ARGYLLE

ARGYLLE

Eine globale Spionageorganisation. Ein Agent mit Katzenallergie. Und eine Schriftstellerin, die eigentlich nur ihre Ruhe haben will. Regisseur Matthew Vaughn schickt eine ganze Schar von Top-Stars auf eine knallbunte Jagd rund um die Welt.

Ab 01. Februar 2024 im Kino

Der nächste James Bond-Film lässt auf sich warten – bislang ist noch nicht mal ein neuer Darsteller gefunden, geschweige denn ein Start für die Dreharbeiten bekannt. In der spionagefreien Zeit also Gelegenheit, das Agentenfilmgenre neu zu definieren.

ARGYLLE ist keine Konkurrenz für Bond

Bryce Dallas Howard spielt die Autorin Elly Conway, die es sich am liebsten zu Hause gemütlich macht. Abends schreibt sie in Gesellschaft ihres Katers Alfie Spionage-Romane. Deren Hauptfigur ist Argylle (Henry Cavill), ein smoother James-Bond-Verschnitt mit Maßanzügen und furchtbarer Frisur. Doch eines Tages beginnen sich Fiktion und Realität zu überschneiden. Elly trifft scheinbar zufällig auf den echten Spion Aidan (Sam Rockwell). Bald findet sie sich inmitten einer lebensgefährlichen Mission wieder.

Um es gleich vorwegzunehmen: ARGYLLE ist keine Konkurrenz für 007. Gegen Matthew Vaughns Actiongroteske sind die Bond-Filme der Roger-Moore-Ära philosophisches Arthouse-Kino. Es ist wie bei einem aus dem Ruder gelaufenen Kindergeburtstag: Mehr und mehr und dann noch zehnmal mehr. Am Ende fühlt man sich wie nach einer Karussellfahrt mit fünf kandierten Äpfeln im Bauch.

ARGYLLE ist zu cheesy, die Action zu albern und die CGI-Effekte zu schlecht. Es gibt so viele Wendungen und Überraschungen, dass man kaum hinterherkommt. Der Untertitel könnte auch TWIST – DER FILM lauten. Auf etwas anstrengende Weise macht das eine zeitlang Spaß, aber mit 139 Minuten ist das Ganze entschieden zu lang.

Zum Cast gehören neben Howard, Rockwell und Cavill unter anderem John Cena, Sängerin Dua Lipa, Bryan Cranston, Catherine O’Hara, Samuel L. Jackson. Diese geballte Starpower lässt Kater Alfie allerdings kalt – Berühmtheiten kennt er von zu Hause. Denn im wahren Leben hört er auf den Namen Chip und gehört Regisseur Matthew Vaughns Frau, Supermodel Claudia Schiffer.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Argylle“
GB / USA 2024
139 min
Regie Matthew Vaughn

Argylle

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

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FAREWELL 007

FAREWELL 007

Gastautorin: Brigitte Steinmetz

Daniel Craig ist besoffen. Er schwankt in seinem schwarzen Anzug neben einer dreistöckigen Sahnetorte, die mit der vertrauten James Bond Silhouette verziert ist und jemand hinter ihm hält mit der Handykamera drauf, wie der sonst so stoische Brite einen Gefühlsausbruch erleidet. „Ich liebe euch alle” stammelt Craig „Das war die beste Zeit meines Lebens”. Betrunkene und Kinder sagen bekanntlich die Wahrheit, deshalb wollen wir ihm glauben. Die kurze Szene entstand im Oktober 2019 auf der Wrap-Party von „No Time To Die” in Matera, Italien und wurde seitdem Millionen Mal auf Twitter geteilt. Ein gerührter Daniel Craig ist besser als jedes geschüttelte Martini-Meme, denn das kann nur heißen: Hail The Queen, James Bond hat den Brexit überlebt.

