TALK TO ME

TALK TO ME

Ab 27. Juli 2023 im Kino

Geständnis eines Boomers: Danny und Michael Philippou? Nie gehört!

Da rollt die Generation youtube mit den Augen. Voll cringe, die sind doch weltberühmt! Aber eben nur in der Welt der U-20-Jährigen. Die australischen Brüder betreiben einen sehr erfolgreichen Youtube-Kanal mit dem hübschen Namen „RackaRacka“. Mit TALK TO ME geben sie nun ihr Spielfilmdebüt.

Der Horror kriecht den Nacken hoch

Vielleicht hat jedes Land die Youtube-Stars, die es verdient. Während bei uns mit dem nach Dubai ausgewanderten Mr. Tutroial, Daggi Bee oder Julian Bam die Kreativlatte eher niedrig liegt, sind am anderen Ende der Welt zwei sagenhafte Regietalente aus der Youtube-Blase geschlüpft. Denn das ist das Überraschendste an TALK TO ME – der Horrorthriller ist richtig gut. Gut gespielt, ausgezeichnet gedreht, souverän inszeniert.

Be careful what you wish for: Die Geschichte ist eine zeitgemäße Variation des Gruselklassikers „The Monkey’s Paw“ von W.W. Jacobs. Eine Gruppe Jugendlicher trifft sich regelmäßig zu einem obskuren Partyspiel. Dabei berührt jeweils einer der Teilnehmer die (angeblich abgeschlagene) Hand eines Mediums und kann so in Kontakt mit den Toten treten. Aber Achtung: Länger als 90 Sekunden darf die Verbindung nicht bestehen. Handyvideos von besessenen Mitschülern machen auch Mia und Jade neugierig: Die beiden besten Freundinnen wollen selbst an einer Séance teilnehmen. Doch bald schlägt der Spaß in höllischen Ernst um.

Verweste Leichen, Unwetter, dunkle Familiengeheimnisse. TALK TO ME spielt die Klaviatur der Ängste perfekt und bietet dabei mehr als nur die üblichen Jump-Scares. Der Horror kriecht den Nacken hoch, löst echtes Unbehagen aus. Dass TALK TO ME ein Erstlingswerk ist, kann man kaum glauben. So einen stilsicher inszenierten und gut getimeten Horrorfilm gab es lange nicht.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Talk to me“
Australien 2022
94 min
Regie Danny und Michael Philippou

alle Bilder © capelight pictures

A QUIET PLACE 2

A QUIET PLACE 2

Die Fortsetzung (die dankenswerterweise nicht „A Quieter Place“ heißt) knüpft nahtlos an den Überraschungshit von 2018 an. Wobei, nicht ganz: der Film beginnt zunächst mit einem Rückblick auf den ersten Tag der Katastrophe – und der hat es in sich. Selten sah man ein Kinopublikum synchron so in den Sitzen hochschrecken.

Wer bis jetzt nur Bahnhof verstanden hat – hier eine kurze „Was bis jetzt geschah“-Zusammenfassung: Nach der Invasion von außerirdischen Monstern ist die Menschheit stark dezimiert. Die bitterbösen Viecher töten jeden, der ihnen in die Quere kommt. Ihr extrem gut ausgeprägter Gehörsinn ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits darf niemand, der überleben will, einen Mucks machen, andererseits lassen sich die Monster mit hochfrequenten Tönen halbwegs in Schach halten. Familie Abott – Vater, Mutter, zwei gehörlose Kinder – sind auf der Flucht. Ganz leise versteht sich. Am Ende des ersten Teils hat die Mutter – in einer nervenzerreißend stillen Szene – ein Baby zur Welt gebracht und ein Familienmitglied musste sein Leben lassen.

„A Quiet Place 2“ steht dem ersten Teil in nichts nach. Drehbuchautor und Regisseur John Karsinski (im wahren Leben der Ehemann von Hauptdarstellerin Emily Blunt) ist ein extrem spannender Film geglückt. Thriller inszenieren kann er. Was ihm nicht so liegt, sind Dialogszenen. Die sind in ihrer tranigen Labrigkeit ermüdend, da hängt der Film durch. Zum Glück gibt’s davon nicht allzu viele und der nächste Jump-Scare lauert schon um die Ecke.

