CLUB ZERO

CLUB ZERO

Das große Nichtfressen: Jessica Hausners satirischer Film über Hungerwahn zwecks Selbstoptimierung schießt am Ziel vorbei. Am Ende bleibt die Frage: Was will uns die Regisseurin genau sagen?

Ab 28. März 2024 im Kino

Vielleicht, dass Hungern genauso schlecht ist wie zu viel Essen. Und Bulimie auch keine Lösung ist. Das wusste man allerdings schon vorher.

Artifizielle Bildsprache und gestelzte Dialoge

Die junge Lehrerin Frau Novak (Mia Wasikowska aus ALICE IM WUNDERLAND) lehrt an einem Internat bewusste Ernährung, indem sie zum Verzicht auffordert. Die Schüler begeistern sich, fühlen sich wichtig und glauben, durch Hungern die Welt retten zu können. Doch auf dem Weg zur Selbstkasteiung folgt bald der nächste, nur konsequente Schritt: Wenn schon sehr leichte Küche, warum dann nicht gleich ganz ohne? Muss der Mensch überhaupt essen, um zu überleben? Der Titel CLUB ZERO lässt erahnen, wohin die Reise geht.

Die wohl hässlichsten Schuluniformen seit Menschengedenken, 70er-Jahre-Betonarchitektur, dazu eine Mia Wasikowska im spröden Sandra-Hüller-Modus. Die Kamera zoomt langsam in die Totale oder verdichtet. Die artifizielle Bildsprache passt zu den (gewollt?) gestelzten Dialogen. Zu den Themen Körperbild, Essstörungen und westlicher Überkonsum hat der Film dabei wenig Neues beizutragen. Die Botschaft ist nach spätestens der Hälfte angekommen. Zudem gibt es gegen Ende eine ausgesprochen unappetitliche Szene auszuhalten, die den Begriff „Wiederkäuer“ neu definiert. Nicht umsonst gibt es eine Triggerwarnung vor dem Film. Überraschender Nebeneffekt: Nachdem man fast zwei Stunden Wohlstandskids beim Fasten zuschauen musste, verspürt man großen Hunger auf eine Currywurst mit Pommes.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Club Zero“
Österreich / Großbritannien / Deutschland / Frankreich / Dänemark / Katar 2023
110 min
Regie Jessica Hausner

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih GmbH

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VIENNA CALLING

VIENNA CALLING

Ab 16. November 2023 im Kino

Ein Blick in die aufregende Wiener Underground Kulturszene. Hat außer dem Titel nichts mit dem gleichnamigen Falco-Hit zu tun.

Obwohl, ein bisschen schwebt der Geist des vor 25 (!!) Jahren verunfallten Sängers immer noch über allem. Und sei es nur, wenn sich „Nino aus Wien“ die Haare bei Falcos Stammfriseur schneiden lässt. „Nino aus Wien“? Nie gehört? Wer glaubt, „Wanda“ oder „Bilderbuch“ seien underground, der hat keine Ahnung.

Schön schräg, sehr lässig

„Wenn die Welt einmal untergehen sollte, ziehe ich nach Wien, denn dort passiert alles 50 Jahre später“ – spottet Gustav Mahler einst über seine Wahlheimat. Ein bisschen was ist dran, denn die morbiden Locations der Party- und Konzertszene im heutigen Wien erinnern an das frisch mauergefällte Berlin Anfang der 90er-Jahre. Mittendrin der Partyorganisator Samu Casata, der wie zur Nachwendezeit Locations in verborgenen Tunnelsystemen und alten Fabrikhallen organisiert. Um ihn scharen sich Maler, Rapper und Liedermacher, der hierzulande bekannteste davon dürfte Voodoo Jürgens sein. Wem auch das nichts sagt, egal. VIENNA CALLING ist ein kurzweiliger Nachhilfekurs in Sachen aktuelle Wiener Musikszene.

