Alle die Du bist

ALLE DIE DU BIST

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ALLE DIE DU BIST

„Paul, warum liebe ich dich nicht mehr?“ Eine überraschende Frage, denn Paul, der Lebensgefährte von Nadine, ist ein vorbildlicher Vater, liebt seine Freundin über alles und hat das große Herz am rechten Fleck. Und doch, Nadine hat sich entliebt. Vielleicht liegt es daran, dass Paul wortwörtlich zu viele ist.

Ab 30. Mai 2024 im Kino

Alle die Du bist

ALLE DIE DU BIST ist ein bemerkenswerter deutscher Film, der auf der Berlinale 2024 Premiere feierte. Die Handlung ist schnell erzählt: Arbeitern in der Kohleindustrie bei Köln droht Massenentlassung. Die resolute Nadine (Aenne Schwarz) kämpft für ihre Kollegen und deren Arbeitsplätze. Doch ihre Kraft lässt nach, da die Beziehung zu ihrem Mann Paul (Carlo Ljubek) zunehmend schwieriger wird.

Überraschende Erzähltechnik

“Kennst du das, dass du dir einen Fremden anschaust und es komisch findest, was er sagt, oder wie er redet und dir nach einer Zeit auffällt, dass es dein Mann ist?” Die sich auflösende Liebe Nadines zu Paul steht im Zentrum der Handlung. Regisseur Nathansky bedient sich dabei eines besonderen Kunstgriffs: In die Rolle Pauls schlüpft nicht nur Carlo Ljubek, sondern eine ganze Reihe weiterer Schauspieler. Je nach Gemütszustand ist er ein unsicherer kleiner Junge, ein verliebter Twen, mal eine patente alte Mutter und in Stresssituationen gar ein schnaufender Bulle.

Alle die Du bist

Die schauspielerischen Leistungen in ALLE DIE DU BIST sind durchweg beeindruckend. Besonders herausragend ist Aenne Schwarz, die Nadines innere Zerrissenheit und ihr Kämpferherz authentisch und berührend verkörpert. Auch visuell überzeugt der Film: Die kühlen, grau-blauen Bilder reflektieren die allgegenwärtige Melancholie. Der Soundtrack ergänzt die Stimmung des Films perfekt.

Alle die Du bist

Schwach dagegen die manchmal fragmentierte Struktur, die den Zuschauer aus dem Fluss der Geschichte reißt. Auch bei den Dialogen rascheln immer wieder die Drehbuchseiten. Zudem wirkt die Anfangs originelle Idee der Mehrfachbesetzung auf Dauer etwas bemüht.

Alle die Du bist

Trotzdem: Das Regiedebüt von Michael Fetter Nathansky ist ein poetischer und zugleich realistischer Liebesfilm mit überraschender Erzähltechnik, der zum Nachdenken anregt und im Gedächtnis bleibt.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Spanien 2024
108 min
Regie Michael Fetter Nathansky

Alle die Du bist

alle Bilder © Port au Prince

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WAS VON DER LIEBE BLEIBT

WAS VON DER LIEBE BLEIBT

Auf die ewige Frage, was von der Liebe bleibt, findet dieses unbefriedigende Politik-Beziehungs-Drama keine Antwort.

Ab 02. Mai 2024 im Kino

Restaurantbesitzer Yasemin (Seyneb Saleh) und Ilias (Serkan Kaya) sind seit 15 Jahren ein glückliches Paar. Auf den ersten Blick. Doch als Yasemin bei einem Anschlag getötet wird, gerät Ilyas ins Visier der Polizei. Hatte seine Frau Verbindungen zur PKK? Inmitten des Schocks und der Trauer stellt er sich die bittere Frage: Wer war Yasemin wirklich?

Schnöde Soap-Untiefen

Hier steht ein modernes türkisch-kurdisches Paar im Mittelpunkt. Wenn schon kein Yalla-Yalla oder Kopftuch, dann wenigstens jede Menge Klischees auf der deutschen Seite. Polizisten sagen zum durch und durch kartoffelten Ilias Sätze wie „Wir kennen uns in Ihrem Kulturkreis nicht aus. Bei uns macht man so was nicht“ und sollen damit für unterschwelligen Rassismus stehen. Klassischer Fall von zu viele Köche und verdorbenem Brei. Die produzierenden öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, gepaart mit der Kulturabteilung der Bundesregierung plus Medienboard konnten sich nicht entscheiden: Ist WAS VON DER LIEBE BLEIBT ein Politthriller? Eine Liebesgeschichte? Eine brisante Gesellschaftskritik? Oder doch nur ein „schöne Menschen in schöner Umgebung“-Film?

„Du, wir reden gar nicht mehr miteinander“ – Dialoge wie diese lassen das Ganze in Richtung schnöde Soap-Untiefen kippen. Endzwanziger leben in luxuriös eingerichteten Altbaufluchten, alles sieht wie frisch gestrichen aus, selbst die Polizeistation ist in modisches Farrow & Ball-Türkisblau getaucht. Friedhöfe haben mitten in der Nacht geöffnet und sind wie zufällig von flackernden Kerzen illuminiert. Die irritierende Werbeästhetik zieht sich durch – zu gutaussehend sind nicht nur die Menschen, sondern vor allem die Location: Berlin glänzt als aufgeräumte, staufreie Stadt. Wenn es nicht gerade malerisch regnet oder schneit, glitzert die Sonne durchs Geäst.

