IM HERZEN JUNG

IM HERZEN JUNG

Ab 03. August 2023 im Kino

Mehr MILF geht nicht: die Liebesgeschichte zwischen einer 70-Jährigen und einem Mittvierziger.

In Würde altern. Gar nicht so einfach, vor allem im Showgeschäft. Was zu viel Wasser, Schlaf und Sex (aka Filler, Facelift und Botox) mit einem Gesicht anrichten können, hat zuletzt Lionel Richie bei King Charles’ Krönungszeremonie gezeigt. Es hat eben nicht jeder so gute Gene wie Fanny Ardant. Denn die sieht immer noch fabelhaft aus und steht zu ihren Fältchen. Kein Wunder, dass sich der Arzt Pierre (Melvil Poupaud) gleich bei seiner ersten Begegnung in die pensionierte Architektin Shauna schockverliebt.

Bis in die Nebenrollen außergewöhnlich gut besetzt

Beim Wiedersehen nach 15 Jahren ist es endgültig um die beiden geschehen. Obwohl die Umstände eher dagegensprechen: Pierre führt ein glückliches Familienleben und liebt seine kluge Frau (Cécile de France), Shauna ist mit ihrem Dasein zufrieden, mit Beziehungsdramen hat sie längst abgeschlossen. Und dann wäre da noch der kleine Altersunterschied von 25 Jahren. Heutzutage ist das jenseits der 40 gesellschaftlich akzeptabel, aber meist nur in die eine Richtung. Ältere Frau mit jüngerem Mann hat immer noch Seltenheitswert.

IM HERZEN JUNG basiert auf einem Drehbuch von Solveig Anspach, ihr letztes vor ihrem frühen Tod, das vom Leben ihrer eigenen Mutter inspiriert wurde. Mit Feingefühl und Menschenkenntnis hat Regisseurin Carine Tardieu diese Geschichte einer besonderen Liebe sechs Jahre nach dem Tod der Autorin verfilmt. Das Melodram ist bis in die Nebenrollen außergewöhnlich gut besetzt. Neben Fanny Ardant und Melvil Poupaud sind es vor allem Cécil de France, Florence Loiret-Caille und Sharif Andoura, die IM HERZEN JUNG sehenswert machen. Ein leiser, schöner Film, der alle Klischees elegant umschifft.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les jeunes amants“
Frankreich / Belgien 2021
112 min
Regie Carine Tardieu

alle Bilder © Alamode Film

EIN GROSSES VERSPRECHEN

Kinostart 09. Juni 2022

Juditha und Erik planen ihren erfüllten gemeinsamen Lebensabend, denn mit der Pensionierung des engagierten Universitätsprofessors soll endlich Zeit für die schönen Dinge sein. Tanzen im Garten, Vögel füttern und mit dem Segelboot fahren – so was halt. Doch Juditha leidet unter MS, und gerade jetzt macht die tückische Nervenkrankheit einen heftigen Schub. Ungut auch, dass sie die sturste Frau auf Gottes Erden ist. Hilfe, egal von wem, lehnt sie rigoros ab. Das macht das Zusammenleben nicht gerade einfach. Erik bedrückt die häusliche Enge zusehends, und dass die beiden sich immer noch lieben, macht es nur noch schlimmer. Denn wer will seine Liebe schon leiden sehen?

Dazu muss man in Stimmung sein: Wendla Nölles Drama macht wenig Hoffnung, von schlimm wird es nur noch schlimmer. Stellt sich zwischen den Depressionsschüben, die man als Zuschauer erleidet, die Frage: Warum soll man sich das anschauen? Nichts gegen schicksalshafte Geschichten über andere Menschen, aber der immer bockiger werdenden Juditha und ihrem hilflos leidenden Erik beim gemeinsamen Untergang zuzuschauen ist quälend.