Der Journalist und Filmemacher Philipp Jedicke stammt aus Deutschland und schafft es trotzdem, tief in das magische Nachtleben der österreichischen Hauptstadt einzutauchen. Sein Film ist keine klassische Doku, eher ein poetisches Doku-Musical. Dass sich ausgerechnet ein Piefke an den Schmäh herantraut, sorgt für ironische Kommentare eines der Protagonisten, Wien sei „in Wahrheit eine Art Disney-Land, das nur für die Deutschen so tut als ob“. Neben Brautkleidshopping mit der nichtbinären Sängerin Kerosin95, gibt es reichlich Skurrilitäten, wie zum Beispiel eine Unterhaltung zwischen zwei Kettenrauchern zum Thema Sport und Altern. Dazwischen Songs, zu denen der Regisseur und sein ausgezeichneter Kameramann Max Berner videoclipartige Filmsequenzen inszenieren. VIENNA CALLING: Schön schräg, sehr lässig.

INFOS ZUM FILM

Österreich / Deutschland 2023
85 min
Regie Philipp Jedicke

alle Bilder © mindjazz pictures

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EISMAYER

EISMAYER

Ab 01. Juni 2023 im Kino

Noch schlimmer als Schule war nur die Zeit beim Militär. David Wagners Film über Männer, Liebe und Soldaten.

Vizeleutnant Charles Eismayer ist ein Schleifer. Von Jungsoldaten gefürchtet, von seinen Vorgesetzten als Relikt aus einer vergangenen Zeit geduldet. Der drahtige Mittfünfziger hat drei Gesichter. Beim Österreichischen Bundesheer ist er der berüchtigte Ausbilder, zu Hause bei Frau und Kind ein unbeholfener Vater, nach Dienstschluss sucht er anonymen Sex mit Männern auf dem Parkplatz. In diesen komplizierten Lebensentwurf platzt eines Tages der charmante Rekrut Mario. Jung, selbstbewußt und offen schwul. Die beiden ungleichen Männer verlieben sich ineinander. Eismayer weiß nicht wohin mit seiner durcheinandergewirbelten Gefühlswelt: Soll er seine Verletzlichkeit weiter hinter harter Fassade verbergen oder der Liebe eine Chance geben?

Die Menschheit ist besser als ihr Ruf

Zweierlei macht den realistischen, unbeschönigten Einblick in die Macho-Hölle bemerkenswert: Erstens die Besetzung. Gerhard Liebmann ist eine Reinkarnation des 2002 verstorbenen Klaus Löwitsch. Sollte irgendein Produzent mal eine Neuauflage der unvergessenen Serie PETER STROHM planen, hier ist euer Mann.

Da verdreht der zynische Zuschauer die Augen: im Film küssen sich die beiden Männer vor einer Gruppe Soldaten und ernten dafür Beifall. Unrealistischer Kitsch! Wären die im wahren Leben nicht gelyncht oder zumindest gemobbt worden? Von wegen, denn zweitens ist die Menschheit besser als ihr Ruf. Überraschung: Es handelt sich bei EISMAYER um eine wahre Geschichte. Der echte Charles Eismayer und sein Partner Mario gaben sich 2014 in Galauniform auf dem Kasernenhof das Ja-Wort. Ein Sieg der Liebe. Hach!

INFOS ZUM FILM

Österreich 2022
87 min
Regie David Wagner

alle Bilder © Salzgeber

SHE CHEF

SHE CHEF

Ab 18. Mai 2023 im Kino

Schon als Teenager wollte sie statt einer neuen Handtasche lieber eine Pastamaschine. Kann sich Agnes Karrasch ihren Platz in der Männerdomäne der Sterneküche erkämpfen?

Es bricht einem das Herz. Nur weil in China ein kranker Affe ins Essen spuckt, macht die verheißungsvolle Karriere der jungen Kochweltmeisterin Agnes eine Vollbremsung. Gerade arbeitet sie sich in Barcelona in die komplizierte Molekularküche des „Disfrutar“ ein, da wird die Welt dank Covid in die Knie gezwungen.

