ALLES ÜBER MARTIN SUTER. AUSSER DIE WAHRHEIT.

Kinostart 06. Oktober 2022

Die große Zeit des Martin Suter scheint vorbei, nach ein paar genialen Werken um die Jahrtausendwende waren seine letzten Bücher zunehmend banal und enttäuschten sowohl Leser als auch Kritiker. Nun hat Regisseur André Schäfer dem Schweizer Romancier ein filmisches Denkmal gesetzt, in dem – der von Suter selbst erfundene Titel lässt es erahnen – alles und nichts über den Autoren verraten wird.

In der fiktionalen Dokumentation kommen Suter und seine Weggefährten zu Wort, vermischt mit nachgestellten Szenen aus den Romanen „Small World“ und „Die dunkle Seite des Mondes“. Der Autor selbst taucht dabei als stiller Beobachter auf, sozusagen als Schöpfer, der Teil seines Werks wird. Bei der visuellen Umsetzung wird dabei nicht gerade auf die Fantasie der Zuschauer vertraut. Heißt es im von Andreas Fröhlich gesprochenen Off-Text beispielsweise: „Er zündete sich eine Zigarette an und blickte aus dem Fenster“, dann – ja genau – sieht man eben das. Meta ist das nicht. Auch von den Zwängen und Mechanismen des Autorendaseins erfährt man nicht allzu viel. Die fast fiktiv wirkende Figur des brillantinefrisierten „Mannes von Welt“ Suter bleibt so unnahbar wie eine erfundene Figur in einem Roman. Nur in wenigen Szenen, wie der mit seiner Adoptivtochter oder bei den gemeinsamen Bühnenauftritten mit Musikerfreund Stephan Eicher blitzt der Mensch Martin Suter durch.

Schwer zu sagen, ob „Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit“ ein adäquates Bild des Bestsellerautors zeichnet, immerhin ist es eine unterhaltsame Annäherung an das Phänomen Suter. Dass man am Ende des Films noch mal einen der frühen Romane des Autors lesen möchte, ist ja nicht das schlechteste Zeichen.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Schweiz 2022
90 min
Regie André Schäfer

alle Bilder © DCM

PETER VON KANT

Kinostart 22. September 2022

François ❤️ Rainer Werner. Nach der kongenialen Verfilmung des Fassbinder-Theaterstücks „Tropfen auf heiße Steine“ (2000) feierte in diesem Jahr Ozons Interpretation des 1972 entstandenen Films „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ Premiere bei der Berlinale.

Peter von Kant ist ein erfolgreicher Filmregisseur und ein echtes Scheusal. Seinen stummen Diener und Assistenten Karl behandelt er wie Dreck. Eines Tages lernt er den jungen Amir kennen. Peter verliebt sich unsterblich in den sexy 24-Jährigen. Er will Amir eine Karriere im Filmgeschäft ermöglichen, lädt ihn ein, bei sich zu wohnen. Neun Monate später ist aus dem schüchternen Jungen ein manipulativer, launischer Star geworden, der sich bald darauf von Peter trennt. Der Regisseur leidet.

„Peter von Kant“ ist ein echter Ozon – stilsicher, artifiziell und ungewöhnlich. Anders als in Fassbinders Film ist hier die Titelrolle männlich besetzt. Das beschert der Geschichte vom cholerischen Filmregisseur eine neue Ebene, denn Peter von Kant ist ganz offensichtlich dem echten Fassbinder nachempfunden. Hanna Schygulla, die auch im Original mitspielt, hat hier einen Gastauftritt als Mutter des Regisseurs. Die Titelrolle ist mit Denis Ménochet besetzt, der bereits zweimal für Ozon vor der Kamera stand.

Dramatisches Theater: François Ozon hat ein etwas zu wortreiches (weniger euphemistisch: geschwätziges), aber ausgezeichnet gespieltes Kammerspiel inszeniert.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Peter von Kant“
Frankreich 2021
84 min
Regie François Ozon

alle Bilder © MFA+ FilmDistribution

WARTEN AUF BOJANGLES

Kinostart 04. August 2022

Vom Song „Mr. Bojangles“ existieren etliche Cover-Versionen, das Original stammt von Jerry Jeff Walker aus dem Jahr 1968. In Régis Roinsards Film wird der Welthit nun von Marlon Williams neu interpretiert. Framerate kann auch Formatradio, deshalb hier die Top Four aus vier Jahrzehnten:

Camille – oder Antoinette, wer nimmt das schon so genau, denn „ein Name für ein ganzes Leben ist zu langweilig“ – und Georges verlieben sich Ende der 1950er-Jahre Hals über Kopf ineinander. Neun Monate später kommt ihr Sohn Gary zur Welt. Die unkonventionelle Kleinfamilie lebt zwischen Realitätsverweigerung (Briefpost bleibt grundsätzlich ungeöffnet) und einer Welt voller Fantasie und Poesie. Bei den allabendlichen Cocktailpartys mit Dutzenden von Gästen führt der mittlerweile 10-jährige Gary Erwachsenengespräche und seine Eltern tanzen zu „Mr. Bojangles“. Ein Tanz am Abgrund, denn während George einen Rest Bodenhaftung behält (er geht jeden Tag zur Arbeit in seine Autowerkstatt), entgleitet Camille zusehends in manische Depressionen und wird bald eine Gefahr für sich und andere. Eine Einweisung in die psychiatrische Klinik scheint unausweichlich.

Dass es „Warten auf Bojangles“ in dieser Version gibt, ist der Frau des Regisseurs zu verdanken, denn die sagte, nachdem sie das Buch gelesen hatte: „Wenn Du daraus keinen Film machst, verlasse ich Dich.“ Ihr Wunsch war ihm Befehl. Mit der Verfilmung des Romans von Olivier Bourdeaut knüpft Régis Roinsard an den leicht slapstickartigen Retro-Ton seines Erfolgsfilms „Mademoiselle Populaire“ an (ebenfalls mit Romain Duris in der Hauptrolle). 

