SKIN

Tattoos sind Scheiße. Das Stechen tut weh, das Entfernen noch mehr. Diese Wahrheit muss Bryon (Jamie Bell) am eigenen Leib erfahren. Nach seinem Entschluss, sich von seinen rassistischen White-Supremacy-Freunden loszusagen, wartet eine schmerzhafte Enttintungsprozedur auf ihn. Bei seinem Weg ins neue Leben helfen ihm ausgerechnet schwarze Menschenrechtsaktivisten und natürlich die Liebe, denn Freundin Julie hat mit dem Nazipack ebenso abgeschlossen.

Der israelische Filmemacher Guy Nattiv erzählt in seinem ersten US-Spielfilm die wahre Geschichte des Szeneaussteigers Bryon „Babs“ Widner. „Skin“ basiert auf Nattivs gleichnamigen, in diesem Jahr mit einem Oscar prämierten Kurzfilm.

FAZIT

Eindringliches und authentisches Thriller-Drama. Hervorragend besetzt, vor allem Jamie Bell („Billy Elliot“) überzeugt als bekehrter Rassist. 

Originaltitel „Skin“
USA 2019
117 min
Regie Guy Nattiv
Kinostart 03. Oktober 2019

SYSTEMSPRENGER

MAMAAAAA!!! AAAAAHHHHH! Kreisch, Strampel, Tob: der Film zum Prenzlpanther.
Benni (Helena Zengel) ist ein „Systemsprenger“. So nennt man Kinder, die durch alle Raster der deutschen Kinder- und Jugendhilfe fallen. Die Neunjährige schreit und prügelt sich schon nach kurzer Zeit aus jeder Pflegeeinrichtung raus. Genau das ist ihr Plan, denn sie möchte endlich wieder bei ihrer leiblichen Mutter leben.

Nora Fingscheidt ist ein intensiver, beinahe dokumentarischer Film über ein schwieriges Kind in noch schwierigeren Umständen gelungen. Als Zuschauer schwankt man zwischen Mitleid, Genervtheit und Hass. Das Dauer-Geschrei, aber auch die Ungerechtigkeit der Welt, geht an die Grenzen des Ertragbaren. Völlig zu Recht im Rennen um den besten ausländischen Film bei den Oscars 2020.

FAZIT

Guter Film mit einer herausragenden Hauptdarstellerin.

Deutschland 2019
118 min
Regie Nora Fingscheidt
Kinostart 19. September 2019

AD ASTRA – ZU DEN STERNEN

Auf der höchsten Antenne der Welt, deren Spitze bis in den Weltraum ragt, arbeitet Astronaut Roy McBride (Brad Pitt) – der coolste von allen. Selbst als die Antenne von einem Stromschlag getroffen wird und er aus vielen Kilometern Höhe zur Erde stürzt, bleibt sein Puls konstant bei 60. Der mysteriöse Energiestoß kommt vom Neptun, wo Roys verschollen geglaubter Vater vermutet wird. Um weitere Katastrophe zu verhindern, reist Major McBride an den äußeren Rand des Sonnensystems.

Orgelmusik. Tiefsinnige, innere Monologe. Weltraumaufnahmen, die so perfekt sind, als sei ein Kamerateam dorthin gereist: Klingt wie eine Beschreibung des Science-Fiction-Epos „Interstellar“, ist aber „Ad Astra“, der diesjährige US-Wettbewerbsbeitrag der Filmfestspiele von Venedig. 

Ging es bei Christopher Nolan um das zerrissene Band zwischen Vater und Tochter, ist diesmal eine kaputte Vater-Sohn Beziehung das Thema. Außer einer sehr hübsch gemachten actionreichen Verfolgungsjagd auf dem Mond setzt Regisseur Gray hauptsächlich auf schwermütige Erkenntnissuche. Familienaufstellung im Kosmos. Brad Pitts Talent als Charmeur wird verschenkt. Wie schon Ryan Gosling in „First Man“ beschränkt sich seine Schauspielerei auf trauriges vor sich Hinstarren. Das macht auf Dauer nur bedingt Freude beim Zusehen. Der Filmtitel leitet sich von der lateinischen Redewendung „Per aspera ad astra“ ab, was soviel wie „Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen“ heißt. Da ist was dran – die 116 Minuten fühlen sich wie 4 Stunden an.

FAZIT

Mehr was für Freunde von Soderberghs „Solaris“.

Originaltitel „Ad Astra“
USA 2019
116 min
Regie James Gray
Kinostart 19. September 2019

CRAWL

Da kann Greta Thunberg mit noch so schmalen Augen predigen – das Klima geht unaufhaltsam weiter den Bach runter. Kein Wunder, dass bei all den Hurrikans und sintflutartigen Regengüssen auch die Tierwelt durchdreht.

Der Amerikaner hat eine abstoßende architektonische Eigenart: Anstelle eines gescheiten Untergeschosses mit gemauerten Wänden, Licht und Partykeller baut er seine Papphäuser oft auf ein paar primitive Steinsäulen. So bleibt statt des Fundamentes nur der sogenannte Crawlspace, eine gebückt begehbare Lücke zwischen Erdreich und Unterboden. Darin verbirgt sich neben der Strom- und Gasleitung auch allerhand Getier. Aber was hat Klimawandel mit Hausbau zu tun?

Ein Sturm tobt an der Küste Floridas, Land unter. Haley ignoriert alle Aufrufe zur Evakuierung – ihr Vater wird vermisst. Sie macht sich auf die Suche und findet ihn schließlich schwer verletzt im Crawlspace unter seinem Haus. Die Zeit, ihn zu retten, wird immer knapper. Das Wasser steigt und neben Ratten und Spinnen kriecht noch eine weitere, weitaus größere Gefahr da unten. Crawl in mehrfacher Hinsicht.