Perfektion erfordert klare Hierarchien. Oder?

SHE CHEF lebt vor allem von der leicht sperrigen und deshalb umso sympathischeren Agnes Karrasch. Nach einem Praktikum im Sternerestaurant Vendôme führen sie ihre Lehr- und Wanderjahre über Barcelona nach Dänemark. Melanie Liebheit und Gereon Wetzel begleiten die 25-jährige Österreicherin auf ihrem Weg zur Spitzenköchin. Dabei wird dem Zuschauer ein ungewöhnlich offener Blick hinter die Kulissen der Spitzengastronomie erlaubt. Dominiert wird diese Welt immer noch von Männern. Die clevere Agnes macht sich zwischendurch ihre ganz eigenen Gedanken zu Karriere, Familie und Frausein. Neugierig und selbstbewusst lernt sie von den Besten, um vielleicht irgendwann ein eigenes Restaurant zu eröffnen. 

Während unsereins vorne schlemmt und am Ende freudig den Zaster aus der Börse zückt, läuft im Hintergrund eine perfekt geölte Maschinerie ab. Vom sorgfältigen Dampfbügeln der Tischdecken bis zu den pinzettengezupften Kräutern. So viel Perfektion erfordert klare Hierarchien. Oder? Dass es auch anders geht, erfährt Agnes erst im „Koks“, einem entlegenen Sternerestaurant auf den Färöer Inseln, das aussieht, als habe sich der Herr der Ringe mit einem Koch zusammengetan und ein Lokal in Mittelerde aufgemacht. Bucket List: Da will ich auch mal hin.

SHE CHEF ist ein herrlich unaufgeregter Dokumentarfilm über Qual und Erfüllung in der Spitzengastronomie. Inspirierend und vom Chefkoch empfohlen.

INFOS ZUM FILM

Österreich / Deutschland 2022
105 min
Regie Melanie Liebheit & Gereon Wetzel

alle Bilder © Camino Filmverleih

Der Fuchs

DER FUCHS

Der Fuchs

DER FUCHS

Ab 13. April 2023 im Kino

Die wahre Geschichte einer Freundschaft zwischen Mann und Fuchs

Westfront, Schützengraben, Wassersuppe. Wenn Opa mal wieder vom Krieg erzählt, verdreht der Enkel die Augen. Nicht so Adrian Goiginger. Der hat genau zugehört und aus den Kindheits- und Jugenderinnerungen seines Urgroßvaters einen Film gemacht. Vielleicht weil dessen Geschichte einen hohen Niedlichkeitsfaktor hat. Während des zweiten Weltkriegs war ein Fuchs der treue Weggefährte des jungen Soldaten.

Die Geschichten der Alten sterben mit ihnen

Die Geschichten der Alten sterben mit ihnen, und wenn die nachfolgenden Generationen sie nicht aufschreiben (oder verfilmen), sind sie für immer verloren. Wer weiß heute zum Beispiel noch, dass im Türnich der 30er-Jahre Verstorbene manchmal mit Klingelschnüren an den Händen im Gebüsch versteckt wurden, um dem nächsten Besucher, der am Tor schellte, kalt und steif in die Arme zu fallen? Eine wahre Geschichte. Wahrscheinlich.

Zurück zum Film. Österreich, Mitte der 1920er-Jahre: Die Bergbauernfamilie Streitberger gibt ihren jüngsten Sohn zu einem Großbauern weg. Das Einkommen reicht nicht, die vielen Kindermäuler zu stopfen. Als Knecht darf Franz zwar Lesen und Schreiben lernen, erfährt aber sonst keine Zuneigung. Kaum volljährig, verpflichtet er sich bei der Armee und zieht wenige Jahre später in den Krieg an die Westfront nach Frankreich. Dort findet die schicksalhafte Begegnung mit dem ausgesprochen hübschen Fuchswelpen statt. Wie Hund und Herrchen bleiben die beiden für die nächsten Monate unzertrennlich.

