MILLA MEETS MOSES

Wenn eines Tages Außerirdische das kulturelle Erbe der Menschheit durchforsten, werden sie sich wundern, weshalb es so viele Bücher und Filme über sterbenskranke Teenager gibt. „Milla meets Moses“ ist der nächste Beitrag zum Thema „Jugend und Tod“.

Die 16-jährige Milla verliebt sich in den kleinen Drogendealer Moses. Ihren Eltern gefällt das zunächst gar nicht. Doch die seltsame Beziehung beschert dem schwerkranken Mädchen neue Lebensfreude. Als die Eltern merken, dass Moses ihrer Tochter sichtlich guttut, nehmen sie ihn trotz aller Bedenken bei sich auf. Durch den ungewöhnlichen Familienzuwachs werden sie unfreiwillig mit ihren eigenen Schwächen konfrontiert.

Die australische Regisseurin Shannon Murphy variiert das Thema mit einer neuen, erfrischenden Erzählweise. „Babyteeth“ (so der Originaltitel) ist ganz im Sinne des „modern cinemas“ spontan und authentisch inszeniert und damit weit entfernt von thematisch vergleichbaren Filmen, wie „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ oder der letzte Woche gestarteten deutschen Produktion „Gott, Du kannst ein Arsch sein“.

„Milla meets Moses“ schafft es, deprimierende Themen wie Krankheit, Sucht und psychische Probleme unkonventionell und unverkrampft anzusprechen. Die Regisseurin findet dafür einen leichten, einfühlsamen und humorvollen Ton. Guter Film – gute Schauspieler: Eliza Scanlen und Toby Wallace überzeugen als körperlich, beziehungsweise seelisch kaputte Teenager. Ganz fabelhaft auch Essie Davis und Ben Mendelsohn, die in ihren Rollen als Eltern zugleich neurotisch, gebrochen und komisch sind.

FAZIT

Unkitschige, berührende Coming-of-Age-Geschichte über das Sterben.

Originaltitel „Babyteeth“
Australien 2020
118 min
Regie Shannon Murphy
Kinostart 08. Oktober 2020

alle Bilder © X Verleih

THE OUTPOST – ÜBERLEBEN IST ALLES

„The Outpost“ basiert auf dem gleichnamigen Buch des CNN-Reporters Jake Tapper und beschreibt die „Schlacht von Kamdesh“, die als eine der blutigsten Auseinandersetzungen im Afghanistan-Krieg gilt. 

Der entlegene Außenposten einer amerikanischen Militäreinheit in Afghanistan – eingekesselt, komplett von Bergen umgeben. Heckenschützen und Granaten stellen eine ständige Gefahr für die stationierten US-Soldaten dar. Keine gute Ausgangsposition. „Es wird nicht besser“, hat einer an die Wand neben seinem Feldbett geschrieben – Den Männern ist die Sinnlosigkeit ihres Auftrags schmerzlich bewusst. Trotz der Versuche, den Einheimischen Hilfe beim Wiederaufbau ihrer Gemeinde anzubieten, kommt es regelmäßig zu Scharfschützen-Angriffen der Taliban. Eines Tages eskaliert die Situation.

„The Outpost“ stellt den Wahnsinn einer komplett überflüssigen Militär-Mission bloß. Das ist teilweise erschütternd – ziemlich genau so muss es im realen Krieg zugehen – aber natürlich auch US-typische Heldenverehrung, weshalb es vor allem zum Ende reichlich Pathos gibt.

Die Besetzung ist gut, dass Orlando Bloom mitspielt, realisiert man erst beim Abspann: Wie das mit kurz geschorenen Köpfen so ist – man kann sie nur schwer auseinanderhalten. Hinzu kommt, dass den ähnlich aussehenden Charakteren vom Drehbuch nicht allzu viel Hintergrundgeschichte mitgegeben wird. Dabei wäre es ja durchaus hilfreich, wenn man die Figuren etwas besser kennenlernen würde, bevor sie alle niedergeschossen werden.

FAZIT

Gar nicht so schlecht, reicht aber nicht an die Qualität von modernen Kriegsfilm-Klassikern wie „American Sniper“ heran.

Originaltitel „The Outpost“
USA 2020
119 min
Regie Rod Lurie
Kinostart 17. September 2020

BENT

Was haben Kinos und Bordelle gemeinsam?
Beide gehören zu den sogenannten „Vergnügungsstätten“ und dürfen deshalb – im Gegensatz zu Theatern und Konzerthäusern – bald wieder aufmachen. Juche!
Die Bundesländer können sich überraschenderweise nicht einigen: Hier gehts am 15. Mai, da drei Tage später und dort erst nach Pfingsten los. Berlin macht sich’s gemütlich und nimmt sich ein bisschen länger Zeit – in der Hauptstadt bleiben die Kinosäle bis 5. Juni verschlossen. Das uneinheitliche Vorgehen ist für Verleiher ein Desaster, denn ein großer Hollywoodfilm wird kaum Bundesland für Bundesland an den Start geschickt. Bis sich dann alle doch noch geeinigt haben, gibt es weiterhin neue Video-on-Demand-Veröffentlichungen: diesmal ein digital restaurierter Klassiker des Queerfilms, „Bent“.

Erstaunlich, wer da alles mitspielt: Mick Jagger, Clive Owen, Nikolaj Coster-Waldau, Ian McKellen und der noch unbekannte Jude Law – in einer winzigen Nebenrolle, „Bent“ wurde 1997 gedreht.

Der homosexuelle Max (Clive Owen) genießt ein rauschhaft dekadentes Leben im Berlin der 30er Jahre. Während des „Röhm-Putsches“ können er und sein Freund Rudi zunächst fliehen, werden aber bald gefasst und verhaftet. Um nicht den rosa Winkel für Homosexuelle tragen zu müssen, lässt sich Max auf dem Weg nach Dachau einen Judenstern geben. Seine Selbstverleugnung geht sogar so weit, dass er seinen Freund auf Geheiß der Nazis tot prügelt.