Ein Vergleich mit „Jaws“ drängt sich auf, auch dort wird der Mensch zur Beute eines wütend schnappenden Untiers. Regisseur Aja inszeniert seinen atavistischen Horror-Thriller ohne Firlefanz, kommt schnell zur Sache und nervt nicht mit Metaebene und Subtext. So schön kann Genrekino sein. 

FAZIT

Ist das alles logisch? Nö, dafür aber extrem spannend.

Originaltitel „Crawl“
USA 2019
88 min
Regie Alexandre Aja
Kinostart 22. August 2019

DAS ZWEITE LEBEN DES MONSIEUR ALAIN

Der Dieselskandal hat die Automobilbranche erschüttert, jetzt setzen die Hersteller auf Elektromobilität. Beim Genfer Autosalon soll das neue französische E-Auto LX2 vorgestellt werden. Manager Alain Wapler steht nach drei Jahren Entwicklungszeit unter Druck, im Konzern ist er ohnehin angezählt.

5 Uhr 50, der Radiowecker spielt die Börsennachrichten: Alains Arm fühlt sich seltsam taub an, im Büro geht sein Powernap nahtlos in eine Ohnmacht über und auf dem Weg zum nächsten Termin folgt plötzlich ein Gehirnschlag. So schnell kann’s gehen, der Workaholic mit dem übergroßen Ego ist außer Gefecht gesetzt. Sein Sprachzentrum ist schwer gestört, die Worte kommen nur noch drehvert aus dem Mund und mit dem Orientierungssinn steht es auch nicht zum besten.

„Das zweite Leben des Monsieur Alain“ basiert auf der Autobiografie des Ex-Airbus- und Peugeot-Konzernmanagers Christian Streiff. Dessen komisch-dramatischer Kampf zurück ins Leben und sein Versuch, das Herz seiner entfremdeten Tochter wiederzugewinnen, hätten für einen abendfüllenden Kinofilm ausgereicht. Aber zusätzlich wird in einer Parallelhandlung die zwar charmante, aber komplett überflüssige Liebes- und Adoptionsgeschichte der Logopädin Jeanne erzählt. Dann gibt’s noch einen „Ich bin dann mal weg“-Jakobsweg-Selbstfindungstrip auszuhalten, da wähnt man sich schon wieder in einem ganz anderen Film. Weniger wäre mehr. 

FAZIT

Gute Schauspieler, interessante Geschichte – stellenweise berührend und komisch – insgesamt aber zu unentschlossen umgesetzt. Vor allem im letzten Drittel zerfasert der Film komplett.

Originaltitel „Un homme pressé„
Frankreich 2018
100 min
Regie Hervé Mimran
Kinostart 22. August 2019

PHOTOGRAPH

Der neue Film von Ritesh Batra. Im vergangenen Jahr erfreute der Regisseur mit der sehr gelungenen Romanverfilmung „The Sense of an Ending“ – seinem zweiten englischsprachigen Film nach „Lunchbox“ (2013). Mit „Photograph“ kehrt er nun zu seinen indischen Wurzeln zurück.
Straßenfotograf Rami soll von seiner Großmutter zwangsverheiratet werden. Als er eines Tages zufällig die junge Miloni trifft, fragt er sie, ob sie sich als seine Freundin ausgeben könnte. Das schüchterne Mädchen willigt ein.

„Photograph“ ist eine bittersüße, aber recht harmlose Romanze über zwei Menschen von unterschiedlicher Herkunft. Gewöhnungsbedürftig ist die Besetzung der beiden Hauptdarsteller: „Rafi“ Nawazuddin Siddiqui, sonst in Indien eher als Actionstar bekannt, könnte locker als Vater von Sanya Malhotras „Miloni“ durchgehen.

FAZIT

Zeigt ein paar authentische Einblicke in den indischen Alltag. Ganz okay.

Originaltitel „Photograph“
Indien/Deutschland/USA 2019
110 min
Regie Ritesh Batra
Kinostart 08. August 2019

SO WIE DU MICH WILLST

Claire, 50, befreundet sich auf Facebook mit Alex, 29. Im Profil gibt sie sich als attraktive 24-Jährige aus, Alex zeigt sich interessiert. Nach ein paar Wochen hin- und hergechatte will er seine Traumfrau endlich treffen. Claire versucht, ihn auf Abstand zu halten, verliert sich aber zusehends im Sog der Parallelwelt, bis ein Unglück geschieht.

Nicht nur Teenager verlieren sich in der virtuellen Welt der Social Networks, auch reifere Semester sind vor dem Absturz ins digitale Nirwana nicht gefeit. Basierend auf einem Roman von Camille Laurens, erzählt Regisseur Safy Nebbou in „So wie Du mich willst“ von einer Frau, die nicht nur mit ihren eigenen Verletzungen ringt, sondern auch mit der Angst vor dem Älterwerden. Ihre Geschichte – bzw. die Geschichten, denn es werden mehrere Varianten erzählt – schwankt zwischen belanglos, ergreifend, komisch und kitschig. 

FAZIT

Juliette Binoche ist der Hauptgrund, diesen sanften Thriller-Liebesfilm anzuschauen, denn die ist wie immer fabuleux! 

Originaltitel „Celle que vous croyez“
Frankreich 2019
101 min
Regie Safy Nebbou
Kinostart 08. August 2019

AUSGEFLOGEN

Ooooooh! Was Hundewelpen im Tierreich sind, ist „Ausgeflogen“ für Kinofilme. Weich, knuddelig und herzerwärmend. Héloïse ist geschieden, Mutter dreier Kinder und Besitzerin eines Restaurants. Die beiden Älteren sind aus dem Haus, nun ist die Jüngste kurz davor, zum Studium nach Kanada zu ziehen. Küken müssen das Nest verlassen – ein notwendiger Schritt, der bei Héloïse eine existenzielle Krise auslöst.