Zuletzt sah es gar nicht gut aus für die Fortsetzung des sieben-Milliarden-Dollar-Franchise. 2015 fluchte Craig gar, dass er sich „lieber die Pulsadern aufschlitzen” würde, als noch mal 007 zu mimen. Bond war seit „Spectre” in Rente und Craig voller Rage. Wir erinnern uns, in der letzten Szene von „Spectre” fährt Bond mit Madeleine Swann (Léa Seydoux) in einer Replik seines alten Aston Martin DB5 der Freiheit entgegen. Für die späte Liebe lässt er M und Miss Moneypenny sitzen und sogar Blofeld (Christoph Waltz) mit dem Leben davonkommen. 
Craig war nicht zufrieden mit seinem letzten Eindruck. Zwischenzeitlich hatte er zwar gebellt, dass er einen weiteren Bond nur für einen monströsen Gehaltsscheck machen würde. Doch nimmt der Mann aus Liverpool seinen Beruf Schauspieler viel zu ernst, um nach dreizehn Jahren einen lauwarmen Abgang zu machen.

„Es fühlte sich an, als müsste ich noch eine Rechnung begleichen. Wäre mit „Spectre” Schluss gewesen, hätte es in meinem Hinterkopf rumort: “warum habe ich nicht noch einen gemacht!”. Ich hatte immer eine heimliche Vorstellung davon, wohin ich mit der Figur will. Spectre war’s noch nicht… aber dieser fühlt sich richtig an.”
Mysteriöse Worte. Auch weil die Genese von „No Time To Die” von Problemen geplagt war. Craig hielt den Betrieb wegen einer Knöchelverletzung monatelang auf. Regisseur Danny Boyle warf mitsamt seinem Drehbuchautor wegen „kreativer Differenzen” hin und wurde durch den sanftmütigen Cary Fukunaga (True Detective) ersetzt.  Kreative Differenzen über was oder mit wem? Die Spekulationen reichten von: Boyle wollte die bald 60 Jahre alte Agentensaga mit einem tödlichen Finale beenden und Produzentin Barbara Broccoli war dagegen, bis: Daniel Craig wollte diesen Bond endlich sterben lassen und Danny Boyle weigerte sich, der Henker zu sein. Wir werden es nie erfahren. Aber allein die Tatsache, dass die Gerüchte sich um den möglichen Tod des unsterblichen Agenten ranken, sagt doch viel über die gegenwärtige Geisteshaltung. Hat sich die Marke Bond überlebt?

Noch nie waren die Zeiten so kritisch für Bond. Der vornehmste Auftrag der 250 Millionen Dollar Produktion „No Time To Die” wird sein, den Arsch von Bond in die Post-#metoo-Ära zu retten. Die Essenz der Figur ist längst aufgelöst. Bond ist ein Relikt aus einem Großbritannien, das sein Erfinder Ian Fleming sich in der Nachkriegszeit erträumte. Großbritannien als Großmacht, in der Spionage als geschickteste Form von Außenpolitik gilt.

„Größe: 183 Zentimeter; Gewicht 76 Kilogramm; schlank, blaue Augen, schwarzes Haar, auf der rechten Backe eine senkrechte Narbe. Guter Sportler, ausgezeichneter Pistolenschütze, Boxer und Messerwerfer. Starker Raucher (Spezialzigaretten mit drei Goldstreifen). Leidenschaften: Alkohol (keine Exzesse) und Frauen”.
Cary Grant hätte den Idealvorstellungen von Fleming entsprochen, doch der war schon zu teuer, als der Agent 1962, neun Jahre nach seiner Romangeburt, im Film auf die Jagd von „Dr. No” geschickt wurde.
Und auch wenn 58 Jahre später die meisten, sogar Craig, immer noch Sean Connery ihren Lieblings-Bond nennen: Der Schotte wurde bei seinem Antritt durchaus nicht nur gefeiert, sondern von der Kritik als rassistisch und menschenverachtend beschimpft.
Dem Publikum wars freilich egal, der geschmeidige Spion wurde neben den Beatles zum erfolgreichsten Briten-Export. Sean Connery galt als Gentleman Agent, obwohl er „Marie” in „Diamonds are Forever” mit ihrem Bikinioberteil erwürgte und Pussy Galores „Nein” in „Goldfinger” mit brutalen Küssen erstickte. Frauen waren willige Accessoires, so austauschbar wie die Spielzeuge aus der Werkstatt von Q.

