EIN FEST FÜRS LEBEN

EIN FEST FÜRS LEBEN

Ab 19. Oktober 2023 im Kino

Was alles am schönsten Tag des Lebens schiefgehen kann, muss Christoph Maria Herbst als Hochzeitsplaner in der überraschend frischen Komödie von Richard Huber erfahren.

Mit feinem bis ätzendem Humor erzählt EIN FEST FÜRS LEBEN von einer Hochzeitsfeier, bei der alles gründlich schief geht und trotzdem happy endet. Unter der Leitung von Christoph Maria Herbst als Dieter, der für die Rolle des gestressten und desillusionierten „Wedding Planners“ perfekt besetzt ist, rückt der Film nicht das Brautpaar oder die Hochzeitsgäste in den Mittelpunkt, sondern das Personal, das im Hintergrund die ganze Chose am Laufen hält. Oder auch nicht. Denn Dieter plant seine Firma zu verkaufen, ein Interessent will sich unerkannt unter die Gäste mischen. Versteht sich von selbst, dass an diesem besonderen Tag, an dem alles wie am Schnürchen laufen muss, die Lebensmittel verdorben sind, der gebuchte Sänger ausfällt und auch sonst jede menschenmögliche Katastrophe passiert.

Überraschend, wie intelligent und komisch das für eine deutsche Komödie ist

Dass es dabei hier und da auch mal klamaukig wird – sei’s drum. Das Drehbuch ist eine sympathische Mischung aus realistisch und übertrieben, vermeidet zum Glück die allzu platten Pointen. EIN FEST FÜRS LEBEN besticht mit viel Sinn für Situationskomik und einer hochkarätigen Besetzung. Neben Christoph Maria Herbst sind Jörg Schüttauf als fauler Hochzeitsfotograf und Marc Hosemann als egozentrischer Sänger und Bandleader die bekanntesten Darsteller.

Ein Sarkast würde sagen: Überraschend, wie intelligent und komisch das für eine deutsche Komödie ist. Kein Wunder, sie haben es schon wieder getan: Auch EIN FEST FÜRS LEBEN ist ein Eins-zu-eins-Remake. Die Ensemblekomödie der „Ziemlich beste Freunde“-Macher um die kleinen und großen Dramen, die sich hinter den Kulissen einer Hochzeitsfeier abspielen, kam 2017 unter dem Titel „Le sens de la fête“ in die französischen Kinos.

Regisseur Richard Huber ist natürlich ein alter Hase und weiß genau, wie man so eine locker-leichte Komödie auf den deutschen Markt zuschneidet. Am besten, man ändert wenig und übernimmt möglichst viel vom Original. Mit dem gleichen Rezept, bereits Erprobtes für den hiesigen Markt zu adaptieren, wurden schon 2021 die ebenfalls mit Christoph Maria Hebst besetzte Dramödie CONTRA und drei Jahre zuvor DAS PERFEKTE GEHEIMNIS große Erfolge. Und bei EIN FEST FÜRS LEBEN gibt es sogar eine echte Verbindung zur französischen Vorlage: Regisseur Huber ist trotz des bayrisch klingenden Namens gebürtiger Pariser.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
105 min
Regie Richard Huber

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany

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KILLERS OF THE FLOWER MOON

KILLERS OF THE FLOWER MOON

Ab 19. Oktober 2023 im Kino

Es ist offensichtlich, was den 80-jährigen Regisseur Martin Scorsese an dem Stoff gereizt hat: Ein Western in Cinemascope, eine Crimestory, eine intime Liebesgeschichte und ein großer Geschichtsfilm - KILLERS OF THE FLOWER MOON ist ein episches Drama voller Verrat und Abgründe.

Oklahoma, Anfang des 20. Jahrhunderts: Über Nacht werden die amerikanischen Ureinwohner des Osage-Stamms steinreich. Dank sprudelnder Ölquellen verfügen sie eine Zeit lang über das höchste Pro-Kopf-Vermögen der Welt. Wie so oft in der amerikanischen Geschichte zieht der Wohlstand weiße Eindringlinge an. Diebstahl, Erpressung und Mord sind unter der Führung des ebenso charmanten wie gerissenen William „King“ Hale (Robert De Niro) bald an der Tagesordnung. Verpackt in die ungewöhnliche Romanze zwischen Hales Neffen Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) und der Indigenen Mollie Kyle (Lily Gladstone) erzählt der Film die wahre und schreiend ungerechte Geschichte der „Osage-Morde“.

Ein spätes Meisterwerk

Das Dreamteam funktioniert auch bei seiner zehnten Zusammenarbeit immer noch hervorragend. Scorsese und sein Lieblingsschauspieler Robert De Niro kitzeln gegenseitig das Beste aus sich heraus. Als manipulativer Strippenzieher und Auftraggeber einer ganzen Serie von Morden ist De Niro das dunkle Zentrum des Films. Ganz hervorragend auch Lily Gladstone, die mit ihrer zurückgenommenen Art einen sanften Ruhepol in der blutigen Männerwelt bildet. Leonardo DiCaprio (Scorseses zweitliebster Schauspieler – dies ist ihre sechste Kollaboration) macht selbstredend auch als leicht unterbelichteter Handlanger eine gute Figur. Weshalb er diese Rolle allerdings mit einer Mischung aus Robert-de-Niro-Persiflage (permanent nach unten gezogener Mund plus in Falten gelegte Stirn) und Marlon Brandos DER PATE inklusive ausgestopfter Backentaschen spielt, bleibt sein Geheimnis.

Wie Scorsese seine Darsteller führt (in Nebenrollen sind unter anderem Jesse Plemons und der frisch oscargekrönte Brendan Fraser zu sehen), elegant Rückblenden in die verschachtelte Handlung einbaut, Dinge weglässt und manches erst im Nachgang aufschlüsselt, das ist bravourös. Ein 80-jähriger Künstler, immer noch auf der Höhe seines Schaffens. KILLERS OF THE FLOWER MOON ist trotz seiner unfassbaren 206 Minuten Laufzeit keinen Moment zu lang. Ein spätes Meisterwerk, das zudem ein grandioses und überraschend amüsantes Ende bereit hält. Allein wegen der letzten 10 Minuten lohnt es sich.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Killers of the Flower Moon“
USA 2023
206 min
Regie Martin Scorsese

alle Bilder © Paramount Pictures Germany

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HEAVEN CAN WAIT

HEAVEN CAN WAIT

Ab 12. Oktober 2023 im Kino

Was ist besser als Sterben? Singen zum Beispiel. Eine Gruppe Hamburger Senioren findet ihr spätes Glück in einem Chor.

Ein lauer Sommerabend in Heidelberg. Beim Spaziergang durch den Plöck ist ganz leise, dann immer lauter ein überirdisch klingender Gesang zu hören. „Shallow“, der Hit aus A STAR IS BORN, nicht von Lady Gaga und Bradley Cooper, sondern von einem gemischten Chor gesungen. Ein Moment des Glücks. Sofort will man googeln, ob sich eventuell auch ein Verein in Berlin findet, bei dem man Mitglied werden könnte. Wie so oft – der Moment verfliegt aber vielleicht irgendwann einmal …

Still alive - 2.000 Jahre live on stage

Dass Singen glücklich macht, ist keine neue Erkenntnis. Sogar im hohen Alter sorgt es noch für einen Endorphin-Ausstoß. Bei Europas ältestem Castingchor ist das Mindestalter 70. Nach oben gibt es keine Grenze. Manche der Sängerinnen und Sänger haben schon die 90 hinter sich gelassen. Ein ganz besonderer Chor der Alten, der unter der gut gelaunten Führung von Jan-Christof Scheibe sogar Auftritte im traditionsreichen St. Pauli-Theater absolviert. 

Auf perfekten Gesang kommt es ihm dabei nicht an, vielmehr auf echtes Gefühl. Schöne Töne kann mit Übung jeder treffen, doch es geht dem Chorleiter um mehr – trotz dritter Zähne sollen die jugendlichen Texte glaubhaft transportiert werden. Das Repertoire ist das eines Schülerchors: Songs von Juli, Sido, Jan Delay, Fettes Brot, Deichkind und Udo Lindenberg stehen auf dem Programm.