Ein wenig erinnert „Ausgeflogen“ an „Boyhood“. Wie in Linklaters Film geht es auch hier um Familiendynamik, Loslassen und Erwachsenwerden. Die Erzählung wechselt dabei mit Leichtigkeit zwischen zwei Zeitebenen: dem heutigen Paris und dreizehn Jahre in die Vergangenheit, kurz nach dem Scheitern von Héloïse‘ Ehe.

Regisseurin Lisa Azuelos hat schon mit „LOL“ (zunächst als französische, später als US-Version) eine ähnlich charismatische Komödie vorgelegt. Timing, Charakterzeichnung und Tempo sind perfekt, Hauptdarstellerin Sandrine Kiberlain ist als liebenswerte Mutter zugleich komisch und berührend. 

FAZIT

Es geht zwar im Grunde um nichts, aber dieses Nichts wird in angenehm kurzweiligen 87 Minuten sehr charmant beschrieben.

Originaltitel „Mon Bébé“
Frankreich 2019
87 min
Regie Lisa Azuelos 
Kinostart 18. Juli 2019

SPIDER-MAN: FAR FROM HOME

Zur Pressevorführung tritt eine Mitarbeiterin von Sony vors Publikum und bittet, „keinesfalls irgendwelche Spoiler zu veröffentlichen, damit jeder Zuschauer die Chance hat, den Film unvoreingenommen zu genießen.“ Das macht es nicht gerade leicht, eine halbwegs relevante Besprechung zu „Spider-Man: Far From Home“ zu schreiben, denn wo ist die Grenze? Schließlich knüpft der Film direkt an die Ereignisse von „Avengers: Endgame“ an. Wissen mittlerweile alle Zuschauer, dass 
ACHTUNG: SPOILER 
Iron Man, alias Tony Stark das Zeitliche gesegnet hat? Und dessen Zögling Peter Parker, nun alleingelassen, seinen Weg vom Teenager zum ausgewachsenen Superhelden finden muss?

Darf man wenigstens sagen, dass der neue Spider-Man-Film ein durchwachsenes Vergnügen ist?

Nach dem epischen und fabelhaften letzten Avengers-Film schaltet Marvel (verständlicherweise) ein paar Gänge zurück. Wie soll man das auch toppen? 

Spidey ist müde und urlaubsreif. Da trifft es sich gut, dass seine (finanziell offensichtlich sehr gut gestellte) Schule einen Ausflug plant: Venedig, Paris, London.
Während unsereins ins Schwarzwälder Luginsland und später mit viel Glück nach Prag (damals noch vom Tourismus unzerstört) reisen durfte, fliegen die feinen New York Kids von heute mal eben über den Atlantik in die Alte Welt. Das kennt man schon: Fällt den Autoren nichts Neues ein, wird die Handlung kurzerhand in ein exotisches Land oder – wie in diesem Fall – nach Europa verlegt. So entpuppt sich die Klassenreise auch als lahmer Drehbuchkniff, um dem Film durch neue Locations frisches Blut zu injizieren. Hilft nichts, schon der erste Kampf, kaum in Venedig angekommen, mit einem wenig beeindruckenden „Gezeiten“-Monster, ist in seiner Plastikhaftigkeit vergleichsweise unterwältigend. Aber ohne Avengers-level-große Bedrohungen geht’s halt nicht, denn Spiderman ist ein Marvel-Superheldenfilm und keine Coming-of-Age-Komödie.

Hinter den zerstörungswütigen Wasser-, Erd-, Feuer- und Luft-Monstren steckt natürlich ein Bösewicht, der nach Ruhm und Macht giert. Die Motivation des Schurken ist allerdings mehr als an den Haaren herbeigezogen und das Drehbuch entblödet sich nicht, ihn zwischendurch sein Anliegen und den ganzen Plot in einem langatmigen Monolog erklären zu lassen. Gutes Geschichtenerzählen sieht anders aus.

FAZIT

Zwiespältig. Der Aspekt der pubertären Verunsicherung und ersten Verliebtheit hat deutlich mehr Potenzial als die auf Dauer ermüdenden Actionszenen. Sehenswert machen den Film seine mitunter witzigen Dialoge und der Cast: Verlässlich wie immer gibt Samuel L. Jackson den knurrigen Nick Fury, als Neuzugang im MCU ist Jake Gyllenhaal dabei und der mittlerweile 23-jährige Tom Holland überzeugt immer noch als Teenage Spider-Man.

Originaltitel „Spider-Man: Far From Home“
USA 2019
129 min
Regie Jon Watts
Kinostart 04. Juli 2019

KROOS

Toni Kroos – Sportler, Mensch, Stifter. So steht es grenzkitschig auf der offiziellen Homepage. Der Mann scheint keine Fehler zu haben. Selbst ehemalige Kritiker müssen mittlerweile eingestehen, dass Kroos ein brillanter Jahrhundertfußballer ist. Beim Megaverein Real Madrid bestimmt er seit 2014 als vorausschauender Logiker das Spiel. „Dirigent“, so bezeichnen ihn Kollegen und Trainer voller Bewunderung.

Der perfekte Toni wird 1990 in Greifswald geboren. Schon als Kleinkind ist sein Talent unverkennbar. Nach einer Karriere als Juniorspieler bei Hansa Rostock landet er 2006 für acht Jahre beim FC Bayern München. Für jeden anderen Spieler der Gipfel des Erfolgs, die Erfüllung aller Fußballträume. Nicht für Toni Kroos. Der „Mia san mia“-Verein und der kühle, rationale Spieler passen nicht zusammen. Dass er es trotzdem so lange aushält, spricht für seine Leidensfähigkeit.

