DIE EINFACHEN DINGE

DIE EINFACHEN DINGE

Ab 21. September 2023 im Kino

Ein selbst gemachtes Omelette. Mittagsschlaf auf der Bergwiese. Ein treuer Hund als Weggefährte. Es sind die einfachen Dinge, die das Leben kostbar machen. Éric Besnards französisch-leichte Komödie LES CHOSES SIMPLES ist aber mehr, als es auf den ersten Blick scheint.

Der erfolgreiche Geschäftsmann Vincent hat eine Autopanne in den Bergen, Handyempfang gibt es 2.000 Meter über dem Meeresspiegel nicht. Zum Glück knattert gerade Pierre auf dem Motorrad vorbei und nimmt den Gestrandeten mit zu seinem Bilderbuch-Hof. Eine selbstgekochte Mahlzeit, eine Flasche Wein vor traumhafter Naturkulisse – so einfach kann Glück sein. Doch hinter der scheinbar zufälligen Begegnung der beiden ungleichen Männer steckt mehr.

Herzenswarmes Feelgood Movie

Auch wenn das Thema der Suche nach dem Glück schon oft in Filmen behandelt wurde und der Gegensatz zwischen dem von der Welt zurückgezogenen Einsiedler und dem erfolgreichen Geschäftsmann kein besonders originelles Ausgangsszenario bietet, überrascht DIE EINFACHEN DINGE doch mit einem cleveren Drehbuch und einer tollen Besetzung.

Sympathischer Kotzbrocken: Lambert Wilson spielt mit einer schönen Mischung aus verführerisch und unausstehlich den Unternehmer, der es gewohnt ist, seinen Willen durchzusetzen. Ihm gegenüber steht Gregory Gadebois als schweigsamer Brummbär, der keine Annäherung zulässt und voller Missfallen auf den Stadtmenschen schaut.

DIE EINFACHEN DINGE ist ein intelligentes und herzenswarmes Feelgood Movie über – der Titel legt es nahe – die einfachen, aber elementar wichtigen Dinge im Leben: Freundschaft, Liebe und frische Luft. Schön.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les Choses simples“
Frankreich 2023
95 min
Regie Éric Besnard

alle Bilder © Neue Visionen

WEISST DU NOCH

WEISST DU NOCH

Ab 21. September 2023 im Kino

Schade, wirklich. Sowohl Geschichte als auch Besetzung sind richtig gut. Hätte Rainer Kaufmann seine Dramödie mit weniger flachen TV-Bildern und mutigerem Stil inszeniert, wäre WEISST DU NOCH ein exzellenter Film.

Aus der Ehe von Marianne und Günter ist nach 50 Jahren die Luft raus. Die Kinder sind längst ausgezogen, melden sich nur noch sporadisch. Das Rentnerpaar geht sich gehörig auf den Sack, vor allem die zunehmende Vergesslichkeit wird bei jeder Gelegenheit zum Streitthema. Als Günter zum Hochzeitstag zwei blaue Pillen aus der Tasche zaubert, mit denen angeblich sämtliche Erinnerungen zurückgebracht werden können – wenigstens vorübergehend – ist Marianne skeptisch. Doch die Pille wirkt und die beiden Streithähne begeben sich auf eine versöhnliche Reise in die Vergangenheit.

Ein von vorne bis hinten hell ausgeleuchteter Fernsehfilm

Wir müssen über Inhalt und Form sprechen. Günther Maria Halmer spielt schön muffelig den am Leben vorbeilebenden Stinkstiefel. Und die fabelhafte Senta Berger hat ihr Karriereende extra verschoben, steht für WEISST DU NOCH vielleicht ein letztes Mal vor der Kamera. Die Idee ist originell, das Drehbuch voll bissiger Dialoge. Die dem Leben Zugewandte und der Misanthrop provozieren und sticheln, das sitzt punktgenau, ist ernst und zum Lachen. Hätte also was Großes werden können. Aber warum muss ein deutscher Kinofilm mit solch guten Zutaten so bescheiden aussehen? Zumal es sich um ein Kammerspiel mit nur zwei Personen (plus drei Mini-Nebenrollen) handelt. Also überschaubar, keine teuren Sets, Locations oder gar Special Effects.

Was hätte ein Michael Haneke aus so einem Stoff gemacht? Sicher keinen von vorne bis hinten hell ausgeleuchteten Fernsehfilm. Wahrscheinlich sind Regisseur Rainer Kaufmann und sein Kameramann Martin Farkas unschuldig, denn die ARD Degeto ist Co-Produzentin. Und das sieht man in jeder Einstellung. Nach dem Motto: Das muss den Ü-70-Zuschauern bei der Fernsehauswertung gefallen, bloß keine Experimente. Wieder eine vertane Chance, den deutschen Kinofilm glänzen zu lassen.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
91 min
Regie Rainer Kaufmann

alle Bilder © MAJESTIC

A HAUNTING IN VENICE

A HAUNTING IN VENICE

Ab 14. September 2023 im Kino

Wie langweilig können 103 Minuten sein? Kenneth Branagh setzt mit seinem dritten Hercule-Poirot-Film neue Maßstäbe.

Venedig in den 1940er-Jahren. Noch keine Spur von Massentourismus. Morbide Stimmung in der ewig dem Untergang geweihten Stadt. Ein alter Palazzo, in dem die Geister von gequälten Kindern spuken. Peitschender Regen, Düsternis, ein Mord. Und mittendrin Hercule Poirot (Kenneth Branagh), der den Fall mit analytischem Verstand knacken will.

Todlangweiliges Schnarchfest

Klingt erst mal alles gut. Leider hat Regisseur Brannagh auch bei seiner dritten Agatha-Christie-Verfilmung vieles falsch gemacht. Obwohl Setting und Geschichte geradezu nach einem atmosphärischen, unheimlichen Thriller schreien, ist davon nichts zu spüren. A HAUNTING IN VENICE ist ein geschwätziges, todlangweiliges Schnarchfest.

Das Whodunit sieht dank famoser Ausstattung und exzentrisch weitwinkliger Kamera (Haris Zambarloukos) zwar ganz hübsch aus, doch weder die Figuren noch die Handlung wecken auch nur einen Funken Interesse. Von Spannung ganz zu schweigen. Die ganz großen Stars hat Branagh diesmal nicht verpflichtet (dabei macht der Cast aus aktuellen und ehemaligen Superstars ja gerade den Reiz der Agatha-Christie-Filme aus). Tina Fey, Michelle Yeoh und Jamie Dornan liefern solide Leistungen ab, doch für ihre zweidimensionalen Figuren interessiert man sich nie wirklich.

Bleibt die Erkenntnis, dass sogenannte „first reactions“ von Influencern ungefähr so ernst zu nehmen sind wie das Werbeversprechen, Nutella sei gesund. Da wird A HAUNTING IN VENICE als „großartig“ und das „Beste der drei Poirot-Abenteuer“ gelobt. Das Gegenteil ist der Fall: Seit dem annehmbaren MORD IM ORIENTEXPRESS verschlechterten sich die Filme von Mal zu Mal. Immerhin wurde diesmal weitestgehend in realen Sets gedreht, was gegenüber dem Greenscreen-Fiasko on TOD AUF DEM NIL ein kleiner Fortschritt ist.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „A Haunting in Venice“
USA 2023
103 min
Regie Kenneth Branagh

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

SIEBEN WINTER IN TEHERAN

SIEBEN WINTER IN TEHERAN

Ab 14. September 2023 im Kino

Winter is coming. Die Tage werden kürzer und auch im Kino ist Schluss mit lustig.