Der Bond des 20. Jahrhunderts war ein Charmeur ohne Gefühle, ein unverwundbarer Killer, der im Kampf um Leben und Tod allenfalls ein paar Kratzer davontrug. Ein Weltreisender ohne Passprobleme, mit der Lizenz konsequenzlos zu lieben und zu töten, Bösewichter aus fahrenden Zügen zu schmeißen, mit Harpunen abzuschießen und ihre Geheimverstecke in verlassenen Vulkanen in die Luft zu jagen Bond lebte nicht nur zweimal, er war unsterblich. Der elegante, skrupellose Bond, schrieb Bond Experte Dr. Siegfried Tesche vor 25 Jahren im Playboy, war im Nachkriegseuropa „wie ein Überlebenspaket”.

Heldenfiguren erzählen immer etwas über den amtierenden Zeitgeist. Auch wenn Ian Fleming stets beteuerte, seine Romane seien unpolitische Zerstreuung, spiegelten sie doch seine Verstörung über die gesellschaftlichen Umbrüche der Sechzigerjahre wider: Die Emanzipation der Frauen etwa versteht er allein als freie Fahrt für Sex. George Lazenby, der einzige Bond, der nur einmal im Dienste ihrer Majestät in Erscheinung trat, scheiterte vielleicht auch, weil er mit Tracy (Diana Rigg) zu sehr bondete für den Geschmack von 1968. Bond ist zu cool für die Ehe, die Frau muss sterben. Dann doch lieber Roger Moore „ich kann drei Gesichtsausdrücke: Augenbrauen hochziehen, Augenbrauen runzeln und geradeaus schauen” so lange den Zyniker spielen lassen, bis er als „0070” zu peinlich wurde. Auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise versuchte Timothy Dalton mit Charakter gegen Gadgets zu gewinnen. Das Ergebnis überzeugte so wenig wie Pierce Brosnans aufgeblasene Model-Version.
Als Brosnan 1995 zu „Golden Eye” antrat, begrüßte ihn Judy Denchs M als „sexistischen Dinosaurier”. Das Problem war erkannt, doch änderte das nichts daran, dass Bond zunehmend merkwürdig aus der Zeit gefallen schien. 

„Verdammte Scheiße, wie soll ich das anstellen?” war Daniel Craigs erster Gedanke, als er 2005 die Herausforderung annahm, den gestrigen Actionhelden zu modernisieren.
„Es gab immer diese unangenehme Seite an Bond – Sean Connery hat Frauen ins Gesicht geschlagen als 007!” Craig näherte sich seiner Aufgabe als angeschlagener Auftragskiller. „Du kannst ihm nicht verzeihen, aber wenigstens verstehen, warum er sich so verhält.” Das Publikum wollte verstehen.
Casino Royale spielte 2006 über 594 Millionen Dollar weltweit ein, was ihn – bis „Skyfall” – zum erfolgreichsten Bond Film aller Zeiten machte. Keiner redete mehr davon, dass Craig zu klein oder zu blond für die Rolle sei, als er wie einst Ursula Andres in hautenger La Perla Badehose der Karibik entstieg. Kann ein sexy Bond Sexist sein?

Franchise Fans mögen keine Veränderungen. James Bond war eine verlässliche Konstante in der immer schnelleren Welt. So aufregend seine Abenteuer sind, wirken sie in ihrer Formelhaftigkeit beruhigend. Große Eingangsszene, Titelsequenz mit bombastischer Musik, Besuch bei M und Q, Mission in exotischen Destinationen, Eroberung einer oder mehrere Schönheiten, großes Finale, Welt gerettet.
Doch die Welt ist nicht gerettet. Während selbst Marvel-Comichelden längst ein Innenleben zugeschrieben wird, versucht Bond immer noch mit seiner neuen Düsterheit eines zu markieren. Der Wandel ist nur eine Pose. Auch wenn Vesper Lynd (Eva Green) James Bond ganz selbstbewusst einen hübschen Hintern bescheinigt, muss sie trotzdem sterben, damit er frei für die nächste Eroberung ist.