Regisseur Manfred Oldenburg lässt sportliche Weggefährten, Freunde und vor allem die Familie zu Wort kommen. Die haben natürlich nur das Allerbeste über Toni zu sagen. Ein paar lustig skurrile Beobachtungen und die O-Töne von den Großeltern Kroos, Robbie Williams und Marcel Reif bewahren den Film vor allzu viel Pathos.

Uli Hoeneß, dem selbst eine Haftstrafe keinerlei Demut beibringen konnte, ist dann auch der einzige Interviewpartner, der eine nicht ganz so glänzende Meinung von Kroos hat. Bei aller bayrischen Arroganz – zwischendurch ist es erfrischend, wenigstens eine kritische Stimme zu hören. Der Rest ist Jubel, schließlich geht es hier um Legendenbildung.

FAZIT

„Toni Kroos“ ist ein gut gemachter Werbefilm – und trotz Dauerlobhudelei sehr unterhaltsam. Auch für Fußballignoranten sehenswert.

Deutschland 2019
113 min
Regie Manfred Oldenburg 
Kinostart 04. Juli 2019

PETS 2

In guter alter „Sex and the City 2“-Tradition wechselt die Fortsetzung von „Pets“ die Location. New York reicht nicht mehr, diesmal muss es wenigstens…Antiklimax…auf dem Land spielen. Wenig exotisch, dafür bieten sich hier ein paar neue Varianten der eigentlich auserzählten Idee: Unsere Haustiere führen ein heimliches Doppelleben. Sobald Frauchen und Herrchen das Haus verlassen, fallen die Masken. Aus Hunden, Katzen, Meerschweinchen und Kaninchen werden sprechende Wesen mit sehr menschlichen Verhaltensweisen und Problemen.
Diese Idee hat der erste Teil „Pets“ 2016 schon ausreichend und in allen Varianten durchgespielt. Für einen zweiten abendfüllenden Spielfilm ist den Machern nicht mehr genug eingefallen, „Pets 2“ ist eher eine Sammlung von Kurzgeschichten, die am Ende notdürftig zusammengeführt werden.
Macht aber nichts – Zielgruppe sind junge bis sehr junge Zuschauer, die werden ihren Spaß haben.

Unverzeihlich allerdings: Schafe werden in „Pets 2“ dümmlich und damit in denkbar schlechtem Licht dargestellt.

FAZIT

Hat einigermaßen Charme und ist kurzweilig.
Sinnloses Wissen: Terrier Max wird im US-Original von Patton Oswalt gesprochen. Im ersten Teil lieh noch der in Ungnade gefallene Louis C.K. der Figur seine Stimme.

Originaltitel „The Secret Life of Pets 2“
USA 2019
92 min
Regie Chris Renaud
Kinostart 27. Juni 2019

LONG SHOT – UNWAHRSCHEINLICH, ABER NICHT UNMÖGLICH

Im Weißen Haus regiert ein narzisstischer Depp. Im Gegensatz zu Donald Trump strebt der fiktive US-Präsident allerdings keine zweite Amtszeit an. Er möchte lieber in Kinofilmen mitspielen – das habe mehr Prestige, findet er. Außenministerin Charlotte Field (Charlize Theron) wittert ihre Chance, seine Nachfolgerin und somit die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden. Für ihre Bewerbungskampagne engagiert sie den chaotischen, aber brillanten Journalisten Fred Flarsky (Seth Rogen).

Es hätte auch eine Abrechnung mit dem Washingtoner Politpanoptikum oder eine beißende Satire werden können. Aber diesen Anspruch erhebt „Long Shot“ nicht. Die Romantikkomödie schöpft ihren Witz und Charme aus der Unwahrscheinlichkeit eines gegensätzlichen Paares. Damit das auch doofe Zuschauer verstehen, wird Charlize Theron durchweg fantastisch aussehend und stilvoll in Szene gesetzt, während Seth Rogen wie ein 10-jähriges Schulkind gekleidet ist und durch extreme Tollpatschigkeit auffällt. Das Drehbuch bedient sich relativ schamlos bei anderen Filmen (u.a. „Pretty Woman“und „There’s Something About Mary“) – aber besser gut geklaut, als schlecht neu erfunden.

„Long Shot“ funktioniert vor allem dank seiner Darsteller. Das Timing sitzt, die meisten Gags zünden. An Charlize Theron ist zwar keine begnadete Komödiantin verloren gegangen, aber im Zusammenspiel mit dem oft sehr lustigen Seth Rogen stimmt die Chemie. In Nebenrollen glänzen „Better Call Saul“ Bob Odenkirk als dümmlicher US-Präsident und ein bis zur Unkenntlichkeit geschminkter Andy Serkis als gruselige Schimäre aus Rupert Murdoch und Steve Bannon.

FAZIT

„Long Shot“ – gut gemacht und lustig.

Originaltitel „Long Shot“
USA 2019
125 min
Regie Jonathan Levine
Kinostart 20. Juni 2019

BRIGHTBURN: SON OF DARKNESS

Was wäre, wenn Superman kein schmalzlockiger Gutmensch, sondern eine Ausgeburt der Hölle wäre? Das ist die originelle Grundidee des Superhelden/Horrorfilms „Brightburn“.

Wie bei Familie Kent: Auf das Grundstück von Tori und Kyle Breyer stürzt eines Nachts ein UFO, in den qualmenden Trümmern liegt ein unversehrtes Baby. Das kinderlose Paar „adoptiert“ den Jungen. Bis kurz vor seinem 13. Geburtstag scheint Brandon ein ganz normales Kind zu sein. Doch als über Nacht die Pubertät einsetzt, entwickelt der Knabe statt Stimmbruch und Bartflaum übermenschliche Fähigkeiten. Und die nutzt er im Gegensatz zu seinem Vetter vom Planeten Krypton nicht zur Rettung der Erde, sondern um möglichst viele Menschen auf möglichst grausame Art zu töten.