SIEBEN WINTER IN TEHERAN ist ein Dokumentarfilm über schreiendes Unrecht. Die 19-jährige Reyhaneh Jabbari sitzt 2007 in Teheran in einem Eiscafé. Ein älterer Mann spricht sie an, er habe mitgehört, dass sie als Designerin für Messestände arbeite. Er hätte einen Auftrag für sie, seine Praxis für Schönheitschirurgie solle neu gestaltet werden. Die junge Frau ist begeistert, begleitet den Mann zu einer Besichtigung der Räume. Schnell wird ihr klar, dass sie in eine Falle geraten ist. Der Mann schließt die Tür ab, beginnt Reyhaneh anzugrapschen, will sie auf dem Sofa vergewaltigen. Sie greift in ihrer Not nach einem Küchenmesser, tötet den Mann. Kurz darauf wird sie wegen Mordes verhaftet.

Erschütternd und schwer auszuhalten

Wenn zum Unglück auch noch Pech dazu kommt. Nicht nur ist das „Opfer“ ein gut vernetzter Mitarbeiter des Geheimdienstes, im Iran gilt vor Gericht außerdem das Blutrecht. Die Angehörigen des Vergewaltigers fordern – Auge um Auge, Zahn um Zahn – das Leben Reyhanehs als Preis für den eigenen Verlust. Zustände wie im Mittelalter, aber leider immer noch Realität in einem Land, gar nicht so weit weg von uns.

Herzstück von Steffi Niederzolls aufwühlender Dokumentation sind heimlich im Iran gedrehte Aufnahmen, ergänzt durch Interviews mit den Angehörigen. Die Kamera gibt einen ansonsten unmöglichen Einblick, bewegt sich fast tastend durch Miniatur-Nachbauten der wichtigsten Stationen: vom Ort des Verbrechens, über den Gerichtssaal bis zum Gefängnis. Aus dem Off liest dazu eine Schauspielerin Reyhanehs Briefe aus der Haft.

Am 25.10.2014 wird Reyhaneh Jabbari hingerichtet. Bis zu ihrem Tod bleibt ihr Lebenswille ungebrochen, bis zum Schluss besteht sie auf Gerechtigkeit. Eine von der Familie des Vergewaltigers angebotene Vergebung, so sie sich schuldig bekenne, lehnt sie ab. Tragischer Tiefpunkt ist eine live mitgedrehte Handyaufnahme, in der Reyhanehs Mutter erfährt, dass ihre Tochter soeben hingerichtet wurde. Das zu sehen erschüttert, ist schwer auszuhalten. Inzwischen lebt die Familie in Berlin, nur dem Vater wird die Ausreise verweigert. Reyhanehs Schwestern und vor allem ihre Mutter kämpfen weiter gegen das Unrecht, das iranischen Frauen bis heute angetan wird. SIEBEN WINTER IN TEHERAN ist vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen im Iran ein wichtiger und gleichzeitig wenig Hoffnung machender Film.

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Deutschland / Frankreich 2023
97 min
Regie Steffi Niederzoll 

alle Bilder © Little Dream Pictures 

RETRIBUTION

RETRIBUTION

Ab 14. September 2023 im Kino

Schon wieder fährt ein Mann mit einer Bombe im Auto durch die Großstadt. Diesmal tickt es unter dem Sitz von Liam Neeson.

2015 machte EL DESCONOCIDO aus Spanien den Anfang. Drei Jahre später folgte die deutsche Version des gleichen Stoffes: STEIG. NICHT. AUS! mit Wotan Wilke Möhring. Nun also der nächste Aufguss mit dem unkaputtbaren Liam Neeson in der Hauptrolle. Man sieht dem 71-jährigen Iren mittlerweile an, dass er seit Jahren von einem Gegen-die-Uhr-Thriller zum nächsten jagt. Als gestresster Geschäftsmann und Familienvater fährt er in RETRIBUTION mit dem Auto durch Berlin, während unter seinem Fahrersitz eine Bombe tickt. Steigen er oder seine beiden Kinder aus, fliegt alles in die Luft. Sandra Bullock kann davon ein Lied singen.

Es holpert gewaltig

Für deutsche Zuschauer, besonders Berliner interessant: RETRIBUTION wurde komplett in der Hauptstadt gedreht. Der Grund dafür müssen wohl Fördergelder sein, denn außer der üblichen „Wie kommen die mit einem Schnitt von da nach da?“-Spaßfrage könnte die Handlung genauso gut in London, New York oder Kassel spielen. Die Besetzung ist durchweg international, gesprochen wird englisch.

Nimród Antal – den Namen muss man sich merken. Denn der Regisseur trägt wohl die Hauptschuld daran, dass RETRIBUTION so schlecht ist. Dialoge, Schauspiel, Inszenierung: Es holpert gewaltig. Immerhin funktioniert die unfreiwillige Komik. Statisten stehen verloren in der Szene, als würden Sie noch auf das „Action“ des Regisseurs warten oder overacten, als sei dies ein Stummfilm. „Dad! Daaad!!“ Die beiden Kinder sind so nervig, dass man sich schon nach wenigen Minuten fragt, ob es nicht für alle Beteiligten besser wäre, wenn das Auto bald in die Luft flöge.

Nicht mal die Actionszenen können überzeugen: Die Verfolgungsjagden sind lahm und unglaubwürdig inszeniert – oder stellt die Berliner Polizei bei einer Straßensperre tatsächlich ihre Autos mit so großen Lücken auf, dass selbst ein SUV locker durchpasst? Obwohl RETRIBUTION nur 91 Minuten lang ist, schleppt es sich dahin wie eine Trabifahrt. Vor allem das übererklärende Ende ist zum Einschlafen. Praktisch: Im Trailer sind sämtliche Highlights zu sehen, sodass man sich den Kinobesuch doppelt sparen kann.

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Originaltitel „Retribution“
USA / Deutschland / Frankreich / Spanien 2023
91 min
Regie Nimród Antal

alle Bilder © STUDIOCANAL

DALILAND

DALILAND

Ab 07. September 2023 im Kino

Savador Dali - Meister des Surrealismus, Allround-Künstler, Enfant Terrible. Mary Harron widmet dem Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart ein konventionell gemachtes, aber höchst unterhaltsames Porträt.

Blonde Mädchen nennt er „Ginesta“, hübsche Jungs in Anlehnung an Caravaggios Gemälde „San Sebastian“. Und von jungen, schönen Menschen gibt es in Dalis Leben Mitte der 1970er-Jahre reichlich. Den Alltag versüßt er sich mit rauschenden Partys, flotten Dreiern (als Zuschauer), Champagner und Kaviar – das Malen ist eher lästige Pflicht. Seine resolute Ehefrau Gala sorgt dafür, dass der Rubel rollt. Zur Not auch mit Geschrei und nicht ganz koscheren Geschäftsmethoden. In dieses kreative Chaos gerät eines Tages der junge, unschuldige James, der sich bald als Dalis Assistent unentbehrlich macht.

Sodom und Gommora light

Giraffen brennen lichterloh, Uhren zerfließen wie Camembert in der Sonne und die Abdrücke von nackten Frauenhintern werden zu Engelsflügeln. An schrägen Bildideen mangelt es den Werken des 1989 verstorbenen Künstlers nicht. Umso erstaunlicher, dass seine weltberühmten (und unter Kunstkennern teils berüchtigten) Gemälde in Harrons Film so gut wie keine Rolle spielen. Die AMERICAN PSYCHO-Regisseurin konzentriert sich viel mehr auf Dalis komplizierte Ehe mit Gala und deren Liebeleien und Gaunereien.