Wie schon in „Casino Royale” musste Craigs 007 auch in „Spectre” alles aufgeben: seine Wohnung, seinen Job, seine Kollegen. Er hat nur eine Wahl, als er mit der Waffe im Anschlag über dem wehrlosen Blofeld, Urheber alles Bösen in Bonds Universum steht: Pflicht oder Liebe, abdrücken oder … abhauen? 
Dass wir keine Ahnung haben, was die Alternative sein könnte, sagt alles über das wahre Geheimnis von James Bond: Wer ist dieser Typ eigentlich, wenn er nicht 007 ist?

Et toi, Daniel Craig?
Wäre er nicht Schauspieler, würde Craig einen exzellenten Geheimagenten abgeben, denn auch nach einem ganzen Leben in der Öffentlichkeit und dreizehn Jahren in einer ikonischen Rolle weiß man über den Mann wenig mehr als zu seinen Anfängen am Provinztheater.

Geboren in Chester am 2. März 1968. Mutter Kunstlehrerin, Vater Pub-Betreiber. Daher recht trinkfest.
„Immer schon die Arroganz besessen”, nichts anderes als Schauspieler sein zu wollen; das Handwerk lernte er an der „Guildhall School of Music and Drama” an der Seite von Rhys Ifans, Ewan McGregor and Joseph Fiennes. Mit 24 heiratete er eine schottische Kollegin, Fiona Loudon, die Ehe hielt vier Jahre, die gemeinsame Tochter Ella ist längst erwachsen. Sieben Jahre war er der unbekannte Schauspieler an der Seite von Heike Makatsch. Danach wurde es aufregend. Sein Ticket nach Hollywood war 2001 „Tomb Raider” mit Angelina Jolie. Als Shakespeare-Schauspieler rechtfertigte er seine Mitwirkung in der Verfilmung eines Videospiels mit „dem Gehaltsscheck”. Wenig später machte er als Kokaindealer in „Layer Cake” Eindruck bei den Kritikern – und Kate Moss. Es gefiel ihm gar nicht, wie die Medien sich 2004 auf seine Affäre mit dem Supermodel stürzten. „Ich verstand das Interesse an zwei öffentlichen Personen” wand er sich noch Jahre später „aber ich werde niemals öffentlich über eine Beziehung sprechen, weil nur Scheißtypen so was tun würden.” Ein Gentleman genießt und schweigt – aber weil er das zu beharrlich auf Pressekonferenzen tat, beschimpften die britischen Tabloids den neuen Bond bald als „James Bland (Langweilig)”.

Interviews mit Craig sind immer noch kein Feuerwerk, besonders, weil er seine Verschwiegenheit mit entwaffnender Höflichkeit tarnt. Dabei ist er schockierend leicht zu erheitern. Wenn man lange genug in Harmlosigkeiten stochert, schiebt er ein paar Puzzlestücke rüber. Auf die Frage etwa, ob die messerscharfen Anzüge, die Tom Ford seinem Bond auf den Leib meißelt, sich auf seinen Stil ausgewirkt hätten, muss er erst kichern. „Style, ich, hihi, also, haha”. Pause. Und dann: „Mein Großvater war Maßschneider. Von ihm habe ich schon als kleiner Junge gelernt, wie ein Anzug zu sitzen hat, wie Stoffe sich anfühlen und wo die Nähte hingehören. Was Maßanzüge betrifft, bin ich sehr verwöhnt.”

Anders als Bond scheint Craig eher Serien-Monogamist als Ladykiller. Zwischen „Ein Quantum Trost” und „Skyfall” verliebte er sich in seine langjährige Bekannte Rachel Weisz bei gemeinsamen Dreharbeiten zu einem psychologischen Thriller. „Dream House” verschwand schnell in der Versenkung, Rachel Weisz wurde seine Frau und 2018 Mutter der gemeinsamen Tochter. Von der klammheimlichen Hochzeit zwischen dem Bonddarsteller und der Oscar Preisträgerin (The Constant Gardener) im Dezember 2011 wussten nur vier Leute. M hätte seine Freude gehabt.