Vor allem zu Beginn ist der Geist von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ zu spüren. Farbenfroh, leicht versponnen und sehr französisch – eine idealisierte Welt mit imposanter Ausstattung am Rande des Kitsches. Doch im Gegensatz zu Jean-Pierre Jeunets Klassiker kippt „Warten auf Bojangles“ in der zweiten Hälfte in ein handfestes Drama, in dem vor allem Virginie Efira als Camille ihre schauspielerischen Fähigkeiten entfalten kann. „Warten auf Bojangles“ ist eine etwas zuckrige Dramödie, tonal irgendwo zwischen „Amélie“ und „Betty Blue“, die sich gegen Ende ein wenig zieht.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „En attendant Bojangles“
Frankreich / Belgien 2021
124 min
Regie Régis Roinsard

alle Bilder © STUDIOCANAL

MONEYBOYS

Kinostart 28. Juli 2022

„Sei doch nicht so depressiv, lach doch mal.“ Ein guter Rat, den Fei leider nicht befolgen mag. Das Leben als schwuler Stricher in China ist eben kein Spaß: Die Freier sind ausnahmslos alt, brutal oder getarnte Undercover-Cops. Immerhin stimmt die Bezahlung, sodass Fei seine Familie auf dem Land finanziell unterstützen kann. Doch obwohl sie sein Geld gerne annehmen, führt ein Besuch im Heimatdorf zu Streitereien, denn der Verwandtschaft sind Gerüchte über Feis Einkommensquelle zu Ohren gekommen. Nur sein Jugendfreund Long stört sich nicht daran und folgt Fei in die Großstadt.

Regisseur C.B. Yi (der an der Wiener Filmakademie bei Michael Haneke studiert hat) interessiert sich in seinem Debütfilm neben der gesellschaftlichen Ausgrenzung – Homosexualität und Prostitution sind im Reich der Mitte illegal – auch für die Auswirkungen der Landflucht von Chinas Jugend. Not so funfact: Obwohl die Geschichte in Südchina spielt, musste in Taiwan gedreht werden – dem Filmteam wurde aufgrund des heiklen Themas die Drehgenehmigung verweigert.

Zwischendurch möchte man Fei in den (Knack-)Arsch treten, um ihn aus seiner lähmenden Passivität aufzuwecken. Das sehr langsame Erzähltempo (Szenen dauern mitunter Minuten, ohne dass etwas Erwähnenswertes passiert) sorgt für ein etwas zähes, aber visuell ansprechendes  Kinoerlebnis: Die Bildkompositionen von Kameramann Jean-Louis Vialard sind in ihrer strengen Ästhetik erlesen schön.

„Moneyboys“ gehört damit in die Kategorie der Filme, die einen Einblick in fremde Kulturen gewähren, ohne dabei mit übertrieben viel Geschichte zu fesseln. Dramaturgisch verwehrt sich Yi den üblichen Erzählweisen: Fei bleibt von der ersten bis (fast) zur letzten Einstellung vom eigenen Dasein gelähmt – auf Katharsis wartet man vergeblich.

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Originaltitel „Moneyboys“
Österreich / Frankreich / Belgien / Taiwan 2021
120 min
Regie C.B. Yi

alle Bilder © Salzgeber

DIE MAGNETISCHEN

Kinostart 28. Juli 2022

Eine Provinzstadt in der Bretagne 1981: Zwei Brüder betreiben einen Piratensender – der selbstbewusste Jérôme moderiert, der jüngere Philippe besorgt die Technik im Hintergrund. Zum Geld verdienen arbeiten die Beiden in der Autowerkstatt ihres Vaters. Mit dem Alten liegt Jérôme allerdings im Dauerstreit. Philippe quälen ganz andere Sorgen – ihm droht der Militärdienst in Berlin. Und dann ist er auch noch unsterblich in die Freundin seines Bruders verliebt.

Die (fast schon vergessenen) gelben Autoscheinwerfer, ein paar unvorteilhafte Frisuren und viel analoge Radiotechnik – Regisseur Vincent Maël Cardona lässt die frühen 80er in Frankreich wieder lebendig werden. „Die Magnetischen“ spricht nicht nur das Auge, sondern besonders das Gehör an. Philippe ist viel mehr als einer, der nur die neusten Platten von Joy Division und Iggy Pop auflegt und das Mischpult bedient. Klänge und Musik sind für den schüchternen 20-Jährigen ein Sprachersatz.

Der Höhepunkt des Films spielt in einem Berliner Radiostudio – von dort will Philippe ein Grußwort an seine Freundin senden. Doch ihm versagt die Stimme. Stattdessen kreiert er in einer wilden Spontan-Performance mit an Kabeln schwingenden Mikrofonen, Kaffeetassen auf Plattentellern und handgemachten Samples eine grandiose Live-Sound-Installation.

„Die Magnetischen“ ist eine Liebeserklärung an die Jugend und das Leben. Die Botschaft: Halte dein inneres Feuer am Brennen, höre auf dein Herz und lass dich nicht von gesellschaftlichen Normen erdrücken. Wie wahr. Regisseur Cardona ist mit seinem ersten Film ein kleines Wunder gelungen. Melancholisch schön und mit drei aufregenden Jungschauspielern besetzt. „Les Magnétiques“ gewann den César als bester Debütfilm, Hauptdarsteller Thimotée Robart wurde als bester Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les Magnétiques“
Frankreich / Deutschland 2021
98 min
Regie Vincent Maël Cardona

alle Bilder © Port au Prince Pictures

DER SOMMER MIT ANAÏS

Kinostart 21. Juli 2022

Flatterhaft und flüchtig: So lässt sich der Charakter von Anaïs am ehesten beschreiben. Wie ein Duracell-Hase rennt die leicht neurotische 30-Jährige durchs Leben. Immer ein bisschen in Zeitnot, mit wenig Rücksicht auf andere. Die Miete ist seit drei Monaten überfällig – kein Problem, Anaïs kann das Eckige rund quatschen. Ihrem Freund erzählt sie nebenbei von einem Termin beim Arzt, eine Abtreibung – keine große Sache. Die Beziehung endet, Anaïs hat sich schon in den nächsten Mann verguckt, den deutlich älteren Softie Daniel. Doch die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung, als Anaïs Emilie, die Ehefrau ihres neuen Liebhabers,  kennenlernt. Bei einem Literaturfestival auf dem Land kommen sich die beiden Frauen näher und verlieben sich.

Es wird viel und schnell geredet, zunächst in Paris, später auf einem idyllischen Landgut in der Bretagne – höchst französische Laberitis. Charline Bourgeois-Tacquet inszeniert ihre etwas sperrige Dreiecksbeziehung, ohne zu moralisieren. Ob hetero oder lesbisch ist nebensächlich, es geht um Liebe, und die fällt bekanntlich, wohin sie will.