DALILAND ist keine Großproduktion und das sieht man ihm an. Establishing Shots bestehen aus altem Filmmaterial (Recycling ist ein zulässiger Kunstgriff, gleichzeitig enorm kostensparend), die wilden Partys und Vernissagen wirken mit ihrer überschaubaren Anzahl von Statisten nie so groß und rauschend, wie sie es wohl in Wirklichkeit waren. Das mag auch den zur Drehzeit bestehenden COVID-Bestimmungen geschuldet sein.

James, von Newcomer Christopher Briney mit staunendem Welpenblick gespielt, gerät so als Vertreter des Zuschauers in ein Sodom und Gommora light. Dass DALILAND trotzdem ausgesprochen kurzweilig und voller Witz ist, verdankt er Ben Kingsley als Dali und Barbara Sukowa als dessen russische Ehefrau Gala. Die beiden alten Filmhasen spielen das unkonventionelle Paar schön exzentrisch und voller Ironie. Eine Topbesetzung in einem Film, der seinem einzigartigen Sujet nicht ganz gerecht wird.

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Originaltitel „Daliland“
USA / GB 2022
96 min
Regie Mary Harron

alle Bilder © SquareOne Entertainment

ENKEL FÜR FORTGESCHRITTENE

ENKEL FÜR FORTGESCHRITTENE

Ab 07. September 2023 im Kino

Achtung, jetzt wird’s mild: Es folgt die überraschend positive Kritik zur deutschen Generationskomödie ENKEL FÜR FORTGESCHRITTENE.

Vielleicht liegt es am guten Eindruck, den der erste Teil ENKEL FÜR ANFÄNGER vor drei Jahren hinterlassen hat. Vielleicht liegt es an den nach Art des Premiumweins gealterten Schauspielern (Maren Kroymann, Heiner Lauterbach und Barbara Sukowa), ganz sicher liegt es nicht am Drehbuch – aber die Fortsetzung ist fast so gut wie das Original.

Straff inszenierte, kurzweilige Komödie

Diesmal kümmert sich das Senioren-Trio um einen Kinderladen, denn Philippas Tochter ist nicht nur dessen Leiterin, sondern auch noch hochschwanger. Eine Vertretung ist nicht in Sicht, da hat Karin die rettende Idee: Die Rentner übernehmen! Die Kraft der Alt-68er weckt selbst das verschnarchteste Kind aus seiner Lethargie. Schon nach wenigen Tagen sind aus ins Handy starrenden Teenagern fröhlich tollende Traumblagen geworden, die nebenbei noch jede Menge (alt)-kluger Ratschläge parat halten.

„Hey, shout out an die Kids!“ Dass die Jugendsprache ein bisschen cringe und aufgesetzt klingt, aber durchaus realistisch ist, kann jeder nachhören, der sich zum Beispiel die dritte Folge der Podcast-Serie VERBRECHEN AM FERNSEHEN von und mit Anja Rützel antut. Da denglisht die Journalistin Yasmine M’Barek (nicht verwandt) Sätze wie „Und ich war so: Ich feel dich so sehr, oh mein god!“ raus, dass einem die Fremdscham den Atem raubt. So redens halt, die junge Leut’.

Zurück zu den Enkeln: Sieht aus wie ein mit TV-Stars besetzter Fernsehfilm, ist aber eine erstaunlich straff inszenierte, kurzweilige Komödie. Neben Kindeserziehung gilt es noch die Irrungen und Wirrungen der späten Liebe auseinanderzuklamüsern und sogar Krankheit und Tod werden unpeinlich thematisiert. ENKEL FÜR FORTGESCHRITTENE ist harmlos, aber als Familienfilm eine echte Empfehlung.

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Deutschland 2023
90 min
Regie Wolfgang Groos

alle Bilder © STUDIOCANAL

ELEFANT

ELEFANT

Ab 24. August 2023 im Kino

Talent borrows, genius steals. Der auf Framerate oft zitierte Spruch passt wie die Faust aufs Auge zum polnischen Liebesfilm ELEFANT.

Ja, es ist wirklich unoriginell: In einer Kritik den gleichen Spruch zu verwenden wie schon (gefühlt) zwanzigmal zuvor. Aber es stimmt: ELEFANT klaut schamlos bei BROKEBACK MOUNTAIN, STADT LAND FLUSS und vor allem GOD’S OWN COUNTRY…und noch ein paar anderen „zwei schwule Männer in grandioser Naturkulisse“-Filmen. Es würde sich langsam eine Persiflage auf das immer gleiche Setting anbieten: Zwei Jungs, der eine zart, der andere kernig, verlieben sich against all odds and all Dorfbewohner. Das fade Landleben wird nach dem Besuch einer crazy Homo-Disco in der nächstgelegenen Großstadt infrage gestellt. So frei, so wild. Einerseits. Andererseits ist das Leben in der Natur mit Tieren (meist Pferde oder Kühe) auch schön. Am Ende bricht einer der beiden Jungs in die weite Welt auf, während der andere traurig zurückbleibt – oder seinem Liebsten folgt. The End.

Solche Filme kann es gar nicht genug geben

Der polnische Filmemacher Kamil Krawczycki hat in seiner Interpretation der immer gleichen Geschichte trotzdem vieles richtig gemacht. Vor allem mit der Wahl seiner Darsteller. Jan Hrynkiewicz und Pawel Tomaszewski bringen als Bartek und Dawid neben der erforderlichen cuteness auch eine charmante Zurückhaltung in ihre Rollen ein. Das ist nie übertrieben oder wirkt unglaubwürdig. Um die beiden glücklich Verliebten scharen sich ignorante Alte und homophobe Jugendliche ebenso wie extrem Verständnisvolle, die es sowieso schon immer gewusst haben. „Ich würde dich auch akzeptieren, wenn Du ein Elefant wärst!“, sagt die reizende Nachbarin, bevor sie Bartek einen kleinen Porzellanelefanten schenkt. Törööö, wie schön!

Im Ernst: Solcher Art Filme kann es gar nicht genug geben, besonders wenn sie aus rechts-konservativ regierten Ländern wie Polen kommen. Solange Homosexualität in Malaysia mit zwanzig Jahren Knast oder in Uganda sogar mit dem Tod bestraft werden, ist es noch ein weiter Weg zur toleranten Gesellschaft. ELEFANT ist zwar nicht der große Wurf, aber ein hübscher und vor allem stimmungsvoller Film mit Herz, positiver Botschaft und zum Glück Happy End.

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Originaltitel „Elefant“
Polen 2022
93 min
Regie Kamil Krawczycki

alle Bilder © Salzgeber

JOY RIDE

JOY RIDE

Ab 24. August 2023 im Kino

EIS AM STIEL 2023: JOY RIDE beweist, dass Frauen genauso dämlich sein können wie Männer.

Die Kritiken zu JOY RIDE sind in den USA überraschend positiv. Da wird das Regiedebüt von Adele Lim als „frech und urkomisch“ und wegen seiner asiatisch-weiblichen und teils nicht-binären Besetzung als „wegweisend“ und „Geschichte schreibend“ gelobt. Hm. Vielleicht gibt es verschiedene Fassungen von JOY RIDE. Die bei uns gezeigte ist nur eine alberne Klamotte mit pubertärem Flachhumor.

Schwer zu ertragender Blödsinn

Der Mädelstrip von vier asia-amerikanischen Freundinnen durch China ist von HANGOVER, BRAUTALARM und diversen Seth Rogen-Komödien (der hier als Produzent fungiert) inspiriert. Nachdem in den letzten Jahren bereits einige all female remakes wie der 2016-er GHOSTBUSTERS oder OCEAN’S 8 an der Kinokasse gefloppt sind, zeigte vor allem der sehr weibliche, sehr asiatische und in Teilen sehr komische CRAZY RICH ASIANS, dass Geschlecht und Hautfarbe für den Erfolg eines Films unmaßgeblich sind. Umso erstaunlicher, dass JOY RIDE im Jahre 5 nach CRAZY RICH ASIANS nun als die große, grenzsprengende Komödie der Zukunft gefeiert wird.