Ganz wie das echte Leben folgt auch DER FUCHS keiner klassischen Dramaturgie. Drehbuchautor und Regisseur Goiginger erzählt die Parabel vom verstoßenen Kind, das erst durch die Freundschaft zu einem Tier wieder den Glauben an die Liebe zurückgewinnt. Am stärksten sind dabei die Anfangsszenen auf der Alm. Die Entbehrungen, der Hunger, das gemeinsame Schweigen am abendlichen Feuerofen – alles sehr authentisch, das hat fast dokumentarischen Charakter. Allein deshalb ist DER FUCHS sehenswert.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Österreich 2021
117 min
Regie Adrian Goiginger 

alle Bilder © Alamode Film

SISI UND ICH

SISI UND ICH

Kinostart 30. März 2023

Sisi hier, Sisi da, Sisi wo man hinschaut. Ihre kaiserliche Omnipräsenz gibt sich schon wieder die Ehre. Neben diversen Netflix- und RTL-Serien war zum Thema zuletzt der österreichische Oscarbeitrag CORSAGE im Kino zu sehen.

Wilde Neuinterpretation des vielerzählten Mythos

Irma Gräfin von Sztáray bewirbt sich als Hofdame von Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn. Doch das Casting ist nicht ohne: Erst schlägt ihr die gestrenge Mutter die Nase blutig, dann wird sie wie ein Stück Vieh untersucht und verhört. Endlich auserwählt, kommen sich die Gräfin und die Kaiserin auf Sisis Sommersitz auf Korfu schnell nah.

SISI UND ICH ist all das, was CORSAGE gerne gewesen wäre. Eine wilde Neuinterpretation des vielerzählten Mythos. Grotesk und sehr komisch. Susanne Wolff und Sandra Hüller sind schlichtweg grandios, Locations und Kostüme erlesen, und das Ganze wird von einem überraschend modernen Soundtrack zwischen Nico und Portishead begleitet. Sehr gelungen.

INFOS ZUM FILM

Deutschland / Schweiz / Österreich 2023
132 min
Regie Frauke Finsterwalder

alle Bilder © DCM

RIMINI

Kinostart 06. Oktober 2022

Werner Böhm und Rex Gildo können davon kein Lied mehr singen: Wenn sich Schlagerstars nicht gerade durch übermäßigen Alkoholkonsum zugrunde richten oder aus dem Badezimmerfenster springen, dann enden sie entweder im Möbelmarkt oder am Ballermann. Nicht viel besser ist das Schicksal von Richie Bravo, der muss sein Geld als Sänger in Rimini verdienen.

Die besten Jahre liegen schon lange hinter ihm, das Jackett passt nur noch mit Mieder und sein Repertoire gibt er mittlerweile in Hotelhallen zum Besten. Doch Richie weiß, was Fans (und Frauen) wünschen: viel öligen Charme und reichlich körperliche Zuwendung. So könnte das noch ewig weitergehen. Doch eines Tages steht seine erwachsene Tochter vor ihm und verlangt Geld, denn Papa hat sich seit 18 Jahren nicht gemeldet, geschweige denn Unterhalt gezahlt.

Was ist der Superlativ von deprimierend? Rimini im Winter. Eine Stimmung, die der österreichische Film von Ulrich Seidl perfekt einfängt. Trauriger Ort, trauriger Typ: Richie Bravo ist ein Wrack, er säuft und raucht Kette. Bemitleidenswerte Auftritte vor greisem Publikum wechseln sich mit wenig erbaulichen Sexszenen ab, in denen Richie ältere Damen beglückt: Fanservice der besonderen Art. Daneben erzählt „Rimini“ die wie ein Fremdkörper wirkende Nebengeschichte von Richies dementem Vater, der in einem Pflegeheim dahinvegetiert und alte Nazilieder singt. Dank grandiosem Hauptdarsteller tragisch und lustig zugleich.

