THE ZONE OF INTEREST

THE ZONE OF INTEREST

Sandra Hüller ist europäische Schauspielerin des Jahres 2023. Nach ANATOMIE EINES FALLS, dem Gewinner der Goldenen Palme, kommt nun ihr zweiter in Cannes preisgekrönter Film in die Kinos.

Ab 29. Februar 2024 im Kino

Das Haus liebevoll eingerichtet, den Garten sorgfältig gestaltet – vom prächtigen Blumenbeet bis zum akkurat geschnittenen Rasen. Familie Höss hat sich ein kleinbürgerliches Idyll wie aus dem Bilderbuch erschaffen. Rudolf geht pflichtbewusst seiner Arbeit nach, Hedwig schmeißt mit einer Schar Bediensteter den Haushalt, trifft sich mit Freundinnen zum Kaffeeklatsch. So weit, so normal.

Banalität des Bösen

Doch „normal“ ist an diesem Setting gar nichts. Den Garten Eden trennt nur eine mit Stacheldraht bewehrte Mauer von der größten Vernichtungsmaschine der Nazis, dem Konzentrationslager Auschwitz. Die konstante Geräuschkulisse aus Schüssen und Schreien wird vom Ehepaar Höss ausgeblendet wie das ferne Rauschen einer Autobahn. Einzig die Kinder und die Schwiegermutter scheinen durch das Grauen vor der Haustür irritiert.

Die ersten Minuten des Films sind pures Schwarz, unterlegt von Musik. Ein Vorgeschmack auf die innere Leere der Figuren. Eiskalt und fast unmenschlich: Sandra Hüller spielt bravourös. Ekelhaft, wie sie vor dem Spiegel in einem Pelzmantel posiert, der wahrscheinlich aus dem Besitz einer ermordeten Jüdin stammt. Als Lagerkommandant Rudolf Höss beeindruckt der aus BABYLON BERLIN bekannte Christian Friedel. Ein mustergültiger Nazi, der sich von Hitler nach Oranienburg versetzen lässt, um dort das nächste Lager auf Effizienz zu trimmen. Der drohende Wegzug der Familie ist einer der wenigen Momente, in denen seine Frau emotional reagiert. Das schöne Haus und den Garten zurücklassen? Niemals.

Jonathan Glazer inszeniert eine schier unvorstellbare Geschichte des Terrors in klaren, nüchternen Bildern. Sein Film ist eine teils improvisierte, experimentelle Anordnung, in der das Grauen allgegenwärtig ist, aber nie gezeigt wird. Schmerzhaft und brillant.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „The Zone of Interest“
USA / GB / Polen 2023
106 min
Regie Jonathan Glazer

alle Bilder © Leonine

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ELEFANT

ELEFANT

Ab 24. August 2023 im Kino

Talent borrows, genius steals. Der auf Framerate oft zitierte Spruch passt wie die Faust aufs Auge zum polnischen Liebesfilm ELEFANT.

Ja, es ist wirklich unoriginell: In einer Kritik den gleichen Spruch zu verwenden wie schon (gefühlt) zwanzigmal zuvor. Aber es stimmt: ELEFANT klaut schamlos bei BROKEBACK MOUNTAIN, STADT LAND FLUSS und vor allem GOD’S OWN COUNTRY…und noch ein paar anderen „zwei schwule Männer in grandioser Naturkulisse“-Filmen. Es würde sich langsam eine Persiflage auf das immer gleiche Setting anbieten: Zwei Jungs, der eine zart, der andere kernig, verlieben sich against all odds and all Dorfbewohner. Das fade Landleben wird nach dem Besuch einer crazy Homo-Disco in der nächstgelegenen Großstadt infrage gestellt. So frei, so wild. Einerseits. Andererseits ist das Leben in der Natur mit Tieren (meist Pferde oder Kühe) auch schön. Am Ende bricht einer der beiden Jungs in die weite Welt auf, während der andere traurig zurückbleibt – oder seinem Liebsten folgt. The End.

Solche Filme kann es gar nicht genug geben

Der polnische Filmemacher Kamil Krawczycki hat in seiner Interpretation der immer gleichen Geschichte trotzdem vieles richtig gemacht. Vor allem mit der Wahl seiner Darsteller. Jan Hrynkiewicz und Pawel Tomaszewski bringen als Bartek und Dawid neben der erforderlichen cuteness auch eine charmante Zurückhaltung in ihre Rollen ein. Das ist nie übertrieben oder wirkt unglaubwürdig. Um die beiden glücklich Verliebten scharen sich ignorante Alte und homophobe Jugendliche ebenso wie extrem Verständnisvolle, die es sowieso schon immer gewusst haben. „Ich würde dich auch akzeptieren, wenn Du ein Elefant wärst!“, sagt die reizende Nachbarin, bevor sie Bartek einen kleinen Porzellanelefanten schenkt. Törööö, wie schön!

Im Ernst: Solcher Art Filme kann es gar nicht genug geben, besonders wenn sie aus rechts-konservativ regierten Ländern wie Polen kommen. Solange Homosexualität in Malaysia mit zwanzig Jahren Knast oder in Uganda sogar mit dem Tod bestraft werden, ist es noch ein weiter Weg zur toleranten Gesellschaft. ELEFANT ist zwar nicht der große Wurf, aber ein hübscher und vor allem stimmungsvoller Film mit Herz, positiver Botschaft und zum Glück Happy End.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Elefant“
Polen 2022
93 min
Regie Kamil Krawczycki

alle Bilder © Salzgeber

FUCKING BORNHOLM

FUCKING BORNHOLM

Ab 01. Juni 2023 im Kino

„Spürt den feinen Sand unter den Füssen, während Ihr die frische Meeresluft einatmet und die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut merkt – das ist Sommer auf Bornholm“ wirbt die besonders bei polnischen Urlaubern beliebte Ostseeinsel auf ihrer Homepage. Maja, Nina, Dawid und Hubert sehen das anders. Sie sind zum Streiten nach Bornholm gekommen.

Jede Beziehung hat ein Verfallsdatum. So die schlecht gelaunte Maja (großartig: Agnieszka Grochowska) zu ihrem Mann. Während die einen noch frisch verliebt sind, schmoren die anderen schon lange im Krisenmodus. Keine guten Voraussetzungen für einen Pärchenurlaub. Und dann auch noch in seiner maximal deprimierendsten Form: Camping. Auf Bornholm. Fucking indeed.

Das erinnert stark an Reuben Östlund

Die vier versuchen trotz Gruppen-Midlife-Crisis erst mal das Beste aus ihrer Situation zu machen und mit den Kindern eine entspannte Zeit zu verbringen. Doch nach einem unschönen Zwischenfall mit dem jüngsten Sohn ist es mit der Harmonie schlagartig vorbei. Zähneknirschend unterdrückte Konflikte brechen auf.

Die polnische Regisseurin Anna Kazejak wirft einen sehr weiblichen Blick auf die campenden Streithähne und insbesondere auf das Versagen der Männer. Form, Tonfall, Musik – das erinnert ansonsten stark an Reuben Östlund, ohne dessen schneidende Schärfe zu entwickeln. Kazejak entwickelt aus gut beobachteten Alltagssituationen eine stimmungsvolle, aber nie wirklich mitreißende Gesellschaftssatire.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Fucking Bornholm“
Polen 2022
96 min
Regie Anna Kazejak

alle Bilder © Arsenalfilm