Sven Halfar stellt in seinem lebensbejahenden und überaus reizenden Film einige der Chorsängerinnen und Sänger vor – privat und auf der Bühne. Seit 10 Jahren gibt es den Gesangsverein. Zur Zeit sind die Hamburger Senioren mit der treffend bezeichneten Show „Still alive – 2.000 Jahre live on stage“ auf Tour. Sollte jemand planen, aus der Geschichte einen Spielfilm zu machen: Gute Idee – nicht nur als ABM für greise Darsteller. Dank geriatrischer Niedlichkeit und Herzenswärme wäre der Erfolg garantiert. Und wegen verblüffender Ähnlichkeit steht eine Rollenbesetzung auch schon fest: Christian Berkel als Chorleiter.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
103 min
Regie Sven Halfar

alle Bilder © mindjazz pictures

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ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT

ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT

Ab 12. Oktober 2023 im Kino

Anselm Kiefer-Freunde aufgepasst: Wim Wenders Dokumentarfilm über den Jahrhundertkünstler ist ein Muss für Fans.

Im südfranzösischen Städtchen Barjac, eine gute Autostunde von Avignon entfernt, hat der Bildhauer und Maler Anselm Kiefer auf einer 40 Hektar großen Fläche eine Kunstwelt erschaffen, die es so nirgend woanders gibt. Seine riesigen, raumsprengenden Skulpturen und Bilder finden sich dort in eigens errichteten Hallen oder einfach mitten in die Natur gestellt. Kiefers begehbare Installationen haben oft etwas Kulissenhaftes und könnten ebenso Bühnenbilder einer düsteren Theater- oder Filminszenierung sein. Wim Wenders hat dieses atemberaubende Gesamtkunstwerk mit seinem in 3D gedrehten Film ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT zum Greifen nah eingefangen. 

Geniale Übersetzung der Werke Kiefers auf die Leinwand

Beide sind 1945 geboren, beide verbindet seit über 30 Jahren eine enge Freundschaft. Wenders schafft mit großen Bildern (Kamera Frank Lustig) und einem Soundtrack aus klassischer Musik, Gedichten und Flüsterstimmen eine geniale Übersetzung Kiefers ins Filmische. Die Collage aus nachgestellten Kindheitsszenen, alten Fernsehbeiträgen und einer schwebend losgelösten Kamera ist weit mehr als eine oberflächliche Wiedergabe, sie dringt tief in die Gedankenwelt des Künstlers ein.

Neben den fantastischen Aufnahmen der gleichermaßen bedrückenden wie schönen Kunstwerke zeigt ANSELM – DAS RAUSCHEN DER ZEIT auch den Schaffensprozess – oder einfacher gesagt: Kiefer bei der Arbeit. Der nutzt ganz pragmatisch entweder ein Fahrrad oder einen Gabelstapler, um in seinen riesigen Atelierhallen von einem Werk zum anderen zu gelangen. Mit Flammenwerfer (plus löschbereitem Assistenten mit Wasserschlauch daneben) und übergroßen Pinseln bearbeitet der Meister seine teils haushohen Bilder. Ein Berserker, der genau weiß, was er da tut. Am Ende des Films hätte man große Lust, in den nächsten Flieger zu steigen und sich leibhaftig in die faszinierende, morbide Welt des Anselm Kiefers zu begeben. Grandios.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
93 min
Regie Wim Wenders

alle Bilder © DCM

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DOGMAN

DOGMAN

Ab 12. Oktober 2023 im Kino

Miau! Das groß angekündigte Comeback von Starregisseur Luc Besson ist nur eine JOKER-Kopie auf vier Pfoten.

Douglas Munrow (Caleb Landry Jones) wird in Marilyn-Monroe-Kostümierung von der Polizei aufgegriffen. Im Kofferraum seines Lieferwagens finden die Cops ein Rudel Hunde. So weit, so merkwürdig. Im Gespräch mit der Psychologin Evelyn breitet der seltsame Hundeliebhaber anschließend seine Lebensgeschichte aus. Und die hat es in sich. Vom sadistischen Vater (Clemens Schick) und grenzdebilen Bruder wird er als kleiner Junge für Monate in einen Hundezwinger gesperrt. Zusammen mit einem Rudel felliger Vierbeiner wird so aus Doug erst Dogboy, dann Dogman.

Dafür gibts ein Leckerli

Dogman Doug und seine Hundetruppe könnten glatt im Zirkus auftreten. Die Pumen und Dobermänner beherrschen die tollsten Kunststücke, gehorchen jedem Befehl aufs Wort und können sogar ganz alleine in Häuser einbrechen und die Reichen bestehlen. Bravo! Dafür gibts ein Leckerli. Die Diebesbande auf vier Pfoten klaut in Herrchens Auftrag Perlen und Geschmeide, denn der verdient sich seinen Lebensunterhalt mittlerweile als Dragqueen. Im Marlene-Dietrich und Édith-Piaf-Look steht er schmuckbehangen auf der Bühne und trällert zum Playback.

Klingt absurd? Ist es auch. Luc Besson war schon immer ein Regisseur ohne kreative Grenzen. Das kann gut gehen – wie zu seiner künstlerischen Hochzeit mit LÉON – DER PROFI oder DAS FÜNFTE ELEMENT – kann aber auch gründlich schiefgehen wie bei LUCY oder VALERIAN. DOGMAN orientiert sich schamlos an Todd Philips Oscargewinner JOKER, die Figuren und die Handlung sind allerdings um einiges gröber geschnitzt, der Stil so sehr in your face, man könnte meinen, der Film basiert auf einem Groschenroman. Zwischentöne gibt es kaum – die Bösen sind grundböse am Rande der Karikatur, Hunde hingegen sind die besseren Menschen – gütig und schlau wie Einstein. Was natürlich auch der Wahrheit entspricht. Ist gut, Alfi. Ja Suse, jaha.

Ist Luc Besson ein guter Regisseur? Mal so, mal so. Technisch ist das alles gekonnt, aber DOGMAN ist kein wirklich gelungener Film und schon gar nicht das voreilig versprochene Comeback. Wenigstens kann man Besson nicht vorwerfen, zu langweilen. Unterhaltsam ist der JOKER auf vier Pfoten trotz allem.

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Originaltitel „Dogman“
Frankreich / USA 2023
113 min
Regie Luc Besson

alle Bilder © capelight pictures

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DIE MITTAGSFRAU

DIE MITTAGSFRAU

Ab 28. September 2023 im Kino

In ihrem preisgekrönten Roman „Die Mittagsfrau“ von 2007 erfindet Julia Frank eine Version der Lebensgeschichte ihrer Großmutter. Die österreichische Regisseurin Barbara Albert hat den Bestseller nun mit Mala Emde in der Hauptrolle verfilmt.

Helene – so der Name der semifiktiven Großmutter – wächst in Bautzen in bedrückenden Verhältnissen auf. Ihre Mutter ist psychisch krank, lebt in einer Wahnwelt. Um all dem Leid zu entgehen, brechen die junge Helene und ihre ältere Schwester Martha ins wilde Berlin der 20er-Jahre auf, wo sie bei ihrer mondänen Tante Fanny unterkommen. Viele Partys, Charleston-Tänze und Schicksalsschläge später ist Helene alleinerziehende Mutter. Weil das Leben kurz und das Kind nervig ist, bringt sie es an einen Bahnhof und lässt es dort zurück. Endlich frei, kaltes Herz. Ende.

Die Dialoge gestelzt, die Bildsprache gewöhnungsbedürftig

Die guten Schauspieler (u.a. Mala Emde, Max von der Groeben, Thomas Prenn) können nichts dafür, dass das Drehbuch voller gestelzter Dialoge, die Ausstattung unpassend modern und die Bildsprache gewöhnungsbedürftig ist. Es reicht eben nicht, ein paar Möbel (die teilweise aussehen, als hätte IKEA die Ausstattung besorgt) ins Set zu stellen und den Darstellern 20er-Jahre-Kleidung anzuziehen. Aber nicht nur Äußerlichkeiten sind unstimmig, auch Emotionen werden plump auf die Leinwand gebracht. Helenes Mutter beispielsweise muss ihren Wahnsinn mit Schreien, irrem Lachen und wirren Haaren darstellen. Edgw.