Jung, wild, ungestüm –  Im freien Geiste könnte Anaïs eine Schwester von Frances Ha oder Julie aus „Der schlimmste Mensch der Welt“ sein, ohne allerdings deren (filmische) Genialität zu erreichen. „Les amours d’Anaïs“ ist eine leichtfüßige Komödie, der es zwischendurch ein wenig an Substanz fehlt. Doch das machen die beiden Hauptdarstellerinnen wieder wett: Anaïs Demoustier und Valeria Bruni Tedeschi spielen die Amour Fou zwischen der jungen und der reiferen Frau grandios.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les amours d’Anaïs“
Frankreich 2021
98 min
Regie Charline Bourgeois-Tacquet 

alle Bilder © Prokino 

MONSIEUR CLAUDE UND SEIN GROSSES FEST

Kinostart 21. Juli 2022

Multi-Kulti-Familie, die Dritte. Diesmal wollen die Verneuils ihren vierzigsten Hochzeitstag mit einem erneuten Eheversprechen feiern. Zu diesem Anlass laden ihre vier Töchter die Familien der vier Schwiegersöhne ein. Das passt Vater Claude gar nicht.

Nach dem ersten Teil ging’s bergab. Statt einer erwähnenswerten Handlung reiht der Film sketchartige Szenen aneinander, die sich nie zu einer richtigen Geschichte fügen. Für eine Komödie gibt es erstaunlich wenig zu lachen. Wenigstens können Christian Clavier und Chantal Lauby immer noch als schlagfertiges Ehepaar erfreuen, die meisten anderen Figuren sind nervige, zweidimensionale Charaktere aus der Klamottenkiste. Doof.

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Originaltitel „Qu’est-ce qu’on a tous fait au Bon Dieu?“
Frankreich 2021
98 min
Regie Philippe de Chauveron

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih

CORSAGE

Kinostart 07. Juli 2022

Bald 70 Jahre post Romy Schneiders Darstellung für die Ewigkeit feiert die österreichische Kaiserin Sisi mediale Wiederauferstehung. Nach der RTL-Serie, deren zweite Staffel gerade produziert wird, kommt nun Marie Kreutzers ungewöhnlicher Cannesbeitrag in die Kinos.

Elisabeth („Sisi“) begeht bald ihren 40. Geburtstag. Damit gehört sie offiziell zum alten Eisen, denn in dem Alter hatten Frauen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Lebenserwartung erreicht. Noch wird sie vergöttert, für ihr strahlendes Aussehen angehimmelt, doch die Uhr tickt. Sisi ist eine lebenshungrige Frau, die es Leid ist, jeden Tag ihre Taille zu schnüren und sich allen Genüssen zu verweigern. Ihr Widerstand gegen ihr öffentliches Bild wird immer größer – sie beginnt, sich aus dem höfischen Korsett zu befreien.

Die Luxemburgerin Vicky Krieps spielt Kaiserin Elisabeth schön spröde und geheimnisvoll. Und die wie immer herausragende Kameraarbeit Judith Kaufmanns ist ein weiterer großer Pluspunkt des Films. Die Marotte, historische Stoffe bewusst mit modernen Elementen zu vermischen, wirkt dagegen angestrengt. Abends singt der Hofstaat britische Popsongs zur Harfe und der Schlossplatz sieht aus, als sei der Reisebus gerade aus dem Bild gefahren. Ist natürlich Absicht, genauso wie die sichtlich angeklebten Backenbärte. Die Übersetzung in die Popkultur wirkt hier allerdings unentschieden, das hat die Netflix-Soap „Bridgerton“ oder Sofia Coppola mit „Marie Antoinette“ besser und mutiger durchgezogen.

Das Gekünstelte kann man natürlich auch als „märchenhaft“ schönreden, womit sich dann der Kreis zu Romys Sisi wieder schließt. Denn auch die war in ihrer Heimatfilm-Kitschwelt meilenweit von der Realität entfernt.

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Österreich / Luxemburg / Deutschland / Frankreich 2022
113 min
Regie Marie Kreutzer

alle Bilder © Alamode Film

WIE IM ECHTEN LEBEN

Kinostart 30. Juni 2022

Juliette Binoche macht den Günter Wallraff und mischt sich inkognito unter die sozial Benachteiligten Frankreichs. Klos schrubben, Betten beziehen, Böden wischen. Und das bitte im Akkord, denn Zeit ist Geld. Marianne muss sich an das harte Arbeitsleben gewöhnen, denn bisher war sie „nur“ Hausfrau und Mutter, hat für ihren vermögenden Mann die Buchhaltung gemacht. Doch der hat sie betrogen und nun muss sie bei null anfangen. So wenigstens ihre gut erfundene Biografie.

Tatsächlich ist Marianne eine erfolgreiche Autorin, die ein Buch über den Alltag der Geringverdiener schreiben will. Und weil Erlebnisse aus erster Hand immer am besten sind, taucht sie mit falscher Identität in die Welt der Hilfsarbeiterjobs ein. Besonders mit Christele, einer toughen jungen Frau, die sich mit drei Kindern durchs Leben schlägt, verbindet sie bald eine enge Freundschaft.

In unkundiger Hand wäre die Geschichte von der sensiblen Autorin und ihren neuen Freundinnen aus dem Prekariat wahlweise ultradeprimierend oder vor Kitsch triefend geraten. Doch der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller und Regisseur Emmanuel Carrère weiß genau, wie es geht: kein falscher Ton, keine forcierte Gefühlsduselei. Bei seinem zweiten Spielfilm kann er sich auf ein ausgezeichnetes Ensemble verlassen, mit einer wunderbaren Juliette Binoche in der Hauptrolle und einer ganzen Reihe umwerfender Laiendarstellerinnen an deren Seite. Guter Film.

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Originaltitel „Ouistreham“
Frankreich 2021
106 min
Regie Emmanuel Carrère

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih

A E I O U – DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE

Kinostart 16. Juni 2022

Age is just a number: Die 60-jährige Schauspielerin Anna und ihr 17-jähriger Schüler Adrian verlieben sich ineinander. 

Niemand kann rational beweisen, dass ein bestimmtes Geschmacksempfinden das richtige ist: Dem einen gefällt Helene Fischer, der andere mag Toast Hawaii. Auf die Qualität des deutschen Berlinale-Wettbewerbsbeitrags „A E I O U“ kann man sich hingegen problemlos einigen: Der ist einfach schlecht, oder?