Regisseur David Yarovesky stellt genüsslich alle ikonischen Superman-Bilder auf den Kopf. Statt heroisch, wirkt der mit flatterndem Cape am Himmel schwebende Brandon ausgesprochen bedrohlich. Und das mühelose Anheben eines PKWs versetzt nicht seine Eltern in Erstaunen, sondern beendet brutal das Leben eines Gegners – schön blutrünstig und ideenreich umgesetzt.

Erstaunlich, was man aus einem vergleichsweise mini Budget von 6 Millionen Dollar herausholen kann. Warum die US-Kritik den Film so gnadenlos geschlachtet hat, bleibt rätselhaft. Denn „Brightburn“ ist ein origineller, gut gemachter und durchweg spannender Horrorthriller.

FAZIT

Wenn das die einleitende Coming of Age Geschichte eines wütenden Teenagers ist, dann darf man sich schon auf die ausgewachsene Fortsetzung freuen.

Originaltitel „Brightburn“
USA 2019
91 min
Regie David Yarovesky 
Kinostart 20. Juni 2019

O BEAUTIFUL NIGHT

Wong Kar-Wai meets Himmel über Berlin: Das Spielfilmdebüt des Illustrators Xaver Böhm erzählt die ungewöhnliche Geschichte von Juri, einem jungen Mann, der jederzeit mit dem plötzlichen Herzstillstand rechnet. Ein klassischer Hypochonder.

Eines Nachts, die Brust schmerzt mal wieder, trifft er in einer Flipperkneipe auf einen trinkfesten Russen. Der behauptet, der TOD höchstpersönlich zu sein und stellt Juri vor die Wahl: „Willst Du sofort sterben oder vorher noch ein bisschen Spaß haben?“ Das mit dem Herzinfarkt kann dann doch noch warten und so begeben sich die beiden auf eine schräge Tour durch das nächtliche Berlin.

Kompliment an Kamerafrau Jieun Yi und die Postproductionfirma LUGUNDTRUG: So schön menschenleer und kunstvoll stilisiert hat man die Stadt selten gesehen.

FAZIT

Ungewöhnlicher, humorvoller, visuell herausragender Film. Sehenswert.

Deutschland 2019
89 min
Regie Xaver Böhm
Kinostart 20. Juni 2019

SUNSET

Ungarn 1913, ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs: eine Zivilisation am Abgrund. Die junge Iris sucht eine Anstellung im Hutgeschäft Leiter, das früher einmal ihren Eltern gehörte. Der neue Besitzer weist sie jedoch zurück und auch überall sonst in der Stadt stößt sie auf Ablehnung. Iris treibt verloren durch Budapest auf der Suche nach ihrer Vergangenheit.

„Sunset“ lässt sich am ehesten wie die Inszenierung eines Traums kurz vor dem Aufwachen beschreiben. Als somnambuler Geist stellt die junge Iris Fragen, die unbeantwortet verhallen und gibt Antworten, auf die keine Reaktion erfolgt. Alles in dieser längst vergangenen Welt scheint wie in Watte gepackt.

In fein komponierten Bildern und mit einem virtuosen Gespür für die dekadente Atmosphäre vor dem Ersten Weltkrieg zeigt Regisseur Nemes die Spurensuche seiner spröden Hauptfigur. Dabei befreit er sich vom standardisierten Filmemachen, vermeidet jeden gefälligen Kostümkitsch. Kaum eine Einstellung, bei der nicht Iris‘ Gesicht oder Hinterkopf einen Großteil des Bildes einnimmt. Durch diese Subjektivität bekommt der Film etwas extrem Zwingendes.

FAZIT

„Sunset“ ist ein anspruchsvolles Kinoerlebnis.

Originaltitel „Napszállta“ 
Ungarn/Frankreich 2018
142 min
Regie László Nemes 
Kinostart 13. Juni 2019

THE DEAD DON’T DIE

In Centerville, einem verschlafenen Nest irgendwo in den USA, erheben sich eines Nachts die Toten aus ihren Gräbern. Warum das so ist, weiß niemand genau, wahrscheinlich hat es irgendwas mit Fracking am Nordpol und der deshalb verschobenen Erdachse zu tun. Egal, wie nicht anders zu erwarten, fallen die frisch erwachten Toten blutgierig über die Einwohner der Kleinstadt her.

„The Dead Don’t Die“ ist stellenweise ganz putzig in seiner typisch lakonischen Jim Jarmusch-Art, verbunden mit ein bisschen Umweltsünder- und Kapitalismuskritik. Aber Zombies als Synonym für die in stumpfen Konsumrausch verfallene Menschheit zu nutzen, das hat George A. Romero schon vor Jahrzehnten besser (und bissiger) gemacht.

Bill Murray, Adam Driver, Chloë Sevigny, Danny Glover, Tilda Swinton, Tom Waits, Selena Gomez, Steve Buscemi, Carol Kane: viele ausgezeichnete Schauspieler, die wenig bis gar nichts zu tun haben. Die verschwendeten Stars geben sich in teilweise nur sekundenlangen Auftritten die Klinke in die Hand.

Jim Jarmusch taugt nicht zum Mainstream. Der klamottige Film torkelt vor sich hin, im Laufe der Geschichte werden die Ideen zunehmend abstruser, die handelnden Personen verhalten sich immer irrationaler und unglaubwürdiger. Vielleicht hat der Regisseur die letzten Jahre im Tiefschlaf verbracht und nicht realisiert, dass es mittlerweile unzählige (bessere) Zombie-Komödien gibt.

