BERLINALE 2023 – TAG 8

BERLINALE 2023 – TAG 8

Vorletzter Tag! Ist es nur Einbildung, oder dauert die Berlinale in diesem Jahr länger als irgendeine Berlinale jemals zuvor. Vielleicht liegt es auch an der Wettbewerbsauswahl. Wenigstens hat ROTER HIMMEL gestern etwas Hoffnung gemacht. Heute gibts drei Filme mit drei Sternen. Ein durchschnittlicher Tag auf einer durchschnittlichen Berlinale.

WETTBEWERB

LIMBO

Nein, das ist keine Fortsetzung von BREAKING BAD und das ist auch nicht Walter White, der da in den australischen Outbacks an seinem Wagen lehnt. Travis Hurley heißt der Doppelgänger und macht sich daran, den Fall einer vor 20 Jahren ermordeten Aborigines-Frau neu aufzurollen. Er stößt auf eine Mauer des Schweigens, denn Hurley ist weiß und die Wahrheit kompliziert.

 Zum Einschlafen braucht er abends eine Spritze Heroin. Simon Baker spielt den stoischen Cop als gebrochene Figur. Knochentrocken, wie die Landschaft, in der er ermittelt. Regisseur Ivan Sen hat die karge, von Opal-Minen zerklüftete Wüste in strengen Schwarz-Weiß-Bildern wirkungsvoll in Szene gesetzt. LIMBO funktioniert als humorbefreite Version eines Coen-Brothers-Films, als Cop-Movie und als Porträt einer verlorenen Gesellschaft.

Australien 2023
95 min
Regie Ivan Sen
Bild © Bunya Productions

WETTBEWERB

PAST LIVES

Das kennt man aus der Kindheit: Eltern ziehen um, und schwupps verschwindet der beste Freund oder die beste Freundin aus dem Leben. So geht es auch Hae Sung und Nora, als deren Familie aus Südkorea emigriert. 20 Jahre später treffen sich die Kindheitsfreunde in New York wieder, wo Nora mit ihrem amerikanischen Mann lebt.

Das Publikum liebt PAST LIVES – in Berlin wie in Sundance. Und tatsächlich, beim Thema verpasste Chancen kann sich wohl jeder wiederfinden… wäre der Jugendfreund vielleicht doch der bessere Ehepartner gewesen? Aber niemand ist umsonst da, wo er ist und hat den Menschen geheiratet, den er geheiratet hat – so das lapidare Fazit des Films. Für einige Tränen reichte es am Ende. Sowohl auf der Leinwand – als auch im Publikum.

USA 2022
105 min
Regie Celine Song
Bild © Jon Pack

SPECIAL GALA

TÁR

#MeToo andersrum: TÁR erzählt die fiktive Geschichte von Lydia Tár (Cate Blanchett), die als erste Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker das Vorspielen weiblicher Talente mit ihren privaten Interessen vermischt. Dieser Machtmissbrauch schadet auf Dauer sowohl ihrer Ehe als auch ihrer Karriere.

Die anspruchsvolle Rolle ist Cate Blanchett auf den Leib geschrieben, sie dominiert den Film. Ganze 158 Minuten lang. TÁR ist in vielerlei Hinsicht anzumerken, dass Todd Field in seiner dritten Regiearbeit nach 16-jähriger Schaffenspause ein immenses Mitteilungsbedürfnis hat: Künstlerporträt, #MeToo, konzertantes Making-of, Selbstmord, Schulhofmobbing, Altersarmut – um nur einige Themen zu nennen. Ein intellektuell anspruchsvoller Film, der beachtlichen Erfolg bei der Kritik, mutmaßlich weniger beim unterhaltungsaffinen Publikum haben dürfte.

USA 2022
158 min
Regie Todd Field
Bild © Universal Pictures International Germany

WETTBEWERB

SUZUME

Ein junges Mädchen, eine sprechende Katze und ein gelber Hocker sind die Stars von Makoto Shinkais Wettbewerbsfilm. Die 17-jährige Suzume öffnet versehentlich die Tür zu einer anderen Welt. Überall in Japan öffnen sich daraufhin weitere Türen, hinter denen sich ein todbringender Riesenwurm verbirgt.