Abgesehen von einem wirren Drehbuch, das nur eine halbe Handvoll guter Momente hat, war wohl selten ein talentfreierer Jungmime als Milan Herms in einer Hauptrolle zu sehen. Niedliches Aussehen allein reicht eben nicht. Wenigstens befindet er sich in guter Gesellschaft, denn auch Udo Kier war immer schon mehr „Typ“ als begnadeter Schauspieler. Nö, das kann nicht mal Sophie Rois retten. Nach der Premiere gabs trotzdem tosenden Applaus. Vielleicht kann man sich über Geschmack ja doch streiten?

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Frankreich 2022
104 min
Regie Nicolette Krebitz

alle Bilder © Port au Prince Pictures

FRANCE

Kinostart 09. Juni 2022

„France“ ist peinlich. Es fängt schon furchtbar an: In einer Montage aus inszeniertem Material und einer echten Pressekonferenz fragt die Starjournalistin France de Meurs den französischen Präsidenten, ob er achtlos oder hilflos sei. Während Macron geduldig antwortet, blödeln France und ihre Produzentin mit obszönen Beckenbewegungen und Züngeleien derart hemmungslos, dass man sich kurz nach der Seriosität von „Dumm und Dümmer“ sehnt.

„France“ ist nicht lustig. Ein ganz banaler Verkehrsunfall: France fährt einen jungen Mann über den Haufen, anschließend entdeckt sie, dass ihre Tränendrüsen funktionieren. Fortan weint sie in fast jeder Szene. Gegen ihre aufgewühlten Emotionen hilft nur eine Kur im Sanatorium. Dort, im Liegestuhl auf die Berge blickend, folgt das nächste Highlight der „genialen Mediensatire“: Eine völlig überdrehte Juliane Köhler schnattert sich über die Anwesenheit der deutschen Bundeskanzlerin in Rage, nur deren Namen will ihr partout nicht einfallen. Es ist – SPOILER – Angela Merkel.

„France“ hat auch ein paar gelungene Szenen. Die zeigen France als überambitionierte Kriegsreporterin, die ihr Kamerateam und sich für die perfekte Einstellung in Lebensgefahr bringt. Wag the dog – Wenn die Realität zu harmlos aussieht, schubst die Journalistin schon mal aufständische Einheimische durchs Bild, bis die Dramatik passt. Paul Ronzheimer gefällt das.

„France“ kann man sich sparen. Zum Thema „Journalismus im Film“ gibt es unzählige Werke, aber mit Sicherheit war keines so schlecht gemacht und unrealistisch wie dieses. Satirisch ist daran gar nichts, höchstens unfreiwillig komisch. Die pseudomoralische Metamorphose von der kalten Journalistin zum empathischen Menschenkind ist komplett unglaubwürdig. Nicht mal eine bessere Schauspielerin hätte das retten können. Schon gar nicht Léa Seydoux, die sich hier auf einen einzigen Gesichtsausdruck beschränkt – wahlweise mit und ohne Tränen. Ca vaut pas la peine!

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Originaltitel „France“
Frankreich / Deutschland / Belgien / Italien 2021
133 min
Regie Bruno Dumont

alle Bilder © MFA+ FilmDistribution

MEINE SCHRECKLICH VERWÖHNTE FAMILIE

Kinostart 12. Mai 2022

Die drei Kinder des Geschäftsmannes Francis Bartek glänzen durch Faulheit und verschwenderischen Lebensstil. Statt etwas aus sich zu machen, werfen sie lieber das Geld aus dem Fenster, das ihr Vater hart erarbeitet hat. Zeit, der Brut eine Lektion zu erteilen.

Talent borrows, genius steals – wusste schon Oscar Wilde. So gesehen ist die französische Komödie „Meine schrecklich verwöhnte Familie“ ein geniales Werk.

Die Parallelen zu „Schitt’s Creek“ sind nicht zu übersehen. Der Unterschied: In der preisgekrönten US-Serie verschlägt es eine ehemals steinreiche Familie in eine ländliche Kleinstadt, nachdem sie tatsächlich ihr ganzes Vermögen verloren hat. Bei „Meine schrecklich verwöhnte Familie“ ist die unfreiwillige Begegnung mit (igitt) Arbeit und (igittigitt) normalen Menschen eine inszenierte Lehre fürs Leben. Der Vater dreht seinen drei schnöseligen Kindern den Geldhahn nur vorübergehend zu. Weniger Fallhöhe, eine Light-Interpretation von „Schitt’s Creek“ sozusagen.

Nicolas Cuches Komödie ist sehr, sehr leichte Kost und kippt oft ins Klamaukige. Die guten Momente werden unter einem Berg mäßig komischer Flachwitze vergraben. Immerhin gibt die sonnig-südfranzösische Atmosphäre schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf den Sommer.

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Originaltitel „Pourris gâtés“
Frankreich 2021
95 min
Regie Nicolas Cuche

alle Bilder © TELEPOOL

IN DEN BESTEN HÄNDEN

Kinostart 21. April 2022

„Julie! JULIE!“ Raphaela fällt vor Wut aus ihrem Krankenhausbett. Die Comiczeichnerin hat sich bei einem Sturz den Ellbogen gebrochen, liegt nun in einer Pariser Notaufnahme und brüllt nach ihrer Freundin. Die beiden sind seit zehn Jahren ein Paar, doch in den letzten Monaten gab es viel Streit, ihre Beziehung scheint am Ende. Derweil tobt draußen auf den Straßen das Chaos. Bei einer Demonstration der Gelbwesten geht die Polizei mit äußerster Brutalität vor. Die diensthabenden Ärzte und Schwestern sind am Limit. Unterbesetzt, zu wenig Material und dann auch noch ein nicht abreißender Strom an Verletzten. Als der angeschossene LKW-Fahrer Yann zu Raphaela ins Zimmer verlegt wird, prallen Vorurteile und Wutbürgertum aufeinander.

Catherine Corsini legt den Finger in die Wunde und das soll bekanntermaßen wehtun. „In den besten Händen“, im Original passender La Fracture – erzählt nicht nur vom gebrochenen Ellbogen, sondern vom Bruch, der die Gesellschaft spaltet. Pflegenotstand, soziale Ungerechtigkeit, Klassen-Ressentiments –  Corsini packt brennende Themen in ihre Geschichte und scheut sich nicht, ihre Figuren ganz lebensecht, auch mal enervierend und unsympathisch sein zu lassen. Dabei wechselt sie gekonnt zwischen komödiantischem und dramatischem Ton.