INFOS ZUM FILM

Österreich / Frankreich / Deutschland 2022
114 min
Regie Ulrich Seidl

alle Bilder © Neue Visionen Filmverleih

DER BAUER UND DER BOBO

Kinostart 29. September 2022

2014 missachtet eine deutsche Touristin in den österreichischen Bergen die goldenen Top 10 der „Verhaltensregeln für den Umgang mit Weidevieh“ (Absatz 3: Mutterkühe beschützen ihre Kälber, Begegnung von Mutterkühen und Hunden vermeiden!) und muss ihren Fehler mit dem Leben bezahlen. Eine Kuh fühlt sich vom angeleinten Hund der Touristin bedroht und trampelt die Frau zu Tode. Im nachfolgenden Schadensersatzprozess wird der Halter der Kuh zu einer Geldstrafe verurteilt. Richtig so, findet seinerzeit der Journalist Florian Klenk und schreibt einen entsprechenden Artikel im Wiener „Falter“. Das wiederum bringt den Bergbauern Christian Bachler derart auf die Palme, dass er seiner Wut in einem Facebook-Video Luft macht. Frei nach dem Motto: Das bourgeoise Pack in der Großstadt hat eh keine Ahnung und sollte sich mal lieber vor Ort ein Bild vom problematischen Bauerndasein machen. Diese Einladung zum „Praktikum“ nimmt Florian Klenk umgehend an und macht sich auf den Weg zum höchstgelegenen Biobauernhof in der Steiermark.

Besetzung ist das A und O, um mal eine berühmte deutsche Regisseurin zu zitieren. Kurt Langbein hat für seinen lehrreichen und zugleich unterhaltsamen Dokumentarfilm zwei Topcharaktere gefunden: Christian Bachler (der Bauer) hat einen ausgeprägten Sinn für bisweilen derben Humor, trägt sein Herz dabei wahlweise auf der Zunge oder gedruckt auf einem seiner scheinbar unendlich vielen Motto-Shirts. Florian Klenk (der Bobo – österreichischer Slang für einen bourgeoisen Bohemien) ist ein gescheiter Mann, der Bachler mit einer Crowdfundingaktion sogar Haus und Hof retten hilft. Aus den scheinbar gegensätzlichen Männern sind schnell Freunde fürs Leben geworden. Heute kämpfen sie Seite an Seite gegen EU-Regulierungswahnsinn und Klimawandel.

Der ideale Chefredakteur, der die Arbeit aller Mitarbeiter wohlwollend kommentiert und Verbesserungsvorschläge macht, oder die Dorfgemeinschaft, die eine ausgewogene Stammtischdiskussion über das Für und Wider der neuen Zeiten in der Bergwelt führt: Ein paarmal beschleicht einen bei Kurt Langbeins Film das Gefühl, inszenierten Szenen zuzuschauen. Aber manches muss wohl für die Kamera vereinfacht nachgestellt werden. Von diesen kleinen Unstimmigkeiten abgesehen, ist „Der Bauer und der Bobo“ ein mit Leichtigkeit erzählter Film, der empathische Zuschauer trotz aller Komik an der Gier und Ignoranz der Menschheit verzweifeln lassen wird. Es kann gar nicht genug solcher Filme geben.