Nach Tagen des Gemeckers über zu intellektuelles Kunstkino im Wettbewerb nun dieser animierte Actionkracher aus Japan. Mit Schauspielern aus Fleisch und Blut könnte das auch die neueste Produktion der Marvel-Studios sein. Animefans werden begeistert sein, für normale Zuschauer erschließt sich der Reiz der riesenäugigen, nasenlosen Zeichentrickfiguren nur bedingt. SUZUME ist großer Kitsch, schön bunt, hat Humor und beeindruckt mit epischen Bildern. Was das alles mit der Suse zu tun hat, bleibt ein Rätsel.

Suse

Japan 2022
121 min
Regie Makoto Shinkai
Bild © 2022 „Suzume“ Film Partners

BERLINALE 2021 – TAG 3

Halbzeit. Unvorstellbar, dass vor einem Jahr noch Hundertschaften maskenloser Menschen im Kino saßen und gemeinsam gehustet haben. Früher war eben doch nicht alles besser. Bleibt die Hoffnung, dass sich das Virus bis zum Sommer verzogen hat. Husch, husch.

WETTBEWERB

PETITE MAMAN

Schräge Idee: Nach dem Tod ihrer Großmutter hilft Nelly ihren Eltern beim Ausräumen des Hauses. Beim Spielen im Wald lernt sie die gleichaltrige Marion kennen, die sich als ihre Mutter im Kindesalter entpuppt. Vergangenheit trifft Gegenwart. „Petite Maman“ wirkt wie eine zarte, sehr französische Antwort auf die Netflixserie „Dark“. Der neue Film von Céline Sciamma erzählt vom Erwachsenwerden, von Trauerbewältigung und Abschiedsschmerz. Schön.

Frankreich 2021
72 min
Regie Céline Sciamma

WETTBEWERB

RENGETEG – MINDENHOL LÁTLAK

Die nervös verwackelte Kamera bleibt konsequent nah auf den Gesichtern und Händen der Protagonisten. Es passiert fast nichts im neuen Film von Bence Fliegauf, dafür wird unendlich viel geredet. „Rengeteg – Mindenhol Látlak“ ist eine Soap-Opera in Hörspielform. Visuell eher quälend, bereitet es doch ein voyeuristisches Vergnügen, den Gesprächen zu lauschen.
Die poetischere Beschreibung steht wie immer im Pressetext:
„Ein Mann spricht mit dem Kleiderschrank – weshalb? Wenn Menschen Sphären sind, können sie sich je begegnen?“

Englischer Titel „Forest – I See You Everywhere“
Ungarn 2020
112 min
Regie Bence Fliegauf

WETTBEWERB

RAS VKHEDAVT, RODESAC CAS VUKUREBT?

Was wir sehen, wenn wir zum Himmel schauen, bleibt bis zum Ende ungeklärt – Blau vielleicht? Schwarz sieht der Zuschauer, wenn er den eingeblendeten Anweisungen in diesem Film folgt: ein erster Glockenton signalisiert, man solle die Augen schliessen, ein zweiter, wann man sie wieder öffnen darf. So viel Interaktion war selten. Nach fünf Minuten wandert der Blick zur Uhr und es stellt sich die bange Frage, wie man die noch folgenden 145 überstehen soll. Schön, dass es auch mittelmässige Studentenfilme in das Wettbewerbsprogramm schaffen. Gewinnt bestimmt den Goldenen Bären.

Deutscher Titel „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“
Deutschland / Georgien 2021
150 min
Regie Alexandre Koberidz

BERLINALE SPEZIAL

LIMBO

Ein Jungpolizist und sein erfahrener Partner sind einem obsessiven, besonders brutalen Frauenmörder auf der Spur. Müll, abgetrennte Hände und überall Schmeißfliegen – Hongkong zeigt sich hier von seiner schmutzigsten Seite.
Der neue Film von Soi Cheang (Dog Bite Dog) ist ein stylisher, in schwarz-weiß gedrehter Cop-Thriller – spannend bis zuletzt und teils exzessiv brutal. Das schreit nach US-Remake: Russell Crowe und Joseph Gordon-Levitt bitte für die Hauptrollen besetzen. 

Hongkong, China / Volksrepublik China 2021
118 min
Regie Soi Cheang