Am Ende verweist eine Schrifttafel auf die zahllosen, von der Polizei nicht aufgedeckten Verbrechen von Rechtsradikalen. Man fragt sich: Nanu, wo kommen plötzlich die Nazis her? Es scheint, als habe irgendein Redakteur im Schnittraum noch eine politische Botschaft unterbringen wollen, die rein gar nichts mit der zuvor gezeigten Geschichte zu tun hat. Der indische Drehbuchautor und Regisseur Kenwal Sethi lässt in seinem Themenbrei zu viele Handlungsstränge ins Nichts laufen. Natürlich muss nicht immer alles erklärt werden, aber nur Andeutungen ohne Auflösungen frustrieren.

INFOS ZUM FILM

Deutschland 2024
100 min
Regie Kanwal Sethi

alle Bilder © Filmwelt

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ALL OF US STRANGERS

ALL OF US STRANGERS

Zeitreise mal anders. Nicht im DeLorean auf brennenden Reifen zurück in die Zukunft, sondern als melancholischer Traum auf den Spuren der eigenen Kindheit.

Ab 08. Februar 2024 im Kino

Adam ist einsam. Seine Eltern verlor er bei einem Autounfall, als er gerade mal zwölf Jahre alt war. Nun lebt der Drehbuchautor in einem gesichtslosen Hochhaus am Rande Londons. Auf dem Plattenspieler die großen Queer-Pop-Hits der 1980er-Jahre. Eines Abends klingelt sein Nachbar Harry an der Tür. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich rasch eine Beziehung, doch gleichzeitig wird Adam von Erinnerungen an die Vergangenheit heimgesucht. Immer wieder findet er sich in der Vorstadt wieder, in der er aufgewachsen ist. Im Haus seiner Kindheit leben seine Eltern noch genauso, wie vor 30 Jahren, nichts hat sich hier verändert. Das Wiedersehen jenseits von Zeit und Raum löst nicht nur bei Adam schmerzhafte Erinnerungen aus.

Der irreale Zustand zwischen Traum und Aufwachen

ALL OF US STRANGERS ist eine melancholische Meditation über Verlust und Einsamkeit, die sich wie der irreale Zustand zwischen Traum und Aufwachen anfühlt. Wunderbar unkitschig und herzzerreißend traurig, dazu mit umwerfenden Leistungen von allen Schauspielern. Neben Andrew Scott (dem Pfarrer aus FLEABAG) und Paul Mescal glänzen Jamie Bell und Claire Foy als (un)-tote Eltern. Wer bei den Gesprächen zwischen Vater und Sohn nicht mit den Tränen kämpft, hat kein Herz.

Für seine Studie über Vergebung und die Macht der Liebe findet der Film eine ungewöhnliche Erzählform, Kamera und Soundtrack sind herausragend. ALL OF US STRANGERS ist eine der schönsten Lebens- und Liebesgeschichten des Jahres.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „All of us Strangers“
GB 2023
105 min
Regie Andrew Haigh

alle Bilder © Walt Disney Studio Motion Pictures GmbH

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BABY TO GO

BABY TO GO

Ab 11. Januar 2024 im Kino

Familienplanung von übermorgen. BABY TO GO ist eine ironische Zukunftsvision mit hübschem Technik-Schnickschnack und Werbeästhetik.

Gleichberechtigung 5.0: Männer können auch im neuen Jahr nicht schwanger werden, da kann die Wissenschaft noch so lange forschen. Und Frauen wollen es nicht mehr. Die Hormone, die Hitzewallungen, die Schwangerschaftsstreifen! Stattdessen lässt sich der Nachwuchs in einem schicken Designer-Pod im Labor züchten. Kinderkriegen wird so einfach wie die Pflege eines Tamagotchis.

BLACK-MIRROR-Episode auf 111 Minuten gedehnt

BABY TO GO erzählt von Rachel (Emilia Clarke) und Alvy (Chiwetel Ejiofor), die sich nach langem Zögern entschließen, Eltern von einem Plastikei zu werden. Regisseurin Sophie Barthes nutzt für ihre Science-Fiction-Sozialsatire die visuellen Mittel einer Apple-Werbung. Slicke Technik (der Frühstückstoast kommt aus dem 3D-Drucker), sanfte Pastelltöne – die Welt der Zukunft sieht gut aus.

Doch gutes Aussehen alleine reicht nicht. BABY TO GO ist eine etwas zahnlose BLACK-MIRROR-Episode auf 111 Minuten gedehnt. Das hätte sich komprimierter und wirkungsvoller locker in der Hälfte der Zeit erzählen lassen. Trotz all der hübschen Bildideen zieht es sich zwischendurch wie eine Apple-Präsentation von Tim Cook.