Im Lager trifft Max auf Horst (Lothaire Bluteau), einen Insassen, der stolz das rosa Dreieck trägt. Die beiden Männer verlieben sich, obwohl ihnen streng verboten ist, miteinander zu sprechen oder sich gar zu berühren. 

Die erste Hälfte des Films hat mit ihren opulenten Partyszenen und Mick Jagger als Dragqueen (!) noch Schauwert, doch spätestens im zweiten Teil kippt „Bent“ in eine seltsame Künstlichkeit. Im Konzentrationslager werden in weißer Kulisse minutenlang Steine von rechts nach links getragen und in gestelzten Dialogen philosophiert. Dass der Film auf einem Theaterstück basiert, merkt man ihm da nur allzu deutlich an. 

FAZIT

Stärker auf der Bühne als auf der Leinwand.

p.s. Sollten die Kinos bis Anfang Juni alle wieder auf sein, kann man sich schonmal auf folgende Filme freuen:
„Exil“ ab 04. Juni
„Undine“ von Chritian Petzold ab 11. Juni
und ab 25. Juni „Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani

Originaltitel „Bent“
UK / JP 1997
102 min
Regie Sean Mathias
OV mit dt. UT
Ab sofort als VoD bei Club Salzgeber für 4,90 €

SYSTEMSPRENGER

MAMAAAAA!!! AAAAAHHHHH! Kreisch, Strampel, Tob: der Film zum häuslichen Coronakoller.
Benni (Helena Zengel, Deutscher Filmpreis: Beste Hauptdarstellerin) ist ein „Systemsprenger“. So nennt man Kinder, die durch alle Raster der deutschen Kinder- und Jugendhilfe fallen. Die Neunjährige schreit und prügelt sich schon nach kurzer Zeit aus jeder Pflegeeinrichtung raus. Genau das ist ihr Plan, denn Benni möchte unbedingt mit ihrer Mutter Bianca (Lisa Hagmeister) zusammenleben. Aber jeder außerplanmäßige Besuch beginnt mit Überforderung und endet in Gewalt. Zwischen all den Ausbrüchen und Kämpfen ist Benni ein niedliches Kind, das sich nach Zuneigung sehnt.
Entschlossen, sie aus dem Kreislauf der dauernden Zurückweisungen herauszuholen, nimmt Erzieher Micha (Albrecht Schuch, Deutscher Filmpreis: Bester Hauptdarsteller) die kleine Zeitbombe
 mit in eine einsam gelegene Waldhütte. Doch auch dieser Rettungsversuch mit Erlebnispädagogik ist zum Scheitern verurteilt. 

Nora Fingscheidt ist ein beinahe dokumentarischer Film über ein schwieriges Kind in noch schwierigeren Umständen gelungen. Als Zuschauer schwankt man zwischen Mitleid, Genervtheit und Hass. Das Dauer-Geschrei, aber auch die Ungerechtigkeit der Welt, geht an die Grenzen des Ertragbaren. „Systemsprenger“ ist ein intensiver Film mit einer herausragenden Hauptdarstellerin.

FAZIT

Völlig zu Recht achtfacher Gewinner des Deutschen Filmpreises 2020.

Deutschland 2019
118 min
Regie Nora Fingscheidt
ab sofort auf NETFILX

THE FAREWELL

Oma liegt im Sterben und so versammelt sich die gesamte Familie noch mal zum Abschiednehmen in China. Die Todkranke soll nichts von ihrem baldigen Ableben erfahren, deshalb bekommt sie eine Lüge aufgetischt: Als Grund für das Familientreffen wird die hastig organisierte Hochzeit des Enkelsohns vorgeschoben. Eine schwierige Situation, vor allem für die aus New York angereiste Enkeltochter Billi. Der fällt das Lügen besonders schwer, denn sie liebt ihre Nai Nai (Mandarin für Großmutter) über alles. 

„The Farewell“ beginnt mit dem Satz „Basierend auf einer wahren Lüge“. Gleich danach wird ein Telefonat zwischen Billi in New York und ihrer Nai Nai in China gezeigt: 

„Trägst Du eine Mütze?“ „Ja“, sagt Billi beruhigend (natürlich trägt sie keine). 

„Bist Du zu Hause?“ „Ja“, lügt Nai Nai (ist sie nicht, sie ist im Krankenhaus).

Der Mensch lügt bis zu 200 mal am Tag. Ohne Böswilligkeit werden die „white lies“ oder Notlügen ausgesprochen, um den anderen nicht zu beunruhigen oder zu verletzen. In China geht man da noch weiter. Dort wird Todgeweihten selbst von Ärzten aus Respekt bisweilen die Wahrheit verschwiegen.

Sterbende Oma, weinende Enkel, Hochzeit – In den Händen einer weniger fähigen Filmemacherin hätte das Ganze auch zu einem Kitschfest ausarten können. Doch Regisseurin Lulu Wang ist ein berührender, witziger und kluger Film über Familiendynamiken gelungen. Sie erzählt hier ihre eigene Geschichte. Auch ihre Großmutter war erkrankt, auch ihre Familie beschloss, die Diagnose zu verheimlichen.

Die Besetzung der Hauptrolle Billi mit der amerikanischen Rapperin Awkwafina ist ein Glücksfall. Nach „Crazy Rich Asians“ zeigt sie hier, dass ihr zurückhaltendes und vielschichtiges Spiel ebenso liegt wie Comedy.

FAZIT

Gute Mischung aus Humor und Drama, gleichzeitig ein warmherziger Einblick in chinesische Familienverhältnisse.

