergeigt, weil er die Kamera aus-, statt eingeschaltet hat, juckt ihn das nicht weiter. Lieber feiert er die Nacht durch und beschäftigt sich nicht groß mit der Zukunft.
Als seine Großmutter im Sterben liegt, macht er sich auf den Weg nach Hause zu seinem Vater. Am Morgen nach dem Tod der geliebten Oma dann der Schock: auf einen Schlag ist die gesamte Menschheit verschwunden! Armin verzweifelt zunächst, lässt sich dann aber auf sein neues Leben ein. Nach Monaten des Alleinseins trifft er einen weiteren übriggebliebenen Menschen, die junge Kirsi.

Der deutsche Omega Mann.
Trotz des naheliegenden Vergleichs, ist „In My Room“ eine ganz andere, zartere Variante der Geschichte vom letzten Mensch auf Erden geworden. Hier geht es nicht um den Kampf gegen Untote oder Mutanten, sondern um eine zweite Chance, das Leben neu zu gestalten. Genial, wie Regisseur Ulrich Köhler es schafft, von einer fast dokumentarischen Stimmung zu Anfang unerwartet in eine auf den Kopf gestellte Welt zu wechseln. Der zurzeit allgegenwärtige Hans Löw überzeugt in der Rolle des last man on earth.

FAZIT

I am Legend in Nordrhein-Westfalen. Überraschend, außergewöhnlich und gut.
Das idyllische Landleben der beiden Hauptfiguren passt genau in unsere Zeit mit ihrer Sehnsucht nach Einfachheit.

Deutschland, 2018
Regie Ulrich Köhler
120 min
Kinostart 08. November 2018

 

Nur ein kleiner Gefallen

⭐️⭐️

Überraschend ist die Freundschaft zwischen Stephanie und Emily schon. Die eine ist eine etwas biedere Video-Bloggerin, die andere eine geheimnisvolle Mode-PR-Frau. Oder stimmt es, was Nachbarn und Kollegen voller Neid tuscheln: Wird Stephanie als Kindermädchen auf Abruf ausgenutzt, weil sie jederzeit zur Verfügung steht und sich um Emilys Sohn Nicky kümmert?

Als eines Tages wieder mal „nur ein kleiner Gefallen“ fällig ist, hilft Stephanie wie gewohnt zuverlässig aus und holt Nicky von der Schule ab. Doch Emily kehrt nicht zurück. Nicht nach ein paar Stunden, nicht nach Wochen. Sie bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Mithilfe ihrer Social-Media-Follower versucht Stephanie, ihre vermisste Freundin ausfindig zu machen. Sie ahnt nicht, dass sie Teil eines mysteriösen Doppelspiels ist.

Mit Anna Kendrick als süße, hypernervöse Mutti und der coolen Blake Lively als doppelgesichtige Verführerin hätte das was werden können. Immerhin überzeugt der Anfang von „A simple Favor“ noch einigermaßen. Das ist unterhaltsam und guckt sich im ersten Drittel ganz gut weg. Leider kann sich das Drehbuch danach nicht mehr entscheiden, was es eigentlich sein will: spannender Mystery-Thriller oder leichte Komödie. Geschichte und Verhalten der Charaktere werden immer unglaubwürdiger, der Film gerät zusehends aus der Bahn.

Wohlhabende Mütter in einer Kleinstadt, Bürgertum, hinter dessen glossy Fassade sich Dramen abspielen? So ähnlich gab es das gerade in der großartigen Serie „Big Little Lies“. Nun also die weniger gelungene Kinoversion eines ähnlichen Stoffes. Goldenes Fernsehzeitalter: Der Kinofilm sieht um einiges schlechter und im klassischen Sinne „fernsehmässiger“ aus, als die TV-Serie.

FAZIT

Seltsamer Genremix mit ein paar gelungenen Momenten.

USA, 2018
Regie Paul Feig
117 min
Kinostart 08. November 2018

Aufbruch zum Mond

Am 20. Juli, vor fast 50 Jahren, betrat Neil Armstrong mit einem kleinen Schritt als erster Mensch den Mond. „First Man“, so der Originaltitel, erzählt die Geschichte der NASA-Mission von 1961 bis 1969.

Damien Chazelles Film ist eine ernsthafte, vielleicht zu ernsthaft geratene Biografie, die zwar beweist, wie meisterhaft der junge Regisseur mittlerweile die unterschiedlichsten Stile des Filmemachens beherrscht, den Zuschauer aber auch oft kalt lässt. Stellenweise erinnert der Hyperrealismus des Films an Christopher Nolans „Interstellar“, allerdings ohne den Spaßfaktor.

„Aufbruch zum Mond“ ist kein Abenteuerfilm, mehr ein Kammerspiel, eine Beobachtung und Charakterstudie seiner extrem introvertierten Hauptfigur geworden. Neil Armstrong, der sein Leben offenbar meist wissenschaftlich analytisch betrachtete und kaum Wärme oder Empathie ausstrahlte, bestimmt mit seiner Emotionslosigkeit die ersten zwei Drittel des Films. Ryan Goslings Mimik bleibt der Figur entsprechend leer, selten huscht so etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht. Das mag in Anbetracht Armstrongs erlebter Schicksalsschläge historisch richtig sein, macht es aber schwer, sich mit der Figur zu solidarisieren.