DIE MITTAGSFRAU macht den unguten Eindruck eines nicht allzu üppig budgetierten Kunsthochschulprojekts. Immer wenn es besonders gefühlig wird, schaltet die Kamera auf farbübersättigt und grobkörnig, das soll dann wohl stimmungsvoll sein. Die Geschichte von der Frau, die mit ihrer Rolle als Mutter ringt, ist interessant, wird aber in fast 2,5 Stunden lebensbedrohlich in die Länge gezogen. Über weite Strecken entsteht so eine Langeweile, die bei der Pressevorführung mit seligem Schnarchen und teils fluchtartigem Verlassen des Kinosaals honoriert wurde.

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Deutschland / Schweiz / Luxemburg 2023
136 min
Regie Barbara Albert

alle Bilder © Wild Bunch Germany

DAS NONNENRENNEN

DAS NONNENRENNEN

Ab 28. September 2023 im Kino

Mon Dieu, c'est mauvais. Laurent Tirards alberne Klamotte versucht den Witz alter Louis de Funes-Komödien heraufzubeschwören. Vergebens.

Das lokale Altenheim pfeift aus dem letzten Loch, eine Renovierung ist bitter nötig. Weil auch der Bürgermeister kein Geld hat, nehmen fünf Nonnen an einem Fahrradrennen teil. Als Preisgeld winken 25.000 €. Spitzenidee. Dumm nur, dass die Himmelsbräute ausschließlich verrostete Klapperräder im Stall haben und größtenteils nicht mal wissen, wie man so einen Drahtesel reitet. Zu allem Unglück taucht auch noch eine professionelle, voll durchtrainierte Gruppe von BMX-Rad-Nonnen auf, die ebenfalls scharf aufs Gewinnen sind.

NONNEN AUF HEISSEN BIKES
DIE VÖLLIG DURCHGEDREHTEN BETSCHWESTERN
RAD AB – 5 NONNEN FÜR EIN HALLELUJA

Neben „Tritt fester, Schwester“ böten sich noch viele weitere dümmliche Wortschöpfungen als Untertitel an, wäre DAS NONNENRENNEN vor 50 Jahren in die deutschen Kinos gekommen. Passend zur 70er-Jahre-Zopfigkeit ist auch der altbackene Nonstop-Nonsens Humor von JUSTE CIEL! (so der Originaltitel).

Laurent Tirard hat schon mehrfach bewiesen, dass er nicht mit göttlichem Talent gesegnet ist. Seine bisherigen Filme DER KLEINE NICK und ASTERIX & OBELIX sind allenfalls Durchschnittsware. Mit DAS NONNENRENNEN erreicht der französische Regisseur nun einen vorläufigen Tiefpunkt seiner Karriere. 

Nichts gegen harmlos, aber selbst ohne Erwartungen muss man sagen: Der Film ist gründlich misslungen. Fast nichts funktioniert. Die Gags sind abgestanden, die Dialoge mittelmäßig, die Charaktere klischeehaft, ohne jede Entwicklung. Originelle Ideen gibt es so gut wie keine. Was all die guten Schauspieler dazu bewogen hat, in diesem dümmlichen Lustspiel mitzuwirken, bleibt ihr großes Geheimnis. Schlechtester Film der Woche.

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Originaltitel „Juste Ciel!“
Frankreich 2022
88 min
Regie Laurent Tirard

alle Bilder © STUDIOCANAL

BURNING DAYS

BURNING DAYS

Ab 28. September 2023 im Kino

BURNING DAYS von Emin Alper ist eine aufregende Mischung aus modernem Western und Polit-Thriller.

Es beginnt mit einer Wildschweinjagd. Hier in der anatolischen  Provinz sind Männer noch echte Kerle, das verängstigte Borstenvieh wird unter dem großen Jubel der Einheimischen brutal abgeschossen. In diesem mit toxischer Männlichkeit aufgeladenen Ort beginnt der junge Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali) seinen neuen Job. Und den nimmt er sehr ernst. Kaum angekommen, gerät er mit den örtlichen Honoratioren aneinander, die fest entschlossen sind, ihre Privilegien mit allen Mitteln zu verteidigen. Schnell merkt Emre, dass er in einem Sumpf aus Korruption und Manipulation gelandet ist.

Ein Blick in das Herz der türkischen Gesellschaft

Unausgesprochene Drohungen, Gespräche voller Doppeldeutigkeit und Andeutungen machen BURNING DAYS zu einem starken Dialogfilm. In einer schicksalshaften Nacht, in der sich Emre mit seinen zukünftigen Feinden betrinkt und unter Drogen gesetzt wird, wird eine junge Frau vergewaltigt. Hat er, oder hat er nicht? Seine Erinnerungslücken machen Emre erpressbar.

Mutiger Einzelkämpfer gegen mafiöse Strukturen – das Thema ist für einen Politthriller nicht neu, aber der türkische Kontext und die Offenheit, mit der Regisseur Alper damit umgeht, überraschen. Umweltzerstörung, Korruption, Homophobie, Vergewaltigung – trotz, oder vielleicht wegen all der düsteren Themen entwickelt BURNING DAYS die Qualität eines bedrohlichen Fiebertraums. Ein ungewohnter Blick in das Herz der türkischen Gesellschaft und den ewigen Konflikt zwischen Tradition und Moderne.

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Originaltitel „Burning Days“
Türkei 2022
129 min
Regie Emin Alper

alle Bilder © CINEMIEN

THE CREATOR

THE CREATOR

Ab 28. September 2023 im Kino

Wird Gareth Edwards demnächst wegen Diebstahls geistigen Eigentums vor Gericht gestellt? THE CREATOR ist ein einziger Ideen-Quilt aus schon gesehenen Film-Flicken.

TERMINATOR 2 – ALIENS – STAR WARS – AVATAR – EX MACHINA – CHAPPIE – BLADE RUNNER – WALL•E – ELYSIUM – THE MANDALORIAN – A.I. – WESTWORLD

Ein lustiges Trinkspiel: Für jede Idee, die Gareth Edwards von einem anderen Film geklaut hat, muss man einen Schnaps trinken. Am Ende von THE CREATOR wäre man sternhagelvoll.

Wenigstens drückt der Regisseur visuell dem Best-of-Science-Fiction seinen Stempel auf. Fans des seit GODZILLA und ROGUE ONE: A STAR WARS STORY kultivierten „düster-realistisch meets Apple-in-200-Jahren“-Looks kommen auf ihre Kosten. Und es gibt ein paar wirklich gute Szenen, wie die, in der ein Toter kurzfristig ins Leben zurückgeholt wird, um ihm noch ein paar Informationen abzupressen, bevor seine Synapsen endgültig erloschen sind. Aber sonst? Die Story vom Ex-Soldaten, der gegen eine durchgedrehte (oder vielleicht doch nicht durchgedrehte?) KI kämpft und sich dabei um ein kleines Roboter-Mädchen kümmern muss, fängt fulminant an. Aber nach dem ersten Kapitel geht es stetig bergab.

Die Geschichte lässt kalt

Das sieht zwar cool aus – aber wie oft soll man sich als Zuschauer für Bombenexplosionen und riesige Laserscanner begeistern? Auf Dauer ermüdet selbst Nietzsche die Wiederholung des immer Gleichen. Nicht jeder kann alles können. Edwards ist meisterhaft im Schaffen von realistisch wirkenden Zukunftswelten. Doch Emotionen sind nicht so sein Ding. Da können sich die Schauspieler noch so sehr bemühen, die Tränen in Strömen fließen und die Hans-Zimmer-Streicher im Soundtrack alles geben – die Geschichte lässt kalt. Je länger der Film dauert, desto mainstreamiger und uninteressanter wird er. Das letzte Drittel könnte glatt von Michael Bay inszeniert sein, und das ist nicht als Kompliment gemeint. Am Ende steht die Erkenntnis: Roboter sind die besseren Menschen. Halleluja.