Natürlich erregt es Argwohn, dass Craig seit dem Drehende von „No Time To Die” so gut gelaunt, ja geradezu befreit wirkt. Nach 13 Jahren Bond und Zwischenspielen in finsteren Filmen wie „Defiance” und „Girl With The Dragon Tattoo” hatte er zuletzt endlich mal Spaß als Detektiv in der Krimikomödie „Knives Out”. Eine „Mischung aus Columbo und Miss Marple” mit breitem Südstaatenakzent spielt er da, und es ist beinahe beleidigend, wie überrascht Kritiker von seiner blauäugigen Schusseligkeit sind. Hatten sie wirklich vergessen, was für ein guter Schauspieler Daniel Craig schon immer war? Bond jedenfalls ist seine Sorge nicht mehr. „Who the fuck cares” sagt Craig auf Spekulationen über seine Nachfolgerschaft. Fest steht immerhin, dass es keine Jane Bond geben wird. Auch wenn eine Frau (Lashana Lynch) in Bonds Liebespause die ikonische 007 übernommen hat. James Bonds Problem ist nicht, was er in der Hose hat. Sondern im Kopf. Sein Königreich ist kaputt. Seine misogynistische Geisteshaltung unzeitgemäß. Seine Kaltblütigkeit ein Fall für den Psychiater.

„No Time To Die” fährt alle Mittel auf, um den Geheimagenten zu verjüngen. Pop Rumpelstilzchen Billie Eilish darf den Titelsong singen. Phoebe Waller-Bridge, Schöpferin und Hauptdarstellerin der umwerfend komischen BBC-Serie „Fleabag”, schreibt am Drehbuch mit. Doch wie weit kann man den Charakter des altgedienten Agenten verwässern, bevor er sich vollkommen aufgelöst hat? Wird er für seinen nächsten Martini nach Zitronenabrieb aus lokalem Anbau verlangen? Vielleicht ist es Zeit, dem alten Bond Farewell zu wünschen. Vielleicht wirkt Daniel Craig deshalb wie erlöst. Vielleicht wäre das beste aller Finale ein bombastischer Abgang. James Bond ist tot, es lebe ein neuer 007.

Alle Bilder © Universal Pictures International

JAMES BOND – KEINE ZEIT ZU STERBEN

JAMES BOND – KEINE ZEIT ZU STERBEN

Sag zum Abschied leise Servus. Daniel Craig hat die Schnauze voll, dies ist unwiderruflich sein letzter Bond. Mit etwas Glück wird aus dem Abschiedsschmerz im Laufe der Zeit Vermissen und dann eine schöne Erinnerung. Durch die zahlreichen Verschiebungen hatten die Bond-Fans knapp anderthalb Jahre Zeit, innerlich Abschied zu nehmen. Ursprünglich sollte es bereits im April 2020 geschüttelte Martinis geben. Wenigstens für Daniel Craig eine Erlösung, denn der wollte sich nach seinem letzten Auftritt in „Spectre“ „lieber die Pulsadern aufschneiden, als noch einmal als Bond vor der Kamera zu stehen“. Erst schmale 50 Millionen Pfund Gage konnten ihn überzeugen, ein allerletztes Mal die Walther PPK zu zücken.

Hat sich das lange Warten gelohnt? Großes JA und kleines nein. Es ist natürlich ein Erlebnis, den Film im Kino zu sehen. Die ersten zwei Drittel sind auch wirklich toll. Es gibt zahlreiche charmante Hinweise auf die letzten 24 Filme, der Humor stimmt, Bilder und Musik sind groß. Alles noch besser als erwartet. Nur das letzte Drittel ist, wie schon bei „Spectre“, der Schwachpunkt des Films und macht ihn gefühlte 45 Minuten zu lang.

Zum Inhalt nur so viel: James Bond kommt einem geheimnisvollen Bösewicht auf die Spur, der im Besitz einer brandgefährlichen neuen Technologie ist. Die Welt muss ein weiteres Mal gerettet werden. 