Im letzten Drittel nimmt die Geschichte dann endlich Fahrt auf. Rechtzeitig zur Mondlandung zeigen Chazelle und sein Kameramann Linus Sandgren, was sie können. Teils auf 16 mm, teils auf 35 mm gedreht, wurde für die atemberaubenden Szenen der Mondmission das IMAX-Format verwendet.  Die Musik von Oscarpreisträger Justin Hurwitz darf nun auch in die Vollen gehen und beinahe weht ein Hauch von „La La Land“-hafter Eleganz über die Mondlandschaften.

FAZIT

Tipp vom Reiseführer: Wer immer schonmal wissen wollte, wie es sich anfühlt, in einer extrem engen Raumkapsel zu sitzen und sein Leben komplett der klapprigen Technik anzuvertrauen, kommt hier auf seine Kosten. Selten haben sich Flugszenen klaustrophobischer und authentischer angefühlt als hier.
Guter, sehr erwachsener Film.

USA, 2018
Regie Damien Chazelle
141 min
Kinostart 08. November 2018

Der Nussknacker und die vier Reiche

⭐️⭐️

Disneys Interpretation von E.T.A. Hoffmanns Kurzgeschichte und Peter Tschaikowskys Ballett.

Zum Kinobesuch bitte reichlich Insulin einpacken. So süß, quietschbunt und politisch korrekt kommt der neue Disneyfilm daher, dass man sich gar nicht traut, irgendetwas Schlechtes über dieses Kitschfest zu sagen.
Getreu Liberaces Motto: „Zuviel des Guten ist wundervoll“, platzt Der Nussknacker und die vier Reiche  schier vor Ideenreichtum. Die Fantasiewelten und ihre eigenwilligen Bewohner wurden mit einer ausufernden Liebe zum Detail in Szene gesetzt. Besonders die immer wieder auftauchenden Uhrwerke, Spieldosen und andere mechanische Spielereien bieten hohen Unterhaltungswert. Gleich zu Beginn wird das in einer sehr hübschen Sequenz mit der wahrscheinlich kompliziertesten Mausefalle aller Zeiten gezeigt.
Ein aufgedrehter, opulent erzählter Familienfilm mit prominenter Besetzung: unter anderem erleiden Keira Knightley, Mackenzie Foy, Helen Mirren und Morgan Freeman einen Zuckerschock.

FAZIT

Wer sich für stark geschminkte Frauen (und Männer) in sehr, sehr bunten Kostümen begeistern kann und die Vorweihnachtszeit am liebsten auf 362 Tage im Jahr ausdehnen würde, dem sind 100 Minuten süßeste Unterhaltung garantiert.

USA, 2018
Regie Lasse Hallström, Joe Johnston
100 min
Kinostart 01. November 2018

Bohemian Rhapsody

Bohemian Rhapsody erzählt die Geschichte vom Aufstieg der legendären Band Queen und ihres Frontmanns Freddie Mercury. Den Rahmen der Handlung bildet der furiose Auftritt beim Live Aid Konzert 1985 im Wembley Stadion vor fast 2 Milliarden Fernsehzuschauern.

Ein paar witzige Dialoge und gelungene Momente hat Bohemian Rhapsody schon. Beispielsweise das „Making of“ des überkreativen Titelsongs. Oder die dreist-charmante Bewerbung Mercurys (zu diesem Zeitpunkt noch Farrokh Bulsara) bei seinen künftigen Mitstreitern.
Rami Malek, ausgestattet mit einem zu großen Überbiss, macht seine Sache als Freddie gut. Brian May sieht genauso aus, wie Brian May damals aussah. Und auch Roger Taylor und andere Wegbegleiter (u.a. Bob Geldof) sind spitting images der Originale. Generell lag den Produzenten wohl sehr viel an der möglichst fotografisch genauen Kopie der Vorbilder. Trotzdem wirkt der Film seltsam künstlich, beinahe wie eine Theateraufführung. Perfekt ausgeleuchtete Sets, jede Menge Perücken (als solche unschwer erkennbar) und 1:1 Kopien der berühmten Bühnenoutfits gaukeln einen Zeitkolorit vor, den die Bildsprache dann wieder und wieder mit modernen Mätzchen zunichtemacht. Fährt ein Tourbus durch die amerikanische Weite, reicht es nicht, das einfach zu zeigen, nein, die Kamera fliegt von einer Außentotale durch die Windschutzscheibe ins Innere des Busses. Das mag ein netter, optischer Gag sein – hier ist es einfach nur oberflächliche Spielerei und stört. Die 80er-Jahre Schwulenclubs von München sind zwar „verrucht“ rot ausgeleuchtet, aber eben nur Kulissen, die so aseptisch wirken, als könne man dort vom Boden essen.
So hangelt sich der Film etwas holprig von Szene zu Szene. Vieles wird nur behauptet, wie das schlechte Verhältnis Freddie Mercurys zu seinem Vater, ohne dass der Zuschauer je Näheres dazu erfährt. Zur Oberflächlichkeit der Story passt der unangenehm glatte Look des Films. Geht es hier nicht um Rock ’n‘ Roll? Das hätte ruhig um einiges schmutziger und realer sein können. Stattdessen saust die Kamera über die CGI-Massen im Wembley Stadion und man hat den Eindruck, eine Schlachtszene in „Herr der Ringe“ zu sehen.