Regisseurin Adele Lim inszeniert den chaotischen Roadtrip mit genreüblichen Party-, Sex- und „verloren gegangenes Gepäck“-Klischees. Der Rest ist schwer zu ertragender Blödsinn. Erwachsene Menschen, die sich wie 13-Jährige benehmen (ein Tintenfischspieß? Witzig, den schieb ich mir mit Fellatiobewegungen in den Mund). Dazu hart am Softporno vorbeischrammende Kopulationsszenen, bei denen die Frauen zum schreienden Höhepunkt kommen, während sich die idiotischen Männer schwerste Verletzungen zuziehen. Wer darüber lachen kann, amüsiert sich auch bei LIEBESGRÜSSE AUS DER LEDERHOSE-Filmen.

Emanzipation ist ein zweischneidiges Schwert. Gleiche Rechte für alle ist selbstverständlich. Gleicher Deppenhumor für alle braucht dagegen niemand.

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Originaltitel „Joy Ride“
USA 2023
95 min
Regie Adele Lim

alle Bilder © Leonine

THE INSPECTION

THE INSPECTION

Ab 24. August 2023 im Kino

In Elegance Brattons autobiografischem Film trifft MOONLIGHT auf FULL METAL JACKET. Ein Militärdrama mit gay-twist.

Der schwule Afroamerikaner Ellis French (Jeremy Pope) wird mit 16 von seiner homophoben Mutter (Gabrielle Union) verstoßen, neun Jahre später lebt er noch immer auf der Straße. Seine letzte Chance sieht er ausgerechnet in der Verpflichtung bei den US-Marines. Er hofft, sich und seiner streng-religiösen Mutter zu beweisen, dass er mehr „als eine obdachlose Schwuchtel“ ist. Das mehrwöchige Bootcamp und ein besonders sadistischer Ausbilder drohen den jungen Ellis zu brechen.

Jeremy Pope liefert eine oscarwürdige Leistung ab

Der Film von Drehbuchautor und Regisseur Elegance Bratton ist eine halb-autobiografische Erzählung über seine Zeit bei den Marines im Jahr 2005. Frei nach der DADT-Regel („Don’t ask, don’t tell“) wurden Anfang des Jahrtausends beim amerikanischen Militär Homosexuelle geduldet, solange sie nicht darüber reden. Ellis’ Problem ist, dass man ihm sofort anmerkt, was Sache ist. Nach einer unglückseligen Versteifung im Duschraum wird er nicht nur von Vorgesetzten, sondern auch von seinen Kameraden schikaniert.

THE INSPECTION fühlt sich stellenweise ein bisschen klischeehaft an, vor allem der Ausbilder (Bokeem Woodbine) wirkt wie eine Persiflage auf den legendären Sergeant Hartman aus FULL METAL JACKET. Dieses kleine Manko machen aber die Schauspieler mehr als wett: Klares Highlight ist Jeremy Pope, der in der Rolle des queeren Soldaten eine oscarwürdige Leistung abliefert und auch Gabrielle Union ist als seine kalte, distanzierte Mutter ausgezeichnet.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Inspection“
USA 2022
100 min
Regie Elegance Bratton

alle Bilder © X-Verleih

KANDAHAR

KANDAHAR

Ab 17. August 2023 im Kino

Zurück in die 90er-Jahre mit Gerard Butler. KANDAHAR ist ein Kriegsfilm von vorgestern.

Tom Harris (Gerard Butler) arbeitet als verdeckter CIA-Agent für hoch komplizierte Spezialeinsätze. Nachdem er im Iran eine unterirdische Atomanlage in den Boden sprengt und kurz darauf enttarnt wird, setzt er sich nach Afghanistan ab. Dort sind ihm nicht nur die Taliban, sondern die halbe iranische Armee und ein garstiger Killerspion auf den Fersen.

Nicht besonders mitreißend

Krieg wie gehabt: Hier die Generäle, die aus dem Hintergrund Befehle geben. Dort die Soldaten, die sich vor Ort die Hände schmutzig machen. Frauen haben in dieser Steinzeitwelt nichts verloren und tauchen höchstens am Telefon oder in Nebenrollen auf. Seit Winnetou hat sich nur die Wahl der Waffen geändert. Während sich früher Cowboys und Indianer mit Flinte und Pfeil und Bogen bekämpften, wird heute mit Maschinengewehr und Drohne gekillt.

KANDAHAR könnte locker 20 bis 30 Jahre alt sein. In den 90er und Nuller-Jahren standen für solche Filme Robert Redford oder (für die intellektuelleren Zuschauer) George Clooney vor der Kamera. Heute macht das Gerard Butler. Und der macht das, was er meistens macht: Den stoischen Haudrauf geben. KANDAHAR ist einer dieser Filme, die wahrscheinlich sehr kurz im Kino laufen und dann schnell bei einem Streaminganbieter landen. Das ist auch gut so, denn als Kriegsfilm ist er nicht besonders mitreißend und als Actionspektakel fehlt es ihm an Schauwert. Das Ganze ist vorhersehbar, nicht besonders glaubwürdig inszeniert und nur mäßig spannend. Kann man sich mal zu Hause anschauen, muss man nicht im Kino sehen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Kandahar“
USA 2023
119 min
Regie Ric Roman Waugh

alle Bilder © Leonine

BLUE BEETLE

BLUE BEETLE

Ab 17. August 2023 im Kino

Nachdem BARBIE und OPPENHEIMER nur vorübergehend Abwechslung auf die Leinwand brachten, kehren nun die Superhelden zurück.

Das ist mal wirklich eine originelle Idee: Einem (natürlich männlichen) Teenager wächst durch die Kraft eines antiken Skarabäus ein Zauberanzug, der ihm Superkräfte verleiht. Peter Parker und Tony Stark rollen mit den Augen – what else is new?

Die vorletzte Zuckung einer bereits vergangenen Ära

Immerhin das: In Angel Manuel Sotos Comicbuchverfilmung steht zum ersten Mal ein Latino (niedlich: Xolo Maridueña aus COBRA KAI) im Mittelpunkt der Handlung. Ansonsten ist BLUE BEETLE die vorletzte Zuckung einer bereits vergangenen Ära. Der im Dezember startende AQUAMAN 2 ist dann der finale Film, der unter alter DC-Führung in Auftrag gegeben wurde. Inzwischen haben James Gunn und Peter Safran das Ruder beim sinkenden Kahn übernommen und versprechen, endlich frischen Wind in das ewig Marvel hinterherhechelnde Studio zu blasen. Nötig ist es, denn zuletzt waren BLACK ADAM, SHAZAM! 2 und THE FLASH böse gefloppt. So richtig zündet das Reboot erst – wenn es denn zündet – 2025 mit James Gunns SUPERMAN: LEGACY (vorausgesetzt, die Drehbuchautoren- und Schauspielergewerkschaften haben sich bis dahin geeinigt).

Die Comicfigur Blue Beetle gibt es schon seit 1939, gehört aber trotzdem zu den unbekannteren Figuren des DC-Universums. Erfrischend, dass auch die schrägeren Comichelden eine Chance im Kino bekommen. Dass das keine schlechte Idee ist und überaus erfolgreich sein kann, haben James Gunns GUARDIANS OF THE GALAXY-Filme gezeigt.