FAZIT

Mehr Monster, mehr Stille, mehr Spannung. Gelungene Fortsetzung.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „A Quiet Place 2“
USA 2020
100 min
Regie John Krasinski
Kinostart 24. Juni 2021

alle Bilder © Paramount Pictures Germany

THE BEACH HOUSE

Wenn sich der Zuschauer weder um die Handlung noch um die Charaktere schert, dann ist das keine glückliche Kombination. „The Beach House“ ist eine Super-Low-Budget-Produktion, die aussieht, als hätten sich ein paar Freunde übers Wochenende in einem Ferienhaus getroffen und spontan beschlossen, einen Horrorfilm zu drehen, ohne zu wissen, wie man so was macht.

Die „Geschichte“: Randall will mit seiner Highschoolfreundin Emily ein paar romantische Tage im Strandhaus seines Vaters verbringen. Dort treffen sie auf die Turners, Freunde von Randalls Vater. Die vier beschließen, einen gemütlichen Abend miteinander zu verbringen. Zum Essen gibts Austern und Haschisch-Schokolade. Später zieht dichter Nebel auf, Schleim tropft aus den Wasserhähnen und alle werden zu Zombies außer Emily, denn die mag keine Meeresfrüchte. Ende.

Die Infizierten können sich vor lauter Kotzattacken kaum von der Stelle bewegen – was ihre Bedrohlichkeit stark minimiert – und nach der endgültigen Zombifizierung werden ihre Augen ganz milchig. Warum außerdem überdimensionale Dumplings am Strand rumliegen und Emily sich einen langen Wurm aus dem Fuß zieht, bleibt ebenso unerklärt wie die Frage, weshalb dieser wirre Cocktail aus „Invasion of the Body Snatchers“, „The Fog“ und „Dawn of the Dead“ produziert wurde. Macht alles keinen Sinn.

Originaltitel „The Beach House“
USA 2019
88 min
Regie Jeffrey A. Brown
Kinostart 22. Oktober 2020

alle Bilder © koch films

Weekly Update 02

Toilettenpapierwitze kann jetzt langsam auch keiner mehr hören. Desgleichen Klagen über zu wenig Nudeln, Mehl oder Hefe im lokalen Supermarkt. Ist jetzt halt so, kauft euer Brot doch einfach weiter beim Bäcker, so wie in den letzten 50 Jahren vor Corona.

Ein viel größeres Problem (für framerate) sind die weiterhin geschlossenen Kinos. Die Verleiher gehen aber mittlerweile dazu über, vor allem kleinere Filme nicht mehr irgendwann im Kino, sondern jetzt online zu zeigen – per Video On Demand. Zum Glück, denn die schon vor Wochen verfassten Kritiken würden sonst in der Schublade verschimmeln – und das wäre ja schade.

Den Anfang macht „Kopfplatzen“, den die Edition Salzgeber in ihrem neu gegründeten „Salzgeber Club“ ab 2. April anbietet.

Auch lohnenswert ist der bereits besprochene Horrorthriller „Der Unsichtbare“ – den gibts im deutschen iTunes-Store ab sofort für schlappe 17,99 € zu leihen.

KOPFPLATZEN

Grau, grau, grau sind alle meine Kleider,
grau, grau, grau ist alles, was ich hab’.
Wie viele Shades of Grey gibt es eigentlich? More than 50? „Kopfplatzen“ zeigt sie alle. Vom Hemd über die Wandfarbe bis zur allgemeinen Grundstimmung. Grau auch das Befinden des Zuschauers. Wenn draußen die Welt untergeht, warum sich nicht mal zwei extra-düstere Stunden zu Hause machen?