Zum Finale konzentriert sich der Film dann ganz auf die Replikation des berühmten Live Aid-Auftritts von 1985. Das gehört zu den besten Szenen, denn trotz aller Künstlichkeit der Bilder, sind die Songs immer noch so stark, dass man einfach mitgerissen wird.

FAZIT

Solide, aber mutlos. „Bohemian Rhapsody“ ist kein Film für echte Fans geworden, mehr eine Show im Stil der Stage Entertainment Produktionen. Ein Surrogat, wie fürs Musicaltheater gemacht.

USA, 2018
Regie Bryan Singer
134 min
Kinostart 31. Oktober 2018

Halloween

⭐️⭐️

SPOILER ALERT: Michael Myers ermordet auch in dieser Fortsetzung viele Menschen. Wie schon im Original ist Scream-Queen Jamie Lee Curtis mit dabei. Diesmal als „badass“-Großmutter, die den Serienkiller endlich zur Strecke bringen will. Dabei stehen ihr Tochter und Enkeltochter zur Seite, sozusagen als ein weibliches 3-Generationen-Killerkommando.

MACHART

Zurecht bemängelt ein junger Mann im Laufe des Films, dass „die Morde von Michael Myers heute keine große Sache mehr sind“. Leider wahr. In Zeiten wie diesen braucht es schon schwerere Geschütze, um die abgestumpfte Masse zu schocken. Und so tut sich auch diese Fortsetzung des Slasher-Klassikers etwas schwer, den nötigen Thrill zu erzeugen. Zu oft ist mittlerweile das Original von 1978  kopiert und persifliert worden (u.a. Scream).
Immerhin hat der Film eine glaubwürdige Hauptdarstellerin, die mit hässlicher Brille und struppigem Grauhaar mutig zu ihrem Alter steht. Beinahe ungeschminkt, fast schon in Frances McDormand’scher Art, verleiht Jamie Lee Curtis der Rolle die nötige Ernsthaftigkeit. So hat „Halloween“ 2018 dem Genre zwar nichts grundsätzlich Neues hinzuzufügen, nimmt aber wenigstens seine Figuren ernst und schafft so die nötige Fallhöhe, um ein paar nette Schockmomente und ein bisschen Spannung zu erzeugen.

FAZIT

Nicht viel Neues aus Haddonfield. Geht als Retrofilm in Ordnung.

USA, 2018
Regie David Gordon Green
109 min
Kinostart 25. Oktober 2018

Bad Times at the El Royale

⭐️⭐️⭐️

„Die Hölle, das sind die anderen“, wusste schon Satre. Die „anderen“ sind in diesem Fall sieben Fremde, die 1969 während einer stürmischen Nacht im Hotel El Royale festsitzen. Es gibt kein Entkommen. Wer ist gut? Wer ist böse? Wem kann man vertrauen? Und vor allem: Wer wird die Nacht überleben?

MACHART

Unter anderem checken Jeff Bridges, Dakota Johnson, Jon Hamm und Chris Hemsworth in das heruntergekommene  Hotel ein. Hervorragende Schauspieler, die sich, ganz im Tarantino-style, mit ausschweifenden Monologen in Szene setzen dürfen. Dazu gibts heftige Brutalität und einen schönen Soundtrack mit Best of Soulhits. Die eigentlichen Stars des Films aber sind das Hotelset und die Ausstattung. Da wird die Besetzung fast zur Nebensache. Mit seinen perfekt durchgestylten Breitwandbildern erinnert „Bad Times at the El Royale“ an die gute, alte Zeit Hollywoods. Sehr hübsch anzusehen.

FAZIT

Den Hotelaufenthalt kann man vor allem wegen der tollen 60er-Jahre-Ausstattung genießen.
Wem „The Hateful 8“ gefallen hat, sollte auch hier seinen Spaß haben.
USA, 2018
Regie Drew Goddard
141 min
Kinostart 11. Oktober 2018

The Happytime Murders

Ein Killer metzelt nacheinander die ehemaligen Darsteller der Kinderserie „The Happytime Gang“ nieder. Privatdetektiv Phil macht sich mit seiner Partnerin Connie Edwards (Melissa McCarthy) an die Lösung des Falls. Das Besondere an „The Happytime Murders“: Die Hälfte der Darsteller sind sesamstraßenartige Puppen. Hm.

MACHART

Genau. Die Hauptdarsteller sind Puppen. Und zwar komplett versaute. Das ist dann auch mehr oder weniger der einzige Witz des Films. Der Gag, sich Stoffpuppen daneben benehmen und sie dreckige Sprüche raushauen zu lassen, hat sich relativ schnell erschöpft. Zumal das Niveau stetig sinkt. Warum soll  es nach der x-ten Wiederholung noch lustig sein, dass jemand „Du Arschloch“ oder „fick dich!“ sagt? Darüber beömmelt sich bestenfalls ein 10-Jähriger. Andererseits ist der Film für Kinder komplett ungeeignet: Den größten Lacher hat eine obszöne Pornofilmszene mit einer Milch abspritzenden Kuh und einem Kraken. Wenigstens sind beide aus Stoff und mit Watte gefüllt.