BLUE BEETLE ist ein „Best-of“ Superheroes (von Spider-Man über Iron Man bis Hulk wird so ziemlich alles „zitiert“), hat ein paar gute Gags und penetriert ansonsten die übliche Botschaft: Familie geht über alles. Und sonst? Der Film ist besser als die letzten paar DC-Abenteuer, was keine große Kunst ist, leidet aber unter den gleichen Problemen wie alle Post-Snyder-Produktionen: zu bunt, zu albern, zu schlechter Look. Gegen die plastikhaften Effekte sieht die kitschigste Las-Vegas-Show hochwertig aus. Das färbt auch auf gestandene Schauspieler ab: Wer hätte gedacht, dass Susan Sarandon (hier als Bösewichtin) so schlecht sein kann? Aber vielleicht ist es auch egal, denn nach 15 Jahren Dauerbeschuss durch Marvel und DC hat sich eine schwere Superhelden-Fatigue breitgemacht. Die großen Erfolge von BARBIE und OPPENHEIMER zeigen: Die Zuschauer hungern nach neuen Geschichten.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Blue Beetle“
USA 2023
125 min
Regie Angel Manuel Soto

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

FOREVER YOUNG

FOREVER YOUNG

Ab 17. August 2023 im Kino

Der Film hat nichts mit dem gleichnamigen Alphaville-Gassenhauer zu tun, sondern heißt im Original LES AMANDIERS - was so viel wie „Die Mandelbäume“ bedeutet und im Zusammenhang mit einer Schauspielschule vielleicht noch verwirrender als der deutsch/englische Titel ist.

Schauspieler sind wie Radios: Immer auf Senden, nie auf Empfang. Besonders angehende Jungschauspieler lösen mit ihrer exaltierten Art und dem Glauben, sie seien das Zentrum des Universums oft Fremdscham aus. Jeder Blick, jede Geste scheint wichtig und will gesehen werden. Valeria Bruni Tedeschi hat mit FOREVER YOUNG einen Film über diese besondere Spezies Mensch gemacht, in dem sie ihre eigene Ausbildungszeit erinnert.

Schauspieler sind durchgedreht, drogensüchtig und sexbesessen

Ende der 80er-Jahre werden zwölf junge Erwachsene (unter ihnen das Alter-Ego der Regisseurin) in die Theaterschule „Ecole du Théâtre des Amandiers“ aufgenommen. Unter der Leitung von Patrice Chéreau planen sie die Aufführung des Stücks „Platanow“ von Anton Tschechow. Den Besten des Jahrgangs verspricht der Regisseur sogar eine Rolle in der Verfilmung des Stoffes.

Valeria Bruni Tedeschi stellt mit Stella (ausgezeichnet: Nadia Tereszkiewicz) eine jugendliche Version ihrer selbst in den Mittelpunkt dieser nicht ganz klischeefreien Reise in die Vergangenheit. An so einer Theaterschule geht es dem Film nach genauso zu, wie sich das Lieschen Müller vorstellt: Alle sind durchgedrehte Künstler (inklusive der Lehrer), drogensüchtig und sexbesessen.

Zum Glück besteht ein Großteil der Szenen aus Vorsprechen und Probearbeiten. Das ist um einiges interessanter, als den privaten Irrungen der Mitte Zwanzigjährigen zuzuschauen. Trotz ein paar Längen: FOREVER YOUNG ist sehenswert. Denn die Regisseurin hat ihr auf hübschem Retro-16mm gedrehes Drama mitreißend und voller Elan inszeniert. Und wer die Verfilmung von Tschechows „Platanow“ (Titel: HOTEL DE FRANCE) des echten Patrice Chéreaus gesehen hat, kann raten, welchen der damals beteiligten Schauspieler Bruni Tedeschi hier wieder auferstehen lässt.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les Amandiers“
Frankreich 2022
126 min
Regie Valeria Bruni Tedeschi

alle Bilder © Neue Visionen

DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER

DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER

Ab 17. August 2023 im Kino

„Demeter“ ist nicht nur eine Biomarktkette, sondern auch das Schiff, auf dem sich Graf Dracula von den Karpaten nach London transportieren ließ.

Die Seereise des untoten Blutsaugers wird in einem Kapitel des Bram-Stoker-Romans „Dracula“ eher nebenbei erzählt. In älteren Verfilmungen wird die Fahrt auf der Demeter deshalb meist mit dem kurzen Einblenden einer Land- und Seekarte, auf der eine rote Linie die Route anzeigt, abgehakt. Nun hatte Universal die Idee, daraus einen abendfüllenden Spielfilm zu machen. Und der ist ungefähr so gruselig wie eine Folge der Kinderhörspielserie „Draculino“.

Schlichtweg langweilig

Analoge Effekte, düstere Stimmung (man sieht kaum was), einer nach dem anderen stirbt – der norwegische Regisseur André Øvredal hatte laut eigener Aussage „ALIEN auf einem Frachter 1897“ im Sinn. Obwohl er alle Register des klassischen Horrorfilms von Dauer-Unwetter, huschenden Schatten und knarrendem Gebälk zieht, hat DIE LETZTE REISE DER DEMETER ein großes Problem: Sie ist schlichtweg langweilig. Es will trotz guten Stils keine Spannung aufkommen. Bis auf ein, zwei Schockeffekte setzt schnell das große Gähnen ein.

Die Universal-Studios geben nicht auf. Das immerhin muss man dem x-ten Versuch, ein „Dark Univers“ zu kreieren, zugutehalten. Nach dem legendären Flop THE MUMMY weckte die Low-Budget-Produktion THE INVISIBLE MAN kurz Hoffnung, aus den angestaubten 30er-Jahre-Filmmonstern doch noch eine erfolgreiche Crossover-Welt à la MCU zu schaffen. DIE LETZTE FAHRT DER DEMETER macht diesen Plan mit einem lachhaft schlechten Drehbuch wieder zunichtet. Schade um die guten Schauspieler, die hier alle hoffnungslos unterfordert bleiben.

Der Markt wird es richten – es wäre der größte Schocker, wenn der zahnlose Vampirfilm Erfolg an der Kinokasse hätte. Wem der Sinn nach echtem Horror auf einem Schiff im 19. Jahrhundert steht, dem sei die fantastische Miniserie THE TERROR empfohlen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Last Voyage of the Demeter“
USA / Deutschland 2023
118 min
Regie André Øvredal

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

PAST LIVES

PAST LIVES

Ab 17. August 2023 im Kino

Was wäre, wenn? Simple Entscheidungen können das Leben in dramatisch andere Richtungen wenden. Celine Songs zarte Liebesgeschichte über verpasste Chancen war der Publikumsliebling bei der Berlinale 2023.

Das kennt man aus der eigenen Kindheit: Eltern ziehen um, und schwups verschwindet der beste Freund oder die beste Freundin aus dem Leben. So geht es auch Hae Sung und Nora, als deren Familie aus Südkorea in die USA emigriert. 20 Jahre später treffen sich die Kindheitsfreunde in New York wieder, wo Nora inzwischen mit ihrem amerikanischen Mann lebt.

Das Festival-Publikum liebt PAST LIVES

Mit PAST LIVES – IN EINEM ANDEREN LEBEN gibt Celine Song ihr Kinodebüt als Regisseurin und Drehbuchautorin und geht den schicksalhaften „Was wäre, wenn…“-Fragen des Lebens klug und berührend auf den Grund. In den Hauptrollen spielen die wunderbare Greta Lee, Teo Yoo und John Magaro.