Originaltitel „The Farewell“
USA / China 2019
100 min
Regie Lulu Wang
Kinostart 19. Dezember 2019

HUSTLERS

„Das ganze Land ist ein Stripclub. Auf der einen Seite sind die Leute, die mit dem Geld um sich werfen, auf der anderen Seite die Menschen, die dafür tanzen.“ 

Diese tierschürfende Erkenntnis teilt Stripperin Ramona (Jennifer Lopez) am Ende des Films mit den Zuschauern. Sie muss es wissen, denn mit Arschwackeln und Poledance hat sie es im angesagtesten Club der Stadt weit gebracht. Doch 2008 kommt es zum großen Börsencrash, plötzlich bleiben die spendablen Sugardaddys weg – und damit das Geld. Statt für ein paar Dollar zu tanzen, greift Ramona mit ihrer Freundin Destiny (Constance Wu „Crazy Rich Asians“) zu rabiaten Mitteln. Gemeinsam gründen sie eine Gaunerbande, die die Wall-Street-Kunden mit K.-o.-Tropfen außer Gefecht setzt, um dann deren Kreditkonten leer zu räumen. 

Der Film beruht auf einem Zeitungsartikel, erschienen im New York Magazine 2015. Also fast eine wahre Geschichte. Musik, Drogen, Klamotten, Penthouses – so schön kann das Leben als Stripperin sein. Und ja, für ungefähr eine Stunde ist das auch ganz unterhaltsam anzusehen. Es gibt ein paar lustige Momente und J-Lo sieht wirklich toll aus. Aber das Crime-Drama über Stripperinnen mit Herzen aus Gold ist zu leichtgewichtig. Dauer-Party in allen Varianten, ein paar Gastauftritte von Usher, Cardi B und Lizzo und sich ständig wiederholende Szenen, in denen durchweg unsympathische Scheißkerle um ihr Geld erleichtert werden sind zu wenig für fast zwei Stunden Laufzeit.

FAZIT

Nicht ganz so großartig wie überall behauptet, aber immerhin besser als „Showgirls“.

Originaltitel „Hustlers“
USA 2019
110 min
Regie Lorene Scafaria
Kinostart 28. November 2019

LE MANS 66 – GEGEN JEDE CHANCE

Ein Phänomen, in vielen Konzernen zu beobachten: Will man etwas erreichen, muss man direkt mit dem Chef sprechen. Meist ist der aber von Neinsagern und Speichelleckern abgeschirmt, die gute Ideen und innovative Vorschläge so lange verwässern, bis nur noch Unsinn übrig bleibt. Mit diesem zeitlosen Problem hat auch der amerikanische Autodesigner Carroll Shelby (Matt Damon) Anfang der 60er-Jahre zu kämpfen. Gemeinsam mit dem hitzköpfigen Rennfahrgenie Ken Miles (Christian Bale) soll er das angestaubte Image der US-Automarke Ford aufbessern. Dazu müssen die beiden erst mal den schnellsten Rennwagen der Welt entwickeln, um damit das prestigeträchtige 24-Stunden-Rennen von Le Mans zu gewinnen. Keine leichte Aufgabe angesichts der Bedenkenträger bei Ford und des übermächtigen Gegners Enzo Ferrari.

Mangolds Film, im Original passender „Ford v Ferrari“ betitelt, spielt zu einer Zeit, als Meinungsverschiedenheiten zwischen Männern noch mit einer anständigen Prügelei aus der Welt geräumt wurden. Gut gegen Böse, die Suche nach unbedingter Freiheit – „Le Mans 66“ erinnert an einen modernen Western, der galoppierende Pferde auf staubigen Pfaden gegen Rennautos auf dem Asphalt ausgetauscht hat. Der Film beruht auf einer wahren Geschichte, weshalb Method-Actor Christian Bale für seine Rolle wieder mal etliche Kilos abgespeckt hat. Wie oft kann so ein armer Körper das ständige Zu- und wieder Abnehmen eigentlich aushalten, bevor die Haut in großen Lappen herunterhängt? Matt Damon spielt das, was er am besten kann: den leicht angeschlagenen, netten Kerl von nebenan, der unaufgeregt die Fäden in der Hand behält.

FAZIT

Erstaunliche Erkenntnis nach zweieinhalb Stunden: Im Kreis fahrende Fahrzeuge können spannend sein. Selbst wenn man sich kein bisschen für Autorennen interessiert – „Le Mans 66“ ist ein packender, im besten Sinne altmodischer Film.

Originaltitel „Ford v Ferrari
USA 2019
152 min
Regie James Mangold
Kinostart 14. November 2019

ZOMBIELAND: DOPPELT HÄLT BESSER

2009 war die Welt der lebenden Leichen noch in Ordnung, da galt ein Film wie „Zombieland“ als erfrischend anders. Mittlerweile müffeln die allgegenwärtigen Untoten und auch Ruben Fleischers „Zombieland: Doppelt hält besser“ hat dem Genre nichts weltbewegend Neues beizufügen. Leichter Verwesungsgeruch hängt in der Luft.

Ein paar hübsche Ideen, ein paar nette Gags, viele spaßig gemeinte Schrifteinblendungen – das alles gab es so ähnlich schon im ersten Teil der Zombiekomödie. Emma Stone, Jesse Eisenberg (der ewige Mark Zuckerberg) und Woody Harrelson sind wieder mit von der Partie, Neuzugang Zoey Deutch bringt als knalldoofe Blondine ein bisschen frischen Wind ins Spiel. Aber gibt es einen zwingenden Grund für diese Fortsetzung? Gleich zu Beginn bedankt sich Eisenbergs Figur Columbus bei den Zuschauern, dass sie sich trotz der großen Auswahl an Zombiefilmen nun ausgerechnet diesen anschauen. Immerhin weiß „Zombieland: Doppelt hält besser“ um seine Überflüssigkeit.

FAZIT

Kann man kucken, muss man nicht.

Originaltitel „Zombieland: Double Tap“
USA 2019
96 min
Regie Ruben Fleischer
Kinostart 07. November 2019

SCARY STORIES TO TELL IN THE DARK

„Scary Stories to tell in the Dark“ wird zwar als „der neue Film von Guillermo del Toro“ beworben – tatsächlich fungierte der Oscargewinner diesmal aber nur als Produzent, die Regie übernahm André Øvredal. Der Norweger ist zuletzt mit dem gelungenen Horror-Thriller „The Autopsy of Jane Doe“ positiv aufgefallen.