FAZIT

Liebe Melissa McCarthy, laut Presseheft bist Du „aktuell nach Jennifer Lawrence und Scarlett Johansson die drittbestverdienende Schauspieler in der Welt“. Dann mach doch bitte mal wieder einen guten Film!

USA, 2018
Regie Brian Henson
91 min
Kinostart 11. Oktober 2018

Abgeschnitten

★★

Und warum auch nicht: Bei der Autopsie einer verstümmelten Frauenleiche findet der Rechtsmediziner Paul Herzfeld in deren Kopf einen Zettel mit der Handynummer seiner Tochter Hannah. Die ist entführt worden und der Kidnapper schickt auf diese komplizierte Weise Herzfeld auf eine obszöne Schnitzeljagd, von Leiche zu Leiche. Die morbide Spur führt nach Helgoland, aber die Insel ist wegen eines Unwetters von der Außenwelt abgeschnitten. Herzfeld kommt nicht weiter. Deshalb bittet er die junge Comiczeichnerin Linda um Hilfe, die gerade auf Helgoland festsitzt. Sie soll für ihn – per telefonischer Anweisung – diverse, böse zugerichtete Leichen aufschnippeln und obduzieren. Nur so kann der Serienkiller gestoppt werden. Voll gruselig.

MACHART

Ein bisschen „Sieben“, ein bisschen „Das Schweigen der Lämmer“. Regissur Christian Alvart hat keine Angst vor copy/paste. Die vielen Anleihen bei den amerikanischen Vorbildern sind offensichtlich. „Abgeschnitten“ ist ein sehr konstruierter, leidlich spannender deutscher Thriller mit reichlich computeranimiertem Schnee und viel, viel schamloser Werbung für Mercedes Benz.

Die Besetzung ist prominent: Schon wieder Lars Eidinger. Das macht aber nichts, den sieht man immer gerne, diesmal als Psychopathen, der seine Opfer in den Selbstmord treibt. Moritz Bleibtreu, borderline fehlbesetzt, spielt den Rechtsmediziner Paul Herzfeld. Jasna Fritzi Bauer ekelt sich viel als unfreiwillige Obduktionsgehilfin. Und Fahri Yardim macht, was er am besten kann und beschränkt sich auf seine Standardrolle des türkischen „Hamburger Jung mit Herz“.

Den Titel des Films kann man übrigens in mehrfacher Hinsicht wörtlich nehmen: Eine Vater-Tochter-Beziehung, Helgoland im Unwetter und diverse menschliche Gliedmaßen, alles ist und wird hier abgeschnitten.

FAZIT

Halbwegs spannender Leichenporno.

Deutschland, 2018
Regie Christian Alvart
132 min
Kinostart 11. Oktober 2018

A Star Is Born

★★★★

Der abgehalfterte Rockmusiker Jackson Maine (Bradley Cooper) entdeckt die junge, unbekannte Sängerin Ally (Lady Gaga) in einem Nachtclub. Die hat zwar schon alle Hoffnung auf eine Karriere aufgegeben, aber mit viel Nachdruck verhilft Jackson der hochtalentierten Ally zu einem grandiosen Start ins Musikbusiness. Nebenbei verlieben sich die beiden ineinander und heiraten. Ally macht Weltkarriere, während Jackson sich nicht von seinen inneren Dämonen befreien kann und immer tiefer ins Dunkel wegdriftet.
Neuinterpretation eines bereits dreimal verfilmten Stoffes.

MACHART

Direkt zu Anfang: Alkohol, Pillen und viel „Fuck“-Gefluche: Das hätte auch schiefgehen können und zu einem Fremdschäm-Egotrip des Regisseurs und Hauptdarstellers Bradley Cooper werden können.
Aber „A Star Is Born“ überrascht positiv, wechselt gekonnt zwischen beeindruckend inszenierten Konzertszenen und unerwartet leisen, zärtlichen Momenten. Dass der Film so gut funktioniert, liegt in erster Linie an seinen beiden Hauptdarstellern: Cooper spielt den drogenabhängigen, gebrochenen Star mit viel Schmerz und Tiefgang. Dass Lady Gaga tatsächlich singen kann, weiß man spätestens seit ihrem fulminanten Auftritt bei der Oscarverleihung 2015. Danach gab es zwar schon einen Emmy für ihre Rolle in „AHS: Hotel“ aber nun überrascht sie nochmal mehr mit ihrem differenzierten, weit von ihrem sonstigen Bühnen-Alter Ego entfernten, zurückgenommenen Spiel.

Statt seine Akteure im Studio vor eine greenscreen zu stellen und dann ein CGI-Publikum dahinterzusetzen, hat Regisseur Cooper bei echten Festivals, vor echten Zuschauern gedreht (unter anderem in Glastonbury und Coachella). Das war eine weise Entscheidung, denn selten wirkten Konzertaufnahmen, in denen Schauspieler Sänger mimen, authentischer und mitreißender.

Wie man eine ernsthafte, schüchterne Singer/Songwriterin zu einem JLo-artigen Plastik-Popwesen verbiegt, das ist schon ein sehr interessanter Blick hinter die Kulissen des Musikgeschäfts. Davon hätte es gerne noch mehr geben können. Etwas redundant fühlen sich hingegen die Dramaszenen an. Immer wieder minutenlang close-ups von verheulten Gesichtern. Aber die braucht es wohl, denn „A Star Is Born“ will Oscars! Mindestens zwei hätte er auch verdient: für die beste Hauptdarstellerin und die besten Originalsongs.