Neues Feindbild: First reactions von Influencern. Da wird THE CREATOR als „ein Meisterwerk“ und als „neuer Klassiker“ gelobt, als der „beste Science-Fiction-Film in diesem Jahr“. Besser nicht hinhören. THE CREATOR ist ein gut aussehender, aber überlanger und schamlos zusammengeklauter Science-Fiction-Film, der kaum Eindruck hinterlässt.

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Originaltitel „The Creator“
USA 2023
133 min
Regie Gareth Edwards

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

WOCHENENDREBELLEN

WOCHENENDREBELLEN

Ab 28. September 2023 im Kino

Auf großer Stadiontour durch Deutschland: Mirco klappert mit seinem Sohn Jason die Bundesliga ab, um einen Lieblingsverein für den autistischen Junior zu finden.

Jasons Regeln sind streng: Nudeln dürfen sich auf dem Teller nicht mit der Tomatensoße berühren. Ihn selbst darf sowieso niemand anfassen. Das eigenwillige Verhalten kommt nicht von ungefähr: Jason ist Autist. Nun sucht der 10-Jährige einen Lieblingsfußballverein. Und seine Ansprüche sind hoch: Energetisch nachhaltig, keine Nazis unter den Fans, die Spieler müssen einheitlich farbige Schuhe tragen, das Maskottchen darf nicht peinlich sein und vieles mehr. Gemeinsam mit seinem Vater nimmt Jason in einem Langzeitprojekt die erste, zweite und dritte Liga unter die Lupe – 56 Mannschaften insgesamt.

Basiert auf einer wahren Geschichte

Florian David Fitz spielt in WOCHENENDREBELLEN einen Fastfood-Handlungsreisenden, der lernen muss, mit der psychischen Krankheit seines Sohns umzugehen. Was soll man da kritisieren? Cecilio Andresen meistert seine Rolle bravourös, denn die Figur des Jason ist alles andere als liebenswert. Der Film versucht zum Glück nicht, die Krankheit weichzuspülen und aus dem Autisten einen niedlichen Jungen mit leichter Behinderung zu machen. Nein, Jason nervt auf SYSTEMSPRENGER-Niveau. Schade nur, dass Regisseur Marc Rothemund die außergewöhnliche Story wie eine typisch deutsche TV-Produktion inszeniert. Da gibt es wenig große Bilder oder visuelle Einfälle, Emotionen werden mit gefälligen Pophits zugekleistert. 

WOCHENENDREBELLEN basiert auf einer wahren Geschichte. Mirco und Jason von Juterczenka reisen bis heute regelmäßig zu Bundesligaspielen. Wie so oft berühren dann die zum Abspann gezeigten Realaufnahmen mehr als der ganze Film davor. Die gute Absicht zählt, doch fragt sich, ob das Plädoyer für Verständnis und Integration mit einem künstlerisch mutigeren Film nicht stärker gewesen wäre.

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Deutschland 2023
95 min
Regie Marc Rothemund

alle Bilder © Leonine

SPEAK NO EVIL

SPEAK NO EVIL

Ab 28. September 2023 im Kino

Nach der gestrigen Empfehlung ROSE heute ein weiterer exzellenter Film aus Dänemark: Wenn zu viel Nettigkeit tödlich ist.

Eine lockere Urlaubsbekanntschaft zwischen einer dänischen und einer niederländischen Familie. Die Kinder spielen zusammen, die Eltern mögen sich. Monate später liegt eine Einladung zu einem Wochenendbesuch im Briefkasten. Die Wiedersehensfreude ist kurz, bald kommt es zu Missverständnissen und einer Reihe kaum merklicher Grenzüberschreitungen. Die Dänen versuchen zunächst höflich zu bleiben – trotz aller Unannehmlichkeiten. Doch das Ganze gerät immer mehr aus den Fugen, Unbehagen wird zu Angst.

Das Böse ist nur allzu real

SPEAK NO EVIL löst wie FUNNY GAMES oder MIDSOMMAR ein sich immer weiter zuspitzendes Gefühl der Beklemmung aus. Der Schrecken bewegt sich in Zeitlupe, hinter der Fassade von Normalität lauert das Grauen. Messerscharf seziert der dänische Regisseur Christian Tafdrup gesellschaftliche Umgangsformen. Besonders die heutzutage weitverbreitete Unfähigkeit, einfach mal „Nein“ zu sagen, hat für die dänische Familie fatale Folgen.

Die besten Ideen hält das Leben bereit: Wie im Film erhielt der Regisseur vor ein paar Jahren von Urlaubsbekannten eine Einladung. Christian Tafdrup überlegte kurz, ob er das Angebot annehmen sollte, entschied sich aber dagegen. Zu seltsam kam es ihm vor, bei Leuten zu wohnen, die er nicht wirklich kannte. In seiner Fantasie malte er sich aus, was bei einem Treffen alles Schlimmes hätte passieren können.

SPEAK NO EVIL ist beunruhigend und unheimlich, denn das Böse ist nur allzu real. Dass etwas ganz und gar nicht stimmt, ist vom ersten Augenblick an zu spüren. Dafür sorgt schon der bedrohliche und bombastische Orchesterscore von Sune „Køter“ Kølster. Das Drehbuch legt meisterhaft falsche Fährten und überrascht den vermeintlich Horrorfilm geschulten Zuschauer immer wieder. Dank exzellenter Regie und gut ausgearbeiteter Charaktere nimmt der slow burner von Anfang bis Ende gefangen. Das Horror-Studio Blumhouse plant für 2024 eine Neuverfilmung mit James McAvoy und Mackenzie Davis in den Hauptrollen. Hoffentlich bügelt das Remake nicht all die verstörenden Elemente für den US-Markt glatt.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Gæsterne“
Dänemark / Niederlande 2022
97 min
Regie Christian Tafdrup

alle Bilder © PLAION PICTURES

ROSE – EINE UNVERGESSLICHE REISE NACH PARIS

ROSE – EINE UNVERGESSLICHE REISE NACH PARIS

Ab 28. September 2023 im Kino

Goodbye England’s Rose - Was eine schizophrene Dänin mit der verstorbenen Lady Di zu tun hat, verrät die herzerwärmende Dramödie ROSE.

„Wollen Sie mich ficken?“

„Ich würde Sie gerne erwürgen“

Inger (Sofie Gråbøl) trägt ihr Herz auf der Zunge. Sie kann nichts dafür, Inger ist schizophren. Nach Jahren in einer psychiatrischen Einrichtung geht die verschrobene Mittvierzigerin zusammen mit ihrer Schwester Ellen (Lene Maria Christensen) und deren Mann Vagn (Anders W. Berthelsen) auf eine sentimental journey nach Frankreich. Denn es gab mal ein Leben vor der Krankheit, da lebte Inger in Paris, war verliebt und glücklich. Doch der verheiratete Mann, mit dem sie eine Affäre hatte, brach nicht nur mit ihr, sondern ihr Herz gleich mit. Kurz darauf übernahmen die Stimmen in Ingers Kopf das Kommando.

Mit perfektem Timing inszenierte Dramödie

Eine Busreise mit einer geistig verwirrten Frau – gar nicht so einfach. Vor allem wenn sich unter den Mitreisenden ein echter Stinkstiefel befindet (überzeugt als verklemmter Spießer: Søren Malling). Aber die Mühe lohnt sich – denn der Roadtrip ist nicht nur eine Fahrt von A nach B, sondern auch eine Reise ins Innere, mit Auswirkungen auf das gesamte Familiengefüge.

ROSE – EINE UNVERGESSLICHE REISE NACH PARIS ist ein zärtlicher Blick auf das Leben einer Frau jenseits der Norm. Der deutsche Verleihtitel klingt zwar nach Lore-Roman, doch Niels Arden Oplevs Dramödie ist mit perfektem Timing inszeniert, beinah kitschfrei und oft überraschend komisch. Der Regisseur und Autor erzählt eine Geschichte aus seiner eigenen Familie, ROSE basiert auf dem Leben seiner Schwester. Dabei weiß er genau, wann es zu viel wird, wälzt keine Szene unnötig aus oder drückt künstlich auf die Tränendrüse. Dass der Film zudem gut aussieht (Kamera: Rasmus Videbæk) und einen wunderbar emotionalen Soundtrack (Henrik Skram) hat, macht ihn zu einem kleinen Juwel. Die Schauspieler sind sowieso toll, besonders Sofie Gråbøl, die die verwirrte Inger oscarwürdig überzeugend spielt.