Das Festival-Publikum liebt PAST LIVES – in Berlin wie in Sundance. Und tatsächlich, beim Thema verpasste Chancen kann sich wohl jeder wiederfinden … wäre der Jugendfreund vielleicht doch der bessere Ehepartner gewesen? Aber niemand ist umsonst da, wo er ist und hat den Menschen geheiratet, den er geheiratet hat – so das Fazit des Films. Am Ende der berührenden Lebens- und Liebesgeschichte fließen die Tränen. Sowohl auf der Leinwand – als auch im Publikum.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Past Lives“
USA 2022
106 min
Regie Celine Song

alle Bilder © STUDIOCANAL

GRAN TURISMO

GRAN TURISMO

Ab 10. August 2023 im Kino

Von der Spielekonsole nach Le Mans - GRAN TURISMO erzählt die wahre und wahrhaft unglaubliche Geschichte eines Gamers, der zum erfolgreichen Rennfahrer wird.

Und da ist auch schon der erste inhaltliche Fehler: Gamer. Denn Gran Turismo ist kein klassisches Videospiel, sondern eine höchst komplexe Fahrsimulation. Lenkrad und Gaspedal inklusive. Und damit kennt sich der 17-jährige Jann Mardenborough (Archie Madekwe) bestens aus. Seine große Stunde schlägt, als der Marketingchef von Nissan Danny Moore (leicht schmierig und immer hart am Rande des overactings: Orlando Bloom) auf die Idee kommt, gemeinsam mit Sony PlayStation ein Fahrercamp einzurichten, um dort die besten Spieler der Welt zu echten Formel-3-Piloten auszubilden. Mit strenger Hand nimmt der Ex-Rennfahrer Jack Salter (schön schlecht gelaunt: David Harbour) die jungen Talente in die Mangel, bis der Beste von ihnen reif für sein erstes echtes Rennen ist.

Es riecht nach Adrenalin und Gummireifen

Viel Story gibt es in den 134 Minuten nicht. Neben den ohne großen Tiefgang erzählten Problemen Janns mit seinem Vater (hat er Verständnis? hat er kein Verständnis?) und einer ausgesprochen untertemperierten Liebesgeschichte konzentriert sich GRAN TURISMO vor allem auf zwei Dinge: schamlos Werbung für das Produkt PlayStation zu machen und jede Menge Autorennen. Die allerdings haben es in sich. Unglaublich rasant inszeniert und selbst bei der x-ten Wiederholung nicht langweilig. Im Gegensatz zu den mittlerweile lachhaften CGI-Schlachten der FAST AND FURIOUS-Reihe riechen die Rennszenen hier nach Adrenalin und Gummireifen, wirken extrem realistisch. Mit David Harbour und Archie Madekwe hat Blomkamp zudem zwei charismatische Hauptdarsteller, die selbst Drehbuch-Peinlichkeiten professionell wegspielen. In Nebenrollen, so klein, dass man sie fast verpasst, sind Maximilian Mundt (HOW TO SELL DRUGS ONLINE (FAST)) und der unvermeidliche Thomas Kretschmann dabei.

Vom bejubelten DISTRICT 9 über den nicht mehr ganz so geglückten ELYSIUM bis zum schrottigen DEMONIC verschlechtert sich der Output des südafrikanischen Regisseurs Neill Blomkamp von Film zu Film. GRAN TURISMO ist zwar keine Rückkehr zur Topform, aber immerhin mitreißende Unterhaltungsware, die ihren Zweck erfüllt. Die Adaption vom Spiel (nein: Simulation) zum Spielfilm ist geglückt – nicht das Game, sondern die Gamer sind clever in den Mittelpunkt der Handlung gerückt. Ob sich allerdings außer männlichen Teenagern genügend Zuschauer für den abendfüllenden Sony-Werbespot interessieren, bleibt abzuwarten.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Gran Turismo“
USA 2023
134 min
Regie Neill Blomkamp

alle Bilder © Sony Pictures

BLACK BOX

BLACK BOX

Ab 10. August 2023 im Kino

ChatGTP, schreibe ein Drehbuch mit folgenden Themen: Gentrifizierung, Immobilienhaie, Alt-68er, Profitgier, Geldsorgen, Muslime, Asylanten, Corona-Pandemie, Mord, politischer Aktivismus, Tollwut, Sex, Polizeigewalt - brrr - zzzzp - spratzel - fertig ist das Drehbuch zu BLACK BOX.

Es beginnt symbolisch: Ein moderner Glas-Stahlcontainer senkt sich wie ein UFO an maroder Fassade vorbei in einen Berliner Hinterhof. Der Anfang vom Ende der Gemütlichkeit. Das Pop-up-Office soll Kaufinteressenten anlocken, die alteingesessenen Mieter sind entsetzt. Als am nächsten Morgen die Hofzugänge von der Polizei abgeriegelt werden, mehrfach der Strom ausfällt und sich die Gerüchte vom bevorstehenden Verkauf der Wohnungen verselbstständigen, kippt die Stimmung Richtung Ausnahmezustand.

Druck auf dem Kessel

Regisseurin und Drehbuchautorin Aslı Özge hat Druck auf dem Kessel. Die ganze Wut muss raus, am besten in einem Film. In BLACK BOX versteckt sich unter ungefähr zweihundert angerissenen Themen eine interessante Metapher auf unsere Gesellschaft: Der Mikrokosmos Hinterhof, stellvertretend für die Spaltung eines ganzen Landes. Hochkarätig besetzt, ausgezeichnet gespielt (unter anderem Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Jonathan Berlin, Anne Ratte-Polle) und souverän inszeniert.

Der ätzende Kampf zwischen Mietern und Vermietern hätte als Bild für das zerfallende Gemeinschaftsgefühl und das Auseinanderdriften demokratischer Strukturen gereicht. Aber es ist von allem viel zu viel. Schere im Kopf, mal anders: Wenn es der innere Editor schafft, all die thematischen Nebenschauplätze auszublenden, dann funktioniert BLACK BOX als ein interessantes Psychodrama aus Deutschland.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
120 min
Regie Aslı Özge

alle Bilder © Port au Prince Pictures

HYPNOTIC

HYPNOTIC

Ab 10. August 2023 im Kino

Das INCEPTION des armen Mannes: Ben Affleck jagt als Cop einen hypnotisierenden Bankräuber durch Traumwelten.

Kurz auf dem Spielplatz nicht aufgepasst, schon ist das ganze Leben im Arsch. Seit der Entführung seiner Tochter versinkt Detective Danny Rourke (Ben Affleck) in Trauer und Verzweiflung. Doch dann stößt er bei den Ermittlungen zu einer Serie von Banküberfällen auf eine Spur seiner vermissten Tochter. Zusammen mit Diana Cruz (Alice Braga) macht er sich auf die Suche nach dem vermeintlichen Bankräuber (William Fichtner), der sein Umfeld auf mysteriöse Weise kontrollieren kann.

Bedient sich schamlos bei INCEPTION

Da wird die Hypnosekröte neidisch! Menschen, die andere Menschen manipulieren und dazu bringen, schlimme Dinge zu tun. Der zweite M. Night Shyamalan Hollywoods, Robert Rodriguez, stellt mit seinem neuen Film HYPNOTIC nicht nur die Welt auf den Kopf, sondern auch die Geduld der Zuschauer auf die Probe. Gut eine Stunde muss man über sich ergehen lassen, bevor die krude Story mit einer überraschenden Wendung vorübergehend die Kurve kriegt. Bis dahin kann man kaum glauben, wie unterdurchschnittlich, um nicht zu sagen schlecht HYPNOTIC ist.