FAZIT

Weder als intelligenter Horrorfilm noch als schräge Komödie befriedigend.

Originaltitel „The Dead Don’t Die“ 
USA 2019
105 min
Regie Jim Jarmusch
Kinostart 13. Juni 2019

ZWISCHEN DEN ZEILEN

Macht das Internet dumm? Hören die Menschen bald ganz auf, Bücher zu lesen und starren nur noch zombifiziert in ihre Smartphones?

„Zwischen den Zeilen“ ist ein fein beobachtetes, hintergründiges Porträt des Pariser Literaturbetriebs. Es geht um verletzte Eitelkeiten, Affären und Geheimnisse, alte und neue Liebschaften, in allererster Linie aber um die vermeintlichen Gefahren der Digitalisierung. Im Kontrast zur virtuellen Welt, zeigt Olivier Assayas‘ Film hauptsächlich Menschen im Gespräch. Wobei „hauptsächlich“ noch untertrieben ist, denn es wird geredet und geredet, sehr viel geredet. Und wie das bei einer Diskussion so ist, manchmal ist sie lehrreich, bestenfalls hat sie Witz, zwischendurch kann sie aber auch anstrengend und penetrant werden. „Zwischen den Zeilen“ ist mit leichter Hand inszeniert und dank französischem Flair unterhaltsam anzusehen. Trotz Dauerlaberei.

FAZIT

Mit Juliette Binoche und Guillaume Canet ausgezeichnet besetzter, kluger Film.

Originaltitel „Doubles vies“
Frankreich 2019
107 min
Regie Olivier Assayas
Kinostart 06. Juni 2019

ROCKETMAN

Die Geschichte geht ungefähr so: Regisseur Bryan Singer nervt bei den Dreharbeiten zum Queen-Film „Bohemian Rhapsody“ so sehr, dass ihn das Studio mitten in der Produktion rausschmeißt. Auftritt Dexter Fletcher. Der Ersatzmann bringt „Bohemian Rhapsody“ nicht nur ohne Zickereien zu Ende – der Film wird ein riesiger Kassenhit und beschert Hauptdarsteller Rami Malek seinen ersten Oscar. Nach diesem Erfolg darf Fletcher ein schon lange geplantes Wunschprojekt realisieren: Die Verfilmung von Elton Johns Lebensgeschichte – „Rocketman“.

Derselbe Regisseur, die gleichen Stärken.
Wie im Queen-Biopic wird auch hier ein ausgezeichnetes Ensemble von einem tollen Hauptdarsteller angeführt. Taron Egerton verkörpert Elton John mit Haut und (ausgedünntem) Haar. Der Schauspieler geht komplett in seiner Rolle auf. Besonders beeindruckend, dass Egerton nicht nur die Lippen zum Playback bewegt, sondern alle Songs selbst singt. Und dabei erstaunlich gut klingt. Stimme, Aussehen, Bewegung – alles auf den Punkt.

Derselbe Regisseur, die gleichen Schwächen.
„Rocketman“ ist in weiten Teilen Malen nach Zahlen. Schade, dass der Film nicht mehr wagt. Denn ein paar, fast surreale Szenen, wie zum Beispiel das buchstäbliche gemeinsame Abheben des Sängers mit seinem Publikum haben echte Größe. Warum nicht mehr davon? Schräger und noch mehr Mut zum Camp, dann hätte das richtig gut werden können. Die theaterhafte Inszenierung der 60er und 70er-Jahre hat schon aus „Bohemian Rhapsody“ ein zu braves, familientaugliches Mainstream-Musical gemacht.

FAZIT

Die Musik ist mitreißend, die Songs weltberühmt, die Schauspieler top und die Frisuren sehen so unecht wie Faschingsperücken aus. Also alles genau wie beim Queen Film. Wer den mochte, wird auch hier seinen Spaß haben.

Originaltitel „Rocketman“
USA 2019
121 min
Regie Dexter Fletcher
Kinostart 30. Mai 2019

ALADDIN

Das Beste an „Aladdin“ ist ein ausgesprochen liebenswerter fliegender Teppich. Und – trotz aller Unkenrufe im Vorfeld – Will Smith. Der bringt in der Nachfolge von Robin Williams die dringend benötigte Portion schrägen Humors in die Geschichte. Doch bis zu seinem ersten Auftritt als Genie quält sich der Film zäh im Stil einer TV-Soap dahin. Straßendieb Aladdin und Prinzessin Jasmine wirken mit ihren geweißten Zähnen und frisch gestärkten Bollywood-Kostümen so makellos sauber, als hätten sie sich aus einer anderen Disney Produktion, dem „High School Musical“ in die Wüste verirrt. Die Künstlichkeit der Darsteller passt zu den Pappkulissen. Der Film sieht aus, als wäre er in einem Vergnügungspark gedreht worden. 

„Aladdin“ ist harmlose, formelhaft gemachte Unterhaltungsware. Vielleicht wurde Regisseur Guy Ritchie vom Studio ausgebremst, von seinem einstigen anarchischen Touch ist jedenfalls nichts mehr zu spüren.

Immerhin funktioniert die Musik: Klassiker wie „Friend Like Me“ und „A Whole New World”, bekannt aus dem 1992er Zeichentrickfilm,  erweisen sich als unzerstörbar und entfalten auch in der neuen, zweidimensionalen Plastikwelt ihre ganze Größe.