FAZIT

Souveränes Regiedebüt von Bradley Cooper. Ein paar Straffungen hätten nicht geschadet, aber insgesamt ein erstaunlich kraftvolles und gelungenes Musikdrama. Selbst für Lady Gaga-Hater empfehlenswert.

USA, 2018
Regie Bradley Cooper
136 min
Kinostart 04. Oktober 2018

Alles ist gut

★★

Eine Nacht, ein falscher Abzweig: Janne (Aenne Schwarz) und Martin (Hans Löw) begegnen sich nach Jahren bei einem Klassentreffen wieder. Ein bisschen zu viel Alkohol, angetrunkenes Rumschäkern, noch zusammen nach Hause gehen. Aber dann verrutscht etwas: aufgegeilt und in seiner Mannesehre gekränkt, zwingt Martin Janne zum Sex. Er hört nicht auf, obwohl die klare Botschaft „Nein“ heißt. So banal und alltäglich.

Danach ist nichts mehr gut: Janne versucht zwar das Geschehene intellektuell zu bewältigen, hat jedoch letztendlich keinen Einfluss darauf, was ihr widerfährt und wie sie darauf reagiert. Anfangs versucht sie noch, die seelische Verletzung wegzulächeln. Aber nach und nach bricht sich der unterdrückte Schmerz seine Bahn.

MACHART

Das Beste an „Alles ist gut“ ist seine Hauptdarstellerin: Aenna Schwarz als Janne. Die Burgschauspielerin schafft es, innerhalb einer Szene zwischen derber Rotzigkeit und großer Verletzlichkeit zu changieren. Aber das alleine hilft nicht: der spröde Realismus der Inszenierung ist stellenweise schwer zu ertragen. Und der dogmatische Stil. mit seinem kompletten Verzicht auf  Musik (es sei denn, sie ist Teil der Szene), macht den Film auch nicht unbedingt zugänglicher.

Es bleibt das beklemmende Gefühl, fremden Menschen unfreiwillig bei ihrem intimsten Privatleben zuschauen zu müssen.

FAZIT

Voyeurismus für Fortgeschrittene. Ein insgesamt eher quälendes Erlebnis.

Deutschland, 2018
Regie Eva Trobisch
93 min
Kinostart 27. September 2018

Ballon

★★★★

1979 gelang den Familien Strelzyk und Wetzel die gemeinsame Flucht aus der DDR – auf denkbar spektakuläre Weise mit einem selbstgenähten Heißluftballon.

MACHART

Die vor den 70er Jahren Geborenen erinnern sich, zumindest im Westen:
1979 war das die Exklusivgeschichte im Magazin STERN.

3 Jahre später nahm sich Hollywood der Verfilmung des Stoffes an. Aber schon damals, noch viele Jahre vor dem Mauerfall, ahnte man, dass dies eher eine unauthentische Disney-Interpretation der DDR war und nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun haben konnte.

Nun also fast 40 Jahre später Michael Bully Herbigs Version. Und die ist (wieder) Hollywoodkino in Reinform, nur dass das diesmal bitte als Lob zu verstehen ist. Obwohl der Ausgang der Geschichte hinlänglich bekannt ist, bleibt der Film durchweg spannend und hält sein Tempo vom Anfang bis zum Ende. Wie eine tickende Zeitbombe entwickelt sich das Fluchtdrama; vom ersten gescheiterten Versuch, über die allgegenwärtige Furcht von der Stasi entdeckt zu werden, bis zum glücklichen Ende. Es gibt nichts zu meckern an „Ballon“: liebevolle Ausstattung, hervorragende Darsteller, treibende Musik, Spannung bis zuletzt. Bully Herbig ist ein perfekter Actionthriller geglückt.

FAZIT

Sehr amerikanisch professionell und dabei trotzdem – auf gute Art – ganz und gar deutsch.

Deutschland, 2018
Regie Michael Bully Herbig
120 min
Kinostart 27. September 2018

Werk ohne Autor

★★★★

Elisabeth (Saskia Rosendahl) liebt ihren kleinen Neffen Kurt über alles. Doch die unkonventionelle junge Frau lebt in gefährlichen Zeiten. Während des Nationalsozialismus wird sie als schizophren diagnostiziert und später in einer Anstalt vergast. Die Folgen dieses grausamen Verbrechens begleiten Kurt (Tom Schilling) ein Leben lang.

Als junger Mann beginnt er nach dem Ende des 2. Weltkriegs eine Ausbildung an der Kunsthochschule Dresden. Hier trifft er auf Ellie (Paula Beer), die beiden verlieben sich. Ellies Vater (Sebastian Koch) ist Professor Seeband, ein erfolgreicher Arzt und früherer Nazioffizier, dessen Geschichte unheilvoll mit Kurts Schicksal verknüpft ist. Nach dem Studium in der DDR wird Kurt zunächst Auftragskünstler für sozialistischen Realismus. Kurz vor Mauerbau flieht er mit Ellie in die BRD. Im Düsseldorf der 60er und frühen 70er Jahre beginnt sein Aufstieg zu einem der bekanntesten Maler seiner Generation. „Werk ohne Autor“ basiert lose auf der Lebensgeschichte des Künstlers Gerhard Richter.