In der US-Kleinstadt Mill Valley kommen vier Teenager auf die schlechte Idee, ausgerechnet an Halloween das verlassene Haus der Familie Bellows auszukundschaften. Im Keller finden die Jugendlichen ein mysteriöses Buch, in dem sich wie von Zauberhand jede Nacht neue Geschichten schreiben. Mit blutiger Tinte verfasst, werden darin die schlimmsten Albträume der Leser zum Leben erweckt.

Die Handlung spielt 1968 und dankenswerterweise mal nicht in den zu Tode retro-zitierten 1980er Jahren. Auch wenn sich die Ausstattung bemüht hat – richtig glaubwürdig kommt das nicht rüber, die Figuren sind im Aussehen und Verhalten zu modern. Doch allzu wichtig ist das für die Geschichte nicht – Hauptsache, keiner hat ein Mobiltelefon zur Hand und kann damit um Hilfe rufen. 

Spukhäuser und von Monstern gejagte Teenager: das ist zwar nicht sonderlich neu und originell, funktioniert aber als amüsante Geisterbahnfahrt ganz ausgezeichnet. Während die Stephen King Verfilmung „ES“ unverständlicherweise ein globaler Kinohit wurde, versteht es dieses thematisch verwandte B-Picture um einiges besser, eine unheimliche Atmosphäre und Spannung zu erzeugen.

FAZIT

Kurzweiliger, gut gemachter Gruselfilm.

Originaltitel „Scary Stories to tell in the Dark“
USA 2019
108 min
Regie André Øvredal
Kinostart 31. Oktober 2019

PARASITE

Familie Kim haust in einer versifften Kellerwohnung. Erst als Sohn Ki-woo einen Job als Nachhilfelehrer bei den steinreichen Parks ergattert, wendet sich das Blatt. Schnell kapiert er, dass vor allem Frau Park ausgesprochen leichtgläubig ist. Durch Tricksereien gelingt es ihm, seine Schwester als Kunsterzieherin, seinen Vater als Chauffeur und später seine Mutter als Haushälterin in die Familie einzuschleusen. Bald sind die Kims unverzichtbar für ihre neuen Herrschaften. Doch statt serviler „Downton Abbey“-Dienerschaft nistet sich eine parasitäre Verbrecherbande ins Haus der Parks ein.

Angesichts des Titels könnte das neue Werk von Bong Joon Ho („The Host“, „Snowpiercer“, „Okja“) auch ein Horror-Film sein. Doch der Parasit ist in diesem Fall kein schleimiges Ekelvieh, sondern der Mensch selbst. Kapitalismuskritik, verpackt in eine Metapher: Die armen Kims leben buchstäblich ganz unten in einem wanzenverseuchten Loch, während die reichen Parks ganz oben in einem Traum aus Glas und Beton residieren. Wer am Ende der wahre Parasit ist, bleibt Interpretationssache.

„Parasite“ steckt voller Überraschungen: Clevere Gaunergeschichte, bisssige Gesellschaftssatire und spannender Thriller. Als Zuschauer weiß man nie genau, wohin sich der Film entwickelt. Wie schon die vorherigen Arbeiten des Regisseurs, ist auch „Parasite“ wunderschön fotografiert und mit viel Stilgefühl ausgestattet.

FAZIT

Die brillante Genremischung ist zu Recht der Goldene Palme Gewinner von Cannes 2019.

Originaltitel „Gisaengchung“
Südkorea 2019
131 min
Regie Bong Joon Ho
Kinostart 17. Oktober 2019

JOKER

„Joker“, oder das Gegenteil von schönen Menschen in schöner Umgebung. Dieser Film macht keine gute Laune – und trotzdem: „Joker“ ist überraschend unterhaltsames, großes Kino. 

Gotham City, Anfang der 1980er Jahre, eine verbrecherische, korrupte Stadt in Aufruhr. Hier lebt Arthur Fleck mit seiner schwerkranken Mutter Penny in einer verwahrlosten Mietskaserne. Ein einsamer, gequälter Mann. Der Berufsclown leidet unter dem unkontrollierten Drang, zu den unpassendsten Gelegenheiten in irres Gelächter auszubrechen. Schuld ist eine in der Kindheit erlittene Gehirnverletzung. Eine erklärende Karte, vorbildlich laminiert, reicht Arthur bei passender Gelegenheit seinem irritierten Gegenüber. Als er von Teenagern auf offener Straße zusammengeschlagen und später in der U-Bahn verspottet wird, brennen bei dem Außenseiter die Sicherungen durch. Ein Clown sieht rot.

Düster, bedrohlich und die mutigste Comicverfilmung seit „The Dark Knight“.  Regisseur Todd Phillips nimmt sich jede Menge Zeit für die Entwicklung seiner sich kontinuierlich abwärts drehenden Spirale in den Wahnsinn. Joaquin Phoenix spielt die tragische Figur des Arthur Fleck phänomenal. Für die Rolle hat Phoenix dramatisch abgenommen, sein skelettartiger Körper sieht überzeugend furchterregend aus. Die Kombination aus komplett irrem Lachen und bulimischer Figur sollte auf jeden Fall für eine Oscarnominierung reichen. Dagegen wirkt Heath Ledgers legendäre Interpretation des ewigen Batman-Widersachers beinahe gesund und unbeschwert. In einer Nebenrolle glänzt Robert de Niro als Johnny Carson-Verschnitt. Eine Besetzung auf Metaebene, erinnert „Joker“ doch in weiten Teilen an Scorseses großen Kinoerfolg von 1976 „Taxi Driver“, damals mit dem jungen de Niro in der Hauptrolle.

FAZIT

Düstere Charakterstudie statt strahlend bunter Superhelden. Gelungene Comicverfilmung, nichts für Eskapisten.