Sehenswert machen den offensichtlich für das Fernsehen gedrehte Film – die klassische 90-Minuten Laufzeit und der NDR als Produzent lassen keinen Zweifel, dass „Ein großes Versprechen“ schon bald am FilmMittwoch um 20.15 Uhr im Ersten laufen wird – die fabelhaften Schauspieler. Der bei uns vor allem als Kurt Wallander bekannte Rolf Lassgård überzeugt als sensibler, aber gänzlich überforderter Ehemann und die ohnehin immer famose Dagmar Manzel rührt und nervt gleichermaßen als an ihrer Krankheit zugrunde gehende Juditha.

Harte Kost, aber der Film hütet sich vor Rührseligkeiten und bietet eine ehrliche, beeindruckend gespielte Auseinandersetzung mit der Angst vor Krankheit und Vereinsamung im Alter, getragen von zwei hervorragenden Schauspielern.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2021
90 min
Regie Wendla Nölle

alle Bilder © Filmperlen

PARFUM DES LEBENS

PARFUM DES LEBENS

Gerüche können bei uns Menschen stärkere Erinnerungen auslösen, als es ein Foto oder eine Erzählung vermögen. Die Nase: das unterschätzte Sinnesorgan. Davon können Long-Covid-Patienten ein Lied singen. 

Vor über zehn Jahren fand in Genf eine Veranstaltung statt, die unter dem Motto „Début du printemps“, also „Frühlingsanfang“ stand. Um die Gäste entsprechend einzustimmen, sollte eine Geruchsexpertin die zahlreichen Zuschauer in eine grasige Duftwolke einhüllen. Was seinerzeit wegen zu starker Klimaanlagen nur bedingt funktionierte, ist mittlerweile Standard in allen Bereichen unseres täglichen Lebens. Vom Deoroller über Katzenstreu bis hin zu ganzen Gebäuden – alles hat seine individuell angepasste olfaktorische Marke. Ein Negativbeispiel ist die Modekette „Abercrombie and Fitch“, die mit ihrem penetranten Billiggeruch höchstens Kopfschmerzen auslöst.

Und genau darum geht es in „Parfum des Lebens“ – Anne war mal eine Koryphäe auf ihrem Gebiet: Parfumkreationen für Dior machten Sie zu einem Star in der Welt der künstlich erzeugten Düfte. Doch mit dem Erfolg setzte der Stress ein. Anne verlor vorübergehend ihren Geruchssinn, wurde danach nur noch für gewinn-, aber wenig prestigeträchtige Jobs in der schnöden Welt der Alltagsprodukte gebucht.

Auftritt Guillaume: Der geschiedene Vater kämpft um das Sorgerecht für seine zehnjährige Tochter. In seinem neuen Job als Chauffeur trifft er auf Anne, zunächst ganz gefühlskalte Eule. Das ungleiche Paar entdeckt jedoch nach und nach Gemeinsamkeiten. So kommen sich die beiden im Laufe der Geschichte zwar nicht romantisch näher, finden aber Wege, sich ein bisschen glücklicher zu machen und aus ihrem eingefahrenen Dasein zu retten.

Mut zum Kitsch in der Sprache: „Parfum des Lebens“ öffnet sich langsam wie eine aufgehende Blüte. Nach und nach, Lage um Lage werden die Schwächen und versteckten Talente der Figuren freigelegt. Und dabei wird noch Interessantes über die professionelle Welt der Düfte vermittelt: Wer hätte gedacht, dass erst ein Hauch von Müllgeruch Chanel No. 5 zu einem Parfumklassiker macht?

Vielleicht hat der monatelange Kinoentzug das Hirn vernebelt, und wahrscheinlich wird es die deutsche Synchronisation wieder zunichtemachen – aber „Parfum des Lebens“ ist (wenigstens in der Originalversion) ein ganz entzückender, beglückender Film.

FAZIT

Schön, melancholisch und mit leisem Humor erzählt. Très charmant!