Fast drei Stunden Zeit nimmt sich Regisseur Cary Joji Fukunaga, die Geschichte von Bond zu Ende zu erzählen. Daniel Craig, der die Rolle des Superspions anfangs mit düsterer Brutalität gespielt hat, nähert sich auf seine alten Tage erfrischenderweise der gehobenen Augenbrauen-Ironie von Roger Moore an. Im 25. Kapitel der Filmreihe hat neben einem wenig überzeugenden Rami Malek als Ober-Schurke auch der in „Spectre“ sträflich unterforderte Christoph „Blofeld“ Waltz einen Kurzauftritt. Die Locations sind wie immer atemberaubend, die Stunts irrwitzig, die Bond-Frauen schön (dass sie nicht mehr Bond-Girls heißen, ist Mit-Drehbuchautorin Phoebe Waller-Bridge zu verdanken) und die Sprüche gewohnt lässig. In einer Top 5 der Craig-Bonds würde „Skyfall“ immer noch Platz 1 belegen. Silber für „Casino Royale“ und „No Time to Die“ direkt dahinter. Insgesamt ein fulminanter und würdiger Abschied aus dem Geheimdienst ihrer Majestät.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „James Bond – No Time To Die“
GB / USA 2020
163 min
Regie Cary Joji Fukunaga
Kinostart 30. September 2021

alle Bilder © Universal Pictures International

TENET

Christopher Nolan ist einer der wenigen modernen Regisseure, der – abgesehen von seiner Batman-Trilogie – keine Franchise-Filme produziert, sondern verschiedenste Genres neu interpretiert und damit oft einzigartige Kinoerlebnisse kreiert. So entsteht im besten Fall intelligentes Überwältigungskino, das (neudeutsch) einen Brainfuck auszulösen vermag.

Das Thema „Zeit“ fasziniert Nolan dabei schon seit seinem frühen Erfolg „Memento“. In späteren Werken wie „Inception“ und „Interstellar“ spielt er immer wieder mit temporären Anomalien. Selbst „Dunkirk“, auf den ersten Blick ein straighter Kriegsfilm, entpuppt sich als Kunstwerk der Verschachtelung: Die gleiche Geschichte wird in drei parallelen Zeitsträngen erzählt: als eine Woche auf dem Land, als ein Tag auf der See und zu einer Stunde komprimiert in der Luft.

Der britische Regisseur gilt als einer der größten Geheimniskrämer der Filmgeschichte. So viel Getue um den Inhalt gab es zuletzt bei Trumps Steuererklärung. Wenn das Geheimnis Teil des Events ist, darf man dann überhaupt etwas über die Story verraten? Ja, denn die versteht man bei „Tenet“ ohnehin nicht. Ein Geheimagent (John David Washington) soll die Menschheit vor dem Untergang bewahren. In bester James-Bond-Manier jagt er einen russischen Bösewicht (Kenneth Branagh), der einen Weg gefunden hat, die Zeit zu manipulieren. Play – Pause – Rewind. Die erzählte Geschichte läuft ab einem gewissen Punkt gleichzeitig vorwärts und rückwärts ab. Zeit-Inversion nennt sich das. Nette Idee, doch Nolan wäre nicht Nolan, wenn er die Sache nicht noch verkomplizieren würde. Um das alles halbwegs zu erklären, wird unendlich viel geredet. Dazwischen überschlagen sich Autos rückwärts und Kugeln fliegen in Waffen zurück.

150 Minuten lang visuellen und akustischen Lärm auf höchstem Niveau zu veranstalten und dabei zu langweilen, auch das ist eine Kunst. „Tenet“ ist laut und geschwätzig. Das Gimmick, vor- und rückwärts laufende Szenen miteinander zu kombinieren, hat sich schnell verbraucht. Der Geschichte zu folgen, ist nahezu unmöglich, Mitgefühl mit den Figuren und damit Spannung kann da erst gar nicht aufkommen.

FAZIT

Gut aussehendes Science-Fiction-Drama, das sich möglicherweise nach wiederholtem Anschauen auch inhaltlich erschließt. Lässt kalt.

Originaltitel „Tenet“
USA 2020
150 min
Regie Christopher Nolan
Kinostart 26. August 2020