INFOS ZUM FILM

Österreich 2022
96 min
Regie Kurt Langbein

alle Bilder © 24 Bilder

MONEYBOYS

Kinostart 28. Juli 2022

„Sei doch nicht so depressiv, lach doch mal.“ Ein guter Rat, den Fei leider nicht befolgen mag. Das Leben als schwuler Stricher in China ist eben kein Spaß: Die Freier sind ausnahmslos alt, brutal oder getarnte Undercover-Cops. Immerhin stimmt die Bezahlung, sodass Fei seine Familie auf dem Land finanziell unterstützen kann. Doch obwohl sie sein Geld gerne annehmen, führt ein Besuch im Heimatdorf zu Streitereien, denn der Verwandtschaft sind Gerüchte über Feis Einkommensquelle zu Ohren gekommen. Nur sein Jugendfreund Long stört sich nicht daran und folgt Fei in die Großstadt.

Regisseur C.B. Yi (der an der Wiener Filmakademie bei Michael Haneke studiert hat) interessiert sich in seinem Debütfilm neben der gesellschaftlichen Ausgrenzung – Homosexualität und Prostitution sind im Reich der Mitte illegal – auch für die Auswirkungen der Landflucht von Chinas Jugend. Not so funfact: Obwohl die Geschichte in Südchina spielt, musste in Taiwan gedreht werden – dem Filmteam wurde aufgrund des heiklen Themas die Drehgenehmigung verweigert.

Zwischendurch möchte man Fei in den (Knack-)Arsch treten, um ihn aus seiner lähmenden Passivität aufzuwecken. Das sehr langsame Erzähltempo (Szenen dauern mitunter Minuten, ohne dass etwas Erwähnenswertes passiert) sorgt für ein etwas zähes, aber visuell ansprechendes  Kinoerlebnis: Die Bildkompositionen von Kameramann Jean-Louis Vialard sind in ihrer strengen Ästhetik erlesen schön.

„Moneyboys“ gehört damit in die Kategorie der Filme, die einen Einblick in fremde Kulturen gewähren, ohne dabei mit übertrieben viel Geschichte zu fesseln. Dramaturgisch verwehrt sich Yi den üblichen Erzählweisen: Fei bleibt von der ersten bis (fast) zur letzten Einstellung vom eigenen Dasein gelähmt – auf Katharsis wartet man vergeblich.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Moneyboys“
Österreich / Frankreich / Belgien / Taiwan 2021
120 min
Regie C.B. Yi

alle Bilder © Salzgeber

CORSAGE

Kinostart 07. Juli 2022

Bald 70 Jahre post Romy Schneiders Darstellung für die Ewigkeit feiert die österreichische Kaiserin Sisi mediale Wiederauferstehung. Nach der RTL-Serie, deren zweite Staffel gerade produziert wird, kommt nun Marie Kreutzers ungewöhnlicher Cannesbeitrag in die Kinos.

Elisabeth („Sisi“) begeht bald ihren 40. Geburtstag. Damit gehört sie offiziell zum alten Eisen, denn in dem Alter hatten Frauen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Lebenserwartung erreicht. Noch wird sie vergöttert, für ihr strahlendes Aussehen angehimmelt, doch die Uhr tickt. Sisi ist eine lebenshungrige Frau, die es Leid ist, jeden Tag ihre Taille zu schnüren und sich allen Genüssen zu verweigern. Ihr Widerstand gegen ihr öffentliches Bild wird immer größer – sie beginnt, sich aus dem höfischen Korsett zu befreien.

Die Luxemburgerin Vicky Krieps spielt Kaiserin Elisabeth schön spröde und geheimnisvoll. Und die wie immer herausragende Kameraarbeit Judith Kaufmanns ist ein weiterer großer Pluspunkt des Films. Die Marotte, historische Stoffe bewusst mit modernen Elementen zu vermischen, wirkt dagegen angestrengt. Abends singt der Hofstaat britische Popsongs zur Harfe und der Schlossplatz sieht aus, als sei der Reisebus gerade aus dem Bild gefahren. Ist natürlich Absicht, genauso wie die sichtlich angeklebten Backenbärte. Die Übersetzung in die Popkultur wirkt hier allerdings unentschieden, das hat die Netflix-Soap „Bridgerton“ oder Sofia Coppola mit „Marie Antoinette“ besser und mutiger durchgezogen.