Disney plündert weiter das Archiv und setzt bei seinen Neuversionen auf Quantität – doch die Fehlschüsse häufen sich. Nach den gelungenen „Maleficient”, „Das Dschungelbuch” und „Die Schöne und das Biest” kamen mit „Mary Poppins“, „Dumbo“ und nun „Aladdin“ allein im letzten halben Jahr drei eher durchschnittliche Filme ins Kino. Bleibt abzuwarten, ob „Der König der Löwen“ und „Mulan“ besser gelingen.

Originaltitel „Aladdin“
USA 2019
128 min
Regie Guy Ritchie
Kinostart 23. Mai 2019

JOHN WICK: KAPITEL 3

Im Berliner Zoopalast gibt es bekanntlich die beste Bestuhlung. Besonders zu empfehlen: Kino 2. Da lassen sich die Sitze elektrisch verstellen und auf Knopfdruck beinahe in Schlafposition bringen. Für den Zuschauer angenehm, denn ist der Film mal etwas zäh, ist zwischendurch wenigstens ein anständiges Nickerchen drin. Apropos: In „John Wick: Kapitel 3“ reiht sich eine Kampfszene an die nächste, das hört und hört nicht auf. Gewohnt perfekt choreografiert, besonders ein spektakuläres Messerduell hat es in sich, aber die unendlich in die Länge gezogenen Metzeleien ermüden auf Dauer. Der Film wirkt wie das zu lang geratene Showreel einer Stuntagentur (nicht überraschend, Regisseur Chad Stahelski war früher selbst Stuntman).

Die Story knüpft nahtlos ans Ende des zweiten Teils an: Auf John Wick ist ein Kopfgeld in Höhe von 14 Millionen Dollar ausgesetzt. Das bietet diversen Kriminellen Anlass (New York scheint unendlich viele davon zu haben), Jagd auf den Titelhelden zu machen. Viel mehr passiert in 128 Minuten nicht. Dagegen war der auch nicht gerade komplexe Racheplot für den getöteten Hund im ersten Teil noch um einiges origineller.

Keanu Reeves macht, was er am besten kann: schwarze Anzüge tragen und grimmig aus der Wäsche gucken. Soll sich aber keiner beschweren, denn der dritte (und sicher nicht letzte) Teil der John Wick Saga liefert genau das, was Fans erwarten – jede Menge stylische, visuell kreativ umgesetzte Kampfszenen.

FAZIT

Trotz Augenfutter – bei einer Laufzeit von über zwei Stunden gibt es zwischendurch spürbare Längen.

Originaltitel „John Wick: Chapter 3 – Parabellum“
USA 2019
128 min
Regie Chad Stahelski
Kinostart 23. Mai 2019

EDIE – FÜR TRÄUME IST ES NIE ZU SPÄT

Am Ende eines Lebens: Der alte Griesgram von Ehemann tot, das Haus zu leer, die Tochter kühl und ohne Verständnis. Der nächste unausweichliche Schritt: das Altersheim, wo Senioren wie unmündige Kinder behandelt werden. Die 83-Jährige Edie hat darauf keine Lust. Nachdem sie sich ein Leben lang den Wünschen anderer untergeordnet hat, bricht sie aus, um sich einen Traum zu erfüllen: die Besteigung von Mount Suilven in den schottischen Highlands.

Die rüstige Greisin macht sich auf die Reise und bleibt nicht lange alleine. Gleich am Bahnhof wird sie von Jonny umgerannt, der rein zufälligerweise Bergführer ist und einen Laden für Wanderbedarf führt. Dort stattet sich Edie erst mal neu aus, denn natürlich hat sie – hahaha, immer diese alten Leute – von „modernem“ Kram keine Ahnung. Ihr Campingkocher wird noch mit Kohlemotor angetrieben, die Teekanne stammt aus dem 17. Jahrhundert und – iiiih!! ein Handy – was ist das denn???
Ein paar Klischees weniger hätten es auch getan.

So lahm teilweise die Drehbuchideen, so beherzt spielt Sheila Hancock dagegen an. Der hoffnungslose Blick ins Leere, während der gelähmte Ehemann mit dem Treppenlift nach unten fährt. Das wütende Abwischen des Lippenstifts, weil ihr das eigene Alter bewusst wird und sie sich lächerlich fühlt. Die Tragikomödie hat viele solch schöner Momente. Regisseur Simon Hunter hat das gut inszeniert und vertraut zu Recht auf seine großartige Hauptdarstellerin.

„Edie – Für Träume ist es nie zu spät“ – das sich einstellende Rosamunde Pilcher-Feeling liegt nicht nur am schnulzigen deutschen Verleihtitel, sondern vor allem an der Musik, die unnötig banalisiert. Der Holzhammer-Score mit seinen 5.000 heulenden Geigen und klimpernden Akustikgitarren schreibt penetrant vor, was man zu fühlen hat. Weniger wäre mehr. 
Sei’s drum. Mit etwas Altersmilde betrachtet, ist das nette Unterhaltung mit schönen Naturaufnahmen und einer würdevollen Hauptdarstellerin.

FAZIT

Selbstverwirklichung im Alter.
Den Silberrücken im Kino hat’s gefallen – es wurde viel und zustimmend gekichert.

Originaltitel „Edie“
Großbritannien 2017
102 min
Regie Simon Hunter 
Kinostart 23. Mai 2019

BLOWN AWAY

Jeden Morgen duschen, Haare frisieren, zur Arbeit gehen, Geld verdienen: Bringt es das auf Dauer? Nö, finden die Studienfreunde Hannes Koch und Ben Schaschek und machen lieber den ultimativen Aussteigertraum wahr: eine Reise mit Segelboot und Bus rund um die Welt, viereinhalb Jahre Auszeit. Auf ihren Stationen treffen die beiden dabei immer wieder auf Gleichgesinnte, mit denen sie spontan Musik aufnehmen. Das Besondere: die verschiedenen Tracks eines Songs entstehen jeweils an unterschiedlichen Orten auf der Welt: die Gitarre beispielsweise in Südafrika, Monate später der Gesang in Brasilien und die Streicher in Salvador. Ein ungewöhnliches, interkulturelles Musikexperiment.