MACHART

Ja, schon wieder eine Künstlerbiografie. Aber was für eine: „Werk ohne Autor“ ist zwar stellenweise grandioser Kitsch, aber auch großes, packendes Kino geworden. Mit seinem dritten Spielfilm wollte Oscarpreisträger Florian Henckel von Donnersmarck keine kleinen Brötchen backen. Sex, Liebe, Kunst, Gewalt, Verbrechen, Wahnsinn, Nationalsozialismus, Krieg, deutsch-deutsche Geschichte. Das alles hat der Regisseur in sein episches, 188 Minuten langes Rehabilitationswerk gesteckt.

Ausstattung und Inszenierung bewegen sich auf höchstem Niveau. Tom Schilling, Paula Beer, Oliver Mascuti, Hanno Koffler, Lars Eidinger, Ben Becker, und, und, und. Die Schauspieler sind erste Garde und durchweg hervorragend, werden aber alle von Sebastian Koch als Professor Carl Seeband überragt. So viel Lob, da muss es natürlich auch einen Wermutstropfen geben. Und das ist überraschenderweise der Score von Max Richter. Besonders bei den eigentlich leisen, emotionalen Szenen drängt sich die Musik viel zu sehr in den Vordergrund und erzeugt so das Gegenteil von echten Gefühlen.

FAZIT

Der Künstler schnackselt gerne und oft. Das ist beneidenswert, muss aber nicht zwingend unentwegt gezeigt werden. Die Hälfte an Sexszenen hätte es auch getan.

„Werk ohne Autor“ hat keine Angst vor großen Gefühlen: drei Epochen deutscher Geschichte – mitreißend und bewegend erzählt.  Eine Hommage an die Kraft der Kunst. Empfehlenswert.

Deutschland, 2018
Regie Florian Henckel von Donnersmarck
188 min
Kinostart, pünktlich zum Tag der deutschen Einheit, am 3. Oktober 2018

Cobain

HARTES LEBEN

Mia säuft, raucht, ist heroinabhängig und hochschwanger. Eine traurige, gescheiterte Existenz.
Ihr 15-jähriger Sohn Cobain, benannt „nach einem Typen, der sich eine Kugel in den Kopf gejagt hat“ – so seine eigene Einschätzung – ist ein ziellos umherirrender Teenager, der sich nach Liebe sehnt und sie nicht bekommt. Dem Jungen wird nichts geschenkt. Vom Pflegeheim für schwer Erziehbare, über eine Station bei Ökoeulen auf dem Bauernhof, bis zum Unterschlupf in der Wohnung des Zuhälters Wickmayer. Trotzdem besteht Hoffnung; Cobain kommt zwar aus zerrütteten Verhältnissen, seine Seele ist aber noch nicht vernarbt. Alles was er wirklich will, ist ein Zuhause mit seiner Mutter zu finden.

MACHART

Scheiß Pubertät! Ohnehin keine schöne Zeit im Leben, aber Cobain hat es extra schwer. Wer nach der Inhaltsangabe zum Strick greifen will: obwohl das Thema deprimierend und die Umsetzung dokumentarisch realistisch ist, vermeidet es der niederländische Film gekonnt, zu einem schwermütigen Psychogramm zu werden. Das liegt zum einen an der flirrenden, stets den Fokus suchenden Kamera von Frank van den Eeden. Aber vor allem an den beeindruckenden Schauspielern. Bas Keizer als Cobain und Naomi Velissariou als Junkie-Mutter sind echte Entdeckungen.
„Warum läufst Du mir wie ein Schoßhund hinterher?“, fragt Mia ihren Sohn. „Ich mache mir Sorgen um dich“, seine schüchterne Antwort. „Mach ich mir etwa Sorgen um dich? Na also!“
Der sechste Spielfilm von Nanouk Leopold ist eine außergewöhnliche Mutter-Sohn-Geschichte mit vertauschten Rollen. Happy End gibt es keins, aber selten gab es in einem Film ein solch hart erkämpftes, aber hoffnungsvolles Ende.

FAZIT

Keine leichte Kost. Berührender Film.

NL/B/D , 2017
Regie Nanouk Leopold
94 min
Kinostart 13. September 2018

Mackie Messer – Brechts 3Groschenfilm

BERLINER MUSICAL

Bertholt Brechts „Die Dreigroschenoper“ ist Ende der 20er-Jahre ein weltweiter Hit. Deshalb soll das Stück fürs Kino verfilmt werden. Doch der selbstbewusste Brecht (Lars Eidinger) verlangt, dass es nach seinen Regeln läuft: der Film muss radikal und kompromisslos werden. Seine fiktive Filmversion erzählt zwar auch vom Kampf des Londoner Gangsters Macheath (Tobias Moretti) gegen den Chef der Bettlermafia Peachum (Joachim Król), unterscheidet sich aber dramatisch von der Bühnenvorlage. Zu viele Änderungen, die Produktionsfirma will dem nicht folgen. Nach Brechts Meinung hat sie aber ohnehin nur den schnöden Mammon im Sinn. Also zieht er vor Gericht, um sein Recht als Autor durchzusetzen.