Originaltitel „Joker“
USA 2019
122 min
Regie Todd Philips
Kinostart 10. Oktober 2019

SKIN

Tattoos sind Scheiße. Das Stechen tut weh, das Entfernen noch mehr. Diese Wahrheit muss Bryon (Jamie Bell) am eigenen Leib erfahren. Nach seinem Entschluss, sich von seinen rassistischen White-Supremacy-Freunden loszusagen, wartet eine schmerzhafte Enttintungsprozedur auf ihn. Bei seinem Weg ins neue Leben helfen ihm ausgerechnet schwarze Menschenrechtsaktivisten und natürlich die Liebe, denn Freundin Julie hat mit dem Nazipack ebenso abgeschlossen.

Der israelische Filmemacher Guy Nattiv erzählt in seinem ersten US-Spielfilm die wahre Geschichte des Szeneaussteigers Bryon „Babs“ Widner. „Skin“ basiert auf Nattivs gleichnamigen, in diesem Jahr mit einem Oscar prämierten Kurzfilm.

FAZIT

Eindringliches und authentisches Thriller-Drama. Hervorragend besetzt, vor allem Jamie Bell („Billy Elliot“) überzeugt als bekehrter Rassist. 

Originaltitel „Skin“
USA 2019
117 min
Regie Guy Nattiv
Kinostart 03. Oktober 2019

SYSTEMSPRENGER

MAMAAAAA!!! AAAAAHHHHH! Kreisch, Strampel, Tob: der Film zum Prenzlpanther.
Benni (Helena Zengel) ist ein „Systemsprenger“. So nennt man Kinder, die durch alle Raster der deutschen Kinder- und Jugendhilfe fallen. Die Neunjährige schreit und prügelt sich schon nach kurzer Zeit aus jeder Pflegeeinrichtung raus. Genau das ist ihr Plan, denn sie möchte endlich wieder bei ihrer leiblichen Mutter leben.

Nora Fingscheidt ist ein intensiver, beinahe dokumentarischer Film über ein schwieriges Kind in noch schwierigeren Umständen gelungen. Als Zuschauer schwankt man zwischen Mitleid, Genervtheit und Hass. Das Dauer-Geschrei, aber auch die Ungerechtigkeit der Welt, geht an die Grenzen des Ertragbaren. Völlig zu Recht im Rennen um den besten ausländischen Film bei den Oscars 2020.

FAZIT

Guter Film mit einer herausragenden Hauptdarstellerin.

Deutschland 2019
118 min
Regie Nora Fingscheidt
Kinostart 19. September 2019

AD ASTRA – ZU DEN STERNEN

Auf der höchsten Antenne der Welt, deren Spitze bis in den Weltraum ragt, arbeitet Astronaut Roy McBride (Brad Pitt) – der coolste von allen. Selbst als die Antenne von einem Stromschlag getroffen wird und er aus vielen Kilometern Höhe zur Erde stürzt, bleibt sein Puls konstant bei 60. Der mysteriöse Energiestoß kommt vom Neptun, wo Roys verschollen geglaubter Vater vermutet wird. Um weitere Katastrophe zu verhindern, reist Major McBride an den äußeren Rand des Sonnensystems.

Orgelmusik. Tiefsinnige, innere Monologe. Weltraumaufnahmen, die so perfekt sind, als sei ein Kamerateam dorthin gereist: Klingt wie eine Beschreibung des Science-Fiction-Epos „Interstellar“, ist aber „Ad Astra“, der diesjährige US-Wettbewerbsbeitrag der Filmfestspiele von Venedig. 

Ging es bei Christopher Nolan um das zerrissene Band zwischen Vater und Tochter, ist diesmal eine kaputte Vater-Sohn Beziehung das Thema. Außer einer sehr hübsch gemachten actionreichen Verfolgungsjagd auf dem Mond setzt Regisseur Gray hauptsächlich auf schwermütige Erkenntnissuche. Familienaufstellung im Kosmos. Brad Pitts Talent als Charmeur wird verschenkt. Wie schon Ryan Gosling in „First Man“ beschränkt sich seine Schauspielerei auf trauriges vor sich Hinstarren. Das macht auf Dauer nur bedingt Freude beim Zusehen. Der Filmtitel leitet sich von der lateinischen Redewendung „Per aspera ad astra“ ab, was soviel wie „Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen“ heißt. Da ist was dran – die 116 Minuten fühlen sich wie 4 Stunden an.

FAZIT

Mehr was für Freunde von Soderberghs „Solaris“.

Originaltitel „Ad Astra“
USA 2019
116 min
Regie James Gray
Kinostart 19. September 2019

CRAWL

Da kann Greta Thunberg mit noch so schmalen Augen predigen – das Klima geht unaufhaltsam weiter den Bach runter. Kein Wunder, dass bei all den Hurrikans und sintflutartigen Regengüssen auch die Tierwelt durchdreht.

Der Amerikaner hat eine abstoßende architektonische Eigenart: Anstelle eines gescheiten Untergeschosses mit gemauerten Wänden, Licht und Partykeller baut er seine Papphäuser oft auf ein paar primitive Steinsäulen. So bleibt statt des Fundamentes nur der sogenannte Crawlspace, eine gebückt begehbare Lücke zwischen Erdreich und Unterboden. Darin verbirgt sich neben der Strom- und Gasleitung auch allerhand Getier. Aber was hat Klimawandel mit Hausbau zu tun?

Ein Sturm tobt an der Küste Floridas, Land unter. Haley ignoriert alle Aufrufe zur Evakuierung – ihr Vater wird vermisst. Sie macht sich auf die Suche und findet ihn schließlich schwer verletzt im Crawlspace unter seinem Haus. Die Zeit, ihn zu retten, wird immer knapper. Das Wasser steigt und neben Ratten und Spinnen kriecht noch eine weitere, weitaus größere Gefahr da unten. Crawl in mehrfacher Hinsicht.

Ein Vergleich mit „Jaws“ drängt sich auf, auch dort wird der Mensch zur Beute eines wütend schnappenden Untiers. Regisseur Aja inszeniert seinen atavistischen Horror-Thriller ohne Firlefanz, kommt schnell zur Sache und nervt nicht mit Metaebene und Subtext. So schön kann Genrekino sein. 

FAZIT

Ist das alles logisch? Nö, dafür aber extrem spannend.