Zuschauer, die zwischen 10 und 14 € für ein Kinoticket berappen, erwarten eine gewisse Quantität an Film. Deshalb gibt es hierzulande auch keinen Markt für Kurzfilme. Eine knackigere Version von BABY TO GO wäre besser bei einem Streamer oder als Hälfte eines Doublefeatures aufgehoben.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Pod Generation“
GB 2022
111 min
Regie Sophie Barthes

alle Bilder © Splendid Film

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PRESS PLAY AND LOVE AGAIN

Kinostart 16. Juni 2022

Eine berühmte Anekdote: Billy Wilder erzählte einmal, er habe im Schlaf immer die besten Drehbuchideen. Eines Nachts machte er sich nach einem besonders lebhaften Traum Notizen. Als er am nächsten Morgen den Zettel las, stand da: Boy meets girl.
So ähnlich muss auch das Drehbuch zu „Press Play and Love again“ entstanden sein.

Laura verliebt sich in Harrison. Harrison macht Laura ein Mixtape. Harrison stirbt (sorry, SPOILER). Laura hört sich ein paar Jahre später die Musikkassette an und wird wie durch Zauberhand in die Vergangenheit zurückgeschleudert. Zukunfts-Laura versucht Vergangenheits-Harrison zu retten.

Multiversum ist gerade das neue Schwarz. Warum nicht eine banale Lovestory mit Zeitreise und verschiedenen Schicksalsvarianten kreuzen? Kann man machen, sollte nur abgedrehter umgesetzt werden. „Everything Everywhere All at Once“ und „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ zeigen gerade, wie es richtig geht. Greg Björkmans Film ist seichte Konfektionsware, erinnert in seinen besten Momenten an eine laue Black-Mirror-Episode. Zu vorhersehbar spult sich die Geschichte ab, die beiden Hauptdarsteller Clara Rugaard und Lewis Pullman sind blass und langweilig. Dass der Film von der ersten bis zur letzten Minute mit klimpriger Musik zugekleistert ist, macht das Ganze auch nicht besser. Einzig die Location entschädigt: Die hawaiianische Insel Oahu sieht gut aus, da könnte man auch mal hin.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Press Play“
USA 2022
85 min
Regie Greg Björkman

alle Bilder © splendid film

DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT

Kinostart 02. Juni 2022

In einer der schönsten Szenen in diesem an schönen Szenen reichen Film knipst Julie einen Lichtschalter um, und plötzlich bleibt die ganze Welt (oder zumindest Oslo) stehen. Julie kann ungehindert durch die Straßen zu dem Mann laufen, den sie liebt und ihn küssen. Hach. Liebe. Überhaupt – die Liebe! „Der schlimmste Mensch der Welt“ ist einer der besten Liebesfilme der letzten Jahre, wenn nicht gar… Und wer sich als Zuschauer nicht unsterblich in die Hauptdarstellerin Renate Reinsve verliebt, der trägt ein Herz aus Stein in der Brust.

Regisseur Joachim Trier erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die versucht, ihren Platz im Leben zu finden. Gar nicht so einfach, denn Julie, die gerade 30 Jahre alt geworden ist, stürzt sich mit großer Begeisterung in immer neue Berufsziele und Beziehungen. Medizinstudium? Zu körperlich. Psychologiestudium? Zu geistig. Fotografin? Warum nicht? Oder doch lieber in einem Buchgeschäft arbeiten? Mit dem 14 Jahre älteren Comiczeichner Aksel lebt sie einigermaßen glücklich zusammen, doch mit dessen „erwachsenen“ Freunden wird sie nicht warm. Eines Tages schleicht sie sich heimlich auf eine Hochzeitsparty und lernt dort den lebenslustigen, gleichaltrigen Eivind kennen.

„Der schlimmste Mensch der Welt“ ist ein wunderbarer norwegischer Film, der alles in sich vereint, was einen Film sehenswert macht: Grandiose Schauspieler, eine zu Herzen gehende Geschichte, Ernsthaftigkeit, Menschlichkeit und Fantasie. In einen Prolog, 12 Kapitel und einen Epilog unterteilt, zeigt der Film Schlüsselmomente in Julies Leben – Momente, die über ihren weiteren Weg entscheiden, auch wenn sie das in diesem Augenblick selbst noch nicht realisiert.

Joachim Trier, der gemeinsam mit Eskil Vogt (Regisseur von „The Innocent“ – noch so ein großartiger skandinavischer Film) das Drehbuch geschrieben hat, umschifft gekonnt alle gängigen Liebesfilm-Klischee-Klippen und bleibt von der ersten bis zur letzten Szene wahrhaftig. Eine kluge, charmante Komödie, eine erotische Romanze, ein bittersüßes Drama – so viel Film fürs Geld. Wenn es die deutsche Synchronisation nicht wieder kaputtmacht, schon jetzt einer der besten Filme des Jahres.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Verdens verste menneske“
Norwegen 2021
121 min
Regie Joachim Trier

alle Bilder © Koch Films