Weil gerade Skandinavische Woche bei Framerate ist, gibt es morgen die Kritik zu einem weiteren Film aus dem Land mit der putzigen Sprache: SPEAK NO EVIL – ein düsterer, sehr empfehlenswerter Horrorfilm, ebenfalls aus Dänemark.

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Originaltitel „Rose“
Dänemark 2022
106 min
Regie Niels Arden Oplev 

alle Bilder © mindjazz pictures

DIE EINFACHEN DINGE

DIE EINFACHEN DINGE

Ab 21. September 2023 im Kino

Ein selbst gemachtes Omelette. Mittagsschlaf auf der Bergwiese. Ein treuer Hund als Weggefährte. Es sind die einfachen Dinge, die das Leben kostbar machen. Éric Besnards französisch-leichte Komödie LES CHOSES SIMPLES ist aber mehr, als es auf den ersten Blick scheint.

Der erfolgreiche Geschäftsmann Vincent hat eine Autopanne in den Bergen, Handyempfang gibt es 2.000 Meter über dem Meeresspiegel nicht. Zum Glück knattert gerade Pierre auf dem Motorrad vorbei und nimmt den Gestrandeten mit zu seinem Bilderbuch-Hof. Eine selbstgekochte Mahlzeit, eine Flasche Wein vor traumhafter Naturkulisse – so einfach kann Glück sein. Doch hinter der scheinbar zufälligen Begegnung der beiden ungleichen Männer steckt mehr.

Herzenswarmes Feelgood Movie

Auch wenn das Thema der Suche nach dem Glück schon oft in Filmen behandelt wurde und der Gegensatz zwischen dem von der Welt zurückgezogenen Einsiedler und dem erfolgreichen Geschäftsmann kein besonders originelles Ausgangsszenario bietet, überrascht DIE EINFACHEN DINGE doch mit einem cleveren Drehbuch und einer tollen Besetzung.

Sympathischer Kotzbrocken: Lambert Wilson spielt mit einer schönen Mischung aus verführerisch und unausstehlich den Unternehmer, der es gewohnt ist, seinen Willen durchzusetzen. Ihm gegenüber steht Gregory Gadebois als schweigsamer Brummbär, der keine Annäherung zulässt und voller Missfallen auf den Stadtmenschen schaut.

DIE EINFACHEN DINGE ist ein intelligentes und herzenswarmes Feelgood Movie über – der Titel legt es nahe – die einfachen, aber elementar wichtigen Dinge im Leben: Freundschaft, Liebe und frische Luft. Schön.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les Choses simples“
Frankreich 2023
95 min
Regie Éric Besnard

alle Bilder © Neue Visionen

WEISST DU NOCH

WEISST DU NOCH

Ab 21. September 2023 im Kino

Schade, wirklich. Sowohl Geschichte als auch Besetzung sind richtig gut. Hätte Rainer Kaufmann seine Dramödie mit weniger flachen TV-Bildern und mutigerem Stil inszeniert, wäre WEISST DU NOCH ein exzellenter Film.

Aus der Ehe von Marianne und Günter ist nach 50 Jahren die Luft raus. Die Kinder sind längst ausgezogen, melden sich nur noch sporadisch. Das Rentnerpaar geht sich gehörig auf den Sack, vor allem die zunehmende Vergesslichkeit wird bei jeder Gelegenheit zum Streitthema. Als Günter zum Hochzeitstag zwei blaue Pillen aus der Tasche zaubert, mit denen angeblich sämtliche Erinnerungen zurückgebracht werden können – wenigstens vorübergehend – ist Marianne skeptisch. Doch die Pille wirkt und die beiden Streithähne begeben sich auf eine versöhnliche Reise in die Vergangenheit.

Ein von vorne bis hinten hell ausgeleuchteter Fernsehfilm

Wir müssen über Inhalt und Form sprechen. Günther Maria Halmer spielt schön muffelig den am Leben vorbeilebenden Stinkstiefel. Und die fabelhafte Senta Berger hat ihr Karriereende extra verschoben, steht für WEISST DU NOCH vielleicht ein letztes Mal vor der Kamera. Die Idee ist originell, das Drehbuch voll bissiger Dialoge. Die dem Leben Zugewandte und der Misanthrop provozieren und sticheln, das sitzt punktgenau, ist ernst und zum Lachen. Hätte also was Großes werden können. Aber warum muss ein deutscher Kinofilm mit solch guten Zutaten so bescheiden aussehen? Zumal es sich um ein Kammerspiel mit nur zwei Personen (plus drei Mini-Nebenrollen) handelt. Also überschaubar, keine teuren Sets, Locations oder gar Special Effects.

Was hätte ein Michael Haneke aus so einem Stoff gemacht? Sicher keinen von vorne bis hinten hell ausgeleuchteten Fernsehfilm. Wahrscheinlich sind Regisseur Rainer Kaufmann und sein Kameramann Martin Farkas unschuldig, denn die ARD Degeto ist Co-Produzentin. Und das sieht man in jeder Einstellung. Nach dem Motto: Das muss den Ü-70-Zuschauern bei der Fernsehauswertung gefallen, bloß keine Experimente. Wieder eine vertane Chance, den deutschen Kinofilm glänzen zu lassen.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
91 min
Regie Rainer Kaufmann

alle Bilder © MAJESTIC

A HAUNTING IN VENICE

A HAUNTING IN VENICE

Ab 14. September 2023 im Kino

Wie langweilig können 103 Minuten sein? Kenneth Branagh setzt mit seinem dritten Hercule-Poirot-Film neue Maßstäbe.

Venedig in den 1940er-Jahren. Noch keine Spur von Massentourismus. Morbide Stimmung in der ewig dem Untergang geweihten Stadt. Ein alter Palazzo, in dem die Geister von gequälten Kindern spuken. Peitschender Regen, Düsternis, ein Mord. Und mittendrin Hercule Poirot (Kenneth Branagh), der den Fall mit analytischem Verstand knacken will.

Todlangweiliges Schnarchfest

Klingt erst mal alles gut. Leider hat Regisseur Brannagh auch bei seiner dritten Agatha-Christie-Verfilmung vieles falsch gemacht. Obwohl Setting und Geschichte geradezu nach einem atmosphärischen, unheimlichen Thriller schreien, ist davon nichts zu spüren. A HAUNTING IN VENICE ist ein geschwätziges, todlangweiliges Schnarchfest.

Das Whodunit sieht dank famoser Ausstattung und exzentrisch weitwinkliger Kamera (Haris Zambarloukos) zwar ganz hübsch aus, doch weder die Figuren noch die Handlung wecken auch nur einen Funken Interesse. Von Spannung ganz zu schweigen. Die ganz großen Stars hat Branagh diesmal nicht verpflichtet (dabei macht der Cast aus aktuellen und ehemaligen Superstars ja gerade den Reiz der Agatha-Christie-Filme aus). Tina Fey, Michelle Yeoh und Jamie Dornan liefern solide Leistungen ab, doch für ihre zweidimensionalen Figuren interessiert man sich nie wirklich.

Bleibt die Erkenntnis, dass sogenannte „first reactions“ von Influencern ungefähr so ernst zu nehmen sind wie das Werbeversprechen, Nutella sei gesund. Da wird A HAUNTING IN VENICE als „großartig“ und das „Beste der drei Poirot-Abenteuer“ gelobt. Das Gegenteil ist der Fall: Seit dem annehmbaren MORD IM ORIENTEXPRESS verschlechterten sich die Filme von Mal zu Mal. Immerhin wurde diesmal weitestgehend in realen Sets gedreht, was gegenüber dem Greenscreen-Fiasko on TOD AUF DEM NIL ein kleiner Fortschritt ist.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „A Haunting in Venice“
USA 2023
103 min
Regie Kenneth Branagh

alle Bilder © Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

SIEBEN WINTER IN TEHERAN

SIEBEN WINTER IN TEHERAN

Ab 14. September 2023 im Kino

Winter is coming. Die Tage werden kürzer und auch im Kino ist Schluss mit lustig.