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Les Parfums“
Frankreich 2019
100 min
Regie Grégory Magne
Kinostart 19. August 2021

alle Bilder © Happy Entertainment

MATTHIAS & MAXIME

MATTHIAS & MAXIME

Nach fünf kleinen und großen Meisterwerken wurde der frankokanadische Wunderkind-Regisseur Xavier Dolan für seine letzten beiden Filme von der Kritik geschlachtet. Dabei gehört es zur selbstverständlichen Entwicklung eines jungen Filmemachers, auch mal was verhauen zu dürfen. 2019 hat sich Dolan mit „Matthias & Maxime“ wieder seiner ursprünglichen Stärken besonnen und liefert eine Art „Best of“ ab: Viele der Versatzstücke dürften treuen Fans bekannt vorkommen.

Matthias und Maxime, beide Ende 20, sind seit ihrer Kindheit Freunde. Der selbstbewußte Matthias (Gabriel D’Almeida Freitas) stammt aus reichem Elternhaus, macht im Leben auf den ersten Blick hin alles richtig: hübsche Freundin, Karriere, Maßanzüge.
Außenseiter Maxime (Dolan, mit symbolisch dick aufgetragenem Feuermal im Gesicht) ist eher der schüchterne Typ. Bald plant er, seine Heimatstadt Montreal in Richtung Australien zu verlassen, hofft dort auf einen Neuanfang, um sich vor allem aus den Fängen seiner toxischen Mutterbeziehung zu lösen. 
Als Matthias und Maxime auf einer Party von einem Mädchen genötigt werden, in einem Kurzfilm für die Uni mitzuspielen und sich dafür vor der Kamera küssen sollen, hat das für beide unerwartete Folgen.

Wer hätte geahnt, dass ein kleiner Kuss unter Freunden solch große Auswirkungen haben kann? Dolan schafft es, aus einer nichtigen Geschichte einen abendfüllenden Spielfilm zu zaubern. „Matthias & Maxime“ berührt dabei viele Themen: das Ende der Jugend, unterdrückte Liebe und den unheilvollen Einfluss, den Mütter auf das Leben ihrer Kinder ausüben können (ein Dolan-Klassiker). Entscheidend ist wie immer die Form: Die ästhetische Bildsprache, der gekonnte Einsatz von Musik und das authentische Schauspiel überwiegen ein paar zu lange, pubertär-unlustige Partyszenen.

FAZIT

„Matthias & Maxime“ ist zwar etwas konventioneller geraten und reicht nicht ganz an die Klasse von Dolans letztem großen Erfolg „Mommy“ heran – ist aber ein vielversprechender Schritt zurück zur alten Form.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Matthias et Maxime“
Kanada / Frankreich 2019
119 min
Regie Xavier Dolan
Kinostart 29. Juli 2021

alle Bilder © CINEMIEN

FRÜHLING IN PARIS

FRÜHLING IN PARIS

Ganz erstaunlich: Im Alter von 15 schreibt sie das Drehbuch, mit 20 führt sie Regie. Nebenbei spielt sie noch die Hauptrolle und singt sogar das Titellied. Ihr Debüt-Film schafft es in die Auswahl von Cannes 2020.: Suzanne Lindon ist seit „Seize Printemps“ Frankreichs neues Film-Wunderkind.

Aus dem Leben eines Teenagers: Die sechszehnjährige Suzanne ist zutiefst gelangweilt. Jungs in ihrem Alter findet sie extra öde. Auf einer Skala von eins bis zehn sind bei ihr alle eine durchschnittliche Fünf.
Eines Tages begegnet sie Raphaël. Der Schauspieler ist Mitte dreißig und Suzanne sofort hin und weg. So wie das Mädchen von Schule und Freunden, so ist Raphaël von seinen allabendlichen Auftritten im immer gleichen Theaterstück ermüdet. Langweile kann eben auch verbinden. Als sich die beiden in die Augen schauen, ist es um sie geschehen – Liebe auf den ersten Blick.