Der 29-jährige Markus ist Architekt, hat schöne blaue (!) Augen, ist immer schick gekleidet. Ein netter Kerl, der auf Kinder steht. Auf kleine Jungs, um genauer zu sein. Er kann den ganzen Tag an nichts anderes denken, fotografiert sie im Schwimmbad, wirft ihnen verstohlene Blicke im Bus zu, läuft ihnen im Park hinterher. Er leidet unter seiner Veranlagung, sucht Hilfe.
„Verlassen Sie sofort meine Praxis!“ Sein Hausarzt will mit so einem wie ihm nichts zu tun haben. Und auch der Psychiater macht wenig Hoffnung. Heilbar sei die Neigung leider nicht. Da erscheint es als verheerender Wink des Schicksals, dass Jessica mit ihrem achtjährigen Sohn in die Nachbarwohnung einzieht. Der Mann und der Junge freunden sich an, die Mutter verliebt sich in den hilfsbereiten Markus.

Die Dialoge hören sich zwischendurch wie die vorgetragenen Protokolle einer Sitzung beim Psychotherapeuten an. Und auch wenn der Film immer wieder auf klischeehafte Symbolik zurückgreift, schauspielerisch ist „Kopfplatzen“ herausragend. Hauptdarsteller Max Riemelt sagt im Interview lakonisch, dass es keinen Unterschied mache, ob er einen Mörder, einen Nazi oder einen Pädosexuellen spiele. Stimmt, denn in Rollen schlüpfen ist schließlich sein Job. Trotzdem verdient er großes Lob für seinen Mut und die Intensität, mit der er diese Figur spielt. Savaş Ceviz‘ Drama fällt kein Urteil, bleibt ambivalent. Es wäre einfacher, käme Markus als aufgedunsenes, schwitzendes Ekelpaket daher, das im Campingwagen kleine Kinder verführt. Riemelt erzeugt mit der Darstellung des einsamen, bindungsunfähigen Markus verstörenderweise Mitgefühl, ohne eine mögliche Schuld zu verharmlosen.

FAZIT

Kein heiteres Thema, kein heiterer Film.

Deutschland 2019
99 min
Regie Savaş Cevizn 
Ab sofort als VoD im Salzgeber Club für 4,90 €

DER UNSICHTBARE

Universal Pictures hat seine Pläne, ein „Dark Univers“ mit Vampiren, Werwölfen und anderen Monstern zu kreieren nach dem Tom-Cruise-Flop „The Mummy“ zu Grabe getragen. Nun hat sich das Studio zu einem kompletten Reboot entschieden. Und so wie es aussieht, war das eine goldrichtige Entscheidung. Die Neuverfilmung des H. G. Wells Romans „Der Unsichtbare“ ist ein sehr gelungener Horrorthriller geworden, extrem spannend von der ersten bis zur letzten Minute. 

Cecilia Kass (Elisabeth Moss) flieht mitten in der Nacht aus dem Haus ihres kontrollsüchtigen Freundes Adrian. Sie taucht bei ihrem Kindheitsfreund James und dessen Tochter unter. Zwei Wochen später erfährt sie, dass ihr millionenschwerer Ex Selbstmord begangen hat. Doch Cecilias Erleichterung währt nicht lange. Bald ist sie sicher, von einem unsichtbaren Mann verfolgt zu werden. Natürlich glaubt ihr niemand, sie wird für verrückt erklärt.

Die Idee des Films, statt der Geschichte des Unsichtbaren die seines Opfers in den Mittelpunkt zu stellen geht voll auf. Der Perspektivenwechsel lässt den oft erzählten Horrorklassiker neu und frisch wirken. Ganz nebenbei zeigt Regisseur und Drehbuchautor Whannell glaubhaft die Angst und Auswirkungen einer Beziehung des Missbrauchs. Elisabeth Moss liefert als drangsalierte Ex-Freundin wieder mal eine Top-Leistung ab. Der Score von Benjamin Wallfisch ist  wirkungsvoll, Ausstattung und Kamera auf dem Punkt. Unglaublich, dass der Film mit einem Minibudget von 7 Millionen Dollar realisiert wurde.