Besser hätte sich das keine Agentur ausdenken können: Hannes und Ben sind perfekt gecastet – blaue Augen, blonde Haare, Vollbärte. Zwei liebenswerte Hipster-Hippies auf großer Fahrt. Obwohl beide vom Segeln keine Ahnung haben, fahren sie mal eben so von Australien über Indonesien nach Südafrika und dann, schwupps, überqueren sie auch noch den Atlantik bis Südamerika. Alles easy, man muss es nur wollen. Als Marketingvehikel, um die Musik der beiden zu promoten, ist der Film perfekt gelungen. Nichts scheint unmöglich, man würde am liebsten direkt mit an Bord gehen, oder ersatzweise schon mal den chilligen Soundtrack kaufen.

FAZIT

Den Weltreisenden ist zusammen mit Regisseur Micha Schulze ein unaufgeregter, sehr unterhaltsamer Dokumentarfilm über Freundschaft, Musik und Abenteuer gelungen. Einziger Minuspunkt: Die dauer gut gelaunte Offstimme (Hannes) lässt den Film zeitweise wie eine ProSieben-Galileo-Reportage wirken.

Deutschland 2019
119 min
Regie Micha Schulze
Kinostart 23. Mai 2019

DAS FAMILIENFOTO

Gabrielle verdient ihr Geld, indem sie sich von Touristen als lebende Statue fotografieren lässt. So driftet sie nonchalant durchs Leben. Ihr pubertierender Sohn findet seine freigeistige Mutter die meiste Zeit nur peinlich. Gabrielles Schwester Elsa verbittert an ihrem unerfüllten Kinderwunsch, folglich ist ihre Laune dauerhaft schlecht bis sehr schlecht. Und Bruder Mao verdient zwar haufenweise Geld als Spieleentwickler, kämpft aber mit Depressionen.
Die Verkorkstheit der Kinder geht, wie so oft, auf das Konto der Eltern: Die Mutter der drei Geschwister, eine Psychotherapeutin, mischt sich immer noch übergriffig in das Leben ihrer erwachsenen Kinder ein. Ihr geschiedener Ex-Mann war zu sehr mit seinen zahlreichen Geliebten beschäftigt, um sich um die Erziehung zu kümmern. Nun trifft die dysfunktionale Familie bei der Beerdigung des Großvaters wieder aufeinander und steht plötzlich vor einem gemeinsamen Problem: wohin mit der dementen Großmutter?

Cécilia Rouauds Film erzählt von Menschen, die nicht zueinander finden, die sich lieben, aber nicht aus ihren gelernten Verhaltensmustern ausbrechen können. Um dann doch, durch eine kleine Veränderung, alles umzukrempeln.
„Das Familienfoto“ ist ein sehr französischer Film. Liebe, Schmerz, Trauer und Familienwahn – federleicht und ohne Peinlichkeit inszeniert. 

FAZIT

Seine Freunde kann man sich aussuchen, die Familie nicht. Mit Vanessa Paradis, Camille Cottin und 
Pierre Deladonchamps hervorragend besetzt, und trotz Drama komisch und unterhaltsam.

Originaltitel „Photo De Famille“
Frankreich 2019
98 min
Regie Cécilia Rouaud 
Kinostart 16. Mai 2019

THE SILENCE

Horrorfilmschule, erstes Semester: steigere langsam die Spannung, zeige dein Monster nicht zu früh. Bei „The Silence“ dauert es ganze drei Minuten, bis die „Avispas“ ihren ersten Auftritt haben. Die hässlichen Vögel sind eine Mischung aus Gummifledermaus, Alien und gotischem Wasserspeier. Kaum, dass sie einer unterirdischen Höhle nach mehreren Millionen Jahren Gefangenschaft entfleucht sind, fallen sie in Hitchcock’scher Manier blutgierig über die Menschheit her. Die Viecher sind blind, verfügen aber über ein ausgezeichnetes Gehör. Deshalb heißt es ab sofort: Ruhe! Wie passend, dass Hauptfigur Ally (Kiernan Shipka) gehörlos ist. Aus dieser Behinderung macht der Film zwar nichts weiter, aber dadurch beherrscht Allys Familie perfekt die Gebärdensprache. Das erleichtert die geräuschlose Kommunikation erheblich. (Wäre stumm nicht noch besser gewesen?)

Wem die Geschichte vom geräuschempfindlichen Monster irgendwie bekannt vorkommt – letztes Jahr lief „A Quiet Place“ in den Kinos. Allerdings war der um Klassen besser und hat seine Monster klugerweise nicht gezeigt, was ihre Bedrohlichkeit erheblich gesteigert hat.

 „The Silence“ versagt auf vielen Ebenen. John R. Leonettis Film ist größtenteils unspannend, unbeholfen inszeniert und stümperhaft zusammengehackt. Manches wirkt irritierend zusammenhanglos, als stammten Szenen  aus einem anderen Film  – sie beginnen ohne Einführung und enden ohne Auflösung. Wichtige Teile, die eigentlich dem Verständnis dienten, scheinen ersatzlos der Schere zum Opfer gefallen zu sein. Möglich, dass es irgendwann mal eine längere, bessere, oder sogar noch viel schlechtere Version des Films gab.

FAZIT

Das Leben ist teuer und sonst verlässlich gute Schauspieler machen zwischendurch auch mal Schrottfilme fürs Geld. „The Silence“ – selten sah man Stanley Tucci schlechter.

USA 2019
90 min
Regie John R. Leonetti
Kinostart 16. Mai 2019