JE SUIS KARL

JE SUIS KARL

Genau so könnte es in nicht allzu ferner Zukunft kommen: Die junge Generation hat es gründlich satt und tut sich zusammen, um ein “neues Europa” zu gründen. Dass das scheinbar nur mit rechtspopulistischen Parolen geht, ist die Kehrseite der Medaille.

Maxi ist nach einem Terroranschlag, bei dem ihre Mutter und ihre beiden Brüder ums Leben kommen, traumatisiert. Als sie auf den gutaussehenden Karl trifft, ahnt sie noch nicht, mit wem sie sich da einlässt. Karl hat große Pläne, will ganz Europa verändern. “Was wäre für dich das Schlimmste?”, fragt sie ihn. “Sinnlos zu sterben”, antwortet er. “Und das Beste?” “Sinnvoll”. Maxi verliebt sich Hals über Kopf in den charismatischen Neonazi und folgt ihm blind auf seiner Tour durch Europa.

Das neue Unheil verbirgt sich hinter hübschen Gesichtern und ist im Social Network präsent.
Christian Schochow zeigt, wie die next generation der rechten Szene ihre Follower verführt: Konzerte, Influencer-Liveberichte, aufwiegelnde Reden und ein paar free T-Shirts unters Volk geschmissen. Baby-Hitler ist ein Rockstar.
“Je Suis Karl” erzählt eine interessante, doch ein bisschen zu gehetzt abgespulte Geschichte. Vor allem Maxis Radikalisierung findet im Zeitraffertempo statt. Der Stoff hätte locker für eine Miniserie gereicht. Gegen Ende sind Drehbuchautor Thomas Wendrich dann die Pferde durchgegangen – die Zufälle häufen sich, die Handlung wirkt zusehends konstruierter. Wirklich toll sind die Schauspieler: Jannis Niewöhner kauft man das manipulative Neonazi-Arschloch voll und ganz ab. Die Schweizerin Luna Wedler hat mit ihren 21 Jahren schon mehrfach mittelmäßige Filme aufgewertet. Und es ist schön, den unterschätzten Milan Peschel endlich mal nicht in einer Klamotte zu sehen.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Tschechische Republik 2021
126 min
Regie Christian Schwochow
Kinostart 16. September 2021

alle Bilder © Pandora Film

BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL

BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL

Paris um 1900. Felix Krull (Jannis Niewöhner) arbeitet als Liftboy in einem Luxus­hotel. Bei den Gästen, vor allem den weiblichen, ist der attraktive junge Mann sehr beliebt. Als er sich eines Abends mit dem unglücklich verliebten Marquis Louis de Venosta (David Kross) über das Leben unterhält, kommen die beiden auf die Idee, ihre Identitäten zu tauschen. Nur so kann der Marquis fern aller familiären und gesellschaftlichen Zwänge mit seiner Angebeteten, Zaza (Liv Lisa Fries) zusammenleben. Für Felix bedeutet der Rollentausch einen gesellschaftlichen Aufstieg, der ihn bis an den Hof des portugiesischen Königs führt.

Die Verfilmung von Thomas Manns letztem Roman gehört zu den gelungeneren Spätwerken Detlev Bucks. Das Drehbuch hat (mit viel künstlerischer Freiheit) der allgegenwärtige Daniel Kehlmann verfasst. Kindheit und Jugend Krulls hat der Autor stark vernachlässigt, die Konzentration auf den erwachsenen Hochstapler bekommt dem kompakten Kinoformat gut. Kameramann Marc Achenbach fängt die zur Jahrhundertwende spielende Geschichte in üppigen Bildern ein. Bei Ausstattung, Kostümen und Setbau wurde geklotzt, das hat hohes Niveau.

Schauspielerisch ist die ganze Bandbreite vertreten: Liv Lisa Fries setzt ihre Babylon Berlin-Rolle in anderen Kostümen fort, gewohnt frech und frei Schnauze. David Kross ist wie immer verlässlich gut und spielt den etwas zu grinsebackigen Jannis Niewöhner locker an die Wand.

Daneben gibt es noch ein Treffen der Tatort-Kommissare: In einer Nebenrolle als Professor Kuckuck zeigt Joachim Król was für ein ausgezeichneter Schauspieler er ist, während Maria Furtwängler in der Rolle der liebeshungrigen Madame Houpflé schnell an ihre darstellerischen Grenzen gerät.

Champagner zieht sich als roter Faden durch die Geschichte, nicht von ungefähr, schließlich ist Felix der Sohn eines Schaumweinfabrikanten. Wenn die 1957er-Verfilmung mit Horst Buchholz Champagner, die deutsch/französische Miniserie aus den 1980er-Jahren Crémant ist, dann geht der neue Buck als guter Sekt durch. Heiter, beschwipst, hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2020
114 min
Regie Detlev Buck
Kinostart 02. September 2021

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

NARZISS UND GOLDMUND

Was für Unwissende wie eine hippe Bar in Berlin Neukölln klingt, ist natürlich ein Klassiker der deutschen Literatur – Hermann Hesses berühmteste Erzählung aus dem Jahr 1930.

Die Geschichte spielt in der Klosterschule Mariabronn im Mittelalter und handelt von der Freundschaft zwischen den Schülern Narziß (im Buch immer noch mit ß) und Goldmund. Narziß ist streng gläubig, lebt in Askese und fühlt sich mehr als freundschaftlich zu Goldmund hingezogen. Der ist das genaue Gegenteil, ein Freigeist und Künstler, der der klösterlichen Enge bald entfliehen will.

Gregorianische Choräle, wollüstige Huren, zahnlose Wegelagerer und holde Jungfern, die mit blumengeschmücktem Haar über die Wiese laufen – Stefan Ruzowitzkys Verfilmung strotzt vor ausgelutschten Mittelalter-Klischees. Damit sich auch die heutige Jugend angesprochen fühlt, wird zwischendurch seltsam modern gesprochen: „Echt?“, fragt der kindliche Goldmund einmal. Besonders Kida Khor Ramadans Auftritte sorgen für unfreiwillige Lacher, wenn der „4 Blocks“-Schauspieler seine Dialoge in kaum unterdrücktem Gettodeutsch spricht. Die Anpassung an eine zeitgemäße Sprache bleibt inkonsequent, ist deshalb umso störender.

Lob für die beiden Hauptdarsteller, die tapfer gegen die schwache Inszenierung anspielen. Sabin Tambrea, bekannt als depressiver Ehemann aus „Ku’damm 56/59“, taucht glaubhaft in die düstere Welt der Tonsuren und Selbstgeißelung ein – ihm nimmt man uneingeschränkt den von unterdrückten Gefühlen gepeinigten Narziß ab. Jannis Niewöhner zieht so oft es geht sein Hemd (und manchmal auch die Hose) aus und empfiehlt sich mit gestähltem Body, blondierten Haaren und angeklebtem Bart als deutsche Antwort auf Charlie Hunnam. Mit seiner lebendigen Ausstrahlung und Körperlichkeit verleiht er dem Abenteurer Goldmund die nötige Portion Wildheit.

FAZIT

Ob man mit dieser Verfilmung zukünftigen Schülergenerationen einen Gefallen tut? Besser noch mal das Buch lesen.

Deutschland 2020
118 min
Regie Stefan Ruzowitzky
Kinostart 12. März 2020