Regisseur Rodriguez ist für seine sparsame Arbeitsweise bekannt. Doch diesmal hat er es übertrieben: Sein neuer Psychothriller sieht wie ein billig produzierter TV-Pilotfilm aus, der sich schamlos bei INCEPTION bedient. Es gibt zwar im Mittelteil ein paar clevere Drehbucheinfälle, doch in keinem Moment wird die komplexe Genialität des Christopher Nolan-Films erreicht. Erstaunlich, dass sich Ben Affleck für so einen Schmarren hergibt. Eben noch zu alter Form in AIR zurückgefunden, nun Hauptdarsteller in einem C-Picture? Kein Wunder, dass der Oscar-Preisträger mit mahlendem Kiefer, starrem Blick und düsterer Batman-Resterampe-Stimme auf Autopilot spielt.

Ein lachhaft schlechter Anfang entwickelt sich zu einem halbwegs interessanten Thriller, der am Ende mit einer Über-Erklärung für Doofe alles wieder zunichtemacht. 

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Hypnotic“
USA 2023
93 min
Regie Robert Rodriguez 

alle Bilder © TELEPOOL

ZOE & STURM

ZOE & STURM

Ab 10. August 2023 im Kino

Gefühlvoll, aber nicht kitschig. Rührend, aber nicht rührselig. Ein Pferdefilm, der nicht nur Reiter und kleine Mädchen zum Weinen bringt.

„Das Leben ist kein Ponyhof“ – wer so was sagt, beweist eher wenig Pferdeverstand, schließlich gehört neben viel Liebe auch eine Menge Drecksarbeit dazu, wenn sich Mensch und Gaul gegenseitig auf Trab halten. In ein Gestüt in der Normandie führt der französische Pferdefilm TEMPÊTE – zu Deutsch ZOE & STURM.

Atemberaubende Tier- und Landschaftsbilder

Er beginnt mit einer Doppelgeburt: die Stute Sturm und das Mädchen Zoe, Tochter der Pferdehofbesitzer, erblicken in derselben Nacht Seite an Seite das Licht der Welt. Die Quasi-Zwillinge kommen zwar aus gutem Stall, doch gehört dieser irgendwann einem amerikanischen Investor samt Ehefrau (mutmaßlich aus Gründen der US-Vermarktbarkeit gespielt von Danny Huston und Ex-Bondgirl Carole Bouquet). Damit nicht genug, bringt ein Unwetter die begeisterte Reiterin Zoe eines Nachts auch noch in den Rollstuhl. Wie sich der querschnittsgelähmte Teenager mithilfe seiner Eltern (Melanie Laurent und Pio Marmaï) ins Leben und sogar in den Sattel zurückkämpft, wird in atemberaubenden Tier- und Landschaftsbildern, realistischen Dialogen, einer in allen Altersstufen bestens besetzten Zoe (u. a. von Carmen Kassovitz, Tochter von Améliestar Mathieu Kassovitz) und einem unerwartet listigen Finale erzählt.

Zoe & Sturm ist eine Adaption des Erfolgsromans „Tempête dans un haras“ von Christophe Donner unter der Regie von Christian Duguay. Ein bewegendes und fesselndes Familiendrama – empfehlenswert für Zwei- und Vierbeiner jeglicher Schulterhöhe.

Text: Anja Besch

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Tempête“
Frankreich 2023
111 min
Regie Christian Duguay

alle Bilder © DCM

IM HERZEN JUNG

IM HERZEN JUNG

Ab 03. August 2023 im Kino

Mehr MILF geht nicht: die Liebesgeschichte zwischen einer 70-Jährigen und einem Mittvierziger.

In Würde altern. Gar nicht so einfach, vor allem im Showgeschäft. Was zu viel Wasser, Schlaf und Sex (aka Filler, Facelift und Botox) mit einem Gesicht anrichten können, hat zuletzt Lionel Richie bei King Charles’ Krönungszeremonie gezeigt. Es hat eben nicht jeder so gute Gene wie Fanny Ardant. Denn die sieht immer noch fabelhaft aus und steht zu ihren Fältchen. Kein Wunder, dass sich der Arzt Pierre (Melvil Poupaud) gleich bei seiner ersten Begegnung in die pensionierte Architektin Shauna schockverliebt.

Bis in die Nebenrollen außergewöhnlich gut besetzt

Beim Wiedersehen nach 15 Jahren ist es endgültig um die beiden geschehen. Obwohl die Umstände eher dagegensprechen: Pierre führt ein glückliches Familienleben und liebt seine kluge Frau (Cécile de France), Shauna ist mit ihrem Dasein zufrieden, mit Beziehungsdramen hat sie längst abgeschlossen. Und dann wäre da noch der kleine Altersunterschied von 25 Jahren. Heutzutage ist das jenseits der 40 gesellschaftlich akzeptabel, aber meist nur in die eine Richtung. Ältere Frau mit jüngerem Mann hat immer noch Seltenheitswert.

IM HERZEN JUNG basiert auf einem Drehbuch von Solveig Anspach, ihr letztes vor ihrem frühen Tod, das vom Leben ihrer eigenen Mutter inspiriert wurde. Mit Feingefühl und Menschenkenntnis hat Regisseurin Carine Tardieu diese Geschichte einer besonderen Liebe sechs Jahre nach dem Tod der Autorin verfilmt. Das Melodram ist bis in die Nebenrollen außergewöhnlich gut besetzt. Neben Fanny Ardant und Melvil Poupaud sind es vor allem Cécil de France, Florence Loiret-Caille und Sharif Andoura, die IM HERZEN JUNG sehenswert machen. Ein leiser, schöner Film, der alle Klischees elegant umschifft.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les jeunes amants“
Frankreich / Belgien 2021
112 min
Regie Carine Tardieu

alle Bilder © Alamode Film

GEISTERVILLA

GEISTERVILLA

Ab 27. Juli 2023 im Kino

Cash Grab: A product designed primarily or solely with the intent of generating profits or money. Der neue Disney-Film GEISTERVILLA ist Cash Grab in Reinstform.

Auf dem Stoff liegt kein Segen: Schon die 2003-Version mit Eddie Murphy war verflucht schlecht. Basierend auf der Vergnügungspark-Attraktion „The Haunted Mansion“ in Disneyland ist dies der zweite Versuch, aus keiner Story über ein Gespensterhaus einen Film zu zimmern. Ein Thrillride als Drehbuchidee kann unter Umständen funktionieren – wie beim ersten PIRATES OF THE CARRIBEAN – oder komplett schiefgehen, wie nun Justin Simiens lieb- und seelenlose Gruselkomödie zeigt.

Starpower kann den kindischen Humbug nicht retten

Die unoriginelle Geschichte – eine von Geisterfotograf Ben zusammengewürfelte Truppe von Experten will der frisch in einer Südstaaten-Villa eingezogenen Sarah und ihrem 9-jährigen Sohn helfen, ungebetene Hausgeister loszuwerden – ist zwar mit namhaften Darstellern besetzt (unter anderem Danny DeVito, Jamie Lee Curtis, Owen Wilson), doch die Starpower kann den kindischen Humbug nicht retten.

GEISTERVILLA funktioniert auf so vielen Ebenen nicht, dass es schon fast unheimlich ist. Man fragt sich, wer hat entschieden, den Film in dieser Version in die Kinos zu bringen? Ein Haus voller Untoter in New Orleans wäre eigentlich eine hübsche Ausgangsidee, wenn Drehbuch und Regie ein bisschen Humor oder wenigstens Mut zu echtem Schrecken hätten. Doch das Ganze ist so öde wie die Fahrt in einer Kirmesgeisterbahn am helllichten Tag.

