POOR THINGS

POOR THINGS

Ab 18. Januar 2024 im Kino

Was passiert, wenn man einer Selbstmörderin das Gehirn ihres ungeborenen Kindes einpflanzt? Auf diese komplexe Frage findet der neue Film von Yorgos Lanthimos (THE LOBSTER und THE FAVOURITE) überraschende Antworten.

Frankenstein 2.0: Der brillante Wissenschaftler Dr. Gordon Baxter (Willem Dafoe) fischt die Leiche einer Schwangeren aus dem Fluss. In seinem Labor verpflanzt er das Gehirn des ungeborenen Babys in den Kopf der jungen Frau. Mit viel Blitz und Strom erweckt er sie anschließend zum Leben. Bella Baxter (Emma Stone), so nennt er sein Geschöpf, macht sich mit kindlicher Neugier daran, die Welt des 19. Jahrhunderts zu erkunden.

Mindestens die weibliche Emanzipation in Zeitraffer

Vom Prenzlpanther zum normalen Menschen: Bella lernt laufen, essen, sich zu benehmen, entdeckt ihre Sexualität, die Liebe, die Kultur und die Politik. Was so ein Leben eben alles bereithält. Emma Stone spielt sich dabei in Richtung nächste Oscarnominierung. Faszinierend, wie sie sich von einem brabbelnden, kaputten Spielzeug auf zwei Beinen vor den Augen der Zuschauer in eine freiheitsliebende, selbstbestimmte Frau verwandelt. Manche interpretieren schon wieder eine zweite BARBIE und mindestens die weibliche Emanzipation in Zeitraffer in den Film. Doch POOR THINGS ist vor allem ein intelligenter Augenschmaus.

Willem Dafoe sieht unter einer dicken Schicht Latex selbst wie eine Kreation Frankensteins aus. Hinter der vernarbten Maske verbirgt sich eine geschundene Seele, seinem monströsen Vater sei Dank. Den genialen Wissenschaftler spielt Dafoe zurückgenommen, die Rolle hätte leicht in schamloses overacting kippen können. „Dumm fickt gut“ müsste im Falle von Mark Ruffalos Figur eher „eitel fickt gut“ heißen. Großartig, wie er den erbärmlichen Liebhaber Bellas der Lächerlichkeit preisgibt und nebenbei für eine ganze Generation Männer steht, die glaubt, nur durch ihre Virilität, könnten Frauen Erfüllung finden.

Die mit Fischaugenobjektiv teils in schwarz-weiß, teils in knallbunten Farben gedrehten Bilder wecken dank surrealistischer Kulissenbauten Erinnerungen an Terry Gilliam und Wes Anderson. Ähnlich wie die beiden großen Kinomagier erschafft Yorgos Lanthimos einzigartige, handgemachte Fantasiewelten und lässt seine Figuren jenseits aller gängigen Hollywoodformeln agieren. Dabei ist Lanthimos noch nicht im Manierismus festgefahren (im Gegensatz zu Anderson, der sich seit Jahren um sich selbst zu drehen scheint), wirkt frisch und aufregend.

Noch besser wäre POOR THINGS wohl nur, wenn man ihm in der Mitte eine halbe Stunde rausschneiden würde. Es zieht sich zwischendurch ein wenig. Aber das wird locker durch grandiose Bilder, tolle Schauspieler und die besten Tierfabelwesen (ein Hund mit Gänsekopf!) wettgemacht, die seit langem im Kino zu bestaunen waren. Das Festivalpublikum in Venedig war begeistert, am Schluss gab es den Goldenen Löwen für den Besten Film. Verdient.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Poor Things“
England 2023
141 min
Regie Yorgos Lanthimo

alle Bilder © The Walt Disney Company Germany

JETZT ZUM NEWSLETTER ANMELDEN

ASTEROID CITY

ASTEROID CITY

Ab 15. Juni 2023 im Kino

Nichts Neues aus der absurden Welt des Wes Anderson. ASTEROID CITY ist eine schräge-schlaue Komödie in Technicolor mit Starbesetzung.