Mit Valeria Bruni Tedeschi und Marina Foïs, sowie Aissatou Diallo Sagna, die auch im wirklichen Leben als Krankenschwester arbeitet, ist „In den besten Händen“ ein anstrengendes, aber berührendes Drama geworden. Der französische Film ist für 6 Césars nominiert und gewann bei den Filmfestspielen in Cannes 2021 die „Queer Palm“.

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Originaltitel „La Fracture“
Frankreich 2021
98 min
Regie Catherine Corsini

alle Bilder © Alamode Film

HAUTE COUTURE

DIE SCHÖNHEIT DER GESTE

Kinostart 21. April 2022

Ein französischer Film mit der großartigen Nathalie Baye in der Hauptrolle, der hinter die Kulissen der Pariser Modewelt blickt – was kann da schon schief gehen, fragen Sie? Leider einiges. Drehbuchautoren aufgepasst, so konstruiert man zum Beispiel keine gute Geschichte: Esther leitet im Modehaus Dior ein Atelier für die Haute-Couture-Kollektion. Durch ihre Hände gleiten die erlesensten Stoffe, sie sorgt dafür, dass die Entwürfe der Designer als perfekt genähte Unikate auf dem Laufsteg gezeigt werden können. So weit, so interessant. Eines schönen Tages wird ihr in der Metro die Handtasche geklaut. Die Diebin ist Jade, ein Mädchen mit Migrationshintergrund. Da die junge Araberin ihre Tat zwar nicht bereut, aber von ihrer Komplizin auf einen guilt trip geschickt wird (Geld klauen ist ok, aber eine goldene Kette mit Davidstern – das geht gar nicht!), bringt sie die Tasche samt Inhalt der Bestohlenen zurück. Die ist darüber so empört, dass sie die Diebin in ein Restaurant einlädt (?) und ihr ein Praktikum in ihrer erlauchten Nähstube anbietet (??). Dort wird Jade von den Kolleginnen teils herzlich, teils mit Verachtung in Empfang genommen.

Muss noch erwähnt werden, dass sich Jade, obwohl sie nicht einmal weiß, was eine Stecknadel ist („Sind das die mit den Köpfen?“) als Wunderkind entpuppt, deren Hände wie geschaffen sind zum Nähen? Mal vom komplett unrealistischen Verhalten der Figuren abgesehen, benimmt sich die junge Frau in ihrer Ausbildungszeit dermaßen zickig und unverschämt, dass sie in der wahren Welt schon nach 2 Minuten des Hauses verwiesen worden wäre. Hier allerdings folgt eine neue Chance auf die nächste, bald versteht man gar nicht mehr, warum sich nach dem letzten großen Streit plötzlich alle schon wieder lieb haben.

Wie es der Drehbuchzufall so will, hat Esther ein gestörtes Verhältnis zu ihrer eigenen Tochter, während Jades Mutter seit Jahren depressiv zu Hause rumsitzt. Neben der Glucke-Küken-Annäherung geht es in erster Linie wieder mal um einen gebildeten (weißen) Mentor, der einen ungeschliffenen Rohdiamanten unter seine Fittiche nimmt.

Mit einem besseren Autoren und einem Regisseur mit einer klareren Vision hätte „Haute Couture“ ein wunderbarer Film werden können. Denn die Story und das Setting haben Potenzial, die Charaktere sind interessant, die Szenen, die die Herstellung der Edelroben zeigen, sind toll. Aber es gelingt nicht, den Figuren trotz der grandiosen Besetzung echtes Leben einzuhauchen. Dem Film mangelt es an Struktur, einzelne Handlungsfragmente wirken verloren, fügen sich nie zu einer harmonischen Geschichte zusammen. Und so schaffte es „Haute Couture“ über weite Strecken nicht, emotional zu berühren. Da nützt auch der wahllose Einsatz von Popsongs nichts. Schade drum.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Haute Couture – La Beauté du geste“
Frankreich 2021
101 min
Regie Sylvie Ohayon

alle Bilder © Happy Entertainment

WO IN PARIS DIE SONNE AUFGEHT

WO IN PARIS DIE SONNE AUFGEHT

Kinostart 07. April 2022

Oh lala, Paris – Stadt der Liebe: Eiffelturm, Champs-Élysées, Baguette und Rotwein. Dass Jacques Audiards Drama-Komödie mit diesen ausgelutschten Frankreich-Klischees nichts gemein hat, wird schon in der ersten Einstellung klar: Ein Flug über triste Fassaden – Paris kann auch anders: grau und anonym. „Les Olympiades“, so der Originaltitel, ist nach den im 13. Arrondissement erbauten Hochhäusern benannt.

Mittendrin: Vier Millennials und ihre Probleme mit der Liebe. Émilie ist zu schnell für diese Welt. Ihren Job im Callcenter verliert sie, weil sie ihre Zunge nicht im Zaum halten kann. Also braucht sie anderswoher Geld: Der Lehrer Camille zieht als Untermieter bei ihr ein. Jung, attraktiv und single, keine Überraschung, dass die beiden umgehend im Bett landen. Doch die kurze, stürmische Affäre ist nach ein paar Tagen schon wieder vorbei. Und dann ist da noch Nora: Die Jurastudentin hat das große Pech, dem Pornostar Amber Sweet zum Verwechseln ähnlich zu sehen. Das verleitet ihre Kommilitonen dazu, ihr obszöne Anträge zu machen. Nora findet ihre Doppelgängerin im Netz und verliebt sich in das selbstbewusste Cam-Girl.

Der in atmosphärischem Schwarz-Weiß gedrehte Film erinnert an eine zeitgemäße, sehr französische Version von Woody Allens „Manhattan“. Fast unglaublich, dass Regisseur Audiard schon 69 Jahre alt ist, so modern und frisch wirkt sein Film (was unter anderem an dem hervorragenden Elektroscore von Rone liegt).