Trotz aller gezogenen Spukhaus-Register kommt keinerlei Spannung oder gar Horror auf. Miserables Timing sorgt dafür, dass so gut wie jeder Gag verpufft. Na schön, der Film ist für ein junges Publikum gemacht. Aber selbst 10-Jährige dürften sich bei dem unter anderem von Burger King sehr sichtbar gesponserten Geisterquatsch zu Tode langweilen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Haunted Mansion“
USA 2023
123 min
Regie Justin Simien

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

L’IMMENSITÀ – MEINE FANTASTISCHE MUTTER

L’IMMENSITÀ – MEINE FANTASTISCHE MUTTER

Ab 27. Juli 2023 im Kino

Ja, Penélope Cruz könnte auch das viel zitierte Telefonbuch vorlesen - es wäre trotzdem unmöglich, die Augen von ihr zu nehmen. In L’IMMENSITÀ spielt sie eine liebende Mutter am Rande des Nervenzusammenbruchs. Kombiniert mit aufregendem 70er-Jahre Style wird es dabei fast so gut wie bei Almodóvar.

Rom in den 1970er-Jahren: Im Mittelpunkt des Films steht eine ganz normale Familie. Clara und Felice sind in eine neue Wohnung gezogen, doch ihre Ehe wird nur noch von den drei Kindern zusammengehalten. Er hat Affären, sie ist unglücklich, aber sie kommen (noch) nicht voneinander los. Die zwölfjährige Tochter Adriana ringt mit ihrer Identität. Sie ist als Mädchen geboren, will aber lieber ein Junge sein. Andere Zeiten, moderne Probleme: Das fragile Familiengebilde droht an Adrianas Genderfindung zu zerbrechen.

Nicht alles hat ein Happy End

L’IMMENSITÀ – MEINE FANTASTISCHE MUTTER ist großes Erinnerungskino. Und das nicht nur, weil Regisseur Emanuele Crialese seine eigene Biografie verarbeitet. Wer selbst in den 1970er-Jahren aufgewachsen ist, fühlt sich immer wieder an die eigene Kindheit erinnert. Das Entdecken neuer, verbotener Orte, das gemeinsame Spielen, die heißen Sommertage, die streitenden Eltern, die sich oft um sich selbst und nicht um die Kinder drehen. Regisseur Crialese hat neben der wie immer tollen Penélope Cruz eine aufregende Neuentdeckung vor die Kamera geholt: Luana Giuliani spielt die geschlechtsverwirrte Tochter so glaubwürdig und intensiv – man mag kaum glauben, dass das Mädchen hier sein Leinwanddebüt gibt.

Selten war Traurigkeit so farbenfroh und poppig bunt. Die Musik von Raffaella Carrà, Patty Pravo und Adriano Celentano tut ihr Übriges. Trotzdem ist L’IMMENSITÀ – MEINE FANTASTISCHE MUTTER niemals kitschig oder melodramatisch. Vielleicht sogar ein bisschen zu ernst. Die episodenhafte Erzählweise spiegelt das wahre Leben wieder: Auch da bleibt vieles ungelöst, nicht alles hat ein Happy End.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „L’Immensità“
Italien / Frankreich 2022
94 min
Regie Emanuele Crialese

alle Bilder © STUDIOCANAL

VERRÜCKT NACH FIGARO

VERRÜCKT NACH FIGARO

Ab 27. Juli 2023 im Kino

Wer fest genug an seine Träume glaubt, der kann alles schaffen! So die plumpe Message der schon leicht modrig riechenden Opernkomödie von 2020.

Reich müsste man sein! So wie die junge Fondsmanagerin Millie Cantwell (Danielle Macdonald), die mal eben ihren gut bezahlten Job hinschmeißt, um statt dessen Opernsängerin zu werden. Professionelles Gesangstraining hatte sie zwar bislang keins, aber was soll’s?

Vom quakenden Entlein zum Stimmwunder

Millie lässt ihren Freund Charlie (Shazad Latif) in London sitzen, zieht in die schottischen Highlands, um dort bei der legendären Ex-Operndiva Meghan Geoffrey-Bishop (Joanna Lumley) Privatstunden zu nehmen. Natürlich wird die neue, nicht überbegabte Schülerin angenommen, Geld stinkt nicht. Dem anderen Schüler der Gesangslehrerin, Max (Hugh Skinner), stinkt es allerdings gewaltig, denn wie Millie träumt auch er davon, den Gesangswettbewerb “Singer of Renown” zu gewinnen. Da stört jede Konkurrenz.

Kein body-shaming. Wirklich nicht. Aber dass die sehr beleibte Zwillingsschwester von Ricarda Lang gleich mehrere gut aussehende Typen um die Wurstfinger wickelt – wer’s glaubt … Dass Millie dann auch noch innerhalb weniger Monate vom quakenden Entlein zum Stimmwunder mutiert, geht den entscheidenden Jump-the-whale-Schritt zu weit. Zumal die Unterrichtsmethoden der schlecht gelaunten Gesangslehrerin größtenteils aus Beleidigungen und Halswürgen zu bestehen scheinen.

Schon klar, was die Macher da im Sinn hatten. Typisch britische, schrullige Charaktere, kombiniert mit einem Best-of-Opernhits. Herausgekommen ist aber nur eine mäßig lustige Durchschnittskomödie. Wer will, kann die Augen zumachen und die Musik genießen. Die Schauspieler bewegen nur die Münder, gesungen wird von Profis.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Falling for Figaro“
Australien / UK 2020
105 min
Regie Ben Lewin

alle Bilder © 24Bilder

TALK TO ME

TALK TO ME

Ab 27. Juli 2023 im Kino

Geständnis eines Boomers: Danny und Michael Philippou? Nie gehört!

Da rollt die Generation youtube mit den Augen. Voll cringe, die sind doch weltberühmt! Aber eben nur in der Welt der U-20-Jährigen. Die australischen Brüder betreiben einen sehr erfolgreichen Youtube-Kanal mit dem hübschen Namen „RackaRacka“. Mit TALK TO ME geben sie nun ihr Spielfilmdebüt.

Der Horror kriecht den Nacken hoch

Vielleicht hat jedes Land die Youtube-Stars, die es verdient. Während bei uns mit dem nach Dubai ausgewanderten Mr. Tutroial, Daggi Bee oder Julian Bam die Kreativlatte eher niedrig liegt, sind am anderen Ende der Welt zwei sagenhafte Regietalente aus der Youtube-Blase geschlüpft. Denn das ist das Überraschendste an TALK TO ME – der Horrorthriller ist richtig gut. Gut gespielt, ausgezeichnet gedreht, souverän inszeniert.

Be careful what you wish for: Die Geschichte ist eine zeitgemäße Variation des Gruselklassikers „The Monkey’s Paw“ von W.W. Jacobs. Eine Gruppe Jugendlicher trifft sich regelmäßig zu einem obskuren Partyspiel. Dabei berührt jeweils einer der Teilnehmer die (angeblich abgeschlagene) Hand eines Mediums und kann so in Kontakt mit den Toten treten. Aber Achtung: Länger als 90 Sekunden darf die Verbindung nicht bestehen. Handyvideos von besessenen Mitschülern machen auch Mia und Jade neugierig: Die beiden besten Freundinnen wollen selbst an einer Séance teilnehmen. Doch bald schlägt der Spaß in höllischen Ernst um.

Verweste Leichen, Unwetter, dunkle Familiengeheimnisse. TALK TO ME spielt die Klaviatur der Ängste perfekt und bietet dabei mehr als nur die üblichen Jump-Scares. Der Horror kriecht den Nacken hoch, löst echtes Unbehagen aus. Dass TALK TO ME ein Erstlingswerk ist, kann man kaum glauben. So einen stilsicher inszenierten und gut getimeten Horrorfilm gab es lange nicht.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Talk to me“
Australien 2022
94 min
Regie Danny und Michael Philippou

alle Bilder © capelight pictures