Wer Wes Anderson bestellt, der bekommt Wes Anderson. Der Regisseur, der seit vielen Jahren gefühlt den immer gleichen Film in wechselnden Settings dreht, liefert mit ASTEROID CITY ein gewohnt liebenswert-spinnertes, überartifiziell inszeniertes Theaterstück. Die Besetzung liest sich wie das who is who von Hollywood. Es wäre wahrscheinlich einfacher, die Stars aufzuzählen, die NICHT in ASTEROID CITY mitspielen. Achtung, jetzt kommt eine lange Liste:

Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Jeffrey Wright, Tilda Swinton, Bryan Cranston, Edward Norton, Adrien Brody, Liev Schreiber, Hope Davis, Steve Carell, Matt Dillon, Willem Dafoe, Margot Robbie, Jeff Goldblum und und und.

Dauert das noch lange?

Als Rahmenhandlung dient eine von Bryan Cranston moderierte Fernsehsendung aus den Fünfzigerjahren, die in Asteroid City, irgendwo in der amerikanischen Wüste spielt. Dort landet ein Außerirdischer, klaut den namensgebenden Mini-Asteroiden und haut mit seiner fliegenden Untertasse in den Nachthimmel ab. Die Kleinststadt wird darauf vom Militär zur Sperrzone erklärt, und so werden eine Reihe eigenwilliger Charaktere für ein paar Tage zur Zwangsgemeinschaft verdonnert. Keine Angst, Science-Fiction ist ASTEROID CITY nicht.

Wie so oft hat Anderson auch seinen neuen Film in Kapitel inklusive Zwischentafeln unterteilt. Die Struktur bewirkt, dass man sich spätestens nach dem zweiten Akt unweigerlich fragt: Dauert das noch lange? Denn die detailverliebten Sets und furztrocken ironisch agierenden Figuren kennt man bis zum Überdruss aus anderen Werken des Regisseurs. Jammern auf hohem Niveau: Die Schauspieler sind natürlich alle in Topform, die Dialoge schnittig, die Kulissen schön bunt und es gibt immer wieder niedliche Szenen, die die Fans begeistern werden. Es ist halt wie immer: alles hübsch, alles clever, alles Anderson – und ein kleines bisschen ermüdend.

INFOS ZUM FILM

Originaltitel „Asteroid City“
USA 2023
105 min
Regie Wes Anderson

alle Bilder © Universal Pictures International Germany

SIBERIA

Clint ist ein kaputter Mann. Er lebt in einer einsamen Hütte in den Bergen. Dort betreibt er ein Café, in das sich nur ab und zu Gäste verirren. Eines Abends bricht er mit seinem Hundeschlitten auf, getrieben von der Hoffnung, sein wahres Dasein zu ergründen. Es folgt eine bemühte David-Lynchartige Reise durch Clints Traum- und Fantasiewelten. 

Eine dicke nackte Frau tanzt in einer Höhle im Kreis und ruft dabei “I need a doctor!”
Wieder so ein Schauspielerfilm. Diesmal kann man Willem Dafoe als gebrochenem Mann bei seinem Trip ins Ich zuschauen. Muss man aber nicht. “Siberia” ist verschwurbelte Kunst, die man sich besser sparen sollte. Immerhin gibt es schöne Landschaften mit jeder Menge Schnee zu sehen.

FAZIT

92 Minuten können sehr lang sein.

Originaltitel „Siberia“
Italien / Deutschland / Mexiko 2019
92 min
Regie Abel Ferrara
Kinostart 02. Juli 2020

MOTHERLESS BROOKLYN

Lionel Essrog (Edward Norton) ist ein Privatdetektiv, der unter dem Tourette Syndrom leidet. Eine Krankheit, die immer für einen schnellen Lacher TITTEN! FICKEN! gut ist.  „Motherless Brooklyn“ folgt Essrog bei seinem riskanten Vorhaben, den Mord an seinem Mentor und Freund Frank Minna (Bruce Willis) aufzuklären. Beim Kampf gegen Gangster und Korruption deckt Lionel streng gehütete Geheimnisse der New Yorker Politszene auf.