Originaltitel „Crawl“
USA 2019
88 min
Regie Alexandre Aja
Kinostart 22. August 2019

DAS ZWEITE LEBEN DES MONSIEUR ALAIN

Der Dieselskandal hat die Automobilbranche erschüttert, jetzt setzen die Hersteller auf Elektromobilität. Beim Genfer Autosalon soll das neue französische E-Auto LX2 vorgestellt werden. Manager Alain Wapler steht nach drei Jahren Entwicklungszeit unter Druck, im Konzern ist er ohnehin angezählt.

5 Uhr 50, der Radiowecker spielt die Börsennachrichten: Alains Arm fühlt sich seltsam taub an, im Büro geht sein Powernap nahtlos in eine Ohnmacht über und auf dem Weg zum nächsten Termin folgt plötzlich ein Gehirnschlag. So schnell kann’s gehen, der Workaholic mit dem übergroßen Ego ist außer Gefecht gesetzt. Sein Sprachzentrum ist schwer gestört, die Worte kommen nur noch drehvert aus dem Mund und mit dem Orientierungssinn steht es auch nicht zum besten.

„Das zweite Leben des Monsieur Alain“ basiert auf der Autobiografie des Ex-Airbus- und Peugeot-Konzernmanagers Christian Streiff. Dessen komisch-dramatischer Kampf zurück ins Leben und sein Versuch, das Herz seiner entfremdeten Tochter wiederzugewinnen, hätten für einen abendfüllenden Kinofilm ausgereicht. Aber zusätzlich wird in einer Parallelhandlung die zwar charmante, aber komplett überflüssige Liebes- und Adoptionsgeschichte der Logopädin Jeanne erzählt. Dann gibt’s noch einen „Ich bin dann mal weg“-Jakobsweg-Selbstfindungstrip auszuhalten, da wähnt man sich schon wieder in einem ganz anderen Film. Weniger wäre mehr. 

FAZIT

Gute Schauspieler, interessante Geschichte – stellenweise berührend und komisch – insgesamt aber zu unentschlossen umgesetzt. Vor allem im letzten Drittel zerfasert der Film komplett.

Originaltitel „Un homme pressé„
Frankreich 2018
100 min
Regie Hervé Mimran
Kinostart 22. August 2019

PHOTOGRAPH

Der neue Film von Ritesh Batra. Im vergangenen Jahr erfreute der Regisseur mit der sehr gelungenen Romanverfilmung „The Sense of an Ending“ – seinem zweiten englischsprachigen Film nach „Lunchbox“ (2013). Mit „Photograph“ kehrt er nun zu seinen indischen Wurzeln zurück.
Straßenfotograf Rami soll von seiner Großmutter zwangsverheiratet werden. Als er eines Tages zufällig die junge Miloni trifft, fragt er sie, ob sie sich als seine Freundin ausgeben könnte. Das schüchterne Mädchen willigt ein.

„Photograph“ ist eine bittersüße, aber recht harmlose Romanze über zwei Menschen von unterschiedlicher Herkunft. Gewöhnungsbedürftig ist die Besetzung der beiden Hauptdarsteller: „Rafi“ Nawazuddin Siddiqui, sonst in Indien eher als Actionstar bekannt, könnte locker als Vater von Sanya Malhotras „Miloni“ durchgehen.

FAZIT

Zeigt ein paar authentische Einblicke in den indischen Alltag. Ganz okay.

Originaltitel „Photograph“
Indien/Deutschland/USA 2019
110 min
Regie Ritesh Batra
Kinostart 08. August 2019

SO WIE DU MICH WILLST

Claire, 50, befreundet sich auf Facebook mit Alex, 29. Im Profil gibt sie sich als attraktive 24-Jährige aus, Alex zeigt sich interessiert. Nach ein paar Wochen hin- und hergechatte will er seine Traumfrau endlich treffen. Claire versucht, ihn auf Abstand zu halten, verliert sich aber zusehends im Sog der Parallelwelt, bis ein Unglück geschieht.

Nicht nur Teenager verlieren sich in der virtuellen Welt der Social Networks, auch reifere Semester sind vor dem Absturz ins digitale Nirwana nicht gefeit. Basierend auf einem Roman von Camille Laurens, erzählt Regisseur Safy Nebbou in „So wie Du mich willst“ von einer Frau, die nicht nur mit ihren eigenen Verletzungen ringt, sondern auch mit der Angst vor dem Älterwerden. Ihre Geschichte – bzw. die Geschichten, denn es werden mehrere Varianten erzählt – schwankt zwischen belanglos, ergreifend, komisch und kitschig. 

FAZIT

Juliette Binoche ist der Hauptgrund, diesen sanften Thriller-Liebesfilm anzuschauen, denn die ist wie immer fabuleux! 

Originaltitel „Celle que vous croyez“
Frankreich 2019
101 min
Regie Safy Nebbou
Kinostart 08. August 2019

AUSGEFLOGEN

Ooooooh! Was Hundewelpen im Tierreich sind, ist „Ausgeflogen“ für Kinofilme. Weich, knuddelig und herzerwärmend. Héloïse ist geschieden, Mutter dreier Kinder und Besitzerin eines Restaurants. Die beiden Älteren sind aus dem Haus, nun ist die Jüngste kurz davor, zum Studium nach Kanada zu ziehen. Küken müssen das Nest verlassen – ein notwendiger Schritt, der bei Héloïse eine existenzielle Krise auslöst.

Ein wenig erinnert „Ausgeflogen“ an „Boyhood“. Wie in Linklaters Film geht es auch hier um Familiendynamik, Loslassen und Erwachsenwerden. Die Erzählung wechselt dabei mit Leichtigkeit zwischen zwei Zeitebenen: dem heutigen Paris und dreizehn Jahre in die Vergangenheit, kurz nach dem Scheitern von Héloïse‘ Ehe.