„Wo in Paris die Sonne aufgeht“ ist eine raue, lebensnahe, großartige Komödie über die Liebes-Irrungen und Wirrungen junger Großstädter in all seinen Schattierungen. Cinquante nuances de Grey. Wer das fröhlich-bunte Paris aus den Reiseführern bevorzugt, sollte sich besser das Netflix-Klischeefest „Emily in Paris“ anschauen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les Olympiades“
Frankreich 2021
106 min
Regie Jacques Audiard

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih

A HERO – DIE VERLORENE EHRE DES HERRN SOLTANI

A HERO – DIE VERLORENE EHRE DES HERRN SOLTANI

Kinostart 31. März 2022

Gleich mal zwei Phrasen zum Einstieg: Lügen haben kurze Beine. Und: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Dabei ist das, was Rahim erzählt, eher eine harmlose Notlüge. Doch die verselbstständigt sich und hat bittere Konsequenzen.

Rahim hat zwei Tage Freigang aus dem Gefängnis. Er sitzt schon eine Weile, weil er Braham Geld schuldet. Doch es besteht Hoffnung: Rahims Freundin hat eine Tasche mit Goldmünzen gefunden. Der Verkauf soll die Schuld begleichen, doch Rahim plagt das schlechte Gewissen. Er will die Münzen der rechtmäßigen Besitzerin zurückgegeben. Die Gefängnisleitung erfährt von der guten Tat und schaltet die Presse ein – positive Nachrichten über edle Gefangene sollen von den eigenen Problemen im Gefängnis ablenken. Plötzlich ist der freundliche Rahim ein Held. Doch seine Geschichte ist nicht rund. Es tauchen Kurznachrichten auf, die ihn wie einen Betrüger dastehen lassen. Die öffentliche Meinung wendet sich gegen ihn. Nicht nur er, auch seine Familie geraten in eine sich immer schneller drehende Spirale der Verdächtigungen.

Oscarpreisträger Asghar Farhadi („Nader und Simin – Eine Trennung“) erzählt in seinem neuen Film ein modernes Märchen. Im Gegensatz zu den Gebrüdern Grimm gibt es bei ihm kein Schwarz und Weiß, die Rollen von Gut und Böse sind nur auf den ersten Blick klar verteilt. „A Hero“ ist ein komplexes Moralstück, ein Drama um Wahrheit und Lüge. Ist Rahim ein Opfer der Umstände? Und ist sein Schuldner Bahram wirklich der Böse? Als Zuschauer muss man die Situation ständig neu einordnen. Je weiter sich die Geschichte entwickelt, desto schwieriger wird es, sich für eine Seite zu entscheiden.

Nach „Ballad of a white Cow“ ein weiterer hervorragender Film aus dem Iran. „A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani“ ist eine intelligente Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft: Die Menschen sind überall gleich – wenn es um das spontane Erschaffen eines Heldenbildes und die genauso schnelle Verurteilung geht, spielt die Nationalität keine Rolle.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ghahreman“
Iran / Frankreich 2021
127 min
Regie Asghar Farhadi

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih

DAS EREIGNIS

DAS EREIGNIS

Kinostart 31. März 2022

„Sind Sie krank?“, fragt der Uniprofessor seine Lieblingsstudentin. „Ich habe die Krankheit, von der nur Frauen betroffen sind und die uns zu Hausfrauen macht“, antwortet Anne. Die Literaturstudentin ist ungewollt schwanger. Und das ist im Frankreich der frühen 1960er-Jahre ein Problem. Die Ärzte raten ihr, die Situation zu akzeptieren. Ihren Eltern will sie sich nicht anvertrauen. Hilfe gibt es keine, denn selbst ihre engsten Freundinnen wollen von dem Thema nichts hören: Abtreibung ist streng verboten und wird mit Gefängnis bestraft. Je mehr Zeit verstreicht, desto verlassener fühlt sich Anne. Sie lässt nichts unversucht, die Schwangerschaft zu beenden, denn als alleinerziehende Mutter fürchtet sie um ihre Zukunft.

Audrey Diwan schafft das schier Unmögliche: Sie erzählt eine dramatische Geschichte, ohne dabei polemisch oder belehrend zu werden. Ein Drama ohne Dramatisierung, schnörkellos und direkt. Ihr Plädoyer für die weibliche Selbstbestimmung spielt zu einer Zeit, als es völlig normal war, dass Schwangere heiraten und ihre beruflichen Träume begraben. Doch die Diskussion über Recht und Unrecht am eigenen Körper ist auch heute noch aktuell und vielerorts noch nicht zu Ende geführt.

Vor allem die unsentimentale und gerade deshalb großartige Anamaria Vartolomei in der Hauptrolle macht „Das Ereignis“ zu einem kleinen Meisterwerk. Der Film gewann beim Filmfestival von Venedig den Goldenen Löwen als „Bester Film“ und setzte sich sogar gegen den Oscarfavoriten „Parallele Mütter“ durch.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „L’évènement“
Frankreich 2021
100 min
Regie Audrey Diwan

alle Bilder © Prokino

KINOSTART AM 17. MÄRZ

KINOSTART AM 17. MÄRZ 2022

PETITE MAMAN

Nach dem Tod ihrer Großmutter hilft die kleine Nelly ihren Eltern beim Ausräumen des Hauses. Beim Spielen im Wald lernt sie die gleichaltrige Marion kennen, die sich als ihre Mutter im Kindesalter entpuppt. Vergangenheit trifft Gegenwart. „Petite Maman“ wirkt wie eine zarte, sehr französische Antwort auf die Netflixserie „Dark“. Céline Sciammas Film erzählt vom Erwachsenwerden, von Trauerbewältigung und Abschiedsschmerz. Schön.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Petite Maman“
Frankreich 2021
72 min
Regie Céline Sciamma

DREI ETAGEN

„Tre Piani“ spielt – der Titel lässt es erahnen – in einem Wohnhaus, genauer in einem Wohnhaus im römischen Vorort Prati. Von oben nach unten: Im 3. Stock wohnt die Richterin Dora, die sich von ihrem anstrengenden Sohn entfremdet hat. Weiter unten dann Lucio, der sich sorgt, ob sein dementer Nachbar eventuell seine Tochter begrapscht hat. Und schließlich Monica, eine junge Mutter mit postnataler Depression. Die intellektuelle Lindenstraße hat zu viele Storys für einen Film und zu wenige für eine Vorabendserie. Die Schauspieler sind gut, kommen aber gegen das humorlose, melodramatische Drehbuch nicht an.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Tre Piani“
Italien 2021
117 min
Regie Nanni Moretti