Die simple Formel lautet: Die besten Chancen, einen Oscar zu gewinnen, haben Schauspieler in der Rolle eines Todkranken oder Behinderten. „Motherless Brooklyn“ wäre gerne ein cooler Film noir im Stile von „L.A. Confidential“. Doch all die Musik-Szenen in verrauchten Jazzclubs und all die lässigen, Hut tragenden Detektive nützen nichts – herausgekommen ist nur ein um Stil bemühter, stellenweise unfreiwillig komischer, vermurkster Egotrip Edward Nortons. Denn statt zu vieler Köche hat hier ein einziger Koch in zu vielen Rollen den Brei verdorben. Der Oscar-Kandidat fungiert als Regisseur, Hauptdarsteller, Produzent und Drehbuchautor. Und scheinbar hat Regisseur Norton einen Narren an seinem Hauptdarsteller Norton gefressen. So bleiben Szenen ganz verliebt immer ein bisschen zu lange auf seinem Gesicht geschnitten. Das tut dem Film nicht gut, denn das ganze Gezucke und Geschimpfe nervt schon nach wenigen Minuten. Auch die anderen Schauspieler sind nicht in Höchstform. Willem Dafoe gibt mal wieder den am Rande des Wahnsinns Wandelnden und Alec Baldwin schafft es nicht, als oberkorrupter Politiker seine Figuren als SNL-Trump oder Jack Donaghy aus „30 Rock“ vergessen zu machen. Regisseur Norton lässt sich und seine Schauspieler an der zu langen Leine, was zu gnadenlosem Overacting führt.

FAZIT

Ein paar gute Momente hat der Film. Ansonsten ist „Motherless Brooklyn“ eine langatmige, eitle Oscarbewerbung.

Originaltitel „Motherless Brooklyn“
USA 2019
145 min
Regie Edward Norton
Kinostart 12. Dezember 2019

Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit

Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit  ist ein Film, zu dem man eine Gebrauchsanweisung lesen sollte. Da bei framerate.one der Servicegedanke an erster Stelle steht, bitteschön: Beinahe alle Dialoge werden von den zentral ins Bild gesetzten Schauspielern direkt in die Kamera gesprochen. Warum ist das so? Kameramann Benoît Delhomme wollte damit die Einstellungen wie alte Porträtgemälde aussehen lassen. Gleichzeitig sollte der Bühneneffekt des „Durchbrechens der vierten Wand“, bei dem sich der Schauspieler direkt ans Publikum wendet, derart überstrapaziert werden, dass man sich mit der Zeit daran gewöhnen und es als natürlich empfinden soll. Das gelingt jedoch nicht wirklich.
Normalsterbliche könnten sich auch fragen, warum der Film so verwackelt und hektisch hin und her gerissen aussieht. Die naheliegende Erklärung: Die Kamera sollte sich wie ein Pinsel beim Malen eines impressionistischen Bildes bewegen. Doch auch hier finden Theorie und Praxis nicht zusammen – die Dauerhandkamera nervt gewaltig. Unnötig , weil die Bilder eigentlich schön sein könnten, denn es wurde vor allem an Originalmotiven in Südfrankreich gedreht.

Regisseur Julian Schnabel ist selbst Maler und daher nicht besonders an einem klassisch erzählten Biopic interessiert. Sein Künstlerportrait ist mehr eine Sammlung von improvisierten Szenen und philosophischen Abhandlungen über das „Malersein“ an sich. Wie Vincent van Gogh seinerzeit, ist das Filmteam einfach losgezogen, um die Stimmungen und die berauschenden Farben der lichtdurchfluteten Landschaften einzufangen. Willem Dafoe gibt einen glaubwürdigen Vincent ab, obwohl er mit seinen 63 Jahren deutlich älter als der mit 37 verstorbene Künstler ist. Dank Kostüm und Maske sieht er dem Maler aber nicht nur verblüffend ähnlich, er beherrscht den ganzen Film mit seinem überragenden Spiel.
Zu Recht gab’s dafür eine Oscarnominierung.

FAZIT

Van Gogh vermittelt die Zerrissenheit und den Wahn des Künstlers eindrucksvoll und nachfühlbar. Aber wie das mit Wahnsinn so ist – man muss ihn auch ertragen können. Arthouse Kino, nicht unanstrengend.

USA/Frankreich 2018
111 min
Regie Julian Schnabel 
Kinostart 18. April 2019