Regisseurin Lisa Azuelos hat schon mit „LOL“ (zunächst als französische, später als US-Version) eine ähnlich charismatische Komödie vorgelegt. Timing, Charakterzeichnung und Tempo sind perfekt, Hauptdarstellerin Sandrine Kiberlain ist als liebenswerte Mutter zugleich komisch und berührend. 

FAZIT

Es geht zwar im Grunde um nichts, aber dieses Nichts wird in angenehm kurzweiligen 87 Minuten sehr charmant beschrieben.

Originaltitel „Mon Bébé“
Frankreich 2019
87 min
Regie Lisa Azuelos 
Kinostart 18. Juli 2019

SPIDER-MAN: FAR FROM HOME

Zur Pressevorführung tritt eine Mitarbeiterin von Sony vors Publikum und bittet, „keinesfalls irgendwelche Spoiler zu veröffentlichen, damit jeder Zuschauer die Chance hat, den Film unvoreingenommen zu genießen.“ Das macht es nicht gerade leicht, eine halbwegs relevante Besprechung zu „Spider-Man: Far From Home“ zu schreiben, denn wo ist die Grenze? Schließlich knüpft der Film direkt an die Ereignisse von „Avengers: Endgame“ an. Wissen mittlerweile alle Zuschauer, dass 
ACHTUNG: SPOILER 
Iron Man, alias Tony Stark das Zeitliche gesegnet hat? Und dessen Zögling Peter Parker, nun alleingelassen, seinen Weg vom Teenager zum ausgewachsenen Superhelden finden muss?

Darf man wenigstens sagen, dass der neue Spider-Man-Film ein durchwachsenes Vergnügen ist?

Nach dem epischen und fabelhaften letzten Avengers-Film schaltet Marvel (verständlicherweise) ein paar Gänge zurück. Wie soll man das auch toppen? 

Spidey ist müde und urlaubsreif. Da trifft es sich gut, dass seine (finanziell offensichtlich sehr gut gestellte) Schule einen Ausflug plant: Venedig, Paris, London.
Während unsereins ins Schwarzwälder Luginsland und später mit viel Glück nach Prag (damals noch vom Tourismus unzerstört) reisen durfte, fliegen die feinen New York Kids von heute mal eben über den Atlantik in die Alte Welt. Das kennt man schon: Fällt den Autoren nichts Neues ein, wird die Handlung kurzerhand in ein exotisches Land oder – wie in diesem Fall – nach Europa verlegt. So entpuppt sich die Klassenreise auch als lahmer Drehbuchkniff, um dem Film durch neue Locations frisches Blut zu injizieren. Hilft nichts, schon der erste Kampf, kaum in Venedig angekommen, mit einem wenig beeindruckenden „Gezeiten“-Monster, ist in seiner Plastikhaftigkeit vergleichsweise unterwältigend. Aber ohne Avengers-level-große Bedrohungen geht’s halt nicht, denn Spiderman ist ein Marvel-Superheldenfilm und keine Coming-of-Age-Komödie.

Hinter den zerstörungswütigen Wasser-, Erd-, Feuer- und Luft-Monstren steckt natürlich ein Bösewicht, der nach Ruhm und Macht giert. Die Motivation des Schurken ist allerdings mehr als an den Haaren herbeigezogen und das Drehbuch entblödet sich nicht, ihn zwischendurch sein Anliegen und den ganzen Plot in einem langatmigen Monolog erklären zu lassen. Gutes Geschichtenerzählen sieht anders aus.

FAZIT

Zwiespältig. Der Aspekt der pubertären Verunsicherung und ersten Verliebtheit hat deutlich mehr Potenzial als die auf Dauer ermüdenden Actionszenen. Sehenswert machen den Film seine mitunter witzigen Dialoge und der Cast: Verlässlich wie immer gibt Samuel L. Jackson den knurrigen Nick Fury, als Neuzugang im MCU ist Jake Gyllenhaal dabei und der mittlerweile 23-jährige Tom Holland überzeugt immer noch als Teenage Spider-Man.

Originaltitel „Spider-Man: Far From Home“
USA 2019
129 min
Regie Jon Watts
Kinostart 04. Juli 2019

KROOS

Toni Kroos – Sportler, Mensch, Stifter. So steht es grenzkitschig auf der offiziellen Homepage. Der Mann scheint keine Fehler zu haben. Selbst ehemalige Kritiker müssen mittlerweile eingestehen, dass Kroos ein brillanter Jahrhundertfußballer ist. Beim Megaverein Real Madrid bestimmt er seit 2014 als vorausschauender Logiker das Spiel. „Dirigent“, so bezeichnen ihn Kollegen und Trainer voller Bewunderung.

Der perfekte Toni wird 1990 in Greifswald geboren. Schon als Kleinkind ist sein Talent unverkennbar. Nach einer Karriere als Juniorspieler bei Hansa Rostock landet er 2006 für acht Jahre beim FC Bayern München. Für jeden anderen Spieler der Gipfel des Erfolgs, die Erfüllung aller Fußballträume. Nicht für Toni Kroos. Der „Mia san mia“-Verein und der kühle, rationale Spieler passen nicht zusammen. Dass er es trotzdem so lange aushält, spricht für seine Leidensfähigkeit.

Regisseur Manfred Oldenburg lässt sportliche Weggefährten, Freunde und vor allem die Familie zu Wort kommen. Die haben natürlich nur das Allerbeste über Toni zu sagen. Ein paar lustig skurrile Beobachtungen und die O-Töne von den Großeltern Kroos, Robbie Williams und Marcel Reif bewahren den Film vor allzu viel Pathos.

Uli Hoeneß, dem selbst eine Haftstrafe keinerlei Demut beibringen konnte, ist dann auch der einzige Interviewpartner, der eine nicht ganz so glänzende Meinung von Kroos hat. Bei aller bayrischen Arroganz – zwischendurch ist es erfrischend, wenigstens eine kritische Stimme zu hören. Der Rest ist Jubel, schließlich geht es hier um Legendenbildung.

FAZIT

„Toni Kroos“ ist ein gut gemachter Werbefilm – und trotz Dauerlobhudelei sehr unterhaltsam. Auch für Fußballignoranten sehenswert.