Das Gekünstelte kann man natürlich auch als „märchenhaft“ schönreden, womit sich dann der Kreis zu Romys Sisi wieder schließt. Denn auch die war in ihrer Heimatfilm-Kitschwelt meilenweit von der Realität entfernt.

INFOS ZUM FILM

Österreich / Luxemburg / Deutschland / Frankreich 2022
113 min
Regie Marie Kreutzer

alle Bilder © Alamode Film

WILLKOMMEN IN SIEGHEILKIRCHEN

Kinostart 07. Juli 2022

Geh schleich di, der Rosenmüller Marcus hot an leiwanden Streifen g’macht, aber ned fürs Patschnkino sondern fürs Lichtspielhaus. Bitteschön, so österreichisch wie an Powidltascherl oder an Schlutzkrapfen (obwohl der Regisseur ein waschechter Bayer ist): Die Liebeserklärung an den 2016 verstorbenen Karikaturisten Manfred Deix spielt in einem kleinen Kaff in Niederösterreich, Ende der 60er-Jahre. Der Krieg ist noch nicht lange vorbei, der braune Sumpf der ewig Gestrigen trifft sich abends im Beisl und lässt sich in Erinnerung an die guten alten Zeiten volllaufen.

Im Dorf wird er nur „Rotzlöffel“ gerufen, der tschoperte Sohn vom Wirtshausbesitzer. Sein großes Talent als Zeichner (vorzugsweise erotische Bilder von großbusigen Madln) macht er mithilfe zweier Mitschüler zu Geld, denn Bedarf an Schmuddelbildchen gab’s schon immer. Als eines Tages das Sinti-Mädchen (damals: Zigeuner-Mädchen) Mariolina mit ihrer Mutter im Dorf auftaucht, machen die Gfrasten an riesen Bahöl und um den Bub ist’s g’schehn, er is verbrunzt.

Natürlich kann ein computergenerierter Zeichentrickfilm aus Österreich nicht mit Produktionen aus dem Hause Pixar bzw. Disney mithalten. „Willkommen in Siegheilkirchen“ (ob man für die Erwähnung des Titels vom Verfassungsschutz auf die Beobachtungsliste gesetzt wird?) sieht trotzdem ordentlich aus und hat nur den Bruchteil einer großen Hollywoodproduktion gekostet. Die typischen Deix-Charaktere scheinen direkt aus dessen Karikaturen auf die Leinwand gesprungen zu sein. Sakrisch gut gelungen ist vor allem die Darstellung des erzkatholischen Dorfs mit seiner spießigen Enge. Abblätternde, marode Fassaden, hier und da noch ein Hakenkreuz an der Hauswand – man kann den Muff der späten 60er schier riechen.

„Willkommen in Siegheilkirchen“ ist ein anarchistischer Zeichentrickfilm mit ein paar Pimmel-Kacka-Ekelwitzen, aber besser ois a Stan am Schädl ist’s ollemol. Die gut eingefangene Geschichte einer Jugend in Niederösterreich hat Charme und Witz. Tolle Charaktere und teils psychedelische Sequenzen machen den manchmal etwas derben Humor locker wieder wett. Des taugt ma.

Dictionary 🇦🇹 🇩🇪

leiwand – super, toll

Patschnkino – Fernsehen

Powidltascherl – mit Plaumenmus gefüllte Teigtaschen

Schlutzkrapfen – Nudelspezialität aus Tirol

Beisl – Wirtshaus

tschopert – unbeholfen, geistesabwesend

Gfrasten – gemeine Menschen, Nichtsnutze

Bahöl – Aufruhr

verbrunzt – rettungslos verliebt

Sakrisch – sehr

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Rotzbub“
Österreich / Deutschland 2021
85 min
Regie Marcus H. Rosenmüller und Santiago López Jover

alle Bilder © Pandora Film Verleih

RISIKEN UND NEBENWIRKUNGEN

Kinostart 09. Juni 2022

Pilateslehrerin Kathrin braucht eine neue Niere. Ihr egozentrischer Mann Arnold käme als Spender infrage, quält sich aber keine eindeutige Zusage ab. Ganz anders der gemeinsame Freund Götz. Aus dem dicken Bauch heraus erklärt er sich bereit, Kathrin eine seiner Nieren abzutreten. Diese Großzügigkeit stößt seiner Frau Diana sauer auf.