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Wenigstens hat sich Regisseur Lang was getraut. In einem gewagten Kunstgriff lässt er Brecht ausschließlich in seinen eigenen Worten sprechen: Alles, was dieser im Film sagt, beruht auf Zitaten. Das mag zwar ganz lehrreich sein, wirkt aber stellenweise sehr aufgesetzt. Die leider viel zu lange (130 Minuten) Verfilmung des „Dreigroschen“-Werks bietet, neben ausgezeichneter Besetzung und teilweise peppiger Inszenierung, auch eine etwas irritierende Fernsehballettchoreografie. Oder ist das ironisch gemeint?

FAZIT

Brecht goes Musical. Wunderbare Schauspieler, guter Look, moderne Bildsprache – aber es zieht sich gewaltig.

Deutschland, 2018
Regie Joachim A. Lang
136 min
Kinostart 13. September 2018

Bad Spies

STELLENWEISE KOMISCH

Audrey (Mila Kunis), Anfang 30, jobbt als Kassiererin in einem Supermarkt. Ihre Laune ist eher mäßig, denn ihr langweiliger Freund Drew (Justin Theroux) hat gerade per SMS mit ihr Schluss gemacht. Als sie aber erfährt, dass ihr Ex nicht – wie behauptet – einen Podcast betreibt, sondern in Wahrheit ein CIA-Agent ist, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Von Bösewichten niedergeschossen, bittet er sie mit letzter Kraft, eine kleine Statue nach Wien zu schaffen und sie dort einem mysteriösen „Vern“ zu übergeben.
Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Morgan (Kate McKinnon) macht sich Audrey auf den Weg nach Europa. Dort beginnt, verfolgt von Geheimdiensten und russischen Auftragskillern, eine wilde Katz-und-Maus-Jagd quer über den Kontinent.

MACHART

Hitchcock hat’s erfunden: Unbescholtener Normalbürger wird aus heiterem Himmel in die finstere Welt des Verbrechens katapultiert. Auslöser ist die Jagd nach irgendeinem bedeutungslosen Objekt: dem klassischen McGuffin, in diesem Fall ein USB-Stick.

„Bad Spies“ lebt vom Kontrast zwischen überraschend gut gemachten Action- und teils absurden Comedyszenen. Aber der Film hat Längen. Gerade die eigentlich komischen Szenen finden oft schlicht kein Ende. Da juckt es einen, die Schere anzusetzen.

Die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellerinnen stimmt, besonders Kate McKinnon überzeugt. In Nebenrollen glänzen unter anderem Hasan Minhaj und Sam Heughan als nicht ganz so clevere Agenten, sowie die immer tolle Gillian Anderson als toughe Geheimdienstchefin.

„Bad Spies“ ist von allem ein bisschen: harter Actionfilm, „beste-Freundinnen“-Road-Trip und komplett überdrehte Komödie. Das sind im Grunde keine schlechten Zutaten, nur will es sich in diesem Fall nicht so recht zusammenfügen und lässt den Film oft aus der Balance geraten.

FAZIT

Ganz unterhaltsam. Kürzungen hätten gutgetan, besonders gegen Ende wird’s ermüdend.

USA, 2018
Regie Susanna Fogel
117 min
Kinostart 30. August 2018

Asphaltgorillas

UNENTSCHLOSSENE GANGSTERKOMÖDIE

Berlin bei Nacht. Drogendealer Atris will nicht länger nur Handlanger des Unterweltbosses El Keitar sein. Als er seinen alten Kumpel Frank wiedertrifft, beschließen sie gemeinsam ein großes Ding zu drehen. Aus geliehenen 200.000 Euro sollen 2 Millionen Dollar Falschgeld gemacht werden. Doch der Plan geht schief. Schon bald geraten die Freunde zusammen mit Diebin Marie zwischen alle Fronten.

Oder wie Schauspieler Jannis Niewöhner es kompakter zusammenfasst: „Es gibt einen Hund, es gibt einen Schlüssel. Es gibt zwei Liebespaare und es gibt Gangster. Und alle verstricken sich ineinander und es führt zu einem riesigen, schönen Chaos.“

Asphaltgorillas basiert auf der Kurzgeschichte „Der Schlüssel“ von Ferdinand von Schirach.

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„by Buck“, heißt es selbstbewusst im Vorspann. In diesem Fall ist das eher als Warnung zu verstehen. Regisseur Detlev Buck will alles auf einmal und verzettelt sich dabei in zu vielen Ansätzen. Derbe Klamotte oder pathetische Heldengeschichte, cooler Quentin-Tarantino-Verschnitt oder platte deutsche Comedy: der Film kann sich nicht entscheiden, was er denn nun sein will. Die offensichtlichen Vorbilder „Drive“, „Kill Bill“ – oder aktueller „Baby Driver“ – bleiben unerreicht.

Wenigstens sind die Bilder gut: Kameramann Marc Achenbach hat das neonbeleuchtete nächtliche Berlin schön stimmungsvoll eingefangen. Und auch die Schauspieler gehen größtenteils in Ordnung: Georg Friedrich gibt den schrägen Ösi-Vogel. Ella Rumpf überzeugt als coole Diebin Marie. Oktay Özdemir sorgt für ein paar anständige Lacher als Sidekick Mo. Und Kida Khodr Ramadan schafft es als Unterweltboss El Keitar, gleichzeitig bedrohlich und komisch zu sein. Nur Jannis Niewöhner schießt weit übers Ziel hinaus und grimassiert am Rande der Klamotte.