FAZIT

Nervenaufreibend.

Originaltitel: „The Invisible Man“
USA 2020
110 min
Regie Leigh Whannell
Ab sofort als VoD auf iTunes für 17,99 €

Bird Box

Bird Box erzählt von einer – wieder mal – dystopischen Zukunft: Eine unbekannte Macht treibt alle Menschen, die sie zu Gesicht bekommen, in den spontanen Selbstmord. Diese Macht ist überall, niemand kann ihr entkommen. Nur Innenräume mit zugeklebten Fenstern bieten Schutz, oder einfach die Augen zu machen. Das ist zwar nicht unbedingt logisch, aber Logik ist sowieso nicht die Stärke von Bird Box.

Zu Beginn des Films besteigt Malorie, gespielt von Sandra Bullock, die immer mehr Michael Jackson in seiner ausoperierten Endphase ähnelt, mit zwei Kindern ein Boot (alle mit verbunden Augen, um sich vor dem Anblick der todbringenden Macht zu schützen). Die kleine Truppe paddelt blind einen Fluss herunter, denn Malorie hatte zuvor über Funk erfahren, dass es ein paar Tagesreisen entfernt einen sicheren Zufluchtsort gebe. Mit an Bord ist ein Pappkarton mit zwei Sittichen darin, eine Bird Box eben (wie sich herausstellt, sind Vögel so eine Art Frühwarnsystem für die unheimliche Macht).

Die Szenen mit den drei unfreiwillig Blinden auf dem engen Boot bilden die Rahmenhandlung des Films und sind von Regisseurin Susanne Bier gekonnt umgesetzt. Das ist schön klaustrophobisch, beklemmend und unterschwellig bedrohlich. Wenn nur der Rest des Films genauso spannend wäre.

Die Parallelhandlung, fünf Jahre vorher: Malorie ist hochschwanger. Von einer Vorsorgeuntersuchung kommend, bricht um sie herum plötzlich das absolute Chaos aus: Menschen verlieren von einer Sekunde auf die andere den Verstand und begehen Massenselbstmord (wer M. Night Shyamalans The Happening gesehen hat, dem wird das bekannt vorkommen). Malorie kann sich in ein Haus retten, wo sich bereits ein stereotyper Hollywood-Cast versammelt hat: ein zynischer Alter (gewohnt souverän: John Malkovich), ein Drogendealer, ein gutmütiger Schwarzer, noch eine Schwangere, usw. Nach ein paar Tagen mit den erwartbaren zwischenmenschlichen Spannungen und lahm anbahnenden Liebesgeschichten stößt ein weiterer, zunächst harmlos wirkender Mann zu der Gruppe der Überlebenden. Vor allem Malories Sittiche reagieren nervös auf den Neuankömmling. Nicht lange darauf eskaliert die Situation, das vorhersehbare Unheil nimmt seinen Lauf…

Wer kennt das nicht: Man läuft sehenden Auges mit nackten Füßen gegen den Bettpfosten und reißt sich dabei beinahe den kleinen Zeh ab. Mit verbundenen Augen würde man wahrscheinlich schon im Rollstuhl sitzen. Folglich sind die „Verbundene-Augen-Challenges“, die durch den Hype um Bird Box ausgelöst wurden (80 Mio Abrufe in den ersten vier Wochen bei Netflix), nicht empfehlenswert – Netflix warnte sogar auf Twitter vor den Verletzungsrisiken.

FAZIT

A Quiet Place ist der bessere Film über eingeschränkte Sinnesorgane. Zu Tode riechen wäre dann die nächste naheliegende Filmidee. Bird Box ist für einen Horrorthriller über lange Strecken überraschend langweilig. Nur am Ende wird’s dann doch nochmal richtig gruselig: Da sieht der Film plötzlich wie ein kitschiger Zeugen-Jehova-Werbespot aus.

USA, 2018
124 min
Regie Susanne Bier
Netflix