Sollte man der Ehefrau eine Niere spenden, obwohl das ein großes gesundheitliches Risiko bedeuten könnte? Wäre es nicht besser, auf einen verstorbenen Spender zu warten oder gar eine Niere im Darknet zu kaufen? Highlight des Films ist Samuel Finzi als handlungsgehemmter Gatte: Er würde, hätte, wollte – und macht dann doch nicht.

Michael Kreihsls Komödie basiert auf einem Theaterstück und das merkt man ihm deutlich an. Auf der Bühne auf vier Personen beschränkt, wurden fürs Kino noch unnötige Nebenrollen hinzugefügt, die vom eigentlichen Kern der Geschichte ablenken. Die mäßig lustige Komödie ist nach gut einer Stunde auserzählt,  wird aber durch eine wenig glaubwürdige Wendung noch weiter in die Länge gestreckt. Die Schauspieler geben ihr bestes, doch gegen die biedere TV-Inszenierung kommen sie nur schwer an. Boulevardkomödie, die aus ihrem Thema zu wenig macht.

INFOS ZUM FILM

Österreich 2021
93 min
Regie Michael Kreihsl

alle Bilder © Filmwelt Verleihagentur GmbH

LITTLE JOE – GLÜCK IST EIN GESCHÄFT

Biogenetikerin Alice hat eine Wunderblume entwickelt. Die verlangt im Gegensatz zu anderen, pflegeleichteren Neuzüchtungen sehr viel Zuwendung, regelmäßiges Gießen und liebevolle Anrede. Als Belohnung für die Mühe versprüht sie einen glücklich machenden Duftstoff. Soweit die Theorie. Doch je weiter die geheimnisvolle Blume wächst, desto mehr verändern sich die Menschen in Alices Umfeld. Ihr Verdacht erhärtet sich, dass ihre Schöpfung womöglich nicht so harmlos und glücksverheißend ist, wie ursprünglich geplant.

Achtung, die Doppelgänger kommen! Im Sci-Fi-Klassiker „Invasion of the Body Snatchers“ übernehmen außerirdische Samenkapseln die Körper der Menschheit und machen aus ihnen empathielose, gleichgeschaltete Hüllen. „Little Joe“ erzählt eine ähnliche Geschichte, nur verlangsamt und ohne Aliens.

Interessant ist vor allem die Machart des Films: Rot, weiß und mintgrün sind vorherrschende Farben, das zieht sich von der Blume über die Laborkittel bis zur Haarfarbe der Hauptfigur durch. Das abstrakte Farbkonzept unterstützt den märchenhaften Aspekt der Geschichte. Die Bildführung passt sich dem zwanghaften Verhalten der Figuren an: Mehrfach fährt die Kamera bei Dialogszenen stoisch an den Protagonisten vorbei ins Nichts. Anstelle von Musik kommt ein nerviger, hochfrequenter Ton zum Einsatz. 

Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner liefert mit ihrem ersten englischsprachigen Film ein irritierendes, oft beklemmendes Genrestück ab, das zeitweise an eine etwas zu lang geratene Folge der Netflix-Serie „Black Mirror“ erinnert.

FAZIT

Ungewöhnlicher Mysterythriller, mit Emily Beecham und Ben Whishaw ausgezeichnet besetzt.

Originaltitel „Little Joe“
Österreich 2019
105 min
Regie Jessica Hausner
Kinostart 09. Januar 2020