Deutschland 2019
113 min
Regie Manfred Oldenburg 
Kinostart 04. Juli 2019

PETS 2

In guter alter „Sex and the City 2“-Tradition wechselt die Fortsetzung von „Pets“ die Location. New York reicht nicht mehr, diesmal muss es wenigstens…Antiklimax…auf dem Land spielen. Wenig exotisch, dafür bieten sich hier ein paar neue Varianten der eigentlich auserzählten Idee: Unsere Haustiere führen ein heimliches Doppelleben. Sobald Frauchen und Herrchen das Haus verlassen, fallen die Masken. Aus Hunden, Katzen, Meerschweinchen und Kaninchen werden sprechende Wesen mit sehr menschlichen Verhaltensweisen und Problemen.
Diese Idee hat der erste Teil „Pets“ 2016 schon ausreichend und in allen Varianten durchgespielt. Für einen zweiten abendfüllenden Spielfilm ist den Machern nicht mehr genug eingefallen, „Pets 2“ ist eher eine Sammlung von Kurzgeschichten, die am Ende notdürftig zusammengeführt werden.
Macht aber nichts – Zielgruppe sind junge bis sehr junge Zuschauer, die werden ihren Spaß haben.

Unverzeihlich allerdings: Schafe werden in „Pets 2“ dümmlich und damit in denkbar schlechtem Licht dargestellt.

FAZIT

Hat einigermaßen Charme und ist kurzweilig.
Sinnloses Wissen: Terrier Max wird im US-Original von Patton Oswalt gesprochen. Im ersten Teil lieh noch der in Ungnade gefallene Louis C.K. der Figur seine Stimme.

Originaltitel „The Secret Life of Pets 2“
USA 2019
92 min
Regie Chris Renaud
Kinostart 27. Juni 2019

LONG SHOT – UNWAHRSCHEINLICH, ABER NICHT UNMÖGLICH

Im Weißen Haus regiert ein narzisstischer Depp. Im Gegensatz zu Donald Trump strebt der fiktive US-Präsident allerdings keine zweite Amtszeit an. Er möchte lieber in Kinofilmen mitspielen – das habe mehr Prestige, findet er. Außenministerin Charlotte Field (Charlize Theron) wittert ihre Chance, seine Nachfolgerin und somit die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden. Für ihre Bewerbungskampagne engagiert sie den chaotischen, aber brillanten Journalisten Fred Flarsky (Seth Rogen).

Es hätte auch eine Abrechnung mit dem Washingtoner Politpanoptikum oder eine beißende Satire werden können. Aber diesen Anspruch erhebt „Long Shot“ nicht. Die Romantikkomödie schöpft ihren Witz und Charme aus der Unwahrscheinlichkeit eines gegensätzlichen Paares. Damit das auch doofe Zuschauer verstehen, wird Charlize Theron durchweg fantastisch aussehend und stilvoll in Szene gesetzt, während Seth Rogen wie ein 10-jähriges Schulkind gekleidet ist und durch extreme Tollpatschigkeit auffällt. Das Drehbuch bedient sich relativ schamlos bei anderen Filmen (u.a. „Pretty Woman“und „There’s Something About Mary“) – aber besser gut geklaut, als schlecht neu erfunden.

„Long Shot“ funktioniert vor allem dank seiner Darsteller. Das Timing sitzt, die meisten Gags zünden. An Charlize Theron ist zwar keine begnadete Komödiantin verloren gegangen, aber im Zusammenspiel mit dem oft sehr lustigen Seth Rogen stimmt die Chemie. In Nebenrollen glänzen „Better Call Saul“ Bob Odenkirk als dümmlicher US-Präsident und ein bis zur Unkenntlichkeit geschminkter Andy Serkis als gruselige Schimäre aus Rupert Murdoch und Steve Bannon.

FAZIT

„Long Shot“ – gut gemacht und lustig.

Originaltitel „Long Shot“
USA 2019
125 min
Regie Jonathan Levine
Kinostart 20. Juni 2019

BRIGHTBURN: SON OF DARKNESS

Was wäre, wenn Superman kein schmalzlockiger Gutmensch, sondern eine Ausgeburt der Hölle wäre? Das ist die originelle Grundidee des Superhelden/Horrorfilms „Brightburn“.

Wie bei Familie Kent: Auf das Grundstück von Tori und Kyle Breyer stürzt eines Nachts ein UFO, in den qualmenden Trümmern liegt ein unversehrtes Baby. Das kinderlose Paar „adoptiert“ den Jungen. Bis kurz vor seinem 13. Geburtstag scheint Brandon ein ganz normales Kind zu sein. Doch als über Nacht die Pubertät einsetzt, entwickelt der Knabe statt Stimmbruch und Bartflaum übermenschliche Fähigkeiten. Und die nutzt er im Gegensatz zu seinem Vetter vom Planeten Krypton nicht zur Rettung der Erde, sondern um möglichst viele Menschen auf möglichst grausame Art zu töten.

Regisseur David Yarovesky stellt genüsslich alle ikonischen Superman-Bilder auf den Kopf. Statt heroisch, wirkt der mit flatterndem Cape am Himmel schwebende Brandon ausgesprochen bedrohlich. Und das mühelose Anheben eines PKWs versetzt nicht seine Eltern in Erstaunen, sondern beendet brutal das Leben eines Gegners – schön blutrünstig und ideenreich umgesetzt.

Erstaunlich, was man aus einem vergleichsweise mini Budget von 6 Millionen Dollar herausholen kann. Warum die US-Kritik den Film so gnadenlos geschlachtet hat, bleibt rätselhaft. Denn „Brightburn“ ist ein origineller, gut gemachter und durchweg spannender Horrorthriller.

FAZIT

Wenn das die einleitende Coming of Age Geschichte eines wütenden Teenagers ist, dann darf man sich schon auf die ausgewachsene Fortsetzung freuen.

Originaltitel „Brightburn“
USA 2019
91 min
Regie David Yarovesky 
Kinostart 20. Juni 2019