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KINOSTART AM 10. MÄRZ

KINOSTART AM 10. MÄRZ 2022

DER SCHNEELEOPARD

Männer, die auf Schneeleoparden starren. Der Wildlife-Fotograf Vincent Munier und sein Freund, der Schriftsteller Sylvain Tesson, haben sich warm angezogen und harren nun in der Eiseskälte der tibetanischen Berge auf das seltene und scheue Raubtier. Dabei philosophieren sie über die Natur und die Menschheit. Nick Cave spielt die Musik zu den tiefschürfenden Gedanken. Eskapismus total. Ein schön anzusehender, nachdenklich machender, manchmal in Küchenkalenderpoesie verfallender Film.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „La Panthère des Neiges“
Frankreich 2021
95 min
Regie Marie Amiguet und Vincent Munier

VATERSLAND

Marie findet in einer alten Kiste Fotos und Filmaufnahmen aus ihrer Jugend. Sie begibt sich auf eine Erinnerungsreise zurück in die 1960er-Jahre. Doch es gibt eine große Diskrepanz zwischen den vom Vater gestellten Bildern und ihrer eigenen Wahrnehmung: Von ihrem Schmerz über den frühen Krebstod der Mutter und anderen erlittenen Traumata findet sich nichts in den Fotos und Filmen. Die drei Ebenen in Petra Seegers erstem Spielfilm sind unterschiedlich geglückt: Filmausschnitte und Fotos aus dem Privatarchiv der Regisseurin sind mitunter redundant und vor allem die Spielszenen in der Gegenwart sind recht hölzern inszeniert. Besser dagegen die Rückblenden: Hier gelingt ein authentischer Blick zurück in die muffigen 60er und das erste feministische Aufbegehren eines jungen Mädchens.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
118 min
Regie Petra Seeger

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BALLADE VON DER WEISSEN KUH

BALLADE VON DER WEISSEN KUH

Kinostart 03. Februar 2022

Der Makler macht der jungen Mutter wenig Hoffnung: Witwen, Hundebesitzer oder Junkies haben in Teheran keine Chance auf eine Wohnung. Für ihre Notlage kann die alleinerziehende Mina nichts, denn ihr Ehemann Babak wurde zu Unrecht verurteilt und hingerichtet. Wie ein guter Geist taucht da plötzlich Reza auf, der behauptet, Schulden bei Babak gehabt zu haben, die er jetzt begleichen möchte. Mina ahnt nicht, dass Reza ein Geheimnis vor ihr verbirgt.

Arthousekino aus dem Iran? Keine Angst, „Ballade von der weißen Kuh“ ist viel unterhaltsamer, als es der Inhalt vermuten lässt. Das hervorragend gespielte und ausgezeichnet inszenierte Drama behandelt ein Thema, so alt wie die Menschheit: Schuld und Sühne. Im Iran führte „Ghasideyeh gave sefid“ zu Kontroversen, denn er klagt nicht nur das dortige Justizsystem an, sondern thematisiert noch ein paar weitere Tabus wie Frauenfeindlichkeit und staatliche Unterdrückung. Hauptdarstellerin Maryam Moghaddam führte gemeinsam mit Behtash Sanaeeha die Regie bei diesem stillen und doch wuchtigen Film.

„Ballade von der weißen Kuh“ feierte letztes Jahr seine Weltpremiere bei der Berlinale.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Ghasideyeh gave sefid“
Iran / Frankreich 2020
105 min
Regie Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha

alle Bilder © Weltkino Filmverleih GmbH

EIFFEL IN LOVE

EIFFEL IN LOVE

Kleine Quizrunde für Senioren: Mit welchem Gebäude erlangte Gustave Eiffel im 19. Jahrhundert Weltruhm?

A) Kölner Dom
B) Berliner Fernsehturm
C) New Yorker Freiheitsstatue
D) Londoner Tower Bridge

Richtige Antwort: C. Neben der Erkenntnis, daß niemand Klugscheißer mag, ist das schon wieder eine geschlossene Wissenslücke. Eiffel hat Lady Liberty zwar nicht entworfen, sie aber dank ausgeklügelter Stahlkonstruktion auf Jahrhunderte standsicher gemacht.

Sein nächstes großes Ding ist der Tour Eiffel. 1889, pünktlich zur Pariser Weltausstellung, soll der 324 Meter hohe Turm fertig sein, um eigentlich zwei Jahre später wieder zurückgebaut zu werden. Streikende Bauarbeiter, Probleme mit der Finanzierung, wütende Anwohner – was wie der Bau des BER klingt, ist in Wahrheit die fast gescheiterte Geschichte eines der schönsten Architekturkunstwerke der Welt. Gustave Eiffel will die Weltbevölkerung ursprünglich mit seiner neugebauten Metro beeindrucken, erst die wiedererwachte Liebe zu einer Frau inspiriert ihn zu dem eleganten Phallus mitten in Paris. Weniger sexuell aufgeladen lässt sich in die Form des Eiffelturms auch ein großes A interpretieren, den Anfangsbuchstaben der Angebeteten Adrienne.

Regisseur Martin Bourboulon, sonst eher Spezialist für Komödien, erfindet mit „Eiffel in Love“ das Rad nicht neu: Ein bisschen erinnert das Liebesdrama an „Titanic“ – nur eben nicht zu Wasser, sondern an Land. Wirklichkeit und Fiktion decken sich auch hier nur teilweise: Als der 28-jährige Jungarchitekt in Bordeaux eine Brücke baut, haben Gustave und Adrienne tatsächlich eine leidenschaftliche Beziehung. Ob die Liebe zwischen den beiden allerdings Jahre später noch einmal erblüht und Monsieur Eiffel tatsächlich zum Turmbau inspiriert, ist eine unbewiesene Drehbuchidee.

Die Romanze ist mit Romain Duris und der aus „Sex Education“ bekannten Emma Mackey ausgezeichnet besetzt. Trotz der etwas konventionellen Erzählweise: „Eiffel in Love“ ist unterhaltsam, bildgewaltig und dazu noch romantisch, ohne in Kitsch abzudriften. Vive la France!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Eiffel“
Frankreich 2021
109 min
Regie Martin Bourboulon
Kinostart 18. November 2021

alle Bilder © Constantin Film

DIE GESCHICHTE MEINER FRAU

DIE GESCHICHTE MEINER FRAU

Schiffskapitän Jakob Störr (der Name ist Programm) trifft in einem vornehmen Lokal seinen Freund Kodor. Aus einer Laune heraus wetten die beiden Männer, Jakob solle die nächste Frau, die den Raum betritt, heiraten. Gesagt, getan. Lizzy, jung und hübsch, lässt sich überraschend auf den spontan vorgetragenen Antrag ein. Dass Jakob überhaupt heiraten will, hat nichts mit Liebe zu tun. Er folgt nur dem Rat seines Schiffskochs, eine Ehe würde gegen seine Magenschmerzen helfen. Keine gute Ausgangslage für eine erfolgreiche Beziehung.