Vom Erdbeermarmeladenbrot über Raphaëls Vespa bis zu Suzannes Lieblingsgetränk (Limonade mit Grenadine): Die Farbe Rot zieht sich symbolhaft durch die ganze Geschichte. Das ist ein bisschen plump und auch der Kunstgriff, die Darsteller als Zeichen ihres Verliebtseins in spontane Balletttänze ausbrechen zu lassen, wirkt künstlerisch bemüht. Doch die stilistischen Übertreibungen macht die talentierte Regisseurin mit ihren unverkrampften Dialogszenen und der stimmig eingefangenen Pariser Atmosphäre wieder wett.

FAZIT

Küsschen rechts, Küsschen links, Croissants zum Frühstück: „Frühling in Paris“ erfüllt, was der Titel verspricht – ein bisschen „Lolita“, ein bisschen „La Boum“ und französisch durch und durch.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Seize Printemps“
Frankreich 2020
74 min
Regie Suzanne Lindon
Kinostart 17. Juni 2021

alle Bilder © MFA+ FilmDistribution

Werk ohne Autor

★★★★

Elisabeth (Saskia Rosendahl) liebt ihren kleinen Neffen Kurt über alles. Doch die unkonventionelle junge Frau lebt in gefährlichen Zeiten. Während des Nationalsozialismus wird sie als schizophren diagnostiziert und später in einer Anstalt vergast. Die Folgen dieses grausamen Verbrechens begleiten Kurt (Tom Schilling) ein Leben lang.

Als junger Mann beginnt er nach dem Ende des 2. Weltkriegs eine Ausbildung an der Kunsthochschule Dresden. Hier trifft er auf Ellie (Paula Beer), die beiden verlieben sich. Ellies Vater (Sebastian Koch) ist Professor Seeband, ein erfolgreicher Arzt und früherer Nazioffizier, dessen Geschichte unheilvoll mit Kurts Schicksal verknüpft ist. Nach dem Studium in der DDR wird Kurt zunächst Auftragskünstler für sozialistischen Realismus. Kurz vor Mauerbau flieht er mit Ellie in die BRD. Im Düsseldorf der 60er und frühen 70er Jahre beginnt sein Aufstieg zu einem der bekanntesten Maler seiner Generation. „Werk ohne Autor“ basiert lose auf der Lebensgeschichte des Künstlers Gerhard Richter.

MACHART

Ja, schon wieder eine Künstlerbiografie. Aber was für eine: „Werk ohne Autor“ ist zwar stellenweise grandioser Kitsch, aber auch großes, packendes Kino geworden. Mit seinem dritten Spielfilm wollte Oscarpreisträger Florian Henckel von Donnersmarck keine kleinen Brötchen backen. Sex, Liebe, Kunst, Gewalt, Verbrechen, Wahnsinn, Nationalsozialismus, Krieg, deutsch-deutsche Geschichte. Das alles hat der Regisseur in sein episches, 188 Minuten langes Rehabilitationswerk gesteckt.

Ausstattung und Inszenierung bewegen sich auf höchstem Niveau. Tom Schilling, Paula Beer, Oliver Mascuti, Hanno Koffler, Lars Eidinger, Ben Becker, und, und, und. Die Schauspieler sind erste Garde und durchweg hervorragend, werden aber alle von Sebastian Koch als Professor Carl Seeband überragt. So viel Lob, da muss es natürlich auch einen Wermutstropfen geben. Und das ist überraschenderweise der Score von Max Richter. Besonders bei den eigentlich leisen, emotionalen Szenen drängt sich die Musik viel zu sehr in den Vordergrund und erzeugt so das Gegenteil von echten Gefühlen.

FAZIT

Der Künstler schnackselt gerne und oft. Das ist beneidenswert, muss aber nicht zwingend unentwegt gezeigt werden. Die Hälfte an Sexszenen hätte es auch getan.

„Werk ohne Autor“ hat keine Angst vor großen Gefühlen: drei Epochen deutscher Geschichte – mitreißend und bewegend erzählt.  Eine Hommage an die Kraft der Kunst. Empfehlenswert.

Deutschland, 2018
Regie Florian Henckel von Donnersmarck
188 min
Kinostart, pünktlich zum Tag der deutschen Einheit, am 3. Oktober 2018