FAZIT

Mit „Knallhart“ hat Detlev Buck bereits 2005 den besseren Kleingangsterfilm abgeliefert. „Asphaltgorillas“ ist eine Ansammlung von mehr oder weniger gelungenen Vignetten, die sich nicht zu einer stimmigen Geschichte fügen.

Deutschland 2018
Regie Detlev Buck
103 min
Kinostart 30. August 2018

Safari – Match me if you can

NO MATCH

Die Datingwelt hat sich in den letzten Jahren neu erfunden: Augenkontakt war gestern, jetzt gibt’s „matchen“ auf Safari. Und da will die Realität gepimpt werden: zum Beispiel Harry. Der ist eigentlich Busfahrer, gibt sich aber als weltgewandter Flugkapitän aus. Dank dieser erfundenen ID kriegt er die  junge „Influencerin“ Lara rum – denn Frauen stehen total auf Uniform, das ist bekannt…
Davids Problem lässt sich nicht so einfach lösen: mit Mitte 20 ist er immer noch Jungfrau.  Er würde zwar gerne, aber dummerweise kommt er schon bei der leisesten Berührung. Faktisch hatte er also noch nie „echten“ Sex. Und deshalb wird er von Aurelie therapiert – welche wiederum mit Harry verheiratet ist und keine Ahnung vom Doppelleben ihres Gatten hat. Irgendwann trifft David auf Immobilienmaklerin Mona, die verhilft ihm zum „ersten Mal“. Und nebenbei überfordert sie noch den alleinerziehenden Life mit akrobatischem Sex im Auto. Soweit, so kreuz und quer.

MACHART

„Safari – match me if you can“, der krampfige Titel deutet das Unheil schon an: Es sollte wohl leicht und spritzig zugehen, tut es aber nicht. Plumper Fernsehspielhumor, gepaart mit lahmen Dialogen. Dargeboten von unglaubwürdigen Charakteren, die in ihrer Holzschnittartigkeit bestenfalls als Laubsägearbeit durchgehen. Da kann die Musik noch so jazzig locker daherkommen. Nützt nix. Wisch nach links.

FAZIT

Größtenteils unlustige Datingkomödie, in der viel zur Toilette gegangen wird. Somit höchstens Fans von Matthias-Schweighöfer-Komödien zu empfehlen. Einziger Lichtblick: Max Mauff als David.

Deutschland 2018
Regie Rudi Gaul
109 min
Kinostart 24. August 2018

Christopher Robin

FAST OOOOOOOOH!

Christopher Robin (Ewan McGregor), der einst mit seinen Stofftieren jede Menge Abenteuer im Hundertmorgenwald erlebte, ist erwachsen geworden. Sein schlecht bezahlter Job macht ihn unglücklich. Ehefrau Emily (Hayley Atwell) und Tochter Madeline (Bronte Carmichael) fühlen sich zusehends vernachlässigt. Obendrein ist sein Chef Keith Winslow (Mark Gatiss) ein gemeiner Ausbeuter, der ihn zur Wochenendarbeit zwingt. Weil er deshalb einen Familienausflug absagen muss, ist Christopher am seelischen Tiefpunkt angelangt. Doch plötzlich, nach über 30 Jahren, steht sein sprechender Stoffbär Winnie Puuh (Stimme im Original: Jim Cummings) wieder vor ihm. Zunächst glaubt Christopher, er habe den Verstand verloren. Doch je mehr er sich auf seinen alten Freund einlässt, desto glücklicher und befreiter wird er. Der Honig liebende Bär erinnert Christopher mit seinen schlichten aber wahren Weisheiten daran, wie schön die scheinbar endlosen Tage der Kindheit waren.

MACHART

Der Anfang ist vielversprechend: In kurzen, sehr hübsch inszenierten Buchkapiteln, wird noch während des Vorspanns das bisherige Leben von Christopher Robin erzählt. Danach ist’s erstmal mit der Niedlichkeit vorbei. Denn so, wie aus dem unbeschwerten Kind ein verlorener Erwachsener geworden ist, so verliert auch der Film in diesem ersten Drittel seinen Schwung. Erst durch das Auftauchen von Tigger, I-Ah, Ferkel und all den anderen Freunden, kommt die Leichtigkeit und die nötige Portion Humor zurück. „Christopher Robin“ ist nicht unbedingt ein Kinderfilm geworden. Eher ein Gleichnis für Erwachsene, die sich ein Herz für Stofftiere bewahrt haben. Das 50er-Jahre Setting ist liebevoll ausgestattet und die Animation der Tiere technisch perfekt. Genauso würde es wohl aussehen, wenn Teddybären zum Leben erwachen würden. Trotzdem, das letzte Quäntchen Herz fehlt. Paddington 2 hat das letztes Jahr irgendwie besser hinbekommen.

FAZIT

Fast der ganz große Familienfilm 2018. Aber etwas fehlt. Hätte die Lobi AG (www.lobiag.com) diesen Film produziert, wäre er womöglich DEUTLICH niedlicher und herzerwärmender geworden.

USA, 2018
Regie Marc Forster
104 min
Kinostart 16. August 2018