SIEBEN WINTER IN TEHERAN ist ein Dokumentarfilm über schreiendes Unrecht. Die 19-jährige Reyhaneh Jabbari sitzt 2007 in Teheran in einem Eiscafé. Ein älterer Mann spricht sie an, er habe mitgehört, dass sie als Designerin für Messestände arbeite. Er hätte einen Auftrag für sie, seine Praxis für Schönheitschirurgie solle neu gestaltet werden. Die junge Frau ist begeistert, begleitet den Mann zu einer Besichtigung der Räume. Schnell wird ihr klar, dass sie in eine Falle geraten ist. Der Mann schließt die Tür ab, beginnt Reyhaneh anzugrapschen, will sie auf dem Sofa vergewaltigen. Sie greift in ihrer Not nach einem Küchenmesser, tötet den Mann. Kurz darauf wird sie wegen Mordes verhaftet.

Erschütternd und schwer auszuhalten

Wenn zum Unglück auch noch Pech dazu kommt. Nicht nur ist das „Opfer“ ein gut vernetzter Mitarbeiter des Geheimdienstes, im Iran gilt vor Gericht außerdem das Blutrecht. Die Angehörigen des Vergewaltigers fordern – Auge um Auge, Zahn um Zahn – das Leben Reyhanehs als Preis für den eigenen Verlust. Zustände wie im Mittelalter, aber leider immer noch Realität in einem Land, gar nicht so weit weg von uns.

Herzstück von Steffi Niederzolls aufwühlender Dokumentation sind heimlich im Iran gedrehte Aufnahmen, ergänzt durch Interviews mit den Angehörigen. Die Kamera gibt einen ansonsten unmöglichen Einblick, bewegt sich fast tastend durch Miniatur-Nachbauten der wichtigsten Stationen: vom Ort des Verbrechens, über den Gerichtssaal bis zum Gefängnis. Aus dem Off liest dazu eine Schauspielerin Reyhanehs Briefe aus der Haft.

Am 25.10.2014 wird Reyhaneh Jabbari hingerichtet. Bis zu ihrem Tod bleibt ihr Lebenswille ungebrochen, bis zum Schluss besteht sie auf Gerechtigkeit. Eine von der Familie des Vergewaltigers angebotene Vergebung, so sie sich schuldig bekenne, lehnt sie ab. Tragischer Tiefpunkt ist eine live mitgedrehte Handyaufnahme, in der Reyhanehs Mutter erfährt, dass ihre Tochter soeben hingerichtet wurde. Das zu sehen erschüttert, ist schwer auszuhalten. Inzwischen lebt die Familie in Berlin, nur dem Vater wird die Ausreise verweigert. Reyhanehs Schwestern und vor allem ihre Mutter kämpfen weiter gegen das Unrecht, das iranischen Frauen bis heute angetan wird. SIEBEN WINTER IN TEHERAN ist vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen im Iran ein wichtiger und gleichzeitig wenig Hoffnung machender Film.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Frankreich 2023
97 min
Regie Steffi Niederzoll 

alle Bilder © Little Dream Pictures 

RETRIBUTION

RETRIBUTION

Ab 14. September 2023 im Kino

Schon wieder fährt ein Mann mit einer Bombe im Auto durch die Großstadt. Diesmal tickt es unter dem Sitz von Liam Neeson.

2015 machte EL DESCONOCIDO aus Spanien den Anfang. Drei Jahre später folgte die deutsche Version des gleichen Stoffes: STEIG. NICHT. AUS! mit Wotan Wilke Möhring. Nun also der nächste Aufguss mit dem unkaputtbaren Liam Neeson in der Hauptrolle. Man sieht dem 71-jährigen Iren mittlerweile an, dass er seit Jahren von einem Gegen-die-Uhr-Thriller zum nächsten jagt. Als gestresster Geschäftsmann und Familienvater fährt er in RETRIBUTION mit dem Auto durch Berlin, während unter seinem Fahrersitz eine Bombe tickt. Steigen er oder seine beiden Kinder aus, fliegt alles in die Luft. Sandra Bullock kann davon ein Lied singen.

Es holpert gewaltig

Für deutsche Zuschauer, besonders Berliner interessant: RETRIBUTION wurde komplett in der Hauptstadt gedreht. Der Grund dafür müssen wohl Fördergelder sein, denn außer der üblichen „Wie kommen die mit einem Schnitt von da nach da?“-Spaßfrage könnte die Handlung genauso gut in London, New York oder Kassel spielen. Die Besetzung ist durchweg international, gesprochen wird englisch.

Nimród Antal – den Namen muss man sich merken. Denn der Regisseur trägt wohl die Hauptschuld daran, dass RETRIBUTION so schlecht ist. Dialoge, Schauspiel, Inszenierung: Es holpert gewaltig. Immerhin funktioniert die unfreiwillige Komik. Statisten stehen verloren in der Szene, als würden Sie noch auf das „Action“ des Regisseurs warten oder overacten, als sei dies ein Stummfilm. „Dad! Daaad!!“ Die beiden Kinder sind so nervig, dass man sich schon nach wenigen Minuten fragt, ob es nicht für alle Beteiligten besser wäre, wenn das Auto bald in die Luft flöge.

Nicht mal die Actionszenen können überzeugen: Die Verfolgungsjagden sind lahm und unglaubwürdig inszeniert – oder stellt die Berliner Polizei bei einer Straßensperre tatsächlich ihre Autos mit so großen Lücken auf, dass selbst ein SUV locker durchpasst? Obwohl RETRIBUTION nur 91 Minuten lang ist, schleppt es sich dahin wie eine Trabifahrt. Vor allem das übererklärende Ende ist zum Einschlafen. Praktisch: Im Trailer sind sämtliche Highlights zu sehen, sodass man sich den Kinobesuch doppelt sparen kann.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Retribution“
USA / Deutschland / Frankreich / Spanien 2023
91 min
Regie Nimród Antal

alle Bilder © STUDIOCANAL

DALILAND

DALILAND

Ab 07. September 2023 im Kino

Savador Dali - Meister des Surrealismus, Allround-Künstler, Enfant Terrible. Mary Harron widmet dem Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart ein konventionell gemachtes, aber höchst unterhaltsames Porträt.

Blonde Mädchen nennt er „Ginesta“, hübsche Jungs in Anlehnung an Caravaggios Gemälde „San Sebastian“. Und von jungen, schönen Menschen gibt es in Dalis Leben Mitte der 1970er-Jahre reichlich. Den Alltag versüßt er sich mit rauschenden Partys, flotten Dreiern (als Zuschauer), Champagner und Kaviar – das Malen ist eher lästige Pflicht. Seine resolute Ehefrau Gala sorgt dafür, dass der Rubel rollt. Zur Not auch mit Geschrei und nicht ganz koscheren Geschäftsmethoden. In dieses kreative Chaos gerät eines Tages der junge, unschuldige James, der sich bald als Dalis Assistent unentbehrlich macht.

Sodom und Gommora light

Giraffen brennen lichterloh, Uhren zerfließen wie Camembert in der Sonne und die Abdrücke von nackten Frauenhintern werden zu Engelsflügeln. An schrägen Bildideen mangelt es den Werken des 1989 verstorbenen Künstlers nicht. Umso erstaunlicher, dass seine weltberühmten (und unter Kunstkennern teils berüchtigten) Gemälde in Harrons Film so gut wie keine Rolle spielen. Die AMERICAN PSYCHO-Regisseurin konzentriert sich viel mehr auf Dalis komplizierte Ehe mit Gala und deren Liebeleien und Gaunereien.

DALILAND ist keine Großproduktion und das sieht man ihm an. Establishing Shots bestehen aus altem Filmmaterial (Recycling ist ein zulässiger Kunstgriff, gleichzeitig enorm kostensparend), die wilden Partys und Vernissagen wirken mit ihrer überschaubaren Anzahl von Statisten nie so groß und rauschend, wie sie es wohl in Wirklichkeit waren. Das mag auch den zur Drehzeit bestehenden COVID-Bestimmungen geschuldet sein.

James, von Newcomer Christopher Briney mit staunendem Welpenblick gespielt, gerät so als Vertreter des Zuschauers in ein Sodom und Gommora light. Dass DALILAND trotzdem ausgesprochen kurzweilig und voller Witz ist, verdankt er Ben Kingsley als Dali und Barbara Sukowa als dessen russische Ehefrau Gala. Die beiden alten Filmhasen spielen das unkonventionelle Paar schön exzentrisch und voller Ironie. Eine Topbesetzung in einem Film, der seinem einzigartigen Sujet nicht ganz gerecht wird.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Daliland“
USA / GB 2022
96 min
Regie Mary Harron

alle Bilder © SquareOne Entertainment

ENKEL FÜR FORTGESCHRITTENE

ENKEL FÜR FORTGESCHRITTENE

Ab 07. September 2023 im Kino

Achtung, jetzt wird’s mild: Es folgt die überraschend positive Kritik zur deutschen Generationskomödie ENKEL FÜR FORTGESCHRITTENE.

Vielleicht liegt es am guten Eindruck, den der erste Teil ENKEL FÜR ANFÄNGER vor drei Jahren hinterlassen hat. Vielleicht liegt es an den nach Art des Premiumweins gealterten Schauspielern (Maren Kroymann, Heiner Lauterbach und Barbara Sukowa), ganz sicher liegt es nicht am Drehbuch – aber die Fortsetzung ist fast so gut wie das Original.

Straff inszenierte, kurzweilige Komödie

Diesmal kümmert sich das Senioren-Trio um einen Kinderladen, denn Philippas Tochter ist nicht nur dessen Leiterin, sondern auch noch hochschwanger. Eine Vertretung ist nicht in Sicht, da hat Karin die rettende Idee: Die Rentner übernehmen! Die Kraft der Alt-68er weckt selbst das verschnarchteste Kind aus seiner Lethargie. Schon nach wenigen Tagen sind aus ins Handy starrenden Teenagern fröhlich tollende Traumblagen geworden, die nebenbei noch jede Menge (alt)-kluger Ratschläge parat halten.

„Hey, shout out an die Kids!“ Dass die Jugendsprache ein bisschen cringe und aufgesetzt klingt, aber durchaus realistisch ist, kann jeder nachhören, der sich zum Beispiel die dritte Folge der Podcast-Serie VERBRECHEN AM FERNSEHEN von und mit Anja Rützel antut. Da denglisht die Journalistin Yasmine M’Barek (nicht verwandt) Sätze wie „Und ich war so: Ich feel dich so sehr, oh mein god!“ raus, dass einem die Fremdscham den Atem raubt. So redens halt, die junge Leut’.

Zurück zu den Enkeln: Sieht aus wie ein mit TV-Stars besetzter Fernsehfilm, ist aber eine erstaunlich straff inszenierte, kurzweilige Komödie. Neben Kindeserziehung gilt es noch die Irrungen und Wirrungen der späten Liebe auseinanderzuklamüsern und sogar Krankheit und Tod werden unpeinlich thematisiert. ENKEL FÜR FORTGESCHRITTENE ist harmlos, aber als Familienfilm eine echte Empfehlung.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2023
90 min
Regie Wolfgang Groos

alle Bilder © STUDIOCANAL

ELEFANT

ELEFANT

Ab 24. August 2023 im Kino

Talent borrows, genius steals. Der auf Framerate oft zitierte Spruch passt wie die Faust aufs Auge zum polnischen Liebesfilm ELEFANT.

Ja, es ist wirklich unoriginell: In einer Kritik den gleichen Spruch zu verwenden wie schon (gefühlt) zwanzigmal zuvor. Aber es stimmt: ELEFANT klaut schamlos bei BROKEBACK MOUNTAIN, STADT LAND FLUSS und vor allem GOD’S OWN COUNTRY…und noch ein paar anderen „zwei schwule Männer in grandioser Naturkulisse“-Filmen. Es würde sich langsam eine Persiflage auf das immer gleiche Setting anbieten: Zwei Jungs, der eine zart, der andere kernig, verlieben sich against all odds and all Dorfbewohner. Das fade Landleben wird nach dem Besuch einer crazy Homo-Disco in der nächstgelegenen Großstadt infrage gestellt. So frei, so wild. Einerseits. Andererseits ist das Leben in der Natur mit Tieren (meist Pferde oder Kühe) auch schön. Am Ende bricht einer der beiden Jungs in die weite Welt auf, während der andere traurig zurückbleibt – oder seinem Liebsten folgt. The End.

Solche Filme kann es gar nicht genug geben

Der polnische Filmemacher Kamil Krawczycki hat in seiner Interpretation der immer gleichen Geschichte trotzdem vieles richtig gemacht. Vor allem mit der Wahl seiner Darsteller. Jan Hrynkiewicz und Pawel Tomaszewski bringen als Bartek und Dawid neben der erforderlichen cuteness auch eine charmante Zurückhaltung in ihre Rollen ein. Das ist nie übertrieben oder wirkt unglaubwürdig. Um die beiden glücklich Verliebten scharen sich ignorante Alte und homophobe Jugendliche ebenso wie extrem Verständnisvolle, die es sowieso schon immer gewusst haben. „Ich würde dich auch akzeptieren, wenn Du ein Elefant wärst!“, sagt die reizende Nachbarin, bevor sie Bartek einen kleinen Porzellanelefanten schenkt. Törööö, wie schön!

Im Ernst: Solcher Art Filme kann es gar nicht genug geben, besonders wenn sie aus rechts-konservativ regierten Ländern wie Polen kommen. Solange Homosexualität in Malaysia mit zwanzig Jahren Knast oder in Uganda sogar mit dem Tod bestraft werden, ist es noch ein weiter Weg zur toleranten Gesellschaft. ELEFANT ist zwar nicht der große Wurf, aber ein hübscher und vor allem stimmungsvoller Film mit Herz, positiver Botschaft und zum Glück Happy End.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Elefant“
Polen 2022
93 min
Regie Kamil Krawczycki

alle Bilder © Salzgeber

JOY RIDE

JOY RIDE

Ab 24. August 2023 im Kino

EIS AM STIEL 2023: JOY RIDE beweist, dass Frauen genauso dämlich sein können wie Männer.

Die Kritiken zu JOY RIDE sind in den USA überraschend positiv. Da wird das Regiedebüt von Adele Lim als „frech und urkomisch“ und wegen seiner asiatisch-weiblichen und teils nicht-binären Besetzung als „wegweisend“ und „Geschichte schreibend“ gelobt. Hm. Vielleicht gibt es verschiedene Fassungen von JOY RIDE. Die bei uns gezeigte ist nur eine alberne Klamotte mit pubertärem Flachhumor.

Schwer zu ertragender Blödsinn

Der Mädelstrip von vier asia-amerikanischen Freundinnen durch China ist von HANGOVER, BRAUTALARM und diversen Seth Rogen-Komödien (der hier als Produzent fungiert) inspiriert. Nachdem in den letzten Jahren bereits einige all female remakes wie der 2016-er GHOSTBUSTERS oder OCEAN’S 8 an der Kinokasse gefloppt sind, zeigte vor allem der sehr weibliche, sehr asiatische und in Teilen sehr komische CRAZY RICH ASIANS, dass Geschlecht und Hautfarbe für den Erfolg eines Films unmaßgeblich sind. Umso erstaunlicher, dass JOY RIDE im Jahre 5 nach CRAZY RICH ASIANS nun als die große, grenzsprengende Komödie der Zukunft gefeiert wird.

Regisseurin Adele Lim inszeniert den chaotischen Roadtrip mit genreüblichen Party-, Sex- und „verloren gegangenes Gepäck“-Klischees. Der Rest ist schwer zu ertragender Blödsinn. Erwachsene Menschen, die sich wie 13-Jährige benehmen (ein Tintenfischspieß? Witzig, den schieb ich mir mit Fellatiobewegungen in den Mund). Dazu hart am Softporno vorbeischrammende Kopulationsszenen, bei denen die Frauen zum schreienden Höhepunkt kommen, während sich die idiotischen Männer schwerste Verletzungen zuziehen. Wer darüber lachen kann, amüsiert sich auch bei LIEBESGRÜSSE AUS DER LEDERHOSE-Filmen.

Emanzipation ist ein zweischneidiges Schwert. Gleiche Rechte für alle ist selbstverständlich. Gleicher Deppenhumor für alle braucht dagegen niemand.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Joy Ride“
USA 2023
95 min
Regie Adele Lim

alle Bilder © Leonine

THE INSPECTION

THE INSPECTION

Ab 24. August 2023 im Kino

In Elegance Brattons autobiografischem Film trifft MOONLIGHT auf FULL METAL JACKET. Ein Militärdrama mit gay-twist.

Der schwule Afroamerikaner Ellis French (Jeremy Pope) wird mit 16 von seiner homophoben Mutter (Gabrielle Union) verstoßen, neun Jahre später lebt er noch immer auf der Straße. Seine letzte Chance sieht er ausgerechnet in der Verpflichtung bei den US-Marines. Er hofft, sich und seiner streng-religiösen Mutter zu beweisen, dass er mehr „als eine obdachlose Schwuchtel“ ist. Das mehrwöchige Bootcamp und ein besonders sadistischer Ausbilder drohen den jungen Ellis zu brechen.

Jeremy Pope liefert eine oscarwürdige Leistung ab

Der Film von Drehbuchautor und Regisseur Elegance Bratton ist eine halb-autobiografische Erzählung über seine Zeit bei den Marines im Jahr 2005. Frei nach der DADT-Regel („Don’t ask, don’t tell“) wurden Anfang des Jahrtausends beim amerikanischen Militär Homosexuelle geduldet, solange sie nicht darüber reden. Ellis’ Problem ist, dass man ihm sofort anmerkt, was Sache ist. Nach einer unglückseligen Versteifung im Duschraum wird er nicht nur von Vorgesetzten, sondern auch von seinen Kameraden schikaniert.

THE INSPECTION fühlt sich stellenweise ein bisschen klischeehaft an, vor allem der Ausbilder (Bokeem Woodbine) wirkt wie eine Persiflage auf den legendären Sergeant Hartman aus FULL METAL JACKET. Dieses kleine Manko machen aber die Schauspieler mehr als wett: Klares Highlight ist Jeremy Pope, der in der Rolle des queeren Soldaten eine oscarwürdige Leistung abliefert und auch Gabrielle Union ist als seine kalte, distanzierte Mutter ausgezeichnet.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Inspection“
USA 2022
100 min
Regie Elegance Bratton

alle Bilder © X-Verleih

KANDAHAR

KANDAHAR

Ab 17. August 2023 im Kino

Zurück in die 90er-Jahre mit Gerard Butler. KANDAHAR ist ein Kriegsfilm von vorgestern.

Tom Harris (Gerard Butler) arbeitet als verdeckter CIA-Agent für hoch komplizierte Spezialeinsätze. Nachdem er im Iran eine unterirdische Atomanlage in den Boden sprengt und kurz darauf enttarnt wird, setzt er sich nach Afghanistan ab. Dort sind ihm nicht nur die Taliban, sondern die halbe iranische Armee und ein garstiger Killerspion auf den Fersen.

Nicht besonders mitreißend

Krieg wie gehabt: Hier die Generäle, die aus dem Hintergrund Befehle geben. Dort die Soldaten, die sich vor Ort die Hände schmutzig machen. Frauen haben in dieser Steinzeitwelt nichts verloren und tauchen höchstens am Telefon oder in Nebenrollen auf. Seit Winnetou hat sich nur die Wahl der Waffen geändert. Während sich früher Cowboys und Indianer mit Flinte und Pfeil und Bogen bekämpften, wird heute mit Maschinengewehr und Drohne gekillt.

KANDAHAR könnte locker 20 bis 30 Jahre alt sein. In den 90er und Nuller-Jahren standen für solche Filme Robert Redford oder (für die intellektuelleren Zuschauer) George Clooney vor der Kamera. Heute macht das Gerard Butler. Und der macht das, was er meistens macht: Den stoischen Haudrauf geben. KANDAHAR ist einer dieser Filme, die wahrscheinlich sehr kurz im Kino laufen und dann schnell bei einem Streaminganbieter landen. Das ist auch gut so, denn als Kriegsfilm ist er nicht besonders mitreißend und als Actionspektakel fehlt es ihm an Schauwert. Das Ganze ist vorhersehbar, nicht besonders glaubwürdig inszeniert und nur mäßig spannend. Kann man sich mal zu Hause anschauen, muss man nicht im Kino sehen.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Kandahar“
USA 2023
119 min
Regie Ric Roman Waugh

alle Bilder © Leonine

BLUE BEETLE

BLUE BEETLE

Ab 17. August 2023 im Kino

Nachdem BARBIE und OPPENHEIMER nur vorübergehend Abwechslung auf die Leinwand brachten, kehren nun die Superhelden zurück.

Das ist mal wirklich eine originelle Idee: Einem (natürlich männlichen) Teenager wächst durch die Kraft eines antiken Skarabäus ein Zauberanzug, der ihm Superkräfte verleiht. Peter Parker und Tony Stark rollen mit den Augen – what else is new?

Die vorletzte Zuckung einer bereits vergangenen Ära

Immerhin das: In Angel Manuel Sotos Comicbuchverfilmung steht zum ersten Mal ein Latino (niedlich: Xolo Maridueña aus COBRA KAI) im Mittelpunkt der Handlung. Ansonsten ist BLUE BEETLE die vorletzte Zuckung einer bereits vergangenen Ära. Der im Dezember startende AQUAMAN 2 ist dann der finale Film, der unter alter DC-Führung in Auftrag gegeben wurde. Inzwischen haben James Gunn und Peter Safran das Ruder beim sinkenden Kahn übernommen und versprechen, endlich frischen Wind in das ewig Marvel hinterherhechelnde Studio zu blasen. Nötig ist es, denn zuletzt waren BLACK ADAM, SHAZAM! 2 und THE FLASH böse gefloppt. So richtig zündet das Reboot erst – wenn es denn zündet – 2025 mit James Gunns SUPERMAN: LEGACY (vorausgesetzt, die Drehbuchautoren- und Schauspielergewerkschaften haben sich bis dahin geeinigt).

Die Comicfigur Blue Beetle gibt es schon seit 1939, gehört aber trotzdem zu den unbekannteren Figuren des DC-Universums. Erfrischend, dass auch die schrägeren Comichelden eine Chance im Kino bekommen. Dass das keine schlechte Idee ist und überaus erfolgreich sein kann, haben James Gunns GUARDIANS OF THE GALAXY-Filme gezeigt.

BLUE BEETLE ist ein „Best-of“ Superheroes (von Spider-Man über Iron Man bis Hulk wird so ziemlich alles „zitiert“), hat ein paar gute Gags und penetriert ansonsten die übliche Botschaft: Familie geht über alles. Und sonst? Der Film ist besser als die letzten paar DC-Abenteuer, was keine große Kunst ist, leidet aber unter den gleichen Problemen wie alle Post-Snyder-Produktionen: zu bunt, zu albern, zu schlechter Look. Gegen die plastikhaften Effekte sieht die kitschigste Las-Vegas-Show hochwertig aus. Das färbt auch auf gestandene Schauspieler ab: Wer hätte gedacht, dass Susan Sarandon (hier als Bösewichtin) so schlecht sein kann? Aber vielleicht ist es auch egal, denn nach 15 Jahren Dauerbeschuss durch Marvel und DC hat sich eine schwere Superhelden-Fatigue breitgemacht. Die großen Erfolge von BARBIE und OPPENHEIMER zeigen: Die Zuschauer hungern nach neuen Geschichten.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Blue Beetle“
USA 2023
125 min
Regie Angel Manuel Soto

alle Bilder © Warner Bros. Pictures Germany