Ildikó Enyedis 1920er-Jahre-Epos ist ein hervorragend fotografierter, erlesen ausgestatteter Augenschmaus. Doch es passiert so wenig in den knapp drei Stunden, dass die Szenen einer lieblosen Ehe in ihrer ständigen Wiederholung bald eine einschläfernde Wirkung entfalten.

Neben den ästhetischen Bildern ist Léa Seydoux der einzige Lichtblick in diesem langatmigen Cannes-Wettbewerbs-Beitrag. Die französische Schauspielerin macht das Beste aus ihrer Rolle. Doch gegen das Hauptproblem des Films kann auch sie nichts ausrichten: „Die Geschichte meiner Frau“ fixiert sich auf die falsche Figur. Kapitän Störr ist in seiner bleiernen Antriebslosigkeit der weitaus uninteressantere Charakter in diesem Drama. Die temperamentvolle Lizzy scheint das spannendere Leben zu führen, doch darüber erfährt der Zuschauer so gut wie nichts.

FAZIT

Kunstvoll gepflegte Arthouse-Langeweile.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „A feleségem története“
Ungarn / Deutschland / Frankreich / Italien 2021
169 min
Regie Ildikó Enyedi
Kinostart 04. November 2021

alle Bilder © Alamode Film

CONTRA

CONTRA

Warum sind deutsche Komödien oft so schlecht? In 99,9 % der Fälle ist das Drehbuch schuld an der Misere. Die Lösung: Einfach eine bereits erprobte Idee kaufen, sie für den hiesigen Markt adaptieren und neu verfilmen. So geschehen bei der Elyas-M’Barek-Komödie „Das perfekte Geheimnis“, mit 5 Millionen Besuchern einer der erfolgreichsten Kinofilme 2019. Sönke Wortmanns Dramödie „Contra“ wurde nach dem gleichen Rezept produziert, das Original lief als „Le Brio“ in den französischen Kinos.

Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) ist auf den ersten (und zweiten) Blick ein richtiges Arschloch. Nachdem er die Jura-Studentin Naima Hamid (Nilam Farooq) in einem voll besetzten Hörsaal beleidigt hat und eine Videoaufnahme davon viral gegangen ist, droht er von der Uni zu fliegen. Doch der Universitätspräsident gibt ihm eine letzte Chance: Als ihr Mentor soll er Naima auf einen Debattierwettbewerb vorbereiten. Das Arrangement ist für beide zunächst eine Zumutung.

Wortmann erzählt die Aufsteiger-Geschichte mit allerlei überraschenden Haken und Wendungen. Die eleganten Dialoge sind gespickt mit schönen Boshaftigkeiten und frei von Political Correctness. Herbst und Farooq bei ihren scharfzüngigen Streitgesprächen zuzuhören, macht großen Spaß. Nur im Mittelteil hängt der Film ein bisschen durch, da geht das ungleiche Paar auf Deutschlandtournee – die Debattierwettbewerbe finden übers ganze Land verteilt statt. Es reiht sich eine Zugfahrt-Szene an die nächste. Fast könnte man meinen, die Deutsche Bahn sei Produzentin des Films. Wundern würde es nicht, schließlich bekannte Wortmann schon 1999 in einem Werbespot für das Unternehmen: „Warum ich Bahn fahre? Da laufen einfach die besten Filme.“

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
104 min
Regie Sönke Wortmann
Kinostart 28. Oktober 2021

alle Bilder © Constantin Film

THE FRENCH DISPATCH

THE FRENCH DISPATCH

Wes Anderson ist ein Genie.

5/5

Es gibt wohl kaum einen Regisseur der Gegenwart, der so vor Originalität und visuellem Einfallsreichtum strotzt wie Wes Anderson. Sein neuester Film ist eine liebevoll komische Hommage an den Journalismus. Mit spielerischer Fantasie und visionärem Geist erweckt der Meisterregisseur eine Sammlung von herrlich schrulligen Geschichten zum Leben, die in der letzten Ausgabe des fiktiven Magazins „The French Dispatch“ veröffentlicht werden.
Neben seinem hochkarätigen Stammensemble (u. a. Bill Murray, Owen Wilson, Adrien Brody) haben diesmal die Oscarpreisträgerin Frances McDormand und Jungstar Timothée Chalamet einen unvergesslichen Auftritt. Für das typische Wes-Anderson-Feeling sorgen die fantastische Ausstattung und das liebevolle Spiel mit Miniaturen und Zeichentricksequenzen. „The French Dispatch“ ist ein Muss für Fans. In Cannes gab es dafür minutenlang Standing Ovations.

Wes Anderson ist ein überschätztes One-Trick-Pony.

1/5

Das englische Wort „pretentious“ wurde eigens für den US-amerikanischen Regisseur erfunden. Im Gegensatz zu Woody Allen, der auch nur eine Geschichte in sich trägt, diese aber wenigstens durch wechselnde Genres immer wieder neu verpackt, ergeht sich Anderson in reiner Selbstverliebtheit und zitiert sich am liebsten selbst. Den visuellen Schnickschnack, wie das Spiel mit Farbe und Schwarz-Weiß oder theaterhaft aufgeschnittene Sets kennt man mittlerweile zur Genüge.
Neben den üblichen Verdächtigen sind die immer latent genervt wirkende Frances McDormand und Jungstar Timothée Chalamet mit dabei. Letzterer macht ein paar ironische Bemerkungen über seine knabenhafte Figur. So originell sind Drehbuchautoren: Den gleichen Scherz gab es gerade erst in „Dune“ zu hören.
Wer bisher nicht mit dem Anderson-Universum warm geworden ist, den wird auch „The French Dispatch“ nicht bekehren. Für eine halbe Stunde mögen der visuelle Witz und die sprachliche Akrobatik ganz amüsant sein – auf 108 Minuten gedehnt ist es nur aufgeplusterte Langeweile.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The French Dispatch“
USA 2020
108 min
Regie Wes Anderson
Kinostart 21. Oktober 2021

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany